Der Untergang der Isekai von stardustrose ================================================================================ Prolog: Ende eines Krieges -------------------------- Der dicke Nebel lag schwer auf dem weiten Feld und ließ kaum einen Blick auf den Boden zu. Ein Geruch von Metall und Tod lag in der Luft. Mit einem Ruck zog ich mein Schwert aus dem Leichnam. Das Blut floss in dünnen Rinnsalen von der pechschwarzen Klinge und färbte die silberne Rüstung meines am Boden liegenden Gegners rot. Ich rümpfte angewidert die Nase. In den letzten zwei Jahren gab es wegen dieses Krieges schon genug Opfer. All der Schmerz, der Tod und die Trauer waren absolut sinnlos. Bis heute hatten wir noch immer keine Ahnung was unsere Gegner damit bezwecken wollten. Lediglich ihre Heimat kannten wir. Die Menschenwelt. Die meisten Portale aus ihrer Welt in unsere hatten wir zerstört, nur eines war noch übrig. Mein Vater war in diesem Moment dabei es an der letzten Frontlinie dieses Krieges zu vernichten. Bald hatte es also ein Ende. Die versprengten Reste unserer Gegner, um die sich meine Truppe kümmern sollte, waren kein ernstzunehmendes Problem. „Prinz Haou“ erklang eine Vertraute Stimme aus der Ferne. Ich drehte mich zu ihr. Schnellen Schrittes kam mein engster Freund aus Kindertagen in meine Richtung, das Schwert steckte in der Scheide an seiner Rüstung. Scheinbar hatte er die letzten Gegner niedergestreckt. Es war keiner mehr übrig. Ich atmete erleichtert aus. Ihm ist nichts passiert. Plötzlich kamen mir die Worte meines Vaters wieder in den Sinn. Ich straffte meine Haltung und hob den Kopf. Haltung bewahren. Keine Schwäche zeigen. Seine Worte hallten in einer Endlosschleife in meinem Kopf. Bitte lass diesen Wahnsinn bald vorbei sein. „Jesse“ sagte ich, als er vor mir zum Stehen kam. „Wie ist die Lage?“ Er nahm seinen Helm ab. Seine blauen Haare waren ob der Anstrengung der letzten Stunden schweißnass, ein fröhliches Lächeln lag auf seinen Lippen. „Das Gebiet ist gesichert. Die versprengten Truppen sind restlos vernichtet. Ein Bote hat berichtet, dass das letzte Portal zerstört wurde.“ Sein Lächeln wurde breiter. „Es ist vorbei, Prinz Haou. Wir haben endlich gewonnen.“ Erleichtert atmete ich aus. Trotz der Anstrengung der letzten Stunden, fühlte ich mich mit einem Schlag viel leichter. Eine tonnenschwere Last fiel von meinen Schultern. „Wie geht es meinem Vater?“ wollte ich wissen. Er zuckte mit den Schultern. „Darüber hat der Bote nichts gesagt, aber Ihr kennt doch unseren König. Er ist stark und zäh. Außerdem ist Yubel bei ihm. Sie ist einer der stärksten Dämonen die ich kenne und würde sich für ihn in eine Klinge werfen.“ Ich nickte. Die Beschützerin des Königs war bisher aus allen Kämpfen siegreich hervorgegangen. Ein gequältes Stöhnen ließ uns aufblicken. In einer fließenden Bewegung zückte Jesse wieder sein Schwert und stellte sich kampfbereit neben mich. Ich spannte all meine Muskeln an und suchte das Kampffeld nach der Quelle des Geräuschs ab. Allmählich lichtete sich der Nebel und gab den Blick auf all die Leichen auf dem Schlachtfeld frei. Ein paar Schritt weit weg versuchte ein auf dem Bauch liegender Krieger in silberner Rüstung wieder auf die Beine zu kommen. Jesse machte sich bereit unserem Gegner ein Ende zu bereiten, doch ich stoppte ihn mit einem Arm. Verwirrt sah er zu mir, doch ich schüttelte den Kopf und richtete meinen Blick wieder auf den Krieger. Bisher kämpften diese Menschen bis zum Tod, eine Gefangennahme war immer erfolglos. Das war unsere Chance sie nach dem Grund ihres Angriffs zu fragen, auch wenn ich kaum Hoffnung hatte, dass es uns gelingen würde. Langsam trat ich an ihn heran und stieß ihn mit dem Fuß auf den Rücken. Ein gequälter Schrei durchschnitt die Stille und er lag mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rücken. Langsam öffnete er seine Augen und sah voller Hass zu mir auf. Sein Atem war kaum mehr als ein Röcheln. „Na los, du Monster“ sagte er mit erstickter Stimme und versuchte seinen flachen Atem unter Kontrolle zu bekommen. „Beende es!“ Jesse schritt an meine Seite und stellte seinen Fuß auf die Brust des Mannes. Ein erstickter Schrei war zu hören. „Wen nennst du hier Monster?“ sagte er hasserfüllt, während er immer mehr Druck auf ihn ausübte. „Jesse, das reicht!“ sagte ich scharf. Verwundert drehte er sich zu mir, ließ aber von unserem Gegner ab. Ich ging neben ihm in die Hocke und sah den Krieger ernst an. „Was sollte das alles?“ fragte ich mit tiefer Stimme, die meinen Brustkorb vibrieren ließ. „Warum seid ihr in diese Welt gekommen und habt uns angegriffen? Was ist euer Ziel?“ Das Gesicht des Mannes verzog sich zu einer fiesen Fratze. „Wir werden… diese Welt“ Er brach ab und hustete Blut. Einige Atemzüge brauchte er, um seine Antwort fortzusetzen. „Vor euch widerlichen… Monstern… befreien!“ Jesse platze endgültig der Kragen. „Das ist unsere Welt“ schrie er. „Mit welchem Recht wollt ihr uns auslöschen?! Das ergibt keinen Sinn. Wenn es hier Monster gibt, dann seid ihr das!“ „Jesse“ unterbrach ich ihn erneut und sah ihn finster an. Ich verstand seinen Frust, ich hatte selbst einen wahnsinnigen Hass auf diese Menschen, aber das brachte uns hier nicht weiter. Wieder widmete ich dem Mann, der in seinen letzten Atemzügen lag. „Wie habt ihr diese Welt überhaupt gefunden?“ Wieder setzte er ein überhebliches Grinsen auf. Nur mit Mühe gelang es mir, ihn zu verstehen. „Der Drache wird… dieses Land reinigen… und dann… wird das hier eine… friedliche Welt.“ Ich biss die Zähne zusammen. Mein Gesicht glich vermutlich selbst einer wutverzerrten Fratze. „In dieser Welt herrschte Frieden!“ sagte ich und zog ihn an seinem Brustpanzer zu mir, bis er nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht war. Angst spiegelte sich in seinen Augen. „Bis ihr hier eingefallen seid, kannte ich keinen Krieg! All die Dämonen in der Isekai lebten friedlich zusammen. Nur wegen euch liegt diese Welt in Tod und Trauer! Was also gibt euch das Recht alles dem Erdboden gleichzumachen?!“ Meine Stimme zitterte. Mit Mühe gelang es mir die aufkommenden Tränen zu schlucken. „Und von welchem Drachen sprichst du?! Der letzte Drache starb bereits vor hundert Jahren!“ Die wenige Farbe, die in dem Gesicht des Mannes war, wich einer kalten Blässe. So wie es sich anhörte, schien sich in seinen Lungen immer mehr Blut anzusammeln. „Feu… er…“ Mehr brachte er nicht mehr heraus, bevor das Leben in seinen Augen erloschen war. Ich stieß den leblosen Körper von mir ab. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten und stand auf. Das brachte mich auch nicht weiter! Wieso hassten uns die Menschen so sehr, dass sie uns auslöschen wollen? Und was hat das alles mit einem Drachen zu tun? Ob sie wirklich so ein feuerspeiendes Geschöpf kontrollieren? „Prinz Haou, seht!“ holte mich Jesses Stimme wieder aus meinen Gedanken. Ich sah auf. Am Himmel erschien die Silhouette eines Dämons. Er hatte eine schlanke Figur, wildes, silbernes Haar und mächtige Schwingen, die ihn zu uns trugen. „Yubel“ murmelte ich, als ich die Beschützerin meines Vaters erkannte. Sie landete in kniender Haltung vor uns und hatte den Blick gesenkt. Ihre Schultern hingen schlaff nach unten, ihr Körper war angespannt. So hatte ich den sonst so stolzen Dämon noch nie gesehen. Und normalerweis war sie immer an der Seite meines Vaters. „Mein Prinz“ sagte sie mit brüchiger Stimme, das Haupt noch immer gesenkt. „Euer Vater…“ Mein Herz hämmerte mit unnachgiebiger Härte gegen meine Brust. Irgendetwas war passiert. Ich kämpfte gegen den Kloß in meinem Hals und hatte Mühe, meine Stimme wiederzufinden. “Was ist passiert“ wisperte ich. Ihr Kopf hob sich. Ihre Augen waren tränenverschleiert. Ich ahnte was los war, aber wolle es nicht hören. „Er…“ flüsterte sie. Immer mehr Tränen rannen über ihre Wangen. Ich schüttelte den Kopf. Nein. Nein, das kann nicht sein! Mein Vater ist ein starker Krieger! Diese widerlichen Menschen könnten ihn nie besiegen! Yubel sank in sich zusammen, krallte ihre Finger in die blutgetränkte Erde. „Es tut mir so leid! Ich konnte ihn nicht beschützen!“ In meinem Herzen breitete sich eine unendliche Kälte aus, die langsam durch meinen gesamten Körper wanderte. Jesses Stimme drang dumpf zu mir, als würde ein Schleier aus Watte sie blockieren. Dunkle Flecken bildeten sich in meinem Sichtfeld. Dieser Krieg hatte uns so viel genommen. Jetzt auch unseren König. Kapitel 1: Ein kleiner Feind ---------------------------- Ein frischer Luftzug wehte um meinen Körper, ließ meinen Umhang in seidigen Bewegungen tanzen. Ich sah vom Balkon meiner Gemächer hinaus auf unser Land. Hier sah alles normal aus, und doch so fremd. Die Kämpfe erreichten uns nicht hier, im Herzen des Landes. Ein trügerischer Frieden hatte sich in der Bevölkerung eingefunden. Doch in den Straßen hörte man kein Lachen. Die einst so freudige Stimmung meines Volkes wich einer Tristesse aus Trübsal und Trauer. Eine Woche war seit dem Tod meines Vaters, unseres Königs, vergangen. Der Griff meiner Hände am Geländer meines Balkons verstärkte sich. Ich versuchte die Tränen aufzuhalten, erfolglos. Der Schmerz saß tief, doch ich musste stark sein. Ich zog als Prinz in den Krieg und kehrte als König zurück. Ich hatte das alles nicht gewollt. Keiner von uns. Ob uns diese Menschen nur aus Hass angegriffen hatten? Aus Angst? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand aus diesen Gründen in den Krieg zog, doch eine andere Erklärung hatte ich nicht. Wir hatten ihnen nie etwas getan. Wir kannten ihre Welt nur aus Geschichten, die wenigsten von uns glaubten tatsächlich daran, dass andere Welten, parallel zu unserer, existierten. Und plötzlich traf uns das Wissen um ihre Existenz mit grausamer Härte. Ich schüttelte den Kopf und wandte meinen Blick ab. Was soll ich nur tun? „Haou?“ Schnell drehte ich mich zu der Stimme, die meinen Namen rief. Als ich Jesse erkannte, entspannte ich mich wieder etwas und kehrte ihm den Rücken zu. Er sollte mich so nicht sehen. Niemand sollte das. „Solltest du dich nicht langsam fertig machen?“ sprach er weiter. Seine Schritte kamen näher, ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Zu einer Antwort war ich nicht fähig. Aus Angst, meine Stimme würde mir den Dienst versagen. „Haou, du solltest zu deiner eigenen Krönung nicht zu spät kommen.“ Seine Stimme klang einfühlsam. Ich hörte keinen Vorwurf in seinen Worten, doch antworten konnte ich trotzdem nicht. Ich nickte lediglich. Er hatte Recht. Mein Volk verlässt sich auf mich. Ich straffte die Schultern und hob meinen Kopf. Haltung bewahren. Keine Schwäche zeigen. Die Dämonen dieser Welt brauchten jetzt einen starken Anführer. Ein seufzen war zu hören. Eine warme Hand legte sich auf meine Wange. Jesse drehte mein Gesicht zu sich und sah mich mitfühlend an. „Ich verstehe es, wenn du vor deinem Volk stark sein willst, aber ich bin es“ sagte er und strich die letzte Träne von meiner Wange. Zog mich in eine vertraute Umarmung. Neue Tränen verschleierten mir die Sicht und rannen still über mein Gesicht. „Du hast ihn geliebt“ sprach er weiter. „Wir alle haben das. Aber er war dein Vater. Weine ruhig um ihn, lass es zu, und wenn du jemanden brauchst bin ich für dich da. Ich werde immer für dich da sein, hörst du?“ Ich hob meine Arme und suchte Halt in seinem Gewand. Mein Schluchzen hallte durch den großen Raum, ohne dass ich es hätte aufhalten können. Ich vermisste meinen Vater schrecklich. Er hätte gewusst, was jetzt zu tun wäre. Beruhigend strich Jesse durch mein Haar, während ich meinen Tränen zum ersten Mal seit dem Tod meines Vaters freien Lauf ließ. Allmählich beruhigte ich mich wieder und löste mich von meinem Freund. Ein kleines Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Kann ich noch irgendwas für dich tun?“ fragte er. „Da gibt es tatsächlich etwas“ sagte ich und sah in sein neugieriges Gesicht. „Würdest du mein Pferd für mich satteln lassen?“ „Und die Krönung?“ fragte er überrascht. „Die kann ohne mich sowieso nicht anfangen“ sagte ich und lächelte freudlos. „Ich will nur meinen Kopf frei bekommen.“ Er stutzte. „Na schön, ich kann sicher etwas Zeit rausschlagen, aber nur unter einer Bedingung. Du reitest nicht allein los.“ Ich seufzte ergeben. „Was an ‚Ich will den Kopf frei bekommen‘ hast du nicht verstanden? Ich kann wirklich keinen Babysitter gebrauchen. Du hörst dich schon an wie Yubel.“ „Darum geht es nicht!“ sagte er ernst. „Du bist der einzige Kronprinz und mein bester Freund. Was sollen wir denn machen, wenn dir etwas passiert? Es könnten immer noch Feinde übrig sein, die dich vermutlich liebend gern schnappen oder töten würden.“ Ich verdrehte die Augen. „Sollte es zu einem Überfall kommen, habe ich immer noch meinen Schutzgeist.“ Wie auf Abruf tauchte der geflügelte Kuriboh neben mir auf und nickte zustimmend. „Nimm wenigstens Yubel mit!“ beharrte er. „Und was hat das meinem Vater genutzt?“ murmelte ich und wandte den Blick ab. Ich machte ihr keinen Vorwurf, aber ich brauchte einen Moment allein, außerhalb dieser Mauern. Das Reiten beruhigte mich schon, sein ich ein kleines Kind war. Ich spürte Jesses durchdringenden Blick auf mir und sah auf. Mir war es ernst damit, und ich hoffte inständig, er würde es verstehen und mich decken. Schließlich seufzte er. „Du hast in den hundert Jahren deines Lebens noch nie über die Konsequenzen deines Handelns nachgedacht“ sagte er und wich meinem Blick aus. „Nach deinem Ausritt solltest du wirklich mal damit anfangen.“ Zum ersten Mal seit Beginn des Krieges musste ich lächeln. „Versprochen“ sagte ich. Kurze Zeit später saß ich im Sattel und ritt aus der Stadt. Weg von meinen Pflichten. Ein letztes Mal wollte ich noch frei sein, bevor ich mich voll und ganz meinem Volk verpflichten musste. Um nicht erkannt zu werden, trug ich einen grauen Umhang, dessen Kapuze mein Gesicht verbarg. Auch wenn unsere Gegner besiegt waren, ließen mir Jesses Worte keine Ruhe. Mein Ross galoppierte über die Wege und Felder und es fühlte sich an, als würde ich fliegen. Die kleineren Städte wichen Dörfern, bis ich schließlich die ersten Trümmerfelder erreichte und die Geschwindigkeit etwas drosselte. Ich hatte kaum wahrgenommen, dass ich mein Pferd in die Richtung der Frontlinien lenkte. Die Bergungsarbeiten waren im vollen Gange, doch noch immer konnte man unzählige Leichen sehen. Mein Herz machte einen Satz und ich blieb stehen. Zwischen den Trümmern sah ich den leblosen Körper eines weiblichen Dämons. Ihre Schwingen lagen schlapp an ihrem Körper. Ich schluckte. In ihren Armen hielt sie ein totes Kind. Mir wurde übel. Ich wandte den Blick ab, und gab meinem Pferd die Sporen. Weg. Weg von all dem Tod. Ich konnte es nicht mehr sehen. Nicht mehr ertragen. Warum passierte das alles? Diese widerlichen Menschen! Wie gern würde ich nur noch einem von ihnen den Todesstoß versetzen! Mich für all das rächen, was sie uns angetan hatten. Ein letztes Mal ein Herz durchbohren, wenn sie überhaupt eines besaßen. In meiner Wut trieb ich mein Pferd schneller an. Sah die Landschaft nur noch als Schemen an mir vorbeiziehen. Und sie nennen uns Monster! Nicht mal vor Frauen und Kindern zeigten sie erbarmen! Meine Wut wandelte sich in blanken Hass. Ich zog mein Schwert und schlug es im Galopp gegen die verkohlten Überreste eines Baumes. Mein Körper war voll von Adrenalin. Meine Umgebung nahm ich kaum noch wahr. Ich wurde langsamer, mein Pferd hatte kaum noch Energie. Vielleicht sollte ich ihm eine Pause gönnen. Am Ufer eines Flusses machten wir halt und ich stieg ab. Noch immer zitterte mein Körper vor Wut, der Griff um mein Schwert verstärkte sich. Ich sank in die Knie und schrie all meinen Schmerz heraus. Verzweifelt krallte ich meine Finger in die Erde. Immer mehr Tränen rollten über meine Wangen und benetzten den Boden unter mir. Wie gern würde ich ihnen alles heimzahlen. „Geht’s dir gut?“ hörte ich eine unsichere Stimme und sah auf. Ich hatte nicht bemerkt, wie sich mir jemand näherte. Strahlend blaue Augen musterten mich voller Mitleid. Ich sah ihn ungläubig an. Vor mir stand ein Menschenkind. Der Griff um mein Schwert verstärkte sich. „Warum bist du so traurig?“ fragte der kleine Junge mit dem schwarzen Haar. Wenn die Menschen kein Mitleid mit unseren Kindern hatten, warum sollte ich dann Gnade walten lassen? Ich biss die Zähne zusammen und erhob mich, ging näher auf den Jungen zu. Ein letztes Mal die Klinge in meinen Feind rammen. Das hatte ich mir gewünscht. Mich ein letztes Mal rächen. Doch je näher ich kam, wich die Wut mehr aus mir. Statt zu fliehen oder mich voller Angst und Hass zu betrachten, blieb der Junge stehen und sah mich voller Mitleid an. Einen Schritt vor ihm blieb ich stehen, der Junge reichte mir kaum bis zur Hüfte und sah neugierig zu mir auf. Das Kind hatte in seinem Leben sicher noch nie ein Leben ausgelöscht, geschweige denn daran gedacht. Mein Schwert fiel klirrend zu Boden. Ich konnte es einfach nicht. Das Kind war unschuldig. Durch unsere Lebensspanne von mehreren hundert Jahren waren Kinder für Dämonen etwas Besonderes, war es doch selten, dass eines auf die Welt kam. Wie sollte ich ein so kurzes Leben nehmen? Ich biss die Zähne zusammen und ging vor ihm auf die Knie. „Wie alt bist du?“ fragte ich. Der Kleine lächelte glücklich. „Heute bin ich fünf geworden!“ Ich musterte ihn überrascht. Wie konnte er die letzten Tage allein und unbemerkt überleben? Noch dazu in diesem Alter. „Bist du allein?“ Sein Blick wurde traurig und er sah sich unschlüssig um. „Ich habe gerade noch mit meinen Brüdern gespielt. Und dann hat mein großer Bruder mich durch ein Loch geschubst. Jetzt finde ich sie nicht mehr.“ Ein Loch? Ob er durch ein Portal gefallen ist? Aber das ist doch unmöglich! Mein Vater hatte das letzte Portal in diese Welt zerstört! „Kannst du mir zeigen wo das Loch war?“ fragte ich ernst. Wenn doch noch ein Portal existieren sollte, dann musste ich es so schnell wie möglich zerstören. Der Junge nickte und zeigte mit dem Finger in Richtung der Bäume. „Da hinten!“ sagte er und nahm meine Hand, um mich wieder auf die Beine zu ziehen. Ich ließ mich von ihm in den Wald leiten und betrachtete ihn verwundert. Warum hatte er keine Angst vor mir? Vor einer Felswand blieben wir stehen und er berührte sie mit seiner kleinen Hand. "Hier war das Loch“ sagte er und sah traurig zu mir auf. „Aber jetzt ist es weg.“ Gedankenverloren berührte ich die Felswand und strich mit den Fingern sanft darüber. Unsere Späher hatten diesen Teil des Waldes untersucht, aber kein Portal gefunden. Wie kann es sein, dass es sich nach dem Angriff geöffnet hatte und sich dann wieder schloss? „Bist du dir sicher, dass es hier war?“ fragte ich und sah zu ihm herunter. Er nickte und deutete auf einen kleinen Busch, dessen Zweige in alle Richtungen abgeknickt waren. „Ja, da bin ich reingefallen, als ich durch das Loch gefallen bin.“ „Warst du allein?“ Wieder nickte er traurig. „Wir durften eigentlich nicht in dem Raum spielen, aber die Tür war offen und wir wollten sehen was da drin ist.“ „Ein Raum?“ fragte ich irritiert. Sein Blick war gesenkt als er weitersprach. „Ich hab die große Maschine an gemacht“ sagte er mit brüchiger Stimme. „Das wollte ich nicht. Dann hab ich mich mit meinen Brüdern gestritten und einer hat mich geschubst.“ Ein Schluchzen war zu hören und er nahm meine Hand. „Ich will wieder nach Hause.“ Ich seufzte und hockte mich neben ihn. Strich sanft durch sein Haar. Die Bosheit, die ich bisher in den Menschen gesehen hatte, war bei ihm nicht zu finden. Langsam sah er auf und sah mich aus tränenverschleierten Augen an. „Weißt du wo du hier bist?“ fragte ich. Er schüttelte nur mit dem Kopf und wischte sich die Tränen aus seinem Gesicht. Doch immer wieder kamen neue nach. „Du bist hier in der Isekai, weit weg von zuhause. Es gibt auch keine Möglichkeit dich wieder zu deiner Familie zurückzubringen. Hier gibt es keine Menschen wie dich. Hier leben nur Dämonen.“ Die Tränen versiegten und er sah mich überrascht an. „Dämonen?“ vergewisserte er sich. Ich nickte, doch wieder konnte ich keine Spur von Angst entdecken. „Und du bist auch ein Dämon?“ Wieder nickte ich. „Aber meine Tante hat immer gesagt Dämonen sind böse. Du bist lieb.“ Ich sah ihn überrascht an. Wenn seine Familie ihm erzählt hatte, dass wir böse wären, warum hatte er immer noch keine Angst vor mir? Jetzt wo er weiß was ich bin und wo er hier ist. „Dämonen sind nicht böse“ sagte ich und erhob mich. Ließ meinen Blick über die zerstörte Landschaft schweifen, die man zwischen den wenigen, verkohlen Bäumen erkennen konnte. „Die Menschen haben uns schlimme Dinge angetan. Dieses Land war wunderschön, aber sie haben hier alles zerstört.“ Ich sah ihn an. Sein Blick war wieder traurig, doch die Tränen versiegten. „Mein Papa hat das auch gesagt.“ Wieder musterte ich ihn überrascht. „Was meinst du?“ Mit seiner kleinen Hand wischte er sich die letzten Tränen aus dem Gesicht und sah traurig zu Boden. „Mein Papa hat gesagt, dass die andere Welt sehr schön ist. Und, dass da ganz viele Dämonen leben, die aber nicht böse sind. Aber dann kamen er und Mama nicht mehr aus dem Loch in der Maschine zurück und meine Tante und mein Onkel haben gesagt, dass die Dämonen sie getötet haben.“ Ich sah ihn mitfühlend an. Er hatte also auch keine Eltern mehr. Mein Blick wanderte wieder zur Felswand, ich berührte sie. Die Menschen hatten also eine Vorrichtung, mit der sie die Portale erschaffen konnten. Sie könnten also jederzeit wieder in dieses Land einfallen und wir könnten nichts dagegen tun. Es war also noch nicht vorbei und wir hatte noch immer keine Ahnung wann, wo oder warum sie zuschlagen. Und wir hatten keine Möglichkeit mehr darüber zu erfahren. Bisher kam kein Späher, der durch das Portal gegangen war, wieder zurück. So wussten wir nur wenig von der Menschenwelt. Da kam mir eine Idee. Ich sah zu dem kleinen Jungen, der noch immer traurig ins Leere starrte. Wenn wir ihn auf unsere Seite ziehen könnten, und ihn durch eines der Portale schicken würden, dann könnte er uns mehr Informationen beschaffen. Vielleicht sogar herausfinden, wie man sie öffnen kann, und dann... Ich grinste. So könnten wir uns an diesen widerlichen Kreaturen Rächen. Ihnen ihre eigene Hölle bereiten. Ihnen dasselbe Leid und dieselbe Zerstörung bringen, damit sie endlich begreifen, was sie uns angetan hatten. Und er wäre der perfekte Spion. Vermutlich würden sie ihn mit offenen Armen empfangen. Ich hockte mich wieder vor den Jungen und lächelte freundlich. „Wie ist dein Name?“ Er sah auf. „Yusei.“ „Mein Name ist Haou“ sagte ich und legte meine Hand tröstend auf seinen Kopf. „Willst du mit zu mir kommen, Yusei? Ich kann dich zwar nicht nach Hause bringen, aber auf meinem Schloss wärst du nicht mehr allein. Du könntest da mit den anderen Kindern spielen und wärst in Sicherheit.“ Seine Augen wurden mit jedem meiner Worte größer. „Du wohnst in einem Schloss?“ fragte er. „Darf ich da wirklich mitkommen?“ Ich nickte. „Heute Abend werde ich König dieses Landes. Wenn ich sage, dass du mitkommen darfst, dann darf mir keiner wiedersprechen.“ Er lächelte begeistert. „Cool! Ich war noch nie in einem Schloss!“ „Und daran wird sich auch nichts ändern!“ donnerte eine mir bekannte Stimme über uns. Ich verdrehte die Augen und drehte mich um. Yubel landete elegant zwischen den Bäumen und sah mich zornig an. Yusei rückte näher an meine Seite und sah ängstlich zu meiner Beschützerin. Ehe ich mich erklären konnte, wies sie mich zurecht. „Wie kommt Ihr auf die Idee einen Menschen in unser Schloss zu bringen? Ihr solltet ihn auf der Stelle töten, statt ihn zu beherbergen! Habt Ihr vergessen, was diese Kreaturen unserem Land, unserem Volk und Eurem Vater angetan haben?!“ „Woher hast du gewusst wo ich bin?“ überging ich ihre Frage unbeeindruckt. „Ich bin Euch gefolgt“ sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Schließlich ist es meine Pflicht, ein Auge auf Euch zu haben.“ „Und meinen Befehlen zu gehorchen“ sagte ich ernst. „Ich werde das Menschenkind mitnehmen, dabei ist es mir egal, was du davon hältst. Yusei ist noch ein Kind. Er hat nichts mit dem Krieg zu tun.“ „Es ist ein Mensch!“ schrie sie. „Und damit unser Feind! Völlig egal wie alt diese Kreatur ist!“ „Du wirst dich damit abfinden müssen“ sagte ich und hob das Kind auf meine Arme. Yusei sah noch immer ängstlich zu Yubel und klammerte sich an mir fest. Doch er wandte den Blick nicht von ihr ab. Ich sah meine Beschützerin ernst an. „Vertrau mir“ sagte ich schlicht und setzte mich in Bewegung, um zu meinem Pferd zu gelangen. Während sie mir folgte, wetterte sie weiter, was für eine furchtbare Idee das ist, doch sie wagte es nicht, mir den Kleinen zu entreißen. An meinem Pferd angekommen, hob ich Yusei in den Sattel und nahm hinter ihm Platz. „Gut festhalten“ sagte ich und trieb mein Pferd an. Yusei schrie erschrocken auf, hielt sich aber tapfer am Sattel des Pferdes fest, während wir wieder in Richtung des Schlosses galoppierten. Ich spürte Yubels Blick im Nacken, aber mir war egal was sie von der Sache hielt. Sollten diese Menschen wirklich irgendwann wiederkommen, brauchten wir einen Plan um unser Land zu beschützen. Und Yusei war der einzige Plan den ich hatte. Kapitel 2: Schwere Last ----------------------- Schwerter prasselten klirrend aufeinander und erzeugten Funken, die durch die Luft segelten. Ich spürte das gelbe Augenpaar, das jede meiner Bewegungen beobachtete. Tag für Tag strengte ich mich im Training an um seinen Erwartungen gerecht zu werden. Ich schlug meinem Gegner mit einer fließenden Bewegung das Schwert aus der Hand, es bohrte sich in den Boden des Trainingsplatzes. Meine Klinge hob ich an seine Kehle und beendete so den Kampf. „Das reicht!“ schallte die Stimme meines Lehrmeisters über den Platz und ich senkte mein Schwert. Mein Gegner atmete erleichtert aus. Ich neigte meinen Kopf zu König Haou. Seine Arme waren verschränkt und er beobachtete mich aufmerksam. Ein leichtes Nicken seinerseits ließ mich schmunzeln. Es war selten, dass er dem Training beiwohnte, und zum ersten Mal war auch Jesse bei ihm. Mein Meister richtete sich an meinen Gegner. Man konnte zusehen, wie letzterer unter dem strengen Blick unseres Meisters schrumpfte. „Was sollte das werden, Atticus?!“ brüllte Meister Zero. In seinen roten Augen stand Zorn, jeder Muskel seines trainierten Körpers war angespannt. Er neigte seinen Kopf, sodass die beiden geschwungenen Hörner an seinen Schläfen auf meinen Gegner zeigten. Eine seiner mächtigen Hufe stampfte er auf den Boden, was Atticus zusammenzucken ließ. „Hast du gar nichts aus unserer letzten Stunde gelernt, dass dich selbst ein Mensch besiegen kann?“ donnerte er weiter. Er deutete auf mich, als er weitersprach. „Wenn selbst so ein Wurm dich besiegen kann, solltest du dir nochmal überlegen, ob du der Armee beitreten willst!“ Ich schnaufte. Auch wenn ich es gewohnt war abfällig behandelt zu werden, hatte ich angenommen, er würde meine Leistungen zumindest Heute anerkennen. Ich trainierte härter als alle anderen und war mittlerweile der beste Schwertkampfschüler unseres Jahrgangs und doch verweigerte mir Meister Zero die Prüfung. „Und du!“ sprach er weiter und sah mich an. Ich wandte den Blick nicht ab, betrachtete ernst sein wütendes Gesicht. „Wenn du irgendwann die Schwertkampfprüfung ablegen willst, solltest du dich mehr anstrengen. Noch sehe ich nichts, was der Armee dienlich sein könnte!“ „Zero!“ erklang die dunkle Stimme des Königs. Ich drehte mich zu ihm. Er kam langsam auf uns zu. Meister Zero ging in die Knie und verbeugte sich, ebenso wie Atticus. Ich neigte lediglich meinen Kopf und ignorierte die finsteren Blicke der anderen Beiden. „Mein König“ sagte Meister Zero und erhob sich. Einen abschätzigen Blick in meine Richtung werfend, widmete er sich König Haou. „Welche Ehre, dass Ihr unserem Training beiwohnt. Wie kann ich Euch dienen?“ „Habt Ihr vergessen, dass ich heute die Schüler begutachten wollte, die an der Prüfung teilnehmen werden?“ fragte er. Die Augen Meister Zeros weiteten sich für einen kleinen Augenblick überrascht. „Selbstverständlich nicht, mein König“ antwortete er entgegen seiner Reaktion und winkte die übrigen Schüler zu uns. Neben Atticus stellte er drei weitere Meisterschüler für die Prüfung auf, wir anderen sollten am Rand Platz nehmen. Natürlich wurde ich wieder nicht aufgestellt. „Warte, Yusei“ erklang die Stimme von Haou und ich drehte mich überrascht um. Meister Zero sah ihn ebenso verwirrt an. Der König richtete sein Wort wieder an meinen Meister. „Warum wurde er nicht aufgestellt?“ fragte er neugierig. Mein Herz begann in einem wilden Tempo gegen meine Brust zu schlagen. Noch einmal betrachtete mich Meister Zero abschätzend. „Er ist noch nicht so weit“ war seine knappe Antwort. „Wirklich?“ fragte Haou und legte den Kopf schief. „Dafür, dass er noch nicht so weit ist, hat er Ihrem Prüfling wirklich zugesetzt.“ Ich verkniff mir ein Grinsen. „Das war nur Glück“ verteidigte er Atticus. „Er ist lange nicht so weit wie die meisten anderen.“ König Haou hob ein Schwert vom Boden auf und reichte es Atticus. Zögerlich nahm er es an sich und betrachtete den König verwirrt. „Einmal zu gewinnen kann Glück sein“ sprach der König und winkte mich zu sich. „Zwei Siege bedeuten allerdings Können. Tretet noch einmal gegeneinander an, der Sieger wird an der Prüfung teilnehmen.“ „Aber König Haou!“ sagte Meister Zero entsetzt, wurde aber von dem strengen Blick des Königs unterbrochen. „Das war ein Befehl“ sagte er mit dunkler Stimme, die keinen Wiederspruch duldete. Ich atmete tief durch um mein wild schlagendes Herz zu beruhigen. Endlich. Das war meine Chance mein Können zu beweisen. Atticus und ich stellten uns gegenüber, alle anderen begaben sich zum Rand des Trainingsplatzes. „Keine Ahnung was der König in einem Bastard wie dir sieht“ sagte Atticus gerade so laut, dass nur ich ihn hören konnte. „Aber wenn du glaubst, dass du mehr als ein Haustier für ihn bist, hast du dich geschnitten.“ Ich verstärkte den Griff um mein Schwert. Es war immer dasselbe. Waren meine Leistungen nicht gut, hielten mir die anderen vor, dass ich zu nichts nutze sei. Trainierte ich hart und verbesserte mich deutlich hieß es, dass ich mich mehr anstrengen sollte und nicht gut genug sei um dem König zu dienen. Ich wurde schon als Bastard beschimpft, als Monster, als Haustier, als niedere Kreatur und weit Schlimmeres. Nur wenn König Haou in meiner Nähe war, hielten sie sich mit ihren Anschuldigungen zurück. Ich war es gewohnt, die meiste Zeit prallten diese Beleidigungen an mir ab. Aber manchmal schmerzten sie mehr als eine Klinge. Untereinander waren die Dämonen wirklich freundlich, doch mich behandelten die meisten wie ein niederes Insekt. Wann wird sich das je ändern? „Fertig?“ rief Meister Zero. „Und los!“ Atticus schnellte voran, um mir den ersten Schlag zu setzen, doch ich parierte und holte zum Gegenschlag aus. Mit jedem Schlagabtausch drängte ich ihn weiter zurück. Plötzlich fühlte sich mein Körper tonnenschwer an. Jede Bewegung war kräftezehrend. Ich warf einen Seitenblick zu Meister Zero, der mich nicht aus den Augen ließ. Das war seine Gravitationsmagie. Ich hatte sie schon oft zu spüren bekommen. Er sabotierte mich. Dem nächsten Schwerthieb von Atticus konnte ich nur um Haaresbreite ausweichen. Den zweiten versuchte ich zu parieren, doch er traf mich am linken Arm. Ich schrie auf. Durch die verdammte Gravitationsmagie konnte ich mich nicht schnell genug bewegen. Ich biss die Zähne zusammen und sah Atticus ernst an. Nein. Das war meine Chance diese verdammte Prüfung abzulegen. Dieses Mal ließ ich mich nicht in die Knie zwingen. Atticus hatte den Vorteil, dass er sich besser bewegen konnte, aber seine Bewegungen waren berechenbar. Ich beobachtete ihn und wich nur aus. Das war weit weniger anstrengend als meinen Schwertarm zu heben. „Bleib stehen, du Bastard!“ schimpfte er und setzte zu einem seitlichen Schlag an. Dieser war nicht präzise. Das war meine Chance. Ich ließ die Klinge an meiner abprallen, drehte mich mit dem Rücken zu ihm und rammte ihm meinen Ellbogen in den Magen. Er keuchte erschrocken und beugte sich nach vorn, was mir die Gelegenheit gab ihm sein Schwert aus der Hand zu schlagen und ihn über meine Schulter zu Boden zu werfen. Ich presste mein Knie auf seine Brust und legte ihm zum zweiten Mal an diesem Tag die Klinge an den Hals. Weil ich auf ihm kniete spürte auch er die Magie von Meister Zero und rang nach Luft und weil ich die Kraft in meinem Schwertarm kaum drosseln konnte, glitt die Klinge ein kleines Stück durch seine Haut. Einige Blutstropfen flossen von seinem Hals und benetzten den Boden. „Stopp!“ schrie mein Meister und kam auf uns zu. Mit einem Schlag fühlte ich mich viel leichter. Er hatte seine Magie aufgelöst. Schwer atmend stand ich auf und Atticus rang nach Luft. Meister Zero packte mich am Kragen und zog mich zu sich. „Was fällt dir ein, du Wurm?“ zischte er, sodass nur ich ihn verstehen konnte. Seine nächsten Worte schrie er mir ins Gesicht. „Wolltest du ihn umbringen? Du bist hier, weil ich dich in der Kunst des Schwertkampfs unterrichten sollte. Und nicht damit du dich mit Händen und Füßen prügelst! Du hättest Atticus fast enthauptet!“ „Liegt wahrscheinlich einfach in seiner Natur“ meldete sich Atticus zu Wort und rang noch immer nach Luft. Er griff an seinen Hals und besah sich das wenige Blut, das an seinen Händen klebte. „Was sollte ein Mensch von einem fairen Duell verstehen?“ Ich biss mir auf die Unterlippe. Was an diesem Duell war bitteschön fair? Ich konnte Meister Zeros Techniken nicht anwenden, weil er mich behindert hatte! Aber beweisen konnte ich es nicht, also hielt ich meinen Mund und ließ die nächste Hasstirade über mich ergehen. Im Augenwinkel sah ich König Haou auf uns zukommen. In seinem Blick lag etwas Zufriedenes. „Damit wäre wohl geklärt, wer an der Prüfung teilnehmen wird“ sagte er und blieb vor uns stehen. Meister Zero ließ von mir ab und stieß mich unsanft von sich. „Allerdings“ bestätigte er und sah zu Atticus, der stolz neben ihm stand. Ich seufzte lautlos. Weil ich mich nicht an die Regeln gehalten hatte, würde er jetzt an der Prüfung teilnehmen und ich konnte mich darauf gefasst machen zur Strafe wieder alle Schwerter zu polieren. Eine warme Hand legte sich auf meine Schulter und ich sah auf. Auf Haous Lippen lag ein kleines Schmunzeln. „Herzlichen Glückwunsch, Yusei.“ Ich sah ihn überrascht an. Was? „Aber mein König!“ sagte Meister Zero entsetzt. „Er hat sich nicht an unsere Regeln gehalten! Er hat“ „Gewonnen“ unterbrach ihn König Haou. „Und das war die einzige Regel, die ich gesetzt hatte. Wer das Duell gewinnt, darf an der Prüfung teilnehmen. Oder denkt Ihr, an dem Duell wurde etwas sabotiert?“ Er hob eine Augenbraue und sah den Meister abwartend an. Ob er die Magie bemerkt hatte? Meister Zero brummte unwillig. „Na schön“ sagte er und sah mich streng an. Sein Blick hatte etwas Verschlagenes. „Aber in der Prüfung wirst du dich an die Kampfregeln halten müssen, oder du wirst disqualifiziert.“ Verdammt. So wie er aussah, wird er das Gleiche in der Prüfung abziehen, und dann kann ich sie sicher nicht bestehen. „Geht jetzt“ sagte er an Atticus und mich gerichtet. „Das Training ist für heute beendet.“ Ich verbeugte mich knapp und wandte mich um zum Gehen. „Yusei“ hielt mich die Stimme Haous auf und ich neigte meinen Kopf zu ihm. „Wenn du hier fertig bist, findest du dich bei Madame Tredwell ein. Sie weiß schon bescheid.“ „Ja“ antwortete ich unsicher und ging vom Platz. Warum sollte ich mich bei ihr vorstellen? Vor ein paar Jahren sollte ich meine Magie bei ihr erlernen, doch bedauerlicherweise hatte ich keine Veranlagung dafür. Ich war eben nur ein Mensch. Nachdem ich meine Trainingsrüstung abgelegt und verstaut hatte, machte ich mich auf den Weg in den Palast. Wobei mir Madame Tredwell wohl Helfen sollte? Gedankenverloren lief ich eine Abkürzung durch eine kleine Seitenstraße. Plötzlich stellten sich mir vier Gestalten in den Weg. Ich sah auf und musterte das wutverzerrte Gesicht von Atticus, der mich mit verschränkten Armen abwartend ansah. Die drei anderen waren ebenfalls Meisterschüler. „Was willst du?“ fragte ich und blieb stehen. Die vier hatten die Straße blockiert und ließen mir keinen Platz mich an ihnen vorbei zu winden. „Wie hast du das schonwieder angestellt, Schoßhund?“ fragte er. „Keine Ahnung was du meinst.“ „Die Prüfungszulassung, du Idiot“ bellte sein bester Freund Zane. „Ich habe gewonnen“ sagte ich schlicht und zuckte mit den Schultern. „Du hast geschummelt“ keifte ein anderer. Atticus nickte. „Die Regeln besagen eindeutig, dass wir nur mit dem Schwert kämpfen sollten. Du hast mir einen verdammten Ellbogen in den Magen gerammt!“ Ich schmunzelte. „Hatte Meister Zero am Anfang nicht gesagt, dass wir das Schwert als Verlängerung des Arms betrachten sollten? Ich habe dich mit meinem Schwertarm getroffen. So gesehen, war es nicht regelwidrig.“ „Dass du ihm mit dem Knie die Luft abgeschnürt hast schon“ erwiderte Zane. „Richtig“ mischte sich die Dämonin zu seiner Linken ein. Ich glaube ihr Name war Mai. „Aber da unser König nicht hier ist um dich zu beschützen, solltest du uns die Wahrheit sagen. Wie hat ein halbes Hemd wie du es geschafft Atticus so am Boden festzunageln?“ „Hey!“ beschwerte sich der braunhaarige und sah sie genervt an. „Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, dann wäre ich da allein rausgekommen!“ „Ach bitte, du hast am Boden gelegen und nur noch geröchelt“ sagte sie unbeeindruckt. Ich seufzte lautlos. Die Wahrheit werden sie mir ohnehin nicht glauben. „Also?“ sagte Mai und sah mich abwartend an. Was soll’s? Sie hassten mich jetzt schon abgrundtief. Wie viel schlimmer kann es werden, wenn ich ihren ach so perfekten Meister Sabotage vorwerfe? „Meister Zeros Gravitationsmagie“ sagte ich schlicht. Mai stutzte. „Ist das dein Ernst?!“ bellte Zane und sah mich wütend an. „Glaubst du wirklich unser Meister würde zu solch billigen Mitteln greifen? Das hat er bei einem Kind wie dir gar nicht nötig! Wahrscheinlich hattest du einfach einen Schwächeanfall und brauchst einen Sündenbock!“ Ich ballte die Hände zu Fäusten und sah zu Boden. Warum sollten sie mir auch glauben? Plötzlich spürte ich einen dumpfen Schmerz an meiner Wange. Ich konnte mich gerade noch an der Wand eines Hauses abstützen um nicht umzufallen. Atticus sah mich wütend an. „Das war dafür, dass ich deinetwegen nicht an der Prüfung teilnehmen kann! Und das hier“ Er holte aus und traf mit seiner Faust meinen Magen. Ich keuchte und beugte mich nach vorn. „War dafür, dass du unsere Regeln verletzt hast.“ Wütend sah ich ihn an und hielt mir den Bauch. Er setzte zu einem erneuten Schlag an. Ich packte sein Handgelenk, drehte seinen Arm in einer schnellen Bewegung auf seinen Rücken, bis ihm ein schmerzhaftes Stöhnen entwich, dann trat ich ihm kräftig in die Kniekehlen und er sackte in die Knie. Mit meiner freien Hand drückte ich seinen Nacken zu Boden und drückte mein Knie in seinen Rücken. So fixiert versuchte er sich aus meinem Griff zu winden, aber er hatte keinen Bewegungsspielraum mehr. Seine Freunde waren so überrascht von der Situation, dass sie uns nur beobachteten. „Ich habe dich besiegt!“ sagte ich harsch und übte mehr Druck auf seinen Rücken aus, was ihn knurren ließ. „Finde dich einfach damit ab! Ich will nicht gegen dich kämpfen!“ „Verrecke doch einfach, du Bastard!“ schrie er und trat mit seiner verbliebenen Kraft ins Leere. Die anderen lösten sich allmählich aus ihrer Starre. Zane und sein Freund rannten auf uns zu, Mai beobachtete weiterhin die Situation. Vier Hände zogen mich von Atticus weg, einer übte Druck auf die Wunde an meinem Arm aus. Ich schrie auf. Sie hielten mich fest, ich konnte mich nicht bewegen, nicht fliehen. Wieder spürte ich einen kräftigen Schlag an meiner Wange und schmeckte Blut. Atticus stand wütend vor mir. „Und das… war dafür, dass du Meister Zero durch den Dreck gezogen hast“ sagte er schwer atmend. Ich spuckte ihm mein Blut vor die Füße. Plötzlich gab es einen lauten Knall. Ich Augenwinkel erkannte ich einen Tontopf, der neben uns zerschellte und dessen Scherben in alle Richtungen flogen. „Was soll der Scheiß?“ rief Zane und suchte den Himmel ab. Da waren keine Fenster an den Häuserwänden, aus denen er hätte fallen können. Irgendetwas traf Atticus am Hinterkopf, im nächsten Augenblick regneten mehrere faule Obststücke auf meine drei Angreifer hinab. Ich wurde losgelassen und landete unsanft auf dem Boden, während die drei schützend ihre Arme hochhielten und schimpfend aus der Gasse verschwanden. Ich hielt meinen Arm und schmunzelte. Als ich die Stimmen von Atticus und den anderen nicht mehr hörte, rief ich: „Nicht schlecht! Du zielst immer besser.“ Ein amüsiertes Lachen war zu hören und ich neigte meinen Kopf über die Schulter. Aus einem Seiteneingang kam eine kleine Gestalt, von einem Umhang verborgen. Ich rappelte mich auf und drehte mich zu ihr. „Danke“ sagte ich. „Dein Training zahlt sich wirklich aus.“ Mein kleiner Freund reichte mir gerade bis zur Brust und blieb vor mir stehen. Ein fröhliches Lächeln kam zum Vorschein, als er seine Kapuze abnahm und seine bunten haare freigab. Ein leichter Rotschimmer lag auf seinen Wangen. Man sah Yugi an, dass er stolz auf das eben Geschehene war. „Du musst Mana danken“ sagte er fröhlich. „Sie hat wirklich oft mit mir trainiert. Madame Tredwell war auch stolz auf meine Fortschritte in der Magie.“ Mein Lächeln wurde breiter. Yugi und Mana waren zwei der wenigen Freunde die ich hatte. Der Kurze wurde wegen seiner Größe immer gehänselt und ich hatte ihn oft beschützt. Er war mit seinen knapp 40 Jahren zehn Jahre jünger als Mana, was bei Dämonen keinen wirklichen Altersunterschied bedeutete. Mit meinen 17 Jahren gelte ich unter Dämonen noch als Kind. Aber Haou sagte mir mal, dass Menschen eine weitaus kürzere Lebensspanne hatten. Wie kurz sie wirklich war, wusste ich nicht. „Nicht schlecht, Kleiner“ erklang Mais Stimme und wir drehten uns zu ihr. Ich hatte ganz vergessen, dass sie noch da stand und uns beobachtete. Mit einem amüsierten Lächeln kam sie auf uns zu. „D-Danke“ sagte Yugi verlegen und lächelte schief. Sie stemmte eine Hand in die Hüfte und sah mich ernst an. „Hast du das vorhin wirklich ernst gemeint?“ fragte sie. Ich musterte sie überrascht. Glaubte sie mir etwa? „Ja“ erwiderte ich ernst. Nachdenklich sah sie mich einen Augenblick an. „Zumindest würde das erklären, warum Atticus kaum noch Luft bekommen hat, als du ihn zu Boden gedrückt hast. So schwer bist du nicht und gerade eben hat es ihm ja auch nichts ausgemacht.“ „Du glaubst mir?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich glaube an das was ich sehe. Und was ich sehe ist, dass du scheinbar doch kein Monster bist, wie alle sagen.“ „Yusei ist auch kein Monster!“ sagte Yugi ernst. Als Mais Blick auf seinen traf, wurde er wieder unsicher. „Naja, die Menschen die uns damals angegriffen hatten waren vielleicht welche, aber Yusei ist anders.“ Er warf mir einen flüchtigen Blick zu und ich schmunzelte. Ich war wirklich Dankbar für seine Freundschaft. „Wie dem auch sei“ winkte Mai das Thema ab. „Du warst heute ganz passabel. Mal sehen wie du dich in der Prüfung schlägst.“ Mit diesen Worten ging sie an uns vorbei und verschwand. Yugi sah mich aufgeregt an. „Ist das ihr Ernst? Du darfst endlich die Prüfung machen?“ Ich nickte. „Das habe ich König Haou zu verdanken. Er hat Meister Zero ausgetrickst.“ „Wie das?“ fragte er und legte den Kopf schief. Ich überlegte mir eine Kurzversion, bis mir etwas einfiel. Ich sollte mich doch bei Madame Tredwell einfinden! Nur deswegen war ich überhaupt die Abkürzung durch die Seitenstraße gegangen! „Ich erzähle dir später alles“ sagte ich ausweichend und machte mich schnellen Schrittes auf den Weg in den Palast. „Jetzt muss ich los, ich bin sowieso schon zu spät dran!“ „Treffen wir uns morgen Mittag am Tempel?“ rief er mir nach. Ich hob zur Bestätigung meine Hand und beschleunigte meinen Schritt. Kurze Zeit später war ich am Palast und rannte durch die vielen Gänge, bis ich bei Madame Tredwells Lehrraum angelangt war. Außer Atem trat ich ein und sah mich um. Die Halle war weitläufig und durch warmes Licht unzähliger Kerzen beleuchtet. Ein leichter Duft von Kräutern lag in der Luft. An einer Wand waren viele Regale mit unzähligen Büchern, ein großer Schreibtisch mit allerhand Kräutern und Papier. Bis auf Madame Tredwell war in der ansonsten leeren Halle niemand zu sehen. Sie drehte sich überrascht zu mir und seufzte. „Entschuldigung, ich wurde aufgehalten“ sagte ich geknickt. Langsam kam sie auf mich zu und hob mein Kinn an. Musterte einen Augenblick schweigend mein Gesicht. „Das sehe ich“ sagte sie schließlich und ließ von mir ab. Ich fuhr mit meinem Daumen über meine Unterlippe und zuckte zusammen. Blut klebte an meinen Fingern. Stimmt, Atticus hatte mich vorhin voll erwischt. Meine Wange war vermutlich ebenfalls geschwollen. Sie trat einige Schritte zurück und zeichnete mit einem Stück Kreide einen Bannkreis in die Mitte, den sie mit einigen Insignien beschriftete. Dann winkte sie mich zu sich. Ich wusste was auf mich zukam und stellte mich in die Mitte des Kreises. Sie schloss ihre Augen und sprach eine Formel. Im nächsten Moment leuchtete der Kreis unter mir auf und die Schmerzen in meinem Gesicht und in meinem Arm verebbten. Ich seufzte erleichtert. Das Licht erlosch und ich fühlte mich viel besser. „Wer war es diesmal?“ fragte sie beiläufig und nahm sich zwei Kissen aus einer schweren Holztruhe an der Wand. „Ist nicht so wichtig“ winkte ich das Thema ab und nahm eines der Kissen an mich, bevor wir uns auf den Boden setzten. Ich wollte die Sache nicht vertiefen. „König Haou meinte, ich soll zu Euch kommen“ sagte ich stattdessen. Sie nickte. „Er sagte mir, ich solle dich in die Kunst der Magie einweisen.“ „Aber das hatten wir doch schon versucht“ bemerkte ich verständnislos. „Ich habe keine Veranlagung für Magie.“ So wie auch die meisten Dämonen. Ein kleines Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Noch nicht“ sagte sie. „Aber es besteht eine sehr kleine Chance das zu ändern.“ Ich schüttelte verständnislos den Kopf. „Wie?“ Ich hatte noch nie von einer Möglichkeit gehört oder gelesen Magie ohne Veranlagung zu erlernen. „Du weißt doch was Schutzgeister sind“ sagte sie. Ich nickte, auch wenn sie es nicht als Frage formuliert hatte. „Wenn sich ein Dämon ohne Veranlagung zur Magie mit einem Schutzgeist der Kategorie Magie und Klasse A oder S verbindet, kann es in seltenen Fällen vorkommen, dass er Magie anwenden kann.“ Fragend hob ich eine Augenbraue. Aber ich bin kein Dämon. Warum sollte sich ein Schutzgeist für mich entscheiden? Noch dazu einer der Klasse A oder S. Ich kannte keinen Dämon mit einem Schutzgeist der Klasse S. Selbst Haous geflügelter Kuriboh hatte Klasse A, Kategorie Schild. Und selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass sich ein Klasse A Schutzgeist für mich entscheiden sollte, müsste er auch der Kategorie Magie angehören. „Wie oft ist das schon vorgekommen?“ fragte ich neugierig. „Ich habe von drei Fällen gelesen“ sagte sie. Drei? In der gesamten Geschichte der Isekai? Die Chance ist weniger als nur verschwindend gering. „Ich weiß, das klingt nicht nach viel, aber König Haou hat nach einer Möglichkeit gefragt, dich darin zu unterweisen. So verschwindend gering sie auch ist, du sollst es versuchen.“ „Aber ich bin ein Mensch“ gab ich traurig zu bedenken. „Willst du dich gegen den Befehl des Königs stellen?“ fragte sie. Da war keine Wertung in ihrer Stimme. Kein Vorwurf. „Natürlich nicht“ sagte ich und senkte den Blick. Er hatte so viel für mich getan. Ich will ihm helfen wo ich nur kann. Und wenn es sein Wunsch ist, dass ich es versuche, dann sollte ich nicht lange darüber nachdenken. „Wie verbindet man sich mit einem Schutzgeist?“ Wieder legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. „Der Schutzgeist wählt dich auf dem Nebelberg aus. Weit im Norden des Landes. Du musst ihn aus eigener Kraft besteigen, etwa auf der Hälfte des Weges tauchen die ersten Geister auf. Du gehst nicht auf sie zu, beschreitest weiter deinen Weg, bis dich einer als würdig erachtet und sich mit dir verbindet. Je höher du den Nebelberg erklimmst, umso gefährlicher wird der Weg, und umso stärker sind die Geister denen du begegnest. Auf der Spitze leben nur Geister der Klasse S. Manche von ihnen gehören mehr als nur einer Kategorie an. Hat dich bis dahin keiner auserwählt, musst du deinen Rückweg antreten.“ Ich seufzte lautlos. Aber wenn es Haous Wunsch ist, will ich ihn nicht enttäuschen. „Wann soll ich aufbrechen?“ Kapitel 3: Zu vertraut ---------------------- „Er macht Fortschritte“ bemerkte Jesse, während wir Yuseis Duell gegen Atticus verfolgten. Ich nickte und beobachtete seine fließenden Bewegungen, mit denen er seinen Gegner immer weiter zurückdrängte. Er hatte meine Hoffnungen bei weitem übertroffen, was seine Fähigkeiten anging. Er war fleißig, konzentriert, lernte schnell und stellte seine Mitschüler dabei in den Schatten. Und das, obwohl sie weit älter waren als er. Das galt nicht nur für den Schwertkampf. Die anderen Meister, bei denen ich Yusei in die Lehre geschickt hatte, waren selbst überrascht über seine rasche Entwicklung. Selbst bei Madame Tredwell strengte er sich an die Formeln und Zauber zu verinnerlichen, obwohl er keine Magiebegabung hatte. Ob es daran lag, dass Menschen eine so viel kürzere Lebensspanne hatten? Es war sicher von Vorteil in kurzer Zeit so viel wie möglich zu lernen und anzuwenden. Ob ich ihm zu viel aufbürde? Im Moment war er bei fünf verschiedenen Meistern in der Lehre und hatte so gut wie keine Freizeit. Andererseits schwebte noch immer das drohende Damoklesschwert über uns. Die Menschen könnten jederzeit wieder ein Portal in diese Welt erschaffen und ich wusste nicht wie groß die Stärke ihrer Truppen war. Wir brauchten ihn als Spion und er musste sich im schlimmsten Fall zu verteidigen wissen. „Was ist denn jetzt?“ riss mich Jesses verwunderte Stimme aus meinen Gedanken und ich sah wieder auf das Trainingsfeld. Yuseis Bewegungen kamen ins Stocken, wirkten irgendwie schwerfällig. Warum? Mein Blick schweifte zu Meister Zero und ich verengte meine Augen zu schlitzen. Er war nicht nur ein Meister der Schwertkunst, sondern auch ein ganz passabler Magier. Allerdings hatte er sich nur auf die Gravitationsmagie begrenzt, um sich im schlimmsten Fall einen Vorteil auf dem Schlachtfeld zu verschaffen. Wagt er es wirklich, Yusei zu sabotieren? Sein Hass auf die Menschen war weit größer als meiner, hatte er doch seine gesamte Familie im letzten Krieg verloren. Würde er sich wirklich gegen meinen Befehl stellen, damit Yusei seine Ausbildung nicht bestehen konnte? „Komm schon“ murmelte ich an Yusei gerichtet, der den Angriffen seines Gegners nur noch ausweichen konnte. Unwillkürlich lächelte ich, als er seinen Gegner zu Boden gerungen hatte. Es war nicht im Sinne seiner Ausbildung, den Gegner mit etwas anderem als seinem Schwert zu besiegen, aber auf dem Schlachtfeld war es nur wichtig seine Vorteile auszunutzen. Und das hatte er getan. Zufrieden über den Ausgang des Duells ging ich auf die Kontrahenten zu, Meister Zero packte Yusei am Kragen und schrie ihn an. Damit hatte ich die Antwort auf meine Frage. Er hatte sich tatsächlich meinem Befehl widersetzt. „Damit wäre wohl geklärt, wer an der Prüfung teilnehmen wird“ sagte ich und blieb stehen. Endlich ließ er von Yusei ab und sah mich an. Seine Attacke würde noch ein Nachspiel haben. „Allerdings“ bestätigte er und sah zu dem anderen Schüler, der sich stolz neben ihn stellte. Glauben die Beiden allen Ernstes nach dieser Leistung könnte er an der Prüfung teilnehmen? Yusei sah enttäuscht zu Boden. Anscheinend glaubte auch er, er hätte versagt. Ich schmunzelte und legte meine Hand auf seine Schulter. Sein Blick traf meinen. Dieser Magie zu wiederstehen und weiterzukämpfen verlangte einiges an Körperbeherrschung. Glaubt er wirklich, ich hätte das nicht mitbekommen? „Herzlichen Glückwunsch, Yusei“ sagte ich und erntete seinen überraschten Gesichtsausdruck. „Aber mein König!“ sagte Meister Zero entsetzt. „Er hat sich nicht an unsere Regeln gehalten! Er hat“ „Gewonnen“ unterbrach ich ihn. „Und das war die einzige Regel, die ich gesetzt hatte. Wer das Duell gewinnt, darf an der Prüfung teilnehmen. Oder denkt Ihr, an dem Duell wurde etwas sabotiert?“ fragte ich mit erhobener Augenbraue. Vielleicht begreift er endlich, dass ich seine Aktion durchschaut hatte. „Na schön“ brummte er unwillig und wandte sich an Yusei. „Aber in der Prüfung wirst du dich an die Kampfregeln halten müssen, oder du wirst disqualifiziert.“ Mein Blick wurde finster. Er hatte es wirklich noch nicht verstanden? Er will sich meinen Befehlen noch immer widersetzen? Er schickte die beiden weg. Da fiel mir ein… „Yusei“ hielt ich ihn auf und er neigte seinen Kopf zu mir. „Wenn du hier fertig bist, findest du dich bei Madame Tredwell ein. Sie weiß schon bescheid.“ „Ja“ antwortete er unsicher und ging vom Platz. Dann wandte ich mich mit finsterem Blick an Meister Zero. Meiner Stimme verlieh ich einen drohenden Unterton. „Wenn ich nochmal mitbekomme, dass während eines Kampfes Magie eingesetzt wird, kann der Verantwortliche froh sein, wenn ich ihn nur in den Kerker sperren lasse. Haben wir uns verstanden?“ Angst blitzte in seinen Augen auf. Einen Augenblick sah er mich eindringlich an. Schließlich verbeugte er sich. „Ja, mein König.“ Ich wandte mich ab und verließ den Trainingsplatz, ballte meine Hände zu Fäusten. Als ich ein Kind war, war mir Meister Zero immer ein guter Lehrer. Jetzt aber war ich einfach nur enttäuscht. Hatte er kein Ehrgefühl? Er sollte zu spüren bekommen, was es bedeutet sich mir zu widersetzen, sollte er es überhaupt nochmal wagen. „Zieh nicht so ein Gesicht“ sagte Jesse vergnügt. „Jesse, das Thema hatten wir schon.“ Er sah mich verwundert an, bis ihm schließlich einfiel was ich meinte. „Stimmt, entschuldigt. Vertrautheit nur in Zweisamkeit. Aber“ sprach er leiser weiter. „Seid Ihr euch wirklich sicher, wegen der Angelegenheit mit dem Schutzgeist? Wenn Ihr Glück habt, überlebt er den Aufstieg. Im besten Fall wird er sich vielleicht mit einem Schutzgeist der Klasse D verbinden, was ihn auch keine Magie ausführen lässt. Und was bringt Euch das?“ Ich seufzte. Nicht schon wieder diese Diskussion. „Sollte er sich wirklich mit einem Schutzgeist mit niederer Klasse verbinden, bedeutet das für ihn in der Welt der Menschen noch immer mehr Sicherheit. Ich will ihn dort nicht verlieren, weil ich irgendetwas übersehen habe. Ich brauche ihn.“ „Als Spion oder Freund?“ fragte er ernst. „Oder vielleicht als etwas gänzlich anderes?“ Die Richtung, in die dieses Gespräch ging, gefiel mir nicht. „Auf was willst du hinaus?“ „Du bist zu vertraut mit ihm geworden“ sagte er leise. „Als du ihn ins Schloss geholt hast, hast du behauptet er wäre nur ein Mittel zum Zweck. Dein Werkzeug für die Vernichtung der Menschen. Aber du redest über ihn, als wäre er dir auf emotionaler Ebene wichtig. Du kannst dich mittlerweile nicht mehr rausreden, dass du ihn so nett behandelst, damit er dir vertraut. Du hast deine Distanz zu ihm verloren. Deshalb will ich dir einen Vorschlag machen.“ Ich sah ihn abwartend an. Es brachte nichts zu leugnen, dass er mir mehr bedeutete als ein Mittel zum Zweck. Wie viel mehr wusste ich nicht. Vielleicht hatte Jesse Recht, und ich sollte eine größere Distanz zu ihm wahren. „Ich werde mich um seine Ausbildung kümmern“ sprach er weiter. „Und dich immer auf dem Laufenden halten. Ich reise mit ihm zum Nebelberg und warte dort, dass er lebend zurückkommt. So kannst du wieder einen klaren Kopf bekommen und dich um deine anderen Pflichten kümmern.“ Ich seufzte. So sehr mir sein Vorschlag missfiel, so logisch war er auch. Vielleicht ließ ich ihn tatsächlich zu nah an mich heran. Letzten Endes war er für mich nur ein Mittel zum Zweck. Ein Mensch. Eigentlich ein Feind. Auch wenn ich keinen Zweifel hatte, dass er auf unserer Seite war. Immer wieder hatten wir ihm Geschichten erzählt als er klein war. Welche Monster die Menschen waren. Und dass er anders war. Mit der Zeit verblassten seine Erinnerungen an die ersten Jahre bei seiner Familie und selbst er glaubte jetzt, die Menschheit sei eine bösartige Rasse. Leider hatte das auch starke Auswirkungen auf sein Selbstbild. Er sah es irgendwann als selbstverständlich, dass er weniger Wert war als die Dämonen. Dabei hatte er ein größeres Herz als die meisten Dämonen die ich kannte. Ich versuchte den Gedanken abzuschütteln. „Vielleicht hast du Recht“ sagte ich und sah Jesse ernst an. „Ich habe die ganze Sache zu nah an mich herangelassen. Ich denke über dein Angebot nach.“ Seine Gesichtszüge erhellten sich. ~*~ Spät am Abend lief ich den Korridor zu meinen Gemächern entlang. Meine Schritte hallten an den Wänden wieder und wirkten unnatürlich laut. Was für ein langer Tag. Die Gespräche mit einigen Dorfbewohnern aus dem Westen des Landes zogen sich unglaublich in die Länge. Knapp 13 Jahre ist der Krieg jetzt her und noch immer war nicht wieder alles aufgebaut. Vor meiner Tür hielt ich inne und neigte meinen Kopf weiter den Gang entlang. Die nächste Tür führte in Yuseis Zimmer. Ob er noch wach ist? Vielleicht sollte ich ihn über Jesses Vorschlag unterrichten. Nur auf die Gründe sollte ich nicht genauer eingehen. An seiner Tür angekommen, klopfte ich und wartete einen Augenblick auf eine Antwort. Unter der Tür war ein Lichtspalt zu sehen, also war er wohl noch wach. Noch einmal klopfte ich und trat ein. „Yusei?“ sagte ich und sah mich suchend um. Auf dem ersten Blick war er nicht zu sehen. Die einzige Lichtquelle im Raum waren einige Kerzen an seinem Schreibtisch, auf dem sich ein bemerkenswerter Stapel Bücher befand. Sein Bett war unangetastet. Die beiden massiven, großen Bücherregale wiesen viele Lücken auf. Einige der Bücher lagen auf der Kommode, ein großer Stapel vor dem Balkon. Die schweren Vorhänge am Balkon waren zurückgezogen und zeigten denselben Ausblick auf die Stadt wie ich ihn in meinen Gemächern hatte. Ich ging weiter in den Raum hinein und entdeckte ihn versteckt hinter dem Bücherstapel vor dem Balkon. Er hatte sich an die Wand gelehnt, seine Augen waren geschlossen und sein Atem gleichmäßig. Ein Arm lag schlapp neben seinem Körper, der andere lag auf dem Buch in seinem Schoß. Er hatte wohl wieder bis zur Erschöpfung gelernt. Unwillkürlich musste ich schmunzeln. Ich ging vor ihm in die Hocke und betrachtete ihn einen Moment schweigend. Einige schwarze Strähnen waren ihm ins Gesicht gefallen und ich strich sie behutsam beiseite, ohne, dass er es mitbekam. Er sah so friedlich aus. Es war erstaunlich wie sehr er sich in den letzten Jahren entwickelt hatte. Nicht nur in Bezug auf seine Fähigkeiten, auch körperlich entwickelte er sich schnell. Noch drei, vielleicht vier Jahre, dann hatte er in Relation zur Lebensspanne in etwa mein Alter erreicht. Schon seltsam. Wieder schüttelte ich den Gedanken ab und legte meine Hand auf seine Schulter. „Yusei?“ sagte ich und strich mit dem Daumen sanft darüber. Er schreckte hoch und sah sich einen Augenblick irritiert um, bis sein Blick auf meinen traf. Ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Du solltest ins Bett gehen“ sagte ich und verwarf den Gedanken an das Gespräch. So wie die Ringe unter seinen Augen aussahen, brauchte er jetzt Ruhe. „Vielleicht habt ihr Recht“ sagte er und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. Sein Blick wanderte aus dem Balkon. „Wie spät ist es?“ „Die Sonne ist vor etwa zwei Stunden untergegangen“ sagte ich und erntete seinen überraschten Gesichtsausdruck. „Und du musst bei Tagesanbruch bei Meister Damian sein.