Der Untergang der Isekai von stardustrose ================================================================================ Kapitel 10: Der letzte Drache ----------------------------- Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe und hatte die Arme verschränkt, während ich seit einer gefühlten Ewigkeit den Pfad entlang blickte. Die Sonne schritt bereits über ihren Zenit und noch immer war keine Spur von Yusei zu sehen. Das ungute Gefühl, dass er in Schwierigkeiten war, wurde immer stärker. Ob er verletzt ist? Normalerweise sollte er längst zurück sein. Diese Warterei bringt mich noch um! Wo steckst du nur? „Das reicht“ bestimmte ich und ging zu meinem Pferd. „Hier zu stehen und zu warten bringt nichts.“ „Wollt Ihr umkehren?“ fragte Yubel irritiert und zog eine Augenbraue nach oben. Ich stieg in den Sattel meines Pferdes. „Ich werde zurück ins Lager reiten und einige Vorbereitungen treffen. In der Zwischenzeit fliegst du den Pfad ab und suchst nach ihm.“ „Aber-“ „Nichts aber!“ zischte ich. „Das ist ein Befehl!“ So schnell wie sie fliegen konnte, sollte es ihr ein Leichtes sein den Pfad bis zur Spitze und zurück auszukundschaften. Selbst zu Pferd war ich viel langsamer als sie. In ihr wütendes Gesicht mischte sich Sorge. Innerlich seufzte ich. Natürlich wollte sie mich nicht allein lassen. Meine Gesichtszüge entspannten sich. „Mir passiert nichts“ versuchte ich sie zu beschwichtigen. Mein Schutzgeist tauchte neben mir auf. „Geflügelter Kuriboh ist der mächtigste Schild den es gibt. Selbst ein Drache könnte mir keinen Schaden zufügen, das weißt du.“ Sie schnaufte. „Wie Ihr wollt.“ Ihr Blick war ernst, doch ihre Stimme verlor den wütenden Unterton. „Aber gebt trotzdem auf Euch acht! In ein paar Stunden bin ich zurück, dann treffen wir uns wieder hier!“ Mit diesen Worten breitete sie ihre mächtigen Schwingen aus und war mit einem Satz in der Luft. Einen Wimpernschlag später war sie hinter der ersten Biegung des Nebelpfades verschwunden. Einen Augenblick sah ich ihr noch nach, dann trieb ich mein Pferd Richtung Lager an. So lange wie Yusei brauchte, wurde er sicher in einige Kämpfe verwickelt. Das Mädchen von gestern hatte mir diese Befürchtung bereits bestätigt. Auch wenn seine Rüstung den Hieben eines Schwerts standhalten konnte, es war immer noch eine leichte Rüstung. Den Aufprall würde Yusei abbekommen. Er war sicher verletzt, das hatte ich im Gefühl. Dazu kam noch, dass sein Proviant sicher aufgebraucht war, und weiter oben wuchs kaum etwas Essbares. Das in Verbindung mit dem schwerlichen Aufstieg und etwaigen Auseinandersetzungen mit den Geistern… Er war sicher erschöpft. Im Bestfall. Hoffentlich ist er nicht… Ich schüttelte den Gedanken ab, bevor er sich in mein Bewusstsein schleichen konnte. Er ist am Leben. Ganz sicher. Ich trieb mein Pferd schneller an, bald schon hatte ich mein Ziel erreicht. Am Lager angekommen, schlüpfte ich in das Zelt und machte etwas Platz. Breitete eine der Decken in der Mitte aus. In meiner Tasche kramte ich nach einem Stück Kreide und zeichnete einen Bannkreis um die Decke herum, beschriftete ihn mit einigen Insignien. Sollte Yusei schwer verletzt sein, wollte ich keine Zeit verlieren. Hier drin wären wir vor den Witterungen geschützt, das nahm mir einige Probleme