Das Feuer in der Nacht von abgemeldet ================================================================================ Prolog: Ein Sturm zieht auf --------------------------- Ein Sturm zieht auf 494 n.d.T. Ein Donnerhall, so gewaltig wie der Götter Zorn selbst, drohte den Nachthimmel zu zerreißen. Nur wenige Augenblicke zuvor hatte ein Blitz die Nacht zum Tag gemacht und für einige flüchtige Sekunden die Ausmaße des dunklen Wolkenmeers preisgegeben. Schon seit nunmehr drei Tagen tobte dieser Sturm, was in den besonders gottesfürchtigen die tiefe Gewissheit hervor rief, dass das Ende nun nahe war. Tatsächlich gab es in der Geschichte keine Aufzeichnungen eines derartigen Unwetters, doch eine gewisse junge Frau hinderte dies nicht daran, trotz allem durch die gepflasterten und teilweise überfluteten Straßen der Stadt zu huschen. Gleich einem Schatten bewegte sie sich dicht an den Häuserwänden, um unbemerkt an den wenigen Wachen vorbei zu schleichen, welche notgedrungen ihre Patrouillen abliefen. Wenn sie es nicht so eilig hätte, diese verfluchte Stadt und deren Bewohner hinter sich zu lassen, hätte sie eventuell eine Unze Mitleid für sie empfunden, doch just in diesem Moment hatte sie ihren Kopf voll mit anderen Dingen. Schon seit einiger Zeit hatte sie mit dem Gedanken gespielt, alleine in die weite Welt aufzubrechen, um diese in all ihrer Schönheit und Vielfalt zu erkunden, doch lange noch hatten die Ketten der Familienbande und auch Sorge vor dem Unbekannten sie zurück gehalten, doch damit sollte es nun endlich vorbei sein. Dass das Wetter ausgerechnet nun, da sie endlich den Entschluss gefasst hatte, in die unbestimmte Zukunft voranzuschreiten, derartig außer Kontrolle schien, konnte man durchaus als schlechtes Omen wahrnehmen, doch die junge Frau versuchte es gelassen zu nehmen. Die Tore der Stadt kamen trotz des strömenden Regens, welcher der ungnädige Wind unablässig in ihr Gesicht peitschte, in Sichtweite, was in ihr eine Welle der gemischten Gefühle auslöste, die über sie hinweg zu rollen drohte. Entschlossen zog sie den ledernen Saum ihrer Kapuze tiefer über die Stirn und beschleunigte ihre Schritte. Sie gestand sich ein, dass ihre Angst vor der Fremde groß war, ja, doch das Gefühl von Freiheit, welches sie bis zu diesem Moment noch nie verspürt hatte, war neu und erfüllte sie mit so viel Zuversicht, dass sie nicht ein einziges Mal zurück blickte, als sie die Tore passierte. ※ „Sie muss verschwinden.“ Die helle, reine Stimme der Waldnymphe war kaum lauter als das Rascheln von Blättern, welche sanft im Winde wogten und drohte, ganz und gar vom Heulen des Sturms getilgt zu werden. Ihre Schwestern jedoch schienen keine Mühe zu haben, sie zu verstehen; einige scharrten unruhig mit den Hufen auf dem schlammigen Untergrund, andere wiederum tuschelten, was sich wie das Zischen von Schlangen anhörte. Sie alle standen in einem Halbkreis um ihre älteste Schwester, die Hüterin des Hains und warteten darauf, dass jene ihnen zu mehr Weisheit angesichts der sonderbaren Situation, in welcher sie sich befanden, verschaffte. Die Älteste jedoch schwieg seit geraumer Zeit beharrlich und musterte das Geschöpf vor ihren Hufen durch ihre milchig trüben Augen. Die neugeborene Nymphe traute sich nicht, auch nur den Blick zu heben, geschweige denn mit ihren noch wackligen Beinen aufzustehen. Sie war nur wenige Stunden alt, doch verstand sie durchaus, in welcher misslichen Lage sie sich befand – wie jede ihrer Schwestern war auch sie vom Augenblick ihres Erwachens mit der allumfassenden Weisheit der Götter gesegnet, doch war sie von all den Gefühlen und Gedanken, die auf sie einströmten, vollkommen überfordert. So harrte sie in ihrer unbequemen Position auf dem durchnässten Untergrund aus und wartete auf ihr Urteil. Dass die Hüterin sie zu einer der ihren erklären würde, wagte sie gar nicht zu hoffen. „Mi'anth.