Sound of Hope von Yuugii (Ranpo/Dazai) ================================================================================ Kapitel 1: Sound of Hope ------------------------ Samstag. Frühling in Yokohama, das Wetter wechselte von sonnig auf regnerisch im Stundentakt. Der Wind tobte und ließ den am Boden herumliegenden Müll tanzen. Menschen waren verabscheuungswürdig.     In der ganzen Stadt waren Mülleimer verteilt und dennoch warfen viele ihren Unrat achtlos gen Boden. Es kümmerte sie nicht, was mit dem Müll, den sie hinterließen geschah. Wen interessierte es schon, ob ein streunender Hund ein Papier fraß und an diesem erstickte oder wenn eine Krähe die Verpackung eines Hamburgers pickte und dabei Plastikstücke hinunterschluckte, sodass das Tier früher oder später durch den Müll im Magen verendete? Menschen waren egoistisch. Raffgierig. Solange es ihnen selbst gut ging, war alles andere egal.     Bei dem Gedanken musste Dazai schmerzhaft auflachen. Er fühlte sich nicht als Mensch. Vom Tag seiner Geburt an fühlte er sich wie ein Ausgestoßener, er war nie dazu bestimmt, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Seine Gedanken waren abstrakt. Seine sozialen Fähigkeiten krampfhaft. Wie sehr er sich dazu zwingen musste, tagtäglich den normalen Menschen zu spielen, ahnte niemand. Er selbst staunte darüber, wie gut ihm dieses Schauspiel glückte. An manchen Tagen glaubte er selbst fast, er gehörte zu den Menschen, nur um dann wieder festzustellen, wie losgelöst er von diesen war.     Sein Blick war in Richtung des Himmel gerichtet. Die Sonne schien, doch er konnte sehen, dass dicke Wolken dabei waren, ihren Platz zu verdrängen. Dunkle Wolken, die Regen brachten. Das Wetter war wechselhaft. Genauso wie sein Verstand. Ein Wind zog auf und riss sein Haar mit sich. Auch er war nichts weiter als ein Spielball der Natur. Nicht mehr wert als der Müll am Boden. Mit dem einzigen Unterschied, dass er ein parasitärer Schmarotzer war, der die Naivität der guten Menschen ausnutzte und an ihnen zerrte, solange ihre Geduld testete, bis diese an der schweren Aufgabe ausgerechnet mit Dazai Osamu in Kontakt getreten zu sein, scheiterten. Er vergiftete sein Umfeld. Die Menschen um ihn herum bemerkten es nur nicht und wenn ihnen klar wurde, dass dieser nichtsnutzige Vagabund ihnen alle Lebensgeister stahl, war es bereits zu spät. Er fragte sich, wann die Mitglieder der Armed Detective Agency seine Maskerade durchschaute und ihn im Stich ließ.     Ein leises Brummen in der Ferne, dann ein lautes Donnergrollen. Dazai wartete auf den Blitz, der jeden Moment kommen musste. Der Himmel war dunkelgrau, die bis eben hell erleuchtete Stadt wirkte nun düster und verschluckt von der Finsternis und kaum hatte ein Blitz den Himmel erleuchtet, fing es an zu regnen. Ein starker Platzregen, der das schöne Yokohama einhüllte. Dazai lächelte leicht und legte sich zurück ins Gras. Vielleicht würde der Kanal überlaufen und ihn mitreißen? Oder der Blitz erbarmte sich seiner und traf ihn? Er schloss die Augen.     Dazai war um seine Rolle als lustiger Exzentriker sehr bemüht. Niemand sollte wissen, wie es in seinem Inneren aussah. Er hasste das Gefühl der Machtlosigkeit. Die Hilflosigkeit, die ihn fesselte, wenn er einer Situation nicht gewachsen war oder Schwächen preisgab, von denen er genau wusste, dass irgendjemand sie ausnutzen würde. Wer seine Schwächen ausnutzen würde, war unwichtig. Irgendjemand wartete nur darauf, dass er einen Fehler machte, um ihn dann für seine Existenz zu bestrafen.     Die Rolle, die er spielte, war geboren aus reiner Verzweiflung, aus der tiefen Urangst heraus, unangenehm aufzufallen und gescholten zu werden, konfrontiert zu werden mit der Abartigkeit der Menschheit, die Furcht davor gehasst und abgelehnt zu werden. Dazai Osamu war einsam, isoliert in der Welt, in der er lebte und ganz egal, wie sehr er sich darum bemühte, ein Teil dieser Gesellschaft zu werden, so wich das Gefühl der unendlichen Vereinsamung nie.     Vollkommen egal, was er tat, die Furcht davor zu versagen, begleitete ihn überallhin. Ein winzig kleiner Fehler, den er sich selbst nicht verzeihen konnte, den er sich immer und immer wieder vorhalten würde, bis er an der Erinnerung dieser Schmach selbst zerbrach und seine Berechtigung zu leben hinterfragte. Menschen lebten nun mal in sozialen Konstrukten und auch wenn er diese Menschen nur aus der Ferne beobachtete und nie ein Teil von ihnen sein konnte, so wusste er um die Wichtigkeit seiner Tarnung. Er musste sich konform verhalten, anpassen, zu ihnen gehören, wenn auch nur von außen, aber nie, nie von innen. Sein Herz, auch wenn es schlug, war tot.     Sein Verstand war erkrankt. Erkrankt an seinen elendigen Zweifeln, den niemals enden wollendem Selbsthass und die Angst davor, benutzt und entsorgt zu werden. Der Regen wurde stärker und der Kanal näherte sich ihm, er wartete nur auf den Moment, an dem das Wasser Wellen schlug, die groß genug waren, ihn mitzureißen, fort von dieser Welt, zu der er nicht gehörte.     ___________________     Breit grinsend stampfte er in den Süßigkeitenladen und sah sich mit leuchtenden Augen im Laden um. Allein der Anblick all der süßen Köstlichkeiten ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Es war Monatsende, somit hatte er sein Gehalt ausgezahlt bekommen und würde sich all das gönnen, wonach ihm gerade der Sinn stand. Pockys, Dorayaki, Manju, Mikan Mochi, Baumkuchen und er konnte gar nicht zu Ende aufzählen, da war seine Einkaufstüte bis oben hin voll, sodass seine Einkäufe drohten, wieder herauszufallen. In der Nähe der Kasse blieb er stehen.     Kekse in Form von Krabben, mit roter Glasur, gefüllt mit Erdbeere, Kirsche oder Himbeere. Er war ja eigentlich mehr der Fan von Schokolade, aber bei dem Anblick dieser Kekse schoss ihm ein Bild vor sein geistiges Auge. Ohne weiter zu überlegen, packte er die Kekse zu seinen Einkäufen und lief dann zur Kasse. Ungeduldig wartete er darauf, dass die Verkäuferin alle Waren einscannte, einpackte und ihm endlich den Preis nannte. Als er bezahlt hatte, riss er eine Packung Pockys sofort auf und knusperte zufrieden einen Schockostick nach dem anderen.     Auf dem Rückweg bemerkte er, dass das Wasser im Kanal und in den kleinen Flüsse stark angestiegen war. Der Regen konnte ihm seine Laune jedoch nicht verderben, denn was gab es Besseres als Pockys? Genau! Rein gar nichts, also ignorierte er, dass seine Kleidung bereits unangenehm an ihm klebte, denn immerhin hatte er wahre Schätze bei sich, die seinen Tag versüßten. Da konnte es noch so sehr donnern und regnen, für ihn strahlte die Sonne.     Er blieb stehen. Sein Blick blieb bei der gegenüberliegenden Seite des Kanals hängen. Da lag jemand im Gras und schlief. Die Person sah verdächtig aus wie sein Kollege Dazai. Eigentlich hatte Ranpo gar keine Lust, sich mit unnötiger Arbeit zu belasten, dennoch sagte irgendetwas in ihm, dass er ihn rufen sollte. Mehrmals rief er Dazais Namen, doch dieser reagierte nicht. Ob er zu fest schlief? Grummelnd lief er über die Brücke und kam seinem Kollegen näher.     „Oi, Dazai, wach auf!“, schimpfte er und beugte sich leicht über diesen.     Dazais Gesicht war schneeweiß und seine Lippen bereits leicht bläulich verfärbt, also musste er schon ziemlich lange hier gelegen haben. Langsam blinzelte dieser und gähnte dann verschlafen. Dann sah er Ranpo direkt in die Augen und tat überrascht.     „Huch, Ranpo-san?“     „Los, steh auf, du erkältest dich noch! Fukuzawa wird sicher sauer auf mich, wenn ich dich hier einfach liegen lasse!“     „Unsinn, muss doch keiner wissen, dass du mich hier gefunden hast~“     „Glaub mir, meine erster Gedanke war, dich zu ignorieren, aber dann ist mir eingefallen, dass ich ein sehr schlechtes Gewissen bekäme, würde ich zulassen, dass du krank wirst, weil ich nichts getan habe. Man bereut ja nur, was man nicht getan hat.“     „Man bereut auch, was man getan hat“, korrigierte Dazai und setzte sich langsam auf.     „Mag sein, aber ganz egal, wie sehr man etwas aus der Vergangenheit bereut, man kann es ja nicht ändern. Die Zukunft haben wir aber selber in der Hand.“     Dazai blinzelte seinen kleinen Kollegen an und versuchte sich an einem Lächeln, von dem er selbst nicht überzeugt war, ob es glaubhaft rüberkam. Ranpo war alles anderes naiv, er war so ziemlich der einzige, der ihn durchschauen konnte. Dazai zweifelte daran, dass Ranpo ihm seine vorgetäuschte Rolle abkaufte, vermutlich wusste er schon, wie schwarz Dazais Seele war. Zum Glück behielt Ranpo die Wahrheit für sich und plapperte sie nicht unüberlegt aus. Dazai musste vom Thema ablenken.     „Was machst du eigentlich hier?“, fragte er dann und warf einen prüfenden Blick über Ranpo, der genauso wie er nicht an regentaugliche Kleidung oder gar einen Regenschirm gedacht hatte. Sie beide waren von oben bis unten klatschnass.     Ohne überhaupt auf Dazais Frage einzugehen, drückte er ihm die Tüte Süßigkeiten in die Arme. Perplex nahm der Brünette die Last auf sich, ihm blieb gar keine Zeit abzulehnen.     „Ich war einkaufen, überlebenswichtige Dinge und du wirst mir dabei helfen, sie nach Hause zu tragen“, erklärte er bestimmend und zeigte mit dem Zeigefinger zur Brücke und wies seinen brünetten Kollegen dazu an, ihm zu folgen. Dazai wollte etwas erwidern, doch Ranpo ließ keine Widerworte zu und drängelte, befahl Dazai, sich zu beeilen, bevor all seine Einkäufe durchweicht waren. Ohne weiter zu überlegen, folgte Dazai ihm dann doch, fragte sich insgeheim jedoch, warum Ranpo ihn angesprochen hatte.     Ein schlechtes Gewissen klang wie etwas, das Ranpo gar nicht kannte, schließlich drehte sich seiner Meinung nach alles um ihn. Ging es ihm um seinen Ruf als Meisterdetektiv? Dazai versuchte seine Gedanken zu unterbrechen und erklärte sich ihre Begegnung so, dass Ranpo lediglich jemanden wollte, der seine Sachen schleppte und da kam ihm jeder recht. Dazai war also nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.     ___________________     Sie näherten sich dem Bezirk, in dem die Mitglieder der Armed Detective Agency lebten. Ein kleiner Wohnkomplex, von außen leicht heruntergekommen – man könnte meinen schäbig – aber von innen gut ausgestattet. Dazai gehörte die Wohnung im Untergeschoss, aber er war selten zuhause. Wenn er nicht damit beschäftigt war, sich im Kanal zu ertränken oder sonst irgendwelche Selbstmordmethoden testete, war er in diversen Lokals und betrank sich besinnungslos. Oder er war auf der Arbeit, wo er auf der Coach schlief, an seinem Arbeitsschreibtisch Origamifiguren faltete oder mit Papierflugzeugen nach Kunikida warf.     „Du wohnst hier, oder?“, fragte dann Ranpo und zeigte auf Dazais Wohnungstür.     Dazai war komplett überrumpelt.     „Ja, aber …“, begann er und überlegte, was Ranpo vor hatte.     „Dann mach die Tür auf oder willst du, dass ich noch länger im Regen stehen muss?!“, forderte der Schwarzhaarige und tippte mit seinem Fuß ungeduldig auf und ab, während er seine Hände in die Hüften stemmte und beleidigt seine Wangen aufblies, so dass er aussah, wie ein kleines, eingeschnapptes Kind.     Dazai setzte die Einkaufstüte ab und kramte nach seinem Schlüssel, weder in der rechten noch in der linken Tasche seines Trenchcoats wurde er fündig, fummelte dann leicht nervös in seinen Hosentaschen umher, nur um zu merken, dass er nicht nur seinen Schlüssel, sondern auch sein Portemonnaie verloren hatte.     „Wird das heute noch etwas?“, grummelte Ranpo. Dazai lachte nervös und tastete noch einmal seine Innentaschen ab.     „Suchst du was Bestimmtes? Das hier, vielleicht?“     Ranpo zog aus seiner Hosentasche einen kleinen silbernen Schlüssel hervor und wedelte damit vor Dazais Gesicht umher.     „Ah! Wo hast du den denn her?“, fragte Dazai gespielt überrascht.     „Den hast du schon vor einer Woche verloren, hat ein Bürger im Fundbüro abgegeben und die haben es an Fukuzawa weitergegeben. Ich wollte mal sehen, ob dir auffällt, dass dein Schlüssel fehlt, aber du hast nichts gesagt und dann habe ich es vergessen und seitdem schleppe ich den mit mir herum.“     „Nun, ich habe ja zwei Schlüssel und ich habe den Ersatzschlüssel benutzt. Kein Grund zur Sorge.“     „Kann schon sein, aber jeder halbwegs denkende Mensch würde sofort das Schloss austauschen, wenn der eigene Schlüssel verloren geht, könnte ja sonst sein, dass jemand einbricht. Ich schließe daraus, dass du gar nicht nach dem Schlüssel gesucht hast, weil du gar nicht zuhause warst, mal davon abgesehen, könnten deine Klamotten einen Vollwaschgang in der Waschmaschine vertragen.“     Dazai sagte daraufhin nichts und senkte nur betroffen den Kopf.     „Dir kann man auch gar nichts vormachen, ha ha“, meinte er daraufhin und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Ranpo schloss nun selbst die Tür auf, stieß die Tür auf und trat in die Wohnung ein, blieb kurz im Eingangsbereich stehen. Er ließ seinen Blick hin und her schweifen. Musste Wochen her gewesen sein, dass jemand hier drin war. Daraufhin zog er seinen Mantel und seine Schuhe aus, letztere befeuerte er in die nächstbeste Ecke, während er seinen Mantel an die Garderobe hängte.     „Du solltest dringend mal lüften und Staub putzen. Würde Kunikida das hier sehen, würde er dir an die Gurgel gehen“, sagte er dann, ging weiter herein und ging in den Wohnbereich, dessen Fußboden mit Tatamimatten ausgestattet war. Ein kleiner Tisch und ein Sitzkissen befand sich inmitten des Raumes und im Schrank, der halb offen war, blitzte ein zusammengeknüllter Futon hervor. Nicht, dass Ranpo damit gerechnet hätte, dass Dazai seine Bettwäsche zusammenfaltete, aber in gewisser Weise fühlte er sich da mit dem Chaoten verbunden. Was Ordnung anging, war Ranpo auch nicht das hellste Licht. Solange es ihm gut ging, war alles andere egal. Ranpo gut, alles gut!     „Willst du mir keinen Tee oder so anbieten? Oder ein Handtuch? Ich bin ein Gast!“, forderte Ranpo als nächstes und nörgelte weiter über Dazai, der ein hundsmiserabler Gastgeber wäre, obgleich dieser ihn gar nicht eingeladen hatte und Ranpo viel mehr ein unerwünschter Eindringling als ein geladener Gast war. Dazai stöhnte und setzte Tee auf, brachte zwei Tassen und Unterteller vorbei, über seinen Arm hatte er ein schwarzes Handtuch gelegt, dass er seinem Kollegen reichte.     „Keine Kekse?! Süßigkeiten? Oder Kuchen?!“, empörte sich Ranpo lauthals.     „Nun, ich habe nichts dergleichen hier, es sei denn, du wärst mit einer Dose Krabbenfleisch zum Tee einverstanden?“, fragte Dazai und versuchte sich selbst zur Ruhe zu ermahnen. Ranpo war nun mal Ranpo. Es interessierte ihn so gar nicht, was soziale Normen oder Moral war, also brauchte Dazai ihn gar nicht auf sein unverschämtes Verhalten ansprechen, wo er doch genau wusste, dass er nichts weiter als einen entgeisterten Blick oder ein schallendes Gelächter als Reaktion bekäme.     „Geh mir weg damit! Chips? Irgendwas Essbares musst du doch hier haben?“     „Ich habe noch einen Rest Krabbenchips, aber ich bezweifle, dass das zum Tee schmeckt … und was ist mit den Süßigkeiten in der Einkaufstasche?“     „Das sind meine Süßigkeiten! Die mache ich doch jetzt noch nicht auf! Außerdem musst du mir etwas anbieten, wo kämen wir denn dahin, wenn ich, ein grandioser und weltweit bekannter Meisterdetektiv, als Gast Süßigkeiten spendieren würde? Das entspricht ja so gar nicht der Etikette!“     Dazai wusste darauf keine Antwort und bot ihm an, zum Convenience Store einige Straßen weiter zu gehen und etwas zu kaufen, doch Ranpo entrüstete sich erneut, stand auf und trampelte zurück in den Flur, wo er dann seine Einkaufstüte durch kramte und eine Packung Kekse brachte. Zurück im Wohnzimmer angekommen, ließ er sich auf das einzige Sitzkissen plumpsen und legte die Kekse auf den Tisch.     „Nur, weil du es bist, mache ich eine Ausnahme!“, sagte er dann und grinste, wedelte daraufhin mit der Hand, als wollte er Dazai wegschicken.     „Zieh dir was Trockenes an, du bist ja bis auf die Knochen durchgeweicht“, sagte er dann und zog aus seiner Brusttasche ein kleines Bonbon heraus, welches er sich in den Mund steckte, warf dann seinen Hut achtlos neben sich und streckte sich.     „Ah, das ist doch nicht nötig–“ Dazai wurde jäh unterbrochen.     „HOPP, HOPP oder muss ich Kunikida rufen? HM?“     Bei dem Gedanken lief es Dazai eiskalt den Rücken runter, also öffnete er seinen Schrank, aus dem der Futon hinausblickte und zog diesen heraus. Unter der Bettwäsche befand sich ein blauer, zerknitterter Pyjama, den er aufsammelte und damit in Richtung Badezimmer trottete.     „Und geh DUSCHEN“, hörte er Ranpo hinterher brüllen.     „Du riechst wie eine Mülltonne!“, fügte er nach kurzem Überlegen hinzu.     Dazai ist ein Chaot. Ich hatte zwar noch einiges vor heute, aber es ist besser, wenn jemand bei ihm ist und aufpasst, dass er keinen Quatsch macht, überlegte er und linste aus dem Wohnzimmer heraus. Als er das Rauschen des Wassers hörte, grinste er zufrieden und machte sich daran, Dazais Wohnung zu durchsuchen, um mehr über diesen zu erfahren. Vorsichtig schlich er durch die Wohnung, öffnete sämtliche Schränke, Schubladen und blätterte in den wenigen Büchern herum, die Dazai besaß. Es gab nur wenig, das auf eine persönliche Verbindung zu Dazai deutete. Er besaß viele alkoholische Getränke, darunter zig Whiskey Sorten, von denen Ranpo genau wusste, dass sie alles andere als billig waren.     Grummelnd musste er feststellen, dass Dazai nicht mal einen Fernseher hatte. Wo gab es denn so etwas? Gut, der Kerl war regelmäßig pleite und konnte sich selbst die paar hundert Yen für eine Tasse Kaffee nicht leisten, aber so ein Fernseher und generell Technik gehörte doch zur Grundausstattung.     Er wird ja wohl kaum nur Bücher lesen oder in Bars abhängen. Nun, die Wohnung ist generell nicht viel benutzt worden … oder hat er eine zweite Wohnung? Ne, das wäre für ihn zu viel Aufwand. Mal sehen, irgendetwas Interessantes muss es hier doch geben!     Dann widmete er sich dem Schrank, in dem der Futon drin gelegen hatte. Vorsichtig lugte er hinein.     Ein dunkles, gestreiftes Hemd, eine Packung Streichhölzer mit dem Bild eines Mannes, der ein Monokel trägt … hm … aha! Was haben wir denn hier Nettes? ♥     Ranpo zog eine tragbare Spielekonsole hervor. Eine Playstation Portable. Ein relativ altes Gerät, mittlerweile gab es einen modernen Nachfolger. Aber das hier war mehr als er erwartet hatte. Zufrieden grinste er über diesen Fund. Dann ein schrilles, lautes Pfeifen, das ihn aus seinen Gedanken riss und seine Vorfreude bremste.     Verdammt, der Wasserkocher war fertig! Er huschte in Richtung Küchenzeile, wo er das Wasser ausstellte und den Tee zubereiten wollte. Betonung lag hierbei auf „wollen“, denn mehr als das wurde nichts. Er selbst hatte noch nie Tee zubereitet. Immerhin war er ja auch ein Meisterdetektiv und keine Küchenhilfe! Was sollte er denn nun mit dem aufgekochten Wasser tun?! Es blubberte vor sich hin und war kurz davor überzulaufen, das schrille Pfeifen des Wasserkochers raubte ihm den letzten Nerv.     Warum hatte Dazai überhaupt so ein altmodisches Teil?!     Unsicher ob es reichte einfach nur den Herd auszuschalten, drückte er sämtliche Knöpfe an diesem, doch da er keine Ahnung hatte, was er da drückte, hatte er stattdessen das Gas aufgedreht und eine Stichflamme erzeugt. Erschrocken wich er einige Schritte zurück. Verdammte Scheiße, fluchte er gedanklich und fragte sich, was er in dem Fall eines Hausbrandes tun musste. Nicht, dass er wollte, dass der kleine Wohnkomplex der ADA abbrannte, aber es war jetzt auch nicht so, als wüsste er, was für Schritte er als nächstes einleiten sollte.     