Until the End von bakura-fan ================================================================================ Kapitel 4: Der verhasste Spitzname ---------------------------------- Er hatte den Fußweg gerade betreten als Tanakawas Sekretärin ihm hinterher gerannt kam: „Herr Sugawa!“ Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. Sie hatte einen Zettel in der Hand und war leicht außer Atem.     „Ihr nächster Termin“, sagte sie bloß, dann überreichte sie Kiryu den Zettel. In einer kleinen sauberen Schrift war „Do. 15:00 – Hr. Tanakawa“ darauf geschrieben. Kiryu bedankte sich nur kurz, aber die Sekretärin war schon wieder auf dem Rückweg. Also zuckte er die Achseln und wollte zur Arbeit. Es kam, wie er es hatte kommen sehen: Kaum hatte er den kleinen, schummrigen Lebensmittelladen betreten, in dem er arbeitete, brüllte ihn sein Chef auch gleich an. Aber dieses Mal prallte das alles von ihm ab. Er war längst taub für das Gebrüll geworden. Und außerdem hatte er bereits gewusst, was passieren würde. Dass er allerdings auch gleich aus dem Laden geschmissen wurde, und das nicht nur im sprichwörtlichen Sinn, hatte er nicht ahnen können. Kiryu wurde hochgehoben und aus dem Laden geschmissen. Er hatte das seinem Chef gar nicht zugetraut. Die restlichen Angestellten sahen wortlos zu. Aber Kiryu war ihnen nicht böse. Mit diesem Choleriker wollte sich niemand anlegen. Kiryu war schmerzhaft auf dem Hintern gelandet und noch während er wieder aufstand, musste er sich diese Schimpftirade weiter anhören. Ein paar Passanten hatten das ganze Schauspiel mitverfolgt. Eine Frau hatte Kiryu auch gefragt, ob er in Ordnung wäre. Er hatte zwar mit einer Standpauke gerechnet, aber dass er direkt gefeuert werden würde, wäre ihm nicht im Traum eingefallen. Schließlich war er heute nur zehn Minuten zu spät zur Arbeit erschienen. Sein Lohn wurde ihm noch ausgezahlt, aber eigentlich nur von der Frau des Ladenbesitzers nach draußen gebracht. Dann war die Sache endgültig erledigt. Die 5.500 Yen würden zwar schnell wieder aufgebraucht sein, aber das war ihm jetzt auch egal. Er hatte jetzt Besseres damit vor als zu sparen oder seine Miete endlich mal pünktlich zu zahlen. Und so zog er durch die Straßen Tokyos, kaufte sich einen Lebensmittelvorrat, ordentliche Kugelschreiber und Bleistifte, etwas Notenpapier und ein kleines Buch, in das er in Zukunft seine Texte schreiben wollte. Und schon war nur noch ein gutes Drittel seines Lohnes übrig. Damit machte er sich dann auf, nachdem er den Rest nach Hause gebracht hatte und ging in ein Internet- Café. Er wollte so schnell wie möglich irgendwo auftreten. Er musste einfach auf die Bühne. Denn aus irgendeinem Grund – vielleicht die Gewissheit, dass er bald auf der Straße sitzen könnte, wenn sie nicht bald Erfolg hatten oder er einen neuen, besseren Job fand – konnte er jetzt nicht tatenlos herum sitzen. Als er so im Netz herum surfte, drifteten seine Gedanken allmählich ab. Er wollte sein eigener Herr bleiben, er wollte sich nicht verkaufen, seine Texte und die Band erst recht nicht. Und das würde er Tanakawa morgen auch sagen. Dieser Vertrag war nur eine Sache zwischen Tanakawa und Kiryu – sonst niemandem! Der Band wurde damit nur geholfen, mehr nicht. Nachdem er seine Gedanken kurz hatte schweifen lassen, atmete er tief ein und konzentrierte sich dann wieder auf den Bildschirm vor ihm. War diese Adresse denn schon vorher da gewesen? Er konnte sich jedenfalls nicht daran erinnern diese Seite aufgerufen zu haben. Aber was er dann so las, gefiel ihm. Er notierte sich schnell die Adresse und wollte auch gleich hingehen. Es war ganz in der Nähe. Doch als er so auf der Straße stand und im Kopf schon über die beste Route nachdachte, die ihn zu diesen Club bringen sollte, meldete sich sein Magen. Die restlichen 800 Yen wollte er jetzt aber nicht für sein Mittagessen ausgeben. Also ging er nach Hause, aß dort eine Kleinigkeit und wollte gerade wieder auf die Straße, als Yuito vor seiner Tür stand.     „Was... äh... Was machst du denn hier?“     „Ich war schon bei deinem Chef, aber der hat mir gesagt, dass er dich gefeuert hat. Da dachte ich mir, du kannst nur hier sein“, erklärte er und schmiss Kiryu etwas zu. Dieser konnte sich schon denken was es war, stellte es auf den Tisch und beachtete es nicht weiter.     „Hast du gar keinen Hunger?“, fragte Yuito sichtlich überrascht.     „Ich hab schon gegessen.“ Yuito war sprachlos.     „Also, wieso bist du jetzt hier?“, versuchte er Yuito aus dessen Sprachlosigkeit zu helfen.     „Ach so, ja!“ Aus seiner Hosentasche zog er einen Zettel, auf dem eine Adresse stand.     „Die brauchen die nächsten Tage noch eine Band. Besser du gehst gleich hin.“     „Ja, aber wo ist das? Und wo hast du die Adresse überhaupt her?“     „Ich hab zufällig mitbekommen, dass einer unserer Kunden Stammgast dort ist. Und dann kam halt eins zum anderen.“ Yuito war wirklich ihr größter Fan. Kiryu wusste nicht was er jetzt sagen sollte.     „Wir können auch gleich hingehen. Ich weiß, wie wir hin kommen“, erklärte Yuito. Denn schon als Kiryu die Adresse gesehen hatte, konnte er sie nicht richtig einordnen. Aber in Tokyo gab es unzählige Gassen und versteckte Winkel. Und wenn Yuito schon wusste wie sie dorthin kamen, wollte er sich diese Chance auch nicht entgehen lassen. Kurz darauf zogen sie auch schon los. Aber kaum hatte Kiryu die Wohnungstür abgeschlossen, hörte er auch schon Tippelschritte hinter sich.     „Oh, nein“, flüsterte er. Das war jetzt wirklich ein ungünstiger Zeitpunkt. Yuitos fragenden Blick sah er nicht, konnte ihn aber zwischen seinen Schulterblättern spüren. Aber noch ehe er auch nur zu einer Antwort ansetzen konnte, schrie eine Kinderstimme: „Kiri- nii-san!“ Yuito drehte sich zu der Kleinen um und hockte sich dann vor sie. Er wollte sie gerade begrüßen und fragen, wer sie überhaupt war, als sich die Kleine schon an Yuito vorbei zwängte und zu Kiryu ging.     „Kiri-nii-san! Kiri-nii-san!“ Angesprochener seufzte nur und drehte sich dann zu ihr um: „Du sollst mich doch nicht so nennen, Hanako.“ Dann nahm er die Kleine auf den Arm und ging mit ihr den Gang hinunter. Yuito folgte unauffällig. Vor einer Tür ein paar Meter den Gang hinunter blieb Kiryu dann stehen. Für Yuito war nicht sofort klar wieso. Aber das wurde es, als Kiryu Hanako vor der Tür absetzte und anklopfte.     „Frau Kyoura, ich bringe Ihnen Hanako.“ Keine Reaktion.     „Frau Kyoura?“ Wieder nichts.     „Mama ist nicht da.“ Überrascht sahen zuerst zu Hanako, dann sich an. Vier Augen musterten das kleine Mädchen kritisch. Aber schließlich atmete Kiryu schwer aus und sah auf sein Smartphone. Er hatte wirklich eine Nachricht von Frau Kyoura erhalten – vor ein paar Minuten erst. Mit der Kleinen an der Hand ging er nach draußen. Er sollte mal wieder den Babysitter spielen. Heute war es allerdings wirklich kurzfristig... Auf einem nahe gelegenen Spielplatz ließ er Hanako dann los und setzte sich auf eine der Bänke. Yuito blieb die ganz Zeit bei ihm. Auf Hanako auf zu passen, war er gewohnt. Ihre Mutter, im Übrigen auch seine Vermieterin, lieferte Hanako oft so kurzfristig bei ihm ab. Aber Hanako mochte Kiryu. Was Babysitter anging, war die Kleine sehr wählerisch. Kiryu war bis jetzt der Einzige, den sie nicht gleich vertreiben wollte. Frau Kyoura war so erleichtert, dass sie Kiryu auch nie allzu böse war, wenn er die Miete mal wieder nicht pünktlich zahlen konnte. Hanako war jedenfalls glücklich, dass Kiryu wieder auf sie aufpasste.     „Kiri?!“, brachte Yuito dann lachend heraus. Kiryu sah stur gerade aus zu Hanako.     „Sie konnte meinen Namen nicht richtig aussprechen und hat angefangen mich Kiri zu nennen...“     „Man, wenn das die Jungs hören!“     „Na, bloß nicht!“ Aber Yuito musste auf Kiryus Protest nur noch mehr lachen. Kiryu dagegen war weniger zum Lachen zu mute. Um auf andere Gedanken zu kommen, beobachtete er weiter Hanako. Die Kleine hatte immer wieder zu ihnen gesehen, jetzt kam sie Freude strahlend zu ihnen gerannt: „Kiri-nii-san! Kiri-nii-san!“     „Die hängt ja wirklich sehr an dir.“     „Ja“, aber da half er Hanako schon, die dabei war an ihm hoch zu klettern.     „Wo ist deine Mama überhaupt, Hanako?“, fragte er die Kleine stattdessen.     „Die ist weg. Muss was erledigen, hat sie gesagt.“     „Hat sie gesagt, wann sie wieder zurück ist?“ Kiryu konnte die Kleine alles mögliche fragen. Sie würde ihm immer erzählen, was er wissen wollte: „Heute Abend, hat sie gesagt.“ Kiryu fragte zwar nicht weiter nach und verbiss sich auch einen Kommentar, der ihm gerade auf der Zunge lag, aber er verdrehte trotzdem die Augen und seufzte innerlich tief. Yuito sah den beiden nur amüsiert zu. Er dachte schon, Kiryu hatte gesehen, dass er sich über ihn lustig machen könnte, aber anscheinend hatte Kiryu das gar nicht weiter mitbekommen.     „Kann die Kleine mitkommen?“     „Was? Wohin denn?“, fragte Yuito leicht verwirrt.     „Na, zu... in diesen Club oder was das ist.“     „Ach so, äh... ja, klar, ich denke mal, schon. Jetzt wird eh noch nicht so viel los sein, falls die überhaupt schon offen haben.“ Yuito war optimistisch wie immer.     „Willst du jetzt auch gehen, Kiri-nii-san?“ Er verzweifelte innerlich fast. Wenn er es nicht bald schaffte diesen Spitznamen los zu werden, würde er den wohl sein ganzes restliches Leben tragen.     „Du sollst mich doch nicht so nennen“, sagte er noch einmal mit einem tiefen Seufzen. Dann setzte er Hanako wieder auf dem Boden ab und stand auf.     „Aber warum nicht, Kiri-niisan?“     „Ich mag es einfach nicht.“     „Aber warum?“ Irgendwann hatte es Kiryu aber aufgegeben der Kleinen erklären zu wollen, dass der Spitzname ihm peinlich war und einfach nicht zu ihm passte. Er war einfach zu... niedlich für einen Einundzwanzigjährigen, der Existenzprobleme hatte. „Kiri“ klang in seinen Ohren eher wie eine Beleidigung, wenn es nicht gerade von Hanako kam. Kurze Zeit später waren die drei dann in Tokyo unterwegs. Yuito führte Kiryu durch einige schäbige Gassen. Kiryu war sich nicht mehr so sicher, ob es doch eine so gute Idee gewesen war Hanako mit hierher zu nehmen. Betrunkene torkelten ihnen entgegen – und das am frühen Nachmittag. Das gefiel ihm ganz und gar nicht und weckten böse Erinnerungen ihn ihm. Irgendwann aber erreichten sie eine heruntergekommen aussehende Hütte. Auf einem Schild, das schon bessere Tage gesehen hatte, stand 'Cracked Hell'. Der Name gefiel Kiryu schon mal gar nicht. Wenn der Laden genau das versprach, was auf dem Schild stand, konnte das ja noch heiter werden. Und ganz nebenbei stellte sich für Kiryu auch noch die Frage: Was hatte Yuito da bloß für Kunden?     „Und du bist sicher, dass wir hier richtig sind?