ab, die auftreten könnten. Zum Beispiel einen Schneesturm wie letzte Nacht. Mit den Insignien nahm ich mir Zeit, ich wollte nichts übersehen. Ich konnte mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal einen Heilzauber wirken musste. Schließlich ging ich einen Schritt zurück und betrachtete mein Werk. Das sollte klappen. Außerhalb des Zeltes betrachtete ich den Stand der Sonne. Die Vorbereitung des Bannkreises hatte mich einiges an Zeit gekostet, aber ich hatte dennoch genug, bis Yubel zurückkehren würde. Um mich etwas abzulenken und nicht wieder in meine trüben Gedanken zu fallen, sammelte ich das Feuerholz für die Nacht. Eigentlich hatte ich geplant heute wieder aufzubrechen, damit ich so schnell wie möglich meine liegen gebliebenen Aufgaben im Palast erledigen konnte, doch ich bezweifelte, dass wir das schaffen würden. Wieder kam mir meine Abmachung mit Jesse in den Sinn. Es stimmt, wenn ich mich nicht um Yuseis Trainingsplan kümmern müsste, würde mir das einiges an Arbeit ersparen. Und lieber vertraute ich ihn Jesse an, als ihn in Ares‘ Hände zu legen. Seine Loyalität gegenüber unseres Reiches war zweifellos, doch ich konnte ihn nicht ausstehen. Ich seufzte und stapelte das Holz neben die Feuerstelle. Ich hatte Yusei noch immer nicht davon in Kenntnis gesetzt. Wann bin ich eigentlich so feige geworden? Aber mein Entschluss stand fest. Es war schon alles vorbereitet. Ein Teil von mir sträubte sich heute noch gegen den Plan, auch wenn er absolut logisch war. Warum? Ich schüttelte den Gedanken ab, sattelte mein Pferd. Wie er es wohl aufnehmen wird? Beim Gedanken an seinen traurigen Blick aus diesen warmen, blauen Augen verkrampfte sich mein Magen unangenehm. Jetzt reiß dich schon zusammen! Ich ritt los. Der kalte Wind in meinem Gesicht beruhigte meine angespannten Nerven. Hoffentlich brauche ich den Heilungszauber nicht. Allerdings schien mir diese Hoffnung vergebens. Am Steintor angekommen, suchte ich den Himmel ab, doch von Yubel war keine Spur. Ich hatte es also vor ihr zurückgeschafft. Ich stieg von meinem Pferd ab und band es neben dem von Yusei wieder an. Einen Augenblick betrachtete ich die Zügel des zweiten Rosses. Schließlich band ich sie vom Baum ab und befestigte sie am Sattel meines eigenen Pferdes. Wenn Yusei verletzt sein sollte, würde mir diese Aktion ein wenig Zeit ersparen. Ich wollte den Gedanken verbannen, aber es gab keine andere Erklärung dafür, dass er noch nicht zurück ist. Wieder wanderte mein Blick gen Himmel. Die wenigen Wolken hingen wie ein weißer Schleier auf dem Nebelberg. Solange ich denken konnte, hatte ich nie seine Spitze gesehen. Davon abgesehen war der Himmel strahlend blau. Die tiefstehende Sonne würde ihn bald in seine warmen Farben tauchen. Eine Bewegung im Augenwinkel zwang meinen Blick zurück zum Pfad. Mein Herzschlag nahm deutlich zu. Hat Yubel ihn gefunden? Meine Beschützerin landete vor mir und sah mich ernst an. Hektisch suchte ich den Pfad hinter ihr ab, doch sie war allein. Ich brauchte einen Augenblick um mich zu sammeln. Versuchte den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken, aber es brachte nichts. „Wo ist er?