“ „Ja“ sagte er und ließ sich von mir auf die Beine helfen. Dabei landete das Buch von seinem Schoß auf dem Boden. Ich hob es auf und sah mir den Einband an. Es war ein dicker, alter Wälzer von einer Untersuchung über die Auswirkungen von Schutzgeistern auf Dämonen. „Ich war nur neugierig“ sagte er schnell und sah mich ertappt an. Wieder musste ich unwillkürlich schmunzeln. „Bist du aufgeregt?“ fragte ich interessiert und legte das Buch auf den Stapel auf seinem Schreibtisch. „Ein bisschen“ sagte er bedrückt. Ich stutzte. Irgendetwas stimmte nicht. „Was ist los?“ fragte ich deshalb, doch er wich meinem Blick aus. Es dauerte einen Moment, ehe er mir antwortete. „Was ist… wenn mich kein Schutzgeist auswählt?“ sagte er schließlich leise. „Ich will Euch nicht enttäuschen.“ Ich seufzte lautlos und überwand die kurze Distanz zwischen uns. Legte meine Hand unter sein Kinn und hob es an, damit sein Blick auf meinen gerichtet war. „Du hast mich bis heute noch nie enttäuscht“ versicherte ich ihm ernst. Ein leichter Rotschimmer legte sich auf seine Wangen. „Egal ob dich ein Schutzgeist auswählt oder nicht, du hast immer dein Bestes getan.“ Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. „Du hast ein gutes Herz, Yusei. Wenn die Geister das nicht anerkennen, dann sind sie selbst schuld.“ Mit jedem meiner Worte verschwand die Anspannung aus seinem Gesicht, bis er mir ein zufriedenes Lächeln schenkte. „Danke, König Haou.“ Noch einmal strich ich mit dem Daumen sanft über die weiche Haut, dann löste ich meine Hand von ihm. „Schlaf gut“ sagte ich und wandte mich von ihm ab, um sein Gemach zu verlassen. „Haou…“ fügte er hinzu und ich blieb stehen. „Danke, dass Ihr mich begleiten wollt. Das bedeutet mir wirklich viel.“ Mein Herz schlug schneller in meiner Brust, ich fühlte mich wie erstarrt. Ich wollte ihm sagen, dass Jesse ihn begleiten würde, aber ich konnte es nicht. Der Grund dafür war mir schleierhaft. „Sicher“ sagte ich, bevor ich die Tür hinter mir schloss und mich mit dem Rücken dagegen lehnte. Jesse hatte wirklich Recht. Aber so sehr ich mir auch einredete, dass ich Abstand zu Yusei halten musste, ich wollte es nicht. Er lenkte mich von meinen eintönigen Pflichten ab, und wenn es nur ein Gespräch bei einer gemeinsamen Mahlzeit war. Er war eine Ablenkung, aber eine angenehme. Doch je näher ich ihn an mich heranließ, desto schmerzhafter wird es werden, wenn ihm etwas zustoßen sollte. Er hatte eine gefährliche Pflicht zu erfüllen, von der er bis heute nichts wusste. Bis zum Nebelberg sollte ich ihn noch begleiten. Dann wird er die Wahrheit erfahren. Und dann… Ich seufzte lautlos und stieß mich von der Tür ab, um meine eigenen Gemächer zu betreten. Nach unserem Ausflug sollte ich ihn in Jesses Verantwortung legen. Kapitel 4: Freundschaft ----------------------- „Na schön, Yusei. Du kannst dir eine Pause gönnen“ sagte Meister Damian zufrieden. Ich klappte mein Buch zu und nickte. Mein Blick wanderte aus dem Fenster. Die Sonne stand schon in ihrem Zenit und ich musste mich beeilen, damit ich Yugi nicht zu lang warten lasse. Schnell sammelte ich meine Unterlagen zusammen und legte sie zu einem säuberlichen Stapel auf meinen Tisch. „Bis später“ verabschiedete ich mich von meinem Meister und rannte aus dem Raum, auf die Gänge und wich auf meinem Weg einigen Passanten aus. Bis zur Gartenanlage des Tempels war es nicht weit, höchstwahrscheinlich wartete er schon auf mich. Ich bog in die Straße zum Markt ab und lief schnellen Schrittes weiter, bis mich eine bekannte Stimme aufhielt. „Yusei, warte!“ Ich drehte mich zu ihr. Eine ältere Frau winkte mich hinter ihrem Obststand zu sich. Als ich bei ihr ankam, lächelte Dorethie mir freundlich entgegen. „Wohin willst du denn so eilig?“ fragte sie. „Zum Tempel“ sagte ich und warf einen kurzen Seitenblick den Weg hinunter. Er war schon in Sichtweite. „Dann will ich dich nicht lange aufhalten, mein Junge. Ich wollte mich nur für deine Hilfe letzte Woche bedanken.“ Ich winkte ab. „Das war selbstverständlich. Sie müssen sich dafür nicht bedanken.“ „Oh doch!“ sagte sie tadelnd und holte einen kleinen Korb hinter ihrem Stand hervor, den sie mit etwas Obst füllte. „Schließlich warst du der einzige, der mir geholfen hat meine Waren wieder einzusammeln.“ Sie hielt mir das Körbchen entgegen. „Ein kleiner Dank ist das mindeste. Und jetzt lass es dir ruhig schmecken. Keine falsche Bescheidenheit.“ Ich schmunzelte und nahm den Korb dankend entgegen. Es brachte nichts mit ihr zu diskutieren. Ich verbeugte mich knapp und setzte meinen Weg fort. Am Tempel angekommen umrundete ich das imposante Gebäude um in die Gärten zu gelangen. Hier war es ruhig und man begegnete keiner Seele. Das war einer der Gründe, warum Yugi und ich uns immer hier trafen. Von weitem erkannte ich ihn und Mana, wie sie sich am Rand des Brunnens unterhielten. Yugi saß auf dem Boden, Mana balancierte auf der kleinen Mauer des Brunnens. Sie war die erste, die mich sah. „Du hast uns ganz schön warten lassen“ rief sie gespielt beleidigt. „Dafür hab ich etwas zur Versöhnung mitgebracht“ sagte ich und hielt ihr das Körbchen mit Obst entgegen. Sie sprang von der kleinen Mauer und schnappte sich einen Apfel. „Wenn das so ist, komm nächstes Mal wieder zu spät“ bemerkte sie zwinkernd. Ich lachte kurz und setzte mich auf die niedrige Mauer, Yugi sah zu mir auf. „Ich hab schon gedacht du schaffst es nicht mehr. Bei wem bist du heute eigentlich?“ „Bei Meister Damian“ antwortete ich, während ich eine Feige aus dem Korb neben mir fischte und sie Yugi reichte. Mit einem glücklichen Lächeln bedankte er sich und genoss die kleine Frucht. Er liebte sie. „Dem Alchemisten?“ fragte Mana. Ich nickte. „Meine Mutter wollte mich auch zu ihm schicken, wenn ich meine Ausbildung bei Madame Tredwell beendet habe. Wie ist er denn so?“ Einen Augenblick überlegte ich. „Er ist sehr streng, aber gerecht“ antwortete ich schließlich. „Das ist mir zu diplomatisch“ lachte Mana und beugte sich auf der kleinen Mauer stehend zu mir. „Was lernst du denn bei ihm genau? Madame Tredwell sagte die Kunst der Alchemie beschränkt sich ihrer Meinung nach zu sehr auf Gifte und Heiltränke.“ Ich stutzte. „Nicht wirklich. Je nachdem welche Zutaten man zusammenmischt, kann man sehr viele Tränke herstellen. Vor allem wenn man keine Magie einsetzen kann sind viele davon sehr praktisch.“ „Also mischst du nur Kräuter zusammen?“ fragte sie skeptisch. „Nein. Fast ein Jahr lang hatte ich kaum Praxis, weil wir alle Zutaten und ihre Wirkungen durchgegangen sind. Du glaubst nicht wie viele Wirkungen eine einzelne Pflanze hat, je nachdem, wie man sie dosiert. Aber ich kann mir vorstellen, dass deine Ausbildung anders verlaufen wird, weil du Magie einsetzen kannst.“ „Was hat das damit zu tun?“ fragte Yugi neugierig. „Dein Lux Zauber zum Beispiel“ sagte ich und sah mich um. Für diesen Trank wuchs alles im Garten. Ich stand auf, pflückte einen bestimmten Pilz und einige Kräuter, während ich weiterredete. „Das ist einer der einfachsten Zauber, aber man kann ihn auch ohne Magie ausführen, wenn man bestimmte Zutaten zusammenmischt.“ Mit diesen Worten zerkleinerte ich die Kräuter mit einem Stein und fügte zwei Tropfen Säure aus einer Orange aus dem Obstkorb hinzu. Die beiden beobachteten gespannt eine kleine Lichtkugel, die langsam aus den Zutaten aufstieg und gen Himmel flog. „Aber warum solltet ihr das lernen, wenn ihr den Zauber einfach ausführen könnt?“ „Ich glaube es ist ganz gut, wenn man sich nicht zu sehr auf seine Magie verlässt“ überlegte Mana laut, während sie mit den Augen der immer kleiner werdenden Lichtkugel folgte. Auf unsere fragenden Gesichter hin, lachte sie nur. „Naja, stell dir doch mal vor du bist mitten im Kampf und plötzlich hast du keine astralen Kräfte mehr. Wenn du dich dann mit Tränken verteidigen kannst, ist das doch besser als wenn du dann schutzlos bist.“ „Aber dafür hat doch fast jeder Magier einen Schutzgeist“ warf Yugi ein. „Die Geister haben unglaublich viele astrale Reserven.“ „Und was machen dann Magier ohne Schutzgeist?“ fragte sie streng. „Was, wenn dich keiner auswählt, Yugi? Dann hast du keine Reserven und musst aus eigener Kraft gewinnen.“ Er wurde immer kleiner und sah zu Boden. Mana seufzte. „Versteh mich bitte nicht falsch. Es wäre ein Wunder, wenn du keinen Schutzgeist bekommen würdest. Aber du solltest dich mehr auf deine eigene Stärke verlassen.“ „Du hast gut reden“ sagte er. „Du warst schon immer stärker als ich, und darum hast du auch einen Schutzgeist der Klasse-“ „Yugi!“ stoppte sie ihn mitten im Satz. Ich sah sie verwundert an. „Entschuldige!“ lenkte er schnell ein. Immer noch fragend sah ich zwischen ihn und Mana. „Was ist denn los?“ Sie seufzte und sprang von der Mauer. Setzte sich neben mich. „Es ist mir nur unangenehm, wenn die anderen von meinem Schutzgeist erfahren“ sagte sie und sah mich traurig an. „Ich will deswegen nicht anders behandelt werden.“ „Wer ist denn dein Schutzgeist?“ fragte ich. In den Jahren in denen ich sie kannte, kam dieses Thema nie auf. Sie sah in den Himmel und atmete noch einmal tief durch, dann rief sie ihren Schutzgeist. Vor ihr materialisierte sich ein blondes Mädchen in einer blauen Rüstung und lächelte fröhlich, während sie sich auf ihr schwebendes Zepter setzte. Sie hatte starke Ähnlichkeit mit Mana. „Hey, schwarzes Magier-Mädchen“ sagte sie und lächelte zaghaft. Dann deutete sie auf mich. „Das ist Yusei. Yusei, das ist mein Schutzgeist.“ Mit großen Augen betrachtete ich das schwarze Magier-Mädchen. Sie strahlte eine unglaublich starke Aura aus. „Freut mich“ sagte ich leise und sah wieder zu Mana. „Aber warum ist dir das unangenehm?“ Sie ließ die Schultern hängen und betrachtete den Boden. „Wenn die anderen erfahren, dass ich einen Klasse A Schutzgeist habe, dann behandeln sie mich vielleicht anders. Ich will nicht, dass sie Angst vor mir haben. Oder vielleicht nur wegen dem schwarzen Magier-Mädchen mit mir befreundet sein wollen. Deswegen habe ich nur ganz wenigen von ihr erzählt.“ Eine Hand auf ihrer Schulter ließ Mana Aufsehen. Ihr Schutzgeist schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln und verschwand. Mana blickte traurig auf die Stelle, an der ihr Schutzgeist eben noch stand. Ich konnte sie ein wenig verstehen. Viele Dämonen hatten Angst vor Menschen und projizierten ihre negativen Gefühle ihnen gegenüber auf mich. Wenn keiner von ihnen wüsste, dass ich ein Mensch bin, dann würden sie mich vielleicht anders behandeln. Dann würde ich meine Herkunft vielleicht auch verheimlichen, so wie sie ihren Schutzgeist verheimlichte. Ich schüttelte den Gedanken ab. Wenn ich das machen würde, dann würde ich mich selbst verleumden. Ich schmunzelte und ergriff ihre Hand. Sie sah auf. „Wenn du es niemandem erzählen willst, dann halte ich meinen Mund. Aber wenn du meine Meinung hören willst: versteck dich nie hinter deiner Angst. Du kannst stolz auf deine Fähigkeiten sein, und auch auf deinen Schutzgeist. Wenn du dein Leben lang eine Lüge lebst, dann wirst du irgendwann daran kaputt gehen.“ Yugi nickte bestätigend und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Sie schüttelte belustigt den Kopf und drückte meine Hand fester. „Vielleicht hast du Recht, aber ich habe Angst, dass sich dann alles ändert. Mir gefällt mein Leben so wie es jetzt ist.“ „Aber manche Dinge werden sich nicht ändern“ sagte Yugi und stand auf. Stellte sich direkt vor Mana und lächelte breit. „Egal wie du dich entscheidest, du wirst immer meine beste Freundin bleiben.“ Sie sprang auf und umarmte Yugi schwungvoll, sodass er Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. „Das weiß ich doch, du Dummkopf“ sagte sie lachend. Das Gesicht meines Freundes nahm mit jeder Sekunde einen dunkleren Rotton an und ich lächelte amüsiert. Wann er wohl je zu seinen Gefühlen stehen wird? „Deine Zeremonie beginnt doch auch in ein paar Wochen“ sagte Mana und löste sich wieder von unserem bunthaarigen Freund. „Wenn du dich auch mit einem starken Schutzgeist vereinst, und das wirst du, dann erzähle ich den anderen von meinem!“ „Was?!“ brach es schockiert aus ihm heraus, was mich und Mana lachen ließ. „Bist du auch schon aufgeregt?“ fragte ich Yugi interessiert. Schließlich war er der einzige den ich kannte, der in der gleichen Situation war wie ich. Auch wenn er nichts davon wusste. Er atmete tief durch und sah in den Himmel. „Na klar. Das ist schließlich eine große Sache. Vor dem Aufstieg graut es mir jetzt schon, ich bin wirklich nicht der beste Kletterer.“ „Da musst du dir keine großen Gedanken machen“ warf Mana ein. „Wenn du auf dem Pfad bleibst, ist der Aufstieg gar nicht so schlimm.“ „Du schaffst das schon“ sagte ich zuversichtlich. „Immerhin bereitest du dich seit Jahren darauf vor.“ Er nickte verlegen. „Aber warum bist du eigentlich aufgeregt?“ Mein Herz machte einen Satz. Wie kommt er darauf? „Was?“ „Du hast doch gefragt ob ich auch aufgeregt bin. Du etwa auch?“ „Nein“ sagte ich und hob abwehrend die Hände. Ich brauche dringend eine Ausrede. Nur welche? „Aber Mana schien gerade ganz aufgeregt über die Sache mit deinem Schutzgeist“ log ich. Kurz hatte ich Hoffnung die beiden würden die Aussage einfach schlucken, doch Mana sah mich skeptisch an, während Yugi mich eher verwirrt betrachtete. „Ja, klar“ sagte sie und beugte sich zu mir. Ich schluckte. „Das war eine furchtbare Lüge. Versuchs noch mal, aber dieses Mal mit der Wahrheit.“ Ich mied ihren Blick. König Haou wollte nicht, dass irgendjemand davon erfährt. Auch, wenn ich meinen Freunden vertrauen konnte. Jetzt darauf zu beharren, dass es mein Ernst war, konnte ich wegen meiner unwillkürlichen Reaktion auch nicht mehr. Ich vergrub meine Finger in den Stoff meiner Hose, mein Herzschlag nahm stetig zu. „Ich kann nicht“ murmelte ich wahrheitsgemäß. Haou hatte mir schon oft von Ereignissen berichtet oder mir Aufgaben erteilt, über die ich mit niemandem reden durfte. Bis heute hatte ich dieses Schweigen nie gebrochen. Aber diese ständigen Geheimnisse waren eine schwere Last. König Haou war der einzige, mit dem ich hätte darüber reden können. Aber wegen seiner Pflichten bekam ich ihn manchmal über Tage nicht zu Gesicht und Jesse, der über so ziemlich alles informiert war worüber Haou und ich sprachen, mied mich so gut es ging. In solchen Momenten fühlte ich mich einsam, aber ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Manchmal zerriss mich diese Fassade förmlich. „Wegen König Haou?“ riss mich Yugi aus meinen Gedanken. Ich nickte. „Warte, sollst du etwa auch an der Zeremonie teilnehmen?“ fragte Mana überrascht. Meine Haltung fiel immer mehr in sich zusammen. Jetzt hatte ich mich verplappert. Wenn Haou das herausfindet, wird er sicher enttäuscht oder wütend sein. Vermutlich erwartet mich auch eine Strafe. Ob Yugi und Mana ebenfalls etwas derartiges erwartet? „Mach dir keinen Kopf“ hörte ich Yugis Stimme und sah wieder auf. Er lächelte freundlich. „Bei uns ist dein Geheimnis sicher, das weißt du doch.“ „Yugi hat Recht. Warum sollten wir jemandem davon erzählen?“ Ich schmunzelte ob ihrer Verschwiegenheit. Einmal mehr war ich dankbar für ihre Freundschaft. Zumindest dieses Geheimnis konnte ich ihnen anvertrauen, wenn auch unfreiwillig. „Wann ist es denn soweit?“ fuhr Mana fort und strahlte förmlich vor Begeisterung. Jetzt wo sie es ohnehin wissen, kann ich sicher mit ihnen reden. „Wir brechen in drei Tagen auf.“ „So kurz vor deiner Prüfung?“ fragte Yugi erstaunt. „Die ist doch auch schon in ein paar Tagen.“ Stimmt, die Prüfung hatte ich ganz vergessen. Irgendwie muss ich die Zeit finden um dafür zu trainieren. Nur wann? Durch meine vielen Pflichten hatte ich ohnehin zu wenig Zeit. Ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich Manas Frage nur am Rande mitbekam. „Yusei?“ sagte sie und wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht, was mich wieder in die Realität holte. „Seit wann weißt du eigentlich davon?“ wollte sie vermutlich zum zweiten Mal wissen. „Seit gestern.“ „Was?!“ kam es wie aus einem Mund von den beiden. Ich sah sie nur überrascht an. Ehe ich reagieren konnte, redete Mana weiter. „Aber du hast doch kaum Zeit dich vorzubereiten! Weißt du überhaupt wie man sich gegen einen Schutzgeist verteidigt?“ „Warum sollte ich mich gegen einen verteidigen?“ fragte ich verständnislos. „Viele Schutzgeister sind sehr friedlich“ meinte Yugi. „Wenn sie sich nicht mit dir verbinden, verschwinden sie einfach wieder. Aber einige von ihnen verteidigen ihr Revier. Wenn du ihren Weg kreuzt, kann es passieren, dass sie dich angreifen.“ „Davon hat mir niemand etwas erzählt“ sagte ich leise. Weder Madame Tredwell noch König Haou. Allerdings waren unsere Gespräche darüber nur sehr kurz, vieles über die Zeremonie hatte ich aus Büchern erfahren, aber in keinem stand etwas über Angriffe durch Schutzgeister auf Dämonen. „Das passiert auch nicht immer“ sagte Mana. „Mich hat damals nur ein Schutzgeist angegriffen, aber den konnte ich mit einem einfachen Signum Zauber abwehren.“ „Aber Yusei kann keine Magie anwenden“ warf Yugi ein. „Wenn ich mein Schwert mitnehmen darf, dann kann ich mich gegen schwächere Schutzgeister sicher verteidigen.“ „Das sollte kein Problem sein, aber was machst du bei Geistern ab Klasse C oder B? Die sind schon echt stark. Und wenn sie aus der Distanz angreifen, kannst du dich mit deinem Schwert auch nicht verteidigen.“ Ich lachte bitter auf. „Als ob ich so weit kommen würde. Jesse glaubt ohnehin nicht, dass ich mich mit einem Schutzgeist verbinden könnte, weil ich nur ein Mensch bin.“ Wenn überhaupt wird mich vielleicht einer der Klasse D auswählen und selbst dann kann ich keine Magie anwenden, was scheinbar Ziel der ganzen Zeremonie für mich ist. „Das sagt er auch nur, weil er nicht an dich glaubt“ sagte Mana ernst. „Und er glaubt nicht an dich, weil er dich nicht kennt. Wir schon. Und du hast das Zeug dazu, dass dich ein Schutzgeist auswählt!“ Yugi nickte und sah mich ebenso ernst an. „Was sagt denn der König dazu?“ Ich mied seinen Blick, betrachtete den Boden vor mir. „Er sagt ich habe ihn noch nie enttäuscht“ brachte ich leise heraus. Mein Gesicht wurde ganz warm, wenn ich an seine Worte in dieser Nacht zurückdachte. Er sagte ich hätte ein gutes Herz. Ich sah an dem Ausdruck in seinen Augen, dass er es ernst meinte. „Also glaubt er auch an dich“ bemerkte Yugi fröhlich. Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen und ich nickte. Yugi legte seine Hand auf meine und zwang so meinen Blick wieder zu ihm, sah mich mit einem warmen Ausdruck in seinen Augen an. „Dann solltest du anfangen das in dir zu sehen, was wir drei schon die ganze Zeit erkannt haben.“ Kapitel 5: Gebrochener Dämon ---------------------------- Die kalte Luft wandelte unseren Atem in kleine Wölkchen. Das Stampfen der Hufe unserer Pferde hallte als einziges Geräusch über die weitläufige Landschaft. Vor uns erstreckte sich eine Gebirgskette, der größte Berg in der Mitte ragte bis in die Wolken, man konnte seine Spitze nicht erkennen. Ich blickte in den Himmel. Über uns konnte ich die Silhouette von Yubel ausmachen, ihren Blick stets auf uns gerichtet. Seit zwei Tagen waren wir immer weiter gen Norden unterwegs, bald hatten wir unser Ziel erreicht. „Wie war es damals bei Euch?“ fragte ich um meine aufkommende Nervosität zu ersticken. Einen Augenblick überlegte Haou, schließlich schmunzelte er. „Ich fand es war die Hölle“ sagte er und lachte in sich hinein. Sein Schutzgeist tauchte an seiner Seite auf. „Der Aufstieg war furchtbar anstrengend und die Schutzgeister in den höher liegenden Gebieten waren so stark, dass ich flüchten musste, wenn sie mich angegriffen hatten. Mit meiner Ausbildung im Kampf und der Magie war ich damals noch nicht sehr weit, also wusste ich mich nicht gegen so starke Kreaturen zur Wehr zu setzen aber gefolgt sind sie mir glücklicherweise nie sehr weit. Aber als geflügelter Kuriboh mich ausgewählt hatte, war all die Anstrengung ganz vergessen. Als er sich mit mir verbunden hat, war das ein unglaubliches Gefühl.“ Es neigte seinen Kopf zu mir und sah mich amüsiert an. „Nervös?“ Ich schluckte trocken und nickte. Sein Lächeln wurde breiter. „Das ist völlig normal. Jeder, der dieses Ritual hinter sich hat, lügt, wenn er behauptet er wäre entspannt an die Sache rangegangen. Es ist einer der wichtigsten Augenblicke im Leben eines Dämons. Da darf man nervös werden. Aber du bist stärker als ich damals. Du wirst das schaffen.“ Ich seufzte lautlos und betrachtete die Zügel in meiner Hand. Haou hatte anscheinend keinen Zweifel an meinem Erfolg, anders als ich. Als wir abgereist waren, hatten Jesse und sein Onkel Meister Ares noch einmal betont, was für ein sinnloses Unterfangen diese Reise wäre. Als ob sich ein Schutzgeist für einen Menschen entscheiden würde. Meine Fähigkeiten waren auch nicht viel besser als die der meisten Schüler, und die hatten die Zeremonie zum größten Teil noch nicht hinter sich. Außerdem haben auch die Geister den Krieg miterlebt. Keiner von ihnen wird sich mit einem Feind verbinden wollen, denn etwas anderes waren die Menschen nicht. Ob ich auch so grausam wäre, wäre ich bei ihnen aufgewachsen? „Hier sollten werden wir unser Lager aufschlagen“ holte mich die Stimme Haous aus meinen Gedanken und ich sah mich um. Der Nebelberg war bereits in greifbarer Nähe und die Sonne schenkte dem Abendhimmel seine warmen Farben. Während der König die Pferde absattelte und an einem der wenigen Bäume festband, bauten Yubel und ich schweigend das Lager auf. „Hast du eigentlich auch einen Schutzgeist?“ fragte ich zögerlich in die Stille. Für einen Moment stoppte sie ihre Arbeit am Zelt und rührte sich nicht mehr. Es lag eine Trauer in ihrem Blick, die ich vorher noch nie bei ihr gesehen hatte. Schließlich schloss sie ihre Augen einen Moment und atmete hörbar aus. „Nein“ antwortete sie leise. In einer schnellen Bewegung machte sie das Zelt im Boden fest und stand auf. „Ich werde Feuerholz besorgen“ waren ihre letzten Worte, bevor sie mit einem Flügelschlag im Abendhimmel verschwand. Besorgt sah ich ihr hinterher. So kannte ich sie gar nicht. „Die Sache mit ihrem Schutzgeist hat sie bis heute nicht überwunden“ hörte ich Haous traurige Stimmte und drehte mich zu ihm. „Sie hatte also einen?“ fragte ich verständnislos. Soweit ich wusste banden sich Schutzgeister ein Leben lang an ihre Dämonen. Er nickte und ließ einen kleinen Stapel Holz in die Feuerstelle fallen. Während er es mit einem Zauber entflammte, sprach er weiter. „Sie war die einzige Dämonin die ich kannte, die sich mit einem Geist der Klasse S verbunden hatte.“ Erstaunt betrachtete ich den König und setzte mich zu ihm an das knisternde Feuer. Das Licht warf tanzende Schatten in die Umgebung, doch ich betrachtete nur Haous trauriges Gesicht. Anscheinend war er mit seinen Gedanken in diesem Moment an einem anderen Ort. „Ich war noch sehr klein als all das passierte“ sprach er schließlich leise weiter. „Mein Vater hatte mir die Geschichte einmal erzählt. Yubel war damals eine gewöhnliche Dämonin. Ohne Schwingen oder besondere Fähigkeiten. Wenn ich recht überlege, sah sie deiner Freundin Mana ganz ähnlich. Als sie 50 Jahre alt wurde, schickten ihre Eltern sie auf den Nebelberg. Dort hatte sie sich gegen jeder Erwartung mit einem mächtigen Drachen verbunden.“ Ein leidender Ausdruck schlich sich in Haous Augen. „Drachen sind für uns heilige Geschöpfe, doch aus irgendeinem Grund verschwanden sie nach und nach. Yubel hatte sich mit dem letzten Drachen verbunden, der in unserer Welt existierte. Dem Regenbogendrachen.“ Ein kleines Schmunzeln legte sich einen Augenblick lang auf seine Lippen. „Sie war stolz und glücklich ein so wunderbares Geschöpf an ihrer Seite zu wissen. Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Sie wurde als Stolz des Landes im Palast aufgenommen und einem intensiven Training unterwiesen. Als rechte Hand des Königs, meines Vaters. Sie wurde zu seiner engsten Vertrauten und für meine Mutter war sie wie eine Schwester. Kurz nach meiner Geburt änderte sich jedoch alles. Mein Onkel war eifersüchtig auf mich, weil er in der Thronfolge nicht mehr der nächste war. Also ließ er eines Nachts ein Attentat auf mich verüben, als mein Vater eine Weile nicht im Palast war.“ Seine Haltung wurde immer verkrampfter. Er legte die Arme schützend um seine angewinkelten Beine. Seine Stimme wurde leiser. „Meine Mutter starb bei dem Versuch mich zu beschützen. Durch den Tumult wurde Yubel als erste alarmiert und konnte den Attentäter aufhalten, bevor er auch mich umgebracht hätte. Als die Wachen den Raum betraten, war der Angreifer gelähmt und Yubel lag mehr tot als lebendig neben meiner Mutter und hielt mich schützend in ihren Armen. Die Heiler versuchten tagelang sie zu retten, doch sie konnten nichts für Yubel tun. Mein Vater war verzweifelt und suchte Rat bei den Weisen. Er hatte schon meine Mutter verloren und wollte seine engste Vertraute nicht auch noch missen. Die Weisen sagten ihm es gäbe einen Weg sie zu retten, doch es hätte einen hohen Preis. Mein Vater stimmte ohne zu zögern zu, also vollzogen die Weisen ein uraltes Ritual.“ Haou schloss die Augen und atmete tief durch. Sein Blick wanderte in den sternklaren Himmel. „Um Yubels Leben zu retten, opferten sie ihren Schutzgeist und setzten dessen Herz in ihren Körper.“ Meine Augen weiteten sich überrascht. Wenn sie ihren Schutzgeist so geliebt hatte, wollte ich mir nicht vorstellen, wie es sein muss, einen jahrelangen Freund plötzlich zu verlieren, damit man selbst weiterleben konnte. „Sie hatte schwer damit zu kämpfen“ bestätigte Haou meine Vermutung, während er noch immer gen Himmel sah. „Das Ritual war zwar ein voller Erfolg, doch Yubel änderte sich dadurch. Ihre Gestalt passte sich der eines Drachen an, ihre Fähigkeiten stellten die der anderen in den Schatten, doch ihr Herz war gebrochen. Jahrzehntelang teilte sie sich mit ihrem besten Freund einen Körper und plötzlich war sie allein. Die Einsamkeit fraß sie allmählich auf.“ Haous Blick richtete sich wieder auf mich. „Der einzige Sinn in ihrem Leben ist es seitdem, meinen Vater und mich zu schützen. Als mein Vater im Krieg gefallen war, richtete sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf mich. Deswegen ist sie manchmal so gebieterisch. Ich glaube, würde sie mich auch noch verlieren, würde sie das an den Rand des Wahnsinns treiben. Der Verlust ihres Drachen nagt auch heute, hundert Jahre später, noch an ihr. Sobald ich das Thema anschneide, flüchtet sie. Deswegen sprechen wir nicht darüber.“ „Entschuldigt bitte“ sagte ich betrübt. „Das wusste ich nicht.“ Ein trauriges Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Woher auch? Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, nur sprich das Thema lieber nicht mehr an. Es fügt ihr nur unnötig weiteren Schmerz zu.“ Ich nickte, auch wenn ich mir nicht sicher war, dass das wirklich der beste Weg war mit der Sache umzugehen. Kapitel 6: Der Nebelberg ------------------------ Langsam wurde ich wach und versuchte mich in der Dunkelheit zu orientieren. Die tanzenden Strahlen des Feuers außerhalb unseres Zeltes waren die einzige schwache Lichtquelle. Heute war es soweit. Heute sollte ich den Pfad über den Nebelberg beschreiten. Wieder wurde ich nervös. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich schlug die Decke zur Seite und die Kälte die mich mit einem Schlag umfing vertrieb auch die letzte Müdigkeit aus meinem Körper. Leise, um Haou nicht zu wecken, der friedlich neben mir schlief, schnappte ich meine Sachen und verließ das Zelt. Yubel saß am Feuer und warf mir einen kurzen Seitenblick zu, ehe die ihren Blick wieder in die Flammen richtete. „Willst du dich nicht etwas ausruhen?“ fragte ich. „Ich übernehme die Wache für dich.“ „Ich brauche keine Pause“ antwortete sie schlicht. „Aber du brauchst deine Kräfte. Bei Sonnenaufgang musst du aufbrechen.“ „Ich kann nicht mehr schlafen“ sagte ich und setzte mich zu ihr. Am Feuer war es bedeutend wärmer und ich hob meine Hände etwas näher an die Flammen. Stille. Eine ganze Weile waren das Knistern des Feuers und Rascheln des Windes in den Bäumen die einzigen Geräusche. Mein Blick wanderte in den sternklaren Himmel. Direkt über uns war die Sichel eines zunehmenden Mondes. Der laute Sturm meiner Gedanken um das Ritual verzog sich und ich fühlte einen seltsamen inneren Frieden. Ein kleines Schmunzeln legte sich auf meine Lippen. Wenn man von der eisigen Kälte mal absah, war das hier eine wundervolle Gegend. Mein Blick wanderte wieder zu Yubel und mein Lächeln intensivierte sich. Ihre Augen waren geschlossen und der sonst so grimmige Blick war verschwunden. Sie schien friedlich zu schlafen. Anscheinend brauchte sie doch eine kleine Auszeit. Kein Wunder. Sie hatte darauf bestanden die Nacht am Feuer zu verbringen und mein gestriges Angebot die erste Wache zu übernehmen abgelehnt. Nach einer Weile färbte sich der Himmel heller und ich hörte Geräusche aus dem Zelt hinter mir. Schlagartig war Yubel wieder wach und wir sahen in Richtung des Zeltes, aus dem kurze Zeit später Haou stieg. „Guten Morgen“ sagte ich verwundert und betrachtete ihn. In seiner Hand hielt er etwas, das in dünnes Leder eingeschlagen war. „Was ist das?“ fragte ich neugierig. Ein warmes Lächeln legte sich auf seine Lippen und er setzte sich zu uns. Das Lederbündel legte er in meinen Schoß und ich sah ihn verwirrt an. „Guten Morgen“ sagte er und sein Lächeln intensivierte sich. „Und alles Gute.“ Noch immer war ich irritiert, was mir ein leises Lachen von Haou bescherte. Mein Gesicht wurde ganz warm. Ich liebte die seltenen Augenblicke, in denen er lachte. „Hast du deinen Geburtstag wieder vergessen?“ „Oh“ brachte ich nur heraus und mein Gesicht wurde noch wärmer. Stimmt, heute ist mein 18. Geburtstag. Das hatte ich völlig vergessen. Haou schüttelte nur belustigt den Kopf und deutete auf das Lederbündel. „Willst du es nicht öffnen?“ Zögerlich nickte ich und sah zu dem Geschenk. Ich schlug die Seiten des Leders zur Seite und legte etwas Schwarzes frei. Yubel zog neben mir überrascht die Luft ein. „Ich wollte es dir eigentlich erst am Tag deiner Prüfung geben“ sprach Haou, während ich den Inhalt des Geschenks gänzlich freilegte. „Aber heute wirst du es sicher brauchen können.“ Meine Finger wanderten über das weiche Material. Es fühlte sich fest wie Metall an, war aber dünn und biegsam wie Stoff. Irgendwie seltsam. Es entfaltete sich, als ich es anhob und ich sah überrascht zu Haou. „Eine Rüstung?“ fragte ich verwundert. Er nickte. „Es ist eine Mythrilrüstung, die mein Vater vor vielen Jahren entwickelt hatte. Sie war für die Elite unserer Späher gedacht, aber das Material war zu aufwändig in seiner Herstellung. Die Rüstung wurde erst kurz vor Ende des Krieges fertig. Durch ihre Beschaffenheit kann man sich nahezu lautlos bewegen. Gleichzeitig ist das Material so fest, dass keine Klinge es durchtrennen kann.“ Wieder sah ich zu der Rüstung in meiner Hand. Der Brustpanzer, sowie die Arm- und Beinschienen und die Stiefel, die noch in meinem Schoß lagen, waren aus dickerem Material als der Rest. Sie war nicht viel schwerer als mein Alltagsgewand, aber leichter als meine Trainingsrüstung. „Danke“ murmelte ich mit einem Lächeln, konnte meinen Blick aber nicht von der schwarzen Rüstung lösen. Mein Bauch kribbelte angenehm. Ich war so unglaublich dankbar, ich konnte es nicht beschreiben. „Probier sie doch mal an“ antwortete er. Wenig später hatte ich mich umgezogen und bekam das Lächeln einfach nicht aus meinem Gesicht. Diese Rüstung war das erste Geschenk, das ich je bekommen hatte. Natürlich hatte ich immer genügend Kleidung und alle nötigen Materialien und Ausrüstungen für meinen Unterricht, aber das hier war etwas ganz anderes. Etwas Besonderes. Nicht, weil sie einzigartig war, sondern weil ich sie von ihm erhalten hatte. Die Rüstung saß perfekt und ich konnte mich absolut frei darin bewegen. Und dieses Material soll wirklich einer Klinge wiederstehen können? Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Ich trat aus dem Zelt heraus und König Haou nickte zufrieden. „Wir sollten aufbrechen“ bemerkte er. Wir machten uns nicht die Mühe das Lager abzubauen, da Haou ohnehin annahm, dass ich vor Sonnenuntergang nicht zurück sei. Also sattelten wir lediglich die Pferde und ritten auf den Nebelberg zu. Vor einem gigantischen Steintor kamen wir zum Stehen und stiegen ab. „Ab hier musst du allein weitergehen“ sagte der König. Noch einmal holte ich tief Luft und stellte mich direkt unter das Tor. Der Pfad war gut zu erkennen, verlaufen konnte ich mich also nicht, wenn er weiter oben auch so sichtbar war. Ein letztes Mal sah ich zurück. König Haou nickte mir aufmunternd zu, Yubel hatte einen unergründlichen Ausdruck in ihren Augen. Als wolle sie mich zurück halten. Ich richtete meinen Blick wieder nach vorn. Mein Herz schlug in einem so wilden Tempo gegen meine Brust, dass es schmerzte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, versuchte die Nervosität abzuschütteln und setzte meinen Weg allein fort. Mit jedem Schritt flaute die Übelkeit ab, mit jeder Biegung beruhigte sich mein Herz. Yubel und Haou waren schon lang nicht mehr zu sehen. Hier und da stieg ich über einen umgestürzten Baum oder kletterte über einen im Weg liegenden Felsen. Davon abgesehen war der Aufstieg fast schon entspannt. Die abnehmenden Temperaturen spürte ich nur in meinem Gesicht. Mein Körper wurde von der Rüstung angenehm warm gehalten. Als die Sonne bereits im Zenit stand, hörte ich ein Geräusch. Meine Hand legte ich an mein Schwert und sah mich suchend um. Das Rascheln kam aus einem kleinen Strauch, nicht weit von mir entfernt. Der Griff um mein Schwert verstärkte sich, doch ich ließ es noch in seiner Halterung. Plötzlich hüpfte etwas Rosafarbenes aus seinem Versteck. Ein Küken? Große, grüne Augen musterten mich neugierig. Meine Anspannung verschwand. Ein Schutzgeist. Und wie es aussah, war er friedlich. Das Küken legte den Kopf schief, musterte mich einen Augenblick und verschwand so schnell, wie es aufgetaucht war. Unwillkürlich musste ich über meine Nervosität lächeln und setzte meinen Weg fort. Wenn mich ein so kleiner Schutzgeist schon aus der Fassung brachte, konnte das ja noch was werden. Ab und an sah ich weitere Geister. Ihre Reaktionen waren aber immer dieselben. Sie musterten mich kurz und verschwanden wieder. Nach etwa drei Stunden wurde der Aufstieg anstrengender, die Wege steiler und die Geister weniger. Dafür wurde ihre Aura immer stärker. Doch noch immer verschwanden sie, wenn sie mich sahen. Langsam schlichen sich die Zweifel wieder in meine Gedanken, ob mich überhaupt ein Schutzgeist auswählen würde, doch ich schüttelte sie ab. Wenn ich jetzt anfange zu zweifeln, kann ich gleich wieder umdrehen. Wieder tauchte ein Schutzgeist neben mir auf. Eine schwarz gefiederte Kreatur, etwas größer als ich, mit langen, scharfen Krallen. Auch er sah mich abwartend an, doch ich lief langsam weiter. Madame Tredwell sagte doch, ich solle meinen Weg fortsetzen und nicht auf sie zugehen. Doch dieser Geist verhielt sich anders. Er folgte mir. Ob er mich auswählen wollte? Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm. Sah ihn abwartend an. Ein eisiger Wind zog auf und wirbelte Staub vom Boden durch die Luft. Plötzlich schnellte er auf mich zu. Reflexartig zog ich mein Schwert und konnte im letzten Moment seine Klauen aufhalten, die geradewegs auf mein Herz zielten. Ein Schlag seiner mächtigen Flügel und er war gen Himmel verschwunden. Was war das? Ich suchte den Himmel ab, sah mich hektisch um. Achtete auf jede noch so kleine Bewegung, auf jedes noch so kleine Geräusch, doch da war nichts. Alles war still. Mein Herz beruhigte sich langsam wieder. Ist er verschwunden? Hat er mich angegriffen, weil ich stehen geblieben bin? Nein, in dem Fall hätte auch das Küken von vorhin versucht mich zu attackieren. Seufzend steckte ich mein Schwert wieder in die Halterung und ging weiter. „Yusei?“ hörte ich eine mir bekannte Stimme. Verwundert sah ich in die Richtung aus der der Ruf kam. Hinter der nächsten Biegung stand Mai und sah mich ebenso irritiert an wie ich sie. „Was machst du denn hier?“ fragte ich. Ihre Augenbraue erhob sich. „Die Schutzgeistzeremonie. Was soll ich sonst so weit oben auf dem Nebelberg wollen? Aber was will ein Mensch wie du hier? Noch dazu in dem Aufzug.“ Was sollte ich schon sagen? Sie hatte Recht. Es gab keine andere logische Begründung hier zu sein. Aber ich durfte es niemandem erzählen. Schlimm genug, dass Yugi und Mana es herausgefunden hatten. „Warte“ holte mich Mai aus meinen Gedanken und betrachtete mich skeptisch. „Willst du etwa auch versuchen dich mit einem Schutzgeist zu verbinden? Glaubst du wirklich, dass du das schaffen wirst?“ Es bringt nichts es abzustreiten. Ich seufzte und ging an ihr vorbei. „Keine Ahnung“ antwortete ich dabei. „Deswegen bin ich ja hier.“ Stillschweigend folgte sie mir und ich sah unschlüssig über meine Schulter. „Schau nicht so. Es gibt nur einen Pfad, wir haben buchstäblich denselben Weg.“ „Du hattest auch noch keinen Erfolg?“ schlussfolgerte ich. Ein kleines Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Nein, aber ich bin auch nicht böse drum. Je näher man der Spitze kommt, umso stärker werden die Geister. Wenn ich die stärkste Schwertkämpferin der Isekai werden will, habe ich keine Verwendung für einen schwachen Geist.“ Ich sah mich um. In einiger Entfernung beobachtete uns ein gepanzerter Panther mit einem Krummsäbel aufmerksam. Doch seine Körperhaltung ließ nicht vermuten, dass er uns angreifen wollte. „Welche Klasse die Geister hier wohl haben?“ fragte ich gedankenverloren. Mai hatte zu mir aufgeschlossen, ihr Blick war ebenfalls auf den Panther gerichtet. „Keine Ahnung. Vermutlich Klasse C, vielleicht B. Man kann die Spitze dieses verdammten Berges ja noch immer nicht sehen.“ „Bist du eigentlich auf eine bestimmte Kategorie aus?“ „Angriff“ antwortete sie ohne zu zögern. „Ich will stärker werden, und mich nicht besser schützen, also fällt Schild raus. Und mit Magie habe ich nichts am Hut. Was ist mit dir?“ Ich zuckte mit den Schultern. Haou wünschte sich zwar einen Geist der Kategorie Magie für mich, aber ich hatte ohnehin keine Hoffnung, dass das auch klappen würde. Ich wäre schon froh, wenn sich überhaupt ein Schutzgeist mit mir verbinden würde. Egal welcher Kategorie er angehört. Mai verschränkte ihre Arme und blieb stehen. Verwundert drehte ich mich zu ihr. Sie sah mich genervt an. „Also ehrlich, wenn du diesen Weg schon auf dich nimmst, solltest du dir sicher sein was du willst. Deine Unsicherheit geht mir echt auf die Nerven. Was ist der Grund warum du überhaupt einen Schutzgeist haben willst?“ Ich wich ihrem durchdringenden Blick aus. Die Antwort auf ihre Frage war mir selbst ein Rätsel. Vor ein paar Tagen noch hätte ich gesagt, dass es König Haous Wunsch war. Dass ich es nur für ihn versuchen wollte. Aber irgendwie schien mir diese Antwort nicht mehr passend. Ich wollte es nicht mehr nur für ihn, sondern auch aus einem anderen Grund. Aber meine Gedanken waren zu durcheinander, als dass ich hätte sagen können warum. „Warum willst du dich mit einem Schutzgeist verbinden?“ drängte Mai noch einmal. „Warum ist das so wichtig für dich?“ entgegnete ich. Ihr Blick wurde ernst. „Ganz einfach. Wenn du dir nicht im Klaren darüber bist was du willst, wie soll sich dann ein Schutzgeist für dich entscheiden? Die Geister haben die Fähigkeit das wahre Selbst einer Person zu sehen. Ihre Hoffnungen und Ängste. Wenn du selbst nicht weißt wer du bist, wird sich kein Geist mit dir verbinden.“ Wieder wich ich ihrem Blick aus und sah an ihr vorbei. Wer ich bin… Eine schemenhafte Bewegung riss mich aus meinen Gedanken. Mai sah meinen suchenden Blick und drehte sich ebenfalls um. „Was ist denn?“ fragte sie. „Ich weiß es nicht“ murmelte ich und sah mich suchend um. „Ich habe irgendwas gesehen, aber jetzt ist es wieder weg.“ Nicht ein einziges Geräusch deutete darauf, dass sich hinter den Felsen etwas versteckte. Habe ich mir das eben eingebildet? Sie drehte sich skeptisch zu mir. „Wenn du jetzt vom Thema ablenken wolltest, war das ein wirklich trauriger Versuch.“ Plötzlich sprang eine Kreatur mit rasiermesserscharfen Krallen aus den Schatten der Felsen und stürzte direkt auf Mai zu. „Vorsicht!“ schrie ich, überbrückte die kurze Distanz zwischen uns. Hob mein Schwert schützend vor mich. Ich wurde umgerissen und zog Mai mit mir. Ein dumpfer Schmerz an meinem Hinterkopf ließ mich keuchen. Am Boden liegend versuchte ich das Vieh mit meinem Schwert zurückzudrängen. Es war zu stark. Die unzähligen roten Augen, die sich über seinen grünen Körper verteilten waren auf mich gerichtet. Sein faulig stinkendes Maul kam mir bedrohlich nahe. Immer näher drückte es mein Schwert zu mir und ich knurrte leise. Währenddessen wand sich Mai unter uns hervor und brachte atemlos etwas Platz zwischen uns. Mit einem Knacken bildete sich ein gewaltiger Riss in meinem Schwert. Lange würde es nicht mehr halten. Mein Herz raste. Verdammt. Was soll ich tun? Plötzlich gab das Vieh einen markerschütternden Schrei von sich. Es war abgelenkt. Ich winkelte meine Beine an und trat das Monster mit voller Kraft von mir herunter. Rappelte mich auf. Mai stand mit einem entschlossenen Blick an meiner Seite. Ihre Klinge gezückt, an welcher schwarzes Blut in dünnen Rinnsalen auf den Boden tropfte. Sie hatte das Vieh an der Seite verwundet. Kreischend richtete die Kreatur seine volle Aufmerksamkeit wieder auf uns. Erneut griff es uns an, ich wich nach links aus, Mai nach rechts. Ich rammte meine Klinge in die Flanke des Monsters. Mit aller Kraft zog ich an meinem Schwert. Ein erneutes Knacken, dann ein Knall. Ich stolperte rückwärts, konnte mich noch abfangen. Das Vieh sprang weiter nach vorn, wand sich unter seinen Verletzungen, gab noch einmal ein ohrenbetäubendes Kreischen von sich und verschwand in den Schatten der umliegenden Felsen. Außer Atem sah ich mich um. Achtete auf jede Bewegung. Ob es jetzt wirklich verschwunden ist? „Warum hast du mir geholfen?!“ keifte Mai. Ich sah sie irritiert an. Warum war sie plötzlich so sauer auf mich? „Das Vieh hätte dich sonst erwischt. Ich wollte nicht, dass dir etwas passiert.“ „Normalerweise sollten wir unseren Pfad ohnehin selbst beschreiten. Wir dürfen uns nicht gegenseitig helfen!“ „Du hast mir doch auch geholfen“ fragte ich verständnislos. Hätte sie ihre Klinge nicht in dieses Monster gerammt, wäre ich nicht unverletzt aus der Sache rausgekommen. Sie wich meinem Blick aus und steckte ihre Klinge wieder in seine Halterung. „Weil ich… nicht in deiner Schuld stehen wollte. Das ist alles.“ Ich musterte sie skeptisch. Das war nicht ihr eigentlicher Grund, da war ich mir sicher. „Sieh mich nicht so an!“ sagte sie, während sie erhobenen Hauptes an mir vorbei ging. „Wir müssen weiter, ich will nicht warten bis das Vieh wieder zurückkommt!“ Nach ein paar Schritten blieb sie stehen, hatte mir aber noch immer den Rücken zugewandt. „Und… Danke.“ Ich musste unweigerlich schmunzeln. Hinter dieser harten Fassade steckte eigentlich ein wirklich guter Kern. Bevor ich ihr folgen konnte, hörte ich wieder ein Kreischen. Heller. Über uns. Mein Blick wanderte gen Himmel, der Griff um mein Schwert verstärkte sich. Aus den Wolken schnellte eine neue Kreatur auf uns zu. Eine rothaarige Frau mit grünen Flügeln und scharfen Klauen. Meine Muskeln spannten sich an, mein Blick fiel auf Mai. Ich stutzte. Statt sich in Verteidigungsstellung zu begeben, sah sie völlig fasziniert in den Himmel. „Was machst du denn?!“ rief ich um sie aus ihrer Starre zu befreien. Der Geist flog direkt auf sie zu! „Mai!“ versuchte ich sie wieder in die Realität zu holen, doch sie beobachtete weiterhin den Schutzgeist, der direkt vor ihren Füßen landete. Er grinste. Einen nahezu endlosen Moment standen die beiden einfach nur da und sahen sich in die Augen. Schließlich legte sich ein sanftes Lächeln auf Mais Lippen. Noch nie hatte ich sie so lächeln sehen. Auch das Gesicht des Schutzgeistes wurde sanfter. Mai streckte ihren Arm nach dem Gesicht der Frau aus. Plötzlich blendete mich ein unglaublich helles Licht und ich hob die Arme schützend vor meine Augen. „Mai!“ rief ich wieder, doch bekam keine Antwort. Was ist hier los?! Langsam verebbte das Licht und ich nahm die Arme vorsichtig wieder runter. Wo vorher der Geist stand, wurde eine kleine Staubwolke von der sanften Brise weggetragen. „Mai, geht’s dir gut?“ fragte ich und lief auf sie zu. Sie stand regungslos da, die Augen geschlossen. „Was ist passiert?“ fragte ich besorgt, als ich mich direkt vor sie gestellt hatte. Langsam öffnete sie die Augen und sah mich glücklich an. „Das ist unglaublich“ sagte sie mit brüchiger Stimme. Ich sah sie verständnislos an. „Was?“ „Dieses Gefühl… Ich kann es nicht beschreiben. Ich…“ Eine einzelne Träne kullerte über ihre Wange. „Das war immer mein größter Wunsch. Es ist… als wäre die Einsamkeit einfach verschwunden.“ „Einsamkeit?“ Sie nickte und strich sich die Träne aus dem Gesicht. „Nicht so wichtig.“ Neben ihr materialisierte sich wieder der rothaarige Geist und ich sah überrascht zu Mai. „Das ist mein Schutzgeist“ sagte sie glücklich. „Sag Hallo zu meiner schönen Harpyie.“ Mein Blick wanderte zu Mais Schutzgeist und ich lächelte. „Hallo.“ Die Harpyie gab ein unverständliches Kreischen von sich und Mai lachte leise. „Was ist?“ fragte ich verwundert. Sie schüttelte nur den Kopf. „Ich weiß nicht. Es ist, als könnte ich genau verstehen was sie sagt. Als würde ich ihre Stimme in meinem Kopf hören.“ Mein Lächeln intensivierte sich. Ich freute mich wirklich für Mai. Sie sah so unendlich glücklich aus. Warum auch immer sie sich einsam fühlte, ihr Schutzgeist hatte ihr irgendwie geholfen das zu überwinden. Sagte sie nicht, das wäre ihr größter Wusch gewesen? Ich glaube, ich lag die ganze Zeit falsch. In den letzten Tagen wollte ich mich nur mit einem Schutzgeist verbinden um Haous Erwartungen gerecht zu werden. Aber es war anders. Bezogen auf meinen größten Wunsch gab es einen so viel wichtigeren Grund. Ihr Geist verschwand und sie zog ihr Schwert in einer fließenden Bewegung aus seiner Halterung. Reichte es mir und sah mich abwartend an. Ich erwiderte ihren Blick irritiert. „Nimm schon“ sagte sie. „Ich habe mein Ziel erreicht. Aber für dich wäre es besser, wenn du dich weiterhin verteidigen kannst. Mit dem Haufen Schrott in deiner Hand bist du schutzlos.“ Mein Blick wanderte zu dem Schwert in meiner Hand. Die Hälfte der Klinge war abgebrochen, durch den Rest zog sich ein langer Riss bis zum Knauf. Das muss passiert sein, als ich die Klinge nicht aus dieser Bestie herausbekommen habe. Ich könnte es nicht einmal mehr als Kurzschwert gebrauchen. Wahrscheinlich würde sie beim nächsten Schlag in tausende Stücke zerbersten. „Bist du sicher?“ fragte ich und sah sie ernst an. „Was, wenn dieses Monster wieder auftaucht? Dann kannst du dich auch nicht verteidigen.“ Sie schmunzelte. „Ich habe jetzt meine Harpyie. Bis nach Hause wird mir mit ihr nichts passieren. Aber wenn du dich dann besser fühlst, lass uns einfach tauschen. Dann kann ich zumindest einen Schlag parieren, bevor mir das Schwert zerbricht. Und es ist auch nur geliehen. Spätestens zu unserer Prüfung gibst du mir meine Klinge wieder.“ Zögerlich nickte ich und reichte ihr mein Schwert. Als ich ihres annahm, wiegte ich es in meinen Händen. Es war bedeutend leichter als mein eigenes. Die dünne, scharfe Klinge war gut verarbeitet. Ihr Schwert war mehr auf Schnelligkeit und Präzision ausgerichtet, statt auf Kraft. Sollte es wieder zu einem Kampf kommen, musste ich darauf achten. „Gewöhn dich nicht zu sehr daran“ sagte sie mit einem kleinen Lächeln. „Spätestens zu unserer Prüfung bekomme ich es wieder zurück.“ Ich nickte. „Danke.“ Sie winkte ab und wandte sich um zum Gehen. Doch stoppte sie in ihrer Bewegung. „Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet.“ Ich sah ihr verwirrt nach. Was meint sie? „Was ist der Grund dafür, dass du dich mit einem Schutzgeist verbinden willst?“ Ich gab ein belustigtes Schnaufen von mir. Ach das. „Ich… will meine Heimat beschützen.“ Sie warf mir einen fragenden Blick über ihre Schulter zu. „Ich weiß, die meisten Dämonen hegen einen Groll gegen mich. Aber ich glaube sie haben nur Angst. Nicht vor mir, sondern vor den Erinnerungen an den Krieg. Viele von ihnen haben ihr Zuhause verloren, oder Personen, die sie liebten.“ In Mais Augen blitzte ein tiefer Schmerz auf, sie wandte sich mir zu. „Ich will nicht, dass die Dämonen diesen Schmerz noch einmal spüren müssen. Es gibt so viele, denen ich viel zu verdanken habe. Ich will stärker werden um die zu beschützen, die mir wichtig sind. Und die, die bereits so viel verloren haben. Sie und ihre Heimat. Meine Heimat.“ Mit jedem meiner Worte wurden ihre Augen größer. Tränen sammelten sich darin. Wortlos wandte sie sich von mir ab und ging. „Viel Glück“ hörte ich noch ihre leise Stimme. Dann war sie hinter der nächsten Biegung verschwunden. Kapitel 7: Sorgen ----------------- „Er braucht ziemlich lange“ bemerkte Yubel, während die untergehende Sonne immer längere Schatten in die weitläufige Ödnis warf. Ich hatte die Arme verschränkt und sah wie gebannt den geschwungenen Pfad entlang. Wo steckt er nur? Ob er durch die Schutzgeister aufgehalten wurde? Dabei war es recht selten, dass sie angriffen. Ob ihm etwas zugestoßen ist? Er weiß sich zwar zu verteidigen, aber wenn er auf einen Gegner getroffen ist, der im Fernkampf spezialisiert ist, wäre er im Nachteil. Vielleicht ist er auch vom Weg abgekommen. Ich schüttelte die trüben Gedanken ab. Er schafft das. Doch je länger die Schatten wurden, umso größer wurde meine Sorge um Yusei. Bitte lasst ihm nichts passiert sein… „Da kommt jemand" riss mich Yubels Stimme aus meinen Gedanken. Ich atmete erleichtert auf und ignorierte den schiefen Blick meiner Beschützerin. Jetzt hörte auch ich Schritte aus einiger Entfernung und mein Herz schlug schneller. Ob es geklappt hat? Doch meine Hoffnung wich, denn als ich die Person erkannte, war es nicht Yusei, der auf uns zukam. Wenn ich mich recht erinnere, war es eine von Zeros Meisterschülern. Ich beobachtete ihre steife Körperhaltung, als auch sie mich erkannte. Da fiel mir etwas auf und mein Blick verfinsterte sich, was sie schlucken ließ. „Mein König“ sagte sie mit einem leichten Zittern in der Stimme und verbeugte sich knapp, als sie bei uns angekommen war. „Wo hast du das her?“ fragte ich dunkel und deutete auf das zerbrochene Schwert in ihrer Hand. Es war eindeutig das von Yusei, da war ich mir sicher. Sie sah hektisch zu dem Schwert, dann zu mir. Ihre Augen waren angstgeweitet, doch sie versuchte schnell sich zusammenzureißen. „Ich… Ich bin Yusei begegnet. Wir mussten uns gegen einen Schattenkriecher verteidigen und dabei ist sein Schwert zerbrochen.“ „Und warum ist es dann in deinem Besitz?“ Ihre Haltung wurde aufrechter, selbstbewusster. „Ich habe ihm meines geliehen“ sagte sie mit überraschend fester Stimme. Einen Moment lang musterte ich sie ernst, doch sie hielt meinem Blick stand. Schließlich nickte ich. Sie sah unschlüssig zu Yubel, dann zu mir. Vermutlich wusste sie nicht, was sie jetzt machen sollte. Mit einer Handbewegung signalisierte ich ihr, dass sie gehen konnte. Als sie zögerlich an mir vorbeiging, fiel mir etwas ein. „Hattest du Erfolg?“ „Was?“ fragte sie irritiert. Ich drehte mich zu ihr. „Hast du jetzt einen Schutzgeist?“ fragte ich gezielt nach. Zögerlich nickte sie. „Zeig ihn mir.“ Sie blinzelte überrascht, kam aber meinem Befehl nach. Neben ihr materialisierte sich ihr Schutzgeist. Eine Cyberharpyie. Seiner Aura nach zu urteilen sollte es ein Geist der Klasse B sein, also waren sie schon recht weit gekommen. „Und Yusei ist weitergegangen?“ fragte ich. Sie nickte. „Er hatte bisher noch keinen Erfolg, deswegen habe ich ihm mein Schwert gegeben. So wie er aussah, wurde er heute schon öfter angegriffen.“ Dann hatte Madame Tredwell mit ihrer Prognose wohl Recht. Auch die Geister waren erzürnt wegen des Krieges. Es bedeutete nicht zwangsläufig, dass sich kein Schutzgeist mit ihm verbinden würde, aber es steigerte ihr Angriffspotential gegenüber Yusei. Hoffentlich passiert ihm nichts. „Danke“ sagte ich und drehte ihr den Rücken zu. Meinen Blick auf den Pfad jenseits des Steintors gerichtet. Wie seltsam, dass sie ihm geholfen hatte. Unwillkürlich legte sich ein kleines Schmunzeln auf meine Lippen. Die Schritte hinter mir wurden immer leiser, bis sie schließlich verstummten. „Sie gefällt mir“ merkte Yubel amüsiert an. „Aber freut Euch nicht zu früh. Vielleicht ist Euer Schützling auch nur so weit gekommen, weil sich kein Geist mit ihm verbinden will.“ „Schwarzmalerin“ grummelte ich. „Realistin. Glaubt Ihr allen Ernstes, dass er sich mit einem stärkeren Schutzgeist als Klasse B verbinden könnte? Vorausgesetzt es klappt überhaupt bei Menschen.“ „Wieso nicht?“ fragte ich und seufzte lautlos. Diese Diskussion konnte ich langsam nicht mehr hören. Jesse lag mir damit auch ständig in den Ohren. „Nur weil du sein Potenzial nicht erkennst, heißt das nicht, dass die Geister auch so blind sind. Er ist stark, loyal und hat ein gutes Herz. Nenn mir einen Grund, außer, dass er ein Mensch ist, warum er sich nicht mit einem starken Schutzgeist verbinden sollte.“ Stille. Sie schien ernsthaft über meine Worte nachzudenken. Schließlich spürte ich ihren ernsten Blick auf mir und sah sie an. „Ihr habt Recht. Wäre er ein Dämon, hätte ich keinen Zweifel, dass er Erfolg haben wird. Aber seht bitte endlich ein, dass er nur ein Mensch ist. Warum auch immer er Euch so viel bedeutet, Ihr könnt nicht ändern was er ist.“ „Wer weiß schon sicher, dass es bei einem Menschen nicht funktioniert?“ fragte ich. Konnte die Wut nicht gänzlich aus meiner Stimme verbannen. „Die Diskussion ist beendet, Yubel. Du wirst sehen, dass er es schafft. Ich vertraue ihm.“ „Vertrauen“ schnaufte sie und wandte den Blick ab. Eine eisige Windböe wehte über die Landschaft und ließ mich frösteln. Überrascht sah ich auf meine metallene Armschiene. Sanft legten sich kleine Schneekristalle darauf. Ich sah mich um. Während meines Streits mit Yubel hatte ich nicht auf den Wetterumschwung geachtet. Die wenigen Strahlen der untergehenden Sonne wurden langsam von dicken Wolken bedeckt, sodass es bald pechschwarz werden dürfte. „Wir sollten zurück ins Lager“ bemerkte Yubel mit einem besorgten Blick. Ich wusste sie hatte Recht, aber… „Was ist mit Yusei?“ „Er ist nicht dumm. Weiter oben werden sich die Wolken schneller zusammengezogen haben, er hat sicher einen Unterschlupf gesucht. Selbst wenn wir hier bleiben, bald wird es stockfinster und eiskalt sein. Selbst mit Euer Magie könnt Ihr nicht hier ausharren bis er wieder zurück ist.“ Geflügelter Kuriboh tauchte an meiner Seite auf und nickte zustimmend. Verdammt! Ich konnte nichts tun. Widerwillig stimmte ich zu und ging zu den Pferden. Das von Yusei band ich an meinem fest und stieg in den Sattel meines Tieres. Ein letztes Mal noch sah ich zum Pfad, von dem man kaum mehr als das Steintor sehen konnte. Yubel hatte Recht. Er ist klug genug sich einen Unterschlupf zu suchen und die Nacht abzuwarten. Bleibt nur zu hoffen, dass er nicht angegriffen wird. Und, dass er einen geeigneten Unterschlupf findet. Ich schüttelte den Gedanken ab und gab meinem Pferd die Sporen. Er ist einfallsreich. Er wird das Schaffen… Ich vertraue ihm. Kapitel 8: Wolkenwandern ------------------------ „Na toll“ murmelte ich und besah mir die Felswand vor mir. Ich war mir sicher noch auf dem Pfad zu sein, aber egal wo ich hinsah, überall ragten Felswände in die Höhe. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, sollte ich mich beeilen, um noch vor Einbruch der Nacht einen halbwegs sicheren Unterschlupf zu finden. Noch einmal atmete ich tief durch und setzte meinen Weg fort. Durch die Unebenheiten in der Mauer war es eigentlich kein großes Problem zu klettern, doch da ich den ganzen Tag unterwegs war, brannte jeder Muskel meines Körpers während meines Aufstiegs. Nach einigen Minuten begannen meine Beine zu zittern. In den Händen hatte ich kaum noch Kraft und musste mehrmals Pausen einlegen. Plötzlich streifte etwas meinen Rücken und ich stöhnte vor Schmerz auf, klammerte mich fester an die Felswand, um nicht zu fallen. Es war, als hätte mir jemand mit voller Kraft einen Ast gegen den Rücken gedonnert. Irritiert sah ich mich um und entdeckte in einiger Entfernung ein schwarz gefiedertes Ungeheuer mit einem Breitschwert in seinen Klauen. Hatte es mich etwa mit dem Schwert erwischt? Noch einmal dankte ich Haou still für die Rüstung, doch das Monster flog eine Kehrtwende und kam noch einmal auf mich zu. Verdammt! Ich sah nach unten. Den größten Teil hatte ich geschafft. Um abzuspringen und mich zu verteidigen war ich bereits zu hoch. Ich sammelte meine verbliebene Kraft und kletterte weiter. Als das Monster fast bei mir war, presste ich mich so gut es ging an die Mauer und hielt meinen Arm schützend über meinen Kopf. Ein stechender Schmerz an der gleichen Stelle ließ mich aufschreien. Auch wenn die Rüstung mich vor dem gröbsten schützte, der Schmerz war heftig. Das Zittern in meinen Beinen wurde schlimmer. Reiß dich zusammen! Nur noch ein Stück! Ein neuer Schmerz ließ mich zusammenzucken. Ich verlor den Halt meines rechten Beines und rutschte ab. Reflexartig griff ich nach einer Kante. Konnte mich grade noch abfangen. Von oben regnete es kleinere Gesteinsbrocken. Das Vieh hatte mit seinem letzten Schlag die Felswand erwischt. Es half nichts, ich war zu langsam. Mit aller Kraft klammerte ich mich an den kühlen Stein und schützte meinen Kopf vor erneuten Treffern. Irgendwann wird das Monster hoffentlich genug haben, bis dahin musste ich ausharren und hoffen, dass meine Kraft reichen würde. Zwei Mal traf es noch meinen Arm, mit dem ich mich schützte, dann war es still. Der eisige Wind wurde stärker. Vorsichtig löste ich meine starre Körperhaltung und sah mich um. Der wolkenverhangene Himmel wurde dunkler, der Wind stärker, doch von dem Monster war keine Spur mehr zu sehen. Doch um aufzuatmen war es noch zu früh. Ich musste schnell nach oben und mir einen Unterschlupf suchen, ehe der Sturm anfangen würde. Ich bewegte den Arm, mit dem ich eben noch meinen Kopf schützte, und stöhnte schmerzerfüllt auf. Um ihn weniger zu belasten hielt ich mich mit ihm nur auf Brusthöhe ab, damit ich nicht fiel. Mit dem anderen kletterte ich weiter. Endlich hatte ich die obere Kante erreicht und hievte mich schwerfällig nach oben. Schwer atmend drehte ich mich auf den Rücken. Ich hatte es geschafft. Meine Arme und Beine zitterten, mein gesamter Körper schmerzte. Mein Herz hämmerte mit unnachgiebiger Härte gegen meinen Brustkorb, es rauschte schon in meinen Ohren. Der eisige Wind wurde stärker, aber ich konnte mich partout nicht bewegen, um mich in Sicherheit zu bringen. Wie gern würde ich jetzt einfach einschlafen. Nur kurz. Ich spürte die kleinen Eiskristalle, die sich auf meine kalte Haut legten. Meine Lider wurden schwerer. Die dunkle Wolkendecke über mir verschwamm zunehmend zu einer grauen Masse. Plötzlich sah ich einen weißen Schweif. Es sah aus wie… eine Sternschnuppe. Aber das war unmöglich. Der Himmel war wolkenverhangen. Bildete ich mir das nur ein? Ich schloss meine Augen. Mein Herz beruhigte sich. Den kalten Wind spürte ich nicht mehr, sehnte mich nur nach Ruhe. „Du wirst das schaffen. Du hast mich bis heute nie enttäuscht.