“, fragte Kiryu gleich, als sie vor der Tür stehen geblieben waren. Hanako hatte sich schon, als sie diese Gasse betreten hatten, an Kiryus Hand geklammert. Jetzt versteckte sie sich allerdings hinter Kiryu und krallte sich an seinen Hosenbeinen fest. Für eine Fünfjährige hatte Hanako wirklich schon einen ziemlich festen Griff. Wenn sie weiter so an seiner Jeans zerrte, die sowieso schon so Einiges hinter sich hatte, würde die den heutigen Tag wohl nicht mehr überleben. Das wäre dann zumindest ein echter destroyed Look. Yuito klopfte kräftig gegen die Tür, aber es schien niemand da zu sein. Aber Yuito blieb trotzdem weiter vor der Tür stehen und wartete geduldig. Kiryu wollte sich schon umdrehen und gehen, als plötzlich die Tür aufging. Ein riesiger Kerl mit einer Schürze, die sicherlich irgendwann mal weiß gewesen war, um den Bauch und einem hässlichen Bart – der Typ sah bestimmt nicht nur so ungepflegt aus – stand plötzlich vor ihnen.     „Ist das der Junge?“, fragte er nur Yuito mit unglaublich tiefer Stimmer. Kiryu wurde einfach übergangen, Hanako genauso wenig beachtet. Oder der Kerl hatte sie einfach noch nicht bemerkt.     „Ja, das ist er“, antwortete Yuito. Dann wurden sie herein gebeten.     „Die Bühne hab ich erst vor ein paar Wochen vergrößern lassen. So langsam muss hier alles mal auf Vordermann gebracht werden“, erklärte er ihnen, während sie zur Theke gingen. „Vor allem du“, dachte sich Kiryu bei diesen Worten. Aber als Kiryu sich in dem Raum umsah, musste er erschrocken feststellen, dass diese Worte noch vorsichtig beschrieben, wie es hier wirklich aussah. Rauch und anderer Dunst hatte die Wände in eine undefinierbare Farbe getönt. Wenn es hier Fenster gab, waren sie wohl so dreckig, dass Licht keine Chance hatte hier einzudringen. Die Theke sah auch nicht besonders einladend aus, dazu noch das schummrige Licht von der Deckenbeleuchtung...     „Meine Stammkunden sind jetzt auf diesem Trip junge Bands hören zu wollen, die noch nicht so bekannt sind. Die wollen wissen wie die Bands klingen, bevor sie richtig berühmt werden. Das ist so ein 'Kannten wir schon, bevor sie cool waren'-Ding. Aber soll mir recht sein, es bringt Abwechslung. Und da ihr ziemlich gut zu sein scheint, dachte ich mir, ihr könntet morgen hier auftreten. Eigentlich sollte 'ne andere Band hier auftreten, aber die haben abgesagt...“     „Hier gefällt es mir nicht, Kiri-nii-san“, unterbrach Hanako den groben Kerl.     „Was?“ Der Kerl drehte sich zu Kiryu um und entdeckte jetzt endlich Hanako.     „Sag bloß, das ist deine?!“     „Nei...“, setzte Kiryu zur Antwort an.     „Na, wie auch immer. Kannst du oder kannst du nicht?“ Kiryu gefiel es hier auch nicht, aber das wollte er diesem Kerl so nicht sagen.     „Ich glaube, ich rede vorher noch mal mit den Jungs...“ Eine gute Antwort, um seine eigene Meinung zu umgehen, fand Kiryu. Und außerdem musste er so oder so noch mit der Band reden. Wenn er jetzt einfach etwas über ihre Köpfe hinweg entscheiden würde, würden sie ihm das übel nehmen. Sehr übel. Es reichte schon, dass er im Alleingang einen Vertrag mit Tanakawa aushandelte.     „Okay, dann ruf heute an, wenn du dich entschieden hast“, schnell kritzelte er noch eine Telefonnummer auf einen Zettel, dann schmiss er die drei fast raus. Kiryu und Yuito sahen sich noch fragend an, dann gingen sie wieder zurück. Es würde vielleicht nur ein kleiner Auftritt für sie werden, aber er hatte ja noch diese andere Adresse. Da würde er heute auch noch hingehen. Yuito wollte er aber nicht dabei haben. Den genauen Grund dafür konnte er aber nicht benennen. Er hatte das komische Gefühl, dass Yuito ihn eher davon abhalten würde dorthin zu gehen. Hanako müsste er so oder so mit dahin nehmen, der Nachmittag hatte gerade erst angefangen und Frau Kyoura wäre so schnell nicht wieder Zuhause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)