“ fragte ich und versuchte meine Stimme fest klingen zu lassen. In ihrem Blick lag Schuld. „Ich weiß es nicht“ gestand sie. Ich schüttelte irritiert den Kopf. „Wie du weißt es nicht? Bist du dem Pfad bis zur Spitze gefolgt? Was ist passiert?“ „Ich habe den kompletten Pfad bis zur Spitze abgesucht, aber er war nirgends zu sehen! Hier und da gab es Spuren von Kämpfen, aber auch da war er nicht. Auf meinem Rückweg habe ich sogar abseits des Pfades gesucht. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.“ Mit jedem ihrer Worte weiteten sich meine Augen. Wie ist das möglich? Wo steckt er? Yubel sah mich unschlüssig an. Als wolle sie mir noch etwas sagen, doch sie schwieg. Mein Blick wurde ernst. „Was hast du noch gesehen?“ Sie wich meinem Blick aus, schien zu überlegen. „Yubel!“ sagte ich streng um sie zum Antworten zu bewegen. Schließlich seufzte sie. „Es hat nichts mit ihm zu tun.“ „Was hast du gesehen?“ drängte ich. „Ich weiß es nicht!“ entgegnete sie aufgebracht. Sah mich mit einer Mischung aus Zorn und Leid an. Was ist nur passiert? So hatte ich sie lange nicht mehr erlebt. Das letzte Mal als… Ich schüttelte den Gedanken ab und seufzte lautlos. „Na schön. Aber wo könnte Yusei dann stecken? Er kann nicht einfach verschwinden, das ergibt keinen Sinn.“ Yubel schien sich langsam zu beruhigen. „Auch wenn es keinen Sinn ergibt, er ist nicht auf dem Nebelberg. Die einzige Erklärung ist…“ Sie brach ab, sah mich prüfend an. „Was?“ hakte ich ungeduldig nach. „Im Wolkennebel wandelte eine riesige Kreatur. Sie war verwundet. Die Kampfspuren dort waren die deutlichsten, vielleicht wurde er-“ „Er ist am Leben!“ beharrte ich. Er ist nicht tot. Er kann nicht tot sein. Ich weiß es einfach. „Haou…“ Ich wandte mich von ihr ab, ballte meine Hände zu Fäusten. Er ist noch irgendwo da oben, warum hat sie ihn nicht gefunden? „Ich werde selbst nach ihm suchen“ beschloss ich. „Das kann nicht Euer Ernst sein!“ entgegnete sie aufgebracht. „Er ist nicht dort! Ich habe alles abgesucht. Es hat keinen Zweck, vertraut mir!“ „Ich vertraue dir“ murmelte ich, drehte mich langsam zu ihr. Konnte das Leid in meinem Blick nicht verstecken. „Aber ich will es mit eigenen Augen sehen.“ Sie musterte mich einen Augenblick, schließlich nickte sie zerknirscht. „Na schön, ich kann Euch sowieso nicht aufhalten. Aber es wird bald dunkel. Bei Sonnenaufgang können wir immer noch überlegen was wir als nächstes tun.“ Ich wusste bereits was mein nächster Schritt sein würde, aber ich wollte mich nicht mehr mit Yubel streiten. Dafür hatte ich einfach nicht die Kraft, zu groß war die Sorge um ihn. Die tief stehende Sonne warf lange Schatten in die weite Ödnis. Langsam trottete mein Pferd in Richtung des Lagers, Yubel saß auf dem von Yusei und warf mir immer wieder einen unschlüssigen Blick zu. Mein Kopf war wie leer gefegt. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sah nur auf die Mähne meines Pferdes, ohne sie eigentlich wahrzunehmen. „Was zum…“ murmelte Yubel und ich sah zu ihr. Sie sah aus, als hätte sie einen Geist gesehen. Fragend folgte ich ihrem Blick und konnte meinen Augen nicht trauen. In der Feuerstelle unseres Lagers brannte eine Flamme, daneben saß ein Mann in einer schwarzen Rüstung und wärmte sich am knisternden Feuer. Sein Blick wanderte in unsere Richtung, ich trieb mein Pferd schneller an, er stand auf, kam in unsere Richtung. Yusei. Wie ist das möglich? Eine tonnenschwere Last fiel von meinem Herzen. Wo kam er auf einmal her? Hastig stieg ich vom Pferd und überwand die letzte Distanz zu ihm. Erst als ich mir sicher war, dass er nicht ernsthaft verletzt war, machte ich meiner Wut Luft. „Bist du verrückt?