“ Haou? Ich öffnete die Augen. Das wenige Licht, dass sich seinen Weg durch die schwere Wolkendecke bahnte, blendete mich. Die Kälte fraß sich zunehmend durch meinen gesamten Körper. Ich muss aufstehen. Ich muss mich in Sicherheit bringen. Oder ich werde hier sterben. Mit meiner letzten Kraft drehte ich mich zur Seite um aufzustehen. Mein Körper war mit einer dünnen Schneeschicht überzogen, die durch meine Bewegungen auf den Boden landete. Ich stand auf, ein stechender Schmerz in meinem Arm. Ich hielt ihn fest, setzte einen Fuß vor den anderen und sah mich suchend um. Konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Irgendwo muss ich mich doch vor dem Sturm schützen können. Ich stolperte zur nächsten Felswand und stützte mich daran ab. Der Wind zehrte an meinen Kräften, ich hatte Mühe aufrecht zu stehen. Ich war so weit gekommen, ich konnte doch nicht kurz vor meinem Ziel scheitern und hier sterben. Ich tastete mich an der Felswand entlang und ging weiter. Mehr als einen Schritt weit konnte ich nicht sehen, meine Umgebung wurde durch den Sturm zunehmend schwarz. So konnte ich nur darauf vertrauen eine geschützte Stelle in den Wänden zu finden und nicht in einen Abgrund zu fallen. Ich bog an der Felswand entlang ab, der Wind wurde weniger stark. Anscheinend wurde er durch den Stein abgehalten. Plötzlich verlor ich den Halt und fiel zur Seite. Zog erschrocken die Luft ein, doch schnell hatte ich wieder kalten Boden unter meinen Händen. Der Wind hatte aufgehört, aber ich konnte ihn noch hören. Wieder rappelte ich mich auf und spürte im nächsten Moment einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf. Gekrümmt stand ich da und rieb mir die schmerzende Stelle. Tastete nach oben. Über mir war festes Gestein. Einen Schritt ging ich nach hinten und wurde von einer weiteren Steinwand gestoppt. Ich musste in einer kleinen Höhle gelandet sein. Erleichtert atmete ich auf, lehnte mich an die Wand und glitt nach unten. Zumindest war ich vorerst in Sicherheit, auch wenn ich nichts sehen konnte. Aber wenn ich in dieser Kälte einschlafen sollte, war es das für mich. Die Rüstung konnte mich nicht ewig warm halten und in meinem Gesicht spürte ich vor Kälte kaum noch etwas. Am Boden sitzend wanderte meine Hand zu meiner Gürteltasche. Ich löste sie von der Rüstung und legte sie in meinen Schoß, dann zog ich meine Handschuhe aus. Für alle Fälle hatte ich mir einige Zutaten für Tränke in kleinen Phiolen eingepackt, unter anderem auch für den Ignis Parva Zauber, der eine kleine Flamme für einige Zeit ohne Brennstoffe aufrechterhält. Für den brauchte ich nur drei Zutaten. Eine Messerspitze Feuersalz, zwei Schneebeeren und je nachdem wie lange das Feuer aufrechterhalten werden soll, gemahlene Drachenbaumrinde. Dummerweise musste ich ihn wegen der Dunkelheit jetzt blind mischen. Die Schneebeeren waren durch Tasten nicht schwer auszumachen, die Drachenbaumrinde hatte einen leichten Schwefelgeruch und war somit auch leicht zu finden, aber das Feuersalz war geruchlos, genauso wie das pulverisierte Moos. Letzteres war in Reinform jedoch hoch toxisch, ich hatte es immer nur an der grün-schwarzen Farbe erkannt. In Verbindung mit Drachenbaumrinde setzte es einen Giftnebel frei, der jeden in einem Umkreis von vier Metern lähmte. Darauf ankommen lassen konnte ich es also nicht, ich musste herausfinden in welcher Phiole welche Zutat steckte. Nur wie? Komm schon, streng dich an! Es ist beides geruchlos, an der Farbe kann ich es im Moment nicht erkennen, erschmecken kann ich es auch nicht und beides fühlt sich absolut gleich an. Der letzte Sinn wäre hören, aber das ist lächerlich. Moment… Was hatte Meister Damian damals erzählt? Wenn man Feuersalz extremer Kälte aussetzt, dann… Ich kroch zum Eingang der Höhle und griff mir etwas von dem Schnee. Schnell zog ich die Luft ein. Weil ich keine Handschuhe anhatte, brannte es wie 1000 kleine Nadelstiche auf meiner Haut. Ich legte es auf den Boden und griff mir die beiden Phiolen. Die erste öffnete ich und gab etwas von dem Pulver auf den Schnee, dann hielt ich mein Ohr so nah wie möglich darüber. Bis auf das Heulen des Windes im Hintergrund war nichts zu hören. Ich griff mir die zweite und wiederholte das Ganze. Bitte. Bitte lass es klappen. Ein leises Zischen war zu hören. Ich atmete hörbar aus. Das musste das Feuersalz sein, das mit dem Eis reagiert hatte. Bis auf die drei Zutaten verstaute ich alles wieder in meiner Tasche und fand eine kleine Schale darin. Ich zerdrückte die Beeren in der Schale und gab die gemahlene Rinde dazu. Ich hatte etwa zwölf Gramm dabei, ein Gramm reicht für etwa eine halbe Stunde. Sechs Stunden sollten reichen um mich hier drin warm zu halten. Ich vermengte alles und gab zum Schluss das Feuersalz dazu. Jetzt hieß es einige Sekunden warten, bis sich die Drachenbaumrinde durch das Feuersalz erhitzte. Einen Moment später kniff ich die Augen ob der plötzlichen Helligkeit zusammen und musste mehrmals blinzeln. Die Hände hielt ich ans Feuer und seufzte erleichtert. Ich hatte es geschafft. Jetzt musste ich nur den Sturm abwarten. Hoffentlich dauert er nicht bis morgen an. Ich sah mich um. Die Höhle war recht klein, zu zweit wäre der Platz sicher ausgefüllt. Langsam wurde es wärmer und ich entspannte mich etwas. Der stechende Schmerz in meinem Rücken und meinem Arm meldete sich wieder, aber ich versuchte ihn zu ignorieren. Etwas dagegen unternehmen konnte ich ohnehin nicht. Meine Lider wurden schwer. Plötzlich hörte ich ein Kreischen und schreckte hoch. Mein Herzschlag erhöhte sich schlagartig. Nicht jetzt. Nicht schonwieder! Ich habe keine Kraft mehr… Eine kleine Kreatur stolperte in die Höhle. Sein kompletter Körper war von schwarzen Federn überzogen, am Kopf waren sie grün und wurden zu beiden Seiten länger. Irritiert rappelte sich der kleine Geis auf. Mit großen, roten Augen sah er mich an. Er wirkte nicht angriffslustig, eher… ängstlich. „Schon gut“ sagte ich leise und versuchte mich wieder zu entspannen. „Ich tu dir nichts. Du kannst heute Nacht gern hier bleiben.“ Das kleine Wesen beäugte mich skeptisch und verkroch sich in die gegenüberliegende Ecke der Höhle, recht nah am Eingang. Ich schmunzelte. Anscheinend hatte er Angst vor mir. Sorgen brauchte ich mir seinetwegen also keine zu machen. Mein Magen zog sich zusammen und knurrte laut. Wieder sah ich in meine kleine Gürteltasche. Der wenige Proviant, den ich dabei hatte, reichte nur für einen Tag. Ein Stück Trockenfleisch hatte ich noch. Aber um dieses Problem sollte ich mich morgen kümmern. Ich nahm das harte, zähe Fleisch an mich und brach ein Stück davon ab. Vielleicht sollte ich es mir besser einteilen. Im Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Zaghaft kam die kleine Kreatur näher und sah das Stück Fleisch in meiner Hand an. „Du hast wohl auch Hunger, was?“ fragte ich, ohne mir eine Antwort zu erhoffen. Zu meiner Überraschung nickte der kleine Geist. Ich hielt ihm die Hälfte entgegen und beobachtete amüsiert, wie er langsam zu mir kam. Als er bei mir war, schnappte er sich das Stück mit seiner Klaue und brachte wieder etwas Platz zwischen uns. Ich schnaufte belustigt. Nachdem ich gegessen hatte, versuchte ich mich auf den harten Boden zu legen, ohne, dass mir meine Verletzungen groß Schmerzen bereiteten. Nachdem ich eine halbwegs bequeme Position gefunden hatte, schloss ich meine Augen. Wenigstens ein paar Stunden sollte ich schlafen, auch wenn es in diesem Gebiet riskant war. Aber der Eingang der Höhle war zumindest nicht groß, so war ich vor den meisten Kreaturen hier oben geschützt. Ich döste langsam ein, bis mich etwas in meinem Gesicht berührte. Verwundert öffnete ich die Augen. Der kleine Geist hatte es sich an meinem Kopfende bequem gemacht und breitete einen seiner Flügel über meinen Kopf aus, während er seinen in meine Halsbeuge legte und zufrieden brummte. Wieder musste ich schmunzeln und schloss die Augen. Driftete allmählich in einen traumlosen Schlaf. ~*~ Die Strahlen der aufgehenden Sonne blendeten mich und ich schob meinen Arm schützend in mein Blickfeld. Ich hatte das Gefühl, als könnte ich jeden einzelnen Muskel in meinem Körper spüren. Mein Mund fühlte sich unglaublich trocken an und mein Magen verkrampfte sich. Wenn ich überlege, dass ich diese verdammte Felswand wieder runterklettern musste, wollte ich lieber noch einen Moment liegen bleiben. Aber der harte Boden auf dem ich lag, war kalt und unbequem. Es hilft nichts, ich muss weiter. Ich seufzte ergeben und setzte mich auf. Sah mich einen Augenblick irritiert um. Der Schutzgeist von gestern war verschwunden. Wahrscheinlich hatte er schnell das Weite gesucht, als der Sturm endlich vorbei war. Ich sollte es ihm gleichtun und schnappte meine Sachen um die Höhle zu verlassen. Die warmen Sonnenstrahlen ließen den liegen gebliebenen Schnee funkeln wie tausende Diamanten. Die Wolken waren inzwischen so nah, dass man das Gefühl hatte sie greifen zu können. Ich streckte mich um die Verspannungen in meinem Körper loszuwerden und zog scharf die Luft ein. Meine Verletzungen hatte ich komplett vergessen, doch jetzt meldeten sie sich mit einem stechenden Schmerz zurück. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass es etwas besser wurde. Ich füllte etwas Schnee in meine Feldflasche und hoffte, er würde bald schmelzen. Wo war eigentlich der Pfad? Gestern konnte ich durch den ganzen Schnee kaum etwas erkennen, aber zumindest wusste ich noch, aus welcher Richtung ich kam. Als ich mich auf den Weg machen wollte, hörte ich wieder das helle Kreischen von gestern Abend. Ich sah den Abhang hinunter, aus der ich das Geräusch vermutete, und stolperte einen Schritt zurück, als der kleine Schutzgeist um Haaresbreite gen Himmel an mir vorbeischnellte. Er zog einen Bogen und flog in meine Richtung. Als er vor mir landete, sah ich, dass er etwas in seinen Klauen hielt und zu mir schob. Meine Schale. Stimmt, ich hatte gestern das Feuer darin entflammt und war eingeschlafen. Aber viel mehr überraschte mich, dass sie mit Hochlandbeeren gefüllt war. Gestern war ich zwar an einigen Sträuchern vorbeigelaufen, aber die waren im unteren Teil des Nebelberges. Der Schutzgeist schob die Schale weiter in meine Richtung und flatterte aufgeregt mit den Flügeln. „Sind die für mich?“ versuchte ich sein Verhalten zu deuten. Der kleine nickte eifrig. „Danke“ sagte ich und musste lächeln. War er wirklich den ganzen Weg zurückgeflogen um mir die Beeren zu bringen? Als ich die Schale an mich genommen hatte, hob der Geist ab, zog mit seinen Klauen spielerisch an meinen Haaren, und flog der Felswand entlang wieder nach unten. Ich sah ihm nach, bis seine Gestalt immer kleiner wurde und in den umstehenden Felsen verschwand. Es kam mir gleich komisch vor, dass seine Aura so viel schwächer war als die der anderen Geister auf die ich hier oben getroffen war. Wahrscheinlich hatte er in dem Sturm die Orientierung verloren und suchte deshalb Schutz in der kleinen Höhle. Etwas gestärkt setzte ich meinen Weg fort und fand schon bald den Pfad wieder. Je weiter ich ihm folgte, umso feuchter wurde die Luft. Bald schon bildeten sich kleine Wasserperlen auf meinem Körper, sammelten sich dort und flossen in dünnen Rinnsalen auf den Boden. Einige Meter weit konnte ich sehen, bevor die Umgebung von weißen Schleiern verschluckt wurde. Um mich herum herrschte eine geisterhafte Stille. Ich lief mitten durch die Wolken. Es war wirklich ein faszinierender Anblick. Fast schon hatte ich vergessen wo ich war. Ich musste wachsamer sein. Um im Ernstfall besser reagieren zu können, zog ich das Schwert, das ich von Mai bekommen hatte und hielt es fest in meiner Hand. Zum Glück hatte das Vieh von gestern meinen Schwertarm verschont, sonst hätte ich jetzt wirklich ein Problem. Doch entgegen meiner Befürchtung wurde ich nicht angegriffen. Da ich den Stand der Sonne nicht mehr ausmachen konnte, hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren. Wie weit es wohl noch bis zur Spitze ist? Wie angewurzelt blieb ich stehen. Mein Körper wurde von einer unsagbaren Kälte durchzogen. Ich zitterte. Irgendwo in den Wolken um mich herum hörte ich ein leises Heulen. Eine vertraute Stimme flüsterte meinen Namen. Was geht hier vor? Ich… Ich muss weiter. Wie ferngesteuert setzte ich einen Fuß vor den anderen. Der Pfad. Ich musste auf dem Pfad bleiben. „Yusei“ hörte ich wieder die vertraute Stimme. „Kehr um“ sagte sie immer wieder. Woher kenne ich diese Stimme? Alles in mir wollte stehen bleiben und wieder umkehren, doch ich zwang mich weiterzulaufen. Ich musste weiter. Ich musste mein Ziel erreichen. „Yusei.“ Die Stimme war ganz nah. Plötzlich trat eine Person aus dem Schleier der Wolken. Ich blieb stehen, konnte mich nicht mehr rühren. Die Kleidung des Mannes war sonderbar. Er war ganz in weiß gehüllt, trug dazu einen langen Mantel. Er… sah mir ähnlich. Seine hellen, blauen Augen schienen mich zu durchbohren. Ich… Ich kenne ihn. „Papa?“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, sie wirkte unnatürlich. Als würde sie nicht mir gehören. Ein sanftes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Hallo, mein Junge.“ Ich schüttelte ungläubig den Kopf, setzte einen Schritt zurück. Das kann nicht sein. Das ist unmöglich! „Du bist tot“ sagte ich mit bebende Stimme. Der dicke Kloß in meinem Hals ließ mich schlucken, doch das erstickende Gefühl verschwand nicht. Sein sanftes Lächeln wurde traurig. Er nickte. „Wie kann das sein?“ hauchte ich. „Geister können sich hier oben, am Mittelpunkt der Welten, ihren liebsten offenbaren“ beantwortete er meine Frage. „Ich war immer an deiner Seite, mein Junge. Und das werde ich auch immer sein.“ Er breitete seine Arme aus und sah mich abwartend an, doch ich rührte mich nicht. Irgendetwas war seltsam. Die Wolken zogen sich zusammen, verschluckten die Gestalt meines Vaters. „Komm schon her, mein Junge“ säuselte er aus dem dicken Schleier der Wolken heraus, doch noch immer konnte ich mich nicht bewegen. Als wolle mich irgendetwas davon abhalten. „Kehr um“ flüsterte die Stimme meines Vaters, als wäre sie weit weg. Was geht hier vor? Langsam setzte ich einen Fuß zurück, dann noch einen. Der Schleier lichtete sich und gab die Gestalt meines Vaters wieder Preis. Seine Haltung war die gleiche, doch sein wahnsinniges Grinsen ließ sein Gesicht einer verzerrten Fratze gleichen. Mein Puls erhöhte sich schlagartig, ich stand da wie erstarrt. „Komm her, mein Junge.“ Ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte. Mein Körper reagierte wie von selbst. Was auch immer das war, ganz bestimmt nicht mein Vater. Ich hatte auch keine Lust herauszufinden was sich hinter seiner Maske verbarg. „Yusei!“ rief die Stimme hinter mir wütend. Meine Beine trugen mich automatisch, ich hatte keine Ahnung wohin ich rannte. Hauptsache weg. Durch die dicken Wolken hatte ich meine Orientierung verloren. Plötzlich verzogen sie sich an einer Stelle und ich sah einen Spalt zwischen zwei Felsen. Ohne darüber nachzudenken lief ich darauf zu und quetschte mich durch den engen Eingang. Seitwärts lief ich weiter, folgte dem schmalen Weg zwischen den kühlen Steinen. Ein ohrenbetäubender Knall ließ mich zusammenzucken. Hinter mir klang es, als würden mehrere große Klingen über den Stein kratzen. Das Geräusch ging mir durch Mark und Bein. Der Gang wurde breiter, ich rannte weiter so schnell mich meine Beine tragen konnten. Vor einer Gabelung blieb ich stehen. Ein weiterer Knall hinter mir, die Stimme meines Vaters schrie meinen Namen. Hektisch sah ich die Gänge entlang. Welchen Weg soll ich gehen? Ein warmer Windhauch umspielte meinen Körper, wirbelte den Staub im rechten Gang auf. Instinktiv rannte ich nach rechts. Bis auf meine Schritte, die in dem schmalen Gang von den Felswänden hallten, war nichts mehr zu hören. Ich hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Die Steinwand zu meiner Rechten endete und ich rannte auf eine weitläufige Lichtung. Ich blieb stehen und sah mich um. Die Wand zu meiner Linken führte weiter, doch ihr Ende verlief sich im dichten Nebel der Wolken. Auf der Lichtung sah ich nichts als kargen Boden und einige Felsbrocken. Langsam kroch der dicke Wolkenteppich rechts von mir in meine Richtung. Ich drehte meinen Körper zu ihr. „Warum läufst du davon?“ hörte ich die Stimme meines Vaters. Mein Körper zitterte. Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete ich, wie der Kopf meines Vaters aus dem Nebel tauchte. Er schien zu schweben. Was geht hier vor sich?! Ich taumelte einige Schritte nach hinten, bis mir der kühle Stein in meinem Rücken den Weg versperrte. Der Kopf schob sich aus dem Nebel, ihm folgte ein riesiger, blau-grüner Körper. Es war grotesk. Auf seiner Brust war eine runde, knöcherne Platte, sein Körper war nach unten spitz zulaufend. An seinen breiten Schultern waren ebenfalls knöcherne Platten. Seine riesigen Arme waren mit langen, scharfen Krallen besetzt und auf dem Rücken hatte das Monster zwei gigantische Flügelplatten. Sein gesamter Körper war überzogen mit mal dickeren, mal dünneren, silber-grauen Adern. Lautlos schwebte die Kreatur auf mich zu. Mein Herz raste, mein Atem beschleunigte sich. Seine gewaltige Aura jagte einen kalten Schauer durch meinen Körper. Keine Chance. Gegen dieses Monster konnte ich nicht bestehen. Es war viel zu stark. „Komm zu mir, mein Junge“ säuselte die Stimme. Mein Körper war wie gelähmt, das Zittern wurde stärker, während die Kreatur immer weiter auf mich zu schwebte. Ein helles Brüllen riss mich aus meiner Starre, der Kopf meines Vaters sah gen Himmel. „Was ist das?“ murmelte er. Das war meine Chance! Ich nutzte die Ablenkung und rannte an der Felswand entlang in den dichten Nebel. „Bleib stehen!“ schrie das Monster mit der Stimme meines Vaters, aber ich dachte nicht daran stehenzubleiben. Immer weiter rannte ich über den unebenen Boden, versuchte die Schreie hinter meinem Rücken auszublenden. Plötzlich schoben sich die gigantischen Krallen des Monsters zu beiden Seiten in mein Blickfeld, ich spürte einen warmen Atem im Nacken. Mein Körper wurde von einer Gänsehaut überzogen, kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn, doch ich rannte weiter. „Hiergeblieben“ brummte das Monster. Seine Klauen öffneten sich, bereit zuzupacken. Nein. Ich bin so weit gekommen, ich kann hier nicht sterben! In einer fließenden Bewegung sprang ich auf, drehte mich im Sprung zu ihm, rammte die dünne Klinge zwischen seine Augen, zog das Schwert wieder heraus und landete auf dem Boden. Ohne zurückzublicken rannte ich weiter. Ein wütendes Brüllen. Nach wenigen Metern schoben sich wieder Klauen in mein Blickfeld. Hat ihm das Schwert so wenig ausgemacht? Ich kniff die Augen zusammen und rannte. Mein Weg wurde steiler. Meine Beine brannten. Ein donnernder Knall. Ein qualvoller Schrei. Ich riss die Augen auf, die Klauen waren verschwunden. Was auch immer das war, das Monster wurde wohl aufgehalten. Schnell versuchte ich den Abstand zwischen mir und der Bestie zu vergrößern. Die Wolkendecke wurde heller. Ob ich bald an der Spitze bin? Meine Lunge brannte wie Feuer, meine Beine konnten mich kaum noch tragen, doch ich musste die Spitze erreichen! Ich wollte hier nicht sterben. Ich kniff die Augen zusammen. Die plötzlichen Strahlen der Sonne blendeten mich. Ich stolperte und landete auf dem harten Boden, stöhnte gequält auf. Mit aller Kraft versuchte ich mich aufzurappeln, doch meine Beine versagten mir den Dienst. Stattdessen drehte ich mich auf den Rücken und setzte mich auf. Schwer atmend starrte ich in den dichten Nebel. Das weite Meer aus Wolken um mich herum bewegte sich langsam, wurde mal dichter, mal lichtete es sich wieder. Doch da war keine Spur mehr von diesem Monster. Ob es jetzt endlich vorbei ist? Ein warmer Windhauch umspielte meinen Körper und ich schloss für einen Moment meine Augen. „Gut gemacht“ flüsterte die Stimme meines Vaters im Wind. Was? Ich sah mich um. Eine schemenhafte Bewegung im Nebel. Ich verengte meine Augen zu Schlitzen, um ihren Ursprung auszumachen. In einiger Entfernung erkannte ich die menschliche Gestalt meines Vaters. Ein warmes Leuchten umgab ihn. Auf seinen Lippen lag ein sanftes Lächeln. Langsam dämmerte es mir. Das Flüstern im Wind, der warme Windhauch, der mir den Weg wies. Das war er. Das war mein Vater. Er hatte mich gerettet. Auch ich lächelte ihm entgegen. „Danke“ sagte ich leise. Er nickte und löste sich langsam auf. Verschmolz mit dem dichten Wolkennebel. Traurig sah ich noch eine Weile auf die Stelle an der er verschwunden war. Damals starben meine Eltern hier in der Isekai. Ob sein Geist all die Jahre ruhelos durch diese Welt wanderte? Und was ist mit meiner Mutter? Ob er die ganze Zeit über einsam war? Eine Träne lief mir beim Gedanken daran über meine Wange. Wieder hörte ich das helle Brüllen, das mich auf der Lichtung aus meiner Starre geholt hatte, und sah gen Himmel. Doch da war nichts weiter als eine strahlende, blaue Weite. Zögerlich stand ich auf und drehte mich um. Bis zur Spitze des Berges war es nicht mehr weit. Das gab mir neue Kraft und ich zwang meinen Körper noch etwas durchzuhalten. Der Aufstieg war steil, doch ich begegnete auf meinem Weg glücklicherweise keinem neuen Monster, das mich angreifen wollte. Je näher ich der Spitze kam, umso deutlicher konnte ich meinen Herzschlag spüren. Oben angekommen stand ich auf einer verlassenen Ebene und ging zögerlich in die Mitte. Wo ich auch hinsah, ich war umgeben von einem weißen Meer aus Wolken. An einigen Stellen rissen sie auf und legten den Anblick auf die Landschaft darunter frei. Es war wunderschön und so friedlich. Plötzlich hörte ich Schritte und drehte mich hektisch um. Am Rand der Ebene stand ein Magier in einer violetten Rüstung und beobachtete mich aufmerksam. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Seine Aura war unglaublich stark. Langsam kam er auf mich zu. Sollte er mich jetzt angreifen, hätte ich keine Chance mehr. Er war zu stark und blockierte meinen einzigen Fluchtweg. Plötzlich hob er sein Zepter, wirbelte es durch die Luft und setzte zu einem Schlag an. Ich kniff die Augen zusammen und erwartete den Schmerz, doch da war nichts. Zögerlich hob ich meine Lider. Der Magier sah mich abwartend an. Neben ihm hatte sich ein mannshoher, schwarzer Riss mitten in der Luft aufgetan. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf ebenjenen Spalt. Will er… wirklich, dass ich da durchgehe? Ich schluckte trocken und sah in die tiefe Schwärze, dann wanderte mein Blick wieder zu dem Magier. In seinen violetten Augen lag eine unendliche Ruhe, die mich langsam beruhigte. Er wollte mir nichts Böses. Da war ich mir sicher. Ich nickte ihm zu. Ein letztes Mal atmete ich tief durch und sprang mit einem Satz in die Dunkelheit. Kapitel 9: Das Reich der Schatten --------------------------------- Zögerlich öffnete ich meine Augen. Ich war noch immer auf der Spitze des Nebelbergs, aber alles sah so anders aus. Der Himmel war tiefschwarz, und dennoch war meine Umgebung in ein sanftes, violettes Licht gehüllt. Den Magier, der eben noch so klar an meiner Seite war, erkannte ich nur noch als schemenhaften Schatten. Da war kein Riss mehr, durch den ich hätte nach Hause gelangen können. Wo bin ich? „Willkommen im Reich der Schatten“ sagte eine Stimme. Schnell drehte ich mich zu ihr. Vor mir stand ein Mann in einem weißen Gewand, das ihm gerade bis zu den Knien reichte. Sein königsblauer Umhang umspielte seinen schmalen Körper in der leichten Brise. Der Mann war von oben bis unten mit goldenem Schmuck behangen und lächelte mir freundlich entgegen. Wäre nicht diese dunkle Hautfarbe, ich hätte schwören können, Yugi würde vor mir stehen. „Sprachlos?“ fragte er amüsiert. Schnell riss ich mich zusammen, da ich ihn tatsächlich die ganze Zeit nur angestarrt hatte. „Wer bist du?“ fragte ich. „Mein Name ist Atemu. Ich habe schon auf dich gewartet.“ „Auf mich?“ vergewisserte ich mich irritiert. Er nickte, sein Lächeln intensivierte sich. „Und da ist noch jemand, der dich sehnlichst erwartet hat.“ Plötzlich schnellte eine riesige Kreatur hinter ihm gen Himmel, zog dort seine Kreise. Der strahlend weiße Drache leuchtete förmlich vor dem schwarzen Himmelszelt. Seine Flügel schimmerten wie hunderte Sterne. Er erinnerte im Flug selbst an eine Sternschnuppe. Fast wie die Erscheinung im Schneesturm. Mit dem hellen Brüllen, dass ich von der Wolkenlichtung kannte, kam er auf uns zu und landete elegant direkt vor mir. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Seine gelben Augen fixierten mich. In meinem Körper breitete sich ein wohliges Gefühl aus, das ich einfach nicht zuordnen konnte. Seine mächtige Aura kam mir vertraut vor, ließ mich nicht zurückschrecken. Ich ging auf ihn zu, hob meinen Arm zu seinem Kopf. Ein wohliges Brummen entkam seiner Kehle, er überwand die letzte Distanz zwischen uns und berührte meine Hand. Das gleißende Licht um uns herum blendete mich nicht, ich sah weiter in diese gelben Augen, bis sie schließlich von dem Licht verschluckt wurden. Ich senkte meine Lider und gab mich ganz diesem wohligen Gefühl hin. Als ich meine Augen wieder öffnete, stand Atemu zufrieden lächelnd vor mir. Der Drache war verschwunden, doch ich konnte spüren, dass er noch an meiner Seite war. „Herzlichen Glückwunsch zu deinem Schutzgeist, Yusei“ sagte mein Gegenüber. Moment… Schutzgeist? Ich… Ich habe es geschafft? Ehe ich es realisiert hatte, spürte ich einen brennenden Schmerz in meinem rechten Unterarm und stöhnte gequält auf. Was ist das? Ich sah zu der brennenden Stelle. Irgendetwas leuchtete durch meine Rüstung hindurch. Ich nahm die Armschiene ab und zog den Handschuh aus. Starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das feuerrote Mal, das seine Muster unter meine Haut fraß. „Was ist das?“ keuchte ich. Bei Mai passierte das doch auch nicht. Als das Zeichen nicht mehr größer wurde, hatte es die vage Form eines Drachenkopfes angenommen. Allmählich verebbte der Schmerz. Das Glühen verging, doch das Mal blieb. „Das ist das Mal des feuerroten Drachen“ beantwortete Atemu meine Frage. Ich sah ihn irritiert an. Von diesem Drachen hatte ich noch nie etwas gehört. Und hatte Haou nicht gesagt, dass alle Drachen verschwunden wären? „Du hast sicher viele Fragen“ bemerkte er und strich mit den Fingern sanft über seinen Armschmuck. Ein kleiner Bannkreis erschien darauf, die Insignien waren mir unbekannt. „Aber lass uns dafür an einen etwas gemütlicheren Ort gehen.“ Er berührte meine Schulter, murmelte eine mir unbekannte Formel. Die Umgebung verschwamm, nur die Gestalt Atemus blieb klar. Mein Magen zog sich zusammen, mir wurde übel. Doch bevor das Gefühl schlimmer wurde, klarte die Umgebung zunehmend auf. Ich sah mich um. Wir waren nicht mehr auf dem Nebelberg. Auch hier war alles in violettes Licht gehüllt, doch der Ort kam mir vertraut vor. „Der Palast?“ fragte ich und sah zu Atemu. Er nickte und nahm seine Hand von meiner Schulter. „Für deine erste Teleportation hast du dich gut gehalten“ bemerkte er mit einem amüsierten Schmunzeln und setzte sich auf Haous Thron. Mit einer Handbewegung bedeutete er mir zu ihm zu kommen und ich kam seiner Aufforderung zögerlich nach. Wir sahen in den weitläufigen Thronsaal, als Atemu zu sprechen begann. „Das“ sagte er und schnippte mit dem Finger. Eine schwarze Wolkendecke tauchte an der Decke des Thronsaals auf, aus ihr wand sich die Gestalt eines langen, roten Drachen. „Ist der feuerrote Drache. Er hat die Macht Welten zu zerstören oder zu erschaffen. Wenn seine Macht in die falschen Hände gerät, könnte das verheerende Folgen für diese Welt haben.“ Ein geisterhaftes Heulen entkam der Kreatur, darauf tauchten fünf weitere Drachen auf. Allesamt um ein vielfaches kleiner als er. Einen davon kannte ich, aber er war in der Illusion viel kleiner. „Sternenstaubdrache ist einer von fünf Drachen, auf die der feuerrote Drache seine Kräfte verteilt hat.“ Seine Stimme wurde leiser. „Leider ist er auch der einzige, den ich retten konnte.“ „Vor wem?“ fragte ich irritiert. „Und warum existieren die Drachen überhaupt noch? König Haou sagte, dass der letzte vor hundert Jahren starb.“ Ein trauriges Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Ich sollte wohl ganz von vorn beginnen.“ Mit einer Handbewegung änderte sich die Illusion. Die Drachen verschwanden, stattdessen tauchten Bilder eines kleinen Dorfes auf. Die Menschen, die dort lebten, gingen ihren alltäglichen Arbeiten nach. „Vor 5000 Jahren lebten die Menschen in ihrer Welt in Frieden und Wohlstand. Es fehlte ihnen an nichts. Doch sie wurden habgierig.“ Eine weitere Handbewegung und alles versank in Flammen. Die qualvollen Schreie hallten durch den großen Saal und wurden wie ein Echo verstärkt. „Ihre Welt versank im Krieg.“ Die fünf Drachen aus der vorhergehenden Illusion tauchten aus dem Feuer auf und drängten die Flammen beiseite. Vor jedem erschien der Schatten einer menschlichen Gestalt. „Die Auserwählten der fünf Drachen versuchten den Krieg zu beenden, doch vergebens. Sie konnten das Leid, die Zerstörung und das Elend dieser Welt nicht aufhalten, dafür war es lange zu spät. Es gab unzählige unschuldige Opfer. Um weiteres Blutvergießen zu verhindern, nutzten sie die Macht des feuerroten Drachen.“ Die Schatten hoben ihre Arme, ihre Drachen verschmolzen zu einem Wesen. In einem gigantischen Lichtblitz verschwand er und ich hob die Arme schützend vor mein Gesicht. Als das Licht verschwunden war, nahm ich die Arme wieder runter. Die Umgebung hatte sich verändert, wirkte irgendwie vertraut. Der feuerrote Drache löste sich auf und die fünf Drachen erschienen wieder. An ihrer Seite die Schatten der Menschen. „Der feuerrote Drache erschuf eine neue Welt. Die, die reinen Herzens waren, rettete der Drache vor dem Krieg, damit sie sich in der neuen Welt ein Leben in Frieden aufbauen konnten. Einige nahmen das Angebot an, andere wollten ihre Heimat nicht verlassen und kehrten in die Menschenwelt zurück. Bevor das Portal in die Menschenwelt sich schloss, wurde denen die zurückgingen versprochen, dass sie in der neuen Welt immer willkommen wären.“ Ein paar der Schatten veränderten sich. Ihnen wuchsen Hörner, Flügel oder weitere Gliedmaßen. „Einige der Menschen veränderten sich im Laufe der Zeit. Entwickelten magische Kräfte oder passten ihre Körper der neuen Umgebung an. Ihre Lebensdauer verlängerte sich mit der Zeit sogar von mehreren Jahrzehnten bis zu einigen Jahrhunderten. Eine neue Zeit des Friedens brach herein.“ Wieder veränderte sich die Umgebung. In der Landschaft bildeten sich kleinere Dörfer, dann Städte. Mit großen Augen beobachtete ich die Entstehung des Palasts. „Das war die Geburt der Isekai.“ „Moment“ sagte ich und versuchte die Situation zu begreifen. „Die Isekai ist also von Menschen besiedelt worden? Ich habe so viele Geschichtsbücher gelesen, aber davon wurde nie etwas erwähnt. Und wie konnten sich die Menschen in Dämonen verwandeln?“ „Eine Frage nach der anderen“ sagte Atemu mit einem Schmunzeln. „Ihre Verwandlung geschah schleichend. Sie waren die gesamte Zeit über den letzten Kräften des feuerroten Drachen ausgesetzt und nahmen sie in sich auf. Was deine andere Frage betrifft: Die Geschichte ist im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit geraten. Aufzeichnungen darüber gab es nicht.“ „Aber… was ist mit dir? Warum weißt du so viel darüber?“ Wieder legte sich ein trauriges Lächeln auf seine Lippen. „Das liegt daran, dass ich einer der Auserwählten von damals war.“ Ich sah ihn überrascht an. Er sah nicht viel älter aus als ich, schon gar keine 5000 Jahre. Wie kann das sein? „Im Reich der Schatten altert man nicht“ beantwortete er meine unausgesprochene Frage. „Ich habe nur eine Beobachterrolle. Meine Aufgabe ist es, über die Dämonen der Isekai zu wachen, und im Notfall einzugreifen um den Frieden zu erhalten. Damit diese Welt nicht so endet wie die der Menschen.“ „Aber wie bist du hier hergekommen?“ „Der feuerrote Drache gab mir diese Aufgabe. Das Reich der Schatten ist eine Zwischenwelt. Sie trennt die Isekai von der Welt der Menschen. Auch die Schutzgeister stammen aus diesem Reich. Während der Unruhen vor etwa 3000 Jahren habe ich sie über den Nebelberg in die Isekai geschickt. Sie sollten als eine Art Vermittler dienen, indem sie sich mit jenen verbinden, die Hilfe brauchen. Im Laufe der Zeit ist ein festes Ritual daraus entstanden. Dämonen mit einem starken und guten Herzen verbanden sich sogar mit Drachen und beschützten die, die in Not waren.“ „Und… wo sind die Drachen heute hin?“ fragte ich zögerlich. „Vor 150 Jahren verschwanden einige von ihnen aus der Isekai. Der schwarze Rosendrache, Rotdrachen Erzunterweltler, der schwarz geflügelte Drache und der antike Feendrache. Das sind vier der fünf auserwählten Drachen. Bis ich herausgefunden hatte wer dafür verantwortlich war, war es bereits zu spät. Die übrigen Drachen habe ich hier im Reich der Schatten versteckt. Nur Regenbogendrache wollte auf dem Nebelberg bleiben. Er spürte, dass er noch gebraucht werden würde, und so war es auch.“ „Und wo sind die vier Drachen jetzt?“ hakte ich nach. Er hatte doch erwähnt, dass er es herausgefunden hatte. „In der Menschenwelt.“ Mein Herz setzte einen Schlag aus, ehe es in einem wilden Tempo gegen meine Rippen hämmerte. Wenn die Menschen vier der fünf Drachen hatten, steht ihnen doch ein Großteil der Macht des feuerroten Drachen zur Verfügung! „Keine Angst“ erklang Atemus mitfühlende Stimme. „Solange sie Sternenstaubdrache nicht auch in ihre Gewalt bringen, ist die Isekai sicher.“ Ich sah betreten zu Boden, versuchte mein Herz zu beruhigen. Der Kloß in meinem Hals wollte einfach nicht verschwinden. Noch einmal atmete ich tief durch um die Frage zu stellen, die mir so auf der Seele brannte. „Warum hat mich Sternenstaubdrache ausgewählt, wenn ich nur ein Mensch bin?“ Atemu zog fragend eine Augenbraue hoch, doch ich redete weiter. „Die Menschen haben seine Freunde entführt, einen Krieg angezettelt und tausende Dämonen getötet. Und ich bin einer von ihnen. Warum sollte sich Sternenstaubdrache also für mich entscheiden, wo die Menschen so viel Leid über die Isekai gebracht haben?“ Ein warmes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Vergiss nicht, dass wir alle Menschen waren. Auch die Dämonen sind nicht frei von Schuld. Sternenstaubdrache hat dich ausgewählt, weil du ein gutes und tapferes Herz hast. Wir alle kommen ursprünglich aus der Menschenwelt. Ich habe länger in ihr gelebt als du, und trotzdem hat der schwarze Magier mich als würdig erachtet, nachdem ich die Verbindung zu meinem Drachen lösen musste. Wir sind also gar nicht so verschieden.“ In einem schimmernden Wirbel aus tausenden kleinen Sternen tauchte mein Schutzgeist vor mir auf. Neigte seinen mächtigen Kopf zu mir. Ein warmes Gefühl flutete meinen Körper. Er vertraute mir. Und auch ich sollte mir vertrauen. „Dann sind die Menschen also nicht von Grund auf böse“ murmelte ich mehr zu mir selbst. „Bist du es denn?“ Ich sah ihn fragend an, doch er sprach weiter. „Haou hätte dich damals nicht aufgenommen, wenn es so wäre. Wenn du tief in deinen Erinnerungen gräbst, was siehst du? Was fühlst du, wenn du an deine Familie zurückdenkst?“ Ich stutzte. Gute Frage. Ich dachte nur selten an meine Zeit in der Menschenwelt, meine Erinnerungen waren verblasst. Schließlich war ich noch sehr klein, als ich in diese Welt gekommen war. Aber es gab wenige Momente, an die ich mich erinnern konnte. Wenn meine Eltern mir Geschichten von der Isekai erzählt hatten, waren sie so begeistert. Und wenn ich mit meinen Brüdern zusammen war, selbst wenn ich mich mit ihnen gestritten hatte, war ich glücklich. Ich liebte meine Familie. Ich fühlte mich bei ihnen geborgen. Auch die anderen Menschen, mit denen wir zusammengelebt haben, waren stets freundlich. Für einen kleinen Augenblick musste ich schmunzeln. In meiner Erinnerung waren sie keine Monster. Doch mein Lächeln erstarb. „Warum haben sie dann angegriffen?“ fragte ich und sah Atemu an. Er hielt meinem Blick stand. „Die Antwort auf diese Frage musst du selbst finden, denn den Grund kenne auch ich nicht. Ich kann dir nur berichten, was ich vor dem Krieg gesehen habe.“ Ich nickte. Diese Frage quälte mich all die Jahre. Ich wollte endlich herausfinden, wie es zu dem Krieg kam. „Die ersten Menschen, die in die Isekai kamen, waren fasziniert von dieser Welt. Ihr Portal tauchte weit außerhalb der Stäte auf, und so waren sie nur wenigen Dämonen begegnet. Anfangs waren beide Seiten skeptisch, doch es dauerte nicht lang, da entstand eine tiefe Freundschaft. Die Nachricht vom Erscheinen der kleinen Gruppe Fremder drang erst Wochen später in den Palast. Der damalige König war neugierig, jedoch wachsam. Ich folgte ihm auf seinem Weg bis zum Portal, doch was ich dort sah, überraschte mich, wie es mich auch schockierte. Menschen und Dämonen, die vorher noch friedlich beisammen gesessen hatten, lagen tot auf der blutgetränkten Erde. Wer dafür verantwortlich war, ist auch heute noch ein Geheimnis. Doch beide Seiten nahmen natürlich an, dass die jeweils andere ihre Kameraden getötet hatte. Die Situation eskalierte und führte schließlich zum Krieg. Aber ich habe das Gefühl, dass es dabei um mehr als ihre toten Landsleute ging. Seit Jahren suche ich nach dem fehlenden Puzzleteil, aber ich finde es nicht.“ Ich sah betreten zu Boden, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Dann war der Grund für den Krieg also ein Angriff. Aber von wem? Und warum? Was hätte jemand davon, willkürlich irgendwelche Leute umzubringen? Was war der Grund? Und warum hatte man nicht versucht darüber zu reden? Wenn es nur einen Schuldigen gab, warum dann tausende Opfer in Kauf nehmen? Seine Geschichte warf mehr Fragen auf, als sie beantwortete. Aber wenn es unmittelbar nach diesem Angriff zum Krieg kam, dann… „Das waren meine Eltern, oder?“ fragte ich ohne aufzusehen. „Die, die anfangs am Portal getötet wurden.“ Im Augenwinkel konnte ich Atemu nicken sehen. „Es war eine Gruppe von sechs Menschen. Und ja, unter anderem auch deine Eltern.“ „Und die Dämonen, die gestorben sind? Waren das alle, denen meine Eltern begegnet waren?“ Ich hatte Hoffnung, es gäbe vielleicht noch einen Zeugen, der mir mehr darüber hätte erzählen können. „Ja, leider.“ Ich seufzte lautlos. „Tut mir leid, dass ich dir nicht mehr darüber erzählen kann.“ Ich schüttelte den Kopf. „Jetzt weiß ich zumindest, wie sie gestorben sind.“ Nur leider nicht, wer sie auf dem Gewissen hatte. Und ob derjenige im Krieg gefallen war oder noch lebte. Plötzlich spürte ich eine sanfte Berührung und sah auf. Sternenstaubdrache schmiegte seinen Kopf tröstend an mich. Unwillkürlich musste ich lächeln. Seine Anwesenheit war mir so vertraut, als wäre er schon Jahre an meiner Seite gewesen. Du warst es auch, der mich auf der Lichtung gerettet hatte, nicht wahr? Ein bestätigendes Brummen erklang. Hat er mich etwa verstanden? Er hob seinen mächtigen Kopf und nickte. Mir fehlten die Worte. Es war, als wäre er mit meinem Geist verbunden. Geist… Da fiel mir etwas ein und ich sah zu Atemu. „Ich habe meinen Vater heute gesehen“ sagte ich. Er nickte. „Ich weiß. Ich habe deinen Aufstieg beobachtet. Als du direkt auf das Monster im Nebel zugesteuert bist, hatte ich schon Sorge, dein Schicksal könnte sich nicht erfüllen.“ Mein Schicksal? Doch mir lag eine viel dringendere Frage auf der Zunge. „Wie war das möglich? Und woher wusste dieses Monster wie mein Vater aussah? Bis heute hatte ich selbst geglaubt es vergessen zu haben.“ „Das Monster hat die Fähigkeit die Gestalt einer geliebten Person anzunehmen. Tief in deinen Erinnerungen war noch immer dieses Bild deines Vaters. Genau das hat sich das Monster zunutze gemacht und dich zu sich gelockt. Wären deine Zweifel nicht gewesen, hätte es deine Seele in sich aufgenommen und du wärst verloren gewesen. Aber der Geist deines Vaters hat dir das Leben gerettet. Er und Sternenstaubdrache.“ „Dann hat Sternenstaubdrache das Monster aufgehalten als es mich verfolgt hat?“ sprach ich meine Vermutung aus und sah zu dem Drachen. Ich war so auf meine Flucht konzentriert, dass ich nicht mitbekam, was sich hinter meinem Rücken abgespielt hatte. „Ja“ antwortete Atemu und zog meine Aufmerksamkeit wieder zu sich. „Die Grenzen der Welten verschwimmen auf dem Nebelberg. Dein Drache hat aus dem Reich der Schatten Einfluss auf die Isekai genommen und das Monster aufgehalten, ehe es dich getötet hätte.“ „Aber… warum ist der Geist meines Vaters in dieser Welt?“ „Vielleicht hat er hier noch eine Aufgabe“ mutmaßte Atemu und legte seinen Kopf dabei schief. „Hm.“ Ob seine Aufgabe damit erfüllt war? Wusste er, dass ich ihn eines Tages brauchen würde und wandelte deshalb durch die Isekai? Ich wünschte ich hätte länger mit ihm sprechen können. „Wir sollten dich langsam zurückbringen“ bemerkte Atemu und erhob sich aus dem Thron. Sah mich ernst an. „Nur eines noch. Unser Gespräch und dein Wissen um das Reich der Schatten müssen ein Geheimnis bleiben.“ Ich sah ihn verwundert an, doch er sprach weiter. „Sollte die Information um die Existenz dieser Welt und der Drachen in falsche Hände geraten, wären wir in Gefahr. Du darfst niemandem davon erzählen, auch nicht Haou oder deinen Freunden, verstanden?“ „Was ist mit Sternenstaubdrache?“ fragte ich perplex. Ich konnte nicht verheimlichen, dass ich von nun an einen Schutzgeist hatte. Dafür wussten zu viele von meiner Reise. „Mir ist klar, dass du seine Existenz nicht verheimlichen kannst. Du wirst behaupten, er wäre aus den Wolken aufgetaucht, als du die Spitze erreicht hast. Seit 150 Jahren hat das keiner mehr geschafft, also kann dir auch niemand das Gegenteil beweisen.“ Zögerlich nickte ich. Das war eine weit bessere Lüge als alle, die ich mir hätte ausdenken können. Atemus Gesichtszüge entspannten sich. „Wo das jetzt geklärt ist, werde ich dich wieder nach Hause bringen“ sagte er und berührte seinen Armschmuck. Erneut tauchte der Bannkreis auf. „Es war mir eine Freude dich kennenzulernen. Vielleicht begegnen wir uns eines Tages wieder.“ Kapitel 10: Der letzte Drache ----------------------------- Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe und hatte die Arme verschränkt, während ich seit einer gefühlten Ewigkeit den Pfad entlang blickte. Die Sonne schritt bereits über ihren Zenit und noch immer war keine Spur von Yusei zu sehen. Das ungute Gefühl, dass er in Schwierigkeiten war, wurde immer stärker. Ob er verletzt ist? Normalerweise sollte er längst zurück sein. Diese Warterei bringt mich noch um! Wo steckst du nur? „Das reicht“ bestimmte ich und ging zu meinem Pferd. „Hier zu stehen und zu warten bringt nichts.“ „Wollt Ihr umkehren?“ fragte Yubel irritiert und zog eine Augenbraue nach oben. Ich stieg in den Sattel meines Pferdes. „Ich werde zurück ins Lager reiten und einige Vorbereitungen treffen. In der Zwischenzeit fliegst du den Pfad ab und suchst nach ihm.“ „Aber-“ „Nichts aber!“ zischte ich. „Das ist ein Befehl!“ So schnell wie sie fliegen konnte, sollte es ihr ein Leichtes sein den Pfad bis zur Spitze und zurück auszukundschaften. Selbst zu Pferd war ich viel langsamer als sie. In ihr wütendes Gesicht mischte sich Sorge. Innerlich seufzte ich. Natürlich wollte sie mich nicht allein lassen. Meine Gesichtszüge entspannten sich. „Mir passiert nichts“ versuchte ich sie zu beschwichtigen. Mein Schutzgeist tauchte neben mir auf. „Geflügelter Kuriboh ist der mächtigste Schild den es gibt. Selbst ein Drache könnte mir keinen Schaden zufügen, das weißt du.“ Sie schnaufte. „Wie Ihr wollt.“ Ihr Blick war ernst, doch ihre Stimme verlor den wütenden Unterton. „Aber gebt trotzdem auf Euch acht! In ein paar Stunden bin ich zurück, dann treffen wir uns wieder hier!“ Mit diesen Worten breitete sie ihre mächtigen Schwingen aus und war mit einem Satz in der Luft. Einen Wimpernschlag später war sie hinter der ersten Biegung des Nebelpfades verschwunden. Einen Augenblick sah ich ihr noch nach, dann trieb ich mein Pferd Richtung Lager an. So lange wie Yusei brauchte, wurde er sicher in einige Kämpfe verwickelt. Das Mädchen von gestern hatte mir diese Befürchtung bereits bestätigt. Auch wenn seine Rüstung den Hieben eines Schwerts standhalten konnte, es war immer noch eine leichte Rüstung. Den Aufprall würde Yusei abbekommen. Er war sicher verletzt, das hatte ich im Gefühl. Dazu kam noch, dass sein Proviant sicher aufgebraucht war, und weiter oben wuchs kaum etwas Essbares. Das in Verbindung mit dem schwerlichen Aufstieg und etwaigen Auseinandersetzungen mit den Geistern… Er war sicher erschöpft. Im Bestfall. Hoffentlich ist er nicht… Ich schüttelte den Gedanken ab, bevor er sich in mein Bewusstsein schleichen konnte. Er ist am Leben. Ganz sicher. Ich trieb mein Pferd schneller an, bald schon hatte ich mein Ziel erreicht. Am Lager angekommen, schlüpfte ich in das Zelt und machte etwas Platz. Breitete eine der Decken in der Mitte aus. In meiner Tasche kramte ich nach einem Stück Kreide und zeichnete einen Bannkreis um die Decke herum, beschriftete ihn mit einigen Insignien. Sollte Yusei schwer verletzt sein, wollte ich keine Zeit verlieren. Hier drin wären wir vor den Witterungen geschützt, das nahm mir einige Probleme ab, die auftreten könnten. Zum Beispiel einen Schneesturm wie letzte Nacht. Mit den Insignien nahm ich mir Zeit, ich wollte nichts übersehen. Ich konnte mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal einen Heilzauber wirken musste. Schließlich ging ich einen Schritt zurück und betrachtete mein Werk. Das sollte klappen. Außerhalb des Zeltes betrachtete ich den Stand der Sonne. Die Vorbereitung des Bannkreises hatte mich einiges an Zeit gekostet, aber ich hatte dennoch genug, bis Yubel zurückkehren würde. Um mich etwas abzulenken und nicht wieder in meine trüben Gedanken zu fallen, sammelte ich das Feuerholz für die Nacht. Eigentlich hatte ich geplant heute wieder aufzubrechen, damit ich so schnell wie möglich meine liegen gebliebenen Aufgaben im Palast erledigen konnte, doch ich bezweifelte, dass wir das schaffen würden. Wieder kam mir meine Abmachung mit Jesse in den Sinn. Es stimmt, wenn ich mich nicht um Yuseis Trainingsplan kümmern müsste, würde mir das einiges an Arbeit ersparen. Und lieber vertraute ich ihn Jesse an, als ihn in Ares‘ Hände zu legen. Seine Loyalität gegenüber unseres Reiches war zweifellos, doch ich konnte ihn nicht ausstehen. Ich seufzte und stapelte das Holz neben die Feuerstelle. Ich hatte Yusei noch immer nicht davon in Kenntnis gesetzt. Wann bin ich eigentlich so feige geworden? Aber mein Entschluss stand fest. Es war schon alles vorbereitet. Ein Teil von mir sträubte sich heute noch gegen den Plan, auch wenn er absolut logisch war. Warum? Ich schüttelte den Gedanken ab, sattelte mein Pferd. Wie er es wohl aufnehmen wird? Beim Gedanken an seinen traurigen Blick aus diesen warmen, blauen Augen verkrampfte sich mein Magen unangenehm. Jetzt reiß dich schon zusammen! Ich ritt los. Der kalte Wind in meinem Gesicht beruhigte meine angespannten Nerven. Hoffentlich brauche ich den Heilungszauber nicht. Allerdings schien mir diese Hoffnung vergebens. Am Steintor angekommen, suchte ich den Himmel ab, doch von Yubel war keine Spur. Ich hatte es also vor ihr zurückgeschafft. Ich stieg von meinem Pferd ab und band es neben dem von Yusei wieder an. Einen Augenblick betrachtete ich die Zügel des zweiten Rosses. Schließlich band ich sie vom Baum ab und befestigte sie am Sattel meines eigenen Pferdes. Wenn Yusei verletzt sein sollte, würde mir diese Aktion ein wenig Zeit ersparen. Ich wollte den Gedanken verbannen, aber es gab keine andere Erklärung dafür, dass er noch nicht zurück ist. Wieder wanderte mein Blick gen Himmel. Die wenigen Wolken hingen wie ein weißer Schleier auf dem Nebelberg. Solange ich denken konnte, hatte ich nie seine Spitze gesehen. Davon abgesehen war der Himmel strahlend blau. Die tiefstehende Sonne würde ihn bald in seine warmen Farben tauchen. Eine Bewegung im Augenwinkel zwang meinen Blick zurück zum Pfad. Mein Herzschlag nahm deutlich zu. Hat Yubel ihn gefunden? Meine Beschützerin landete vor mir und sah mich ernst an. Hektisch suchte ich den Pfad hinter ihr ab, doch sie war allein. Ich brauchte einen Augenblick um mich zu sammeln. Versuchte den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken, aber es brachte nichts. „Wo ist er?“ fragte ich und versuchte meine Stimme fest klingen zu lassen. In ihrem Blick lag Schuld. „Ich weiß es nicht“ gestand sie. Ich schüttelte irritiert den Kopf. „Wie du weißt es nicht? Bist du dem Pfad bis zur Spitze gefolgt? Was ist passiert?“ „Ich habe den kompletten Pfad bis zur Spitze abgesucht, aber er war nirgends zu sehen! Hier und da gab es Spuren von Kämpfen, aber auch da war er nicht. Auf meinem Rückweg habe ich sogar abseits des Pfades gesucht. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.“ Mit jedem ihrer Worte weiteten sich meine Augen. Wie ist das möglich? Wo steckt er? Yubel sah mich unschlüssig an. Als wolle sie mir noch etwas sagen, doch sie schwieg. Mein Blick wurde ernst. „Was hast du noch gesehen?“ Sie wich meinem Blick aus, schien zu überlegen. „Yubel!“ sagte ich streng um sie zum Antworten zu bewegen. Schließlich seufzte sie. „Es hat nichts mit ihm zu tun.“ „Was hast du gesehen?“ drängte ich. „Ich weiß es nicht!“ entgegnete sie aufgebracht. Sah mich mit einer Mischung aus Zorn und Leid an. Was ist nur passiert? So hatte ich sie lange nicht mehr erlebt. Das letzte Mal als… Ich schüttelte den Gedanken ab und seufzte lautlos. „Na schön. Aber wo könnte Yusei dann stecken? Er kann nicht einfach verschwinden, das ergibt keinen Sinn.“ Yubel schien sich langsam zu beruhigen. „Auch wenn es keinen Sinn ergibt, er ist nicht auf dem Nebelberg. Die einzige Erklärung ist…“ Sie brach ab, sah mich prüfend an. „Was?“ hakte ich ungeduldig nach. „Im Wolkennebel wandelte eine riesige Kreatur. Sie war verwundet. Die Kampfspuren dort waren die deutlichsten, vielleicht wurde er-“ „Er ist am Leben!“ beharrte ich. Er ist nicht tot. Er kann nicht tot sein. Ich weiß es einfach. „Haou…“ Ich wandte mich von ihr ab, ballte meine Hände zu Fäusten. Er ist noch irgendwo da oben, warum hat sie ihn nicht gefunden? „Ich werde selbst nach ihm suchen“ beschloss ich. „Das kann nicht Euer Ernst sein!“ entgegnete sie aufgebracht. „Er ist nicht dort! Ich habe alles abgesucht. Es hat keinen Zweck, vertraut mir!“ „Ich vertraue dir“ murmelte ich, drehte mich langsam zu ihr. Konnte das Leid in meinem Blick nicht verstecken. „Aber ich will es mit eigenen Augen sehen.“ Sie musterte mich einen Augenblick, schließlich nickte sie zerknirscht. „Na schön, ich kann Euch sowieso nicht aufhalten. Aber es wird bald dunkel. Bei Sonnenaufgang können wir immer noch überlegen was wir als nächstes tun.“ Ich wusste bereits was mein nächster Schritt sein würde, aber ich wollte mich nicht mehr mit Yubel streiten. Dafür hatte ich einfach nicht die Kraft, zu groß war die Sorge um ihn. Die tief stehende Sonne warf lange Schatten in die weite Ödnis. Langsam trottete mein Pferd in Richtung des Lagers, Yubel saß auf dem von Yusei und warf mir immer wieder einen unschlüssigen Blick zu. Mein Kopf war wie leer gefegt. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sah nur auf die Mähne meines Pferdes, ohne sie eigentlich wahrzunehmen. „Was zum…“ murmelte Yubel und ich sah zu ihr. Sie sah aus, als hätte sie einen Geist gesehen. Fragend folgte ich ihrem Blick und konnte meinen Augen nicht trauen. In der Feuerstelle unseres Lagers brannte eine Flamme, daneben saß ein Mann in einer schwarzen Rüstung und wärmte sich am knisternden Feuer. Sein Blick wanderte in unsere Richtung, ich trieb mein Pferd schneller an, er stand auf, kam in unsere Richtung. Yusei. Wie ist das möglich? Eine tonnenschwere Last fiel von meinem Herzen. Wo kam er auf einmal her? Hastig stieg ich vom Pferd und überwand die letzte Distanz zu ihm. Erst als ich mir sicher war, dass er nicht ernsthaft verletzt war, machte ich meiner Wut Luft. „Bist du verrückt?“ wetterte ich. Schlagartig wich er zurück und ließ die Schultern hängen. „Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht! Was machst du hier?! Wieso bist du nicht über den Pfad zurückgekommen? Von woher kommst du eigentlich?“ Es war mir völlig unbegreiflich, wie er es geschafft hatte ins Lager zurückzukehren, ohne, dass Yubel oder ich etwas bemerkt hatten. Er hätte unweigerlich an einem von uns vorbeigehen müssen. „I-Ich. Es tut mir Leid…“ stotterte er und sah betroffen zu mir auf. „Sag schon, wie hast du das geschafft?“ hakte Yubel nach, die jetzt neben mir stand, die Arme verschränkt. „Ich…“ Yusei sah unschlüssig zwischen mir und meiner Beschützerin hin und her, schließlich atmete er tief durch und schloss seine Augen. Im nächsten Moment tauchte aus einem Wirbel von tausend kleinen Sternen ein weißer Drache hinter ihm auf. Sein helles Brüllen ließ mich zurückweichen, während er seine schimmernden Schwingen schützend über Yusei legte. Seine gelben Augen beobachteten jede meiner Bewegungen. Mit seinen scharfen Klauen wäre er zweifellos in der Lage mich in der Luft zu zerfetzen, wäre mein Schutzgeist nicht. Yubel ging neben mir ehrfürchtig in die Knie, konnte ihren Blick nicht von dem schlanken Drachen lösen. „Ich bin zurückgeflogen“ ertönte Yuseis unsichere Stimme. Sein Blick war gesenkt. Ich atmete hörbar aus. Das würde einiges erklären, aber dennoch hätten wir es bemerken sollen, der Himmel war schließlich klar. Die ganze Sache ergab keinen Sinn. „Wie ist das möglich?“ fragte ich leise und sah wieder zu dem Drachen. Sie waren doch alle verschwunden. Schon seit mehr als hundert Jahren. „Er…“ Wieder sah ich zu Yusei. Er mied meinen Blick noch immer. „Er ist einfach aus den Wolken aufgetaucht, als ich die Spitze erreicht hatte.“ Er hat die Spitze erreicht? Dann bedeutet das… Meine Augen wurden immer größer. Wie gebannt sah ich zu Yusei. „Ist das etwa dein Schutzgeist?“ Endlich sah er zu mir und nickte zaghaft. Ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Das… ist Sternenstaubdrache.“ Sein Schutzgeist ist ein… Drache? Ein wahrhaftiger Drache? Ich schüttelte verständnislos den Kopf. „Aber sie sind doch verschwunden“ murmelte ich. Wieder mied er meinen Blick, zuckte mit den Schultern. „Anscheinend gab es doch noch einen, der übrig war.“ Ich konnte es nicht fassen. All die Jahre dachten wir die Drachen wären verschwunden, und jetzt stand einer direkt vor mir. Noch dazu als Yuseis Schutzgeist. „Gab es noch mehr?“ fragte ich neugierig. Als Antwort schüttelte Yusei nur den Kopf. Dann war Sternenstaubrache also der letzte seiner Art? Kurz hatte ich Hoffnung es gäbe noch mehr. „Deine Reise war sicher abenteuerlich, nicht wahr?“ sagte ich um die gespannte Stimmung zu lösen. Er schnaufte belustigt und sah mich wieder an. „Kann man so sagen, ja.“ „Du kannst wirklich stolz auf dich sein. Vor allem auf deinen Schutzgeist.“ Sein Lächeln intensivierte sich, er nickte. „Das bin ich.“ Der Drache löste sich auf, verschwand allmählich im Nichts. „Ein Klasse S Schutzgeist“ sagte ich und stemmte einen Arm in die Hüfte. „Das ich das nochmal erleben darf. Und dann auch noch ein Drache. Soweit ich weiß, gehören Drachen allen Kategorien an. Angriff, Schild und sogar Magie.“ Mit diesem Schutzgeist, sollte ich mir nie wieder Sorgen machen müssen, dass ihm etwas zustoßen könnte. Laut Madame Tredwell könnte er jetzt sogar Magie anwenden. Yuseis Lächeln verschwand, stattdessen sah er bedrückt zu Boden. „Was ist los?“ fragte ich und ging auf ihn zu. Blieb direkt vor ihm stehen. „Ich…“ Seine Hände ballten sich zu Fäusten, ich konnte die Anspannung in seinem Körper förmlich sehen. „Ich muss Euch wegen der Sache mit der Magie wohl enttäuschen.“ Fragend zog ich eine Augenbraue hoch, doch er sprach weiter. „Ich habe versucht den Heilzauber im Zelt zu wirken, aber es hat nicht geklappt. Dann habe ich einen einfacheren Zauber probiert, aber das hat auch nicht funktioniert. Es tut mir Leid. Ich kann keine Magie anwenden.“ Ich legte meine Hand unter sein Kinn und zwang seinen traurigen Blick zu mir. „Glaubst du wirklich, du hättest mich enttäuscht?“ Sein verständnisloser Blick war mir Antwort genug. Ich seufzte lautlos. „Yusei, selbst wenn du mit einem Klasse D Schutzgeist zurückgekehrt wärst, wäre ich nicht enttäuscht gewesen. Und selbst ohne Schutzgeist hätte ich dich keinen Kopf kürzer gemacht. Aber sieh nur was du geschafft hast.“ Ein sanftes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Selbst wenn das mit der Magie nicht klappt, ich hätte nicht stolzer auf dich sein können als ich es im Moment bin. Ich bin einfach nur froh, dass dir nichts passiert ist.“ Ich konnte Yuseis Gesichtsausdruck einfach nicht deuten. Ob er mir nicht glaubt? Ich nahm meine Hand von seinem Kinn und legte meine Arme um seinen Körper. Drückte ihn sanft an mich. Plötzlich zuckte er zusammen und zog scharf die Luft ein. Sofort löste ich mich von ihm und sah ihn ernst an. „Du bist verletzt“ stellte ich fest. „Es ist nicht mehr so schlimm“ sagte er kleinlaut. Er war unbelehrbar. „Komm.“ Ich nahm sein Handgelenk und zog ihn Richtung Zelt. Erst als ich mir sicher war, er würde mir auch so folgen, ließ ich seine Hand wieder los. Nachdem er hinter mir hineingeschlüpft war, schloss ich den Eingang, dann sah ich ihn ernst an. „Zieh deine Rüstung aus“ bestimmte ich, während ich meine Handschuhe auszog. Schließlich musste ich mir erst einen Überblick über seine Verletzungen verschaffen. Zögerlich kam er meiner Anweisung nach und legte seine Rüstung ab. Immer weitere Verletzungen legte er dabei frei. Zahllose Blessuren zeichneten seinen Körper, sein linker Arm war mehr blau als alles andere. Als ich mit meinem Blick jedoch zu seinem rechten Unterarm wanderte, stutzte ich. „Was ist das?“ fragte ich und führte seinen Unterarm näher zu mir. Wieder wich er meinem Blick aus und zuckte mit den Schultern. „Das tauchte auf, als ich mich mit Sternenstaubdrache verbunden habe.“ Sanft glitten meine Finger über das rote Mal. Zumindest schien es ihm keine Schmerzen zu bereiten. Es war absolut eben, als wäre es schon immer da gewesen. Seltsam. So ein Phänomen war mir bis Dato unbekannt, aber vielleicht hatte es etwas damit zu tun, dass er sich mit einem Drachen verbunden hatte. Ich sollte Yubel später dazu fragen. Ich ließ seinen Arm wieder los und ging um ihn herum. Über seinen Rücken zog sich ein breiter, dunkler Streifen. Irgendwas hatte ihn dort hart erwischt. Erneut ließ ich meine Finger darüber gleiten, augenblicklich zuckte Yusei zusammen. So wie es aussah, waren auch einige Knochen betroffen. „Wie ist das passiert?“ fragte ich und deutete ihm dabei, dass er sich auf die Decke legen sollte. Ich hatte genug gesehen um den Heilzauber zu wirken. Während er sich auf den Bauch legte, gab er mir seine knappe Antwort. „Ein Breitschwert.“ Fragend legte ich die Stirn in Falten. „Wie oft hat es dich getroffen?“ „Drei Mal am Rücken und zwei Mal am Arm.“ „Hast du dich nicht gewehrt?“ fragte ich irritiert, während ich mich neben ihn kniete. „Ich musste klettern“ murmelte er. Er sah aus, als würde er jeden Moment einschlafen, aber das war verständlich. Die letzten beiden Tage waren zweifellos anstrengend gewesen. Ich sprach die Formel für den Heilzauber und bezog die passenden Insignien darin ein, während sie zusammen mit dem Bannkreis begannen zu leuchten. Dabei konzentrierte ich mich vor allem auf die Verletzungen an seinem Rücken. Während ich den Zauber wirkte, beobachtete ich, wie die Verletzungen, die seinen Körper überzogen, langsam verblassten, bis sie schließlich gänzlich verschwanden. Ein erleichterter Seufzer entkam Yusei und ließ mich schmunzeln. So wie er aussah, war er längst ins Reich der Träume versunken. Als ich fertig war, löste sich der Bannkreis auf und hinterließ tiefe Dunkelheit. Einzig das spärliche Licht der Flammen warf tanzende Schimmer in das Zelt. Als sich meine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnt hatten, betrachtete ich Yuseis friedliches Gesicht. Seine Geschichte warf so viele Fragen auf. Und so oft wie er meinen Blick gemieden hatte, war ich nicht sicher, ob er mir wirklich die Wahrheit gesagt hatte oder etwas verheimlichte. Ein guter Lügner war er nie. Allerdings brachte es nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich musste auf den Morgen warten und noch einmal mit ihm sprechen. Behutsam, um ihn nicht zu wecken, legte ich eine weitere Decke über ihn und verließ das Zelt. Draußen saß Yubel am Feuer und sah in die tanzenden Flammen. Ihr Blick lag in der Ferne. Sie zeigte nicht mal eine Reaktion als ich mich zu ihr setzte. „Verrückt, meinst du nicht auch?