Urplötzlich stand ein nur in Unterwäsche und frischen Bandagen bekleideter Dazai neben ihn, der sämtliche Knöpfe zudrehte, sodass die kleine Flamme sich rasch zurückzog, daraufhin griff er mit bloßer Hand den Wasserkocher und nahm diesen von Herd herunter. Zitternd zog er seine Hand zurück. Natürlich war der Griff heiß geworden und seine gesamte Handfläche war nun knallrot, aber er gab keinen Mucks von sich, sondern lächelte nur Ranpo an.     „Ich habe den Wasserkocher vergessen! Du hattest Recht, ich bin ein schlechter Gastgeber.“     Ranpo sagte nichts und griff nur nach Dazais Hand, betrachtete die verbrannte Fläche und zerrte ihn in Richtung Waschbecken, wo er das kalte Wasser aufdrehte. Dazai zuckte kaum merklich zusammen, als das Wasser seine geschundene Haut berührte.     „Hast du Salbe gegen Verbrennungen da? Sieht echt übel aus“, analysierte der Schwarzhaarige trocken und betrachtete die Verletzung noch genauer. Er hätte Dazai darauf ansprechen können, warum er den Griff mit bloßer Hand gefasst hatte und keine Reaktion auf den Schmerz gezeigt hatte, oder warum sein ganzer Körper in Bandagen eingehüllt war, aber in diesem Moment wollte er einfach nur sicher gehen, dass keine bleibenden Schäden zurückblieben. Dieser Idiot. Dazai war ein Idiot.     Wie kannst du so schlau sein und so dumme Entscheidungen treffen? Ich würde ihm ja gerne ins Gesicht sagen, wie dumm das hier war, andererseits ist diese Situation ja auch meine Schuld gewesen. Mein Unwissen darüber, wie man Tee zubereitet, einen alten Gasherd verwendet hat dazu geführt, dass Dazai sich verletzt hat, grübelte er gedanklich. Vielleicht sollte er Dazai als Entschädigung sogar zwei Kekse erlauben. Das war doch ein angemessener Preis!     „Tut es sehr weh?“, wollte er dann wissen und sah Dazai mitfühlend an.     „Ist nur halb so schlimm, wie es aussieht“, versuchte Dazai vom Thema abzulenken und kicherte.     „Das Wasser hat perfekte Temperatur, ich bereite schnell den Tee zu und du kannst ja weiter meine Sachen durchwühlen, in der Hoffnung, irgendetwas Prekäres zu finden“, lachte er dann und wabberte vielsagend mit den Augenbrauen. Ranpo wurde für einen Moment rot im Gesicht, schüttelte dann die Scham wieder ab und grinste.     „Ich tue nur das, was jeder gute Meisterdetektiv tun würde!“     Dazai hob eine Augenbraue. Ranpo grinste weiterhin und bemerkte die zunehmenden Schweißtropfen, die seine Wangen und seine Stirn hinabliefen und hoffte darauf, dass Dazai sein Argument akzeptierte.     „Aha~“, meinte der Brünette und summte vergnügt, kramte in seinen Schränken herum und zog eine Teemischung hervor, füllte dieses in ein Teesieb, welches er dann in seine Porzellanteekanne füllte. Der Duft von Teeblättern, Vanille und einer zarten Zitronennote lag in der Luft.     Ranpo indes war zurück ins Wohnzimmer getapst und warf die kleine Spielekonsole an, wartete gespannt darauf, was für ein Spiel ihn erwartete. Ein Rennspiel, das bei genauerer Betrachtung, sämtliche Erfolge bereits freigeschaltet hatte. Nichtsdestotrotz versuchte er sich an einem der Rennen und tauchte in das Spiel ein, bemerkte Dazai gar nicht mehr, der die Teekanne abstellte und sich umgezogen hatte. Verträumt betrachtete er Ranpo, der sich angestrengt auf die Unterlippe biss und verärgerte Geräusche von sich gab, offensichtlich, weil er Fehler machte und kurz davor war, zu verlieren. Als die Melodie des Game Overs ertönte, stöhnte Ranpo genervt.     „Das Spiel ist scheiße!“, schimpfte er dann und rümpfte die Nase.     „Ich weiß“, meinte Dazai nur lächelnd.     „Du hast das Spiel auf 100% durchgespielt, so schlecht kann es also nicht sein.“     „Doch, doch, das ist es.“ Dazai goss ihnen den Tee ein. Über Ranpo schwebten kleine Fragezeichen umher. Dazais Aussage passte nicht zu den Fakten! Wer spielte denn ein Spiel zu Ende, wenn man es nicht mochte? Niemand mit Verstand!     „Dann verkaufe das Spiel und du kannst anfangen für einen Fernseher zu sparen!“     „Was soll ich mit einem Fernseher?“, fragte Dazai perplex.     „Hast du zu heiß geduscht?“     Dazai blinzelte fragend und versuchte sich an einem Lächeln.     „Spar dir dein Gegrinse, jeder Mensch braucht einen Fernseher! Wie soll ich jetzt meine Serie gucken?! Oder zocken?“     „Kunikida-kun hat einen Fernseher~“     „Und was soll mir das sagen?“     „Wir könnten zu ihm gehen und ihn nerven~“, grinste Dazai verschmitzt, etwas Böses funkelte in seinen Augen auf.     Ranpo tat so, als würde er überlegen und schüttelte dann den Kopf.     „Ne, bloß nicht! Der ist immer so ernst und hält Moralpredigten am laufenden Band“, stöhnte er dann und öffnete nun die Kekspackung, nahm sich einen Keks daraus, hielt für einen Augenblick inne, ehe er die Packung zu Dazai herüberschob. Dieser hob überrascht die Augenbrauen und betrachtete die Kekse. Krabben?     „Als ich die gesehen habe, musste ich an dich denken, also bediene dich!“     Dazai fiel aus allen Wolken und starrte den Schwarzhaarigen ungläubig an. Ranpo bot ihm Süßigkeiten an? Ranpo Edogawa? Der beste Meisterdetektiv der Welt und der wohl größte Liebhaber süßer Köstlichkeiten?     „Na, los, greife zu, bevor ich es mir anders überlege!“, schimpfte Ranpo und fuchtelte mit den Armen umher.     „Das ist ja ungewöhnlich“, murmelte Dazai und nahm sich einen Keks, den er genau observierte und so vorsichtig zwischen seinen Fingern hin und her wendete, als könnte er jeden Moment zerbrechen oder sich in Luft auflösen. Genau genommen wartete er darauf, dass Ranpo seine Meinung änderte und ihm das Gebäck aus der Hand riss. Ranpo und teilen? Da stimmte doch eindeutig etwas nicht!     Ranpo zog eine Augenbraue in die Höhe, dann kratzte er sich verlegen an der Wange und stieß einen tiefen Seufzer aus.     „Ungewöhnlich, hm?“, wiederholte er nachdenklich.     „Zu dir passt dieses Melancholische auch nicht“, fügte er dann hinzu und seine sonst geschlossenen Augen öffneten sich und er blickte Dazai direkt an. Seine stechend grünen Augen schienen in seine Seele zu blicken, durchleuchteten jeden Winkel seiner schwarzen Seele und brachten jedes noch so wohl gehütete Geheimnis ans Tageslicht.     „Dir kann man auch nichts vormachen“, kicherte Dazai und biss von dem Keks ab.     „Ich behaupte nicht, zu verstehen, wie du dich fühlst, aber es nervt mich, wenn du so traurig bist und glaubst, dass du allein bist. Du hast alle Mitglieder der Agentur und ich bin sogar so nett, dass ich meine Kekse mit dir teile. Ganz egal, was für dumme Gedanken dich quälen, ich bin hier! Meisterdetektiv Ranpo Edogawa und ich passe auf dich auf, also brauchst du keine Angst davor haben, dass irgendjemand dir wehtut!“     Dazai lachte leicht amüsiert. Er versuchte sich an einem Lächeln. Seine Gesichtsmuskeln waren routiniert in ihrer Bewegung und es kostete ihn keinerlei Anstrengung mehr, diese fröhliche Fassade aus dem Nichts heraufzubeschwören. Er war ein grandioser Schauspieler.     „Dann beschützt du mich also auch vor Kunikida-kun?“     „Das ist ein komplett anderes Thema. Dir an die Gurgel zu springen ist seine Art Zuneigung zu zeigen. Außerdem provozierst du ihn ja ständig, also scheinst du ja darauf zu stehen. Also ich werde deinen Fetisch nicht hinterfragen, jedem das seine.“     „Ich bin doch kein Masochist!“, empörte sich Dazai.     „Bist du nicht?!“     „Natürlich nicht! Ich hasse Schmerzen!“     Ranpo betrachtete Dazai mit weit aufgerissenen Augen, ehe er sich dann räusperte.     „Schau mich nicht so an, Ranpo-san. Ich lüge nicht.“     „Ich habe übernatürliche Fähigkeiten, weißt du? Deshalb glaube ich dir nicht. Ein großartiger Detektiv, so wie ich es bin, kann jeden Fall in kürzester Zeit lösen und ich durchschaue dich, Dazai. Hältst du mich für blöd?“     Dazai zeigte keine Regung, doch Ranpo konnte das kurze Zucken in seinen Augenwinkeln erkennen. Dazai fühlte sich ertappt und überlegte, welche Ausrede er als nächstes vorbringen sollte. Ranpo hatte jedoch keine Lust auf dieses ewige Katz und Maus Spiel, also stöhnte er extra laut, um so seinen Unmut auszudrücken.     „Du bist ziemlich gut darin, dich zu verstellen. Du magst zwar den Direktor und alle anderen täuschen, aber ich bin anders. Das solltest du wissen. Also spare dir deine Ausreden, du weißt doch, dass ich dich schon längst durchschaut habe.“     „Ich weiß~“ Dazai schloss die Augen und kicherte leise, für einen Moment wirkte er unglaublich zufrieden, als hätte sich jede Last von seinen Schultern gelöst.     „Also dann, irgendetwas Spannendes heute passiert, das du mir erzählen möchtest?“     „Ahhh“, kam es gespielt überrascht von Dazai, der nun seinen Kopf leicht neigte, so dass sein Pony einen Schatten über sein Gesicht warf, wodurch er leicht bedrohlich wirkte.     „Du hast mich wirklich durchschaut.“     „Natürlich. Hast du was an den Ohren? Ich bin Meisterdetektiv Ranpo Edogawa, der beste Detektiv des Landes – ach was rede ich denn da? – der ganzen Welt!“     „Vor einigen Tagen habe ich einen alten Bekannten getroffen, er wollte Informationen haben, doch ich sagte ihm, dass ich nicht mehr für die Port Mafia arbeite. Du weißt ja, wie diese Grobiane sind! Die verstehen kein nein und akzeptieren dieses auch nicht als Antwort, also hat er mich bedrängt und mir gedroht.“     „Hat er dich verletzt?“, wollte Ranpo wissen und stützte beide Hände auf den kleinen Tisch ab, kam Dazai etwas näher und sah ihn besorgt an.     Dazai schüttelte nur den Kopf und stieß einen tiefen Seufzer aus.     „Das Gegenteil sogar. Wie aus Reflex habe ich seine Hand gegriffen, mich von ihm befreit und mir seine Schusswaffe gesichert. Ich habe ihn dann den Pistolenlauf an die Stirn gehalten und ihm gesagt, dass er verschwinden solle und mir nie wieder unter die Augen treten solle.“     Ranpo atmete erleichtert aus. Dazai wirkte bedrückt.     „Aber das ist nicht alles gewesen, oder?“     Der Brünette schüttelte den Kopf und senkte dann den Blick, spielte verschämt mit dem Saum seines Pyjama Oberteils herum, suchte nach den richtigen Worten.     „Ich habe geschworen, für die richtige Seite zu kämpfen und ein guter Mensch zu sein. Aber in diesem Moment, habe ich mich so befreit gefühlt, es war so natürlich für mich und ihn zu bedrohen, ihm die Hand zu brechen, hat mich kein bisschen Überwindung gekostet. Ich wollte ihm nicht die Hand brechen, aber es ist einfach passiert. Ich habe die Kontrolle verloren.“     Ranpo gab einen mitfühlenden Laut von sich, zumindest glaubte Dazai dies. Vielleicht war er auch einfach nur genervt. Immerhin hatte Dazai einen Fehler gemacht. Einen Fehler, den er sich selbst nicht verzeihen konnte. Es schockierte ihn selbst am meisten, wie leicht es ihm viel, in altbekannte Muster zurückzufallen und anderen Menschen Schmerz zuzufügen.     „Verstehe.“     Mehr kam nicht. Dazai fühlte sich gekränkt. Mehr hatte sein Kollege nicht dazu zu sagen? Das war alles?     „Tsk!“, gab Dazai dann zurück und vermied es, seinen Gegenüber anzusehen.     „Mehr hast du nicht zu sagen?!“     „Was willst du denn hören? Du weißt, dass du einen Fehler gemacht hast. Du hast dich schon selbst dafür bestraft, was willst du denn von mir? Was soll ich machen? Reicht es nicht, dass du dich selbst verletzt hast, um für diesen banalen Fehler zu sühnen?“     Dazai griff instinktiv an seinen linken Unterarm und biss sich auf die Unterlippe.     Ranpo schob sich den nächsten Keks in den Mund und sprach weiter, verteilte beim Sprechen einige Krümel quer über die Tischplatte.     „Du hast doch schon genug gelitten. Du musst dir selbst verzeihen und auch mal loslassen. Dir selbst Schaden zuzufügen, ändert ja nichts an dem, was geschehen ist. Du musst akzeptieren, dass du eine Menge negativer Gefühle in dir trägst und dass du nicht immer Herr deiner eigenen Gefühle bist.“     „Ich weiß.“     Bevor er weitersprechen könnte, ertönte eine rhythmische Melodie. Beide schreckten kurz auf. Ranpo zog sein Smartphone aus der Tasche und nahm den Anruf an, doch als er das Gerät an sein Ohr legen wollte, musste er aufgrund der lauten, keifenden Stimme am anderen Ende des Hörers nicht nur einmal erschrocken schlucken, sondern das Handy von sich weghalten. Lauthals ertönte Kunikidas Stimme.     „Ranpo-san?! Wo steckst du?! Du hast gesagt, ich solle dich von deiner Shoppingtour abholen, aber du bist nirgends aufzufinden!“     Kunikida klang einerseits wütend, aber andererseits sehr besorgt um seinen älteren Kollegen.     „Ach, ich bin bei Dazai“, versuchte sich Ranpo zu erklären, doch weiter kam er nicht, da hatte der Blonde aufgelegt. Perplex sahen die beiden sich an. Das war äußerst merkwürdig, dass Kunikida einfach aufgab und keine Moralpredigt hielt. Im nächsten Moment hörte man lautes Poltern und die Eingangstür wurde aufgerissen. Dazai lief es eiskalt den Rücken herunter. Ranpo wirkte gelangweilt und griff nach einem weiterem Keks, den er sich wortlos in den Mund schob.     „Ranpo-san!“, keifte Kunikida und stand nun keuchend unter dem Türrahmen.     Dazai blickte auf, versuchte sein gespieltes Lächeln aufrecht zu erhalten.     „Wow, du warst aber schnell!“, lachte der Schwarzhaarige und grinste amüsiert.     „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht! Warum hast du nicht Bescheid gegeben?“     Kunikida setzte sich nun zu den beiden und sah Ranpo direkt in die Augen, dann betrachtete er seinen Kollegen von oben bis unten, als wollte er sicher gehen, dass er nicht verletzt war.     „Alles halb so wild! Mir geht’s gut! Also ist alles gut“, lachte der Schwarzhaarige.     Dazai blinzelte nur, nicht wissend, ob er sich nun einmischen sollte.     „Und du“, begann Kunikida zähneknirschend und warf Dazai einen verärgerten Blick zu.     „Und warum hast du dich nicht gemeldet? Ich habe dir heute Morgen eine Nachricht geschrieben und jetzt sitzt du hier im Pyjama! Sag bloß nicht, du hast bis eben geschlafen! Du bist ein nichtsnutziger Faulpelz!“, schimpfte der Blonde. Dazai wedelte verteidigend mit seinen Händen umher, noch ehe er eine Rechtfertigung hervorbringen konnte, griff Kunikida nach seiner verletzten Hand.     „Du bist verletzt“, erklärte er eintönig und betrachtete dieBrandwunde. Die Haut war dunkelrot verfärbt, einige Bläschen bildeten sich, die mit einer roten Flüssigkeit gefüllt waren.     Dazai grinste.     „Herrje, das geht jetzt aber schnell~“, sagte er trällernd und spielte das unschuldige Schulmädchen, tat so, als würde Kunikida gerade um seine Hand anhalten, machte sich innerlich bereit für einen festen Handschlag ins Gesicht oder eine kraftvolle Kopfnuss. Letztere bevorzugte sein blonder Kollege offenbar, das hatte Dazai nebenbei bemerkt. Aber nichts davon kam. Stattdessen stöhnte der Blonde und kramte in seiner Jackentasche herum, holte ein kleines Verbandskästchen für unterwegs hervor.     „Hm, immer für alles gewappnet, was? So kennen wir unseren Kunikida-kun“, versuchte Dazai ihn zu provozieren und grinste frech.     „Hätte ich nicht ausgerechnet dich zum Partner, wären solche Vorsichtsmaßnahmen nicht nötig“, sagte der Blonde beiläufig und behandelte die Brandwunde in fürsorglicher Strenge.     „Das ist eine Verbrennung des zweiten Grads, warum hast du das nicht richtig behandelt? Du hast doch Verbände hier.“     „Aber keine Wundcreme, also dachte ich, besser ich lasse es an der Luft trocknen.“     „Nicht, dass ich etwas anderes erwartet hätte ...“ Kunikida rollte genervt mit den Augen.     Ranpo knusperte ohne weiter auf seine Kollegen zu achten seine Kekse und warf einen Blick auf Dazais Playstation Portable. Noch immer überlegte er, was genau Dazai mit seinen Worten gemeint hatte. Vermutlich war das Gerät ein Geschenk einer wichtigen Person. So auch das gestreifte Hemd, das er im Schrank gesehen hatte. Das Hemd war nicht Dazais Größe, also musste es wem anders gehören.     „Ach, Dazai, wem gehört eigentlich das Hemd in deinem Schrank?“     Dazai zog verwundert die Augenbrauen in die Höhe.     „Meisterschnüffler Ranpo-san entgeht auch gar nichts!“, sagte er dann lachend, aber Ranpo sah ihm an, dass diese Frage Unwohlsein in ihm auslöste.     „Es gehörte einem …“ Dazai machte eine Pause, schloss die Augen und lächelte melancholisch, dann lachte er leise in sich hinein, so als wüsste er nicht, wie er mit dieser Konfrontation umgehen sollte.     „Ranpo-san“, meldete sich nun Kunikida zu Wort. „Wir sollten nicht zu viel in Dazais Privatleben herumschnüffeln. Es gehört sich nicht, unerlaubt in die Schränke von Freunden hineinzublicken und deine Frage war taktlos.“     „HÄ? Wieso das denn?“, empörte sich der Schwarzhaarige.     „Schon gut, Kunikida-kun. Ranpo-san hat es ja nicht böse gemeint und vielleicht geht es mir besser, wenn ich darüber spreche. Das Hemd gehörte einem sehr guten Freund von mir.“     „Gehörte? Hat er es dir geschenkt?“, fragte Ranpo nach und tat verwirrt.     „Nein, er ist verstorben. Das ist alles, was mir von ihm geblieben ist.“     „Ach so“, meinte Ranpo nur Schultern zuckend. Kunikida seufzte. Er musste daran denken, dass Dazai häufig am Friedhof herumlungerte und er wusste, dass sich dort ein Grab befand, das er in aller Regelmäßigkeit besuchte. Kunikida wusste, dass dieser Mensch unheimlich wichtig für Dazai gewesen sein musste, aber er wollte sich nicht aufdrängen und hatte daher nie gefragt. Er fand, dass Ranpos Reaktion mehr als nur unangebracht war und widmete sich nun Dazai, als wollte er ihn aufheitern.     „Er ist sicher froh darüber, dass du an ihn denkst“, meinte er lächelnd.     Dazai riss die Augen auf, sah seinen blonden Kollegen an.     „Ja“, hauchte er leise, „bestimmt ist er das.“     Ranpo warf erneut einen Blick auf die PSP. Dieses Ding war sicher ein Geschenk von seinem Freund. Obwohl er das Spiel nicht mochte, hat er es komplett durchgespielt, weil es von einer Person kam, die ihm sehr am Herzen lag, überlegte Ranpo und sah nun zu Kunikida, welcher sich, nachdem er Dazais Wunde versorgt hatte, zum Gehen aufmachen wollte.     Der Blonde rückte seine Brille zurecht.     „Ranpo-san, gib mir das nächste Mal bitte Bescheid, wenn du einfach gehst“, erklärte er dann und nickte dem Schwarzhaarigen zu, dann sah er Dazai direkt an.     „Und du sagst mir gefälligst Bescheid, wenn du Hilfe brauchst! Ständig muss ich mir wegen dir Sorgen machen! Ich habe schon Bauchschmerzen!“     „Huch?!“, kam es von Dazai, der auf seinem Platz hin und her waberte und nun in heller Tonlage weitersprach.     „Ku-ni-ki-da-kyuuun~“, trällerte er rhythmisch und blinzelte mehrmals unschuldig.     „Ich hatte ja gar keine Ahnung, dass Kunikida-kun Schmetterlinge wegen mir im Bauch hat!“     Kunikida würgte Dazai nun.     „Willst du mich verarschen?! Ich rede von einem Magengeschwür, weil du mir mein Leben schwer machst!“, schimpfte er und würgte Dazai.     Ranpo lächelte. Obwohl Kunikida ihn offenbar würgte, achtete er peinlichst genau darauf, seinem Kollegen bloß keinen Schaden zuzufügen. Ihre Dynamik war sehr interessant und für jeden ein Spaß. Mit den beiden Streithähnen gab es immer etwas zu lachen und Dazai wirkte nun viel lockerer.     Kunikida räusperte sich, verneigte sich zum Abschied und verließ Dazais Wohnung. Dazai amüsierte sich köstlich darüber, seinen Kollegen einmal mehr dazu gebracht zu haben, aus der Haut zu fahren.     „Weißt du, ob du es willst oder nicht, du gehörst zu unserer verrückten Familie und bist ein Teil der Agency.“     Dazais Blick wurde ernst, dann nickte er und ein zaghaftes Lächeln fand seinen Weg auf seine Lippen. Viel zu oft hinterfragte er seinen Platz in dieser Welt und verlor sich in negativen Gedanken, glaubte, kein Teil dieser Welt sein zu können und niemals dazuzugehören. Doch einmal mehr waren es seine Kollegen, die ihn von diesen düsteren Gedanken ablenkten und die Dunkelheit seiner Seele erhellten. Vielleicht waren nicht alle Menschen so schlimm, wie er sich einredete. Vielleicht musste er einfach mal aufhören nachzudenken.     „Danke, Ranpo-san.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)