“ wetterte ich. Schlagartig wich er zurück und ließ die Schultern hängen. „Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht! Was machst du hier?! Wieso bist du nicht über den Pfad zurückgekommen? Von woher kommst du eigentlich?“ Es war mir völlig unbegreiflich, wie er es geschafft hatte ins Lager zurückzukehren, ohne, dass Yubel oder ich etwas bemerkt hatten. Er hätte unweigerlich an einem von uns vorbeigehen müssen. „I-Ich. Es tut mir Leid…“ stotterte er und sah betroffen zu mir auf. „Sag schon, wie hast du das geschafft?“ hakte Yubel nach, die jetzt neben mir stand, die Arme verschränkt. „Ich…“ Yusei sah unschlüssig zwischen mir und meiner Beschützerin hin und her, schließlich atmete er tief durch und schloss seine Augen. Im nächsten Moment tauchte aus einem Wirbel von tausend kleinen Sternen ein weißer Drache hinter ihm auf. Sein helles Brüllen ließ mich zurückweichen, während er seine schimmernden Schwingen schützend über Yusei legte. Seine gelben Augen beobachteten jede meiner Bewegungen. Mit seinen scharfen Klauen wäre er zweifellos in der Lage mich in der Luft zu zerfetzen, wäre mein Schutzgeist nicht. Yubel ging neben mir ehrfürchtig in die Knie, konnte ihren Blick nicht von dem schlanken Drachen lösen. „Ich bin zurückgeflogen“ ertönte Yuseis unsichere Stimme. Sein Blick war gesenkt. Ich atmete hörbar aus. Das würde einiges erklären, aber dennoch hätten wir es bemerken sollen, der Himmel war schließlich klar. Die ganze Sache ergab keinen Sinn. „Wie ist das möglich?“ fragte ich leise und sah wieder zu dem Drachen. Sie waren doch alle verschwunden. Schon seit mehr als hundert Jahren. „Er…“ Wieder sah ich zu Yusei. Er mied meinen Blick noch immer. „Er ist einfach aus den Wolken aufgetaucht, als ich die Spitze erreicht hatte.“ Er hat die Spitze erreicht? Dann bedeutet das… Meine Augen wurden immer größer. Wie gebannt sah ich zu Yusei. „Ist das etwa dein Schutzgeist?“ Endlich sah er zu mir und nickte zaghaft. Ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Das… ist Sternenstaubdrache.“ Sein Schutzgeist ist ein… Drache? Ein wahrhaftiger Drache? Ich schüttelte verständnislos den Kopf. „Aber sie sind doch verschwunden“ murmelte ich. Wieder mied er meinen Blick, zuckte mit den Schultern. „Anscheinend gab es doch noch einen, der übrig war.“ Ich konnte es nicht fassen. All die Jahre dachten wir die Drachen wären verschwunden, und jetzt stand einer direkt vor mir. Noch dazu als Yuseis Schutzgeist. „Gab es noch mehr?“ fragte ich neugierig. Als Antwort schüttelte Yusei nur den Kopf. Dann war Sternenstaubrache also der letzte seiner Art? Kurz hatte ich Hoffnung es gäbe noch mehr. „Deine Reise war sicher abenteuerlich, nicht wahr?“ sagte ich um die gespannte Stimmung zu lösen. Er schnaufte belustigt und sah mich wieder an. „Kann man so sagen, ja.“ „Du kannst wirklich stolz auf dich sein. Vor allem auf deinen Schutzgeist.“ Sein Lächeln intensivierte sich, er nickte. „Das bin ich.