“ sagte ich irgendwann leise in die Stille. Einzig ein leichtes Nicken verriet mir, dass sie mich verstanden hatte. „Ist alles in Ordnung?“ Wieder ein Nicken. „Was hältst du von seiner Geschichte?“ Einen Augenblick überlegte sie, schließlich gab sie mir ihre Antwort. „Irgendwas stimmt nicht. Mein Drache hat mir damals erzählt, dass er der letzte seiner Art wäre. Und jetzt taucht ein neuer Drache auf und behauptet genau das gleiche?“ Ich nickte. „Und selbst wenn das stimmt, wie ist er ins Lager zurückgekommen? Wir hätten es wohl beide gemerkt, wenn über unseren Köpfen ein Drache geflogen wäre.“ „Hm.“ Wieder hing sie ihren Gedanken nach. Ich musterte schweigend ihr Gesicht. Irgendetwas hatte sie mir am Steintor verheimlicht, und ich hatte das Gefühl, dass es mit dieser Sache zusammenhängen könnte. „Was hast du auf der Spitze gesehen?“ fragte ich deshalb behutsam. Für einen Moment presste sie ihre Lippen aufeinander. „Ich weiß es wirklich nicht. Dort stand ein Schutzgeist in violetter Rüstung, ein schwarzer Riss hatte sich neben ihm aufgetan. Ähnlich wie die Portale damals im Krieg, aber die Energie war eine andere. Irgendwie vertraut. Außerdem… habe ich eine Bewegung gesehen. Irgendwas ist durch den Riss gesprungen, aber ich weiß nicht was. Ich bin erst in diesem Moment oben angekommen.“ Ein schwarzes Portal? Davon hatte ich noch nie gehört. „Was ist dann passiert?“ Sie sah mich an. „Der Riss ist verschwunden und der Schutzgeist hat sich im Nichts aufgelöst.“ Seltsam. Ein Schutzgeist der sich im Nichts auflöst steht eigentlich immer in Verbindung mit einem Dämon. „Und da war niemand außer diesem Schutzgeist auf der Spitze?“ Sie schüttelte den Kopf. „Warum hast du mir das nicht gleich erzählt?“ fragte ich und versuchte dabei meine Stimme nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen. „Ich wusste nicht was es damit auf sich hat. Ich dachte, dass es einfach eine Erscheinung wäre. Auf dem Nebelberg ereignen sich manchmal seltsame Phänomene. Und diese Energie… Ich kenne sie. Aber ich weiß nicht woher.“ „Meinst du, das hat etwas mit Yusei zu tun?“ Einen Augenblick überlegte sie. „Ich weiß es nicht. Vielleicht sprecht Ihr morgen mit ihm, wenn wir zum Palast aufbrechen.“ Seufzend bettete ich mein Gesicht in meine Hände. Was geht hier vor sich? Statt Antworten zu erhalten, häufen sich nur noch mehr Fragen. Die ganze Geschichte passt einfach nicht zusammen. Das Portal, Yuseis Geschichte, dass er auf seinem Drachen unbemerkt ins Lager geflogen wäre und dann dieses Mal auf seinem Arm. Ich fuhr mir durchs Haar und sah wieder auf. Wie frage ich sie das am besten, ohne sie zu verschrecken? „Sag mal… als du dich damals mit deinem Drachen verbunden hast…“ Ihre Haltung verkrampfte sich. Dieses Thema anzusprechen war heikel, aber Yubel war die einzige Möglichkeit es herauszufinden. „Hattest du danach ein Mal auf deinem Arm?“ „Ein Mal?“ fragte sie irritiert. Ich nickte. „Yusei hat ein rotes Mal auf seinem Unterarm, es sieht aus wie ein Drachenkopf. Als ich ihn dazu gefragt habe, sagte er, dass es aufgetaucht ist, als er sich mit Sternenstaubdrache verbunden hat. Hätte ja sein können, dass du was dazu weißt.“ „Nein, leider nicht.“ Wieder seufzte ich. Wäre ja auch zu schön gewesen wenigstens ein Rätsel zu lösen. Wenn wir wieder im Palast sind, sollte ich dazu Nachforschungen anstellen. „Na schön“ sagte ich und stand auf. „Ich lege mich hin, wir sollten morgen früh aufbrechen.“ Yubel nickte. „Schlaft gut.“ „Ruh dich auch etwas aus“ erwiderte ich und schlüpfte in das Zelt. Unschlüssig sah ich mich um. Wegen meiner Aktion mit dem Heilzauber lag Yusei jetzt in der Mitte des kleinen Zelts, sodass ich kaum noch Platz hatte. Ich breitete meinen Schlafplatz zwischen der Zeltwand und dem von Yusei aus und quetschte mich dazwischen. Für eine Nacht wird es gehen. Mein Blick lag auf meinem Gegenüber. Er lag noch immer so da, wie ich ihn verlassen hatte und schlief friedlich. Einige schwarze Strähnen hingen in seinem Gesicht und ich strich sie behutsam beiseite. „Was verheimlichst du uns nur?“ murmelte ich. Glitt langsam in einen traumlosen Schlaf. Kapitel 11: In die Enge getrieben --------------------------------- Mein Blick wanderte über die gigantische Maschine. Das runde Tor in der Mitte war sicher fünf Mal größer als ich, mit kaltweißen Lichtern und unzähligen Schläuchen, die in alle Richtungen verliefen. Ich hielt die Hand eines Mannes, der so groß war, dass ich zu ihm aufsehen musste. „Komm, ich zeig dir alles“ sagte er und sah mich mit einem sanften Lächeln an. „Aber sag nichts deiner Mutter, das bleibt unser Geheimnis.“ Ich nickte begeistert und ließ mich von dem Mann zu einem Stuhl vor einem großen Bildschirm führen. Er hob mich auf seinen Schoß und deutete auf die Zahlen, die vor mir flimmerten. Mit flinken Fingern gab er unzählige Zeichen und Ziffern in die Maschine ein. „Das ist der Code für meinen Lieblingsort“ sagte er dabei. Erst waren die Zeichen ganz durcheinander, aber je mehr er davon eingab, umso klarer erkannte ich ein Muster. Es sah aus wie… „Ein Wald“ murmelte ich mit heller Stimme, die einfach nicht zu mir gehören wollte. Der Mann sah mich freudestrahlend an. „Ganz genau, mein Junge. Die anderen halten mich für verrückt, aber ich sehe es auch. Wenn man den Code eingibt, sieht das Muster irgendwann aus wie die Umgebung in die man gelangen möchte. Siehst du dort?“ sagte er und deutete auf eine Reihe Zahlen im rechten Bereich. „Da hinten ist ein kleiner Bach und daneben eine Waldlichtung. Die Blumen, die dort blühen, sahen so wunderschön aus, dass ich deiner Mutter welche gepflückt habe. Du weißt ja, wie sehr sie Blumen liebt.“ „Ich will ihr auch welche pflücken!“ sagte ich begeistert. Das Lächeln im Gesicht des Mannes intensivierte sich. „Irgendwann werden wir deiner Mutter zusammen einen Strauß pflücken, mein Junge. Aber erst, wenn du etwas älter bist.“ Ich verschränke die Arme, was den Mann lachen ließ. „Was macht ihr da?“ hörte ich eine sanfte, vertraute Stimme. Ich drehte mich freudig zu ihr. „Papa zeigt mir den Wald in der anderen Welt!“ „Nur auf dem Bildschirm!“ lenkte er schnell ein. Die Frau kam auf mich zu und gab mir einen Kuss auf den Kopf. Ihre Haare kitzelten mein Gesicht und ich lachte vergnügt. „Das ist kein Ort für ein Kind“ sagte sie tadelnd zu dem Mann. Während die beiden sich unterhielten, sah ich wieder gebannt auf den Bildschirm. Versuchte mir jede Blume, jeden Ast und jeden Halm einzuprägen. Irgendwann wollte ich auch an diesen Ort. Ich verstand nicht, warum den Mann alle für verrückt hielten. Ich sah den Wald doch auch. Und er war so schön… Langsam öffnete ich meine Augen. Ich lag auf der Seite. Die aufgehende Sonne warf ein gedämpftes Licht in das Innere des Zeltes. Eine wohlige Wärme umgab meinen Körper. Was für ein seltsamer Traum. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal von meinen Eltern geträumt hatte. Langsam senkten sich meine Lider. Ich wollte die Wärme, die meinen Körper umfing, noch etwas länger genießen. Woher kam sie? Jetzt erst spürte ich die Arme die mich fest umschlungen hielten. Den warmen Körper an meinem Rücken. Einen gleichmäßigen Atem in meinem Nacken. Ich riss die Augen auf, mein Herz überschlug sich fast. Schlagartig war ich hellwach. Hinter mir konnte nur Haou liegen, Yubel verbrachte die Nacht schließlich immer draußen. Aber warum lag er so nah bei mir, und warum hatte er mich so fest umschlungen? Mein Gesicht wurde ganz warm. „Haou?“ fragte ich unsicher und versuchte seinem sanften Griff zu entkommen. Ein unverständliches Brummen, seine Arme schlangen sich fester um meinen Körper und zogen mich näher zu ihm, hinderten mich daran aus seiner Umarmung zu entkommen. Ich spürte seinen warmen Atem ganz nah an meinem Ohr. Die Hitze in meinem Gesicht nahm stetig zu. Anscheinend war er noch nicht ganz wach. „H-Haou, wir sollten aufbrechen… Bitte.“ Mein Herz klopfte so schnell, es rauschte schon in meinen Ohren. Woher kam diese Nähe plötzlich?! Sein Griff lockerte sich, aber nicht so weit, dass ich mich hätte bewegen können. Was soll ich jetzt machen? Plötzlich hörte ich ein Geräusch außerhalb des Zeltes. Irgendjemand öffnete den Eingang. „Wir müssen aufbrechen, die Sonne ist schon-“ Yubel brach mitten im Satz ab. Zögerlich hob ich meinen Kopf und sah zu ihr, mein Gesicht fühlte sich noch immer heiß an. Sie blinzelte überrascht, dann sah sie skeptisch Richtung Haou. „Er ist kein Kuscheltier. Lasst ihn los und steht endlich auf!“ „Was?“ brummte es hinter mir unwillig. Unwillkürlich musste ich schmunzeln und vergrub mein Gesicht in der Decke. Ich wusste gar nicht, dass unser König so ein Morgenmuffel ist. „Lasst Yusei endlich los und steht auf. Wir müssen langsam aufbrechen.“ Seine Arme lösten sich von mir. Zögerlich kroch ich ein Stück von ihm weg und hörte Schritte die sich vom Zelt entfernten. Ich setzte mich auf und sah zu ihm. Er fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht und durch sein Haar. Wach sah er immer noch nicht aus. Als sein Blick auf meinen fiel, spürte ich meinen Herzschlag wieder ganz deutlich. „Guten Morgen“ sagte ich so leise, dass ich glaubte er könnte mich nicht hören. Doch er erwiderte. Wenig später hatten wir das Lager abgebaut und waren auf dem Heimweg. Das Stapfen der Hufe unserer Pferde hallte als einziges Geräusch durch die karge Landschaft. Yubel flog hoch über uns. Seit dem Vorfall im Zelt hatte ich mit Haou kein Wort mehr gewechselt und eine angespannte Stille hatte sich aufgebaut. Ob ihm die ganze Sache unangenehm war? Jetzt wo sich die Überraschung gelegt hatte, empfand ich seine Nähe im Nachhinein als… angenehm. Seltsam. Yubel schien nicht so überrascht wie ich es war. Sie verhielt sich danach vollkommen normal. „Seit wann verheimlichst du mir Dinge?“ Haous Stimme ließ mich hochschrecken und überrascht zu ihm sehen. Sein Blick war ernst. „Was meint Ihr?“ fragte ich irritiert. „Was genau ist auf der Spitze des Nebelbergs passiert?“ Mein Herzschlag erhöhte sich vor Nervosität. Atemus Worte hallen in meinem Kopf wie ein Echo. „Ich… habe es Euch doch gestern erzählt.“ „Nicht alles“ beharrte er. Verdammt. Bis gestern hatte ich ihn nie belogen, ob er es bemerkt hatte? Ich seufzte und versuchte noch einmal die Geschichte im Kopf durchzugehen, ehe ich ihm meine Antwort gab. Aber ich konnte ihm dabei nicht in die Augen sehen. „Sternenstaubdrache ist aus den Wolken aufgetaucht und hat sich mit mir verbunden. Dann ist dieses Mal plötzlich auf meinem Arm erschienen. Und um nicht wieder zurückklettern zu müssen, bin ich mit ihm zusammen ins Lager geflogen.“ Ich sah wieder auf. Sein Blick hatte sich nicht verändert, auch wenn ich mir einbildete Enttäuschung herauszulesen. Was an meiner Geschichte konnte er mir nicht glauben? Sie war kurz und schlüssig. „Welchen Weg bist du geflogen?“ hakte er weiter nach. Welchen Weg? „Von der Spitze direkt zum Lager“ erwiderte ich unsicher. „Warum haben wir dich dann nicht gesehen?“ Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das hatte ich gar nicht bedacht. „Vielleicht… wart ihr in einem Gespräch vertieft.“ Da war sie wieder. Diese Enttäuschung in seinem Blick. Dieses Mal konnte ich sie ganz deutlich sehen. Wieder wandte ich den Blick ab, sah stur auf die Zügel in meiner Hand. Mein Magen verkrampfte sich unangenehm. Verdammt, warum hatte mich Atemu nicht zur Spitze des Nebelbergs teleportiert? Dann wäre ich zwar erst bei Einbruch der Nacht am Lager angekommen, aber so hätte ich dieses Gespräch umgehen können. Stattdessen hatte er diesen Riss am Lager entstehen lassen und mich so wieder in die Isekai gebracht. „Bist du durch das Portal ins Lager gekommen?“ Ich riss die Augen auf, vergaß fast zu atmen. Woher weiß er davon?! „Welches Portal?“ fragte ich, versuchte meine Stimme fest klingen zu lassen. Ich hasste es ihn anlügen zu müssen, aber ich hatte keine Wahl. „Ich habe Yubel losgeschickt, um nach dir zu suchen. Sie erzählte mir von einem Portal und einem Schutzgeist, beides verschwand bei ihrer Ankunft auf der Spitze. Und du warst unauffindbar. Klingelt da was bei dir?“ Ich biss mir auf die Unterlippe, starrte weiterhin auf die Zügel in meiner Hand. Es bringt nichts. Keine Ausrede dieser Welt könnte mich aus dieser Situation bringen. Er wusste, dass ich durch das Portal gegangen war. Aber die Wahrheit dahinter konnte ich ihm nicht sagen. Was mache ich jetzt?! Natürlich konnte ich Haou vertrauen, aber ich hatte Atemu mein Wort gegeben niemandem etwas vom Reich der Schatten, den Drachen oder den Auserwählten zu erzählen. Da fiel mir etwas ein. Atemu hatte dieselben Worte verwendet wie einst auch Haou. Es war riskant, aber der einzige Weg mich aus dieser Situation zu befreien. „Manche Wahrheiten sollten nicht in die falschen Hände geraten“ sagte ich traurig und sah wieder zu ihm. „Das waren Eure Worte.“ „Damit meinte ich so etwas wie taktische Manöver, Yusei. Und das weißt du. Seit wann vertraust du mir nicht mehr?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich vertraue niemandem mehr als Euch. Aber ich habe Sternenstaubdrache mein Wort gegeben. Ich will Euch nicht anlügen, ich hasse es. Also bitte… bohrt nicht weiter nach. Ich kann es Euch nicht erzählen.“ Schweigend musterte er mich. Ich konnte seinen Blick einfach nicht deuten, während mein Herz an meinen Rippen zu zerschellen drohte. „Warum?“ hakte er weiter nach. „Diese Informationen könnten bedeutend für die Sicherheit der Isekai sein. Stellst du ein Versprechen an deinen Schutzgeist höher als unser Land?“ Ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Egal wie ich antworten würde, es gäbe keinen Ausgang dieses Gesprächs mit dem alle zufrieden wären. „Bitte“ hauchte ich. Konnte das Zittern in meiner Stimme nicht aufhalten. „Ich kann es Euch nicht erzählen. Ich würde gern, aber… Es ist nur zum Schutz unseres Landes, glaubt mir.“ Wieder betrachtete er mich schweigend. Ich hielt es kaum aus ihm nichts erzählen zu können, aber ich wusste es war die richtige Entscheidung. Auch Sternenstaubdrache war auf meiner Seite. „Na schön“ ertönte seine unterkühlte Stimme und versetzte mir einen Stich. Er ritt an mir vorbei, brachte etwas Platz zwischen uns. Ich wagte es nicht zu ihm aufzuschließen, zu große Angst hatte ich vor seiner Reaktion. Ich schluckte schwer, doch der Kloß in meinem Hals blieb. Wenn ich es ihm nur erzählen könnte… ~*~ Als wir am Palast ankamen, hielt ich die unterkühlte Stimmung zwischen meinem König und mir kaum noch aus. Seit unserer letzten Unterhaltung vor ein paar Tagen hatte er kaum mehr ein Wort mit mir gewechselt. Selbst Yubel war noch tiefer in sich gekehrt als sonst. Haou wies mich an die Pferde abzusatteln und mich dann bei Madame Tredwell einzufinden. Ich nickte lediglich und machte mich an die Arbeit. Ob mir Haou mein Schweigen je verzeihen kann? Ich kann ihn verstehen. Schließlich macht er sich nur Gedanken um die Sicherheit unseres Landes. Aber ich kann und werde mein Versprechen nicht brechen. So sehr es ihm auch missfällt. So sehr es mich auch verletzt, wenn ich die Enttäuschung in seinen Augen sehe. Gedankenverloren strich ich über die Armschiene meiner neuen Rüstung. Wie sehr sehnte ich mich nach seinem Lächeln, als er mir das Geschenk überreicht hatte. Ich war so glücklich. Aber jetzt… Ich schüttelte den Gedanken ab und machte mich auf den Weg. Bei Madame Tredwell angekommen, atmete ich noch einmal tief durch und öffnete die Tür. Als ich eintrat, hörte ich Stimmen, die wild diskutierten, jedoch schnell verstummten. Madame Tredwell musterte mich interessiert, Haou stand mit dem Rücken zu mir. Zu meiner Überraschung war Jesse an seiner Seite, dessen Blick ich nicht ganz einordnen konnte. Worüber sie sich wohl gestritten hatten? Zumindest klang es nach einem Streit. „Komm rein und schließ die Tür“ riss mich Madame Tredwells Stimme aus meinen Gedanken. Ich folgte ihrer Aufforderung und ging unschlüssig auf sie zu. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde. Ein kleines Lächeln lag auf ihren Lippen. „Wie ich gehört habe, war dein Aufstieg erfolgreicher, als wir gehofft hatten. Meinen Glückwunsch.“ Ehe ich etwas darauf erwidern konnte, meldete sich Haou zu Wort. „Er hat versucht Magie anzuwenden, scheiterte aber schon bei einem einfachen Lux Zauber.“ Seine Worte versetzten mir einen Stich, doch ich blieb still. Er hatte Recht. Eigentlich sollte ich mit einem so starken Schutzgeist dazu in der Lage sein Magie anzuwenden, aber ich schaffe es einfach nicht. „Es gab nie eine Garantie, dass es funktioniert“ bemerkte Jesse. Madame Tredwell schüttelte den Kopf. „Wir werden sehen. Wie schon gesagt, vielleicht ist der Energiefluss einfach blockiert. Ich werde einige Tests machen.“ „Tests?“ fragte ich unsicher und spürte die Blicke der anderen auf mir. Madame Tredwell nickte. „Ich habe schon alles vorbereitet. Folge mir.“ Zögerlich folgte ich ihr zu der Tür an der anderen Seite des Raumes. Ich hatte mich immer schon gefragt, was wohl dahinter sein könnte. Sie forderte mich auf die Tür zu schließen. Zögerlich sah ich zurück und beobachtete, wie sich Haou und Jesse leise stritten. Ob es wegen mir war? „Leg die Rüstung ab“ sagte sie und deutete auf einen Stuhl, über dem einige Klamotten lagen. „Dort liegt Kleidung, die du dir überziehen kannst.“ Ich nickte und legte meine Rüstung ab, um mir dann eine dünne Stoffhose anzuziehen. Währenddessen verschwand Madame Tredwell hinter einem Sichtschutz, der den restlichen Raum abtrennte, und bereitete irgendetwas vor. Nachdem ich fertig war, folgte ich ihr. In der Mitte des abgetrennten Bereichs stand eine Liege, daneben ein Tisch mit einigen mir unbekannten Utensilien. Überall im Raum verteilt standen unzählige brennende Kerzen unterschiedlicher Größe. Auf dem Boden, mittig unter der Liege, war ein Bannkreis mit verschiedensten Symbolen gezeichnet. Bevor ich sie genauer betrachten konnte, wies sie mich an mich hinzulegen. Mein Herz schlug schneller ob der Nervosität. Ich hatte keine Ahnung was jetzt folgen würde. „Schließ die Augen und versuch dich zu entspannen“ sagte sie, während sie irgendetwas an dem Tisch machte. Ihre Handlung konnte ich jedoch nicht sehen, da sie mit dem Rücken zu mir stand und den Tisch verdeckte. Ich atmete tief durch und schloss die Augen. Versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen. „Was sind das für Tests?“ fragte ich, um meine Nervosität loszuwerden. Es wäre wirklich schön zu wissen, was gleich auf mich zukommen würde. Schritte. Sie schien um die Liege herumzugehen. „Als erstes prüfe ich den Energiefluss in deinem Körper. Sollte der blockiert sein, hätten wir schon die Ursache warum du keine Magie anwenden kannst. Die Blockade zu lösen ist kein Problem.“ „Und wenn es nicht daran liegt?“ Etwas Kaltes tropfte auf meine Brust und ich zuckte kurz zusammen. Anschließend verteilte sie die zähflüssige Masse auf meinem Oberkörper. Es fühlte sich seltsam an. Währenddessen gab sie mir ihre Antwort. „Lass das meine Sorge sein. Es kann mehrere Ursachen haben. Während der Dauer der Untersuchung bitte ich dich allerdings nicht zu sprechen und deine Augen geschlossen zu halten. Versuch dich auf deinen Körper und deinen Energiefluss zu konzentrieren.“ Ich nickte stumm. Zu Beginn meiner Ausbildung bei ihr musste ich diese Übung oft machen. Ich weiß nicht wie lange ich in dem Raum lag, ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Madame Tredwell hatte einige Formeln gesprochen, wanderte immer wieder durch den Raum, doch die meiste Zeit blendete ich sie aus und versuchte mich auf das zu konzentrieren, was sie gesagt hatte. Ab und zu stellte sie eine Frage, abgesehen davon war es still. „Wir sind fertig für heute“ sagte sie schließlich und ich hörte wieder ihre Schritte, die sich von mir wegbewegten. „Du kannst dich anziehen und gehen. Komm nach, sobald du fertig bist.“ Eine Tür fiel leise ins Schloss. Langsam öffnete ich meine Augen und versuchte sie wieder an die Helligkeit zu gewöhnen. Ob es geklappt hat? Hat sie die Blockaden gelöst? Vorsichtig stand ich auf, mir war etwas schwindlig, dann ging ich an der Trennwand vorbei in den vorderen Teil des Raumes. Auf dem Stuhl lag meine Rüstung, über der Lehne hingen ein Handtuch und mein schwarzes Shirt. Das Tuch griff ich mir um meinen Oberkörper von dem seltsam öligen Film zu befreien. Währenddessen hörte ich leise die Stimmen der anderen vor der Tür. Einen Moment zögerte ich, doch meine Neugier siegte und ich hielt mein Ohr an das kühle Holz. „Das ist alles was mir einfallen würde“ hörte ich die sanfte Stimme von Madame Tredwell. „In seinem jetzigen Zustand wird er andernfalls nicht in der Lage sein Magie anzuwenden.“ Mir stockte der Atem. Dann hat es also nicht geklappt. Nicht einmal eine der mächtigsten Magierinnen der Isekai konnte mir helfen. Meine Hoffnung zerbrach in hunderte Scherben. Jesses Stimme drang dumpf zu mir hindurch, doch ich konnte seine Worte nicht verstehen. „Auf keinen Fall!“ donnerte Haou aufgebracht und ließ mich zusammenzucken. Mein Herz schlug schneller. Was hat Jesse eben gesagt, dass er so reagiert? Wieder hörte ich die Stimme von Haous Vertrautem, doch ich verstand ihn nicht. Haous Antwort war sehr leise, aber hörbar. „Es ist jetzt deine Verantwortung“ sagte er ernst. Der Rest war nicht zu verstehen. Schritte hallten durch den Raum, wurden immer leiser. Schließlich hörte ich Jesses Stimme. „Was treibt er da so lange?“ Schnell entfernte ich mich von der Tür, legte das Handtuch über die Lehne und zog mir mein Shirt über. In diesem Moment betrat Madame Tredwell den Raum. „Alles in Ordnung?“ fragte sie. „Ja, mir… ist nur etwas schwindlig“ antwortete ich wahrheitsgemäß und versuchte meinen Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen. Plötzlich erschien Jesse hinter ihr. „Für den Rest des Tages hast du frei. Nach dem Abendessen findest du dich am Eingang des Nebenkomplexes ein.“ Ich nickte irritiert. Was sollte ich dort? Im Nebenkomplex gab es neben den Schlaf- und Aufenthaltsräumen der Wachen nur noch die Kerker. Und warum gab mir Jesse die Anweisung und nicht Haou? Normalerweise meidet er mich wenn möglich. Ob Haou noch immer sauer ist? Ich sollte dringend mit ihm sprechen. Dieses Gespräch hatte ich viel zu lang aufgeschoben. Die Unsicherheit und diese unterkühlte Stimmung konnte ich nicht länger aushalten. Kapitel 12: Scherbenmeer ------------------------ Am späten Nachmittag lief ich durch die Straßen der Stadt zum Trainingsgelände. Jesse sagte Haou hätte heute noch viel zu tun und ich könne jetzt nicht mit ihm sprechen, also musste ich mich damit abfinden. Außerdem wollte ich Mai vor der Prüfung morgen unbedingt ihr Schwert wiedergeben, aber ich hatte keine Ahnung wo sie wohnte. Hoffentlich ist sie dort, sonst kann ich mein Versprechen ihr gegenüber nicht halten. Dort angekommen überblickte ich das weitläufige Gelände und entdeckte sie bei den lebensgroßen Holzpuppen, die wir zur Verbesserung unserer Techniken nutzten. Mit einem Übungsschwert schlug sie immer wieder auf den leblosen Gegner ein. Doch etwas wunderte mich. „Sehr präzise sind deine Schläge heute nicht“ stellte ich fest, als ich bei ihr angekommen war. Überrascht drehte sie sich zu mir. „Normalerweise ist dein Kampfstil eleganter. Ist alles Okay?“ fragte ich. „Elegant, ja?“ sagte sie schmunzelnd. „Danke für das Kompliment.“ Auch ich musste für einen Augenblick lächeln. „Du weichst meiner Frage aus.“ Sie winkte ab. „Nicht so wichtig. War ein langer Tag und ich wollte noch etwas trainieren. Diese Holzköpfe sind allerdings miserable Trainingspartner. Was willst du hier?“ Ich reichte ihr die dünne Klinge. „Ich will mein Versprechen halten. Danke nochmal.“ Sie steckte das Übungsschwert weg und kam auf mich zu. Nahm ihre Klinge aus meinen Händen. „Keine Ursache. Hattest du wenigstens Erfolg?“ Zögerlich nickte ich, stockte aber. Wie sollte ich ihr am besten sagen, dass ausgerechnet mich ein Drache ausgewählt hat? Ich konnte es selbst noch nicht ganz fassen. Ein aufrichtiges Lächeln umspielte ihre Lippen. „Alles andere hätte mich auch schwer enttäuscht. Also, welchen Schutzgeist hast du jetzt?“ Plötzlich bohrte sich ein Pfeil direkt zwischen uns in den Boden und ich sprang aus Reflex einen Schritt zurück. Sah mich hektisch um. In einiger Entfernung stand eine Person. Seine braunen Augen funkelten mich böse an. In seiner Hand hielt er einen Bogen, seine andere hatte er neben sich gehoben. Ehe ich reagieren konnte, hörte ich Mais aufgebrachte Stimme. „Hast du den Verstand verloren?! Was soll der Mist, Joey?“ Sie kennen sich? „Reg dich nicht so auf“ antwortete unser Gegenüber. „Hätte ich ihn treffen wollen, läge er jetzt am Boden.“ Er zog einen neuen Pfeil aus seinem Köcher und spannte seinen Bogen. Zielte direkt auf mich. „Mal ehrlich, du hattest schon immer einen schlechten Geschmack bei Typen, aber ein Mensch? Ernsthaft?“ „Was ist dein Problem? Wir unterhalten uns nur. Deinen verdammten Beschützerdrang kannst du dir sonst wo hinstecken!“ „Und das soll ich dir glauben? Warum hatte er dann das Schwert deiner Familie? Du gibst das Ding doch nicht mal raus, wenn der Zeugwart die Waffen polieren will. Und dann kommst du vom Nebelberg zurück und sagst, du hättest es jemandem geliehen?! Nur ein Mitschüler, dass ich nicht lache!“ „Jetzt lass den Blödsinn!“ Wo bin ich hier reingeraten? „Sie hat es mir geliehen, weil meines zerbrochen war“ schaltete ich mich ein. „Ohne ihr Schwert hätte ich mich nicht mehr verteidigen können.“ „Und wenn du krepiert wärst, mir egal. Das Schwert ist Mais größter Schatz. Ich hätte dir den Arsch aufgerissen, wenn du es nicht zurückgebracht hättest.“ „Jetzt hat sie es doch wieder“ sagte ich verständnislos. „Warum zielst du dann immer noch auf mich?“ „Ich trau dir nicht. Mach dich vom Acker, ich will dich nie wieder in ihrer Nähe sehen.“ „Bist du jetzt völlig bescheuert?!“ tobte Mai neben mir. „Das geht dich ja wohl nichts an!“ „Und ob es mich was angeht! Als deine Eltern im Krieg gefallen sind, hab ich dir gesagt, dass ich dich immer beschützen werde!“ Mai schnappte nach Luft, Joey ließ sich davon nicht beirren und redete weiter. „Und diesem Typen traue ich nicht über den Weg. Irgendwas ist seltsam an ihm. Der riecht nach Gefahr, sieh es doch endlich ein!“ Unschlüssig sah ich zu Mai. Sie stand da wie vom Donner gerührt. „Ich bin keine Gefahr für sie“ versuchte ich ihn zu beschwichtigen. Machte allerdings keine Anstalten mich von ihr wegzubewegen. Sein Kiefer verspannte sich, sein Blick wurde zunehmend dunkler. „Ich hab dich gewarnt.“ Mit diesen Worten ließ er seinen Pfeil von der Sehne schnellen. Plötzlich hörte ich ein vertrautes Brüllen, zwei Klauen schoben sich schützend vor mich, silberne Schwingen umschlossen mein Blickfeld. Immer enger legte er sie an, seine Klauen drängten mich einen Schritt zurück. Ich spürte Sternenstaubdrache in meinem Rücken, sein Knurren ließ seinen Körper vibrieren. Mein Blick wanderte nach oben. Sein Kopf war nicht zu sehen, er ragte über seine Flügel und knurrte weiter unheilvoll. Er hatte mich beschützt. Ohne ihn hätte mich der Pfeil getroffen. Ich hörte keinen der beiden, lediglich das dunkle Knurren meines Drachen drang an mein Ohr. „Es ist okay“ murmelte ich, legte meine Hand auf eine seiner Klauen. „Du hast den Angriff abgehalten. Danke. Aber ich bin jetzt nicht mehr in Gefahr.“ Sternenstaubdrache machte keine Anstalten sich wieder zurückzuziehen. Irgendwie spürte ich, dass er diesen Joey angreifen würde, wenn er seinen Bogen nicht wegsteckt. Er war schon kurz davor. Bitte nicht! „Steck deinen Bogen weg!“ rief ich ohne ihn zu sehen. „Er ist nur angespannt! Zeig ihm einfach, dass du keine Gefahr bist!“ Ich wusste nicht was da vor sich ging, aber Sternenstaubdrache entspannte sich nicht. Hat Joey mich überhaupt gehört? Plötzlich hörte ich das Brüllen meines Drachen, einen Knall, Mais Schrei. Was geht hier vor sich?! „Hör auf!“ rief ich meinem Drachen zu und versuchte mich aus seinem schützenden Griff zu befreien, aber ich fand keine Lücke, durch die ich hätte hindurchschlüpfen können. Er darf sie nicht verletzen! Langsam entspannte er sich. Löste sich in einem Meer aus Sternen auf und gab meinen Blick auf das Feld wieder frei. Joey lag halb auf dem Rücken, hatte seine Hände hinter sich abgestützt und sah entgeistert zu der Stelle, an der eben noch der Kopf meines Drachen war. Sein Gesicht war aschfahl. Er zitterte. Neben ihm war ein riesiger, schwarzer Fleck, der aussah, als wäre dort etwas explodiert. Verkohlte Holzsplitter lagen überall verteilt. Mein Blick wanderte zu Mai. Auch sie war leichenblass, kniete am Boden und starrte über mich drüber. Atmete stoßweise. Natürlich war sie verschreckt. Ich wäre es sicher auch, wenn urplötzlich ein Drache auftauchen und angreifen würde. Langsam ging ich auf sie zu und reichte ihr meine Hand, um ihr aufzuhelfen. Ängstlich sah sie mich an, wich zurück. Ich stoppte in meiner Bewegung und ließ meine Hand wieder sinken. Hat sie jetzt Angst vor mir? Die Panik in ihren Augen versetzte mir einen tiefen Stich. „Es tut mir leid“ sagte ich leise. Einen letzten Blick warf ich auf ihren Freund, der noch immer regungslos am Boden saß, dann machte ich mich auf den Rückweg. Rastlos schlenderte ich durch die Straßen und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Bis zum Abendessen war noch Zeit und auf meinem Zimmer vor mich hin grübeln wollte ich nicht, also wanderte ich ziellos umher. Meine Beine trugen mich bis zum Tempel. Ich sah auf. Dort hätte ich zumindest etwas Ruhe, ohne mich in meinem Zimmer wie eingesperrt zu fühlen. Ich seufzte und umrundete das Gebäude um in die Gartenanlage zu gelangen. Auf der niedrigen Mauer um den Brunnen ließ ich mich nieder und bettete mein Gesicht in meine Hände. Stützte meine Ellbogen auf den Knien ab. Was ist gerade passiert? Warum hat er angegriffen? Tief in mir spürte ich das Bedauern meines Drachen, aber er wollte mich nur beschützen. Er hatte Joey als Gefahr für mich angesehen und wollte mich beschützen, ihn entwaffnen, damit er mir keinen Schaden zufügen konnte. Ich war dankbar, dass er den Pfeil abgehalten hatte, aber deswegen hätte er nicht angreifen dürfen. „Drachen sind eigensinnige Geschöpfe“ hörte ich plötzlich eine Stimme und schreckte hoch. Yubel stand vor mir, die Arme verschränkt, sah mich mit einem undefinierbaren Blick an. Hat sie das von eben etwa mitbekommen? Sie senkte den Blick, nahm neben mir Platz und überkreuzte ihre Beine. Auch ich senkte den Blick und starrte auf meine Hände in meinem Schoß. „Wie viel hast du gesehen?“ fragte ich. „Alles ab dem Zeitpunkt, als der Kerl seinen Pfeil abgeschossen hat.“ Ich seufzte. „Ich wollte nicht, dass Sternenstaubdrache angreift.“ „Ich weiß“ sagte sie schlicht. „Du hast ihn noch gewarnt. Aber keine Angst, den beiden geht es gut.“ Sie schnaufte belustigt. „Sie hätten sich vor Angst nur fast in ihre Rüstungen gemacht.“ Ich ließ die Schultern hängen und knetete meine Hand. Ich wollte nicht, dass irgendjemand Angst vor mir hat. Schon gar nicht Mai. Wir hatten gerade erst angefangen uns zu verstehen. Normalerweise hören Schutzgeister doch auf die Anweisungen ihrer Dämonen. Warum klappt das bei uns nicht? „Drachen verhalten sich anders als andere Schutzgeister“ fuhr sie ernster fort, als hätte sie gewusst was ich dachte. „Am Anfang ist es schwierig, aber je enger euer Band wird, desto besser spielt ihr euch aufeinander ein.“ Zögerlich sah ich zu ihr. Yubel war vermutlich die einzige, die mein Problem verstehen konnte. „Ging es euch anfangs genauso?“ Sie nickte, schmunzelte sogar ein wenig. „Regenbogendrache hat dem damaligen König ganz schön eingeheizt. Eigentlich dachte ich, er würde mich dafür einsperren, aber er hatte Verständnis für die Situation. Mein Drache wollte ihm nie etwas Böses, aber sobald er sich oder mich bedroht sah, schritt er ein und versuchte mich zu beschützen. Im Laufe der Zeit hat er aber gelernt in solchen Situationen, wie du heute warst, auf mich zu hören.“ „Wie lange hat das gedauert?“ „Ein paar graue Haare musste der König schon lassen“ sagte sie und zuckte mit den Schultern. Dann sah sie mich ernst an. „Aber egal wie viel Zeit vergeht, dein Drache wird in solchen Situationen immer auftauchen um dich zu schützen. Du musst ihm nur beweisen, dass du die Sache auch allein regeln kannst. Er muss dir blind vertrauen können, aber das braucht Zeit.“ „Hm.“ Wieder senkte ich meinen Blick. Irgendwie tat es gut zu wissen, dass ich mit dieser Situation nicht allein war. Da fiel mir etwas ein und ich sah neugierig zu ihr. „Was wolltest du eigentlich am Trainingsplatz?“ „Ich habe dich gesucht.“ „Mich?“ vergewisserte ich mich irritiert. Wenn ich nicht in Haous Nähe war, bekam ich sie eigentlich nie zu Gesicht. Und noch seltener wechselten wir ein Wort miteinander. Warum sollte sie ausgerechnet mich suchen? Sie nickte und griff neben sich, doch ich konnte nicht erkennen was sie da machte. Schließlich drückte sie mir, ohne mich anzusehen, etwas in die Hand. Überrascht betrachtete ich es genauer. Ein Schwert. Der mit Leder umwickelte Griff war das einzige, was man davon sah. Die Klinge steckte in seiner Halterung. Irgendwie kam es mir bekannt vor. Mein Blick wanderte zu Yubel. „Was ist das?“ fragte ich irritiert. Sie sah stur geradeaus, die Arme verschränkt. „Was schon? Ein Schwert. Dein anderes ist nur noch Altmetall und morgen ist deine Prüfung. Ich brauche es ohnehin nicht mehr.“ Meine Augen wurden bei jedem ihrer Worte größer. „Ist das wirklich für mich?“ fragte ich ungläubig. Sie hob skeptisch eine Augenbraue. „Hast du mich jemals damit kämpfen sehen? Seit meiner Transmutation brauche ich es nicht mehr. Es verstaubt nur in einer Ecke meiner Gemächer. Also nimm es oder lass es.“ Ich konnte nicht anders als sie ungläubig anzustarren. Langsam wanderte mein Blick zu dem Schwert in meinem Schoß und ich zog es aus der Halterung. Zum Vorschein kam eine pechschwarze Klinge, in die einige Insignien eingearbeitet wurden. Ich neigte die Schneide im Sonnenlicht und beobachtete wie die Strahlen in unterschiedlichsten Farben reflektiert wurden. So ein Material hatte ich noch nie gesehen. Es war faszinierend. Langsam strichen meine Finger über das kalte Metall. Es war ohne die kleinste Unebenheit. Als wäre es im Kampf nie zum Einsatz gekommen. „Was ist das für ein Material?“ fragte ich, ohne meinen Blick von dem Schwert zu lösen. „Der König nannte es Sternenstahl. Es war ein Produkt seiner Experimente mit verschiedenen Materialien. Es ist eine Zwillingsklinge.“ „Zwillingsklinge?“ fragte ich und sah auf. Sie nickte. „Zwei Schwerter gleicher Schmiedekunst. Das Gegenstück gehörte dem König. Mir hat er es damals als Zeichen seines Vertrauens überreicht, als ich seine rechte Hand wurde. Seit seinem Tod wird die Klinge von Haou geführt.“ Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Ich hatte damit gerechnet morgen einfach mit einem der Übungsschwerter antreten zu müssen. Ich wog es in den Händen, stand auf und schlug einige Male durch die Luft. Es war weitaus leichter als mein altes Schwert, aber nicht so leicht wie das von Mai. Besser ausbalanciert war es auch. Ich setzte ein breites Lächeln auf und sah zu Yubel. „Danke!“ Sie wich meinem Blick aus. „Bilde dir nichts darauf ein. Ich will nur nicht, dass das Ding einfach irgendwo verstaubt, weil es nicht mehr zum Einsatz kommt. Und du brauchst eines, das ist alles.“ Mein Lächeln intensivierte sich. So wie das Schwert aussah, wurde es über die Jahre gut gepflegt. Ganz so egal wie sie tat, konnte es ihr also nicht sein. „Schon klar. Trotzdem Danke. Für alles.“ Sie nickte lediglich und stand auf. Ohne ein weiteres Wort breitete sie ihre Schwingen aus und war gen Himmel verschwunden. Einen Augenblick sah ich ihr nach, dann machte ich mich ebenfalls auf den Weg in den Palast. Dort angekommen lief ich zielsicher zum Speisesaal, in der Annahme, dort auf Haou zu treffen. Mein Blick schweifte über die gedeckte Tafel, doch von meinem König fehlte jede Spur. Ob er heute auf seinen Gemächern isst? Oder kommt er nur etwas später? Vielleicht will er mich immer noch nicht sehen. Dabei wollte ich unbedingt mit ihm sprechen. „Was machst du hier?“ Die bekannte Stimme ließ mich zusammenzucken. Ich drehte mich zu ihr. Jesse hatte die Arme verschränkt und sah mich ernst an. „Abendessen“ brachte ich irritiert heraus. Was sollte ich um diese Zeit sonst hier wollen? Er schüttelte den Kopf kaum merklich. „Ab heute nimmst du deine Mahlzeiten woanders ein“ sagte er und drehte mir den Rücken zu. Was meint er? Jesse ging einige Schritte voraus und blickte ungeduldig zurück. „Jetzt komm schon!“ Schnell löste ich mich aus meiner Starre und folgte ihm. Schweigend wandelten wir durch die Gänge, nur unsere Schritte hallten an den Wänden wieder. Warum will Haou, dass ich ab sofort woanders esse? Hat ihn diese Geheimniskrämerei wirklich so sehr verletzt? Klar war er enttäuscht, aber dafür schien mir seine Reaktion doch etwas übertrieben. Jesse führte mich aus dem Hauptgebäude, über den Platz zum Nebenkomplex. Ich warf ihm einen irritierten Blick zu. Hier sollte ich mich doch erst nach dem Essen mit ihm treffen. „Wohin gehen wir?“ fragte ich, doch die Antwort blieb er mir schuldig. Ich folgte ihm weiter durch den Aufenthaltsraum der Wachen, die uns ebenso unschlüssige Blicke zuwarfen. Lediglich der Hauptmann nickte Jesse zu, als wir an ihm vorbeigingen, und reichte ihm einen Schlüssel. Wofür der wohl ist? Wir folgten den Treppen hinunter in die Kerker. Das Echo unserer Schritte wurde von den meterhohen Decken um ein vielfaches zurückgeworfen. Je weiter wir gingen, umso kälter lief es mir den Rücken hinunter. Was wollen wir hier? Schließlich blieben wir vor einer massiven Eisentür stehen. Ein Schlüssel kratzte im Schloss und Jesse öffnete die Tür. Das Quietschen des sich bewegenden Metalls ließ mein Herz schneller schlagen. Dieses ungute Gefühl in mir wurde immer stärker. Zögerlich folgte ich ihm in die weitläufige Zelle und sah mich um. An einer Wand, knapp unter der gut fünf Meter hohen Decke waren kleine, mit Metallstäben gesicherte Fenster die spärliches Licht in den Raum warfen. Darunter entdeckte ich überraschenderweise einige Regale, die bis oben voll mit Büchern waren, daneben einen Schreibtisch. Auf diesem stand ein Teller mit etwas Brot, Fleisch und Gemüse. Bei genauerer Betrachtung sah der Tisch so aus, wie der in meinen Gemächern. Auch die Regale kamen mir plötzlich vertraut vor, nur das Bett in der Ecke des Raumes war mir unbekannt. Ich sah Jesse verständnislos an. Doch ehe ich ihm eine Frage stellen konnte, wurde sein Blick wieder ernst. „Das hier ist ab heute dein Zimmer. Wenn du nicht mit deiner Ausbildung beschäftigt bist, wirst du deine Zeit hier verbringen, und lernen, deinen Schutzgeist unter Kontrolle zu bekommen!“ Meine Augen weiteten sich bei jedem seiner Worte. „Aber-“ „Ich weiß, was heute auf dem Trainingsplatz passiert ist!“ fiel er mir ins Wort und ließ mich erstarren. „Hier hast du Platz, um mit deinem Drachen zu trainieren. Sollte er noch einmal jemanden angreifen, wird deine Strafe weitaus schlimmer werden!“ Ich schüttelte den Kopf. „Aber Sternenstaubdrache wollte mich nur-“ „Sei still!“ Sein wütendes Gesicht ließ mich einen Schritt zurückweichen. Ich versuchte Sternenstaubdrache zu beruhigen, damit er nicht unvermittelt auftaucht. Es lag sicher auch in seinem Interesse, dass Jesse nicht noch wütender wird. So hatte ich Haous Freund noch nie erlebt. „Ich habe dem König noch nichts von dem Angriff erzählt. Er ist so schon enttäuscht genug von dir, wegen der Sache mit deiner Magie.“ Mein Blick senkte sich, ich ballte meine Hände zu Fäusten. Darum geht es also? Deswegen redet er nicht mehr mit mir? „Von jetzt an bin ich für deine Ausbildung zuständig.“ Mein Blick hob sich wieder, doch bei Jesses Blick verkniff ich mir jede Gegenwehr. „Ab jetzt wird sich einiges ändern. Ich habe deine Lehre bei Meister Damian und Meister Eris abgebrochen. Und egal wie die Prüfung morgen ausfallen wird, auch bei Meister Zero bist du dann nicht mehr in der Lehre. Dafür wirst du dein Training bei Madame Tredwell intensivieren und bei Meister Ares in die Lehre gehen.“ Jesses Onkel? „Aber warum eine Ausbildung in der Spionage?“ fragte ich verständnislos. Er hob eine Augenbraue. „Hat dir der König nie etwas davon erzählt?“ Langsam schüttelte ich den Kopf. Ein leises Seufzen war zu hören. „Weißt du wirklich nicht, warum dich König Haou damals aufgenommen hat?“ „Ich… war allein.“ „Glaubst du allen Ernstes er hätte dich aus Nächstenliebe in den Palast geholt? Einen Menschen? Eine der Kreaturen, die seinen Vater und viele andere Dämonen getötet haben?“ Mein Puls erhöhte sich schlagartig. Haou sagte mal, dass er mich aufgenommen hatte, weil ich nur ein kleines Kind war. „Du hast eine Aufgabe zu erfüllen“ sprach er weiter. „Der König glaubt, dass die Menschen die Portale wieder aufbauen könnten und beenden wollen, womit sie vor 15 Jahren begonnen haben. Da aber keiner unserer Spione je aus der Menschenwelt zurückgekehrt ist, will er dich dort hinschicken, um Informationen zu beschaffen und sie zu infiltrieren. Deswegen solltest du so schnell wie möglich mit Schwert und Magie umgehen können. Nur aus diesem Grund bist du hier. König Haou sah in dir nie mehr als ein Mittel zum Zweck.“ Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Das kann nicht sein! Haou sieht in mir nicht nur ein Werkzeug! Jesses Blick verfinsterte sich. „Ob du es willst oder nicht: Die Isekai ist seit dem Tag an dem du in den Palast gekommen bist deine Heimat. Und ein Soldat beschützt seine Heimat mit allen Kräften. Das hast du ihm damals geschworen. Oder hast du es dir anders überlegt?“ „N-Nein“ erwiderte ich konfus. Ich will nichts mehr, als meine Freunde und die Isekai zu beschützen. Er nickte. „Und um uns vor den Menschen zu schützen, müssen wir mehr über sie in Erfahrung bringen. Doch dafür musst du dich fokussieren! Bis zum Abschluss deiner Ausbildung will Haou dich nicht mehr sehen. Das lenkt euch beide nur von euren Pflichten ab. Ab heute wird es für dich nur noch um dein Training gehen, verstanden?“ Ich nickte zerknirscht und senkte den Blick. „Was ist mit meinen Freunden?“ murmelte ich. „Was habe ich gerade gesagt?“ antwortete er ruhig, aber in einem dunklen Tonfall. Meine Haltung fiel weiter in sich zusammen. Also kann ich ihnen nicht einmal erklären warum wir uns nicht mehr sehen können? Sie werden sich sicher Sorgen machen! Und Haou? Ich hätte das alles lieber von ihm gehört… Schritte entfernten sich, doch ich traute mich nicht aufzusehen. Schließlich hörte ich, wie die massive Tür zu fiel. Ein Schlüssel kratzte im Schloss, dann umgab mich nichts als Stille. Meine Nägel gruben sich förmlich in die Haut meiner Handflächen, ich zitterte am ganzen Körper. Wenn es Haou wirklich nur um seinen Plan ging, hat er mich mein ganzes Leben lang belogen. Aber war wirklich alles gelogen? Seine Führsorge, seine aufmunternden Worte, sein seltenes Lächeln. Mein Blick verschwamm. Warme Tränen liefen stumm über meine Wangen und benetzten den kalten Steinboden. Ich war ihm immer dankbar, dass er mich in sein Schloss aufgenommen und sich um mich gekümmert hatte. Ich hatte das nie als selbstverständlich gesehen, doch der einzige Grund seiner Fürsorge war Rache. Rache an der Menschheit. Ob er mich all die Zeit ebenfalls gehasst hat? Für das was ich bin? Ein Geräusch hallte von den Wänden meiner Zelle wieder. Es dauerte einen Moment, ehe ich begriffen hatte, dass es mein Schluchzen war. Ich sackte in die Knie, schlang meine Arme um meinen Körper. Wie sollte ich ihm jemals wieder vertrauen, wenn er mich mein Leben lang belogen hatte? Wie viele seiner Worte entsprachen wirklich der Wahrheit? Kälte fraß sich durch meinen gesamten Körper, jagte mir immer wieder Schauer über den Rücken. Ich schrie meine Wut, meinen Frust, meine Trauer hinaus. In der Hoffnung diese Gefühle loszuwerden, die mich zu erdrücken drohten. Sternenstaubdrache schmiegte seinen Kopf an mich. Ich hatte nicht mitbekommen, dass er sich materialisiert hatte, doch ich war dankbar dafür. Ich hatte das Gefühl in ein riesiges Loch zu fallen, aber er gab mir Halt. Doch das beruhigte kaum den tobenden Sturm in mir. Mein ganzes Leben war eine verdammte Lüge. Kapitel 13: Gefangen -------------------- Um mich herum war alles schwarz. Ich stand allein inmitten der Dunkelheit. In meinen Gedanken kreiste nur ein einziges Wort: Warum? Warum hatte Haou mich belogen? Warum war er es nicht, der mir die Wahrheit gesagt hatte? Warum hatte er mich plötzlich allein gelassen und mich in Jesses Verantwortung gegeben? Und was bedeutet das alles für meine Zukunft? Was ist, wenn ich irgendwann diese Aufgabe erfüllt habe? Bin ich dann überflüssig? Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Ziellos wandelte ich durch die Dunkelheit. Ein Schmerz an meiner Stirn. Etwas versperrte mir den Weg. Mit den Händen tastete ich in die Schwärze. Eine Wand. Bin ich eingesperrt? Mein Puls erhöhte sich schlagartig. Nichts hasste ich mehr, als eingesperrt zu sein. Bitte! Hier muss es irgendwo einen Ausgang geben! Mit den Händen tastete ich mich vorsichtig an der Wand entlang, als ich plötzlich eine Unebenheit spürte. Was ist das? Ein Schalter? Er ist klein. Mit einem leisen Klicken betätigte ich ihn. Für einen Moment kniff ich die Augen zusammen, versuchte zu blinzeln um mich an das Licht zu gewöhnen. Das kalte Licht der Neonröhren blendete mich. Ich sah mich um. In dem weitläufigen Raum standen mehrere Krankenbetten. Jedes von ihnen sah frisch gemacht aus, in keinem lag ein Verletzter. Wo bin ich? Das war kein Raum im Schloss, das kaltweiße Licht war nur in meiner Erinnerung. Träume ich wieder? Ich sah an mir hinab. Diese weiße Kleidung trug ich immer in meinen Träumen, doch da war ich immer der kleine Junge von damals. Jetzt aber war ich in meinem momentanen Körper in dieser Welt. Das ist neu. Ich ging zu der Tür am Ende des Zimmers und legte meine Hand auf die Klinke. Zögerlich drückte ich sie nach unten und öffnete die Tür. Vor mir erstreckte sich ein langer Korridor, von dem mehrere Türen abgingen. Aus einem Impuls heraus ging ich weiter. Was ist das für ein Ort? Er kam mir seltsam vertraut vor. Plötzlich hörte ich Schritte. Jemand kam aus einem Nebengang auf mich zu. Ein ziemlich großer Mann mit schwarzem Haar und einer Narbe unter seinem linken Auge. Wer bist du? Ich wollte diese Frage laut stellen, doch kein Wort verließ meine Lippen. Ich war stumm, blieb irritiert stehen. Warum kann ich nicht sprechen? Er bewegte sich weiter auf mich zu, und schien mich nicht zu beachten. Ist er blind? Als er bei mir war, wollte ich meine Hand auf seine Schulter legen, damit er mich beachtete, doch ich griff einfach durch ihn hindurch. Riss meine Augen weit auf. Wie kann das sein? Was ist hier los?! Der Mann öffnete eine Tür und war dahinter verschwunden. Ich sah auf meine Hände. Ich konnte ihn nicht berühren, aber warum? Was ist das für ein Ort? Ich muss hier weg! Ohne nachzudenken, rannte ich. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich meine eigenen Schritte nicht hören konnte. Ich bewegte mich vollkommen lautlos durch den Gang. Das wird immer seltsamer. Wach auf! Ich rannte durch die Gänge, nahm eine Abzweigung nach der anderen. Meine Beine trugen mich wie von selbst, ich wusste nicht wohin ich rannte. Als ich an einer der Türen vorbei ging, blieb ich abrupt stehen. Langsam drehte ich mich zu der metallenen Tür. Ein Warnschild war daran angebracht. Was ist das für ein seltsames Gefühl? Ehe ich realisiert hatte, was ich da tat, stand ich in dem Raum hinter der Eisentür. Vor mir stand eine große Maschine, von dem Tor in der Mitte gingen etliche Schläuche ab. Der Bildschirm an dem Schreibtisch daneben war schwarz. Alles schien abgeschaltet zu sein. Das war der Raum aus meinem Traum. Hier hatte mein Vater mir von der anderen Welt erzählt. Ich schmunzelte. Dieser Ort beruhigte mich auf seltsame Art und Weise. Nur der Wald auf dem Bildschirm fehlte. Ob ich…? Zögerlich ging ich auf den Bildschirm zu. Ich drückte einen Kopf, einige Eingabefelder flimmerten vor meinen Augen. Ich setzte mich auf den Stuhl, wo vorher mein Vater gesessen hatte, und klickte mich durch die Befehlsfelder durch. Ich dachte nicht darüber nach was ich tat, schließlich kam ich zu dem Eingabefeld, indem mein Vater den Wald mit Zeichen dargestellt hatte. Ob das funktionieren kann? In meinen Erinnerungen suchte ich den Wald, bis ich ihn klar vor mir sehen konnte, und ließ meine Finger über die Tastatur wandern. Das Klicken der Tasten hallte leise durch den Raum. Die Bäume, Gräser und Blumen nahmen immer mehr Gestalt an. Als ich fertig war, betrachtete ich zufrieden mein Werk. Ja, jetzt sah der Raum wieder fast so aus wie in meiner Erinnerung. Ich wollte die Eingabe bestätigen, doch schlagartig fiel mir etwas ein und ich stoppte in meiner Bewegung. Sah auf meine Hände, dann auf die Tastatur. Warum konnte ich den Mann vorhin nicht berühren, aber hier funktionierte alles? Auch den Lichtschalter im Krankenflügel konnte ich betätigen. Was für ein seltsamer Traum. „Yusei?“ flüsterte jemand ungläubig. Ich stand auf und drehte mich in derselben Bewegung um. Im Türrahmen stand ein großgewachsener Mann mit blonden, kurzen Haaren und sah in meine Richtung. Ich versuchte zu antworten, doch kein Laut drang aus meiner Kehle. Der Mann kam mir bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht einordnen. Sein Blick wanderte unstet umher, versuchte etwas zu fixieren, bis seine violetten Augen direkt in meine sahen und immer größer zu werden schienen. In seinem Gesicht konnte ich Freude, Verwirrung und Unglaube gleichermaßen lesen. „Das kann nicht sein“ murmelte er und kam auf mich zu. Irritiert beobachtete ich ihn und war unfähig mich zu bewegen. Was hat er vor? Kann er mich sehen? Er hob seine Hand zu meinem Gesicht, in dem Moment wurde alles in feuerrotes Licht getaucht. Ich schrie erschrocken auf, kniff die Augen zusammen. Mein rechter Arm fühlte sich an, als würde er verbrennen. Als ich die Augen wieder aufriss, hatte sich meine Umgebung verändert. Völlig außer Atem sah ich mich um. Ein weitläufiger Raum mit hohen Decken. Nur die kleinen Fenster hoch oben warfen spärliches Licht in das Zimmer. Gegenüber von mir war eine Stahltür. Mein Körper war schweißnass, doch mein Atem beruhigte sich allmählich. Ich saß auf dem Steinboden meiner Zelle. Stimmt, ich bin gestern zusammengebrochen. Danach musste ich vor Erschöpfung einfach auf dem Boden eingeschlafen sein. Jetzt erst spürte ich wieder meinen pochenden Arm und sah an mir hinab. Meine andere Hand klammerte sich schmerzhaft an dem Drachenmal fest. Es leuchtete. Warum? Das hatte es seit dem Nebelberg nicht mehr getan. Ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, ebbte der Schmerz ab und auch das Glühen verging. Zurück blieb nur die dunkelrote Zeichnung. Es sah wieder aus wie zuvor. Was geht hier vor sich? Erst dieser seltsame Traum und jetzt das. „Rubiii“ hörte ich eine helle Stimme und riss mich erschrocken aus meinen Gedanken. Neben mir saß ein keiner, blauer Schutzgeist, der aussah, wie eine Katze mit riesigen Ohren. Seine großen, rubinroten Augen betrachteten mich eindringlich. Sein Schwanz, mit einer ebenso roten Kugel an der Spitze, zuckte aufgeregt. Ist das nicht Jesses Schutzgeist? Ich sah mich um, doch bis auf Rubin und mir war niemand in der Zelle. „Rubi!“ sagte der Geist nun lauter und sprang zu dem Stuhl an meinem Schreibtisch. Darüber hing meine Rüstung, daneben angelehnt mein Schwert. Ich brauchte einen Moment, ehe ich begriffen hatte was er meinte. Die Schwertprüfung! Wie spät ist es? Durch die kleinen Fenster konnte ich den Stand der Sonne nicht ausmachen. Ich muss mich beeilen! Schnell schnappte ich meine Sachen und zog mich an, dann rannte ich zur Tür. Ich griff nach dem Knauf, aber er ließ sich nicht bewegen. Bin ich eingesperrt? Stimmt, als Jesse gestern den Raum verließ, hatte ich einen Schlüssel gehört. Aber wie komme ich jetzt hier raus? Panisch sah ich mich um, aber hier war nichts, mit dem ich mich hätte befreien können. Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Jemand war an der Tür. Ein Schlüssel kratzte im Schloss, einen Moment später öffnete sich die Tür. Rubin verschwand. Überrascht betrachtete ich eine Dämonin mit langem, rotem Haar, das sie zu einem Zopf zusammengebunden hatte. In ihrer Hand hielt sie ein Tablett mit einem Apfel, etwas Brot und Käse. Mit einem freundlichen Lächeln sah sie mich an. „Guten Morgen. Du bist aber früh wach geworden.“ „Guten Morgen“ antwortete ich irritiert und beobachtete, wie sie Richtung Schreibtisch ging. Sie stellte das Essen ab und drehte sich tadelnd zu mir, eine Hand in die Hüfte gestemmt. „Also wirklich, vor so einem wichtigen Tag hättest du dein Abendessen nicht unangetastet stehen lassen sollen. Wie willst du bei deiner Prüfung heute dein Bestes geben, wenn dein Magen leer ist?“ Wie auf Abruf knurrte mein Magen und ließ ihre Gesichtszüge wärmer wirken. „Siehst du, was ich meine? So, und jetzt iss ordentlich, ich werde später nach dir sehen und dich bis zum Ausgang begleiten.“ Als sie sich in Bewegung setzen wollte, fand ich meine Stimme wieder. „Wartet!“ Neugierig blieb sie stehen. „Wer seid Ihr?“ Sie lächelte herzlich. „Lassen wir das mit der höflichen Etikette, wenn du nichts dagegen hast. Nenn mich Fonda, ich bin Heilerin im Gefängnistrakt. Aber jetzt komm endlich und greif zu!“ Ein erneutes Ziehen in meinem Magen ließ mich nicken. Da fiel mir etwas ein. „Wenn Ihr… Ich meine, wenn du die Zelle wieder verlässt, kannst du die Tür bitte nicht abschließen?“ „Tut mir leid“ antwortete sie mitfühlend. „Anweisung von oben. Ich muss die Zelle immer geschlossen halten.“ „Verstehe“ sagte ich zerknirscht. „Aber ich kann dir beim Essen gern Gesellschaft leisten, wenn du das möchtest.“ „Ich will Euch… dich nicht von der Arbeit ablenken.“ Sie winkte mit einem Lächeln ab. „Ach was, im Moment habe ich nicht viel zu tun. Es gibt gerade nur wenige Gefangene, um die ich mich kümmern müsste.“ Gefangene… Ob ich jetzt auch einer davon war? Ich ging zu ihr und setzte mich auf den Stuhl, während sie sich an den Schreibtisch lehnte. „Sag mal… Wenn du mir die Frage erlaubst, warum sitzt der Schützling den Königs in einer Hochsicherheitszelle?“ „Hochsicherheitszelle?“ vergewisserte ich mich. Bis auf die Stahltür und die hohen Fenster gab es nicht unbedingt hohe Sicherheitsvorkehrungen hier drin. Sie nickte. „Es sieht vielleicht nicht danach aus, aber das ist eine der sichersten Zellen die wir haben. Die Tür ist mehrfach verstärkt, so ziemlich alles hier drin magisch versiegelt, das Schloss kann nicht geknackt werden und in den dicken Wänden sind Insignien eingearbeitet worden, die jegliche magische Fähigkeiten entweder verstärken oder blockieren können. Je nachdem welche man von außen aktiviert.“ „Warum sollte man magische Fähigkeiten in einem Gefängnis verstärken?“ „Iss“ sagte sie schmunzelnd. Während ich mir ein Stück Brot nahm, redete sie weiter. „Das stammt noch aus Kriegszeiten. Nicht magische Kreaturen wurden hier drin eingesperrt und gefoltert. Bestimmte Manipulationszauber konnten durch die Insignien verstärkt werden.“ Ich schluckte schwer. Blüht mir das etwa auch? „Keine Angst, das wird schon seit Jahren nicht mehr praktiziert. Vor allem nicht bei dir. Die Wachen wurden dazu angehalten dich in Ruhe zu lassen, solange du dich fügst. Was mich wieder zu meiner Frage bringt: Warum bist du hier?“ Ich wich ihrem Blick aus, starrte auf das Brot in meiner Hand. „Gute Frage“ murmelte ich leise. „Hat dir Meister Jesse gestern nichts erzählt?“ Ein leises Seufzen kam über mich. Wie könnte ich dieses Gespräch vergessen? „Mein Schutzgeist hat gestern jemanden angegriffen“ flüsterte ich. „Du hast deinem Schutzgeist den Befehl zum Angriff gegeben?“ fragte sie ungläubig. Schnell schüttelte ich den Kopf. „Er wollte mich beschützen. Jemand hatte einen Pfeil auf mich abgeschossen.“ „Ist er schwer verletzt?“ fragte sie betrübt. Wieder schüttelte ich den Kopf. „Soweit ich weiß, ist er unverletzt. Nur sein Bogen ist hin.“ „Warte mal“ sagte sie und drückte sich vom Schreibtisch ab. Ich spürte ihren durchdringenden Blick auf mir ruhen. „Willst du mir ernsthaft weiß machen, dass du nur hier bist, weil dein Schutzgeist, als Reaktion auf einen Angriff, einen Bogen kaputt gemacht hat? Deswegen landet doch niemand in einem Hochsicherheitsgefängnis!“ „Ich soll lernen mit ihm zusammenzuarbeiten“ sagte ich zerknirscht. „Mehr weiß ich auch nicht.“ „Hm.“ Sie lehnte sich wieder an den Tisch, bettete ihr Kinn in ihre Hand. „Wie merkwürdig. Welchen Schutzgeist hast du denn, dass Meister Jesse derart hohe Sicherheitsvorkehrungen trifft, obwohl nicht einmal etwas Gravierendes passiert ist?“ „Einen Drachen“ sagte ich schlicht und sah auf. Sie musterte mich überrascht. „Einen Drachen?“ fragte sie skeptisch. „Groß, Flügel, Feueratem, so ein heiliges Geschöpf aus Erzählungen, die seit hundert Jahren ausgestorben sind, Drachen?“ Unwillkürlich musste ich schmunzeln. „Nein, kein Feueratem.“ Wieder musterte sie mich eindringlich. „Du meinst das ernst“ bemerkte sie, ehe ein Glanz ihre Augen erfüllte. „Kannst du ihn rufen?“ Ich blinzelte irritiert. „Was?“ „Ich glaube dir, aber ich würde zu gern einen Drachen aus nächster Nähe sehen! Meine Großmutter hat mir damals viele Geschichten über sie erzählt, aus der Zeit, in der es noch Drachen in der Isekai gab. Du würdest mir damit wirklich eine Freude machen. Aber wenn du das nicht willst, ist das auch in Ordnung!“ „Ähm.“ Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wollte Sternenstaubdrache allerdings nicht rufen wie einen Party Gag. Doch er nahm mir die Entscheidung ab, indem er sich einfach ohne mein Zutun materialisierte und mit einem hellen Brüllen in einem Meer aus Sternen aufstieg. Fonda schreckte nicht zurück, sondern besah sich das Schauspiel ehrfürchtig. „Das ist Sternenstaubdrache.“ Langsam ging sie auf ihn zu und streckte einen Arm nach ihm aus, zog ihn aber wieder zurück und sah zu mir. „Darf ich?“ fragte sie unsicher. Ich nickte. Sternenstaubdrache senkte seinen Kopf auf ihre Höhe und betrachtete sie eindringlich. Er schien neugierig zu sein. Ich musste lächeln. „Hallo, Sternenstaubdrache“ begrüßte sie ihn mit einer Verbeugung. Langsam ging sie um ihn herum und er hob seine Schwingen, die das Licht seicht in allen Farben reflektierten. „Du bist wunderschön“ säuselte sie. Mein Drache reagierte darauf mit einem zufriedenen Brummen. Auf Schmeicheleien spricht er also an. Er hob seinen Kopf und sah zu mir. Irgendwie wirkte er beleidigt, was mich leise lachen ließ. „Entschuldige.“ Fonda sah lächelnd zu mir. „Was hat er gesagt?“ „Er freut sich über das Kompliment“ sagte ich wahrheitsgemäß. Wieder wanderte ihr Blick zu meinem Drachen. „Ein richtiger Drache… Gab es außer ihm noch mehr?“ „Nein“ log ich schnell. „Wie schade.“ Sie sah wieder zu mir. „Dann hast du es bis auf die Spitze geschafft, nicht wahr?“ „Mhm.“ „Du kannst wirklich stolz auf dich sein. Und auch auf deinen Drachen.“ Mir stockte der Atem, ich konnte mein eigenes Herz hören. Das waren genau die Worte, die Haou am Lagerplatz verwendet hatte. Kurz bevor… Ich schüttelte den Gedanken ab. „Alles in Ordnung?“ fragte sie besorgt. „Ja, alles gut. Danke, dass du mir Gesellschaft geleistet hast, aber ich muss jetzt zum Trainingsplatz.“ Sie schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, aber meine Anweisungen sind deutlich. Ich darf dich erst heute Mittag hier rauslassen. Außerdem hast du gerade mal eine halbe Scheibe Brot gegessen. Du wirst schön hier bleiben und etwas zu dir nehmen.“ „Von wem kommen diese Anweisungen?“ „Von Meister Jesse.