“ Erneut drang die Stimme ihrer Schwester, durchzogen von einer Mischung aus Angst und Abscheu, an die Ohren der alternden Nymphe. Sie spürte die Unruhe in den Auren ihrer jüngeren Schwestern, doch die Eile war der Vernunft und Sorgfalt Tod. Mit dem Anheben ihrer knorpeligen, wurzelartigen Hand gebot sie Ruhe und konzentrierte sich wieder voll und ganz auf die Neugeborene vor ihr. Ihre Blätterkrone war schwarz, wie die dunkelste Nacht und brandmarkte sie somit als fehlerhaft. Die Nymphen des Waldes, erwachsen aus den schneeweißen Blättern des Baumes der Geburt, trugen allesamt eine Krone aus ebenso weißen Blättern auf ihren Köpfen. Dass der Neugeborenen also ebenholzschwarze Blätter aus dem Kopf sprossen konnte nur eines bedeuten – wenngleich noch nicht sichtbar, der Baum war im Begriff zu sterben. Eine Erkenntnis, zu welcher alle Schwestern nahezu zeitgleich kamen und eine Tatsache, die die sonst so gleichmütigen Wesen in ihren Grundfesten erschütterte. Dass ein nie dagewesener Sturm tobte, schürte ihre Ängste nur noch mehr und nur die Hüterin selbst vermochte noch die Herrin ihres Gleichgewichts zu sein. Unerschütterlich wie der Baum der Geburt selbst stand sie vor ihren verstörten Schwestern und richtete sich langsam zu ihrer vollen Größe auf. Ehrfürchtig traten ihre Schwestern einen Schritt zurück und beugten das Haupt, als die Älteste sich endlich zu ihnen umwandte. „Nun“, begann sie, ihre tiefe Stimme ebenso Zeugnis ihres Alters, wie ihre aschgraue Haut, „Wir sehen uns mit einer Situation konfrontiert, die es so noch nie gab.“ Ihr Blick wandte sich zurück an die Neugeborene, welche noch immer hinter ihr kauerte und sich bemühte, so harmlos wie möglich zu erscheinen. „Der Wald ist aus dem Gleichgewicht. Durch diese Neugeborene teilt er uns sein Leiden mit, doch verweigert er uns einer Weisung. Als Hüterin des Haines ist es also meine Pflicht, an seiner Statt ein Urteil zu fällen.“ Ihre Schwestern hielten angespannt den Atem an, als Mi'anth sich erneut umdrehte und langsamen Schrittes auf die Neugeborene zuging. Diese hob zum ersten Mal den Kopf und schaute die Hüterin durch die eisblauen Augen einer gewöhnlichen Nymphe an. Angst lag wie ein trüber Schleier über ihrem Blick, ihre Lippen waren leicht geöffnet, als wollte sie etwas zu ihrer Verteidigung darbringen, doch ihre Stimme verzagte ihr. Mi'anth senkte sich vor ihr auf alle Viere, sodass sie sich beinahe auf Augenhöhe befanden – eine bedeutungsschwere Geste, denn für gewöhnlich waren der Hüterin selbst angedeutete Verbeugungen völlig fremd. Die junge Nymphe glaubte, ein Gefühl in den milchigen Augen ihrer Gegenüber zu erkennen – war es Mitleid? „Es tut mir Leid“, sprach die Hüterin, sodass nur die Neugeborene selbst sie hören konnte, „Doch ich kann nichts für dich tun. Ich werde dich des Waldes verbannen. Gewiss weißt du, was das für dich bedeutet?“ Es war keine richtige Frage und dennoch nickte das junge Wesen zaghaft. Sämtliche Hoffnung, so gering sie auch gewesen sein mochte, war aus ihren Zügen verschwunden und die Endgültigkeit ihrer Lage hinterließ in ihrem Körper nichts, als eisige Kälte. „Älteste...“ Sie hatte nicht vor, mit ihrem Schicksal zu hadern. Sie hatte geahnt, nein gewusst, dass es so kommen würde, kommen musste. „Wenngleich es nicht von langer Dauer ist, so würde ich doch gerne einen Namen tragen.“ „Sehr wohl, diesen einen Wunsch will ich dir gewähren.“ Mi'anth erhob sich und hob beide Hände gen Himmel, der just in diesem Moment von einem weiteren grellen Blitz erleuchtet wurde. „Hiermit taufe ich dich auf den Namen Layuna.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)