“ Der Drache löste sich auf, verschwand allmählich im Nichts. „Ein Klasse S Schutzgeist“ sagte ich und stemmte einen Arm in die Hüfte. „Das ich das nochmal erleben darf. Und dann auch noch ein Drache. Soweit ich weiß, gehören Drachen allen Kategorien an. Angriff, Schild und sogar Magie.“ Mit diesem Schutzgeist, sollte ich mir nie wieder Sorgen machen müssen, dass ihm etwas zustoßen könnte. Laut Madame Tredwell könnte er jetzt sogar Magie anwenden. Yuseis Lächeln verschwand, stattdessen sah er bedrückt zu Boden. „Was ist los?“ fragte ich und ging auf ihn zu. Blieb direkt vor ihm stehen. „Ich…“ Seine Hände ballten sich zu Fäusten, ich konnte die Anspannung in seinem Körper förmlich sehen. „Ich muss Euch wegen der Sache mit der Magie wohl enttäuschen.“ Fragend zog ich eine Augenbraue hoch, doch er sprach weiter. „Ich habe versucht den Heilzauber im Zelt zu wirken, aber es hat nicht geklappt. Dann habe ich einen einfacheren Zauber probiert, aber das hat auch nicht funktioniert. Es tut mir Leid. Ich kann keine Magie anwenden.“ Ich legte meine Hand unter sein Kinn und zwang seinen traurigen Blick zu mir. „Glaubst du wirklich, du hättest mich enttäuscht?“ Sein verständnisloser Blick war mir Antwort genug. Ich seufzte lautlos. „Yusei, selbst wenn du mit einem Klasse D Schutzgeist zurückgekehrt wärst, wäre ich nicht enttäuscht gewesen. Und selbst ohne Schutzgeist hätte ich dich keinen Kopf kürzer gemacht. Aber sieh nur was du geschafft hast.“ Ein sanftes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Selbst wenn das mit der Magie nicht klappt, ich hätte nicht stolzer auf dich sein können als ich es im Moment bin. Ich bin einfach nur froh, dass dir nichts passiert ist.“ Ich konnte Yuseis Gesichtsausdruck einfach nicht deuten. Ob er mir nicht glaubt? Ich nahm meine Hand von seinem Kinn und legte meine Arme um seinen Körper. Drückte ihn sanft an mich. Plötzlich zuckte er zusammen und zog scharf die Luft ein. Sofort löste ich mich von ihm und sah ihn ernst an. „Du bist verletzt“ stellte ich fest. „Es ist nicht mehr so schlimm“ sagte er kleinlaut. Er war unbelehrbar. „Komm.“ Ich nahm sein Handgelenk und zog ihn Richtung Zelt. Erst als ich mir sicher war, er würde mir auch so folgen, ließ ich seine Hand wieder los. Nachdem er hinter mir hineingeschlüpft war, schloss ich den Eingang, dann sah ich ihn ernst an. „Zieh deine Rüstung aus“ bestimmte ich, während ich meine Handschuhe auszog. Schließlich musste ich mir erst einen Überblick über seine Verletzungen verschaffen. Zögerlich kam er meiner Anweisung nach und legte seine Rüstung ab. Immer weitere Verletzungen legte er dabei frei. Zahllose Blessuren zeichneten seinen Körper, sein linker Arm war mehr blau als alles andere. Als ich mit meinem Blick jedoch zu seinem rechten Unterarm wanderte, stutzte ich. „Was ist das?“ fragte ich und führte seinen Unterarm näher zu mir. Wieder wich er meinem Blick aus und zuckte mit den Schultern. „Das tauchte auf, als ich mich mit Sternenstaubdrache verbunden habe.