“ Ich schnaufte. War ja klar. Wenn er damals auf mich aufpassen musste, weil Haou wegen seiner Pflichten nicht im Palast war, wurde ich schon für das kleinste Vergehen eingesperrt. Zwar nie in eine Zelle wie diese hier, aber ich hatte teilweise über Tage kein Sonnenlicht gesehen. Als ich zehn war, hatte er mich einmal in meinem Zimmer eingesperrt und dort vergessen. Zwei Tage musste ich ohne Wasser oder Nahrung auskommen, ehe er mir die Tür wieder öffnete. Das war meine Strafe für unerlaubtes Sprechen. Seitdem bekam ich jedes Mal Panik, wenn ich eingesperrt war. Vor allem von ihm. Diese Zelle verdanke ich wohl dem Vorfall beim Trainingsplatz. Eine sanfte Berührung an meinen Schultern riss mich aus meinen Gedanken. Fonda lächelte mich sanft an. „Ich weiß, diese Situation ist schwierig für dich, aber es ist ja nicht für immer. Und die letzte Anweisung ist übrigens von mir. Setz dich und iss etwas. Du musst bei Kräften bleiben, wenn du trainierst.“ Ich wich ihrem Blick aus und nickte. Kapitel 14: Prüfungsstress -------------------------- Das schwere Holztor öffnete sich und ich trat einen Schritt hinaus, auf die grüne Wiese. Holte tief Luft. Eine sanfte Brise ließ die Gräser tanzen, umspielte mein Gesicht. Ich genoss das Gefühl. Endlich raus aus dieser stickigen Zelle. „Jetzt komm schon!“ brummte der großgewachsene Dämon, der mich hier her geführt hatte. Der Hauptmann hatte heute keine sonderlich gute Laune. „Ich dachte Fonda begleitet mich“ sagte ich verwundert, als ich ihn eingeholt hatte. „Du sprichst nur, wenn es dir erlaubt ist!“ zischte er. „Nicht mal an Etiketten kannst du dich halten!“ Genervt mied ich seinen Blick, schwieg aber. Fonda sagte doch nach unserem Gespräch heute Morgen, dass sie bald wiederkommen würde. Aber seitdem hatte ich sie nicht mehr gesehen. Stillschweigend begleitete mich mein unfreiwilliger Babysitter bis zur Unterkunft der Teilnehmer und verschwand ohne ein weiteres Wort. Als ich eintrat, sahen meine drei Mitschüler auf. Zane und sein Freund standen mitten im Raum und beäugten mich skeptisch, Mai lehnte etwas abseits an einer Wand und mied schnell meinen Blick. „Neue Rüstung?“ kam es von dem Blauhaarigen. Er grinste süffisant. „Die wird dir auch nicht weiterhelfen. Spar dir die Blamage und geh nach Hause!“ „Angst, dass ich gewinnen könnte?“ gab ich unbeeindruckt zurück. Er schnalzte mit der Zunge. „Dass ich nicht lache. Ich hab gehört, dass selbst der König endlich erkannt hat, wie nutzlos du bist. Du sollst aus dem Palast geflogen sein.“ Ich ballte meine Hände zu Fäusten, sah ihn nur noch aus Schlitzen an. Woher weiß er davon? „Ernsthaft?“ lachte sein Freund und sah hochnäsig zu mir. Zane nickte, sein dämliches Grinsen wurde noch breiter. „Klar, hat mir mein Vater erzählt. Endlich sitzt er da wo ein Mensch hingehört: in einer Zelle.“ „Klappe!“ knurrte ich wenig schlagfertig und versuchte mich zu beruhigen. Mich jetzt mit ihm anzulegen könnte mich meine Qualifikation kosten, während er ohne eine Verwarnung davonkommen würde. Plötzlich öffnete sich eine weitere Tür und Meister Zero betrat den Raum. „Na schön, es geht gleich los. Ich hoffe sehr, ihr habt euch gut vorbereitet, denn das wird der schwerste Kampf werden, den ihr bisher bestritten habt. Jedem von euch wurde individuell zu euren Kampfstilen ein Schwertmeister zugeteilt, gegen den ihr antreten werdet.“ Er bedachte jeden von uns mit einem ernsten Blick. Als er mich ansah, bildete sich ein kleines Grinsen in seinem Gesicht. Ich schluckte trocken, versuchte mir meine Nervosität allerdings nicht ansehen zu lassen. Ich wollte gar nicht wissen, wen er sich für mich ausgesucht hatte. „Eure Gegner sind ausnahmslos gute Kämpfer. Niemand erwartet von euch, dass ihr gegen sie gewinnt. Ihr müsst lediglich einen gewissen Zeitraum gegen sie bestehen, ohne von ihnen besiegt zu werden.“ „Das reicht, um in den Meisterrang zu kommen?“ fragte Zane. „Bilde dir nicht ein, dass es einfach wird“ erwiderte Meister Zero. „Ihr tretet schließlich gegen Schwertmeister an. Keiner von ihnen wird es euch leicht machen. Sie haben sehr viel mehr Erfahrung als ihr.“ „Wie lange müssen wir durchhalten?“ „Zehn Minuten. Das klingt vielleicht wenig, aber glaubt mir, sie werden euch vorkommen wie eine Stunde. Da ihr unterschiedliche Gegner haben werdet, steht es euch frei bei den Kämpfen zuzusehen. Zane, du bist der erste, danach kommen Bastion und Mai.“ Sein Blick wanderte zu mir. „Dann kannst du dein Glück versuchen. Aber denkt dran: beim kleinsten Regelverstoß werde ich euch disqualifizieren.“ Ich erwiderte seinen Blick ernst. Wenn er sich irgendetwas ausdenken sollte, hatte ich keine großen Hoffnungen, dass sich irgendjemand auf meine Seite stellen würde. Selbst bei Haou war ich mir inzwischen unsicher. Meister Zero verließ den Raum, ihm folgten Zane und Bastion. Nur Mai blieb mit mir zurück. Ob ich das von gestern aus der Welt schaffen sollte? Einen unendlich langen Moment herrschte eine unangenehme Stille im Raum. „Willst du nicht mit zusehen?“ fragte ich zögerlich. Sie mied meinen Blick. „Wozu? Es bringt ja doch keinen Vorteil, dann kann ich auch hier warten. Was ist mit dir?“ „Ich… wollte eigentlich mit dir reden.“ Sie winkte ab. „Wenn es um gestern geht, spar dir die Mühe. Joey hat die Lektion mal gebraucht.“ „Du bist nicht sauer?“ fragte ich überrascht. Endlich sah sie mich an. „Nein, warum sollte ich? Joey hat dich schließlich angegriffen, ist doch klar, dass dein Schutzgeist dich verteidigt hat. Dein Drache hat mir nur einen riesen Schreck eingejagt.“ Ich konnte nicht anders als zu lächeln. „Tut mir Leid.“ „Hast du ihn unter Kontrolle?“ Ich sah sie fragend an. „Deinen Drachen“ hakte sie nach. „Gestern sah es so aus, als würde er nicht auf dich hören. Immerhin hat er sich auf deinen Befehl hin nicht zurückgezogen.“ Ich seufzte lautlos. „Wir arbeiten dran.“ „Während der Prüfung darf das nicht wieder passieren“ sagte sie ernst. „Das Rufen der Schutzgeister ist strengstens verboten, vergiss das nicht. Und so wie ich das sehe, gibt es wahrscheinlich eine Panik, wenn plötzlich ein Drache hinter dir auftaucht. Sie haben so schon Angst vor dir.“ „Ich weiß. Und wenn sie merken, dass er nicht so auf mich hört, wie es die anderen Schutzgeister tun, wird sie das nicht unbedingt beruhigen. Aber Sternenstaubdrache würde nie jemanden verletzen. Zumindest nicht ohne Befehl.“ „Schon klar, aber das wissen sie nicht. Also leg es lieber nicht drauf an.“ Ich nickte, mied ihren Blick für einen Moment. „Wie geht es Joey?“ Das entlockte ihr ein Schmunzeln. „Sein Ego hat endlich mal Risse bekommen. Habe ich mich dafür schon bedankt?“ Ich musterte sie irritiert. „Wieso bedankt?“ „Das wird ihm vielleiht eine Lehre sein, seine Klappe nicht immer so weit aufzureißen. Du hast ihn doch selbst erlebt. Der kleine Dämpfer tat ihm sicher ganz gut.“ Sie lachte leise und stieß sich von der Wand ab. Kam langsam auf mich zu. „Hm.“ Ich freute mich darüber, dass sie nicht sauer auf mich war, aber dass sie der Vorfall zu amüsieren schien, fand ich eher befremdlich. Als sie bei mir war, beäugte sie das Schwert an meiner Hüfte und sah mich interessiert an. „Darf ich?“ Ich nickte und zog das Schwert aus seiner Halterung, dann reichte ich es ihr. „Schick“ kommentierte sie und nahm es an sich. Drehte die schwarze Klinge und beobachtete die farbenfrohe Reflektion des Lichts. Dann wog sie es in ihren Händen, fuhr behutsam über die Schneide. „Etwas zu klobig für meinen Geschmack, aber ich bevorzuge sowieso den, wie hast du gesagt, eleganten Stil“ sagte sie und schmunzelte amüsiert. Ein kleines Lachen konnte ich mir nicht verkneifen. Plötzlich öffnete sich wieder die Tür und abermals stand Meister Zero vor uns. „Mai, du bist dran.“ „Schon?“ entkam es ihr überrascht. Auch ich sah Meister Zero verblüfft an. Es waren vielleicht 15 Minuten vergangen, höchstens. „Wie oft denn noch? Eure Gegner sind Meister! Die Erfolgsquote bei der Prüfung liegt bei etwa 40 Prozent“ antwortete er sichtlich genervt. „Und jetzt komm!“ Mai nickte und folgte ihm. Auch ich setzte mich in Bewegung. Zumindest ihren Kampf wollte ich nicht verpassen. Als wir durch die Tür traten, kamen wir in einem langen Korridor an. Das Geräusch unserer Schritte hallte an den Wänden wieder. Obwohl ich noch nicht dran war, klopfte mein Herz schneller. Ich hörte die Menge an Dämonen am Ende des Ganges. Das Stadion war allem Anschein nach gut gefüllt. Mais Blick war stur geradeaus gerichtet, doch ich konnte sehen, wie sie zitterte. Beruhigend legte ich meine Hand auf ihre Schulter. Das riss sie anscheinend aus ihren Gedanken und sie sah zu mir. „Du schaffst das“ flüsterte ich. Einen Moment musterte sie mich, schließlich schenkte sie mir ein kleines Lächeln. „Ich weiß.“ „Mai, du gehst weiter den Gang entlang, und du kommst mit mir“ befahl Meister Zero und zog mich unsanft am Arm in einen Nebengang. Dort ließ er mich wieder los und öffnete eine Tür. Ich schritt hindurch und sah Zane und Bastion ziemlich lädiert auf einer Bank sitzen. Von hier konnte man das gesamte Kampffeld hinter einer niedrigen Brüstung gut überblicken. „Warte hier bis zu dran bist“ knurrte unser Meister und verschwand wieder. Zane sah mich finster an. „Ein falscher Spruch und ich sorge dafür, dass du da nicht raus kannst.“ Ich grinste nur in mich hinein und beobachtete Mai, wie sie aus dem seitlichen Eingang schritt. Zanes Reaktion nach zu urteilen, hatten also beide verloren. Sollen die beiden doch erst ihre Wunden lecken. Das müsste ihrem Ego erstmal einen Dämpfer verpassen. „Kommen wir nun zur dritten Schülerin, die ihre Meisterprüfung ablegen wird. Einen Applaus für Mai Valentine!“ schallte es erstaunlich laut durch das Stadion, was die Menge jubeln ließ. Ich ließ meinen Blick über die Zuschauer schweifen, bis ich an einem Balkon, räumlich abgetrennt vom Rest der Menge, auf ein gelbes Augenpaar stieß. Haou sah mich direkt an, sein Gesicht war unergründlich. Sein Anblick versetzte mir einen Stich, ich mied seinen Blick. „Ihre Gegnerin ist die verehrte Meisterin Tania!“ Ein erneuter Applaus donnerte über das Feld. Ich zwang meine Aufmerksamkeit wieder auf das Spielfeld, schluckte hart. Mais Gegnerin trat auf das Feld. Überraschenderweise trug sie nur einen festen Lederharnisch und kurze Beinkleider, die die Naben über ihrem muskelbepackten Körper noch mehr hervorhoben. Sie hatte den Ruf im letzten Krieg beinahe so viele Gegner erledigt zu haben wie Jubel. Selbst verletzt soll sie eine gefährliche Kriegerin sein. Mai konnte nur auf ihre Schnelligkeit setzen, denn in Sachen Stärke war Meisterin Tania ihr überlegen. Als die beiden sich in etwa fünf Metern Entfernung gegenüberstanden, schallte erneut die laute Stimme über das Feld. „Verbeugt euch!“ Die beiden folgten dem Befehl. „Zieht die Schwerter!“ Das Geräusch schleifenden Metalls hallte leise über das Feld. Am anderen Ende des Kampffeldes wurde eine große Sanduhr umgedreht. Noch während das erste Sandkorn durch die kleine Öffnung fiel, schallte es erneut über den Platz. „Kämpft!“ Einen Moment lang sahen sich Mai und Tania einfach nur in die Augen, schließlich preschte Mai voran. Scheinbar mühelos wurde ihr Angriff abgehalten. Immer wieder schlug sie auf ihre erfahrenere Gegnerin ein, doch die Meisterin parierte jeden Schlag, wurde nicht einmal nennenswert zurückgedrängt. Aber sie holte nie zum Gegenschlag aus. Moment… Das ist gar nicht gut. Mai sollte ihre Strategie wechseln. Tania studiert ihr Schlagmuster! Mai schien zu fokussiert auf ihre Schläge, sie bemerkte Tanias Strategie scheinbar nicht. Ein weiterer Hieb ging ins Leere, plötzlich holte die Meisterin zum Gegenschlag aus. Um Haaresbreite konnte Mai ausweichen und brachte etwas Platz zwischen sich und Tania. Ich atmete erleichtert aus. Endlich, sie scheint es bemerkt zu haben. Aber Tania ließ sie kaum Luft holen. Die Hiebe der Meisterin waren kräftig, Mai parierte die Schläge nicht, sondern wich aus. Leider schien ihre Kondition darunter zu leiden. Man sah Mai ihre Erschöpfung an. „Komm schon“ murmelte ich und beobachtete wie Mai immer weiter zurückgedrängt wurde. Ein seitlicher Schlag, Mai duckte sich, konnte dem nächsten aber nicht ausweichen und parierte mit ihrer dünnen Klinge, wurde dadurch immer weiter nach unten gedrängt. Mist! Die Meisterin hat die Oberhand. Du musst schnell verschwinden! Mit einer geschickten Drehung ließ Mai die Klinge ihrer Gegnerin in den Boden gleiten, dann stieß sie am Boden kniend ihr Schwert in Richtung Lederharnisch. Tania drehte sich schnell weg und zog ihre Klinge dabei aus dem Boden, trotzdem traf Mais Schwert sie an der Schulter. Die Meisterin schien davon wenig beeindruckt und stieß erneut zu, rammte ihre Klinge aber in den Boden, denn Mai war schneller und drehte sich weg. Rappelte sich auf und brachte sich außer Atem wieder in Kampfstellung. Mein Blick fiel auf die Sanduhr. Verdammt! Es war gerade einmal die Hälfte der Zeit um! Erneut schnellte Mai auf ihre Gegnerin zu, ließ ihre Klinge in schneller Folge auf sie los, doch die Meisterin kannte jetzt Mais Kampfmuster. Sie parierte einen Schlag und stieß ihr Schwert Richtung Mais Bauch. Diese bemerkte es glücklicherweise und wich in letzter Sekunde aus, brachte wieder etwas Platz zwischen sich und ihrer Gegnerin. Mai schien völlig außer Atem, aber auch an der Meisterin ging der Kampf nicht spurlos vorbei. In einer fließenden Bewegung schnellte Mai voran, duckte sich unter dem auf sie zukommenden Schwert, und rammte ihre dünne Klinge in das Bein ihrer Gegnerin. Ein Schrei, die Meisterin setzte zum Gegenschlag an, doch Mai brachte in derselben Bewegung wieder etwas Platz zwischen sie. Die Zuschauer jubelten. Ich schmunzelte. Jetzt war Mai im Vorteil. „Hinterhältig, aber nicht schlecht“ kommentierte Zane hinter mir. Meine Hände krallten sich förmlich in die niedrige Brüstung, ich hatte kaum wahrgenommen, dass ich weiter vorgegangen war. Trotz der unaufhörlich blutenden Wunde kämpfte Meisterin Tania weiter, als wäre der tiefe Schnitt nur ein Kratzer und drängte Mai damit wieder zurück. Plötzlich stolperte Mai, ihre Gegnerin nutzte ihre Chance und ließ die Klinge auf sie zu schnellen, doch Mai schaffte es wegzuspringen. Die Meisterin gab ihr jedoch keine Zeit sich wieder zu fangen und stieß erneut zu. Vor Schmerz stöhnend landete Mai auf dem Rücken und versuchte das Schwert ihrer Gegnerin mit ihrer eigenen Klinge zurückzudrängen. „Mai!“ rief ich verzweifelt, auch durch die Zuschauer ging ein Raunen, alle riefen durcheinander. Zentimeter für Zentimeter drückte die Meisterin ihr Schwert tiefer, Mai hatte große Mühe das Schwert auf Abstand zu halten, schaffte es einfach nicht sich aus der Lage zu befreien. Verdammt! Da kommt sie nicht mehr heraus! „Die Zeit ist um!“ schallte es über den Platz. Irritiert sah ich zu der großen Sanduhr. Tatsächlich. Der gesamte Sand ist durchgeflossen. Die zehn Minuten sind um! Mai hat es geschafft! Ein donnernder Applaus ging durch die Menge, Meisterin Tania erhob sich und half Mai auf, die selbst nicht zu realisieren schien, dass sie es geschafft hatte. Über irgendetwas unterhielten sich die beiden, doch es ging im Tosen um uns herum unter. „Herzlichen Glückwunsch, Mai!“ rief wieder die laute Stimme, deren Ursprung ich einfach nicht ausmachen konnte. „Du hast die Prüfung bestanden und erhältst offiziell den Titel der Schwertkampfmeisterin!“ Ungläubig wanderte ihr Blick über die Menge, bis sie zu mir sah. Langsam schien sie die Worte zu begreifen und lief begeistert auf mich zu. Ich konnte meine Freude über den Ausgang des Duells ebenso wenig verstecken. „Geschafft!“ quietschte sie vergnügt. Ich hielt ihr meine Faust hin, sie erwiderte. „Glückwunsch, Meisterin Valentine, du hast es verdient!“ sagte ich. Sie lachte. „Der Titel hat was. Meisterin Mai Valentine. Daran kann ich mich gewöhnen!“ Plötzlich stand Zane an meiner Seite. „War ganz schön knapp. Ein paar Sekunden länger und du hättest verloren.“ Mai schmunzelte. „Wie lange hast du es gleich ausgehalten?“ „Acht Minuten“ knurrte er und setzte sich wieder. Mai lachte vergnügt. „Jetzt bist du dran, Yusei! Zeig es ihnen!“ Ich nickte entschlossen. Hinter mir öffnete sich die Tür erneut und Meister Zero sah mich grinsend an. „Komm schon!“ Ich folgte ihm aus dem Raum hinaus, den Durchgang entlang auf den langen Korridor. Meinen Herzschlag spürte ich mit jedem Schritt intensiver. Nur noch wenige Augenblicke, dann beginnt endlich meine Prüfung. Doch das amüsierte Gesicht von Meister Zero wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Irgendetwas hatte er vor, und ich würde auch gleich sehen was. Ich schritt auf das Feld, der Applaus verebbte. „Kommen wir zu unserem letzten Herausforderer, und dem ersten Menschen, der an dieser Prüfung teilnehmen wird: Yusei!“ Verhaltenes Klatschen, einzelne Buh-Rufe, doch damit hatte ich gerechnet. Mein Blick wanderte unwillkürlich zum Balkon und dem gelben Augenpaar, das sich mir abgewandt hatte. Haous Gesicht war ernst, er redete mit Yubel, die mich mit einem undefinierbaren Blick fixierte. Doch dann starrte Haou entgeistert auf das Kampffeld. „Sein Gegner ist der ehrwürdige…“ Auch ich riss mich von der Szenerie auf dem Balkon los und sah nach vorn. Riss die Augen auf. Mir stockte der Atem. Warum er? Dieser verfluchte Zero! Die smaragdgrünen Augen meines Gegners waren auf mich gerichtet, in der dunkeln Lederrüstung wirkte sein blaues Haar wie ein eiskaltes Leuchtfeuer. „Meister Jesse!“ Kapitel 15: Jesse vs. Yusei --------------------------- „Meister Jesse!“ Der donnernde Applaus ging wie ein Rauschen an mir vorbei, während ich mechanisch auf ihn zuging. Ich konnte mich nicht auf das fokussieren, was mir bevorstand. Warum ausgerechnet Jesse? Sein Kampfstil war meinem nicht unähnlich, außerdem war er mir hinsichtlich Schnelligkeit, Kraft und Wendigkeit weit überlegen. Mir fiel kein Weg ein, wie ich gegen ihn bestehen konnte. Denk nach, verdammt! Wenige Schritte von ihm entfernt blieb ich stehen. „Verbeugt euch!“ schallte die Stimme durch das Stadium. Ohne nachzudenken, folgte ich dem Befehl. Plötzlich wurde ich ruhiger. Sternenstaubdrache. Ich wusste nicht wie, aber er beruhigte mich. „Zieht die Schwerter!“ Das leise Geräusch schleifenden Metalls erklang, ich sah Jesse ernst an. Das war meine einzige Chance diese Prüfung zu bestehen. Die Genugtuung meines Versagens wollte ich den anderen nicht gönnen. Egal wie, aber diesen Kampf musste ich gewinnen. „Kämpft!“ Jesse preschte nach vorn. Unnachgiebig und mit beeindruckender Präzision sausten seine Hiebe auf mich herab. Ich dachte nicht darüber nach, wehrte jeden Schlag ab, während er mich immer weiter zurückdrängte. Er gönnte mir keinen Augenblick zurückzuschlagen. Ein Schlag nach vorn, ich drehte mich zur Seite, setzte einen Hieb nach seinem Brustkorb, er parierte, schlug mir mein Schwert mit einer Drehung aus der Hand. Es flog durch die Luft und bohrte sich in den Boden, seine Klinge sauste auf mich zu. In letzter Sekunde duckte ich mich, rollte mich ab, um zu meinem Schwert zu gelangen, doch Jesse war schneller. Er stellte sich mir in den Weg, seine Klinge sauste wieder auf mich zu. Ich konnte nicht mehr als ausweichen, er drängte mich zurück. Weiter von meinem Schwert weg. Ein weiterer hieb traf meine linke Schulter, ich stöhnte vor Schmerz. Haous Rüstung hatte die Klinge gestoppt, nicht jedoch den Aufprall. Zwei weitere Hiebe, einer traf meine linke Seite. Verdammt! Er ist schnell. Irgendwie muss ich ihn ablenken. Aber der einzige Weg wäre… Ach, scheiß drauf. Ich sprang zur Seite, rollte mich ab, schnappte mir dabei lose Erde vom Boden und warf sie in sein Gesicht. Den Moment der Überraschung nutzte ich, um zu meinem Schwert zu gelangen. Proteste aus dem Stadium, doch der Kampf wurde nicht unterbrochen. Also war meine Aktion doch nicht regelwidrig. Endlich war ich nicht mehr schutzlos, doch sobald ich mich in Angriffsposition gebracht hatte, schlug mein Gegner wieder auf mich ein. Langsam zehrte der Kampf an meinen Kräften, doch Jesse schien nicht einmal ins Schwitzen zu kommen. Seine Schläge waren weiterhin schnell und präzise. Plötzlich durchflutete mich eine ungeheure Energie. Mein Arm brannte. Ich parierte Jesses nächsten Schlag und setzte in der gleichen Bewegung zum Angriff an. Sobald er ihn pariert hatte, sprang er zurück, ebenso ich. Sein Blick war überrascht, wurde dann ernster. Er preschte nach vorn, stach mit seinem Schwert zu. Ich lenkte seine Waffe mit meiner Armschiene um, spürte einen Schmerz in meinem Gesicht, als sie daran vorbeiglitt. Er riss die Augen auf. Keuchend betrachtete er mich, die Zeit schien still zu stehen. Der sanfte Wind wirbelte die trockene Erde auf, wehte sie über das Kampffeld. Es war, als wären alle Geräusche um uns herum zum Erliegen gekommen. Wieder hörte ich die Stimme durch das Stadium schallen. Sie schien verwirrt. „Und der Gewinner ist… Yusei.“ Was? Warum? Langsam wanderte mein Blick nach unten. Ich erschrak. Mein Schwert hatte sich in Jesses Bauch gebohrt. Sein Blut färbte die Erde langsam rot. Auf meinem Unterarm glühte das Drachenmal, das langsam abebbte. Auch die Energie, die ich gespürt hatte, war aus meinem Körper verschwunden. Eine Hand auf meiner Schulter ließ mich aufblicken. Fonda stand neben mir, sah mich ernst an. „Lass das Schwert bitte los, um alles weitere werden wir uns kümmern.“ Wir? Ich sah mich um. Um uns herum hatten sich einige Heiler versammelt. Immer noch konfus sah ich zu Fonda und nickte. Sie nahm mir das Schwert aus der Hand, sprach eine Formel und zog es langsam heraus. Jesse sagte keinen Mucks, verzog nur schmerzverzerrt das Gesicht, während er von den anderen gestützt wurde. Fonda drückte mir meine Klinge wieder in die Hand und schmunzelte. „Herzlichen Glückwunsch“ flüsterte sie und zog sich anschließend zusammen mit den anderen Heilern zurück, um Jesse zu versorgen. Ich sah ihnen nach. Habe ich es wirklich geschafft? Ist die Prüfung vorüber? Habe ich tatsächlich bestanden? „Sehr verehrte Zuschauer, was den Meisterrang betrifft, müssen wir uns zur Beratung zurückziehen. Bitte haben Sie einen Augenblick Geduld.“ Ich sah auf. Im Stadium war es so still, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Mein Blick wanderte zum Balkon, doch er war verlassen. Weder Haou noch Yubel waren da. Aus irgendeinem Grund versetzte es mir einen Stich. „Monster“ rief eine Stimme hörbar aus dem Publikum. Verwirrt sah ich auf. Erst jetzt sah ich die angsterfüllten Gesichter der Zuschauer. Immer mehr stimmten in den Ausruf ein. Monster, Betrüger, Scheusal. Ich konnte mir auf all das keinen Reim machen. Warum hassen sie mich jetzt noch mehr? Ich hatte Jesse nicht lebensbedrohlich verletzt. Spätestens in ein paar Stunden sollte er wieder fit sein. Irgendetwas traf mich an der Schulter. Verwirrt sah ich zu Boden. Ein Stein. Wieder sah ich mich um. Auch andere warfen mir plötzlich Gegenstände entgegen. Ich stand in der Mitte des Feldes, das meiste verfehlte mich, doch wenn ein Stein weiter geworfen wurde und mich treffen konnte, war ich nicht in der Lage auszuweichen. Zu groß war meine Verwirrung. Erst als Stimmen laut wurden, dass man mich töten sollte, bewegten mich meine Beine wie von selbst rückwärts. Ich schüttelte verwirrt den Kopf, konnte es einfach nicht verstehen. Warum hassten sie mich? Was hatte ich getan? Das konnte nicht nur mit meinem Sieg zusammenhängen. Als ich immer weiter zurückging, wurde ich öfter getroffen. Die Zuschauer hinter mir mussten nicht mehr ganz so weit werfen. Was soll ich nur tun? Plötzlich bohrte sich in Messer neben mir in den Boden. Ich schluckte. Sie meinen es ernst. Ich stand da wie auf dem Präsentierteller. Ein helles Brüllen schallte durch die Arena, Schreie aus dem Publikum, krallenbesetzte Klauen legten sich schützend um mich. Ich verlor den Halt unter meinen Füßen, fiel in die Klauen von Sternenstaubdrache, konnte nicht mehr erkennen was um mich herum passierte. Nein! Bitte, tu ihnen nichts! Sie haben nur Angst. Ich weiß nicht warum, aber sie haben Angst vor mir. Bitte, du darfst niemanden verletzen! Noch einmal hörte ich das Brüllen meines Drachen, dann erstarben die Geräusche um mich herum. Nur seichte Flügelschläge waren noch zu hören. Langsam schoben sich die Krallen beiseite und ich sah hinauf in den Himmel. Spürte den Wind in meinem Gesicht. Sternenstaubdrache hielt mich fest. Ich sah an seinen Klauen vorbei zu Boden. Die riesigen Gebäude der Stadt wurden immer kleiner, verschmolzen mit der Landschaft. Wir waren nicht mehr in der Arena. Er hatte mich da rausgeholt. Ich war dankbar, dass er mich in Sicherheit gebracht hatte. Weg von diesen hasserfüllten Blicken… Aber was jetzt? Wohin? Wir konnten nicht ewig fliehen. Kapitel 16: Vertrautes Gespräch ------------------------------- Ich flog mit Sternenstaubdrache abseits der Städte und genoss noch einen Moment meine kurze Freiheit. Ich wusste, dass wir nicht ewig weiterfliegen konnten. Irgendwann mussten wir zurück und ich wollte nicht wissen, welche Strafe ich für meine Flucht bekommen würde. Unter uns erkannte ich eine alte Siedlung. Haou hatte mich früher immer hier hin mitgenommen, wenn er den Wiederaufbau überwachen wollte. Nicht weit von hier gab es ein unterirdisches Netzwerk aus Tunneln und Räumen, in denen sich die Dorfbewohner während des Krieges versteckt hatten. „Kannst du hier landen?“ fragte ich an Sternenstaubdrache gerichtet. Dieser brummte und setzte zum Sinkflug an. Vorsichtig landete er und ich spürte wieder Boden unter meinen Füßen. Danke. Wieder nickte er und löste sich auf. Ich sah mich um. Der Eingang sollte hier irgendwo sein. Nach kurzer Suche hatte ich ihn gefunden und befreite die kleine Holztür vom Gestrüpp. Knarzend ging sie auf und vor mir erstreckte sich eine ewig weite Schwärze. Dieses Mal hatte ich keine Möglichkeit einen Trank zu mischen, der mir den Weg erleuchten würde. Einige der benötigten Zutaten wuchsen hier nicht. Ich setzte einen Fuß in die Dunkelheit und tastete meinen Weg an den Wänden ab. Den Grundriss hatte ich noch in etwa im Kopf, schließlich war das hier mein Lieblingsort, wenn wir hier waren. Bald schon hatte ich den Eingang gänzlich hinter mir gelassen und war inmitten der Finsternis. Ich griff ins Leere, hier musste der erste Raum sein. Ohne darüber nachzudenken bog ich um die Ecke und lehnte mich an die Wand. Ließ mich langsam daran hinabgleiten. Legte meine Arme auf den Knien ab und lehnte meinen Kopf an den kühlen Stein. Dieser Ort hatte mir immer Sicherheit gegeben. Wieder schwirrten in meinem Kopf die ängstlichen Blicke der Dämonen aus dem Stadium herum. Warum hatten sie in diesem Moment so große Angst vor mir? Warum hassten sie mich jetzt mehr als vorher? Ich schlang meine Arme um meine Beine und legte meinen Kopf darauf ab. Kniff die Augen zusammen. Erst die Sache mit Haou und jetzt das. Warum will niemand verstehen, dass ich nur zum Schutz unseres Landes handeln will? Ich bin kein Monster. Ich bin keine Gefahr für die Dämonen. Wie oft soll ich es noch beweisen? „Willst du dich jetzt für immer hier verkriechen?“ Ich sah auf, musste ob der plötzlichen Helligkeit mehrmals blinzeln. „Wie hast du mich gefunden?“ Einen Arm stemmte Yubel in die Hüfte, in der anderen Hand hielt sie einen kleinen Feuerzauber aufrecht. Ich Blick war streng auf mich gerichtet. „Ich habe Sternenstaubdrache wegfliegen sehen, also bin ich euch gefolgt. Du hast ein ganz schönes Chaos zurückgelassen.“ Ich wich ihrem Blick aus. „Ich weiß. Tut mir Leid.“ „Warum bist du abgehauen?“ Ich seufzte. Zögerte einen Moment. „Sie haben aus irgendeinem Grund angefangen Dinge nach mir zu werfen. Zuerst Steine, aber als mich dann ein Messer verfehlt hat, hat Sternenstaubdrache beschlossen, dass eine Flucht das Beste wäre.“ Ich ballte meine Hände zu Fäusten, sah stur auf den Steinboden. „Ich weiß nicht warum, aber sie scheinen mich noch mehr zu hassen als vorher. Lag das nur an meinem Sieg?“ Stille. Yubel schien ihre Worte abzuwägen. Als ich aufsah, sah sie mich mit einem unergründlichen Blick an. „Du hast wirklich keine Ahnung was passiert ist, oder?“ Ich sah sie verständnislos an, was sie seufzen ließ. „Mitten im Kampf warst du wie ausgewechselt. Deine Angriffe waren so schnell, man konnte ihnen kaum noch folgen.“ „Was?“ Ich dachte Jesse wäre nur langsamer geworden, weil ihm die Kraft ausging. Sie nickte. „Das ist nicht alles. Dieses Drachenmal auf deinem Arm hat angefangen zu leuchten. Irgendwie ist diese Energie auf dein Schwert übergesprungen und sah den Waffen der Menschen damals im Krieg sehr ähnlich. Auch sie hatten damals eine Art Zauber auf ihre Waffen gelegt.“ Ich konnte es nicht fassen, starrte sie nur an. Wenn ich aussah wie ihre damaligen Gegner, muss sie das scheinbar erschreckt haben. Kein Wunder, dass sie plötzlich Angst vor mir hatten. „Aber wie kann das sein?“ fragte ich verwirrt. „Habe ich wirklich Magie angewendet, ohne es zu wissen?“ „Nicht ganz. Die Insignien auf deinem Schwert hatten damit nichts zu tun. Und ich sagte es sah ähnlich aus wie damals, die Energie war eine andere.“ „Hm.“ Ich sah auf meine Hände. Konnte das leichte Zittern nicht unterdrücken. Das war zu viel auf einmal. Woher kam diese Energie? Etwa von Sternenstaubdrache? Aber es fühlte sich ganz anders an, als ich mich mit ihm verbunden hatte. Was hat das alles zu bedeuten? „Irgendwann wird sich die Lage wieder beruhigen“ durchtrennte sie die Stille und ließ mich zu ihr sehen. „Bis dahin wäre es das Beste, wenn wir wieder zurückfliegen und du in deinem Zimmer bleibst.“ Ich schnaufte. „Du meinst in meiner Zelle.“ Allein der Gedanke daran wieder in dieses dunkle Loch zu müssen, ohne Tageslicht und allein, war mir zuwider. „Hör auf rumzuheulen. Es hat einen Grund warum du dort bist.“ „Und welchen?“ Ich stand auf um sie richtig anzusehen. „Weil ich meinen Schutzgeist nicht kontrollieren kann? Weil ich immer noch keine Magie anwenden kann, obwohl ich mit meinem Drachen dazu in der Lage sein sollte? Weil Haou nichts mehr mit mir zu tun haben will? Warum, Yubel?!“ Sie sagte nichts, sah mich während meines kleinen Ausbruchs nur seelenruhig an. „Bist du fertig?“ „Was?“ fragte ich verwirrt. „Ja, du musst lernen mit deinem Drachen umzugehen. Ja, deine Magie kannst du in der Zelle besser erlernen und ja, der König hat auch andere Verpflichtungen als deinen Trainingsplan. Deswegen hat er dich in Jesses Verantwortung gelegt.“ Unsanft griff sie nach meinem Handgelenk und zog mich näher zu sich. Sah mir fest in die Augen. „Und du wirst verdammt noch mal die Zähne zusammenbeißen, aufhören dich in Selbstmitleid zu baden und deine Ausbildung beenden. Ich habe gerade angefangen zu glauben, dass du es vielleicht wert bist an Haous Seite zu kämpfen. Dein Drache ist der beste Beweis dafür. Lass mich meine Entscheidung bloß nicht bereuen!“ Ich blinzelte nur überrascht, konnte nicht antworten. Der Druck auf meinem Handgelenk verschwand, sie trat zurück und verschränkte ihre Arme. „Das mit der Magie scheint ja doch zu funktionieren.“ Diese Worte schien sie eher an sich selbst zu richten, trotzdem wusste ich nicht wie sie jetzt darauf kam. „Was meinst du damit?“ „Anwenden kannst du sie vielleicht noch nicht, aber zumindest aufrechterhalten.“ Ich schüttelte nur irritiert den Kopf, doch sie deutete auf meine Hand. Zögerlich wanderte mein Blick nach unten. Ich erschrak. Die kleine Flamme, die bis eben noch in Yubels Hand brannte, verlor mit einem Schlag an Intensität, erlosch aber nicht. Wie? Wann hat sie? Etwa als sie mein Handgelenk festhielt? Hat sie die Flamme in diesem Moment in meine Hand gelegt? Woher wusste sie, dass es funktionieren würde? „Hör auf zu denken.“ Ich sah auf. Nur vage konnte ich Yubels Silhouette im schwachen Licht erkennen. „Mach die Augen zu.“ Zögerlich folgte ich ihrer Aufforderung. Die kleine Flamme in meiner Hand war warm und stetig in Bewegung. „Spürst du die Wärme?“ Ich nickte. „Woran erinnert dich das Gefühl?“ Ich ließ die Energie noch einen Augenblick auf mich wirken, schließlich legte sich ein kleines Schmunzeln auf meine Lippen. „An einen Herzschlag.“ „Jetzt… versuch an eine Person zu denken, bei der du diesen Herzschlag deutlich spürst.“ Mein erster Gedanke galt Haou. Sein zufriedener Blick, wenn wir allein waren. Sein seltenes Lachen, wenn wir auf Reisen waren. Sein Lächeln, als er mir die Rüstung überreicht hatte. Mein Gesicht fühlte sich so warm an. Der Raum wurde wieder heller, die Flamme größer. Ich konnte es durch meine geschlossenen Lider erkennen. Ich war immer so glücklich, wenn ich bei ihm war. Ob es jemals wieder so sein kann? Ob er mich jemals wieder mit diesem warmen Blick ansieht? Oder ist jetzt alles anders? Um mich herum wurde es dunkler. Waren diese Gefühle jemals echt? Oder hat er mir mein Leben lang etwas vor gemacht, damit ich auf seiner Seite bin? Meine freie Hand ballte sich zur Faust, mein Kiefer spannte sich an. Schließlich hatte er mich damals nur aufgenommen, um seine Rache an der Menschheit zu stillen. Wer sagt, dass sich seine Motivation bis heute geändert hat? Wie viel von alldem war gelogen?! Schlagartig wurde es heiß, ich riss die Augen auf. Ich hatte die Kontrolle über die Flamme verloren, sie wurde immer größer. Eine Hand schob sich unter das Feuer und zog es mit sich. Langsam schrumpfte es in Yubels Obhut wieder auf seine ursprüngliche Größe. Mein Blut rauschte in meinen Ohren. Mein Herz beruhigte sich nur langsam. So ist das also. „Verstehst du es jetzt?“ Ich stutzte. „Meine Gefühle haben sie beeinflusst.“ „Richtig. Wut, Angst, Glück, Trauer, Liebe. All diese Gefühle können einen Zauber stärken oder schwächen. Sind deine Emotionen stärker als du, hast du keine Kontrolle mehr über den Zauber. Sind sie allerdings im Einklang, kannst du deine Magie nach deinem Willen kontrollieren. Aber dafür musst du erst einmal im Reinen mit dir selbst sein.“ „Madame Tredwell sagte immer, der Schlüssel zur Magie sei Ruhe“ sagte ich mehr zu mir selbst. „Glaubst du wirklich, du könntest auf dem Schlachtfeld ruhig bleiben? Wenn deine Kameraden um dich herum umfallen, wie die Fliegen? Wenn du nicht weißt, ob du die, die du liebst, beschützen kannst? Niemand kann in so einer Situation vollkommen ruhig bleiben und trotzdem sind Magier in der Lage, ihre Kraft im Kampf zu kontrollieren. Der einzige Schlüssel dazu ist, seine Gefühle zu akzeptieren und zu kanalisieren. Sie dürfen nie die Oberhand gewinnen.“ Ich nickte. So hatte ich das noch nie gesehen. „Allerdings beweist diese kleine Übung von eben nicht, dass du bereit bist Magie auszuführen. Lediglich, dass du das Potential dazu hast es vielleicht irgendwann zu schaffen.“ Unweigerlich musste ich lächeln. „Das reicht mir völlig.“ Auch sie legte ein kleines Lächeln auf. „Schön. Jetzt, wo das geklärt ist, lass uns wieder zurückfliegen. Ich würde gern sehen, ob dein Drache mit mir mithalten kann.“ *~* Am späten Abend landete Yubel auf dem leeren Platz vor dem Nebenkomplex des Palastes, der bereits lange Schatten auf die ebene Fläche warf. Sternenstaubdrache folgte ihr. Er war noch gar nicht richtig gelandet, da öffneten sich die Tore und Palastwachen stürmten den Platz, umkreisten uns. Das Klirren der Rüstungen war allgegenwärtig. Der Hauptmann blitzte mich wütend an, kaum, dass ich aus den Klauen meines Drachen getreten war. „Zieh deinen Schutzgeist zurück!“ Die Reaktion von Sternenstaubdrache war ein tiefes Brummen, doch ich versuchte ihn zu beruhigen. Auch wenn sie wütend aussehen, sie werden uns nichts antun. Die Konsequenzen wären zu schwerwiegend, vor allem in Yubels Anwesenheit. So schien mein Drache nachzugeben und zog sich zurück. Yubel drehte sich überrascht zu mir, legte ein kleines Schmunzeln auf ihre Lippen. Plötzlich trat eine Gestalt aus dem Schatten des Eingangs. Seine grünen Augen schienen zu leuchten, beobachteten jede meiner Bewegungen. Langsamen Schrittes kam Jesse auf uns zu, die Wachen traten zurück, bildeten eine Schneise, die direkt zu uns führte. Ich schluckte, hatte ich doch keine Ahnung, was mir als Strafe für mein Verschwinden blühen würde. „Ab in deine Zelle“ waren seine einzigen Worte, während er mich nur aus Schlitzen betrachtete. Ich wägte ab, ob ich ihm die Sache erklären oder ihm gehorchen sollte und warf einen kurzen Seitenblick zu Yubel, die mir dezent zunickte. Schließlich setzte ich mich in Bewegung. Hinter mir ertönten Schritte. Der schweren Rüstung nach zu urteilen der Hauptmann, doch ich drehte mich nicht zu ihm, lief einfach weiter. Jesse würde zu einem späteren Zeitpunkt ohnehin zu mir kommen, da wollte ich mir nicht noch einen Vortrag anhören, wie unverantwortlich mein Verhalten war. Kaum, dass ich in meine offene Zelle getreten war, fiel die massive Tür mit einem lauten Knall hinter mir ins Schloss. Ein Schlüssel kratzte im Metall, der Rigel sperrte mich ein. Die Stille darauf war bedrückend. Langsam ging ich zu meinem Bett. Die dünne Matratze gab unter mir nach, der Stoff des Lakens raschelte. Das wenige Licht der beinahe untergegangenen Sonne warf einen gespenstischen Schein an die meterhohen Wände. Bald dürfte es hier drin komplett finster sein. Ich rutschte bis zur Wand und zog die Beine an, bettete meine Arme darauf. Was für ein langer Tag. Trotz der hiesigen Flut an Informationen war mein Kopf wie leergefegt. Erst als das Zimmer bereits in schwaches Mondlicht gehüllt war, nahm ich meine Umgebung wieder bewusst war. Wie lange sitze ich hier schon und warte? Ob Jesse heute überhaupt noch einmal kommt? Oder irgendjemand? In diesem Raum gab es leider keine Kerzen oder irgendeine Form von Licht, sodass ich mich nicht einmal mit meinen Büchern ablenken konnte. Dabei musste ich bei Sonnenaufgang doch bei… Ich seufzte. Stimmt, meine Lehre bei Meister Damian wurde abgebrochen. Schwertkampfunterricht hatte ich auch keinen mehr. Ob sie mir den Meisterrang trotz alldem zugesprochen haben? Immerhin hatte ich Jesse besiegt, auch wenn ich mich an einiges nicht erinnern konnte. Zum Beispiel an dieses Glühen, das von meiner Waffe ausgegangen sein soll. Ich schüttelte den Gedanken ab, brachte er mich doch nicht weiter. Bald würde ich meine Lehre bei Madame Tredwell wieder aufnehmen und die bei Meister Ares anfangen. Jesses Onkel. Ich hatte bis heute nie viel mit ihm zu tun, hatte Haou aber das ein oder andere Mal abfällig über ihn reden hören. Aber ich wusste, dass er mich aufgrund meiner Herkunft nicht ausstehen konnte. Mal von Zero abgesehen, traf das bisher auf keinen meiner Meister zu. Ich schloss meine Augen, lehnte meinen Kopf an die Wand. Vermutlich wäre es das Beste, wenn ich mich ein wenig ausruhen würde. Heute konnte ich nichts mehr machen und allem Anschein nach würde auch niemand zu mir kommen um mich zu maßregeln. Es gab nur eine Sache, die mich wunderte. Jesse hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er mir nicht vertraut. Er hatte mich stets so gut es ging gemieden, und hatten wir doch zwangsläufig etwas miteinander zu tun, war er stets wachsam und distanziert. Die einzigen Male, in denen ich Angst vor ihm hatte waren, wenn er mich in meinem Zimmer einschloss. Doch selbst da war nicht diese Kälte in seinen Augen wie heute. Dieser Hass. Die sah ich erst seit meiner Rückkehr in den Palast. Ob das an Sternenstaubdrache lag? Oder der Bürde, die ihm auferlegt wurde, als ich in seine Verantwortung gegeben wurde? Ich drängte den Gedanken zurück und legte mich ins Laken. Selbst wenn ich den Grund kennen würde, könnte ich nichts dagegen tun. Kapitel 17: Haous Entschluss ---------------------------- Die Hufe unserer Pferde klackerten über die mir so vertrauten Wege unserer Stadt. Als wir am Palast ankamen, wies ich Yusei an sie abzusatteln und sich dann bei Madame Tredwell einzufinden. Seit Tagen sprachen wir kein Wort mehr miteinander. Anfangs hatte ich gehofft, er würde von selbst zu mir kommen und mir die Wahrheit erzählen, doch er blieb eisern. Es hatte keinen Zweck. Natürlich war ich enttäuscht von ihm, aber ein kleiner Teil von mir vertraute darauf, dass er das Richtige tat. Zweifelsohne hatte sein Drache ihm mehr erzählt, aber wenn es dem Schutz des Landes diente… Ob ich selbst auf ihn zugehen sollte? Ich schüttelte den Gedanken ab. Wenn wir im Streit auseinander gehen, wird es ihm sicher leichter fallen unter Jesses Verantwortung zu stehen. Zumindest hoffte ich darauf. Bei meiner Hofzauberin angekommen, schlug mir der Geruch von verschiedenen Kräutern entgegen. Überrascht sah sie auf und verneigte sich. „Mein König, Ihr seid zurück. War eure Reise erfolgreich?“ Sie sah suchend an mir vorbei, doch ich beantwortete ihre unausgesprochene Frage. „Yusei wird gleich hier sein.“ Die Tür öffnete sich erneut und ich blickte überrascht zurück. Er konnte unmöglich bereits fertig mit den Pferden sein. Doch statt seiner schob sich ein blauer Haarschopf ins Zimmer. Jesse grinste. „Ich habe gehört, dass ihr wieder da seid. Wie lief es denn?“ Ich seufzte lautlos, sein Blick wurde ernst. „Was ist passiert?“ Wie macht er das jedes Mal? Ich war mir sicher, meine Gefühle versteckt zu haben, aber er sah mir meine Stimmung immer an. „Schön, dass du auch da bist“ umging ich seine Frage. „Dann muss ich es nicht mehrmals erzählen. Die Reise war erfolgreicher als gedacht. Yuseis Schutzgeist gehört der Klasse S an.“ „Was?“ kam es wie aus einem Mund von beiden und ich konnte mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Jesse hatte nie daran geglaubt, dass Yusei sich überhaupt mit einem Schutzgeist verbinden konnte. Sein Gesicht schenkte mir ein wenig Genugtuung. „Ja, ihr habt richtig gehört. Ich konnte es selbst nicht glauben als ich es gesehen habe, aber sein Schutzgeist ist ein Drache.“ Jesse bemühte sich nicht einmal ein gefasstes Gesicht zu machen. Madame Tredwell sah eher versteinert aus. Letztere war die erste, die sich wieder im Griff hatte. „Aber… Regenbogendrache war doch der letzte seiner Art“ erwiderte sie konfus. Ich nickte. „Das dachten wir alle, aber ich habe das Gegenteil gesehen. Allerdings behauptet Sternenstaubdrache ebenfalls der letzte seiner Art zu sein. Yusei sagte, er sei aus den Wolken aufgetaucht, als er die Spitze erreicht hatte.“ „Wow“ murmelte Jesse. „Na schön, Ihr habt gewonnen. Er hat es wirklich geschafft. Aber warum verbindet sich ein Drache ausgerechnet mit einem Menschen?“ „Nicht diese Diskussion schon wieder“ sagte ich genervt. „Er ist würdig, einen mächtigen Schutzgeist an seiner Seite zu haben. Das hat er wohl eindeutig bewiesen. Erkenne sein Potential einfach an! Sonst überlege ich mir unsere Vereinbarung wieder!“ „Schon gut“ lenkte er ein. Ein Klopfen. Die Tür knarzte, doch ich wollte mich nicht umdrehen. Ich wusste, dass es Yusei war. Und ich wollte seinen traurigen Blick nicht mehr sehen. Ich wollte nicht einknicken. Meine Vereinbarung mit Jesse war der Richtige Weg und es war besser, wenn er sauer auf mich war. So würde ihm die Umstellung leichter fallen. Nur war es jetzt Jesse, der es ihm beibringen musste. „Komm rein und schließ die Tür“ erklang Madame Tredwells Stimme. „Wie ich gehört habe, war dein Aufstieg erfolgreicher, als wir gehofft hatten. Meinen Glückwunsch.“ Verdammt, ich hatte es nicht geschafft ihr die Kehrseite zu erzählen. „Er hat versucht Magie anzuwenden, scheiterte aber schon bei einem einfachen Lux Zauber.“ „Es gab nie eine Garantie, dass es funktioniert“ bemerkte Jesse. Madame Tredwell schüttelte den Kopf. „Wir werden sehen. Wie schon gesagt, vielleicht ist der Energiefluss einfach blockiert. Wir werden einige Tests machen.“ „Tests?“ vergewisserte sich Yusei unsicher. Ich konnte nicht verhindern, ihm einen kurzen Blick zuzuwerfen. Auch sein Blick wanderte zu mir. Er sah verletzt aus. Jetzt bloß nicht einknicken. Madame Tredwell nickte. „Ich habe schon alles vorbereitet. Folge mir.“ Vorbereitet? Woher um alles in der Welt wusste sie, dass diese Untersuchungen notwendig sein würden? Hatte sie etwa geahnt, dass Yusei es schaffen würde sich mit einem Schutzgeist zu verbinden? Sie war es auch, die damals den Artikel über die Auswirkungen von Schutzgeistern auf magieunbegabte Dämonen gefunden hatte. Für einen kleinen Moment musste ich schmunzeln. Die Tür fiel ins Schloss und ich war wieder allein mit Jesse. Unwillkürlich landete mein Blick bei ihm. Er starrte nur nachdenklich ins Leere, schien irgendwie konzentriert. Schließlich bemerkte er meinen Blick und sah zu mir. „Ist irgendwas?“ fragte er. Ich zögerte. „Was meinst du? Ob es wirklich nur an einer Energieblockade liegt?“ „Keine Ahnung“ sagte er und stemmte dabei eine Hand in die Hüfte. „Aber reicht es dir nicht, wenn er jetzt einen Klasse S Schutzgeist hat? Noch dazu einen Drachen? Wenn es hart auf hart kommt, macht er mit den Menschen kurzen Prozess. Das war es doch, was du wolltest. Seinen bestmöglichen Schutz.“ Ich mied seinen Blick, wägte meine Worte ab. Zum Zeitpunkt unseres letzten Gesprächs war das vielleicht sogar wahr, aber es steckte mehr hinter meinem Wunsch, dass er Magie erlernen sollte. „Oder hat sich daran etwas geändert?“ Ich seufzte, sah ihn ernst an. „Ich habe nachgedacht. Nehmen wir mal an, er schließt seine Mission erfolgreich ab und wir müssen uns nie wieder Sorgen um einen Angriff durch die Menschen machen. Was wird dann aus ihm?“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich nehme mal an für seine Verdienste kann er ein normales Leben wie jeder andere Dämon führen, ohne Angst von den anderen Dämonen abgelehnt zu werden. Er will doch Soldat werden. Wir könnten ihn auch als Palastwache anstellen.“ Ich schmunzelte. Hat er sich wirklich Gedanken darüber gemacht oder ist ihm das alles spontan eingefallen? „Ich will nicht, dass er sein restliches Leben als einfacher Soldat oder als Wache verbringt.“ Jesse zog fragend seine Stirn in Falten. „Was hast du jetzt wieder vor?“ „Ich will ihn als meine rechte Hand an meiner Seite wissen.“ „Was?“ Jesses Stimme überschlug sich fast. „Bist du wahnsinnig? Du glaubst doch nicht, dass der Rat dem zustimmen würde!“ Ich stöhnte ergeben. „Wie oft habe ich mich über den Rat dieser Tattagreise hinweggesetzt? Dass wir Yusei im Palast aufnehmen, konnte ich damals auch aushandeln.“ „Mit der Aktion setzt du dich vielleicht einmal zu oft über ihre Köpfe hinweg. Unterschätze nicht die Macht dieser alten Säcke. Sie könnten dich einstimmig absetzen!“ „Solange ich nur eine Person im Rat habe, die hinter mir steht, wird dieser Fall nicht eintreten.“ „Lyman ist auch nicht mehr der Jüngste. Wenn er mal nicht mehr ist, gibt es niemanden im Rat, der uneingeschränkt hinter dir steht! Du weißt, was sie von Yusei halten. Davon mal abgesehen: was wird aus Yubel, wenn Yusei ihren Platz einnehmen soll?“ „Ich sehe keinen Grund sie zu ersetzen.“ „Was?“ fragte er konfus. „Aber du hast doch-“ „Du weißt, wie sehr ich sie schätze und ihr vertraue. Das gleiche gilt für Yusei und dich. Was spricht dagegen diesen Posten doppelt zu besetzen?“ „Sei doch nicht albern.“ „Jesse.“ Ich atmete tief ein, geräuschvoll aus. „Ich habe seit geraumer Zeit das Gefühl, dass hier im Palast irgendetwas im Verborgenen vor sich geht. Ich habe Yubel schon darauf angesetzt sich ein wenig umzuhören.“ Sein Blick wurde ernst, er senkte seine Stimme. „Wie kommst du darauf?“ „Ich weiß nichts genaues, aber ich spüre etwas auf uns zukommen. Deswegen will ich die wenigen Personen, denen ich vollends vertraue auf sicherem Posten an meiner Seite wissen. Bei der nächsten Ratsversammlung schlage ich dich als meinen persönlichen Berater vor.“ Sein Blick schien überrascht. Ich grinste. „Ach komm, das kann doch nicht wie aus heiterem Himmel für dich kommen. Wir haben doch als Kinder einen Pakt geschlossen.“ „J-Ja aber… so schnell? Was ist mit Stone?“ Ich winkte ab. „Der schwärmt seit ich auf dem Thron sitze von der Rente. Außerdem…“ Ich grinste verschmitzt. „Gehst du mir mit deinen Ratschlägen viel häufiger auf den Geist als er. Warum es nicht zum Beruf machen?“ Einen Moment sah er mich perplex an, schließlich schnaufte er belustigt. „Als ob du je auf meinen Rat gehört hättest“ sagte er provokant und kam mir näher. Legte seine Hand in meinen Nacken und seine Lippen auf meine. Ich schmunzelte in den sanften Kuss hinein, genoss ihn einen Augenblick, dann löste ich mich von ihm. Er lächelte noch immer zufrieden. „Aber danke für die Beförderung.“ Ich erwiderte sein Lächeln. „Die Krönung des Ganzen ist natürlich, dass auch du damit automatisch einen Platz im Rat innehättest.“ „Und du somit noch jemanden hättest, der uneingeschränkt hinter dir steht“ beendete er meinen Gedanken. Ich nickte. „Und deinen Plan, Yusei einen so hohen Posten zu geben, hast du dir gut überlegt?“ Mein Blick war fest entschlossen. Das schien ihm als Antwort zu reichen. „Na schön. Das hat es in der Geschichte des Königreichs zwar noch nie gegeben, aber dich Dickkopf umzustimmen hat bisher auch noch keiner geschafft. Also könnte es vielleicht sogar klappen.“ Ein kleines Lachen konnte ich mir nicht verkneifen. In diesem Moment hörten wir eine sich öffnende Tür und Jesse brachte schnell etwas Platz zwischen uns. Die Hofzauberin schloss die Tür leise und kam auf uns zu. „Und?“ fragte ich. „Woran liegt es?“ Sie zögerte einen Augenblick. „Um ehrlich zu sein, weiß ich es selbst nicht.“ „Was?“ Jesse schien ebenso überrascht wie ich es war. „Ich habe seinen Energiefluss untersucht, seine neuronale Plastizität, selbst seinen körperlichen Allgemeinzustand. Alles ist völlig in Ordnung und es sollte ihm ein Leichtes sein, Magie anzuwenden.“ „Aber was kann es dann sein?“ „Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es eine psychische Barriere.“ „Und was jetzt?“ fragte ich, verschränkte dabei meine Arme. „Wenn er körperlich dazu in der Lage ist, muss es doch eine Möglichkeit geben, wie er Magie anwenden kann.“ Ihr Blick schweifte ab, sie schien zu überlegen. Schließlich sah sie mich ernst an. „Mir fallen zwei Möglichkeiten ein. Die theoretischen Grundlagen der Magie beherrscht er bereits. Ich könnte mit ihm ein intensives Aufbautraining beginnen, in dem ich mich vordergründig seinem geistigen Zustand widme. Der Prozess ist allerdings sehr langwierig und verzögert seine Ausbildung vielleicht um einige Jahre. Genau kann ich es nicht sagen.“ Einige Jahre? Ich hatte keine Ahnung, ob uns so viel Zeit überhaupt bleiben würde. Außerdem würde es meiner Argumentation im Rat bezüglich seines neuen Postens ungemein helfen, wenn er in der Lage dazu wäre, Magie anzuwenden. „Und die zweite Möglichkeit?“ „Die ist etwas radikaler. Eine Art Schlüsselmoment. Es wäre das genaue Gegenteil der ersten Methode. Yusei muss so stark an seine Grenzen gebracht werden, körperlich wie emotional, dass er die Magie als eine Art letzten Ausweg anwenden kann. Ich habe von einigen erfolgreichen Versuchen gelesen, es gab aber ebenso viele Fälle, in denen der Schüler zusammengebrochen ist und die Magie nie erlernt hat.“ Ich starrte Madame Tredwell an, bekam keinen Ton heraus. Entweder lernt Yusei erst in einigen Jahren mit seiner Magie umzugehen, oder wir bringen ihn an den Rand des Wahnsinns? Und dann gibt es nicht einmal die Gewissheit, dass es klappen würde? „Tut mir leid, mein König“ beteuerte die Zauberin sanft und sah mich mitfühlend an. „Das ist alles, was mir einfallen würde. In seinem jetzigen Zustand wird er andernfalls nicht in der Lage dazu sein, Magie anzuwenden.“ „Dann ist es doch klar wie wir vorgehen, oder?“ sagte Jesse leise. Ich sah zu ihm, schüttelte irritiert den Kopf. Sein Blick wurde weicher. „Der Rat wird nicht zustimmen, nur weil Yusei einen mächtigen Schutzgeist hat. Er muss Euch in allen Situationen beschützen können. Deswegen muss er die Magie so schnell wie möglich beherrschen.“ Meine Augen wurden immer größer. Schlägt er etwa die zweite Möglichkeit vor? „Auf keinen Fall!“ donnerte ich aufgebracht. „Ich stimme dem König zu“ sagte Madame Tredwell, flüsterte schon fast. Sie sah ebenso besorgt aus wie ich mich fühlte. „Wir können seinen geistigen Zustand nicht anhand von Vermutungen gefährden.“ „Also geht ihr lieber das Risiko ein, eine Absage des gesamten Rats zu erhalten?“ Ich sah Jesse durchdringend an. Das letzte was ich wollte war Yusei unnötig zu verletzen. Mit dem Rat konnte ich auch allein fertig werden. „Es ist jetzt deine Verantwortung“ sagte ich ernst. Er nickte. Hoffentlich war er sich dem wirklich bewusst. Kapitel 18: Druckabbau ---------------------- Später als gewöhnlich machte ich mich auf den Weg in meine Gemächer und rieb mir den verspannten Nacken. In meiner Abwesenheit war wirklich viel liegen geblieben und ich sehnte mich nach etwas Entspannung. Ob Jesse bereits mit ihm gesprochen hat? Überraschenderweise hatte ich Yusei im Speisesaal nicht angetroffen, war es doch üblich, dass er seine Mahlzeiten mit mir zusammen einnahm. Vor der Tür zu meiner Kammer blieb ich stehen und warf einen Seitenblick zu der von Yusei. Einen Augenblick zögerte ich, schließlich ging ich weiter und öffnete sein Zimmer. Doch was ich sah, überraschte mich. Die sonst so prall gefüllten Bücherregale waren verschwunden, ebenso sein Schreibtisch. Das einzige Möbelstück im Raum war sein unangetastetes Bett. Auch von Yusei war keine Spur zu sehen. Was ist hier los? Ich sollte Jesse morgen dazu befragen. Höchstwahrscheinlich steckte er dahinter. Ich schloss die Tür hinter mir und lief die wenigen Meter zu meinen eigenen Gemächern. Als ich diese öffnete, strahlte mir der Blauschopf von meinem Schreibpult aus entgegen, auf dem mehrere Rollen Pergament lagen. „Hast du alles erledigen können?“ fragte er gut gelaunt. Doch ich überging seine Frage. „Wo ist Yusei?“ „Der richtet sich gerade in seinem neuen Zimmer ein.“ Ich hob Fragend eine Augenbraue, aber er kam mir zuvor. „Was du heute gesagt hast, hat mich stutzig gemacht. Dass du das Gefühl hast, hier würde etwas hinter deinem Rücken vorgehen. Gerade jetzt ist es wichtiger denn je, dass du dich nicht von Yusei ablenken lässt. Du musst dich konzentrieren. Mach dir um ihn keine Sorgen.“ Ich seufzte, sträubte mich gegen den Gedanken, dass er Recht hatte. „Wie hat er es aufgenommen?“ Jesse legte die Pergamentrolle beiseite und stand auf, kam auf mich zu. „Er war, gelinde gesagt überrascht. Er hatte viele Fragen. Aber keine Sorge, er wird sich daran gewöhnen.“ „Und wo ist er jetzt?“ Er kam vor mir zum Stehen und beäugte mich skeptisch. „Du hast gesagt, du hältst mich auf dem Laufenden“ erinnerte ich ihn. „Im Nebenkomplex, untere Etage.“ „Die Hochsicherheitszellen?“ fragte ich aufgebracht. „Bevor du ausflippst, solltest du hören, warum ich ihn ausgerechnet dort untergebracht habe, meinst du nicht?“ Ich versuchte mich zu beruhigen, signalisierte ihm weiterzusprechen. „Es gab heute einen Vorfall auf dem Trainingsplatz. Sternenstaubdrache hat wohl einen der Schüler angegriffen.“ „Was?!“ „Keine Sorge, es wurde niemand verletzt. So wie es aussieht, hat er Yusei nur beschützen wollen, und den Schüler entwaffnet, der einen Pfeil auf seinen Schützling schießen wollte. In der Zelle hat Yusei die Möglichkeit seinen Drachen zu beschwören und mit ihm zu üben, damit das nicht noch einmal vorkommt. Außerdem ist der Magieverstärker aktiviert. Das hilft ihm vielleicht bei seiner Magie.“ Wieder rieb ich mir meinen Nacken, schloss dabei meine Augen. Die Verspannung verschlimmerte sich merklich. Das Letzte was wir gebrauchen können ist, dass das Volk Angst vor Yusei und seinem Schutzgeist bekommt. Das würde nur eine Panik auslösen. Warme Hände legten sich auf meine Schultern und lösten durch knetende Bewegungen langsam die Verspannung. Jesse hatte sich hinter mich gestellt. „Und genau deshalb ist es eine gute Entscheidung gewesen, die Verantwortung für Yusei vorerst abzugeben. Stell dir vor du hättest dich darum auch noch kümmern müssen.“ Ich seufzte. „Na schön.“ Ein leises Klicken war zu hören. Jesse hatte den Verschluss meines Umhangs geöffnet, der daraufhin von meinen Schultern rutschte und zu Boden sank. Seine weichen Lippen berührten meinen Nacken, und eine leichte Gänsehaut breitete sich über meinen Körper aus. Ich konnte spüren, dass ihn das amüsierte. „Nicht heute“ murmelte ich, machte allerdings keine Anstalten seine Handlungen zu unterbinden. Seine Hände wanderten über meinen Rücken, strichen von dort aus über meine Flanke bis zu meiner Brust und hüllten mich in ein wohliges Kribbeln. „So wie ich das sehe, täte dir ein wenig Entspannung gut.“ Sein warmer Atem an meinem Ohr ließ mich wohlig seufzen. Ich lehnte mich an ihn und genoss die zarten Berührungen. Geübte Finger begannen damit, den Gürtel an meiner Taille zu öffnen, während seine Lippen hauchzart über meinen Hals strichen und die empfindliche Haut immer wieder sanft küssten. Stoff fiel zu Boden, warme Hände schoben sich zärtlich unter den Stoff meines Hemdes und strichen dort über meinen Bauch. Erneut seufzte ich wohlig. Er wusste, was er tun musste um diese Geräusche aus mir herauszulocken. Seine Hand umkreiste meine Brustwarze, bis sie sich aufstellte und von zwei Fingern gezwirbelt wurde. Der leichte Schmerz jagte einen Schauer durch meinen Körper. Die andere Hand wanderte langsam über meine Lenden, schob sich unter den Stoff meiner Hose und berührte mein empfindliches Glied. Ich hatte kaum bemerk, wie erregt ich bereits war. Er fuhr einmal über die gesamte Länge, kreiste dort mit seinem Daumen über die Spitze und übte dabei immer stärkeren Druck aus. Dann pumpte er meine Erregung und wiederholte es einige Male. Das in Verbindung mit seinen Fingern, die meine mittlerweile schmerzhaft harte Brustwarze bearbeitete, ließ mich wohlig stöhnen. „So ist es gut“ flüsterte er, hauchte mir dabei seinen warmen Atem an mein Ohr. „Entspann dich. Um alles weitere kümmere ich mich.“ Einen Moment lang genoss ich seine sanfte Art, dann löste ich mich von ihm. Als ich mich zu ihm drehte, grinste er siegessicher. Na, wenn dir das mal nicht vergeht. Ich griff in seinen Nacken, die andere Hand legte ich an seinen unteren Rücken und zog ihn grob zu mir. Legte meine Lippen fordernd auf seine. Ohne zu zögern öffnete er seinen Mund und ließ mich eindringen. Er wehrte sich nicht, grinste nur in den Kuss hinein, während seine Hände auf Wanderschaft gingen und den Stoff meines Hemdes immer weiter nach oben schoben. Vielleicht hatte er Recht. Vielleicht brauchte ich diesen kleinen Druckabbau, um mich zu entspannen und mich wieder auf meine Pflichten zu konzentrieren. Ich löste mich von ihm, hörte sein Schnappen nach Luft und ließ mir den störenden Stoff abstreifen. Ich ließ mir nicht ganz so viel Zeit und sein leichtes Baumwollhemd gesellte sich zu meinem. Im selben Moment nahm ich seine Lippen wieder für mich ein, genoss das leidenschaftliche Zungenspiel und seine warmen Hände, die über meinen Rücken strichen. Auch ich blieb nicht untätig, ließ meine Hände unter den Stoff seiner Hose wandern und griff beherzt in diese feste Muskulatur an seinem Hintern, was ihn den Kuss unterbrechen und leise stöhnen ließ. „Du bist ganz schön ausgehungert“ sagte ich grinsend und platzierte meine Lippen in seine Halsbeuge. Biss sanft hinein. Wieder hörte ich sein Keuchen und schmunzelte. „Ist das so verwunderlich? Du hast mich die letzten Male abblitzen lassen, weil du Hngh… weil du…“ Wieder griff ich beherzt zu und rieb dabei seinen Unterleib an meinem. Sein Stöhnen war wie Musik in meinen Ohren. „Ich weiß“ raunte ich direkt an sein Ohr, ließ meine Zunge darüber gleiten und spürte seine Gänsehaut. „Ich hatte keine Zeit für dich, aber das mache ich heute wieder gut, versprochen.“ Ich ließ den Stoff von seiner Hüfte gleiten und griff mir seinen Hintern, zog ihn dabei nach oben und setzte ihn auf meiner Hüfte ab. Sein erschrockener Schrei amüsierte mich. Er setzte zum Protest an, den ich mit meinen Lippen im Keim erstickte. Seine Hände fuhren durch mein Haar, kraulten meinen Nacken, doch kommentarlos stehen lassen wollte er es scheinbar nicht, so löste er sich wieder von mir und sah mich verschwörerisch an. „Ich habe den Wachen gesagt, dass ein Kontrollgang auf dieser Etage heute Nacht nicht nötig sein wird.“ „So sicher warst du dir?