“ Sanft glitten meine Finger über das rote Mal. Zumindest schien es ihm keine Schmerzen zu bereiten. Es war absolut eben, als wäre es schon immer da gewesen. Seltsam. So ein Phänomen war mir bis Dato unbekannt, aber vielleicht hatte es etwas damit zu tun, dass er sich mit einem Drachen verbunden hatte. Ich sollte Yubel später dazu fragen. Ich ließ seinen Arm wieder los und ging um ihn herum. Über seinen Rücken zog sich ein breiter, dunkler Streifen. Irgendwas hatte ihn dort hart erwischt. Erneut ließ ich meine Finger darüber gleiten, augenblicklich zuckte Yusei zusammen. So wie es aussah, waren auch einige Knochen betroffen. „Wie ist das passiert?“ fragte ich und deutete ihm dabei, dass er sich auf die Decke legen sollte. Ich hatte genug gesehen um den Heilzauber zu wirken. Während er sich auf den Bauch legte, gab er mir seine knappe Antwort. „Ein Breitschwert.“ Fragend legte ich die Stirn in Falten. „Wie oft hat es dich getroffen?“ „Drei Mal am Rücken und zwei Mal am Arm.“ „Hast du dich nicht gewehrt?“ fragte ich irritiert, während ich mich neben ihn kniete. „Ich musste klettern“ murmelte er. Er sah aus, als würde er jeden Moment einschlafen, aber das war verständlich. Die letzten beiden Tage waren zweifellos anstrengend gewesen. Ich sprach die Formel für den Heilzauber und bezog die passenden Insignien darin ein, während sie zusammen mit dem Bannkreis begannen zu leuchten. Dabei konzentrierte ich mich vor allem auf die Verletzungen an seinem Rücken. Während ich den Zauber wirkte, beobachtete ich, wie die Verletzungen, die seinen Körper überzogen, langsam verblassten, bis sie schließlich gänzlich verschwanden. Ein erleichterter Seufzer entkam Yusei und ließ mich schmunzeln. So wie er aussah, war er längst ins Reich der Träume versunken. Als ich fertig war, löste sich der Bannkreis auf und hinterließ tiefe Dunkelheit. Einzig das spärliche Licht der Flammen warf tanzende Schimmer in das Zelt. Als sich meine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnt hatten, betrachtete ich Yuseis friedliches Gesicht. Seine Geschichte warf so viele Fragen auf. Und so oft wie er meinen Blick gemieden hatte, war ich nicht sicher, ob er mir wirklich die Wahrheit gesagt hatte oder etwas verheimlichte. Ein guter Lügner war er nie. Allerdings brachte es nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich musste auf den Morgen warten und noch einmal mit ihm sprechen. Behutsam, um ihn nicht zu wecken, legte ich eine weitere Decke über ihn und verließ das Zelt. Draußen saß Yubel am Feuer und sah in die tanzenden Flammen. Ihr Blick lag in der Ferne. Sie zeigte nicht mal eine Reaktion als ich mich zu ihr setzte. „Verrückt, meinst du nicht auch?“ sagte ich irgendwann leise in die Stille. Einzig ein leichtes Nicken verriet mir, dass sie mich verstanden hatte. „Ist alles in Ordnung?“ Wieder ein Nicken. „Was hältst du von seiner Geschichte?“ Einen Augenblick überlegte sie, schließlich gab sie mir ihre Antwort. „Irgendwas stimmt nicht. Mein Drache hat mir damals erzählt, dass er der letzte seiner Art wäre. Und jetzt taucht ein neuer Drache auf und behauptet genau das gleiche?“ Ich nickte. „Und selbst wenn das stimmt, wie ist er ins Lager zurückgekommen? Wir hätten es wohl beide gemerkt, wenn über unseren Köpfen ein Drache geflogen wäre.“ „Hm.“ Wieder hing sie ihren Gedanken nach. Ich musterte schweigend ihr Gesicht. Irgendetwas hatte sie mir am Steintor verheimlicht, und ich hatte das Gefühl, dass es mit dieser Sache zusammenhängen könnte. „Was hast du auf der Spitze gesehen?“ fragte ich deshalb behutsam. Für einen Moment presste sie ihre Lippen aufeinander. „Ich weiß es wirklich nicht. Dort stand ein Schutzgeist in violetter Rüstung, ein schwarzer Riss hatte sich neben ihm aufgetan. Ähnlich wie die Portale damals im Krieg, aber die Energie war eine andere. Irgendwie vertraut. Außerdem… habe ich eine Bewegung gesehen. Irgendwas ist durch den Riss gesprungen, aber ich weiß nicht was. Ich bin erst in diesem Moment oben angekommen.“ Ein schwarzes Portal? Davon hatte ich noch nie gehört. „Was ist dann passiert?“ Sie sah mich an. „Der Riss ist verschwunden und der Schutzgeist hat sich im Nichts aufgelöst.“ Seltsam. Ein Schutzgeist der sich im Nichts auflöst steht eigentlich immer in Verbindung mit einem Dämon. „Und da war niemand außer diesem Schutzgeist auf der Spitze?“ Sie schüttelte den Kopf. „Warum hast du mir das nicht gleich erzählt?“ fragte ich und versuchte dabei meine Stimme nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen. „Ich wusste nicht was es damit auf sich hat. Ich dachte, dass es einfach eine Erscheinung wäre. Auf dem Nebelberg ereignen sich manchmal seltsame Phänomene. Und diese Energie… Ich kenne sie. Aber ich weiß nicht woher.“ „Meinst du, das hat etwas mit Yusei zu tun?“ Einen Augenblick überlegte sie. „Ich weiß es nicht. Vielleicht sprecht Ihr morgen mit ihm, wenn wir zum Palast aufbrechen.“ Seufzend bettete ich mein Gesicht in meine Hände. Was geht hier vor sich? Statt Antworten zu erhalten, häufen sich nur noch mehr Fragen. Die ganze Geschichte passt einfach nicht zusammen. Das Portal, Yuseis Geschichte, dass er auf seinem Drachen unbemerkt ins Lager geflogen wäre und dann dieses Mal auf seinem Arm. Ich fuhr mir durchs Haar und sah wieder auf. Wie frage ich sie das am besten, ohne sie zu verschrecken? „Sag mal… als du dich damals mit deinem Drachen verbunden hast…“ Ihre Haltung verkrampfte sich. Dieses Thema anzusprechen war heikel, aber Yubel war die einzige Möglichkeit es herauszufinden. „Hattest du danach ein Mal auf deinem Arm?“ „Ein Mal?“ fragte sie irritiert. Ich nickte. „Yusei hat ein rotes Mal auf seinem Unterarm, es sieht aus wie ein Drachenkopf. Als ich ihn dazu gefragt habe, sagte er, dass es aufgetaucht ist, als er sich mit Sternenstaubdrache verbunden hat. Hätte ja sein können, dass du was dazu weißt.“ „Nein, leider nicht.“ Wieder seufzte ich. Wäre ja auch zu schön gewesen wenigstens ein Rätsel zu lösen. Wenn wir wieder im Palast sind, sollte ich dazu Nachforschungen anstellen. „Na schön“ sagte ich und stand auf. „Ich lege mich hin, wir sollten morgen früh aufbrechen.“ Yubel nickte. „Schlaft gut.“ „Ruh dich auch etwas aus“ erwiderte ich und schlüpfte in das Zelt. Unschlüssig sah ich mich um. Wegen meiner Aktion mit dem Heilzauber lag Yusei jetzt in der Mitte des kleinen Zelts, sodass ich kaum noch Platz hatte. Ich breitete meinen Schlafplatz zwischen der Zeltwand und dem von Yusei aus und quetschte mich dazwischen. Für eine Nacht wird es gehen. Mein Blick lag auf meinem Gegenüber. Er lag noch immer so da, wie ich ihn verlassen hatte und schlief friedlich. Einige schwarze Strähnen hingen in seinem Gesicht und ich strich sie behutsam beiseite. „Was verheimlichst du uns nur?“ murmelte ich. Glitt langsam in einen traumlosen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)