“ fragte ich süffisant. Sein Lächeln wurde breiter. „Als ob dir das nicht auch gefehlt hätte. Vor dem Krieg warst du es doch, der Ahhrg!“ Jetzt war ich es, der breit lächelte. Seine Pobacken hatte ich auseinandergeschoben und die Spitze meiner harten Erregung an seinen Eingang gedrückt. Wäre der störende Stoff nicht gewesen, hätte ich mich bei dieser Kraft bereits in ihm versenkt. Ich lief mit ihm die wenigen Meter bis zu meinem Bett, währenddessen übte ich immer wieder Druck auf seinen Eingang aus. „Du Arsch“ schimpfte er wenig überzeugend, was mich lachen ließ. Ich grinste fies, als ich ihn ansah. „Spricht man so etwa mit seinem König?“ In diesem Moment wich der selbstgefällige Ausdruck in seinen Augen. Ich konnte seine Gier förmlich sehen. „Nein, mein König.“ Ich warf ihn in das seidene Laken und wies ihn an, sich hinzulegen. Währenddessen ging ich zu meinem Schrank und holte ein Seil hervor. Mein Blick fiel auf die Kerzen, die überall im Raum verteilt brannten. Ich grinste in mich hinein und entschied mich noch für ein Tongefäß aus dem Schrank, dann ging ich zu den Kerzen und nahm einige dicke Exemplare, um sie auf meinen Nachtschrank zu stellen. Jesse beäugte mich skeptisch, konnte die Nervosität nicht gänzlich verbannen. „Was hast du vor?“ fragte er vorsichtig. Doch ich schüttelte nur den Kopf, befreite mich von meinem verbliebenen Kleidungsstück und gesellte mich zu ihm ins Bett. Verwickelte ihn in einem stürmischen Kuss. Ich spürte seinen schnellen Herzschlag, die Gänsehaut auf seinem Körper, und fuhr bedächtig über die blasse Haut. Spürte jeden einzelnen Muskel seines trainierten Körpers. Meine Nägel vergrub ich in seinen Flanken und kratzte über die Haut, was ihn wohlig seufzen ließ. Allmählich entspannte er sich und drängte mir sein Becken entgegen, doch so einfach wollte ich es ihm nicht machen. Mit einer Hand fuhr ich über seinen Brustkorb, neckte seine Brustwarzen, bis sie sich aufstellten, mit der anderen schnappte ich mir unauffällig das Seil und platzierte es am Kopfende des Bettes. Dabei setzte ich mich auf seine Lenden. Wieder legte ich meine Hände an seine Seiten und fuhr mit den Nägeln hoch bis zu seinen Achseln, über die Arme, die ich über uns legte, und verschränkte sie in seine, während ich ihn immer fordernder küsste. Als er mir abgelenkt genug erschien, nahm ich das Seil und band seine Handgelenke aneinander. Keuchend löste er den Kuss und sah mich aus lustverschleierten Augen an. Diesen Moment nutzte ich, um das andere Ende des Seils am Kopfende festzuknoten. So war er mir hoffnungslos ausgeliefert, und schien es erst in diesem Moment zu bemerken. „Fesselspiele, was? Das hatten wir lange nicht mehr“ bemerkte er lüstern. Ich schnalzte mit der Zunge. „Hast du die Etikette vergessen? Du sprichst nur mit meiner Erlaubnis. Anscheinend muss ich dir die Regeln nochmal erklären.“ Er setzte zu einer Antwort an, verbot sich im letzten Moment allerdings das Wort. Ich grinste breit, beugte mich zu ihm hinab. So gefiel er mir schon besser. „So ist es gut“ raunte ich in sein Ohr, biss einmal hinein, was ihn scharf die Luft einziehen ließ. „Das Einzige, was ich von dir hören will, ist dein Stöhnen“ Damit griff ich in seinen Nacken, drängte ihm einen harten Kuss auf. Ein leises Keuchen war zu hören. Ich stieg von seinem Schoß und löste den Kuss. Meine Hände wanderten über seinen Bauch, strichen dort über die feinen Muskeln. Mit den Lippen küsste ich mich abwärts, über seine aufgestellten Brustwarzen, die ich mit der Zunge neckte und hineinbiss, was ihm ein weiteres Stöhnen entlockte, über die Brust, auf der ich eine heiße Spur mit der Zunge hinterließ, bis zu seinem Bauch. Ich kratzte einmal in voller Länge über seine Seiten, vergrub meine Nägel in die erhitzte Haut. Ein leiser Schrei war zu hören. „Halt dich nicht zurück“ hauchte ich amüsiert gegen die feuchte Spur, die ich hinterlassen hatte, tauchte meine Zunge kurz in seinen Bauchnabel. „Die Wachen können uns ohnehin nicht hören.“ Wieder ein Keuchen, seine Erregung reckte mir mittlerweile zur vollen Größe entgegen, dabei hatte ich noch gar nicht angefangen. Ich rutschte weiter nach unten, küsste mich über die Lenden und packte seine Erregung ruckartig fest an. Ein erschrockener Schrei, Jesse sah zu mir, sein Gesicht verbissen. Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Ich sah ihm fest in die Augen, während ich lasziv über die volle Länge seiner Erregung leckte und seine Spitze in meinen Mund eintauchen ließ. Mit meiner Zunge begann ich kreisende Bewegungen um seine Spitze zu ziehen. Dabei pumpte ich sein Glied weiter und massierte mit der anderen Hand seine Hoden. Er konnte den Blickkontakt nicht mehr aufrechterhalten und kippte stöhnend nach hinten. Dabei reckte er mir sein Becken entgegen und drängte seine harte Erregung weiter in meinen Mund. Ich tat ihm den Gefallen und nahm seine Erregung Stück für Stück in mich auf, ließ sie wieder frei und wiederholte das Ganze einige Male, bis er zur vollen Länge in meinem Rachen versank. Ich fühlte dem vollen Gefühl in meinem Hals nach, das mich kaum Luft bekommen ließ, genoss sein Stöhnen, und schluckte einige Male um das Gefühl für ihn noch zu intensivieren. Meine Finger wanderten zu seinem Eingang, massierten die Stelle und drangen schließlich in ihn ein, was mir ein weiteres Mal diesen schönen Klang bescherte. Langsam entließ ich ihn aus meinem Mund, leckte noch einmal über seine volle Länge und ließ meine Zunge in die kleine Öffnung an seiner Spitze tauchen. Ein Beben ging durch seinen Körper, während ich die Prozedur widerholte. Immer wieder bäumte er sich unter mir auf, schrie dabei seine Lust hinaus, bis ich mich schließlich von ihm löste. Seine Augen hatte er zusammengekniffen, seine Wangen waren gerötet und sein Atem ging nur noch stoßweise. Der Anblick allein pumpte wieder mehr Blut in meine Lenden, doch ich wollte ihn nicht einfach so nehmen. Heute hatte ich das Bedürfnis ihn ein wenig zu quälen und ich wusste, dass er das liebte. In freudiger Erwartung auf das, was noch kommen würde, nahm ich seine Erregung wieder in die Hand und pumpte sein Glied, während meine Finger diesen süßen Punkt in ihm suchten, der mich noch weitere seiner verführerischen Laute hören lassen würde. Plötzlich bäumte er sich in seine Fesseln und stöhnte langgezogen, was mich lächeln ließ. Sofort löste ich mich von ihm. Außer Atem sah er mich an, wollte etwas erwidern, doch zögerte ob der Luftnot. „Wa… Warum… hörst… du auf?“ fragte er außer Atem. Mein Grinsen wurde breiter. Ich rutschte höher, setzte mich auf seinen Bauch und verstärkte damit nur seine Luftknappheit. Langsam beugte ich mich zu ihm und sah ihm dabei fest in die Augen. Unter meinem Blick schrumpfte er immer weiter, bis meine Lippen nur noch einen Hauch von seinen entfernt waren. Ich spürte seinen warmen Atem, der nur stoßweise seinem Körper entwich. „Du sollst nur sprechen, wenn ich es dir erlaube“ flüsterte ich. „Zeit für eine kleine Lektion.“ Mit jedem meiner Worte wurden seine Augen größer. Die Lust in seinem Blick kämpfte mit der Angst. Ich setzte mich auf und griff dabei nach einer der Kerzen auf dem Nachttisch, dabei ließ ich Jesse nicht aus den Augen. Noch immer schien er sich nicht zwischen Angst und Lust entscheiden zu können, doch ich war mir sicher, dass er Gefallen daran finden würde, also grinste ich breit und goss das heiße Kerzenwachs mittig auf seine Brust. Er schrie auf, wand sich unter mir und stemmte sich in seine Fesseln. Kleckerweise tropfte immer mehr der heißen Flüssigkeit auf seine Brust, verteilte kleine Wachströpfchen auf seiner Haut, die sich schnell verfestigten. Als ich bei seinen Brustwarzen angelangt war, schrie er erneut heiser auf, lauter als zuvor. Er atmete gegen den Schmerz an, bis das Wachs auf seiner Brust sich verfestigt hatte und seine Schreie in Stöhnen übergingen. Ich stellte die Kerze wieder ab und beugte mich zu ihm. Gab ihm einen sanften Kuss. Dankbar erwiderte er meine zärtliche Berührung. Meine Hände fuhren über seine Brust, befreiten sie vom erstarrten Wachs und kühlten die aufgeheizte Haut darunter, was Jesse wohlig seufzen ließ. Schließlich löste ich mich wieder von ihm. Dort, wo das Wachs seine Haut berührt hatte, war sie rot und gereizt. „Verdammt, tat das weh“ murmelte Jesse mit geschlossenen Augen, riss sie aber prompt auf und sah mich erschrocken an. Wieder schlich sich ein Grinsen in mein Gesicht und ich nahm mir eine weitere Kerze, in der das frische Wachs bereits geschmolzen war. „Bitte, Haou… einmal reicht völlig“ sagte er kleinlaut. „Und das war das zweite Mal“ bemerkte ich und ließ das Wachs langsam über seine rechte Brustwarze laufen. Er schrie und zappelte, verteilte das Wachs dabei weiter auf seiner Haut, das langsam über seine Seiten und ins Laken floss. Ich zog eine heiße Spur hoch zu seiner Achsel, über den Arm, in seine Hände und auf der anderen Seite wieder zurück, bis ich den Rest in einem Schwall über seine linke Brustwarze kippte. Dabei schrie er lauter als zuvor. Ich verdrehte die Augen, stellte die Kerze wieder an ihren Platz, und rutschte weiter hinab, um mich in seiner süßen Qual seiner Erregung zu widmen. Ich nahm sie in die Hand und begann damit, sie zu massieren, während meine andere sich seinem Eingang widmete. Wieder wurden seine Schreie zu langgezogenem Stöhnen und er räkelte sich verführerisch im seidigen Laken. „Scheint dir ja doch zu gefallen“ bemerkte ich amüsiert und ignorierte dabei seinen bösen Blick aus den verklärten Augen. „Das… zahl ich dir heim… du Sadist!“ Ich schüttelte sacht den Kopf und nahm mir eine weitere Kerze. Jesses Augen wurden immer größer. „Du bettelst doch darum. Jetzt können wir Drohung und Beleidigung auch auf die Liste setzen.“ Ich setzte mich wieder auf seine Beine und hielt die Kerze dabei über sein aufgestelltes Glied. Jesse schluckte, schüttelte hektisch den Kopf. Meine Finger, die noch immer seinen Eingang massierten, glitten in ihn hinein und ließen ihn keuchen, doch er ließ mich nicht aus den Augen. „Bitte… nicht da“ flüsterte er. Mein Grinsen wurde breiter und ich neigte die Kerze, um ihren heißen Inhalt auf seine steil aufgestellte Erregung zu verteilen. Lauter als zuvor schrie Jesse auf, wand sich unter mir in seiner Qual und versuchte zu entkommen, doch die Fesseln an seinen Händen und mein Gewicht auf seinen Beinen machten jedwede Gegenwehr zunichte. Die heiße Flüssigkeit floss über sein Glied bis zu seiner Wurzel, sammelte sich dort und bahnte sich ihren Weg an seinen Hoden vorbei in meine Hand, die noch immer sein inneres massierte. Ich verzog das Gesicht, unterbrach mein Tun aber nicht, bis auch der Inhalt der dritten Kerze gänzlich über Jesses Erregung verteilt war. Jesse Biss sich in den Oberarm, um der Empfindung irgendwie Herr zu werden. Zu seinen heiseren Schreien gesellte sich hier und da ein Stöhnen, wenn ich diesen bestimmten Punkt in seinem inneren getroffen hatte. Seine Atmung ging stoßweise, setzte in unregelmäßigen Abständen aus, bis sein Körper intensiver als zuvor nach Luft verlangte. Ein weiteres Mal bäumte er sich auf und stöhnte langgezogen, doch kein weiterer Schrei verließ seine Kehle. Stattdessen räkelte er sich stöhnend im Laken und kam der Bewegung meiner Finger näher. Es war ein göttlicher Anblick wie er da lag, gefangen in seiner Lust und sich nur nach Erlösung sehnte. Ich entzog ihm meine Finger und beobachtete amüsiert, wie seine Anspannung zuckend in sich zusammenfiel. Aus verklärten Augen sah er mich an, unfähig zu sprechen, da ihm das Atmen noch immer schwer fiel. Ich beugte mich zu ihm, während ich die Kerze an ihren Platz zurückstellte. „So ist es gut“ hauchte ich gegen seine Lippen, strich zärtlich die schweißnassen Haare aus seinem Gesicht. „Jetzt hast du dir eine Belohnung verdient.“ Ich legte meine Lippen auf seine, doch nur für einen Moment, um ihm Zeit zu geben, wieder zu Atem zu kommen. Dann löste ich seine Fesseln und nahm mir das Tongefäß zur Hand. Darin befand sich ein kühlendes Öl aus verschiedenen Heilkräutern. Jesse hatte sich indes einen Arm über die Augen gelegt und versuchte noch immer zu Atem zu kommen. Ich befreite seine Brust von dem Wachs und goss das Öl langsam darüber. Er seufzte erleichtert und entspannte sich Zusehens, während ich die kühlende Flüssigkeit über seine Haut verteilte. Dabei nahm ich mir viel Zeit für seine Brustwarzen, die sich mir noch immer entgegengestellt hatten. Ich verteilte es über seinen Bauch und die Seiten, die ich noch einmal entlangkratzte, um ihm ein Stöhnen zu entlocken. Dann widmete ich mich seiner Erregung und befreite sie vom ausgehärteten Wachs. Die empfindliche Haut darunter glühte unter meinen kühlen Fingern und Jesse gab einen erleichterten Seufzer von sich. Mein Daumen zog kreisende Bewegungen auf seiner Spitze, während meine andere Hand seine Erregung mit dem öligen Film massierte. Wieder stöhnte Jesse in den Raum hinein. Es war wie Musik in meinen Ohren. Ich massierte ihn weiter und legte meinen Zeigefinge auf die kleine Öffnung an seiner Spitze, übte langsam Druck darauf aus, ehe Jesse den Arm sinken ließ und mich verklärt ansah. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen und ich führte meinen Finger in seine Erregung, was ihn den Kopf in den Nacken legen, und heiser Stöhnen ließ. Ich bewegte ihn im selben Takt, wie die Hand, mit der ich ihn massierte. Zwischen seinem Stöhnen versuchte er nach Luft zu ringen, drückte sich meinen Bewegungen entgegen und führte meinen Finger dadurch tiefer in sein Glied. Erst, als es zu zucken begann, löste ich mich von ihm. Wieder sackte er schwer atmend zusammen und sah mich an. Flehte schon fast nach dem erlösenden Ende. Ich schmunzelte und beugte mich über ihn, stützte mich mit den Armen seitlich von seinem Körper ab, um ihn nicht mit meinem Gewicht zu belasten. Ohne zu zögern schlang er seine Arme um meinen Hals und zog mich zu sich, legte seine bebenden Lippen auf meine. Doch nicht für lang, brauchte er doch immer wieder Pausen, um zu Atem zu kommen. Er winkelte seine Beine an, rieb dabei seine pochende Erregung an meiner, was mir einen wohligen Schauer bescherte und mich keuchen ließ. Meine Hand wanderte über die erhitzte Haut, strich über seinen zitternden Unterleib, bis ich unsere Glieder griff und beide mit meiner, noch immer öligen, Hand massierte. Es war ein so intensives Gefühl seine Erregung an meiner zu spüren. Jedes kleine Äderchen, das mehr Blut in unsere Glieder pumpte, jede kleine Zuckung. Es war unbeschreiblich. Jesse legte den Kopf in den Nacken und keuchte angestrengt. „Bitte“ flüsterte er atemlos. „Ich kann das nicht mehr lange… Ich…“ Ein Stöhnen unterbrach sein Flehen, als ich den Druck verstärkte. Schließlich ließ ich von seinem zuckenden Glied ab. Meine Erregung legte ich an seinen Eingang und sah ihm fest in die Augen. Er nickte schwach und ich drang ohne Probleme in ihn ein, was mit seinem langgezogenen Stöhnen belohnt wurde. Die heiße Enge, die mich mit einem Schlag umfing, überwältigte mich. Auch ich konnte mich nicht bremsen und gab einen wollüstigen Laut von mir. Warum hatten wir so lange damit aufgehört? Jesses Beine schlangen sich um meine Hüfte und ich kam seiner stillen Aufforderung gern nach. Ich zog mich aus ihm zurück, nur um mich gleich darauf härter in ihm zu versenken. Sein Körper fühlte sich so gut an. Als ich wieder diesen Punkt traf, bäumte sich Jesse schreiend unter mir auf und spannte all seine Muskeln an. Dabei machte er meine Empfindung deutlich intensiver, wurde es doch noch enger um mein eigenes Glied. Immer wieder zog ich mich zurück und schien mich mit jedem weiteren Stoß tiefer in ihm zu versenken. Seine Nägel krallten sich in meinen Rücken, hinterließen brennende Spuren und verstärkten meine Lust. Unser Stöhnen durchflutete den Raum, gepaart mit dem klatschenden Geräusch aufeinanderschlagender Haut. Einen Arm legte ich um seinen Rücken und zog ihn näher zu mir, meine andere Hand fuhr unter seinen Oberschenkel und zog ihn hinauf, bis sein Bein neben seinem Körper lag. Dadurch hatte ich das Gefühl bis zum Anschlag in ihm zu versinken und gab mich ganz diesem berauschenden Gefühl hin. Meine Umgebung verschwamm allmählich. Als ich Jesse ansah, war da nicht mehr dieser Freund aus Kindertagen. Ein anderes Augenpaar sah mich gierig vor Lust an, bettelte nach Erlösung. Schwarze Haare umrahmten das hübsche Gesicht. Blaue Augen sahen mich sehnsüchtig an. Das war nicht mehr der Klang von Jesses heiserem Stöhnen, diese Stimme gehörte jemand anderem. Ich zog mich gänzlich aus der heißen Enge, versenkte mich gleich darauf in voller Länge in ihm und schrie meine Lust heraus. Dieser wundervolle Klang seiner Stimme. Ich wollte mehr von ihr hören. Wollte, dass sie unter mir vergeht, bettelnd nach mehr. Heiße Lust verteilte sich auf meinem Bauch, die Stimme schrie heiser auf. Die schönen, blauen Augen waren verborgen. Die heiße Enge wurde überwältigender, jeder Stoß war intensiver als der vorhergehende. Mein Herz schien zu flattern. Nur noch etwas mehr. Nur etwas mehr von diesem berauschenden Gefühl. Auch ich kam mit einem heiseren Schrei, verteilte meine Lust in der heißen Enge und verharrte einen Moment lang so. Die blauen Augen öffneten sich, sahen mich glücklich an. Auf seinen Lippen bildete sich ein schwaches Lächeln. „Haou“ flüsterte die sanfte Stimme. Ich schloss die Augen und gab mich meiner Erschöpfung hin. Mein Körper gierte nach Sauerstoff, zitterte ob der Anstrengung. Langsam hatte ich mich wieder gefangen und zog mich aus dem erschöpften Körper zurück. Ließ mich daneben nieder und bettete meinen Arm auf meiner Stirn. Meine Atmung hatte sich noch immer nicht beruhigt. Vor meinem inneren Auge, sah ich wieder sein Gesicht. Was ist nur los mit mir? „Haou?“ fragte Jesse. Er klang so erschöpft, wie ich mich fühlte, aber zu einer Antwort war ich einfach nicht fähig. Lediglich ein fragender Laut entkam mir. „Ich weiß, du kannst es nicht leiden, wenn ich danach hier schlafe… aber ich bezweifle, dass ich es in mein Zimmer schaffe... Du hast mich heute wirklich fertig gemacht.“ Ein belustigtes Schnaufen konnte ich mir nicht verkneifen. „In Ordnung.“ „Ehrlich? Ohne Diskussion?... Das ist eine Premiere.“ „Hab’s mir anders überlegt“ murrte ich. Er lachte. Warmer Stoff legte sich über meinen Körper, lullte mich schlagartig ein. Jesse legte seinen Kopf auf meine Brust und schmiegte sich enger an mich. Ich schlang einen Arm um ihn und fuhr durch sein Haar. Döste allmählich weg. Wie es sich wohl anfühlt, die Nacht mit ihm zu verbringen? Das Bett mit ihm zu teilen? Seine schöne Stimme zu hören, wenn… Innerlich ohrfeigte ich mich. Wieso hatte ich wieder diese Gedanken? Es war nicht das erste Mal, dass ich so an ihn dachte, aber es war das erste Mal, dass es während einer gemeinsamen Nacht mit Jesse passierte. Womöglich brauchte ich wirklich Abstand. Aber die tiefblauen Augen wollten mich in dieser Nacht einfach nicht loslassen. Kapitel 19: Panik ----------------- Nur langsam öffnete ich meine schweren Lider und versuchte sie an die Helligkeit zu gewöhnen. Meine Muskeln schmerzten und ich fühlte mich wie gerädert. Ich griff neben mich und sah überrascht zur Seite. Das zerknitterte Laken war kalt, überall im Bett lagen getrocknete Wachsstücke und die Spuren unserer gemeinsamen Nacht waren nicht zu verbergen. Er musste vor mir wach geworden sein und war in seine eigenen Gemächer verschwunden. Ich seufzte und drehte der Szenerie den Rücken zu. Ich mochte es wirklich nie, wenn ich das Bett mit jemandem teilen musste und ich war Jesse dankbar, dass er mich allein aufwachen ließ. Nur einmal empfand ich es als angenehm, neben jemandem aufzuwachen. Wir lagen gemeinsam in einem viel zu kleinen Zelt und ich hatte ihn fest umschlungen. Genoss die Wärme und den Duft. Zumindest bis mich die Stimme Yubels aus dem Halbschlaf riss und ich wieder in der kalten Realität landete. Bis heute war ich mir nicht ganz sicher, ob ich das nur geträumt hatte. Da waren sie wieder. Diese tiefblauen Augen aus dem geröteten Gesicht. ~*~ Zur Mittagszeit begleitete mich Yubel in die Arena, in der die Schwertprüfung stattfinden würde. Ich war schon gespannt darauf, wie Yusei sich schlagen würde. Und vor allem, ob Zero seine Lektion gelernt hatte und Yusei nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit behindern würde. Wir liefen an den wartenden Mengen vorbei in einen verborgenen Seiteneingang und von da aus die wenigen Treppen bis zum Balkon. Von hier oben hatte man eine ausgezeichnete Sicht auf das Feld. Die Tribünen waren fast vollständig gefüllt, in der Menge herrschte eine fröhliche Stimmung. Nicht verwunderlich, denn die Prüfung war immer schon ein Highlight in dieser Stadt. „Hast du schon etwas herausgefunden?“ fragte ich und sah zu Yubel. „Nicht das kleinste Gerücht. Aber ich muss Euch Recht geben, ich habe auch ein seltsames Gefühl bei der Sache. Der Rat scheint irgendetwas vor zu haben.“ „Wie kommst du darauf?“ Sie verschränkte die Arme, sah stur auf das Feld. „Ihr Benehmen ist merkwürdig. Das trifft nicht auf alle Ratsmitglieder zu, aber einige scheinen mir vorsichtiger zu sein.“ Ich stutzte, sah zu, wie sich auch die letzten Zuschauer auf ihre Plätze begaben. „Wer genau?“ „Reiji, Ares, Gozaburo, Nate und Crowler. Wobei letzterer auf mich immer einen nervösen Eindruck macht.“ „Er ist ein feiger Arschkriecher“ seufzte ich. „Ich bezweifle, dass wir uns um ihn sorgen müssen, aber behalte ihn lieber trotzdem im Auge. Die anderen machen mir mehr Sorgen.“ „Vor allem einer“ stellte sie fest. Ich nickte. Die Plätze waren komplett gefüllt. Die Stimme des Ansagers begrüßte das Publikum und stellte die Teilnehmer vor. Den Gegner des ersten Teilnehmers kannte ich nicht, dabei hatte auch er einen Meisterrang. Aber vermutlich lag es nur daran, weil er sich im Krieg keinen Namen gemacht hatte. Trotzdem war der erste Kampf zur Unzufriedenheit aller in der Arena recht schnell vorbei. Nach nicht einmal drei Minuten lag der sogenannte Meisterschüler entwaffnet am Boden. Enttäuschend. Der zweite Kampf war durchaus vielversprechender, doch auch hier hatte es keine zehn Minuten gedauert, bis Zero den Kampf unterbrach. Jim war allerdings ein beeindruckender Gegner, hatte mit seiner Truppe im Krieg einige Portale zerstört und etliche Gegner besiegt. Als Tina im dritten Kampf auf das Feld trat, musste ich schmunzeln. Sie war Yubel im Schwertkampf ebenbürtig, auch wenn meine Beschützerin das Schwert seit ihrer Transmutation nicht mehr genutzt hatte. Ein wenig Mitleid hatte ich mit dieser Mai. „Ist das nicht das Mädchen, das Yusei auf dem Nebelberg geholfen hatte?“ überlegte Yubel laut. Ich musste zwei Mal hinsehen, aber sie hatte Recht. „Stimmt, in ihrer Rüstung hätte ich sie beinahe nicht erkannt.“ Nach Mais bestandener Prüfung betrat endlich Yusei das Kampffeld. Einige Zuschauer klatschten verhalten, andere buhten ihn aus. Ich schnaubte, verschränkte meine Arme. Irgendwann wird auch das Volk ihn anerkennen. Darauf hoffte ich. Doch dann fiel mir etwas auf, ich sah zu Yubel. „Ist das nicht dein Schwert?“ Sie zuckte mit den Schultern, betrachtete aber weiter das Kampffeld. „Seines war nur noch Altmetall und ich hatte keine Verwendung mehr dafür.“ Unwillkürlich wanderte meine Hand zum Knauf meins Schwertes. Dem Zwilling der Klinge, die Yusei führte. „Und darum gibst du ihm die Zwillingsklinge, die nur der Königsfamilie und dir zugedacht war?“ Sie schnaufte belustigt. „Nicht nur mir, sondern allen persönlichen Beschützern der königlichen Familie. Das ist es doch, was Ihr aus ihm machen wollt.“ „Woher?“ platzte es erschrocken aus mir heraus. Ich hatte mit Yubel noch nicht über mein Vorhaben gesprochen. „Sagen wir einfach, ich habe es geahnt“ sagte sie mit einem kleinen Lächeln. Ich wollte das Thema vertiefen, doch eine bekannte Gestalt erschien im Augenwinkel. Erschrocken sah ich zu meinem engsten Vertrauten, der eben das Kampffeld betreten hatte. Warum hatte Zero ausgerechnet Jesse als Gegner ausgewählt? Er kannte das Kampfmuster von Yusei viel zu gut und hatte selbst einen ähnlichen Stil, war Yusei aber weit überlegen. Die anderen Gegner waren zumindest an die Kampfstile der Schüler angepasst, sodass diese eine Chance gegen ihre erfahreneren Gegner hatten. „Das gibt’s nicht“ murmelte ich. „Das dürfte spannend werden“ kommentierte Yubel, doch ich konnte meinen Blick nicht vom Kampffeld lösen. Ich wünschte Yusei den Sieg, hatte aber wenig Hoffnung, dass er die vollen zehn Minuten gegen Jesse bestehen konnte. Als sie ihre Schwerter zogen, war Yuseis Blick fest entschlossen. „Kämpft!“ Jesse schnellte voran. Seine schnellen Hiebe saßen zielgenau und drängten Yusei, der sich wegen der schieren Flut an Attacken nur verteidigen konnte, immer weiter zurück. Als Yusei endlich zum Gegenschlag ansetzen konnte, entwaffnete Jesse ihn und schleuderte die pechschwarze Klinge über den Platz. Verdammt! Ich stand auf, klammerte mich an die Brüstung des Balkons. Yusei versuchte Jesses schnellen Angriffen zu entkommen, wurde aber mehrmals getroffen. Zum Glück trug er die Mythrilrüstung, so wurde er zumindest von der Klinge verschont. Plötzlich sprang er zur Seite, rollte sich ab und warf Jesse dabei trockene Erde ins Gesicht. Unkonventionell, doch Jesse war zumindest einen Moment lang abgelenkt. Erleichtert atmete ich auf, als Yusei endlich sein Schwert wieder hatte. Ich sah zur Sanduhr. Nicht einmal die Hälfte des Sandes war durchgeflossen und Yusei wurde schon mehrmals getroffen und einmal entwaffnet, während Jesse, der wieder eine Flut von Angriffen ausführte, keinen Kratzer abbekommen hatte und nicht einmal ermüdet schien. „Komm schon“ murmelte ich an Yusei gewandt. „Was ist das denn?“ entkam es Yubel überrascht und auch ich starrte entgeistert auf das Kampffeld. Das gesamte Stadion schien den Atem anzuhalten. Mitten in Jesses Angriff, leuchtete das Drachenmal auf, umgab Yusei mit einer seltsamen Aura. Seine Klinge schien die Kraft des Mals anzuziehen und reflektierte das Licht sanft in allen Farben. Es war, als würde es selbst leuchten. Dieser Anblick kam mir bekannt vor. Yuseis Angriffe wurden schneller, verloren jedoch nicht an Präzision. Ich hatte Mühe, seinen Hieben zu folgen, bis seine Waffe schließlich verharrte und in Jesses Bauch stecken blieb. Über dem Stadion lag eine geisterhafte Stille, selbst die Kämpfer bewegten sich nicht mehr. Yuseis seltsame Aura verschwand, auch das Glühen seines Drachenmals ebbte ab. „Und der Gewinner ist… Yusei“ sagte die Stimme des Ansagers verwirrt, während die Heiler auf Jesse zu rannten. „Wie damals“ murmelte Yubel. Ich riss mich vom Anblick des Kampffeldes los und sah zu ihr. „Was meinst du?“ „Diese Aura… Die Waffen der Menschen hatten doch auch so seltsam geleuchtet.“ Ich erschrak, doch nur für einen Moment. „Aber die Menschen damals hatten nicht so eine strake Energie.“ „Das nicht, aber-“ Ein hölzerner Knall ertönte. „König Haou!“ Ich drehte mich um, sah den Boten ernst an, der die Tür aufgerissen hatte. „Was?“ knurrte ich. „Meister Zero und die anderen sind sich wegen des Meisterranges nicht einig. Sie brauchen Eure Entscheidung!“ Ich seufzte lautlos, folgte dem Boten, der uns den Weg wies. Im Hintergrund hörte ich die Stimme des Ansagers. „Sehr verehrte Zuschauer. Was den Meisterrang betrifft, müssen wir uns zur Beratung zurückziehen. Bitte haben Sie einen Augenblick Geduld.“ Ich schüttelte verständnislos den Kopf. Die Regeln waren doch eindeutig. Yusei hatte den Kampf gewonnen, also gebührte ihm der Meisterrang. Wahrscheinlich stellte sich einfach nur Zero wieder quer. Ich knurrte in mich hinein. Dieser Idiot. In dem kleinen Raum am Rande des Kampffeldes angekommen, verstummten die Stimmen. Drei Dämonen sahen zu mir. Der Ansager, Mester Zero, und Zeros rechte Hand Adam. „Na schön, was ist das Problem?“ fragte ich genervt, sah dabei vor allem Zero finster an. Adam war es, der die Stimme zaghaft erhob. „Rein technisch gesehen, wurde keine Regel verletzt, aber Meister Zero hat Bedenken, was-“ „Sei still!“ zischte Zero, bedachte mich mit einem ernsten Blick. „Während des Kampfes ging offensichtlich einiges nicht mit rechten Dingen zu. Erst seine Ausrüstung und dann diese seltsame Magie. Ich kann ihm den Rang nicht guten Gewissens zugestehen.“ Ich atmete tief durch. Ihn jetzt anzuschreien bringt mich keinen Schritt weiter. Schließlich ist er es, der über die Prüfungen entscheidet. Da ich kein Altmeister bin, steht es mir nicht zu, Yusei den Meisterrang zu geben. „Es war keine Magie. Das Ganze scheint etwas mit seinem Schutzgeist zu tun zu haben, aber das muss noch untersucht werden. Und was habt Ihr an seiner Ausrüstung auszusetzen? Es steht den Prüflingen frei, mit welcher Ausrüstung sie antreten.“ Zero verschränkte die Arme vor der Brust, sein Blick verfinsterte sich. „Sein Gegner hat ihn oft genug getroffen, dass er eigentlich schwer verletzt sein sollte. Wenn alle Prüflinge mit solch einer Rüstung antreten würden, wäre das etwas anderes.“ Ich schnaufte. „Hättet Ihr bei einem anderen Prüfling ebensolche Bedenken? Und inwiefern verletzt das irgendeine Regel? Die Wucht des Schlages bekommt er trotzdem ab!“ „Bei allem Respekt, mein König, aber ich werde ihn nicht bevorteilen, nur weil er in Eurer Verantwortung steht.“ Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Nur mit Mühe gelang es mir, ihn nicht auf der Stelle anzubrüllen. „Ihr habt meine Frage nicht beantwortet“ sagte ich mit dunkler Stimme. „Welche Regel wurde genau verletzt? Zeigt sie mir, und flüchtet Euch nicht in billige Ausreden!“ Ein vertrautes Brüllen ließ mich hochschrecken. Die panischen Schreie der Zuschauer gingen mir durch Mark und Bein. Ohne zu zögern rannte ich aus dem Raum, in den kurzen Gang, um zum Kampffeld zu gelangen. Ich riss die Augen auf, sah noch, wie Sternenstaubdrache seine mächtigen Schwingen ausbreitete und gen Himmel flog. „Yubel!“ rief ich und sah zu meiner Beschützerin. Ohne zu zögern nahm sie die Verfolgung auf. Schnell versuchte ich mir einen Überblick zu verschaffen. Die Zuschauer auf den oberen Rängen sahen schockiert aus, in der Mitte wirkten sie unruhig. Die Dämonen in den unteren Rängen waren allerdings panisch, rannten zu den Ausgängen und trampelten dabei einige Dämonen nieder. So ein Mist! Ich drehte mich um. Zero und Adam waren leichenblass, konnten sich nicht rühren. „Jetzt steht nicht da wie angewurzelt!“ schrie ich. „Wir müssen die Zuschauer beruhigen, sonst entsteht noch eine Massenpanik! Adam, lauf zum Ansager und sag ihm, er soll die Menge beruhigen. Das war Yuseis Schutzgeist, er wird ihnen nichts tun! Meister Zero, evakuiert die unteren Reihen, die Sternenstaubdrache am nächsten waren! Wir müssen die Panik, die sich dort ausgebreitet hat, irgendwie in den Griff bekommen!“ Augenblicklich lösten sie sich aus ihrer Starre und nickten. Im nächsten Moment befolgten sie meine Befehle. ~*~ Seufzend ließ ich mich in meinem Thron nieder. Massierte mir die Nasenwurzel, um die aufkommenden Kopfschmerzen zu unterdrücken. Was für ein Tag. Die Panik im Stadion hatten wir wieder unter Kontrolle bekommen, es gab einige Verletzte in den unteren Rängen, aber keine Todesopfer. Die ganze Sache stellte uns allerdings vor ein neues Problem. Niemand wusste, wie das Volk von jetzt an auf Sternenstaubdrache reagieren würde. Vor allem nicht, da er sich mit einem Menschen verbunden hatte. Ihre Angst könnte überhandnehmen, sodass sie sich offen gegen Yusei wenden würden. Ich musste mir etwas einfallen lassen, damit so etwas vermieden werden konnte. Zähneknirschend musste ich mir eingestehen, dass der sicherste Platz für Yusei im Moment wohl wirklich die Hochsicherheitszelle war. Dort konnte niemand ohne weiteres eindringen und ihm schaden. Was das angeht, hatte Jesse gut vorausgedacht. Ein Knall ließ mich hochschrecken, ich stand auf. Die schwere Holztür zum Thronsaal wurde schwungvoll geöffnet und gegen die Wand geworfen. Jesse rannte auf mich zu. Der Ausdruck in seinem Gesicht alarmierte mich. „Was ist passiert?“ fragte ich, ehe er bei mir angekommen war. „Lyman!“ sagte er außer Atem, kam vor mir zum Stehen. „Er ist tot!“ „Was?!“ „Er wurde eben in seiner Kammer gefunden. Stichwunde im Rücken.“ Ohne zu zögern rannte ich los, Jesse folgte mir. „Wurde der Täter schon gefasst?“ „Nein“ antwortete er abgehetzt. „Aber weit kann er nicht sein. Lymans Körper ist noch nicht kalt.“ „Die Wachen wurden informiert?“ „Ja, der Palast und das Außengelände werden durchsucht.“ Ich rannte in den Nebengang, der zu den Unterkünften führte. So ein verdammter Mist! Warum jetzt? Und warum Lyman? Einen kurzen Blick warf ich über die Schulter zu Jesse. Er sah erschöpft aus, und das sicher nicht vom rennen. „Ist deine Behandlung bei den Heilern überhaupt schon abgeschlossen?“ fragte ich besorgt. „Mir geht’s gut, wir haben jetzt Wichtigeres zu tun! Ist Yusei schon wieder aufgetaucht?“ Ich wandte den Blick ab, rannte in den nächsten Gang. Weit war es nicht mehr. „Yubel ist bei ihm“ antwortete ich schlicht. Mehr Informationen hatte ich leider noch nicht. Endlich angekommen, ging ich in die Kammer und verschaffte mir einen Überblick. Eine Wache durchsuchte das Zimmer, eine andere kniete neben Lyman. Das lange, schwarze Haar, das sonst stets zu einem Zopf gebunden war, bedeckte fast gänzlich seinen leblosen Körper. Sein weißes Gewand war durchtränkt mit seinem Blut. Es sah noch frisch aus. Auch die Blutlache unter ihm begann noch nicht zu gerinnen. Seine Augen waren weit geöffnet. „Wie furchtbar“ flüsterte eine bekannte Stimme und ließ mich zu ihr sehen. Madame Tredwell stand direkt neben mir, ihr Blick lag in der Ferne, als würde sie alles um sich herum nicht wahrnehmen. „Wisst Ihr, was passiert ist?“ versuchte ich sie aus ihren Gedanken zu holen, legte dabei meine Hand auf ihre Schulter. Sie blinzelte mehrmals, sah mich irritiert an. „Ich… Ich weiß es nicht. Wir treffen uns eigentlich immer um dieselbe Zeit zum Tee. Als er nicht auftauchte, wollte ich nach ihm sehen, aber…“ Sie unterdrückte ein Schluchzen. Tränen kullerten unaufhaltsam über ihre Wangen. „Als ich… herkam, da… da lag er schon so da…“ Wimmernd schlug sie sich die Hände vors Gesicht und sank auf die Knie. Ich seufzte lautlos und verstärkte den Druck auf ihrer Schulter. Das brachte uns auch nicht weiter. „Mein König.“ Ich sah auf. Die Wache, die eben noch das Zimmer durchsucht hatte, war zu mir gekommen. „Auf Bitten von Meister Ares habe ich die komplette Kammer nach dem Dolch von Meister Lyman abgesucht, aber keine Spur gefunden.“ „Ares?“ fragte ich verwirrt. Jesse trat an meine Seite. „Ja, mein Onkel war in der Nähe, als Madame Tredwell Lyman gefunden hat. Er war es auch, der die Wachen alarmiert hat.“ „Und was wollte er hier?“ „Das müsst Ihr ihn selbst fragen. Aber die Idee mit dem Dolch ist gut. Lyman ist doch nirgendwo ohne das Ding hingegangen. Und wenn es nicht im Zimmer ist…“ „Muss sein Mörder ihn mitgenommen haben“ schlussfolgerte ich, richtete mich dabei an die Wache. „Informiere sämtliche Einheiten darüber.“ Er nickte, verschwand. „Aber eins verstehe ich nicht“ murmelte ich und sah Jesse an. Er erwiderte meinen Blick ernst. „Der Dolch ist ziemlich einzigartig. Warum sollte er ihn mitnehmen, wenn es nur beweist, dass er Lyman getötet hat? So wertvoll ist der Dolch nicht, dass es wert wäre dafür zu morden. Noch dazu ein Ratsmitglied.“ Ich nickte zustimmend. „Irgendwas ist hier faul.“ „König Haou!“ hörte ich eine weitere Stimme aus den Gängen. Hoffentlich gute Nachrichten. Ich trat aus dem Zimmer und sah eine Palastwache auf mich zustürmen. „Habt ihr ihn gefunden?“ Die Wache kam vor mir zum Stehen, sah mich unschlüssig an. „Was ist jetzt?“ fragte ich genervt. Er schreckte zurück. „Eine Nachricht von den Spähern. Ein weißer Drache fliegt auf die Stadt zu. Yubel ist an seiner Seite.“ Ich atmete erleichtert auf. Zumindest dieses Problem wäre gelöst, wenn auch das Timing hätte besser sein können. „Danke, du kannst gehen.“ Er verbeugte sich knapp und verschwand, im nächsten Moment spürte ich eine sanfte Berührung auf meiner Schulter. Jesse sah mich ernst an. „Ich kümmere mich schnell darum. Koordiniere du lieber die Suche nach dem Mörder. Ich schicke auch Yubel zu dir.“ „Sie soll lieber aus der Luft suchen“ halte ich dagegen. „Hier rennt ein Mörder frei herum, ich lasse dich ganz bestimmt nicht ohne Schutz im Palast herumwandern! Und ich gehe davon aus, Yubel stimmt mir in der Sache zu.“ Ich knurrte in mich hinein, doch ohne meine Antwort abzuwarten lief Jesse eilig zum Platz. Mein Blick wanderte zurück zur offenen Kammer. Aus ihr hörte ich immer noch Madame Tredwells Wimmern. Tausend Fragen schwirrten mir durch den Kopf, doch die Antworten waren nicht greifbar. Warum wurde Lyman mit seiner eigenen Waffe getötet? Warum hat der Mörder einen so auffälligen Dolch mitgenommen? Warum ist Lyman überhaupt Ziel eines Angriffs geworden? Und warum jetzt? Der Zeitpunkt ist mehr als ungünstig für ein solches Unterfangen. Die Grundausbildung der neuen Soldaten hatte vor wenigen Wochen begonnen und es schwirrte mehr Wachpersonal als üblich im Palast herum. Die Gefahr erwischt zu werden ist viel zu hoch. Das ergibt alles keinen Sinn. Kapitel 20: Verhör ------------------ Das Knallen der Peitsche hallte an den kalten Steinmauern wider, die qualvollen Schreie zeugten von der Treffsicherheit des Kerkermeisters. Dutzende Male hatte er ihn zielgenau an ein und derselben Stelle am Rücken getroffen. Die Haut um die nunmehr offene Wunde war geschwollen, der eiserne Geruch seines Blutes stach mir in die Nase, gemischt mit dem salzigen Gestank seines Schweißes. Ein weiterer Schlag, ein lauter Schrei. Er versuchte Halt an den Ketten zu finden, die seine Arme seitlich vom Körper abstreckten. Ich hob die Hand, der Kerkermeister stoppte seine Folter, ließ den Gepeinigten zu Atem kommen. „Wer hat den Anschlag beauftragt?“ fragte ich ruhig. Ich hatte vergessen, wie oft ich diese Frage bereits gestellt hatte. Die Fesseln klirrten, als er sich soweit aufrichtete um mich ansehen zu können. Da war es wieder. Dieses süffisante Grinsen. „Wir können ewig so weitermachen, Bakura“ versprach ich, verschränkte dabei meine Arme. Seine braunen Augen formten sich zu Schlitzen, für einen Moment verschwand der selbstsichere Ausdruck darin. Doch schnell grinste er wieder hochmütig. „So, so. Unser ach so schlauer König hat meinen Namen herausgefunden.“ „Nicht nur das“ sagte ich, ging dabei auf ihn zu, sodass er seinen Kopf weiter nach oben neigen musste, um mich zu sehen. Diese demütigende Haltung, in der er sich befand, konnte er nicht ausstehen, soweit hatte ich ihn in den letzten Tagen bereits kennengelernt. „Du kommst aus einem der ärmeren Dörfer, die während des Krieges zerstört wurden. Schon vor dem Krieg warst du ein feiger Dieb, ohne Familie, ohne Freunde. Nicht einmal die Schutzgeister haben sich deiner erbarmt. Bis heute hat sich nicht viel geändert, meinst du nicht? Außer die Tatsache, dass du jetzt Mord dazu auflisten kannst.“ Knurrend spannte er seinen Kiefer an, sah mich von unten herauf an, als hätte er mich zu seinem nächsten Ziel auserkoren. „Das von einem Bengel, der nichts wert ist, ohne den scheiß goldenen Löffel in der Fresse!“ Ein Schatten schnellte an mir vorbei. Bakura gab einen erstickten Schrei von sich, während sich Yubels Hand immer enger um seine Kehle legte, seinen Körper hoch hob und ihm die Luft abschnürte. „Rede noch einmal so mit unserem König, und ich werde dir zeigen, was wahre Schmerzen sind!“ zischte sie wütend. Einen Moment lang beobachtete ich die Szenerie, ehe ich einschritt. „Yubel, noch brauche ich ihn lebend.“ Es dauerte einen Augenblich, doch dann löste sie sich von ihm, sodass er wie ein nasser Sack zu Boden fiel. Einzig seine Ketten hielten ihn in halbwegs aufrechter Position. Er hustete, spuckte mir sein Blut vor die Füße und sah keuchend zu mir auf. „Wer hat den Anschlag beauftragt?“ fragte ich wieder. Doch er schwieg eisern, sah mich nur hasserfüllt an. „Ich an deiner Stelle würde reden.“ Jesse trat an meine Seite, in seinem Gesicht ein siegessicheres Lächeln. „Schon morgen um diese Zeit ist Meister Damian mit einer netten Erfrischung fertig, die er einzig für dich gebraut hat. Mal sehen, wie viel von deinem Willen dann noch übrig ist.“ „Euer Gesöff könnt ihr behalten“ keuchte er. Jesses Lächeln wurde breiter. „Lebend kommst du hier so oder so nicht raus. Aber du hast die Wahl. Sag uns, was wir wissen wollen und es ist schnell und ohne weitere Schmerzen vorbei. Sträub dich weiter und du wirst dir wünschen, dass wir so nett mit dir umgehen wie in den letzten Tagen.“ Er schnaubte. „Als ob ein Grünschnabel wie du wüsste, was echte Qualen sind. Das hier ist ein schlechter Witz!“ „Also der Erfrischungsdrink“ sagte Jesse fast schon euphorisch. Ich seufzte lautlos. Meister Damians Trank war unsere letzte Möglichkeit mehr herauszufinden, aber alles in mir sträubte sich, ihn einzusetzen. Das Gebräu machte sein Opfer willenlos, trieb es mit Halluzinationen in den Wahnsinn, bis auch der letzte Lebenswille ausgesaugt wurde und man sich nur noch den Tod herbeisehnte. Währenddessen bekam man aber rein akustisch alles von der Außenwelt mit, sodass ein Verhör noch immer möglich war. Mein Vater hatte dieses Mittel selbst im Krieg abgelehnt, und auch ich wollte es eigentlich vermeiden. Aber wir hatten keine Wahl. Bakura zu fangen war nicht schwer. Noch am selben Abend des Mordanschlags auf Lyman, hatten wir ihn in der Innenstadt festnehmen können, aber seitdem weigerte er sich vehement auch nur eine unserer Fragen klar zu beantworten. Dass er allerdings nicht selbst der Drahtzieher hinter dem Anschlag war, hatte er uns unfreiwillig Preis gegeben. „Macht doch was ihr wollt“ murmelte Bakura, ließ erschöpft den Kopf hängen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er diese Tortur überhaupt überleben würde, bevor wir alle Antworten hätten. „Machst du hier weiter?“ fragte ich an Jesse gewandt. „Die Ratsversammlung beginnt bald.“ Er nickte und gab dem Kerkermeister das Zeichen, weiterzumachen. Noch während Bakuras Schreie durch die Zelle hallten, ging ich zur Tür. „Warte“ keuchte es zwischen zwei Schlägen hinter mir. Verwundert drehte ich mich zu dem Gefangenen. Die Peitsche verstummte. „Es hat einen Grund, dass… dass ich den Dolch mitgenommen habe…“ „Und welchen?“ fragte ich. „In… In ihm… Bitte lasst mich gehen… Ich hatte nichts damit zu tun!“ Ich verdrehte die Augen und schritt aus der Zelle. Seine gespaltene Persönlichkeit machte das Verhör auch nicht einfacher. ~*~ Wenig später saß ich am Schreibtisch meiner Gemächer und hatte das Kinn auf meine Hand gebettet. Mit der anderen wog ich den Dolch hin und her. Irgendeinen Grund hatte er zwangsläufig, dieses alte Ding mitzunehmen. Und ganz sicher war es nicht sein materieller Wert. Der goldene Knauf war zerkratzt und bestückt mit kleinen Edelsteinen unterschiedlicher Farbe. Eine größere, halbrunde Kerbe zeugte davon, dass bereits ein Stein fehlte. Die Klinge war stumpf und gebogen, setzte an kleinen Stellen bereits Rost an. Es brauchte sicher einiges an Kraft, Lyman damit von hinten zu erstechen. Ich ließ die Waffe auf die Tischplatte fallen und fuhr mir genervt durchs Haar. ‚In ihm‘, was hat das zu bedeuten? Ich habe dieses verdammte Ding untersuchen lassen, aber der Knauf ist nur gewöhnliches Eisen mit einem Goldüberzug. Am Ende war es nur das Gefasel eines Verrückten. Seufzend stand ich auf, um mich für die Versammlung fertig zu machen, da klirrte es hinter mir. Verwundert drehte ich mich um. Der Dolch lag auf dem Boden. Ich musste ihn fallen lassen haben. Als ich einen Schritt nach vorn setzte, trat ich versehentlich etwas mit dem Fuß beiseite. Verwundert betrachtete ich die ovale Goldkugel, die langsam über den Boden rollte. Das ist doch das Endstück des Knaufes. Seltsam. Sollte es nicht in einem Guss gefertigt worden sein? Ich hob die Kugel auf, betrachtete sie von allen Seiten. Sie war absolut ebenmäßig. Wie kann Eisen so glatt abfallen? Das ist nicht möglich. Noch einmal betrachtete ich den Dolch, während ich ihn aufhob. Fuhr mit dem Daumen über die ovale Kerbe. Ich stutzte. Ob das passt? Zögerlich setzte ich die Kugel in die Kerbe, drehte sie einige Male, bis es schließlich passte. Tatsächlich. Als wäre sie für die Kerbe geschaffen. Ohne darüber nachzudenken, übte ich Druck auf die Kugel aus, bis es klickte und die Klinge sich ein Stück herausschob. Mein Puls erhöhte sich schlagartig. Was ist das für ein Mechanismus? Ich zog an dem verbogenen Metall, löste die Klinge vom Knauf. Überrascht drehte ich das vergoldete Metall in meiner Hand, betrachtete den Hohlraum, in dem vorher die Klinge steckte, doch ich entdeckte nichts. Irgendetwas muss es doch damit auf sich haben. Mein Blick wanderte zu der Klinge. Am Griffstück, das vorher im Knauf steckte, war ein kleiner Schlitz. Eine vergilbte Ecke lugte hervor. Ich ließ den Knauf auf den Tisch fallen und zog vorsichtig an der kleinen Ecke. Stück für Stück holte ich eine Art Pergament hervor. Klirrend fiel auch die Klinge auf den Tisch und ich entfaltete den Zettel. Doch was ich sah, verwunderte mich. Es dauerte einen Moment, in dem ich die Zahlen vor mir anstarrte und versuchte mir darauf einen Reim zu machen, doch dann traf es mich wie ein Blitz. Schnell rannte ich zur Tür und riss sie auf. An der gegenüberliegenden Wand stand Yubel, die mir seit dem Anschlag nicht mehr von der Seite gewichen war. Alarmiert betrachtete sie mich. „Was ist passiert?“ Kurz sah ich mich um und winkte sie in meine Gemächer. Als sie bei mir war, schloss ich die Tür hinter mir. „Haou, was ist los?“ drängte sie erneut. „Wonach sieht das für dich aus?“ fragte ich aufgeregt und hielt ihr das Pergament entgegen. Sie sah mich verwirrt an und nahm das Schriftstück an sich. „Koordinaten?“ Ich nickte. „Aber wo habt Ihr die her?“ Ich senkte die Stimme. „Das Pergament steckte in der Klinge des Dolches.“ Überrascht betrachtete sie mich und sah wieder auf das Schriftstück. „Also war es das, was dieser Dieb wollte?“ „Keine Ahnung. Vielleicht. Wir müssen noch einmal mit ihm reden.“ „Und die Ratsversammlung?“ gab sie zu bedenken. „Das hier ist wichtiger!“ „Ihr seid der König! Ihr müsst zu dieser Versammlung.“ „Dann wird sie eben verschoben“ entgegnete ich genervt. Sie atmete angespannt aus. „Wollt ihr die Sache unter Verschluss halten?“ „Ja“ antwortete ich konfus. War das nicht offensichtlich? „Dann geht zu der Ratsversammlung. Es würde nur Aufsehen erregen, wenn Ihr dem nicht beiwohnt.“ Ich wollte etwas erwidern, doch sie hatte Recht. Der Hälfte des Rates vertraute ich nicht mehr, und der einzige, der uneingeschränkt hinter mir stand, war Lyman. Ich seufzte. „Na schön. Dann werde ich nach der Versammlung mit ihm reden. Kannst du in der Zwischenzeit rausfinden, wo diese Koordinaten hinführen?“ „Natürlich.“ „Gut, aber beeil dich. Ich will diese Versammlung schnell hinter mich bringen und dann mit Bakura reden. Vielleicht können wir uns den Trank dann sparen.“ Kapitel 21: Ratsversammlung --------------------------- Holzstühle kratzten über den Boden, während auch die letzten Mitglieder des Rats an dem runden Tisch Platz nahmen. Nur zwei der 13 Stühle blieben unangetastet. Ich seufzte lautlos. „Schön. Wie ich sehe, sind wir vollzählig, dann können wir ja anfangen.“ „Was ist mit Madame Tredwell?“ fragte Meister Nate. „Aufgrund der jüngsten Ereignisse hat sie sich eine Auszeit genommen.“ Ares faltete seine Hände ineinander, sah mich durchdringend an. „Wo wir schon dabei sind, wissen wir etwas Neues über den Anschlag auf Meister Lyman?“ „Nein, die Befragung des Mörders ergab keine neuen Ergebnisse“ sagte ich ausweichend. „Jesse ist in diesem Moment bei ihm und versucht es weiter. Fest steht aber, dass er Hilfe aus dem Palast erhalten hat.“ Ein Raunen ging durch die Runde, unsicheres Gemurmel folgte. Jetzt in den Angriff zu gehen war riskant, aber ich wollte ihre Reaktion im Auge behalten. Die Personen, die ich am ehesten verdächtigte, ließen keine Emotionen nach außen strahlen, oder zeigten sich überrascht. Dabei hatte ich gehofft, sie würden sich irgendwie verraten. Zumindest einer von ihnen. „Wie kommt Ihr darauf?“ fragte Meister Reiji sachlich. „Bakura ist nur ein kleiner Fisch, der in seinem Leben noch nie im Palast war. Trotzdem hat er es irgendwie geschafft an den Wachen vorbeizukommen und Meister Lyman zu töten. Die Gründe dafür verschweigt er weiterhin.“ Meister Gozaburos kalter Blick wanderte zu Meister Damian. „Ich dachte, so etwas wäre durch Euren Trank kein Problem.“ Dieser nickte, sah flüchtig zu mir, bevor er seine Antwort gab. „Die Nutzung ist sehr riskant. Außerdem dauert die Herstellung drei Tage.“ „Aber wir haben ihn doch schon vor etwa einer Woche gefasst“ bemerkte Crowler irritiert. „Meister Damian hat auf meinen Befehl gehandelt“ stellte ich klar. „Die Wirkung des Tranks wünscht man nicht einmal seinem schlimmsten Feind. Selbst mein Vater hat sich im Krieg dagegen ausgesprochen, wie ihr wisst.“ Ein leises Schnauben erklang, doch seinen Ursprung konnte ich nicht ausmachen. „Wird er bald fertig sein?“ fragte Meister Reiji. Ich nickte zerknirscht. „Sollte der Gefangene bis morgen Mittag nichts Neues zu dem Anschlag erzählen können, werden wir ihn einsetzen.“ „Das halte ich für angemessen“ schaltete sich Meister Stone ein. „Sollte es wirklich eine Lücke in unserer Verteidigung geben, müssen wir den Maulwurf unverzüglich aus dem Verkehr ziehen. Sonst war der Anschlag auf Meister Lyman vielleicht nicht der letzte.“ Zustimmendes Gemurmel folgte. Auch ich nickte meinem Berater zu. „Wir müssen behutsam vorgehen. Wenn diese Information in Umlauf gerät, könnte es Panik im Palast oder sogar im Volk auslösen. Aus diesem Grund lege ich es in Eure Verantwortung, dass diese Sache unter Verschluss bleibt und der Maulwurf gefasst wird.“ „In meiner?“ fragte er irritiert. „Aber was verschafft mir die Ehre, mein König?“ „Ihr seid fähig für diese Aufgabe. Wenn die ganze Sache vorbei ist, will ich Euch zur Belohnung aus meinem Dienst entlassen und in den Ruhestand schicken.“ „Aber König Haou!“ Meister Crowler war aufgestanden, stützte sich auf dem Tisch ab. „Wieso, um alles in der Welt, schickt Ihr Euren Berater ausgerechnet jetzt in den Ruhestand?“ Stone sah mich nur versteinert an. Jedoch erkannte ich ein freudiges Funkeln in seinen Augen. „Habt Ihr einen Nachfolger im Sinn?“ fragte Meister Nate. Ich nickte. „Jesse.“ „Ist mein Neffe nicht noch etwas jung für einen so wichtigen Rang?“ „Meister Ares hat recht, außerdem ist Jesse nicht einmal ein Mitglied des Rates.“ Einen kurzen Blick warf ich auf Meister Gozaburo. „Nirgendwo steht geschrieben welches Alter ein Berater haben muss. Ich halte Jesse durchaus für fähig genug für diesen Posten. Wer erhebliche Bedenken gegen diesen Vorschlag hat, kann sie jetzt vorbringen, ansonsten werde ich Jesse nach Abschluss der Untersuchungen über den Anschlag zu meinem Berater ernennen und er erhält damit automatisch die Mitgliedschaft im Rat.“ Meister Gozaburo massierte sich die Nasenwurzel, sah mich einen Moment forschend an. „Ich habe erhebliche Bedenken bezüglich seiner Erfahrung. Ich kann nicht guten Gewissens zustimmen einem solchen Jungspund einen so wichtigen Posten zu geben.“ „Mein Posten ist etwas wichtiger, meint Ihr nicht?“ Fragend betrachtete er mich, also sprach ich weiter. „Ich war nicht älter als er, und dennoch wurde ich in jungen Jahren König.“ „Das ist doch etwas völlig anderes!“ „Warum? Nur, weil Ihr bei meiner Ernennung keine Wahl hattet?“ „Auf dem Thron kann nur ein Mitglied der königlichen Blutlinie Platz nehmen. Ein Berater wird jedoch nach seinen Fähigkeiten und Erfahrungen ernannt. Bei allem Respekt, mein König, aber das ist nicht zu vergleichen.“ Ein belustigtes Schmunzeln legte sich auf meine Lippen. Jetzt hatte ich ihn da, wo ich ihn haben wollte. „Soweit ich weiß, hat Meister Stone diesen Posten seinerzeit aufgrund seines strategischen Geschicks erhalten, liege ich da richtig?“ fragte ich in Stones Richtung. Dieser nickte nur irritiert. „Im letzten Krieg gab es nur eine einzige Einheit, deren Mitglieder nach der Schlacht alle noch am Leben waren. Dieses Wunder hatten sie dem strategischen Geschick ihres Truppenführers zu verdanken.“ Meister Nate zog eine Augenbraue in die Höhe. „War das nicht Eure Einheit, mein König?“ Ein kleines Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. „Wie ich meinem Vater damals schon sagte: Jesse hatte erheblich dazu beigetragen, dass wir keine Opfer zu beklagen hatten. Nur weil er für jede Eventualität einen Plan hatte, sind viele unserer Krieger noch am Leben. Er konnte sich gegen die weit älteren Soldaten behaupten und ich würde ihm ohne weiteres mein Leben anvertrauen. Es gibt keinen besseren für diesen Posten.“ Betretenes Schweigen schlich sich in die Runde. Ares lächelte stolz über die Lobeshymne auf seinen Neffen. Ihn hatte ich wohl überzeugt. Blieb zu hoffen, dass die anderen es auch eingesehen hatten. Ein herzhaftes Lachen durchschnitt die Stille, alle Anwesenden sahen irritiert zu Stone, der sich gemächlich erhob und mich zufrieden betrachtete. „Ihr kommt ganz nach Eurem Vater, mein König. Ich bin der festen Überzeugung, dass Meister Jesse ein würdiger Nachfolger für meinen Posten sein wird. Ungeachtet seines Alters, meinen Segen habt ihr. Wenn es irgendjemanden in diesem Raum gibt, der weitere Bedenken hat, soll er sie jetzt äußern, ansonsten würde ich meinen, dass bei der nächsten Ratsversammlung statt meiner, wohl Meister Jesse anwesend sein wird.“ Ich warf Stone einen dankbaren Blick zu, beobachtete die anderen Meister. Ganz überzeugt sahen einige noch nicht aus, doch niemand wagte es, einen weiteren Einspruch zu erheben. „Dann ist es beschlossen“ meldete sich Ares zu Wort, blickte ebenfalls in die Runde. „Jetzt, wo das geklärt ist, würde ich gern einen weiteren Punkt ansprechen.“ Ernst betrachtete er mich. "Es geht um Euren Schützling, mein König.“ Durchdringend sah ich Ares an. Nach dem Auftritt von Sternenstaubdrache vor einigen Tagen wunderte ich mich nicht, dass die ersten Stimmen gegen Yusei laut wurden. „Gab es Beschwerden aus dem Volk?“ fragte ich gezielt nach, war das doch meine erste Vermutung. „Nein, die Lage in der Stadt hat sich schnell wieder beruhigt.“ Seine Worte erleichterten mich, wie sie mich auch verwunderten. „Was ist dann das Problem?“ Aus seiner Tasche holte er ein dickes, altes Buch hervor. Ich musste den Einband nicht lesen, um zu wissen, worum es sich handelte. Darin waren unsere Gesetze niedergeschrieben. Ernst beobachtete ich ihn, als er es aufschlug und eine bestimmte Seite suchte. „Der einzige Grund, aus dem wir damals zugestimmt hatten, ihn im Palast aufzunehmen war der, dass er eines Tages als Späher in die andere Welt geschickt werden sollte. Bisher hat er jedoch lediglich die Grundausbildung abgeschlossen.“ Ich stutzte. Sollte er seine Ausbildung bei Meister Ares nicht längst begonnen haben? Schließlich hatte Jesse mir kleinlaut gestanden, dass er das vorhatte. „Worauf wollt Ihr hinaus?“ „Mit Verlaub, aber Ihr habt ihn in Dinge unterweisen lassen, die für seine Mission nicht von Belang sind. Zuletzt hat er sich auch noch mit einem Schutzgeist verbunden. Von der Tatsache abgesehen, dass es ein Drache ist, war dieses uralte Ritual nicht von Bedeutung für ihn. Einzig seine Späher Ausbildung hätte es sein sollen.“ Ernst betrachtete er mich. „Wenn das so weitergeht, könnte er in einigen Jahren selbst für uns eine Bedrohung werden.“ Ein Knall ließ alle Anwesenden zusammenzucken, von Meister Ares abgesehen. Ich hatte meine flache Hand auf den Tisch geknallt und war aufgestanden, sah Ares zornig an. „Wie oft noch? Er ist uns gegenüber loyal! Außerdem liegt es in meiner Hand, wie ich seine Ausbildung gestalte!“ „Was das angeht, solltet Ihr einen Blick in unsere Gesetze werfen.“ Fragend legte ich die Stirn in Falten, doch ehe ich etwas sagen konnte, schob er das Buch in meine Richtung. Auf drei Seiten waren Absätze markiert. Die Ausbildung von Dämonen, welche direkt unter der Krone dienen, obliegt der Verantwortung des Königshauses. Irritiert sah ich zu Ares, doch dieser bedeutete mir mit einem Nicken weiterzulesen. Das Rascheln von Pergament war das einzige Geräusch im Raum. Über Besitz ab einem Wert von 100 Goldstücke darf lediglich der rechtmäßige Inhaber verfügen. […] In Ausnahmesituationen, wie etwa im Krieg oder einer ähnlichen Not, darf ein höher Rangiges Mitglied der Gesellschaft Antrag auf Aneignung stellen. Was will er denn mit diesem Gesetzestext aussagen? Das hatte rein gar nichts mit Yusei zu tun! Genervt schlug ich die letzte Seite auf, mir stockte der Atem, als ich die Zeilen überflog. Kriegsgefangene zählen als materieller Besitz und haben keinerlei Rechte, bis ihre Strafe abgesessen ist. […] Der Preis eines Kriegsgefangenen beträgt je nach Alter zwischen 200 und 1.000 Goldstücke, wobei Kriterien wie Alter, Fähigkeiten und Strafmaß eine Rolle spielen. Ich schlug das Buch geräuschvoll zu, warf Ares einen vernichtenden Blick entgegen. „Das kann nicht Euer Ernst sein! Yusei war nie ein Kriegsgefangener! Wollt Ihr ihm allen Ernstes all seine Rechte absprechen?!“ „Von Absprechen kann keine Rede sein, wenn er sie nie besessen hat. Es war lediglich Eure Gnade, die ihn nicht im Kerker hat leben lassen.“ Dieser verdammte Mistkerl! Ich brauchte all meine Beherrschung nicht über den Tisch zu springen. Meister Nate räusperte sich. „Ich kann mich durchaus an die Versammlung vor 13 Jahren erinnern. Quintessenz der Abmachung war tatsächlich, dass er ein Kriegsgefangener ist. Auch wenn er nie als solcher behandelt wurde. Soweit ich mich erinnere, hat er, gleich nachdem er im Palast aufgenommen wurde, seine Grundausbildung begonnen. Wie auch einige andere Dämonen. Aber worauf wollt Ihr genau hinaus, Meister Ares?“ „Selbst wenn er nie als Gefangener bezeichnet worden wäre, obliegt seine Ausbildung nicht mehr Euch, mein König. Im Text wird klar von Dämonen gesprochen. Das ist er nicht. Damit zählt er meines Erachtens nach als Besitz.“ „Haarspalterei!“ zischte ich. „Selbst wenn, wäre er nicht im Besitz des Königs?“ fragte Crowler verwundert. „Der König hat die Verantwortung für den Menschen an Jesse abgegeben und er an mich, als er mich gebeten hatte, ihn für die Dauer seiner Ausbildung in meine Obhut zu nehmen. Damit wäre der Mensch rechtmäßig in meinem Besitz.“ Mir stockte der Atem. Ich war wie betäubt, konnte Ares nur anstarren. Ist das sein Ernst? Jesse hat was? Das darf nicht wahr sein! Dieser… Ich schnaufte abfällig, sah Ares durchdringend an. Meiner Stimme verlieh ich einen drohenden Unterton. „Was genau wollt Ihr damit bezwecken?“ Er straffte die Schultern. „Das, was auch Ihr am Anfang bezwecken wolltet, bevor Ihr, mit Verlaub, anscheinend Euren Fokus verloren habt. Ich werde ihn so bald wie möglich mit in den Südosten nehmen, ins Brachland, und dort seine Ausbildung zum Späher beginnen. Damit er das werden kann, was auch Ihr euch vorgestellt habt. Ein Werkzeug gegen die Menschen.“ Ich knallte meine flachen Hände auf die Tischplatte, versuchte das Zittern zu unterdrücken. „Was nehmt Ihr Euch eigentlich heraus?! Habt Ihr den Verstand verloren?!“ „Ich versichere Euch, ich bin klar bei Verstand. Doch ich muss gestehen, es ist ein Präzedenzfall. In so einem Fall muss abgestimmt werden. Eure Stimme hat selbstverständlich das meiste Gewicht, doch Ihr könnt Euch nicht über den gesamten Rat hinwegsetzen.“ Meister Damian sah scheu zu mir, dann wieder zu Meister Ares. „Bei einem solchen Präzedenzfall können wir aber nicht am selben Tag abstimmen. Wir brauchen etwas Bedenkzeit, schließlich-“ „Die Sache ist lächerlich!“ schnitt ich ihm das Wort ab. „Wofür braucht Ihr da noch Bedenkzeit?“ „Wir müssen uns an das Protokoll halten, mein König“ erwiderte er kleinlaut. Ein unwilliges Brummen entkam mir. Natürlich hatte Damian Recht, und doch hatte ich ein mieses Gefühl bei der ganzen Situation. Denkt er allen Ernstes, mit diesem Antrag würde er durchkommen? „Was passiert in der Zwischenzeit mit Yusei?“ „Es bleibt alles wie bisher“ antwortete ich auf Meister Damians Frage. „Und das wird es auch in Zukunft. Diese ganze Angelegenheit ist an den Haaren herbeigezogen!“ ~*~ Wütend riss ich die Türen auf, ließ den Rat endlich hinter mir. Yubel, die an der gegenüberliegenden Wand auf mich wartete, schloss sich meinem Tempo an. Meine schnellen Schritte hallten an den Wänden des Gangs wider. Nach diesem Abend brauchte ich dringend gute Neuigkeiten. „Hat Bakura irgendwas gesagt?“ fragte ich scharf. Doch Yubel ließ sich von meinem Ton nicht beirren. „Die üblichen Beleidigungen, ansonsten nichts Neues. Was ist passiert?“ „Wo ist Jesse?“ überging ich ihre Frage. „Er wartet im Thronsaal auf Euch.“ Perfekt, nur einen Gang weiter. Ich beschleunigte meinen Schritt, gab Yubel währenddessen meine Befehle. „Du wartest draußen, ich muss mit Jesse allein sprechen. Und lass niemanden rein!“ Geräuschvoll öffnete ich die schweren Holztüren, verschaffte mir einen kurzen Überblick. Jesse stand am Fuß der niedrigen Treppe zum Thron, vereinzelt waren Wachen postiert. „Alle raus hier!“ wies ich sie an. Sofort verbeugten sie sich knapp und verließen den Raum. Jesse betrachtete mich alarmiert. Erst als die Türen sich schlossen, richtete er das Wort an mich. „Was ist passiert?“ Ein heller Knall hallte an den Wänden wie ein Echo. Vollkommen verstört sah Jesse zu mir, hielt sich die gerötete Wange. Mein Atem ging schwer, meine Hände zitterten. Bevor er noch etwas sagen konnte, schrie ich ihn an. „Kannst du mir verraten, warum Yusei in Ares‘ Obhut ist?!“ Irritiert schüttelte er den Kopf. „Was?“ „Er hat heute allen Ernstes behauptet, Yusei wäre ein reiner Besitz, weil er kein Dämon ist! Und weil du ihn in die Obhut deines Onkels gegeben hast, macht ihn das zu Yuseis Besitzer!“ Das letzte Wort sprach ich voller Abscheu. Es war alles so lächerlich. „Moment, was?“ „Spuck es schon aus! Was genau hast du zu Ares gesagt, als er Yuseis Ausbildung übernehmen sollte?!“ „Nur, ob er ihn als Späher ausbilden kann, und ab wann“ sagte Jesse deutlich fester als zuvor. „Er will Yusei allen Ernstes als Besitz deklarieren?“ „Ja! Und ehrlich gesagt mache ich mir Sorgen was den Rest des Rats betrifft. Über die ganze Angelegenheit wird in einer Woche abgestimmt. Deswegen ist es wichtig, dass du mir versichern kannst, dass du Ares ausschließlich um die Ausbildung gebeten, und nicht in seine Obhut gegeben hast!“ Einen Augenblick überlegte er, schließlich schien ihm jede Farbe aus dem Gesicht zu weichen. Das erübrigte mir seine Antwort. „Scheiße“ zischte ich, lief einige Schritte durch den Raum, um meine überschüssige Energie nicht wieder an ihm auszulassen. „Was hast du dir dabei gedacht?!“ „Jedenfalls nicht, dass er sowas vorhaben könnte!“ Ich fuhr genervt durch mein Haar. Dieser elende Mistkerl hat die Oberhand, sollte ich nicht die Mehrheit im Rat bekommen. Dann kann ich mich gleich von Yusei verabschieden. Eine plötzliche Kälte zog mein Herz zusammen. „Hey!“ Überrascht sah ich auf. Jesse hielt mich an den Schultern, sah mir fest in die Augen. „Wer könnte nächste Woche dafür stimmen?“ „Ich weiß es nicht!“ sagte ich. Wunderte mich selbst über die leichte Panik in meiner Stimme. „Und wie geht es mit Yusei bis dahin weiter?“ Den Kloß in meinem Hals versuchte ich runterzuschlucken. „Er soll im Kerker bleiben“ wisperte ich. Jesse nickte, strich mit den Daumen vorsichtig über meine Schultern. „Ich werde mich umhören, vielleicht bekomme ich heraus, wie die anderen Ratsmitglieder abstimmen wollen. Soll ich Yusei davon erzählen?“ „Nein“ sagte ich matt, befreite mich aus Jesses Griff. „Hör dich bei den Ratsmitgliedern um, und sollte es eng werden, lasse ich mir etwas einfallen.“ „Wie genau meinst du das?“ fragte er skeptisch. Ich schüttelte abwehrend den Kopf, ging auf meinen Thron zu. „Sollte ich die Abstimmung verlieren, werde ich es trotzdem nicht zulassen, dass sie Yusei wie einen Gegenstand ohne Rechte behandeln. Das kann ich nicht.“ „Glaub mir, ich verstehe dich, aber wie willst du das verhindern, wenn es zu spät ist?“ Noch einmal atmete ich tief durch, fuhr verzweifelt durch mein Haar, während ich mich setzte und mein Gesicht in meine Hände bettete. „Keine Ahnung. Ich muss es einfach.“ Die ganze Situation raubte mir mehr Kraft als ich gedacht hätte. Ich fühlte mich ausgelaugt. Was soll ich nur tun? Ein Knall ließ mich aufsehen. Eine Tür wurde aufgerissen, in den Saal kam eine Dämonin gerannt. Ich brauchte einen Augenblick, bevor ich Yuseis kleine Freundin erkannt hatte. „König Haou!“ rief sie verzweifelt, doch ehe sie bei mir angekommen war, wurde sie von Yubel am Kragen genommen und hochgehoben. In der anderen Hand hielt meine Beschützerin einen weiteren Dämon auf die gleiche Weise gefangen. „Was fällt dir ein?“ zischte sie, doch das Mädchen ließ sich nicht beirren. „Haou, hört mich an, ich bitte Euch!“ Der andere Dämon mit dem bunten Haar zappelte ebenfalls aufgeregt. „Es geht um Yusei!“ rief er. „Ich glaube er ist…“ Ein Schluchzen brach seinen Satz ab. Alarmiert stand ich auf, überbrückte die Distanz zwischen uns. „Was ist passiert?“ Kapitel 22: Freundschaftsdienst ------------------------------- „Was ist passiert?“ fragte ich. „Ich weiß es nicht. Wir wollten ihn besuchen, aber er liegt nur am Boden!“ „Wie ‚besuchen‘?“ schaltete sich Jesse ein. „Ihr solltet nicht einmal in der Lage sein, zu ihm zu gelangen.“ „Wir haben ihm vom Fenster aus gesehen“ wimmerte das Mädchen. „Ist doch egal wie, aber er braucht Hilfe!“ Einen Seitenblick warf ich zu Jesse. Er schien gleich zu verstehen und schloss seine Augen. Seine Augenbrauen wanderten tief in sein Gesicht. „Was hat Rubin gesehen?“ fragte ich ernst. „Sie haben recht“ sagte er nur, setzte sich sogleich in Bewegung. Ich brauchte einen Moment, ehe ich ihm folgen konnte. Zu verwirrt war ich von der ganzen Situation. Am Eingang zum Thronsaal drehte ich mich noch einmal zu den Jungdämonen. „Ihr bleibt hier! Und später werdet ihr mir erklären, wie ihr auf das Palastgelände eindringen konntet!“ Ohne ihre Reaktion abzuwarten, folgte ich Jesse in den Nebenkomplex, durch die kalten Gänge. Auf dem Weg wies ich eine Heilerin an mir zu folgen. Mit zittrigen Fingern schloss Jesse die Tür auf und ließ mir den Vortritt. Das einzige was ich wahrnahm war Yusei, der regungslos am Boden lag. Ohne nachzudenken rannte ich auf ihn zu. Das Geräusch meiner Schritte kam mir seltsam vor. Als ich ihn erreicht hatte, ging ich neben ihm in die Knie, drehte ihn auf den Rücken. Immer wieder rief ich seinen Namen, versuchte ihn wachzurütteln, aber er reagierte nicht. Ich spürte auch keinen Puls. Schlagartig fühlte sich mein Körper taub an, mein Blut rauschte in meinen Ohren. Wach doch endlich auf! Behutsam nahm ich ihn in meine Arme, legte meine Hand an seine Wange. Sanft strich ich mit dem Daumen über die eiskalte Haut. Mit aller Macht versuchte ich die Tränen runterzuschlucken. Verkniff mir jeden Laut. Das durfte nicht wahr sein! Bitte nicht! „Mein König“ hörte ich eine zaghafte Stimme, doch ich reagierte nicht. „Er lebt noch, mein König. Bitte lasst mich helfen.“ Nun sah ich doch auf. Die rothaarige Dämonin strahlte eine unglaubliche Ruhe aus, schenkte mir sogar ein aufmunterndes Lächeln. Einen Moment zögerte ich, doch sie nahm Yuseis scheinbar leblosen Körper aus meinen Armen und legte ihn neben mir ab. Wie betäubt beobachtete ich die Heilerin. Als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte, hielt ich sie fest. Diese Berührung schien mir wie ein Anker im tosenden Sturm meiner Gefühle. Ich klammerte mich daran fest, wie ein Ertrinkender. Bitte… Bitte lass es nicht zu spät sein… Ganz sachte hob sich seine Brust. Zuerst dachte ich, es wäre nur eine Einbildung, doch seine Atemzüge wurden mit jedem Mal etwas stärker, bis mich sein Husten endgültig überzeugte, dass er wirklich lebte. Schnell stützte ich seinen Oberkörper ab, damit er besser abhusten konnte, im nächsten Augenblick lag er wieder schlapp in meinen Armen. Doch dieses Mal konnte ich seine Atmung deutlich sehen und mir fiel ein Stein vom Herzen. Er war wirklich am Leben. Ich drückte ihn enger an mich. Um nichts in der Welt wollte ich ihn in diesem Moment loslassen. Aus Sorge, ihn dann tatsächlich zu verlieren. „Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein“ flüsterte ich. Betrachtete sein friedliches Gesicht. Strähnen weise lagen seine Haare eng auf seiner Haut. Sie waren triefend nass. Ich fragte mich nach dem Grund, doch eine Berührung ließ mich Aufsehen. Zwei weitere Heiler waren plötzlich neben mir und sahen mich abwartend an. In ihren Armen hielten sie eine Trage. Die rothaarige Heilerin hatte ihre Hand noch immer auf meiner. „Ich würde ihn gern an einen etwas trockeneren Ort bringen und ihn genauer untersuchen, mein König. Darf ich?“ Trocken? Was meint sie damit? Irritiert sah ich mich um. In der gesamten Zelle stand das kalte Wasser bis zu den Knöcheln. Eines der massiven Regale war zerstört, überall waren Bücher und Pergament verteilt und trieben auf der spiegelglatten Oberfläche. Was ist hier passiert? Der Druck auf meiner Schulter riss mich aus meinen Gedanken. Ernst sah ich die Heilerin an und nickte. „Passt gut auf ihn auf. Und lasst den Hauptmann unverzüglich zu mir kommen.“ „Wie Ihr wünscht“ sagte sie zufrieden und nahm mir Yusei behutsam ab, um ihn auf die Trage zu legen. Ich sah den dreien nach, bis sie aus der Zelle verschwanden. „Wann hast du das letzte Mal nach ihm gesehen?“ fragte ich, mied es aber, ihn anzusehen. „Heute, am frühen Nachmittag.“ „Du oder Rubin?“ Seine Hand entfernte sich von meiner Schulter. Ich seufzte und stand auf. Sein Schweigen war mir Antwort genug. „Was hat er gesehen?“ fragte ich dunkel. „Yusei schlief in seinem Bett. Es sah alles aus wie immer.“ Skeptisch betrachtete ich ihn. Dass Yusei länger als kurz nach Sonnenaufgang schlief, war alles andere als normal. „Wann warst du das letzte Mal persönlich hier?“ Er mied meinen Blick, sah sich in der zerstörten Zelle um. „Jetzt antworte mir!“ Scheu sah er wieder zu mir. Er wusste genau, dass er einen Fehler gemacht hatte. Ich wusste nur nicht, ob mich diese Tatsache noch wütender machte. „Am Tag eurer Ankunft“ sagte er schließlich. Irritiert schüttelte ich den Kopf. „Das ist über eine Woche her.“ Schwer atmete er aus. „Es war dein Wunsch, dass er Magie erlernt.“ Was meint er? Hat er etwa… Immer größer wurden meine Augen. „Was hast du getan?“ hauchte ich. „Ihr habt nach mir verlangt, mein König“ hörte ich plötzlich die Stimme des Hauptmanns, der mir mit aufrechter Haltung entgegenkam. Auch er sah sich flüchtig in der Zelle um, sagte aber nichts dazu. „Was ist hier passiert?“ zischte ich. „Ich… weiß es nicht.“ „Wenn ich diesen Satz noch einmal höre, landet derjenige anstatt Yusei in dieser Zelle!“ „Ich habe nur Befehle ausgeführt, mein König.“ „Welche Befehle?!“ Einen Seitenblick warf er auf Jesse, auch ich richtete meine Aufmerksamkeit auf ihn, doch der Hauptmann sprach weiter. „Mein Befehl war es zu beginn, dem Menschen nur die halbe Nahrungsration zu geben. Nach dem Vorfall mit seinem Drachen hieß es, eine Hälfte weniger. Das bedeutet nach meiner Auffassung keine Nahrung, kein Wasser. Solange, bis ich Befehl habe, dies zu ändern.“ Scharf sah ich Jesse an, doch bevor ich ihn anschreien konnte, richtete er sich an den Hauptmann. „Ich sagte noch einmal die Hälfte! Nicht, dass ihr ihn verhungern lassen solltet! Und von Wasser war nie die Rede!“ „Dann habe ich Euch falsch verstanden. Entschuldigt.“ „Ihr meint, mit einer Entschuldigung wäre es getan?!“ donnerte ich aufgebracht. „Yusei wäre heute fast gestorben! Was habt ihr beiden euch dabei gedacht?!“ „Ich habe nur-“ Scharf sah ich den Hauptmann an, schnitt ihm damit das Wort ab. „Keine Ausflüchte“ sagte ich dunkel. „Hätte man mich nicht gewarnt, wäre Yusei jetzt tot. Das ist eure Schuld. Ihr hättet von selbst darauf kommen können, dass er ohne Wasser nicht lange überlebt. Und jetzt verschwindet, bevor ich mich verliere!“ Sein Blick senkte sich, meine Aufmerksamkeit richtete ich auf Jesse, während sich die Schritte des Hauptmanns ihren Weg durch das Wasser bahnten. „Und was dich angeht: Was hast du dir dabei gedacht?! Wolltest du wirklich Madame Tredwells Vorschlag annehmen? Ich habe dir gesagt, was ich davon halte!“ „Ja!“ sagte er entschlossen, sah mir fest in die Augen. „Ich wollte ihn an seine psychische und physische Belastungsgrenze bringen. Aber dass er fast stirbt, habe ich nie gewollt. Das weißt du!“ „Weiß ich das wirklich?! Was hast du noch getan, um ihn zu quälen?!“ meine Stimme überschlug sich fast. Ich wollte nie, dass Yusei leiden musste, um Magie zu erlernen. Als Madame Tredwell diesen Vorschlag gemacht hatte, hatte ich mich gesträubt. Und ich war mir sicher, Jesse würde es ebenso sehen. „Er sollte sich allein fühlen“ sagte er leise, sah mich schuldbewusst an. „Ich habe ihm erzählt, dass er dich enttäuscht hat. Wegen seiner Magie, wegen dem Ausbruch seines Drachen. Ich wusste, dass er für all das nichts kann, und du es ihm nicht übelnimmst, aber es war eine Gelegenheit, Madame Tredwells Hypothese zu überprüfen. Deswegen habe ich auch nur Rubin nach ihm sehen lassen. Ich wollte, dass er keinerlei Kontakt zu jemand anderem als seinen Drachen hat. Ein bisschen hatte ich gehofft, dass es ihre Bindung stärken würde. Um ihn körperlich an seine Grenzen zu bringen, sollte er hart trainieren und dabei wenig Nahrung erhalten. Aber dass er gar keine erhalten hat, war nicht vorgesehen.“ Meine Hände ballten sich zu Fäusten, mein Herz schien sich kaum mehr beruhigen zu wollen. Am liebsten hätte ich ihm die Faust in den Magen gerammt, aber das brachte mich nicht weiter. Schuld und Enttäuschung übermannten mich. „Ich hätte die Verantwortung für ihn nie abgeben dürfen. Aber ich dachte, zumindest dir könnte ich vertrauen“ sagte ich leise. Den Schmerz in seinem Gesicht versuchte ich zu ignorieren und schritt aus der Zelle. Auf dem Weg in den Behandlungsraum sprach mich zum Glück niemand an. Als ich eintrat, war die rothaarige Dämonin dabei, Yusei eine Decke überzulegen. Überrascht drehte sie sich zu mir. „Wie geht es ihm?“ wollte ich wissen. „Er wird sich vollständig erholen, aber er benötigt ein paar Tage Ruhe. Ich habe ihm nur etwas Energie übertragen. Hunger und Durst lassen sich leider nicht mit Magie heilen. Wenn dem so wäre, hätten wir im Volk ein Problem weniger.“ Ich nickte, setzte mich zu ihm ans Bett. Behutsam nahm ich seine Hand in meine, strich mit dem Daumen über die weiche Haut. Glücklicherweise fühlte sie sich nicht mehr so kalt an. Wie konnte es nur so weit kommen? „Ich bin wirklich froh, dass Ihr diesem Wahnsinn ein Ende bereitet habt“ sagte sie zögerlich. „Der Hauptmann wollte mich nicht anhören.“ „Du hast davon gewusst?“ fragte ich kraftlos. Im Augenwinkel konnte ich sie nicken sehen, doch ich betrachtete nur Yuseis friedliches Gesicht. Seine Lippen waren spröde, seine Haut war blass. Durch die dünne Decke konnte man sehen, dass sein Bauch eingefallen war. „Vor wenigen Stunden habe ich einen markerschütternden Schrei gehört, aber ich hatte keinen Schlüssel für die Zelle. Ich glaube das war Sternenstaubdrache, der versucht hat auf sich aufmerksam zu machen. Der Hauptmann sagte nur, dass Yusei lernen sollte, seinen Drachen zu kontrollieren. Damit war das Thema für ihn beendet.“ Ich seufzte lautlos, drückte seine Hand fester. Dass sein Schutzgeist ihn retten wollte, war nur verständlich. Und es erklärte die zerstörten Möbel. „Was ist mit dem Wasser?“ fragte ich. Dort unten gab es keine Leitungen, die Sternenstaubdrache hätte zerstören können. „Was das betrifft, war ich ebenso überrascht, wie Ihr es seid. Das einzige, das mir einfallen würde ist, dass es durch die Fenster ins Innere der Zelle gelangt ist.“ „Hm.“ Die Vermutung lag nahe, aber warum? Wer hätte einen Vorteil davon? Da fiel mir etwas ein und ich sah ernst zu der Heilerin. „Bleib bitte bei ihm, bis ich wieder zurück bin. Ich muss etwas überprüfen.“ „Sehr wohl, mein König“ sagte sie mit einer Verbeugung. ~*~ Im Thronsaal angekommen, sah ich Yubel, die noch immer mit verschränkten Armen vor den beiden Jungdämonen stand. Als sie mich kommen sahen, erkannte ich die Angst in ihren Augen. „Jetzt zu euch“ sagte ich, verschränkte ebenfalls meine Arme. „Wie habt ihr es geschafft, in den Palast einzudringen?“ Sie warfen sich einen unschlüssigen Blick zu, schwiegen betreten. „Wenn ihr nicht redet, muss ich euch in den Kerker werfen lassen, also los!“ „Wir… haben die Wachen beobachtet“ sagte das Mädchen zögerlich. „Vom Turm des Tempels hat man einen guten Einblick auf das Gelände um den Gefangenenkomplex.“ „Und was habt ihr dabei beobachtet?“ „Die östliche Mauer wird nur spärlich bewacht, weil es dort keine Eingänge gibt. Mein Schutzgeist hat uns dort rübergebracht.“ „Woher wusstet ihr, wo Yusei genau steckt?“ Wieder betretenes Schweigen. „Ihr hattet Hilfe“ schlussfolgerte ich. „Und jetzt wollt ihr den, der euch geholfen hat, nicht in Schwierigkeiten bringen.“ Ihre Blicke senkten sich. Damit hatte ich meine Antwort. „Wie geht es ihm?“ fragte der Junge leise. „Im Moment erholt er sich wieder. Aber wir schweifen ab. Wer hat euch geholfen, und wie seid ihr in den Palast eingedrungen?“ Man konnte ihnen die Erleichterung förmlich ansehen, doch sie schwiegen. Sie schienen ihre Tat nicht zu bereuen, also wechselte ich meine Taktik. „Wenn ihr mir alles bis ins kleinste Detail erzählt, verspreche ich euch, dass ich euren Freunden nichts zur Last lege. Vorausgesetzt, dass niemand verletzt wurde.“ Überrascht sahen sie auf, tauschten noch einmal Blicke. Das Mädchen war es, die ihre Stimme als erste wiederfand. „Es wurde niemand verletzt“ versicherte sie, zögerte. „Sie… werden also keinen Ärger bekommen?“ „Von einigen Straftaten kann ich vielleicht absehen.“ Noch einmal sah sie zu ihrem Freund, der ihr bekräftigend zunickte, dann sprach sie weiter. „Unsere Freundin hat aufgeschnappt, dass Yusei seit einigen Tagen im Kerker sitzt. Nach dem, was im Stadion passiert ist, wollten wir mit ihm reden.“ „Die Zuschauer haben ihm so viel Hass entgegengebracht, dass wir dachten, er könnte uns vielleicht brauchen“ sagte der Junge. Seine Freundin nickte. „Er versteckt es zwar, aber nach solchen Auseinandersetzungen geht es ihm nie sonderlich gut. Wir haben ihn dann immer versucht aufzubauen, aber dieses Mal konnten wir nicht zu ihm. Ganz egal, was wir den Wachen erzählt haben, keiner wollte uns zu Yusei lassen.“ „Also haben wir eine Freundin gefragt, die die Grundausbildung zur Soldatin vor ein paar Tagen angefangen hat.“ „Die, die an dem Tag im Stadion ebenfalls den Meisterrang erlangt hat?“ hakte ich nach. Sehr viele Freunde hatte Yusei nicht, also war das meine erste Vermutung. Betretenes Nicken folgte, der Junge redete weiter. „Mai hat den Aufenthaltsort von ihrem Mitschüler erfahren. Sein Vater ist Hauptmann und hat es ihm erzählt.“ Dieser verdammte Idiot hatte seinem Sohn allen Ernstes erzählt, wo Yusei steckte? Ist er verrückt geworden? Doch ich wollte die beiden nicht unterbrechen, war ich doch froh, dass sie endlich redeten. „Als Mai eine der Wachen ablösen konnte, hat sie uns geholfen auf das Gelände zu kommen“ sagte das Mädchen. „Dann hat sie uns zu Yuseis Zelle geführt. Mit ihm durch das Gitterfenster zu sprechen war besser als nichts, also wollten wir uns damit zufriedengeben.“ „Aber dann haben wir ihn gesehen, wie er am Boden lag.“ Die Stimme des Bunthaarigen wurde immer leiser. „Wir haben ihn immer wieder gerufen, aber er hat nicht reagiert. Plötzlich erschien Sternenstaubdrache und hat gebrüllt. Es klang fast wie ein Hilfeschrei. Da haben wir Angst bekommen, und wollten ihm helfen.“ „Als wir überlegt hatten, wie wir zu ihm gelangen könnten, ist Mai eine Idee gekommen. Eine kleine Weile war sie weg und kam dann mit einem Freund wieder, den wir auf die gleiche Weise über die Mauer geschleust haben. Er ist Bogenschütze und hat uns geholfen im Gelände für etwas Chaos zu sorgen.“ Ich hob eine Augenbraue, da lenkte der Junge schnell ein: „Aber dabei wurde niemand verletzt. Wir wollten die Wachen nur ablenken, um über ein Fenster im ersten Stock in den Palast zu gelangen. Dann mussten wir nur den Thronsaal finden, weil wir Euch dort vermutet haben, aber sie wollte uns nicht vorbeilassen.“ Ich sah zu Yubel, die mit den Schultern zuckte. „Auf einen Blendzauber in einem Stück Papier und einem Schutzgeist, der sich an mir festklammert, war ich nicht vorbereitet.“ Meinen ernsten Blick richtete ich auf die Jungdämonen. „Also seid ihr auf das Gelände geschlichen, habt Chaos in meinen Reihen gestiftet, seid dann in den Palast eingebrochen und habt meine Beschützerin angegriffen, nur um eurem Freund zu helfen?“ Der kleine nickte entschlossen. „Und wir würden es wieder tun, wenn das bedeutet, dass wir ihm damit helfen können.“ Seine Angst wich einem ernsten Ausdruck und auch seine Freundin sah ihn überrascht an. „Wir nehmen jede Strafe an, Hauptsache Yusei geht es wieder besser.“ Ich verkniff mir ein anerkennendes Lächeln. Dass er Freunde hatte, die so etwas für ihn in Kauf nahmen, erleichterte mich. Die beiden erinnerten mich an Jesse und mich, als wir noch in ihrem Alter waren. „Ihr nehmt also jede Strafe an?“ vergewisserte ich mich. Die beiden nickten, das Mädchen warf etwas ein. „Aber bitte, haltet Mai und Joey da raus. Wir haben Euch alles gesagt und es war unsere Idee.“ Meine nächsten Worte richtete ich an Yubel. „Bring die beiden zu mir. Ich muss mich mit ihnen unterhalten.“ Ein kleines Grinsen huschte über ihr Gesicht und sie entfernte sich. „Aber Ihr habt doch-“ Ich hob meine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. „Mitkommen“ befahl ich. Ohne Gegenwehr trotteten sie mit hängenden Köpfen hinter mir her. Jetzt überwog wohl doch die Angst vor ihrer Strafe. Ich lachte in mich hinein. An meinem Ziel angekommen, hielt ich vor einer Tür im Nebenkomplex. Ernst betrachtete ich die Beiden. „Nun zu eurer Strafe“ sagte ich streng, öffnete die Tür zum Behandlungsraum, in dem Yusei noch immer friedlich schlief. „Yusei!“ reifen sie erleichtert, liefen auf meinen Schützling zu. „Er braucht viel Ruhe“ sagte die Heilerin, schmunzelte aber. „Bitte seid leise.“ Die beiden nickten, betrachteten ihren Freund sorgenvoll, bis ihnen anscheinend wieder einfiel, dass ich noch nicht ausreden konnte und sie sich schnell zu mir drehten. „Danke“ wisperte das Mädchen mit einer tiefen Verbeugung. „Wie immer Ihr uns bestrafen wollt, danke, dass Ihr ihn gerettet habt!“ Jetzt konnte ich mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen. „Als Strafe für das Chaos, dass ihr angerichtet habt, werdet ihr hierbleiben, bis er aufwacht. Ihr werdet ihm Gesellschaft leisten, wann immer er es in den nächsten Tagen braucht. Ich sage den Wachen, dass ihr immer Zugang zu diesem Raum erhalten werdet, damit ihr nicht wieder so ein Durcheinander anrichtet. Dasselbe gilt für eure beiden Freunde.“ Ungläubig starrten sie mich an. Schließlich nickten sie. Kapitel 23: Taubheit -------------------- Du warst nie etwas anderes als ein Werkzeug für ihn. Diese Worte hallten seit Tagen in meinem Kopf wie tausend Schreie. Er hatte recht. Wenn irgendjemandem mehr an mir liegen würde, hätten sie mir geholfen. Mich hier rausgeholt. Oder mir zumindest etwas Wasser gegeben. Beim Gedanken daran fühlte ich, wie trocken meine Kehle brannte. Schwer lag mein Körper auf der Matratze. Die Kraft aufzustehen hatte ich längst nicht mehr. Langsam schloss ich meine Augen. Was für ein trauriger Weg zu gehen. Ein letztes Mal noch, hätte ich gern seine Stimme gehört. Ein letztes Mal sein Lächeln gesehen. Aber dieser Wunsch blieb unerfüllt. Es war ihm egal, dass ich hier unten am Ende meiner Kräfte war. Es war jedem egal. Selbst Tränen vergießen konnte ich nicht mehr. Ich fühlte mich leer. Taub. Ich wollte nicht mehr kämpfen. Sternenstaubdrache rief nach mir. Er wollte nicht aufgeben. Er wollte, dass ich lebe. Ein trauriges Lächeln kämpfte sich in mein Gesicht. Da war er der einzige. Selbst mit ihm, habe ich mich in meinem Leben nie einsamer gefühlt. Niemand würde mir helfen. Dann hilf dir selbst, hallte es in meinem Kopf. Nur wie? Plötzlich kamen mir die Insignien wieder in den Sinn. Wenn ich nur Magie beherrschen könnte. Den Zauber, der mir helfen würde, kannte ich. Wie oft hatte ich ihn in den letzten Tagen probiert? Meine letzte Kraft dafür aufgebracht, ihn zu wirken. Wäre die astrale Energie von Sternenstaubdrache nicht gewesen, wäre ich bei dem Versuch längst gestorben. Aber er bestand darauf, es noch einmal zu probieren. Nur noch ein letztes Mal. Ich war so müde… „Warum willst du sterben?“ fragte eine vertraute Stimme. Verwundert sah ich mich um. Wohin man auch sah, da war nur ein Meer aus Wolken, die in violettes Licht gehüllt waren. Dunkel erinnerte ich mich an den Anblick. Ich war auf dem Nebelberg. Im Reich der Schatten. „Bin ich tot?“ fragte ich die schmale Gestalt. Der königsblaue Umhang umspielte Atemus Körper. Besorgt musterte er mich. „Noch nicht, aber bald. Willst du denn gar nichts dagegen tun?“ „Und was?“ fragte ich verzweifelt. „Ich komme nicht aus dieser Zelle und habe den Patet Aqua Zauber unzählige Stunden versucht. Es hilft nichts, ich kann es nicht!“ Mein Blick senkte sich. Zumindest in dieser Welt flossen die Tränen, die ich längst nicht mehr vergießen konnte. „Ich kann nicht mehr“ wisperte ich. „Bleib am Leben“ hörte ich eine leise Stimme und sah überrascht auf. Vor mir stand nicht mehr Atemu. Immer größer wurden meine Augen, als ich die Gestalt meines Vaters erblickte. Ein trauriges Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Dass du mich hier und jetzt klar vor dir sehen kannst, ist ein schlechtes Zeichen.“ Ungläubig schüttelte ich den Kopf, doch er sprach weiter. „Hast du denn nichts wofür es sich zu leben lohnt?“ Habe ich das? Ich weiß es nicht mehr. „Haou“ murmelte ich. Spürte schon wieder eine Träne, die über meine Wange rollte. Warum dachte ich als erstes ausgerechnet an ihn? Er hatte mich mein Leben lang belogen. Doch er war nicht das einzige, wofür es sich lohnte zu leben. Yugi, Mana, Mai, Yubel. Sternenstaubdrache. Die Isekai. Ich wollte doch mein Land beschützen. Ich wollte meine Heimat beschützen. Jetzt kämpfte sich auch in mein Gesicht ein Lächeln und ich sah wieder auf. Zufrieden betrachtete mich mein Vater. „Versuch es noch einmal.“ Langsam öffnete ich meine Augen. Versuchte meine trägen Muskeln zum Aufstehen zu bewegen. Ein letztes Mal. Ein letztes Mal wollte ich es versuchen. Ich wollte leben. Ich kämpfte mich aus dem Bett und wankte zu meinem Übungsplatz. Auf dem Boden war bereits der Bannkreis gezeichnet, die Insignien waren an ihrem Platz. In der Mitte stand eine kleine Schale, die ich mit Wasser füllen wollte. Ich hatte Mühe aufrecht sitzen zu bleiben, nahm all meine verbliebene Kraft zusammen. Ein letztes Mal atmete ich tief durch, spürte die Energie meines Drachen durch mich hindurch fließen und legte meine Hände auf den Bannkreis. Ich musste es einfach schaffen. Ein seltsames Kribbeln durchflutete meinen Körper. So weit war ich bereits einige Male gekommen. Ich musste mich nur darauf fokussieren, die Energie in den Bannkreis umzuleiten, doch so schnell, wie ich das kribbelnde Gefühl spürte, flaute es wieder ab. Resigniert seufzte ich. Komm schon. Du musst es schaffen. „Hör auf zu denken.“ Diese Worte hatte Yubel im unterirdischen Dorf an mich gerichtet. Wieder atmete ich tief durch, ließ mich von den Gefühlen leiten. Meine Arme zitterten, meine Hände fühlten sich kalt an. Ich dachte nicht nach, konzentrierte mich nur auf die Energie meines Drachen. Eine wohlige Wärme durchflutete mich. Ich muss leben. Ich muss kämpfen. Ich muss sie beschützen. Ich will sie beschützen. Meine Beine waren kalt, meine Hände spürte ich kaum noch. Langsam ging mir auch das letzte bisschen Kraft aus. Ich kämpfte verbissen gegen das Gefühl der Ohnmacht an. Es war zwecklos. Ich würde es nie schaffen. Zumindest hatte ich es probiert. Es tut mir leid, Vater. Ich habe es wirklich versucht. Der Energiefluss stoppte, und ich öffnete meine Augen. Mir stockte der Atem. Immer weiter riss ich sie auf, konnte nur die kleine Schale im Bannkreis anstarren. Wasser. Nicht nur die Schale war voll damit, auch die Zelle hatte ich einige Zentimeter unter Wasser gesetzt. Hastig griff ich nach der Schale, setzte sie an meine Lippen. Das kühle Wasser war wohltuend. Ich vergaß fast Luft zu holen, hörte ein Plätschern, als die Schale ins Wasser viel. Das Gefühl der Ohnmacht wurde stärker. Aber ich hatte es geschafft. Ein kleines Schmunzeln bildete sich in meinem Gesicht, doch dann verschwamm meine Welt gänzlich. Die Dunkelheit wog mich in eine angenehme Ruhe. Die Kälte spürte ich nicht mehr. Ich hatte es geschafft. Nur leider war es zu spät. Die Stille um mich herum war so friedlich. Entfernt hörte ich das Brüllen meines Drachen, aber es kam nicht zu mir hindurch. Als wäre ich in eine dicke Schicht Watte gepackt. In der Ferne sah ich ein Licht. Ich sträubte mich darauf zuzugehen. Zu sehr fühlte es sich nach Schmerz an. Nach Kälte. Die sanfte Dunkelheit und Ruhe waren mir lieber. Vor mir tauchten seltsame Visionen auf. Von einem Dolch und einem Stück Pergament. „Sie dürfen es nicht an sich nehmen“ hauchte eine Stimme. Lebe oder sterbe ich? Ist das ein Traum oder eine seltsame Zwischenwelt? Ich wusste es wirklich nicht. Das Licht wurde heller, zog mich magisch an. Es bedeutete Schmerz, es bedeutete Leid. Es bedeutete Liebe und Wärme. Es bedeutete Leben. Ich riss die Augen auf, versuchte einen tiefen Atemzug zu nehmen, doch meine Lunge füllte sich nicht. Mir war, als würde ich ertrinken. Die wohlige Dunkelheit wurde kälter, zäher. Ich war im Wasser. Mühsam kämpfte ich mich durch das Blau, immer weiter bis zum Licht. Weit war es nicht mehr, ich konnte die Sonne hinter der Oberfläche schon sehen. Als ich sie durchbrochen hatte, füllte sich meine Lunge endlich wieder mit Luft. Auf einen Schlag war ich von einer wohligen Wärme umgeben. Das Nächste, was ich sah, waren grelle Neonröhren, die auf mich herabschienen. Kaltweiße Wände, wohin man auch sah. In dem großen Raum verteilt standen Betten. Einige waren belegt. Ein stechender Geruch lag in der Luft, den ich nicht zuordnen konnte. Ich stutzte, brauchte einen Moment, um mich zu erinnern. Diesen Raum kannte ich. Neben mir hing ein großer Spiegel. Ich erschrak. Meine Haut war blass, meine Lippen spröde. Dunkle Ringe umrahmten meine Augen. Selbst unter der weißen Kleidung, die ich in meinem Traum immer trug, konnte man erahnen, dass ich zu dünn war. Sehe ich wirklich so aus? Ich verließ den Raum, ging durch den langen Gang. Eine Gruppe Menschen kam mir entgegen. Wieder glitten sie einfach durch mich hindurch. Dieses Mal jagte es mir keine Angst ein, nur seltsam war es immer noch. Als ich wieder an der schweren Eisentür halt machte, war sie geöffnet. Einige Menschen saßen vor Bildschirmen, klickten sich durch unbekannte Codes und schienen gestresst. „Ich fasse es nicht, dass keiner eine Sicherheitskopie gemacht hat!“ sagte ein Mann mit schwarzem Haar und einer Narbe unter seinem Auge vorwurfsvoll. Eine blonde Frau rückte ihre Brille zurecht, sah den schwarzhaarigen genervt an. „Vorwürfe bringen uns hier nicht weiter. Sie können noch nichts ausrichten, Trudge. Also verschwinden Sie!“ Ein Zischen und der Mann rauschte wütend auf mich zu. Ich machte ihm Platz, auch wenn er ohnehin durch mich hätte durchgehen können. Neugierig sah ich mich um. Die Leute an den Maschinen sahen gestresst aus, hatten ebenfalls dunkle Schatten unter den Augen. Doch keiner dachte daran aufzuhören. An irgendetwas arbeiteten sie wie im Wahn. „Na schön, die Tests sehen soweit ganz gut aus, wir versuchen es nochmal!“ rief die Frau mit der Brille. Jemand bediente einen Hebel, fuhr irgendeine Maschine hoch. Durch die Kabel, die zum großen Tor in der Mitte führten, floss eine seltsame Energie. Ein Summen hallte von den Wänden wider. Alle betrachteten gespannt das Schauspiel, bis ein ohrenbetäubender Lärm mich zusammenzucken ließ. Plötzlich leuchteten die grellen Neonröhren rot, alle wuselten aufgeregt durcheinander. Hebel wurden umgelegt, Knöpfe gedrückt. Es war ein einziges Chaos. Schließlich hörte das Geräusch auf, die Neonröhren leuchteten wieder weiß. Die blonde Frau seufzte. „So ein Mist“ murmelte sie, wandte sich an ihre Kollegen. „Für heute ist Schluss, wir machen morgen weiter.“ „Aber wir müssen sie zum Laufen bekommen, Dr. Hawkins!“ wandte ein anderer ein. Doch sie schüttelte nur milde den Kopf. „Wenn wir jetzt weiterarbeiten, werden wieder Fehler passieren. Wann haben Sie das letzte Mal geschlafen? Und zwar länger als zwei, drei Stunden?“ Er mied ihren Blick, was ihr als Antwort zu reichen schien. Dann wandte sie sich wieder allen zu. „Morgen früh acht Uhr. Bitte ruht euch bis dahin aus.“ Damit verließ sie den Raum. Die anderen erledigten noch einige letzte Handgriffe und schlossen sich ihr an. An was sie wohl arbeiten? Sicher an dieser großen Maschine in der Mitte, aber was ist ihr Zweck? Noch einmal sah ich mich um. Jetzt, wo alle verschwunden waren, war dieser Raum so friedlich wie in meiner Erinnerung. Alle Bildschirme waren schwarz, bis auf einen blinkenden, grünen Strich am oberen Bildrand. Ein kleines Schmunzeln legte sich auf meine Lippen. Eine leere Leinwand. Das hätte mein Vater jetzt gesagt. Verstohlen sah ich wieder zurück, doch ich war allein. Also setzte ich mich an den Stuhl vor dem größten Bildschirm. Ich dachte nicht darüber nach, tippte einfach den Wald ein, wie ich ihn in meiner Erinnerung sah. Ohne ihn fehlte in diesem Raum einfach etwas. Als ich fertig war, betrachtete ich zufrieden mein Werk. Jetzt sieht es gleich viel besser aus. Ich stand auf, drehte mich zu der großen Maschine, doch stockte. In der Tür stand wieder dieser blonde Mann, sah sich suchend um. Ein kleinerer Mann, etwa in meinem Alter, mit orangefarbenem Haar und grauen Augen stand neben ihm, sah ihn mahnend an. „Schon vergessen, dass wir Zutrittsverbot haben?“ flüsterte er. „Hast du das nicht auch gespürt?“ antwortete er leise. „Schon, aber beim letzten Mal hat dir Trudge die Hölle heiß gemacht, als er dich hier erwischt hat.“ Irgendwas murmelte der Blonde, doch ich verstand es nicht. Plötzlich traf sein Blick meinen, er verengte seine Augen zu Schlitzen, als ob er etwas besser erkennen wollte. Schließlich weiteten sie sich. Der Blonde stupste seinen Freund mit dem Ellbogen an, ließ mich nicht aus den Augen. Der kleinere folgte seinem Blick, sah mich ebenso überrascht an. „Du hattest recht“ hauchte er. Verwundert drehte ich mich um. Ich stand direkt vor dem Bildschirm. Vermutlich sehen sie sich nur den Wald an. Schritte kamen näher. Plötzlich berührte etwas meinen Arm und ich wich automatisch vor der Bewegung zurück, wich zur Seite aus. Überrascht stellte ich fest, dass der Blonde mich berührt hatte. Er war zurückgetreten, schien mich sorgenvoll zu mustern. In dem Gesicht des kleineren lag ein gewisser Schmerz. Moment… Normalerweise konnten mich die Menschen in meinen Träumen nicht berühren. Sie glitten einfach durch mich hindurch. Aber er… hatte mich anfassen können. „Yusei?“ fragte der kleinere mit brüchiger Stimme. Ihr könnt mich sehen? Ich versuchte die Frage zu stellen, doch nur meine Lippen bewegte sich. Kein Laut drang aus meiner Kehle. Mein Herz schlug schneller. Ob vor Aufregung oder Furcht, konnte ich nicht sagen. Wieder streckte der größere seinen Arm nach mir aus, doch ich wich zurück. Stolperte über eine Kante und fiel nach hinten. Ich sah noch ihre schockgeweiteten Augen. Plötzlich wurde alles in feuerrotes Licht getaucht. Ich riss die Augen auf, saß aufrecht im Bett, atmete nur stoßweise. Mein Arm brannte. Mein Herz schlug so laut, dass es in meinen Ohren rauschte. Nur vage hörte ich vertraute Stimmen, spürte sanfte Berührungen. Es dauerte einen Moment, bis ich wirklich in der Realität landete. Doch so real schien sie mir nicht zu sein. Mana saß neben mir in Bett, tätschelte meine Schulter, Yugi hielt meinen Arm auf der anderen Seite. Beide sahen mich verwirrt, vielleicht etwas verstört an. Aber ich war doch in meiner Zelle. Wie kann das sein? Träume ich immer noch? „Geht’s wieder?“ fragte Yugi unsicher. „J-Ja“ antwortete ich. Doch es klang mehr nach einem Krächzen. Ein Husten schüttelte mich, mein Hals fühlte sich staubtrocken an. Mana reichte mir ein Glas Wasser. Dankend nahm ich es an, trank es in einem Zug leer. „Ich hole Fonda“ verkündete Yugi, huschte aus dem Raum heraus. Als ich mich endlich wieder im Griff hatte, sah ich Mana durchdringend an. „Was macht ihr hier? Ihr werdet schrecklichen Ärger bekommen.“ Schließlich durfte kein Außenstehender das Palastgelände ohne Einladung betreten. Sie lächelte sanft, nahm mir das Glas ab und drückte mich behutsam in die Matratze. „Mach dir darüber keine Sorgen. Wie geht’s dir?“ Flüchtig sah ich mich um. Der lichtdurchflutete Raum war mir unbekannt. Gemütlicher als in meiner Zelle war es hier allemal. Plötzlich ging dir Tür auf. Eine rothaarige Dämonin betrachtete mich fröhlich. „Schön, dass du wieder zu dir gekommen bist, Yusei. Mana, würdest du uns für einen Moment entschuldigen?“ Meine Freundin nickte, sah noch einmal lächelnd zu mir und drückte meine Hand. Dann verschwand sie aus dem Raum. „Ich bin froh, dass du wieder wach bist“ sagte sie, legte ihre Hand auf meine Stirn. Dann fühlte sie meinen Puls und lächelte zufrieden. „Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“ „Was ist passiert? Warum sind meine Freunde hier? Wo bin ich?“ Sie seufzte ermattet, legte ihre Hand auf meine Schulter. „Ganz ruhig, es ist alles in Ordnung. Du bist in einem Behandlungsraum. Es tut mir alles so leid. Wirklich. Ich habe versucht mit dem Hauptmann zu reden, aber du kennst ihn ja. Er ist stur, wie eine Herde Grimore… Er wollte dir keine Nahrung und kein Wasser bringen lassen. Ehrlich gesagt war ich überrascht, dass du so lange überlebt hast. Du hast es deinen beiden Freunden da draußen zu verdanken, dass du noch lebst. Sie haben sich auf das Palastgelände geschlichen, dich in deiner Zelle am Boden gesehen, und dann dem König bescheid gegeben. Er ist sofort zu dir geeilt und bat mich zu helfen. Als ich in die Zelle kam, hast du mir einen Riesenschreck eingejagt. Du lagst bereits im Sterben. Wärst du nur etwas später gefunden worden, wäre es zu spät gewesen.“ Überrascht musterte ich sie. Yugi und Mana haben sich meinetwegen in Gefahr begeben? Und Haou ist zu mir geeilt, als er davon erfahren hat? Dann wusste er nichts davon? Ich dachte, das wäre alles auf seinen und Jesses Befehl hin passiert. Erschöpft ließ ich mich in das weiche Kissen sinken, atmete langanhaltend aus. „Dann wusste König Haou nichts davon.“ „Nein“ bekräftigte sie. „Unser König war besorgt um dich, glaub mir.“ Ein wenig beugte sie sich zu mir, hielt ihre Hand vor den Mund, als ob ihre nächsten Worte ein Staatsgeheimnis wären. „Als er dich gefunden hat, musste ich ihm gut zureden, damit ich dich in den Behandlungsraum bringen konnte. Er wollte dich nicht aus seinen Armen lassen.“ Dann war er wirklich besorgt um mich? Auf einen Schlag fühlten sich meine Wangen ganz warm an. Doch ich wollte das Kribbeln in meinem Bauch beiseiteschieben. Er war sicher nur besorgt um mich, weil sein Plan ohne mich nicht aufgehen konnte. Ich war eben nur ein Werkzeug… Das Geräusch der sich öffnenden Tür riss mich aus meinen Gedanken. Herein trat ein Heiler. In seiner Hand hielt er eine Schüssel mit dampfendem Inhalt. Es roch verführerisch und ich spürte das Stechen in meinem Magen wieder deutlich. „Ich danke dir“ sagte Fonda, nahm ihm die Schüssel ab. Du kannst den Beiden sagen, dass sie gleich wieder reinkommen können.“ Der Heiler nickte und verließ den Raum. Der köstliche Duft ließ mich trocken schlucken. An meine letzte warme Mahlzeit konnte ich mich kaum erinnern. Das war definitiv vor meiner Reise zum Nebelberg. „Du musst erst wieder zu Kräften kommen“ bemerkte Fonda freundlich und stellte die Schale auf den kleinen Beistelltisch ab. Dann griff sie sich ein Kissen aus einem anderen Bett und kam wieder zu mir. „Kannst du dich aufsetzen?“ Ich stemmte meine Hände in die Matratze und versuchte mich hochzudrücken. Fonda stützte mich im Rücken. Allein diese kurze Bewegung brachte mich bereits an den Rand der Erschöpfung. Meine ganze Energie hatte ich in den letzten Tagen verbraucht. Da fiel mir etwas ein und ich sah zu Fonda, während sie mich wieder in das Kissen drückte. Dieses Mal saß ich dank der Stütze im Rücken jedoch beinahe aufrecht. „Wie lange war ich weggetreten?“ Einen Moment schien sie zu überlegen. „Nicht lange, wenn man deinen Zustand bedenkt. Vielleicht 15 Stunden.“ Überrascht betrachtete ich sie. 15 Stunden sollen nicht lang sein? Das entlockte ihr ein belustigtes Grinsen. „Den Schlaf hattest du nötig, um deine Energiereserven zu füllen. Aber jetzt iss erstmal etwas, damit du wirklich wieder zu Kräften kommst.“ Mein Magen bestätigte ihre Aussage. In diesem Moment ging erneut die Tür auf und meine Freunde betraten lächelnd das Zimmer. Fonda überließ den beiden das Feld, flüsterte Mana noch etwas zu, ehe die beiden sich wieder an meine Seite setzten. Yugi strahlte mich an. „Ich bin so froh, dass du wieder wach bist. Wir hatten wirklich Angst um dich!“ „Entschuldige“ sagte ich, lächelte milde. „Und danke, dass ihr euch so für mich eingesetzt habt. Das werde ich euch nie vergessen.“ „Das war selbstverständlich. Du bist unser Freund“ erwiderte er glücklich. „Yugi hat recht.“ Sie griff sich die Schüssel und schöpfte etwas von dem Inhalt auf einen Löffel. Hielt ihn mir auffordernd entgegen. Will sie mich jetzt etwa füttern? Skeptisch betrachtete ich sie, was sie lachen ließ. „Anordnung deiner Heilerin. Du sollst dich schonen, also Mund auf!“ Da sie keine Anstalten machte mir die Schale einfach zu überlassen, beugte ich mich widerwillig und öffnete meinen Mund. Es war nur eine klare Brühe mit einigen Gewürzen und etwas Reis, aber es tat unheimlich gut. Das schmerzhafte Stechen in meinem Magen wurde mit jedem Löffel erträglicher. „Wie habt ihr es überhaupt geschafft mich zu finden?“ fragte ich. Schließlich war ich im Hochsicherheitstrakt eingesperrt. Das Fenster zu meiner Zelle lag im Innenhof des Gebäudekomplexes. „Wir hatten Hilfe“ antwortete Mana, während sie mir den nächsten Löffel entgegenhielt. „Mai hat herausgefunden wo du steckst, also hat sie uns zu dir geführt. Zumindest bis zum Fenster deiner Zelle. Als wir dich nur auf dem Boden liegen sahen, hat Joey uns geholfen ein wenig Chaos zu stiften, damit wir in den Palast eindringen konnten.“ „An Yubel vorbeizukommen war schwieriger“ schaltete sich Yugi ein. „Sie wollte uns nicht in den Thronsaal lassen, obwohl wir gesagt haben, dass es dringend ist. Also hat Mana sie mit dem schwarzen Magiermädchen überrascht, während ich einen Blendzauber auf sie geworfen habe. Mich hat sie sofort erwischt, aber Mana konnte zumindest so weit durchkommen, dass sie dem König von dir berichten konnte.“ „Ja, und er hat sich sofort auf den Weg gemacht!“ „Habt ihr keinen Ärger bekommen?“ fragte ich irritiert. Schließlich hatten sie sicher ein duzend Gesetze gebrochen. „Wir hatten wirklich Angst vor der Strafe“ sagte Mana, lächelte aber. „Die ist aber nicht schlimm ausgefallen, im Gegenteil. Der König hat uns aufgetragen bei dir zu bleiben. Wir können auf das Gelände, wann immer wir wollen, um dich zu besuchen.“ „Das war eure Strafe?“ murmelte ich irritiert. Yugi nickte. „Er war uns dankbar, dass wir dich rechtzeitig gefunden haben. Ich glaube, er hat sich wirklich große Sorgen um dich gemacht.“ Ich senkte den Blick, hörte ein leises Klirren, als Mana die Schale neben mir abgestellt hatte. Ihre warme Hand legte sich auf meinen Unterarm, doch ich traute mich nicht aufzusehen. Haou hatte sich nur Sorgen um seinen Plan gemacht, nicht um mich. Da war ich mir sicher. „Was ist los?“ fragte sie behutsam, doch ich schüttelte nur den Kopf. Ich konnte es ihnen nicht sagen. Noch so ein Geheimnis, das ich für mich behalten musste. „Du hast dich bestimmt einsam gefühlt in den letzten Tagen“ bemerkte Yugi. „Wie geht’s dir denn?“ „Schon okay“ sagte ich, versuchte zu lächeln. „Ich hatte Sternenstaubdrache, also war ich nicht allein.“ Da fiel mir etwas ein und ich sah wieder auf. „Wart ihr bei meiner Prüfung dabei?“ Mana nickte zerknirscht. „Tut uns leid, wie dich das Publikum behandelt hat. Deswegen wollten wir uns überhaupt erst zu dir schleichen. Das war bestimmt hart für dich.“ Doch ich winkte ab. „Schon in Ordnung, das meine ich nicht. Ich wollte eigentlich wissen, wie sie auf Sternenstaubdrache reagiert haben. Nachdem er aufgetaucht ist, konnte ich um mich herum nichts mehr sehen.“ Überrascht wechselten die beiden einen Blick. Es war Yugi, der mir seine Antwort gab. „Naja zuerst gab es eine kurze Panik. Aber nachdem uns gesagt wurde, dass das dein Schutzgeist war, ist sie ziemlich schnell wieder verflogen. In der Stadt gibt es gerade kein anderes Gesprächsthema mehr.“ „Also haben sie Angst vor mir“ schlussfolgerte ich leise. Mana schüttelte den Kopf. „Nicht alle, glaub mir. Die meisten nehmen dich nicht als Bedrohung wahr, sondern als Wunder.“ Irritiert betrachtete ich Mana. Sie schien ihre Worte abzuwägen. „Das letzte Mal, als uns ein Drache erschienen ist, ist etwa 150 Jahre her. Die Meisten haben in ihrem Leben noch nie einen gesehen. Als vor 100 Jahren der letzte Drache starb, dachten alle, das Land wäre schutzlos ohne sie. Schließlich sind es die mächtigsten Schutzgeister die es gibt. Und ein Dämon, der sich mit einem Drachen verbunden hat, hatte in der gesamten Geschichte noch nie böse Absichten. Die meisten Dämonen sehen jetzt zu dir auf. Angst haben nur ganz wenige, aber das liegt bestimmt daran, dass sie verunsichert sind.“ Sie haben keine Angst vor mir? Diese Tatsache erleichterte mich, wie sie mich auch überraschte. „Eine Frage hab ich noch“ sagte Yugi, sah mich unschlüssig an. „Welche?“ „Naja… Was ist das?“ Er deutete dabei auf meinen rechten Arm. Ich sah an mir hinab, seufzte lautlos. Das Drachenmal. „Keine Ahnung, ich weiß nichts darüber. Ich habe es, seit ich mich mit meinem Drachen verbunden habe.“ „Weißt du… Vorhin, kurz bevor du aufgewacht bist, hat es angefangen zu leuchten. Aber als du hochgeschreckt bist, ist es kurz darauf wieder erloschen. Ich habe mich nur gefragt, was das zu bedeuten hat.“ „Hm.“ Ob das mit meinem Traum zu tun hatte? Schließlich brannte es immer dann, wenn ich aus diesen seltsamen Träumen aufgewacht war. Atemus Antwort auf diese Frage war eher vage. Und sie verriet mir nicht, warum es ab und an leuchtete. Kapitel 24: Vorwürfe -------------------- Immer wieder döste ich in einen leichten Schlaf. Mana und Yugi unterhielten sich leise, bis sie den Raum schließlich verließen. Die beiden kümmerten sich wirklich rührend um mich. Hätte ich sie nicht gebeten sich zuhause ein wenig auszuruhen, wären sie sicher noch immer bei mir. Auch Fonda sah öfter nach mir als sie vermutlich müsste. Am späten Abend wachte ich auf, weil ich das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Doch als ich mich umsah, war niemand im Raum. Plötzlich klopfte es leise, die Tür öffnete sich. Überrascht musterte ich meinen Besucher. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Jesse schnappte sich einen Stuhl und stellte ihn neben mein Bett, mied meinen Blick. „Hallo“ sagte ich, um der unangenehmen Stille ein Ende zu bereiten. Ein tiefes Seufzen war zu hören, endlich sah er mich an. Schuldbewusst. „Es tut mir leid.“ Ich konnte nichts darauf erwidern, sah ihn nur fragend an. „Die letzten Tage waren eine Tortour für dich. Nicht alles davon lief tatsächlich wie geplant. Das soll keine Ausrede werden, ich will nur, dass du verstehst, warum ich so gehandelt habe.“ Ich stützte mich in der Matratze ab, um mich aufzusetzen. Mittlerweile hatte ich zumindest dafür wieder die Kraft. Jesse beobachtete mich einen Moment dabei, bis er sich das bereitliegende Kissen schnappte, um mir behilflich zu sein. Irritiert bedankte ich mich, doch er nahm wieder Platz, schien seine Gedanken zu sammeln. „Zuerst folgendes: Was ich dir gesagt habe, als ich dich in die Zelle gebracht habe, stimmt nur zum Teil.“ Ich krallte meine Finger in den Stoff meiner Decke. Dieses Gespräch spukte in den letzten Tagen immer wieder in meinem Kopf herum. „Vor 13 Jahren, als Haou dich gefunden hat, entwickelte er tatsächlich den Plan, dich als Späher in die Menschenwelt zu schicken.“ Mein Blick senkte sich, stur sah ich auf meine Hände. „Ich habe doch gesagt, ich mache es“ sagte ich leise. Ich wollte nicht, dass er weiterspricht. Ich wollte nicht wieder das Gefühl haben, als würden seine Worte ein Messer in mein Herz rammen. „Bitte, sieh mich an.“ Zögerlich sah ich wieder auf. Sein Blick war ernst und durchdringend. „Das ist das Einzige, was tatsächlich der Wahrheit entsprach. Zwar ist dieser Plan auch heute noch der beste, den wir schmieden konnten, aber Haous Fokus liegt nicht mehr auf dem eigentlichen Plan, sondern auf deiner Sicherheit.“ Irritiert schüttelte ich den Kopf. Was will er mir damit sagen? „In den letzten Jahren bist du ihm wichtiger geworden, als er es vermutlich selbst zugeben würde. Abgesehen von Yubel und mir, bist du die Person, der er am meisten vertraut.“ Einen Augenblick senkte sich sein Blick. Seine Stimme hatte einen traurigen Unterton. „Im Moment vertraut er dir wahrscheinlich mehr als mir.“ Er schien in seinen Gedanken versunken zu sein. Ein tiefer Schmerz lag in seinen Augen, doch er atmete tief durch und musterte mich wieder. „Alles, was dir in den letzten Jahren beigebracht wurde, hatte nichts mit deiner Mission zu tun. Auch nicht die Magie. Du solltest das alles erlernen, damit du dich in der Menschenwelt schützen kannst. Das war Haous Wunsch.“ Ich sagte nichts, versuchte in seinem Gesicht eine Lüge abzulesen. Aber er schien mir die Wahrheit zu erzählen. Trotzdem passte nichts davon zu dem, was in letzter Zeit passiert war. „Warum wurde ich dann eingesperrt? Ihr habt gesagt, das war wegen dem Vorfall auf dem Trainingsplatz. Ihr sagtet, dass der König enttäuscht von mir wäre, dass er-“ „Yusei, stopp.“ „Nein! Ich weiß nicht mehr, was Lüge ist, und was davon die Wahrheit! Es ändert nichts daran, dass König Haou mich mein Leben lang belogen hat!“ „Er wollte dich vor der Wahrheit beschützen!“ sagte er laut. Leidend sah ich ihn an. Diese Lügen hat er mir erzählt, damit ich mich besser fühle? Das ist absurd! „Yusei, hör zu. Ich weiß, was ich dir an diesem Tag erzählt habe. Aber das habe ich alles gesagt, weil ich wusste, dass es dich verletzen würde. Ich wusste, dass du dich dann einsam fühlen würdest. Dass Haou die Verantwortung für dich an mich abgegeben hat, geschah nur deshalb, weil ich über Monate auf ihn eingeredet habe. Ich habe gesehen, dass er durch dich oft abgelenkt war. Ich dachte es würde ihm helfen seinen Pflichten nachzukommen, wenn er sich nicht auch noch um deinen Trainingsplan kümmern müsste. Aber das war falsch. Er hat das nie als Belastung angesehen, sondern empfand deine Anwesenheit als angenehm. Dass er dich in meine Obhut gegeben hat, war ein Fehler den er sehr bereut, glaub mir.“ Wieder schüttelte ich irritiert den Kopf. Das kann er nicht ernst meinen. „Warum wolltet Ihr, dass ich mich so furchtbar fühle?“ Nicht nur, dass er mir das alles erzählt hatte. Er hatte mich auch noch von meinen Freunden ferngehalten und mich fast umgebracht, weil ich keinen Zugang zu Wasser hatte. Wieder dieser schmerzliche Ausdruck in seinem Gesicht. „Dass du stirbst, habe ich nie gewollt. Das war alles ein riesiges Missverständnis, und glaub mir, ich mache mir selbst schon genug Vorwürfe deswegen. Ich wollte dich nur an deine Belastungsgrenze bringen, damit du Magie erlernst.“ „Was?“ flüsterte ich. „Als Madame Tredwell dich vor einiger Zeit untersucht hat, hat sie keine physische Ursache gefunden, warum du keine Magie ausführen kannst. Sie hat vermutet, dass es eine psychische Ursache geben muss. Also hat sie uns zwei Möglichkeiten aufgezeigt, diese Blockade zu durchbrechen. Jahrelanges Training oder Schocktherapie. Haou war für die erste Möglichkeit, auch wenn wir nicht wussten, ob wir die Zeit dafür hätten. Aber ich habe mich für die radikale Variante entschieden. Ich dachte wirklich, dass es funktioniert.“ Eindringlich sah er mich an. Man konnte ihm die Schuldgefühle an den Augen ablesen. „Das war falsch. Es tut mir leid, dass du das durchmachen musstest, glaub mir. Haou macht mir deshalb schon Vorwürfe, und sich selbst noch mehr.“ „Ihr habt, was Ihr wolltet“ sagte ich leise, mied seinen Blick. Das war alles zu viel auf einmal. „Ich würde jetzt gern allein sein.“ „Was meinst du?“ fragte er irritiert. „Dass Ihr jetzt geht. Bitte.“ „Nein, das nicht.“ Er legte seine Hand auf meinen Arm, zwang meinen Blick wieder zu ihm. „Was meinst du mit ‚Ich habe, was ich wollte‘?“ „Ich… habe Magie anwenden können“ erwiderte ich konfus. „Dabei habe ich die Zelle unter Wasser gesetzt, das muss König Haou doch gesehen haben.“ „Hm.“ Seine Hand entfernte sich von mir, er lehnte sich in den Stuhl zurück und musterte mich überrascht. „Schon, aber… Wir wussten nicht, woher das Wasser kam. Wir haben angenommen, es wäre von außerhalb eingedrungen.“ „Das muss Euch doch freuen“ sagte ich provokant. „Immerhin ging Euer Plan auf.“ Er seufzte schwer, erhob sich aus dem Stuhl. Langsam ging er zur Tür. „Hass mich, wenn du willst. Ich könnte es dir nicht verübeln, immerhin habe ich dich manipuliert und bewusst leiden lassen. Aber tu mir den Gefallen und verzeih Haou. Er hatte mit der Sache nichts zu tun. Bis gestern wusste er nichts von deinem Zustand.“ Die Tür öffnete sich, doch bevor Jesse nach draußen trat, sah er noch einmal zu mir zurück. „Gute Besserung.“ Die Tür fiel leise ins Schloss und ließ Stille zurück. Dann hatte Haou also wirklich von nichts gewusst, was in den letzten Tagen geschehen war? Oder war Jesse einfach nur ein begabter Lügner? Das, was er mir damals erzählt hatte, klang ebenso glaubwürdig. Hatte er das wirklich nur gesagt, um mich zu verletzen? Nur damit ich Magie erlerne? Es klang so verdammt abwegig, aber ich wollte daran glauben, wenn es bedeutete, dass Haou wirklich etwas an mir lag. Meine Gedanken schweiften zu der Zeit vor dem Nebelberg. Er hatte mir immer das Gefühl gegeben, dass ihm etwas an mir liegen würde. Und ich hatte ihn immer sehr geschätzt. Mein Blick fiel auf die Kommode, auf der meine Rüstung säuberlich zusammengefaltet war. Das erste Geschenk, das ich je bekommen hatte. Meine Wangen wurden ganz warm. Warum dachte ich plötzlich an den Moment im Zelt? Als er mich fest umschlungen hatte. In diesem Moment fühlte ich mich geborgen, auch wenn ich nervös aufgrund seiner Nähe war. Ich seufzte, sah aus dem Fenster in die sternklare Nacht. Welcher Haou war der wirkliche? Der, der mir mit einem sanften Lächeln die Rüstung geschenkt hatte? Oder der, der mich vor lauter Enttäuschung gemieden und mich selbst überlassen hatte? Mein Herz hatte sich bereits entschieden. Die Frage war nur, ob es Recht hatte. Kapitel 25: Keine Geheimnisse ----------------------------- Am nächsten Tag dachte ich viel über Jesses Worte nach. In der Hoffnung, sie könnten mir einen Rat geben, erzählte ich sogar Mana und Yugi davon. Nur den Teil mit meiner Mission ließ ich aus. Mana bekräftigte Jesses Aussage, dass sich Haou scheinbar große Sorgen um mich gemacht hatte. Yugi war nicht ganz so überzeugt wie sie, aber auch er sagte, dass Haou etwas an mir liegen musste. Zumindest seinem Verhalten nach zu urteilen. Und Fonda hatte mir bereits bestätigt, dass der König Angst um mich hatte. Aber war es wirklich die Angst um mich, oder um seinen Plan, den er jahrelang verfolgt hatte? Die ganze Sache war zum Haare raufen. Ich wollte nichts mehr als mit ihm zu sprechen. Ich wollte die Wahrheit von ihm selbst wissen. An diesem Abend wagte ich es zum ersten Mal, seit ich aus der Zelle befreit wurde, ohne Hilfe aufzustehen. Es war nur ein kleiner Erfolg, aber es gab mir trotzdem einen kleinen Teil meiner Freiheit wieder. Trotzdem bestand Fonda darauf, dass ich weiterhin im Behandlungszimmer bleiben sollte. Sie hatte ihre Befehle. Allein bei diesem Wort zog es mir den Magen zusammen. Wessen Befehle? Die von Jesse oder Haou? Oder bestimmte noch jemand über mein Leben? Ich hätte viel dafür gegeben, nur für kurze Zeit mit Sternenstaubdrache davonzufliegen. Er fühlte sich so eingesperrt wie ich, war er es doch eigentlich gewohnt zu fliegen, wohin er wollte. So blieb mir nur der Blick aus dem Fenster in den weiten Himmel und die Vorstellung des Winds in meinem Gesicht. Eine frische Brise wehte zu mir und ich schloss meine Augen. Ich stellte mir vor, wie ich auf den Rücken meines Drachen über die Stadt flog. Von oben sahen die Häuser nur aus wie Spielzeug, die mächtigen Wälder außerhalb der Stadt wie ein grünes Meer. Plötzlich materialisierte sich Sternenstaubdrache vor dem Fenster, flog hoch in die Luft und zog dort seine Kreise. Sein Brüllen klang beinahe fröhlich, während er über die Stadt flog. Immer weiter entfernte er sich von mir, doch ich spürte, dass ich noch immer mit ihm verbunden war. Ich schmunzelte. Zumindest er konnte frei sein, wann immer er es wollte. Wieder schloss ich meine Augen. Ein seltsames Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. Warm und sanft. Es war, als könnte ich tatsächlich die Welt durch seine Augen sehen. Fasziniert von dem Gefühl, und dem Schauspiel, das sich vage in meinem Kopf abspielte, blendete ich alles um mich herum aus. Ich genoss zusammen mit meinem Drachen den Flug über die Landschaft. Verschwommen erkannte ich eine Silhouette. Sternenstaubdrache schien in der Luft stehen zu bleiben, direkt vor der verschwommenen Gestalt. Je länger ich sie betrachtete, umso klarer erkannte ich sie. Yubel hatte die Arme verschränkt, sah meinen Drachen amüsiert an. Schließlich flog sie voraus, Sternenstaubdrache folgte ihr. Ich öffnete meine Augen. Erst jetzt realisierte ich, dass auf dem Platz vor meinem Fenster Wachen ausrückten. Ein Knall ließ mich zusammenfahren, schnell drehte ich mich um. Eine Wache sah mich erschrocken an. „Er ist noch hier!“ brüllte sie in den Gang hinein, dann wandte sie sich an mich. „Bleib hier, und ruf deinen Drachen zurück! Wir wollen so eine Panik wie vor ein paar Tagen vermeiden!“ Damit war die Wache wieder verschwunden. Ein Schlüssel kratzte im Schloss und ließ mich seufzen. Wieder eingesperrt. Ich spürte, dass mein Drache näherkam. Als er fast am Gebäude war, löste er sich in einem Meer aus Sternenstaub auf. Ein warmer Wind wehte in den Raum. Plötzlich landete etwas auf dem Fensterbrett und ich wich automatisch zurück. Yubel kniete vor mir im Fensterrahmen und hatte noch immer diesen amüsierten Ausdruck in ihren Augen. „Unruhe stiften könnt ihr beide außerordentlich gut“ bemerkte sie. „Wenn du das nächste Mal die Reichweite deines Drachen testen willst, mach das lieber, wenn ihr keinen Hausarrest habt.“ Reichweite? Hausarrest? Wovon redet sie? Mein fragender Ausdruck ließ sie stutzen. „Wenn du nicht die Reichweite austesten wolltest, was hattet ihr dann vor?“ „Sternenstaubdrache wollte einfach wieder fliegen“ meinte ich konfus. „Hm… verständlich. Aber versucht es in nächster Zeit zu vermeiden Aufmerksamkeit auf euch zu ziehen. Unser König hat jetzt schon zu viel zu tun. Diese Sache kann ich vermutlich selbst regeln, aber lasst es, wenn möglich, nicht noch einmal dazu kommen. Zumindest nicht in den nächsten Tagen. Meinst du, ihr schafft das?“ Ich nickte, doch eine andere Frage beschäftigte mich mehr. „Wie geht es ihm?“ Sie seufzte lautlos, schien abzuwägen, was sie sagen sollte. „In letzter Zeit ist viel auf einmal passiert. Aber frag ihn das am besten selbst.“ „Aber ich bekomme ihn nicht zu Gesicht. Und hier raus kann ich auch nicht.“ Es ist wirklich fast wie ein Hausarrest. „Geduld“ sagte sie schlicht. Breitete ihre mächtigen Schwingen aus, und ließ sich nach hinten fallen. Ich ging zum Fenster und sah nach unten. Yubel landete auf dem Platz. Zielsicher ging sie auf einige Wachen zu, aber ich verstand nicht, worüber sie sich unterhielten. Dann flog sie davon. Ob sie die Sache damit tatsächlich geregelt hatte? Oder ob noch etwas auf mich zukommen würde? Einige Stunden später lag ich im Bett und blätterte durch ein Buch über Fähigkeiten von Schutzgeistern. Einige Kerzen warfen tanzende Lichter in den Raum und beleuchteten ihn gerade so weit, dass ich die Artikel erkennen konnte. Yubels Frage ging mir nicht aus dem Kopf, und so recherchierte ich selbst, was sie gemeint hatte. Einige Schutzgeister hatten eine längere Reichweite als andere. Dunkel erinnerte ich mich, wie Haou mir erklärt hatte, dass Rubin eine Reichweite von vier oder fünf Kilometern hatte. Das bedeutete, dass er sich in diesem Umkreis von Jesse wegbewegen konnte. Hier stand aber auch, dass er nicht nur in Jesses unmittelbarer Umgebung auftauchen konnte, sondern da, wo Jesse es wollte. Solange er sich stark genug auf diesen Ort konzentrierte. Das erforderte allerdings jahrzehntelanges Training. Der geflügelte Kuriboh hingegen hatte nur eine Reichweite von wenigen Metern. Ich brütete gerade über den Zusammenhang zwischen der Klasse, Art und Rasse der Schutzgeister und ihre Auswirkungen auf die Reichweite, als ich ein Geräusch hörte und aufsah. Der Türknauf drehte sich leise und öffnete langsam die Tür. Mein Herz setzte einen Schlag aus, ehe es mit einem unglaublichen Tempo gegen meine Rippen hämmerte. Haou sah mich überrascht an. „Du bist wach“ bemerkte er. „Schon seit gestern“ erwiderte ich so leise, dass ich dachte er könne mich nicht verstehen, doch er schüttelte nur milde den Kopf und schloss die Tür hinter sich. „Ich weiß. Ich dachte nur, du würdest schon schlafen.“ Fragend betrachtete ich ihn. Wenn er angenommen hatte, ich würde schlafen, warum war er dann hier? „Störe ich dich?“ „Ähm… Nein“ erwiderte ich konfus. Irgendwie wirkte er unsicher. Das hatte ich bei ihm noch nie erlebt. Langsam kam er auf mich zu, setzte sich neben mich auf die Bettkante. Wieder schien mein Herz Luftsprünge zu machen, und ich hasste es dafür. „Ist Sternenstaubdrache deshalb über die Stadt geflogen?“ „Was?“ „Dein Buch.“ Langsam wanderte mein Blick auf das Buch in meinem Schoß, dann wieder zu ihm. Er klang ehrlich interessiert, ohne jedweden Groll, doch das verunsicherte mich nur noch mehr. „Nein, er… wollte nur wieder fliegen. Er fühlt sich hier eingesperrt.“ Wir beide… Doch ich wagte es nicht, es laut auszusprechen. Ein knappes Nicken, sein Blick wanderte aus dem Fenster. „Bald wird er wieder fliegen können, aber für den Moment müsst ihr euch gedulden.“ „Das hat Yubel schon angedeutet. Aber warum bis Ende der Woche? Ich bin sicher schon eher wieder fit. Oder habe ich wirklich Hausarrest?“ Verwundert sah er mich an, dann wurde sein Gesicht wieder ernst. „So in der Art. Es ist kompliziert.“ Mein Blick senkte sich, starr sah ich auf das Buch. Was hatte ich jetzt wieder falsch gemacht? „Warum redet Ihr nicht mit mir?“ So wie ich die Worte ausgesprochen hatte, bereute ich sie. Ich hatte das Gefühl, mich auf sehr dünnem Eis zu bewegen und wollte nicht, dass er mich verließ. Doch ich hörte nur ein leises Seufzen und sah auf. Überraschenderweise sah er nicht sauer aus, sondern irgendwie traurig. „Du hast nichts falsch gemacht. Glaub mir, Yusei. Es war allein meine Schuld und ich muss erst einiges regeln, bis du dich wieder frei im Palast bewegen kannst.“ „Aber Ihr seid der König.“ Er lachte freudlos, senkte seinen Blick. „Auch ein König muss sich an Gesetze halten. Und zurzeit stehen sie mir auf mehr als eine Weise im Weg.“ „Was ist passiert?“ Eine Weile sah er mich schweigend an. Mit jeder Sekunde nahm mein Herzschlag zu. So wie er aussah, waren es weitere schlechte Neuigkeiten, aber ich wollte wissen was los war. Doch er schwieg beharrlich. Ein absurder Gedanke schlich sich in mein Bewusstsein, ich drängte ihn beiseite. Das wäre lächerlich. „Ihr müsst mit mir reden… Bitte…“ flüsterte ich. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, schrien mich an, dass ich für ihn nichts wert sei, doch ich wollte sie nicht hören. Haou war nur noch eine schemenhafte Gestalt. Ich blinzelte den Schleier der Tränen beiseite, um ihn wieder deutlich zu sehen. Sein Blick war traurig, sanft legte er seine Hand auf meinen Unterarm. „Was hat Jesse dir erzählt?“ fragte er ruhig. Ich schluckte, spürte die Wärme seiner Hand. Die Berührung gab mir ein schönes Gefühl, das im Kontrast zu dem stand, was Jesse mir erzählt hatte. „Er…“ Meine Stimme war rau. Erneut schluckte ich trocken, betrachtete seine Hand. Seinen Daumen, der sanft über meine Haut strich. Es wollte so gar nicht zu dem passen, was in den letzten Tagen geschehen war. Mein Herz raste, ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Ich zog meinen Arm unter der Berührung weg und schlüpfte aus dem Bett. Frische Luft. Die würde mir jetzt guttun, versuchte ich mir einzureden und ging die wenigen Schritte zum Fenster. Tatsächlich half es, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. „Ihr habt mich damals nur aufgenommen, weil ich als Mensch Informationen über die andere Welt beschaffen kann“ sagte ich leise. Meine Hände presste ich gegen den kühlen Stein des Fensterbretts. „Jahrelang wurde ich nur dafür trainiert. Bei meiner Prüfung habe ich Euch enttäuscht, weil ich meinen Schutzgeist noch nicht im Griff habe. Und auch, als ich keine Magie anwenden konnte…“ Arme umschlossen mich, drückten mich an einen warmen Körper. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken. Automatisch versteifte ich mich, zitterte. Ich wollte mich an die tröstende Berührung lehnen, doch ich konnte es nicht. „Ich war für Euch nie mehr als ein Werkzeug…“ flüsterte ich. Aus Angst, meine Stimme könnte versagen. „Als Ihr in der Zelle Angst hattet, dass ich tot sein könnte… war das wirklich die Angst um mich, oder… um Euren Plan?“ Noch enger drückte er mich an sich, vergrub sein Gesicht in meinen Haaren. Angestrengt versuchte ich die Tränen zurückzuhalten, doch es war zwecklos. Warm rollten sie über meine Wangen, benetzten Haous Arme. „Sagt mir bitte die Wahrheit… Ich kann damit leben, wenn Ihr mich nur wegen meiner Mission bei Euch behaltet… Und es ändert nichts an der Treue für meine Heimat. Ich habe geschworen die Isekai zu beschützen, und daran werde ich mich halten, aber womit ich nicht leben kann, ist die Ungewissheit, wo mein Platz ist.“ Ich versuchte das Schluchzen zu unterdrücken, doch es hatte keinen Sinn. All der Schmerz der letzten Zeit schien auf einmal aus mir herausbrechen zu wollen, aber ich wollte nicht schon wieder Schwäche zeigen. Ich hörte Haous leise Stimme, doch sie drang nicht zu mir hindurch. Erst, als er seine Worte wiederholte, erstarrte ich. Was hat er gesagt? „Dein Platz ist an meiner Seite“ sagte er wieder. „Vorausgesetzt, das ist dein Wunsch.“ Ich hatte mich nicht verhört. Meint er das ernst? Geräuschvoll ließ ich die Luft aus meinen Lungen weichen. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich sie angehalten hatte. Mit jedem Atemzug wurde ich ruhiger und entspannter, bis ich mich schließlich seiner tröstenden Umarmung hingab. „Weißt du wie lange ich dich tatsächlich nur wegen deiner Mission im Palast behalten habe?“ sprach er schließlich leise weiter. Seinen Atem spürte ich dicht an mein Ohr. Ein kleines Lächeln meinte ich aus seinen Worten herauszuhören. „Einen Monat. Danach hattest du mich voll und ganz um den Finger gewickelt. Aber als König kann ich es mir nicht leisten Schwäche zu zeigen, also habe ich dich dein Leben lang auf Abstand gehalten. Oder es zumindest versucht. Je älter du wurdest, umso schwerer fiel es mir. Als ich dich in der Zelle gefunden habe, hat es mir das Herz zerbrochen. Der Plan von damals war mir vollkommen egal. Ich dachte wirklich, ich hätte dich verloren.“ Seine letzten Worte waren nur ein Flüstern. Enger schlossen sich seine Arme um mich. Dann hatte Jesse mir gestern die Wahrheit gesagt? Erleichterung durchströmte meinen Körper. Haltsuchend lehnte ich mich an ihn. Auch wenn Jesse mir etwas ähnliches erzählt hatte, musste ich es von Haou persönlich hören. „Dann seht Ihr mich nicht nur als Werkzeug?“ vergewisserte ich mich zaghaft. „Nein.“ „Warum habt Ihr mir die Wahrheit nicht eher gesagt?“ Ein leises Seufzen war zu hören. „Anfangs war es nur, um dein Vertrauen zu gewinnen. Aber mit der Zeit hatte ich Sorge, dich zu verletzen. Ich wusste, dass ich es dir irgendwann erzählen musste, aber ich hatte keine Ahnung wie. Deswegen… habe ich mich vielleicht auch auf die Vereinbarung mit Jesse eingelassen. Dass es aber so viele Probleme mit sich bringen würde, konnte ich nicht ahnen. Es tut mir leid. Ich war einfach ein Feigling.“ Ich legte meine Hand auf seinen Arm und neigte meinen Kopf zu ihm. Ehrliches Bedauern meinte ich in seinen Augen zu lesen. Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen. „Keine Geheimnisse mehr.“ Er nickte, schenkte mir sogar ein Lächeln, das mein Herz flattern ließ. „Könnt Ihr… mir dann sagen, was passiert ist, als ich eingesperrt war? Yubel hat etwas angedeutet, und ich würde gern verstehen, warum ich dieses Zimmer nicht verlassen darf.“ Wieder dieser traurige Blick. Doch er nickte und löste sich von mir. Ich drehte mich zu ihm und sah ihn abwartend an. Es dauerte einen Moment, ehe er mir seine Antwort gab. „Am Tag deiner Prüfung gab es einen Mordanschlag auf Meister Lyman.“ Ich schnappte nach Luft. Lyman war ein guter Freund von ihm, wenn ich mich recht erinnere. „Der Mörder war ein Dieb aus einem recht weit entfernten Dorf. Bakura. Vieles spricht dafür, dass er von einem Mitglied des Palasts beauftragt wurde. Im Moment vertraue ich so gut wie niemandem und ehrlich gesagt war ich bis vor zwei Tagen noch froh darüber, dass du in der Zelle warst, und niemand zu dir gelangen konnte. Bis gestern hat er nicht viel berichten können, also hat Meister Damian einen Trank gebraut, der diesen Dieb endlich zum Reden bringen sollte.“ Sein Kiefer spannte sich an, stur fixierte er einen Punkt, ohne ihn wirklich zu sehen. „Aber dieser Bastard ist gestorben, kurz nachdem wir ihm den Trank verabreicht hatten.“ „Was? Aber wie?“ Er seufzte, sah mich wieder an. „Es war nicht der Trank, den wir ihm eigentlich geben wollten. Es war ein sehr starkes Gift.“ „Meister Damian hat ihn vergiftet?“ fragte ich konfus. Das passte so gar nicht zu ihm. „Es hat den Anschein, ja. Aber er beteuert, dass die Phiolen vertauscht wurden, und ich glaube ihm. Er ist niemand, der jemanden umbringen könnte. Nicht einmal im Krieg.“ „Aber wer war es dann?“ „Ich vermute dieselbe Person, die den Dieb in den Palast eingeschleust hat und Lyman tot sehen wollte. Hätte Bakura wegen des Tranks angefangen zu reden, hätten wir vermutlich den Namen erfahren. Oder zumindest eine Beschreibung. So stehen wir wieder am Anfang.“ „Hm… Aber wer hätte die Gelegenheit dazu gehabt? Meister Damians Labor ist gut gesichert.“ „Der halbe Rat, würde ich meinen. Es hat einiges an Überzeugungsarbeit gebraucht, Meister Damian im Rat zu behalten. Schließlich war er der Hauptverdächtige in dem Mordfall zu Bakura. Würde ich ihm nicht glauben, säße er jetzt im Kerker.“ „Ihr glaubt, es war jemand aus dem Rat?“ Er nickte, rieb sich mit den Fingern die Nasenwurzel. „Es gibt einige Verdächtige, aber keinen Beweis. Und der Einzige, der mehr wusste, ist tot.“ Was für eine verfahrene Situation. Kein Wunder, dass ich Haou nicht zu Gesicht bekommen hatte. „Ist… das der Grund, warum ich hier bleiben soll?“ fragte ich zögerlich. Doch er schüttelte den Kopf. „Nein, auch wenn es mich beruhigt, dass du fürs erste bewacht wirst. Aber der Grund dafür ist das zweite große Problem, was ich im Moment habe.“ Er schloss die Augen, atmete tief durch. Als er sie wieder öffnete, war sein Blick wieder traurig. „Meister Ares will dich als Gegenstand deklarieren.“ Ich blinzelte überrascht, konnte nicht verstehen, was er mir sagen wollte. „Was?“ Ein leidender Ausdruck schlich sich in sein Gesicht. „Er hat anscheinend einige Gesetzestexte gefunden, die dich als reinen Besitz deklarieren würden. Und da Jesse die Verantwortung für dich an ihn abgegeben hat, würdest du automatisch in seinen Besitz fallen.“ „Meister Jesse hat was?“ fragte ich konfus. Die Zusammenhänge erschlossen sich mir nicht. „Du solltest deine Späherausbildung bei Meister Ares beginnen. Dafür hat Jesse die Verantwortung für dich abgegeben.“ „Also bin ich… nur ein Gegenstand?“ fragte ich leise, senkte den Blick. „Aber warum?“ Eine warme Hand legte sich an meine Wange, zwang meinen Blick wieder zu ihm. Er sah fest entschlossen aus. „Das werde ich nicht zulassen, hörst du? In ein paar Tagen ist die Abstimmung. Bis dahin musst du hierbleiben. Meine Stimme wird mehr Gewicht haben, aber es braucht drei weitere Stimmen aus dem Rat, um dich vor diesem Schicksal zu bewahren. So wie ich das sehe, sind Meister Damian und Madame Tredwell auf deiner Seite. Es braucht nur eine Stimme mehr, dann ist dieser Spuk vorbei. Es wird alles gut, verstehst du?“ Mechanisch nickte ich. Versuchte mich auf das Gold seiner Augen zu konzentrieren. Ich verstand, dass er alles in seiner Macht stehende tat, um meine Rechte nicht außer Kraft setzen zu müssen. Aber ein leiser Zweifel schien in seinem Blick zu stecken, und dieser Zweifel machte mir Angst. Denn es bedeutete, dass ich vielleicht wirklich nur wie ein Gegenstand behandelt werden würde. Was das für mich bedeuten würde, wollte ich mir nicht ausmalen. „Was hätte er davon?“ flüsterte ich. Seine Stirn lehnte er an meine. Seine andere Hand legte sich auf meine Taille. Diese Nähe tröstete mich, verbannte die Angst aber nicht gänzlich aus meinem Körper. „Ich weiß es nicht. Und das werden wir nie erfahren, denn das lasse ich nicht zu.“ Seine Stimme wurde immer leiser, bis es nur noch ein Flüstern war. „Du musstest genug aushalten.“ Meine Wangen wurden ganz warm. Nicht nur ich musste einiges aushalten, er schulterte weit größere Probleme als ich. Und trotzdem war er bei mir und spendete mir Trost. All die Last, die auf seinen Schultern lag, war sicher kräftezehrend. Wie gern würde ich ihm helfen. Nur wusste ich einfach nicht wie. Ich schloss meine Augen, konzentrierte mich auf seinen warmen Atem in meinem Gesicht. Seinen Duft, den ich nie intensiver wahrgenommen hatte. Die Nähe und Wärme, die er mir spendete, hatten etwas Tröstliches und langsam konnte ich mich entspannen und seinen Worten glauben schenken. Als ich die Augen wieder öffnete, lag ein intensiver Ausdruck in seinen Irden, der mich voll und ganz einzunehmen schien. Seine Lider senkten sich, und ehe ich realisieren konnte, was geschah, spürte ich warme Lippen auf meinen. Mein Herz flatterte aufgeregt, mein Bauch kribbelte. Ganz sanft breitete sich eine Wärme in meinem gesamten Körper aus und ich schloss ebenfalls meine Augen. Legte meine Hände behutsam auf seine Brust, als er mich näher an ihn zog. Ich erwiderte die sanfte Berührung seiner Lippen. Spürte, wie er sie gegen meine bewegte. Ein leises Seufzen kam über mich, der Sturm meiner Gedanken flaute ab und ich gab mich ganz seiner Nähe hin. Der Geborgenheit, die er mir schenkte. Ich spürte seine Zunge, die vorsichtig über meine bebende Unterlippe strich. Ganz automatisch öffnete ich meinen Mund. Es war ein seltsames Gefühl, seine Zunge an meiner zu spüren, aber ich ließ mich darauf ein. Nach wenigen Sekunden genoss ich es. Das Kribbeln, das meinen gesamten Körper durchzog, war so angenehm. Eine Hand ließ ich über seine Brust auf seine Schulter wandern. Ein zufriedenes Seufzen war zu hören und er intensivierte den Kuss, drückte mich enger an ihn. Seine Finger strichen behutsam über meinen Rücken, überzogen meinen Körper mit einer Gänsehaut. Das aufregende Kribbeln verstärkte sich, als seine warme Hand sich unter den Stoff meines Hemdes schob und dort über die nackte Haut strich. Ich wollte den Moment nicht beenden, doch ich musste mich von ihm lösen, schnappte verzweifelt nach Luft. Langsam realisierte ich, was wir eben getan hatten, und mein Gesicht schien Feuer zu fangen. Ich konnte ihn nur anstarren, was ihn zu amüsieren schien. Auf seinen Lippen lag ein sanftes Lächeln und sein Daumen strich behutsam über meine glühende Wange. „Das habe ich vermisst“ murmelte er, legte einen hauchzarten Kuss auf meine Stirn. Seufzend schloss ich meine Augen, lehnte mich an die Berührung. Seine Nähe tat unheimlich gut. Auch wenn ich nicht wusste, was er daran vermissen konnte. Schließlich war es das erste Mal, dass so etwas passierte. Er löste sich von mir, strich noch einmal über meine bebenden Lippen. Bedauern lag in seinen Augen. Ich wusste, dass er jetzt gehen würde. Schließlich hatte er weit wichtigeres zu tun, als bei mir zu sein. Und doch wollte ich nicht, dass dieser Moment schon enden musste. Der Gedanke war egoistisch, aber ich konnte ihn nicht beiseiteschieben. So lächelte ich nur traurig. „Ich werde morgen wiederkommen, versprochen. Aber ich muss noch einiges regeln.“ „Ich verstehe das, wirklich. Macht Euch um mich keine Sorgen“ versicherte ich ihm. Einen Augenblick musterte er mich eindringlich. Schließlich legte sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen. Ein letztes Mal beugte er sich zu mir, gab mir einen sanften Kuss, ehe er sich endgültig von mir löste. „Ruh dich aus“ sagte er. Ich nickte. Als er die Tür öffnete, kamen mir plötzlich Jesses Worte wieder in den Sinn. „Wartet!“ Verwundert drehte er sich zu mir. „Habt Ihr mit Meister Jesse geredet?“ „Wie kommst du darauf?“ „Er war gestern hier und hat sich für alles entschuldigt… Es hat sich so angehört, als hättet ihr Streit gehabt.“ Er schnaufte abfällig. Damit hatte ich meine Antwort. „Bitte redet mit ihm. Die ganze Sache scheint ihm wirklich leid zu tun.“ „Das sollte es auch“ sagte er leise. Es dauerte einen Moment, in dem er mir fest in die Augen sah. Schließlich atmete er geräuschvoll aus. „Vielleicht“ war alles, was er dazu sagte, dann schloss er die Tür hinter sich. Doch es reichte mir für den Augenblick, dass er nur darüber nachdachte. Haou und Jesse verband eine tiefe Freundschaft. Sicher würde es vieles einfacher machen, wenn sie sich aussprechen würden. Für Haou wäre es zumindest ein Problem weniger und ich war mir sicher, dass er Jesse gerade jetzt brauchen würde. Unwillkürlich wanderten meine Finger zu meinen Lippen. Sachte strichen sie darüber. Meine Wangen wurden warm. Was war das eben? Noch nie hatte es den Anschein gemacht, dass er so etwas tun würde. Ein kleines Schmunzeln konnte ich mir nicht verkneifen, doch es verschwand, so schnell es gekommen war. Endlich hatte ich die Antworten, die ich so sehr wollte, doch sie warfen mehr Fragen auf. Nicht nur die Sache mit Meister Ares und der Mord an Meister Lyman. Darüber wollte ich mir später den Kopf zerbrechen. Ich seufzte tief und ließ mich ins Bett fallen. Starrte an die Decke. Was bedeutete der Kuss? Dieses unbeschreiblich schöne Gefühl, dass er in mir ausgelöst hatte? Ob es nur einmalig war? Oder… war da mehr? Kapitel 26: Bedauern -------------------- Leise ließ ich die Tür ins Schloss fallen, lehnte mich einen Augenblick daran an. Mein Herz hatte ich noch immer nicht unter Kontrolle. Was ist nur in mich gefahren? Sollte Ares gewinnen, würde ich Yusei mit diesem Kuss nur noch mehr verletzen. Zu sagen, dass es nur ein Moment der Schwäche war, hätte das Gleiche zur Folge. Dabei wünschte ich mir nichts sehnlicher, als die strahlend blauen Augen aus dem geröteten Gesicht wiederzusehen. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich an den Moment zurückdachte. Doch schnell zwang ich mich in die Gegenwart. Frustriert rieb ich mir den Nacken und stieß mich von der Tür ab. Eins nach dem anderen. Ich muss mich endlich fokussieren! Auf dem Hof angekommen, gesellte sich Yubel zu mir. Ich verschaffte mir einen Überblick, doch bis auf die übliche Zahl an Wachen, die außer Hörweite waren, war niemand zu sehen. „Irgendwas neues?“ fragte ich, senkte dennoch meine Stimme. „Morgen schicke ich einen Suchtrupp zum See. Drei Dämonen müssen reichen, damit wir keinen Verdacht erwecken.“ „Mir wäre wohler, du würdest mitgehen.“ Ich konnte ihr Augenrollen förmlich spüren, doch mein Blick war auf den Palast gerichtet, auf den wir zuliefen. „Kommt nicht in Frage. Bei allem, was gerade los ist, weiche ich Euch nicht so lange Zeit von der Seite.“ „Das mit dem Befehlen Folge leisten, geht immer noch nicht in deinen Kopf, oder?“ „Dann sperrt mich ein“ erwiderte sie belustigt. Nun warf ich ihr doch einen skeptischen Blick zu. Sie wusste genau, dass ich das niemals machen würde. Damit hatte sie mich seit Jahren in der Hand. „In Anwesenheit irgendeines anderen gibst du mir keine Wiederworte, verstanden? Ich habe jetzt schon das Gefühl, dass meine Autorität untergraben wird.“ „Macht Euch keine Sorgen, das wird nicht passieren. Aber versprecht Euch von der Mission nicht zu viel. So alt wie das Pergament aussieht, würde es mich wundern, wenn wir im See irgendetwas finden.“ „Die Koordinaten weisen direkt auf die Mitte. Was auch immer dort ist, Lymans Mörder war sich anscheinend ziemlich sicher, dass mehr hinter dem Ganzen steckt.“ „Wie Ihr meint. Bei Sonnenaufgang reiten sie los, dann sollten sie am Abend ankommen.“ „Und wenn ihnen jemand folgt?“ gab ich zu bedenken, flüsterte schon fast. In den Gängen des Palasts zu reden, war mir zu riskant. „Ich habe sie eigens ausgewählt. Niemand wird ihnen folgen. Zumindest nicht lang.“ Ich nickte. Vor meinen Gemächern angekommen, hielt Yubel mich zurück. Abwartend betrachtete ich sie. „Was ist los?“ flüsterte ich. „Da ist jemand.“ Was? Wer könnte in meine Gemächer gelangen? Dieser Teil des Palastes wird nachts immer sorgfältig bewacht, dafür hatte Yubel gesorgt. Gespannt öffnete ich die Tür, hielt überrascht inne. Jesse saß auf meinem Schreibtisch, den Blick scheu auf mich gerichtet. Dass direkt daneben ein Stuhl stand, ignorierte er geflissentlich. Ich neigte meinen Kopf zu meiner Beschützerin. „Schon okay. Du kannst dich zurückziehen.“ Einen flüchtigen Blick warf sie zu Jesse, schließlich folgte sie meiner Aufforderung. „Ich hoffe es ist wichtig“ sagte ich kühl. „Wenn du um Verzeihung bitten willst, kannst du gleich wieder gehen.“ Er seufzte leise, stand auf. „Schließ bitte die Tür.“ Meine Augen verengte ich zu Schlitzen. In seinen Worten steckte eine tiefe Ernsthaftigkeit, sodass ich seiner Bitte nachkam. Doch seine gesamte Haltung und sein Äußeres standen im Kontrast zu seinem Ton. Er sah abgeschlagen aus, müde. Seine Haut war blass, dunkle Schatten untermalten seine Augen. Irgendetwas war passiert. Das war kein Versuch sich bei mir zu entschuldigen. „Was ist los?“ fragte ich deshalb. „Ich war bei meinem Onkel… Ich weiß jetzt, was die ganze Sache mit Yuseis Stand zu bedeuten hat.“ Nun hatte er doch meine volle Aufmerksamkeit. Abwartend betrachtete ich ihn, doch er brauchte einen Moment, um weiterzusprechen. „Er wird ihn als Späher ausbilden, so wie abgesprochen. Er vermutet, dass der Zeitpunkt bald gekommen ist. So wie die Weisen es vorhergesagt haben.“ „Wie kommt er darauf?“ fragte ich konfus. „Wenn er so eine Information hat, hätte er sie mir schleunigst weitergeben müssen!“ „Es ist nur eine Vermutung. Die Vorhersage der Weisen war damals recht kryptisch. ‚Wenn der rote Drache erwacht, und drei Monde vorüberziehen, werden die Menschen sich vereinen‘.“ rezitierte er. „Ich weiß, was sie damals gesagt haben. Aber Sternenstaubdrache ist weiß, er hat nicht einmal einen Hauch von rot an sich. Wie kommt Ares darauf?“ „Wie wahrscheinlich ist es, dass nach so vielen Jahren ein weiterer Drache erscheinen wird?“ stellte er die Gegenfrage. Damit hatte er zwar recht, aber trotzdem ergab es für mich wenig Sinn. Allerdings steckte hinter den Visionen der Weisen schon immer mehr, als es den Anschein hatte. „Schön, nehmen wir eben an, dass Sternenstaubdrache der rote Drache aus der Vision ist. Das erklärt dennoch nicht, was Ares vorhat.“ „Er will Yusei, wie geplant, in die Menschenwelt schicken. Dort soll er aber nicht Informationen, Schwachpunkte und dergleichen beschaffen und zu uns zurückkehren, so wie du es wolltest, sondern die Menschen mithilfe von Sternenstaubdrache vernichten.“ „Was?! Glaubt er allen Ernstes, dass Yusei da mitmachen würde?“ fragte ich fassungslos. Jesse nickte betrübt. Was denkt sich dieser alte Sack?! „Mal abgesehen davon, dass er sich meinen Befehlen widersetzen würde!“ „Das ist genau der Punkt. Strategisch hätte er damit vermutlich alle Generäle auf seiner Seite. Auch wenn alles auf deinen Befehl hin passiert, kannst du nicht steuern, was Yusei tatsächlich in der anderen Welt treibt. Mein Onkel braucht ihn nur zu erpressen.“ „Inwiefern?“ „Mit seinem Leben. Oder noch effektiver, mit deinem. Ich bezweifle stark, dass er dir irgendwie schaden würde, aber nehmen wir an, dass er Yusei so etwas wie ‚Töte sie, oder du wirst selbst getötet‘ sagt, dann würde Yusei vielleicht darüber nachdenken. Zumal mein Onkel keine Strafe dafür erwarten würde. Es wäre allenfalls Sachbeschädigung, wenn er den Antrag im Rat durchbekommt. Nicht einmal das, wenn sich Yusei im Besitz meines Onkels befindet.“ „Er glaubt doch nicht wirklich, dass er damit Erfolg hat! So leicht lässt sich Yusei nicht manipulieren.“ „Dann gäbe es noch eine andere Möglichkeit, wie er den Plan durchsetzen kann“ sagte er leise. Ich brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, was er meinte. Schließlich wich mir jegliche Farbe aus dem Gesicht. „Gedankenmanipulation“ wisperte ich. Jesse nickte, sprach traurig weiter. „Das ist zwar seit einigen Jahrhunderten verboten, und wird nicht mehr gelehrt, aber du weißt, dass er sich sehr für schwarze Magie interessiert. Es würde mich nicht wundern, wenn er es durch alte Schriften erlernt hätte. Und wenn Yusei nur als Gegenstand zählt…“ Er brach ab, musterte mich vorsichtig. Doch er brauchte nicht weiterzureden. Niemand könnte Ares belangen, denn er hätte nur mit seinem Eigentum experimentiert und könnte nicht für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, raubte mir den Atem. Das Schlimmste, was er zu befürchten hätte, wäre ein Ausschluss vom Rat, während ich Yusei nicht helfen konnte. „Hat er dir das wirklich so gesagt?“ presste ich hervor. Versuchte Halt an meinem Schreibtisch zu finden. Meine Hände zitterten. Ob vor Wut oder Verzweiflung konnte ich nicht sagen. „Indirekt. Ich kenne ihn lange genug, und würde ihm diese Vorgehensweise durchaus zutrauen.“ „Scheiße!“ fluchte ich, fegte meinen Tisch dabei leer. Das Pergament raschelte, während es quälend langsam zu Boden segelte. Mit flachem Atem beobachtete ich das Tintenfläschchen, das klirrend zu Boden ging und die pechschwarze Flüssigkeit über den Steinboden verteilte. Ich konnte nichts tun. Wenn dieser verdammte Antrag durchgehen würde, konnte ich nichts tun! Hilflos sah ich zu Jesse, doch sein Blick war ähnlich verzweifelt. „Das war es noch nicht, oder?“ flüsterte ich. Er sagte nichts, sah mich nur unschlüssig an. „Spuck es schon aus!“ „Naja… Das ist nur eine Vermutung, aber… egal, wie Yusei sich fügen würde, ich glaube nicht, dass er… nach Beendigung der Sache noch leben wird.“ Ich konnte ihn nur anstarren, zwang mich zu atmen. „Es ist wie gesagt nur eine Vermutung… Seine genauen Worte waren: ‚Wir werden erst in Frieden leben können, wenn jeder einzelne dieser widerwärtigen Menschen getötet wurde‘.“ Geräuschvoll ließ ich die Luft aus meinen Lungen weichen, stützte meine zitternden Arme auf den Tisch und starrte das Holz an. Wie sollte man das anders verstehen? Wenn alles vorbei ist, wird Ares Yusei töten. Er hat viel zu viel Angst vor ihm, niemals würde er einen Menschen am Leben lassen, der die Macht eines Drachen besitzt. Und ich könnte nichts tun… Warm tropften meine lautlosen Tränen auf meine zitternden Hände. „Er darf die Abstimmung nicht gewinnen“ wisperte ich. „Ich weiß“ flüsterte er. Legte mir seine Hand tröstend auf die Schulter. „Wenn gegen ihn entschieden wird, gibt es keine Möglichkeit mehr, die Sache umzukehren“ sagte ich mit erstickter Stimme. „Und du bist leider erst nach Abschluss der Morduntersuchung an Lyman ein Mitglied des Rats.“ „Madame Tredwell und Meister Damian sind auf eurer Seite“ versuchte er mich zu beruhigen. Strich dabei mit seiner Hand über meinen Rücken. „Du und Yusei, ihr braucht nur noch eine weitere Stimme aus dem Rat. Was ist mit Stone?“ „Auf Ares‘ Seite, befürchte ich.“ Ein Schluchzen entglitt mir. Im Moment sah es schlecht aus. Jesses Arme schlangen sich um mich. Zögerlich lehnte ich mich in die tröstende Umarmung, legte meinen Kopf auf seine Schulter. Auch wenn ich noch immer wütend auf ihn war, seine Näh beruhigte mich, ließ mich wieder halbwegs normal atmen. Längst hatte ich es aufgegeben das Schluchzen zu unterdrücken. Er war die einzige Person, bei der ich mir einen solchen Ausbruch leisten durfte. „Es tut mir so leid“ murmelte er immer wieder. Fuhr dabei behutsam über meinen Rücken. Damit meinte er mehr als diese Situation, das wusste ich. Auch wenn ich gern weiter sauer auf ihn wäre, in diesem Moment war ich froh darüber, dass er bei mir war. Ein bitteres Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Das letzte, was Yusei zu mir sagte war, dass ich mich mit Jesse aussprechen sollte. Unwillkürlich erwiderte ich die Umarmung, suchte Halt in seinem Gewand. Ich hatte schreckliche Angst davor, Yusei in wenigen Tagen zum letzten Mal zu sehen. Das beklemmende Gefühl in meiner Brust schnürte mir die Luft ab. Das musste ich um jeden Preis verhindern. Jesse redete mir gut zu, versuchte mir die Angst zu nehmen und strich mir behutsam durchs Haar. Doch es dauerte eine ganze Weile, ehe ich mich wieder im Griff hatte. Das letzte Mal, als ich einen derartigen Gefühlsausbruch hatte war, als mein Vater gestorben war. Schließlich löste ich mich von meinem besten Freund und wischte mir hastig die letzten Tränen aus dem Gesicht. Atmete tief durch. Ich musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren und mir überlegen, wie ich den Rat auf meine Seite ziehen konnte. Irgendwie musste ich Yusei helfen. Um jeden Preis. Jesse musterte mich nachdenklich. „Du liebst ihn, oder?“ Diese Worte kamen aus dem Nichts, ich wusste nichts darauf zu erwidern. „Was?“ fragte ich deshalb perplex. „Das hätte ich früher sehen sollen“ murmelte er mehr zu sich selbst. „Ich meine… Solche Sorgen, wie du dir um ihn machst…“ „Das muss nicht heißen, dass ich verliebt bin“ erwiderte ich fast schon trotzig. Er bedeutete mir unheimlich viel, aber Liebe? Yusei war glatt 80 Jahre jünger als ich. „Ich hatte schon so eine Vermutung, als wir ihn im Kerker gefunden haben“ überging er meine Worte. „So wie du ihn angesehen hast… Ich habe mir immer gewünscht, du würdest mich mit diesem Blick ansehen.“ Wieder erwischten mich seine Worte eiskalt. Ich konnte ihn nur anstarren. War das eben ein Liebesgeständnis? Ausgerechnet von meinem Kindheitsfreund? „Jesse, ich…“ stammelte ich, doch wusste nicht, was ich sagen sollte. Er schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Schon gut, ich weiß, woran ich bei dir bin. Oder… zumindest war“ fügte er betrübt hinzu und mied meinen Blick. Ich seufzte und musterte ihn genauer. So wie er aussah, schien ihm die ganze Sache wirklich leid zu tun. Und das nicht nur, weil er mich mit seinen Entscheidungen enttäuscht hatte. Er bereute es. „Du hast dich bei ihm entschuldigt“ stellte ich fest. Er nickte, mied es noch immer mich anzusehen. „Das war das mindeste, nachdem er wegen mir fast gestorben wäre. Allerdings weiß ich nicht, ob er mir je verzeihen kann. Oder du.“ „Ich glaube, Yusei hat dir längst vergeben“ sagte ich. Nun sah er doch überrascht zu mir, was mir ein flüchtiges Schmunzeln entlockte. „Als ich heute bei ihm war, hat er darauf bestanden, dass ich mit dir rede. Er beteuerte, dass es dir leid zu tun scheint, und ich glaube, dass er recht hat.“ Unglaube flackerte in seinen Augen auf. Kaum merklich schüttelte er seinen Kopf. „Heißt das, du verzeihst mir?“ Ich schenkte ihm ein warmes Lächeln, schloss ihn in meine Arme. „Bei dem Chaos, das auf uns zukommen wird, brauche ich meinen besten Freund an meiner Seite. Ohne dich schaffe ich das nicht.“ Zögerlich legte er seine Arme um mich, suchte Halt in meinem Gewand und drückte sein Gesicht in meine Halsbeuge. Erleichtert ließ er die Luft aus seinen Lungen weichen. Auch wenn ich seine Gefühle nicht teilte, so wollte ich ihn dennoch an meiner Seite wissen. So egoistisch das auch sein mochte, aber ich brauchte ihn. Sollte alles schief gehen und Yusei in Ares‘ Hände fallen, würde ich das nicht ohne Jesse überstehen. Kapitel 27: Krisensitzung ------------------------- „So wie ich das sehe, bleiben uns zwei Möglichkeiten, wie wir den Plan meines Onkels zunichtemachen können.“ Jesse hatte auf meinem Schreibtisch Platz genommen, überkreuzte seine Beine. „Entweder ziehen wir ein weiteres Ratsmitglied auf unsere Seite, oder wir schaffen es in drei Tagen, Lymans Mörder zu fassen, sodass ich Stones Platz im Rat einnehmen kann.“ „Ich könnte den übrigen Mitgliedern drohen“ sagte Yubel lapidar. Einen skeptischen Blick konnte ich mir nicht verkneifen. „Dann wissen sie, dass ich verzweifelt bin. Das macht uns nur angreifbar. Mal davon abgesehen, dass wir nicht wissen, ob auch nur einer gegen Ares stimmen würde.“ „Dass Meister Damian und Madame Tredwell wirklich auf unserer Seite stehen, ist sicher?“ vergewisserte sich Jesse. Ich nickte, lehnte mich an die Brüstung des Bettes und verschränkte meine Arme. „Sie haben Yusei in den letzten Jahren gut genug kennengelernt. Sie schätzen ihn und seine Fähigkeiten und wissen, dass Ares‘ Plan mehr als übertrieben ist.“ „Gibt es ein Ratsmitglied, dass wir leicht auf unsere Seite ziehen können?“ fragte Yubel. Ich seufzte, lehnte meinen Kopf an die Brüstung und starrte an die Decke. Diese Frage hatte mich die gesamte letzte Nacht nicht schlafen lassen. „Reiji, Gozaburo, Nate, Stone, Ethan und Kurozaki stehen in dieser Angelegenheit hinter Ares. Crowler wird sich der Masse anschließen, ebenso wie Drake.“ „Was ist mit Valon?“ hakte Jesse nach. „Kann ich nicht einschätzen. Er ist eher ein stiller Beobachter und hatte mit Yusei noch nie zu tun.“ „Wenn er nachtragend ist, würde ich mich nicht auf Valon verlassen“ warf Yubel ein. Ich warf ihr einen fragenden Blick zu. „Was meinst du?“ „Wir kämpften damals im selben Trupp… Seine Söhne wurden vor seinen Augen von den Menschen getötet.“ Ich seufzte genervt und starrte wieder an die Decke. Nach der Aussage hatte ich keine Hoffnung ihn für uns zu gewinnen. Zwar konnte Yusei nichts für all das, aber er war ein leichter Sündenbock. Selbst ich hatte ihn bei unserer ersten Begegnung für den Tod meines Vaters verantwortlich machen wollen und ihn beinahe getötet. Dabei war er nur ein kleines Kind. „Ich werde bei Valon nachhaken.“ Jesses Stimme ließ mich zu ihm sehen. „Glaubst du wirklich, dass das erfolgsversprechend ist?“ Er zuckte mit den Schultern, grinste leicht. „Ich kam mit Yuseis Anwesenheit nie gut klar, das wusste jeder. Wenn selbst ich zu ihm stehe, warum nicht auch Valon?“ „Unterschätze niemals die Rache eines Kriegers“ gab Yubel zu bedenken. Jesse sah wieder zu mir. „Du hast gesagt, er wäre ein stiller Beobachter. Was, wenn er Yusei in den letzten Jahren ins Auge gefasst hat?“ „Bezweifle ich. Er hat sich mit den Aufbauarbeiten beschäftigt.“ „Aber du hast sie doch vor allem am Anfang besichtigt. Manchmal hast du Yusei dorthin mitgenommen.“ Ein belustigtes Schnaufen konnte ich mir nicht verkneifen. „Der ist ständig ausgerissen und hat sich die Umgebung angesehen.“ „Ich erinnere mich“ bestätigte Yubel wenig begeistert, was mich schmunzeln ließ. Wann immer Yusei geflüchtet war, durfte sie ihn im Auge behalten. Mehr als einmal hatte sie mich angezickt, dass sie kein Babysitter wäre. Jesse zuckte mit den Schultern. „Ein Versuch schadet nicht.“ „Gemäß dem Fall du schaffst es nicht, was dann?“ „Plan B.“ „Und der wäre?“ schaltete ich mich ein. „Lymans Mörder fassen.“ Yubel rollte mit den Augen. „Was glaubst du, versuchen wir seit zwei Wochen? Es gibt im Moment keine Spur zu ihm.“ „Und wenn wir ihm eine Falle stellen?“ „Wie?“ fragte ich, sah Jesse interessiert an. „Du hast doch noch den Dolch, oder?“ Ich nickte zur Bestätigung. „Wir sagen, dass die Untersuchungen abgeschlossen wären und geben ihn an seine Angehörigen.“ „Damit die nächsten Unschuldigen abgeschlachtet werden?“ fragte Yubel skeptisch. „Was hast du dann vor?“ hakte ich nach. „Wir fälschen die Koordinaten und schicken Späher an ebendiese Stelle. Das Erithgebirge würde sich anbieten. Dort zieht es nur selten Wanderer hin, und das nächste Dorf ist einen Tagesmarsch entfernt.“ „Keine üble Idee“ gab ich zu. „Aber er wird sicher wieder jemanden wie Bakura anstellen, um seine Drecksarbeit zu erledigen.“ Jesse schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Den Dolch zu besorgen ist eine Sache, aber was immer sich bei den Koordinaten befindet ist wichtig genug, um dafür zu töten. Das wird er niemand anderem überlassen.“ „Das sind mir zu viele Spekulationen“ gab Yubel zu bedenken. „Außerdem müsste es in den nächsten drei Tagen passieren.“ „Von unserer viel zu kurzen Frist abgesehen, ist es dennoch ein guter Plan. Aber das Pergament und die Koordinaten müssen täuschend echt aussehen. Meinst du, du bekommst das hin?“ „Ich kenne da jemanden“ flötete Jesse. Yubel warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Du willst das jemand anderem überlassen?“ „Sie ist vertrauenswürdig, glaub mir.“ Fragend zog ich eine Augenbraue in die Höhe, doch das ließ ihn nur grinsen. „Wo ist er?“ „Der Dolch?“ vergewisserte ich mich. Er nickte zur Antwort. Ich stieß mich vom Bett ab und lief zu meinem Schreibtisch. „Ernsthaft?“ kommentierte er, als ich die Schublade öffnete. Ich lächelte nur schelmisch. „Versuch ihn an dich zu nehmen.“ Skeptisch sah er erst zu mir, dann zur Schublade, in der der Dolch lag. „Was passiert dann?“ Yubel stieß ein amüsiertes Glucksen aus, was Jesse nur noch mehr zu verunsichern schien. Bevor er auf die Idee kam, tatsächlich nach dem Dolch zu greifen, betätigte ich einen kleinen Schalter an der Unterseite der Schublade. „Du würdest die nächsten paar Minuten zuckend am Boden liegen. Außerdem würde ich gewarnt werden, sollte der Mechanismus aktiviert worden sein.“ „Seit wann hast du sowas?“ „Erinnerst du dich noch an den kleinen Freund von Yusei?“ „Der mit den bunten Haaren? Dunkel, ja.“ „Sein Großvater ist ein begnadeter Bastler, wird in der Stadt jedoch dafür belächelt. Allerdings sind nicht all seine Erfindungen zum Scheitern verurteilt. Das hier ist der Beweis.“ „Wie bist du darauf gekommen, wenn er in der Stadt belächelt wird?“ Ich lächelte, griff nach dem Dolch und wog ihn in meinen Händen. „Yusei hat mir vor einigen Monaten ganz begeistert von Salomons Werkstatt erzählt. Sein Freund hatte ihn zum Abendessen eingeladen, da hat er sich alles ansehen können.“ Doch mein Lächeln erstarb, als ich daran dachte, dass ich ihn in wenigen Tagen verlieren könnte. Jesses Plan war gut, keine Frage, aber uns fehlte die Zeit. „Was, wenn es Ares war?“ holte mich Yubels Stimme aus meinen Gedanken. Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, was sie meinte, aber Jesse war schneller. „Nein“ seufzte er, sah Yubel durchdringend an. „Mein Onkel mag nicht der umgänglichste Zeitgenosse sein, aber er ist kein Mörder.“ „Ich muss Jesse zustimmen. Wir sollten das als zwei separate Fälle behandeln.“ „Ich würde es nicht gänzlich ausschließen.“ „Aber schieß dich nicht auf ihn ein“ gab ich zu bedenken. „Ich will, dass du objektiv bleibst.“ „Schon klar, das werde ich. Ich sage nur, dass wir die Möglichkeit nicht ausschließen sollten.“ Ich nickte, wandte mich an Jesse. „Weißt du in etwa, wie lange du für die Fälschung brauchen wirst?“ „Ein paar Stunden.“ „Beeil dich“ sagte ich, drückte ihm den Dolch in die Hand. „Und pass auf, dass dich niemand damit sieht.“ „Keine Angst. Soll ich trotzdem mit Valon reden?“ Ich sah zu Yubel. „Es wäre besser, du würdest das übernehmen. Immerhin habt ihr auf dem Schlachtfeld gekämpft, das schweißt zusammen.“ „Wo ich dabei bin, kann ich Crowler und Drake einheizen.“ „Nein, lass es. Das wird nichts bringen.“ „Schön, wie Ihr wollt“ sagte sie, zuckte mit den Schultern. ~*~ Nervös betrachtete ich den Dolch in meiner Hand. Das Pergament, das Jesse hatte fälschen lassen, sah perfekt aus. Die Koordinaten würden den Mörder auf eine kleine Ebene im Erithgebirge führen. Die Eisenkugel war zurück an ihrem Platz, niemandem würde auffallen, dass sie einen Mechanismus ausgelöst hatte. Aber es bereitete mir Bauchschmerzen, an wen ich den Dolch nach Lymans Tod aushändigen sollte. Ich seufzte und steckte den Dolch ein, dann klopfte ich dezent an die schwere Holztür. Einen Augenblick später wurde sie geöffnet und der altbekannte Duft nach Kräutern und Ölen wehte mir entgegen. Überrascht blinzelte Madame Tredwell mich an, ehe sie sich knapp verbeugte. „Was kann ich für Euch tun, mein König?“ „Habt Ihr einen Augenblick?“ „Für Euch immer“ erwiderte sie mit einem Schmunzeln und trat beiseite, damit ich eintreten konnte. Plötzlich kam mir der Plan doch zu riskant vor. Das letzte was ich wollte war, dass auch Madame Tredwell angegriffen werden könnte. Und alles nur wegen dieses verfluchten Dolches. „Welches Anliegen führt Euch zu mir?“ holte mich ihre Stimme aus meinen Überlegungen. „Es geht um Lyman.“ Augenblicklich meinte ich Schmerz in ihrem Gesicht zu lesen. „Gibt es etwas Neues zu seinem Tod?“ fragte sie vorsichtig. „Nein, leider nicht. Allerdings habe ich erfahren, dass er Euch den hier hinterlassen wollte.“ Mit diesen Worten holte ich den reichlich verzierten Dolch heraus und reichte ihn ihr. Überrascht betrachtete sie ihn. Nahm ihn behutsam, als wäre es ein wertvoller Schatz, an sich. „Mir?“ fragte sie verwundert. Lächelte aber. „Aber ich verstehe nicht. Warum jetzt?“ „Wir haben angenommen, dass er in dem Fall eine wichtige Rolle spielen würde. Schließlich hatte Bakura ihn bei sich, als wir ihn schnappen konnten. Aber es ist nur ein gewöhnlicher Dolch, und Lyman wollte, dass Ihr ihn erhaltet.“ Ein warmes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, während sie den Dolch noch immer betrachtete. „Dieser Dolch ist vieles, aber sicher nicht gewöhnlich.“ Überrascht betrachtete ich sie. Weiß sie etwa von dem Mechanismus? „Wie meint Ihr das?“ fragte ich vorsichtig. Ballte unwillkürlich meine Hand zur Faust. „Er ist seit Jahrtausenden im Besitz seiner Familie. In diesem, für manche unbedeutend wirkenden, Metall steckt so viel Geschichte.“ Schnell entspannte ich mich wieder. So meinte sie das also. „Seht Ihr diese Kerbe hier?“ fragte sie und deutete auf eine winzige Unebenheit nahe des Stoßleders. „Lyman hat mir mal erzählt, dass das am Anfang des ersten Krieges passiert ist. Als die Schutzgeister in unsere Welt kamen. Sein Vorfahr hat sich vom Rücken seines Drachen aus auf einen besessenen Dämon gestürzt und ihn enthauptet. Dabei wurde das Stoßleder beschädigt.“ Ein kleines Schmunzeln schlich sich in mein Gesicht. Enthauptet mit einem Dolch? Das war sicher nur eine Legende seiner Vorfahren. „Ihr glaubt mir nicht“ bemerkte sie belustigt. „Ich kann es mir nur schwer vorstellen“ gab ich zu. Ein kleines Lachen entwich ihr. „In Legenden, so unglaublich sie zu sein scheinen, steckt immer auch ein bisschen Wahrheit… Das hat Lyman immer gesagt.“ Ich seufzte lautlos, nickte. Ja, das klang nach ihm. „Es tut mir leid, dass Ihr ihn so sehen musstet.“ „Ihr ebenfalls“ erwiderte sie traurig. „Aber ich versuche ihn so wie er war in Erinnerung zu behalten. Die Geschichte lehrt uns, dass schreckliche Dinge immer wieder passieren. Aber ich werde nach vorn sehen und die Zeit mit ihm wie einen Schatz in meinen Erinnerungen aufbewahren.“ Den Dolch drückte sie an ihre Brust, mit der anderen hielt sie sich den Bauch. Tränen standen in ihren Augen, die sie verbissen zurückhielt. Die Wunden waren noch immer frisch. Vor allem sie litt unter dem Verlust unseres alten Freundes. „Das würde ihn sicher glücklich machen“ erwiderte ich. Sie nickte, schluckte die aufkommenden Tränen herunter. „Ich danke Euch.“ Doch ich wehrte ab. „Ich bin nur seinem letzten Wunsch nachgekommen. Gebt gut auf ihn acht, und… sollte irgendwas damit passieren, gebt mir bitte Bescheid.“ „Wie meint Ihr das?“ „Lymans Mörder ist noch immer auf freiem Fuß. Wenn der Dolch widererwartend wichtig für ihn sein sollte, passt bitte auf Euch auf. Euch auch zu verlieren wäre ein großer Verlust für unser Land. Die Waffe mag für Euch von Wert sein, aber bitte beschützt ihn nicht bis zum Tod.“ Sie nickte irritiert, betrachtete noch einmal ihren Schatz. Fuhr bedächtig über die kleinen Edelsteine. „Ich behalte es im Hinterkopf.“ ~*~ Am frühen Abend lief ich über den Platz zum Nebenkomplex, um mein Versprechen Yusei gegenüber einzulösen. Die tief stehende Sonne warf bereits lange Schatten über den Rasen. Ich atmete tief durch. Die Weichen waren gestellt. Als ich den Dolch mit den gefälschten Koordinaten zu Madame Tredwell gebracht hatte, war ich extra einen Umweg gegangen und hatte ihn gut sichtbar in meiner Hand. Es war also kein Geheimnis, dass er nun im Besitz unserer Hofzauberin war. Yubel hatte mit Valon gesprochen und Jesse mit Drake. Beide versicherten, dass sie darüber nachdenken würden, gegen den Antrag von Ares zu stimmen. Sicher war also noch immer nichts. Frustriert schritt ich durch den Eingang, der mir von den Wachen geöffnet wurde. Jetzt konnten wir nur abwarten, und das machte mich nervös. Überhaupt etwas unternommen zu haben, sollte mich beruhigen, machte das bedrückende Gefühl in meiner Brust aber nicht besser. Es war alles noch zu ungewiss. Kurz klopfte ich an der Tür, trat aber sogleich ein. Doch der Anblick, der sich mir bot, irritierte mich. Yusei saß mit freiem Oberkörper auf seinem Bett und lachte ausgelassen. Das allein löste ein wohliges Gefühl in mir aus, ließ mein Herz schneller schlagen und mich die Szenerie einfach nur beobachten. Ihm gegenüber, auf einem Stuhl, saß ein betagter Dämon und lächelte selig. Er hielt ein Tuch in der Hand und tupfte damit über Yuseis Schulter. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie gerötet war. Als Yusei mich bemerkte, erstarb sein schönes Lachen, doch noch immer sah er mich belustigt aus seinen warmen Augen an. Ein leichter Rotschimmer zierte seine Wangen. Irgendwie wirkte er ertappt. Auch der ältere Heiler sah mich an, verbeugte sich so tief, wie es ihm sein krummer Rücken erlaubte. „Guten Abend, mein König. Ich bin gleich fertig, dann gehört er ganz Euch.“ „Was ist passiert?“ fragte ich. Wenn Yusei so lachen konnte, war es sicher nicht schlimm, doch es irritierte mich, wie er sich hier drin verletzen konnte. Der Heiler lächelte wissend und zwinkerte Yusei unauffällig zu. Zumindest glaubte ich, dass er es vor mir verbergen wollte. Dann sah er mich an. „Euer Schützling wollte seine Magie trainieren, dabei gab es einen kleinen Zwischenfall. Es ist aber nichts Nennenswertes passiert, das Feuer hat ihn lediglich gestreift.“ „Feuer?“ vergewisserte ich mich irritiert. Yusei nickte. „Madame Tredwell sagte, dass die Begabung für jedes Element von Dämon zu Dämon unterschiedlich ist. Also wollte ich den einfachsten Zauber jedes Elements austesten, um zu sehen, wo meine Begabung liegt.“ „Lass mich raten: Feuerzauber sollten wir noch üben?“ hakte ich mit einem kleinen Schmunzeln nach. Der Heiler legte das Tuch in eine Schale Wasser auf dem Nachttisch, nahm stattdessen seinen Gehstock in die Hand und stand auf. Dabei hatte er immer noch dieses herzliche Lächeln im Gesicht, das mich an irgendetwas erinnerte. „Meiner bescheidenen Meinung nach, war es für den Anfang sehr gut. Er muss nur den Energiefluss richtig bündeln. Wenn Ihr mich entschuldigt, ich werde etwas Nachtschattenöl für seine Haut holen.“ Ich nickte, und machte dem alten Mann etwas Platz, sah ihm einen Augenblick hinterher. Ich kannte ihn, konnte ihn aber nicht einordnen. Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm ich Yusei gegenüber auf dem Stuhl Platz und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Worüber hast du so gelacht?“ wollte ich wissen. Dass es etwas mit dem verpatzten Zauber zu tun hatte, konnte ich mir nicht vorstellen. Wieder sah er mich ertappt an, grinste schief. „Versprecht mir bitte, dass er keinen Ärger dafür bekommt.“ Skeptisch betrachtete ich ihn, nickte aber. Also setzte er zu einer Erklärung an. „Wir haben uns über Euch unterhalten, da hat er mir eine Geschichte von früher erzählt… Als Ihr als Kind in der Schlossküche wart, und eine Pastete zubereiten wolltet.“ Ich schnaufte belustigt und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. Daher kam mir der Alte so bekannt vor. Er war damals der Küchenchef. „Ich erinnere mich. Alle waren begeistert vom kleinen Prinzen, der seinem Vater selbst etwas zubereiten wollte, und haben mich in höchsten Tönen gelobt. Nur er hat mir die Wahrheit gesagt, dass meine Pastete furchtbar schmeckte, und dafür war ich ihm im Nachhinein dankbar.“ Yusei versuchte erfolglos ein leises Lachen zu unterdrücken, doch es ließ mich unwillkürlich schmunzeln. In letzter Zeit war dieser Anblick viel zu selten gewesen. „Es tut mir leid, aber ich kann mir Euch in einer Küche nicht vorstellen.“ Ich neigte meinen Kopf zur Tür. In diesem Moment trat der alte Mann ein. Mein Lächeln wurde breiter. „Nachdem er mir gezeigt hatte, wie es ging, schmeckte sie nicht übel. Aber seitdem habe ich die Küche nicht mehr betreten.“ „Auf das Ergebnis konntet Ihr stolz sein, mein König“ erwiderte er belustigt und kam mit einem kleinen Tontopf näher. „Es war bedeutend besser als Euer erster Versuch.“ Das war auch nicht schwer. Nachdem ich sie selbst probiert hatte, musste ich tatsächlich zugeben, dass sie furchtbar schmeckte. Yusei ging auf ihn zu, und nahm ihm das Gefäß aus den Händen, damit er sich besser auf seinem Stock abstützen konnte. „Warum wolltet Ihr sie eigentlich selbst zubereiten?“ fragte er dabei interessiert. „Zur Feier der hundertjährigen Herrschaft meines Vaters. Es sollte eine Überraschung werden.“ „Oh, und die ist Euch gelungen. Ich sehe Euren Vater heute noch mit diesem fröhlichen Gesicht vor mir.“ Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen. Er hatte recht. Es war eine wirklich schöne Erinnerung an ihn. „Ich erledige den Rest.“ „Sehr wohl“ erwiderte er und verbeugte sich knapp. Als wir wieder allein waren, zog ich Yusei an seinem unverletzten Arm sanft zu mir. Perplex ließ er es geschehen und landete auf meinem Schoß. Dabei nahmen seine Wangen wieder diese herrliche rot Nuance an. Meine Hand ruhte auf seiner Hüfte, um ihn zu stützen, meine andere legte ich an sein Kinn und konnte ein kleines Grinsen nicht unterdrücken. „Ist dir das unangenehm?“ fragte ich leise. Sanft strichen meine Finger über seinen Hals, was ihn erschaudern ließ. Ich spürte seinen aufgeregten Herzschlag. „Nein“ flüsterte er. Kam mir dabei langsam näher und legte seine Lippen auf meine. Zu gern erwiderte ich diesen unschuldigen Kuss, war gleichzeitig überrascht, dass er selbst die Initiative dazu ergriff. Doch bevor ich mich ganz darin verlor, löste ich ihn von mir. Enttäuschung meinte ich in seinem Gesicht zu lesen. Ein wenig amüsierte es mich. „Zuerst kümmern wir uns um deine Schulter“ sagte ich und nahm den Tontopf aus seinen Händen. Ich benetzte meine Finger mit dem kühlenden Öl und trug es vorsichtig auf. Kurz zuckte er bei der Berührung zusammen, entspannte sich aber schnell wieder. Ein erleichtertes Seufzen war zu hören. Die gerötete Haut war warm und trocken. „Morgen sollte nichts mehr zu sehen sein. Aber warte mit deinem Training bitte, bis Madame Tredwell sich wieder um deine Ausbildung kümmert. Dieses Zimmer ist denkbar ungeeignet für solche Experimente.“ „Es tut mir leid“ murmelte er und senkte den Blick. Ich stellte das Gefäß auf den kleinen Nachttisch neben die Wasserschale, ließ den Deckel unbeachtet daneben liegen. Dann hob ich sein Gesicht am Kinn zu mir. „Muss es nicht. Ich kann mir vorstellen, dass dir hier drin schnell langweilig wird, aber ich will nicht, dass dir etwas passiert.“ Er nickte scheu, schenkte mir ein kleines Lächeln, das mich meinen Herzschlag etwas mehr spüren ließ. „Verstehe. Ich verspreche es.“ „Das wollte ich hören“ sagte ich zufrieden. „Hattest du bis auf dein kleines Feuerdebakel Erfolg?“ „Hm. Das Einzige, was ich wirklich kontrollieren konnte, war ein Lichtzauber. Bei den übrigen Elementen habe ich Schwierigkeiten die Energie zu bündeln. Entweder nimmt sie überhand, wie bei Feuer und Wasser, oder sie zerstreut sich diffus und ich kann den Zauber gar nicht wirken.“ Ich schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, um seine Enttäuschung zu mildern. „Darauf lässt sich aufbauen. Der alte Mann hatte recht. Für deinen ersten Versuch hast du dich sehr gut geschlagen. Und das allein. Du kannst stolz auf dich sein.“ Wieder ein Nicken. Ein seliger Ausdruck lag in seinem Gesicht. „Danke.“ Ich führte sein Gesicht zu mir, um seine Lippen erneut für mich einzunehmen. Schon als ihn habe lachen hören, als ich das Zimmer betreten hatte, war mein Vorsatz ihn auf Abstand zu halten verflogen. Vielleicht wäre es besser gewesen, doch ich konnte nicht. Spätestens als er sich zufrieden seufzend an mich schmiegte, war es um mich geschehen. Er hatte mich voll und ganz um den Finger gewickelt, und ich konnte nicht sagen, wie lange ich schon so für ihn fühlte. Ich wollte nur, dass es nie verging. Kapitel 28: Intime Zweisamkeit ------------------------------ Langsam senkte sich die Sonne hinter dem Horizont und tauchte das Land in Schatten. Einzig das Licht der wenigen Kerzen tauchte den Raum in warme Farben. Sanft strichen meine Hände über die warme Haut an seinem Rücken, während seine auf meiner Brust verweilten. Ich spürte seine Hitze durch den Stoff meines Hemdes. Als ich mit der Zunge über seine bebende Unterlippe strich, öffnete er seinen Mund und ich genoss diese innige Zweisamkeit in vollen Zügen. Genoss seinen Duft. Erdig und irgendwie süß. Es war schwer zu beschreiben, aber ich wollte diesen Duft nie wieder missen. Wollte das Gefühl seiner weichen Lippen nie wieder missen. Ich wollte mehr, scheute mich allerdings davor zu weit zu gehen, aus Angst ihn zu verschrecken. Deswegen tastete ich mich langsam vor, strich auf beiden Seiten über seine Hüfte, und erhöhte den Druck über seine Flanken und zurück, was ihn leise keuchen ließ. Mit den Fingern strich ich hauchzart über seine Haut, immer am Bund seiner dünnen Stoffhose entlang, meine andere fuhr über seinen Bauch bis zu seiner Brust, streifte dort die Brustwarzen, die sich bereits aufgestellt hatten. Seine Atmung wurde immer schneller, sein Herz schlug wilder. Spannend, welche Wirkung solch kleine Berührungen bei ihm hatten. Auch er blieb nicht mehr untätig, öffnete zögerlich den Verschluss meines Umhangs und schob ihn von meinen Schultern. Eine Hand ließ er in meinem Nacken, die andere erkundete meinen Brustkorb. Noch einmal strich ich über seine Flanken, schob meine Hände ein kleines Stück unter den Stoff seiner Hose. Wieder ein Keuchen, doch er zuckte nicht zurück, also wagte ich mich weiter vor, schob eine Hand tiefer und wanderte zu seinem Hintern. Knetete die feste Muskulatur, während meine andere Hand über seine Lenden strich. Plötzlich löste er den Kuss und schnappte nach Luft, wehrte sich aber nicht gegen meine Berührungen. Also küsste ich mich auf seiner unverletzten Seite über seinen Hals, strich mit der Zunge über warme Haut und genoss den Schauer, den ich ihm damit durch den Körper jagte. Immer tiefer wanderten meine Finger über seine Lenden, schoben den Stoff nach und nach zurück, bis er plötzlich zusammenzuckte und seine Hand in meinem Haar halt suchte. Sein unterdrücktes Stöhnen überzog meinen Körper mit einer Gänsehaut. Es war erschreckend, welche Wirkung er auf mich hatte. Auf seinem Schlüsselbein saugte ich mich fest, biss hinein und hinterließ damit ein dunkles Mal. Wieder stöhnte er unterdrückt und schob seine eigene Hand unter den Stoff meines Hemdes. Seine Finger tasteten sich vorsichtig voran, jagten mir damit kleine Schauer durch meinen Körper. Erst recht als er damit begann, an meinen empfindlichen Brustwarzen zu spielen, und mir ein Keuchen entlockte. In einer fließenden Bewegung legte ich beide Hände auf seinen nackten Hintern, packte beherzt zu und zog ihn fest an mich, was ihn erschrocken keuchen ließ. Dabei ließ ich die Hose über seine Hüfte gleiten, sodass seine Erregung unter dem Bund spannte. Aus verklärten Augen sah er mich an, sein Atem beschleunigt, genau wie mein rasendes Herz. Er stahl sich noch einmal einen Kuss, schob dabei den Stoff meines Hemdes nach oben. Ungeduldig half ich ihm dabei und streifte es ab, warf es neben mich, nur um seine Lippen erneut für mich einzunehmen. Doch lange konnte er den Kuss nicht aufrechterhalten und löste sich atemlos von mir. Langsam senkte er den Blick. Seine Hände wanderten bedächtig über meinen Oberkörper, jede Linie meiner Muskulatur, jede meiner kleinen Narben. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm lösen. Die aufgeregte Erregung in seinen Augen ließ mein Herz flattern. Für ihn schien alles neu zu sein. Er beugte sich nach vorn, um meinen Hals und meine Brust mit kleinen Küssen zu bedecken. Ich lehnte mich seufzend zurück und genoss seine Behandlung. Stützte ihn am Rücken, konnte es mir aber nicht nehmen lassen mit der anderen Hand über die feste Muskulatur seines Hinterns zu fahren. Es war faszinierend, wie perfekt er in meiner Hand lag. Ich brummte wohlig, als er mit der Zunge über meine Brustwarzen fuhr, dort kurz mit ihnen spielte, und schließlich hineinbiss. Doch keuchend löste er sich von mir. Irritiert blickte ich zu ihm, da ich mir den erregten Laut nicht erklären konnte, bis ich es erkannte. Seine Hose war durch seine Bewegung weiter abgerutscht und hatte sein Glied freigelegt. Ich fuhr mit der Hand über seinen Innenschenkel, über die Lenden und genoss dabei seinen schweren Atem. Das Zittern seiner Hüfte, weil ich ihn nicht direkt berührte. Und da waren sie wieder. Die strahlend blauen Augen, die mich aus dem erregten Gesicht ansahen, und mir selbst den Atem raubten. Eine stille Bitte funkelte in ihnen. Erneut legte ich meine Lippen auf seine, während er seine Arme um meinen Hals schlang. An der Hüfte zog ich ihn näher zu mir, strich federleicht über seine Lenden, ohne seine Erregung dabei zu berühren. Doch als er zögerlich damit begann sein Becken zu bewegen und damit Druck auf meiner eigenen Härte ausübte, war es um mich geschehen. Ich brummte wohlig in den Kuss hinein, fuhr von der Wurzel über seinen Schaft und begann damit, ihn bestimmt zu streicheln. Plötzlich lösten sich seine Lippen von mir, ein ersticktes Stöhnen verließ seinen Mund, während er den Kopf in den Nacken legte. Ich konnte meine Augen nicht von ihm abwenden, sah zu wie seine Lust sich mit jeder meiner Handbewegungen steigerte, während er versuchte sich jeden Laut zu verkneifen. Nur ein angestrengtes Keuchen verließ seine Kehle. Unter anderen Umständen hätte ich ihm gesagt, er solle sich nicht zurückhalten. Ich wollte hören, wie es ihm gefiel, nur leider war das ein schlechter Ort dafür. Uns musste nur ein Heiler hören, der dem Geräusch auf den Grund gehen würde, und Yusei würde vermutlich vor Scham im Boden versinken. Es war erstaunlich, dass er sich in diesem Moment überhaupt so gehen ließ, und ich wollte nicht, dass es aufhörte. Ich erhöhte den Druck auf sein Glied, pumpte damit mehr Lust in seine Lenden, und beobachtete fasziniert, wie er sich in seiner Erregung wand. Seine Bewegungen schürten auch in mir die Lust und ich genoss den Anblick, den er mir bot. „Haou…“ Mein geraunter Name wurde beinahe zu einem Stöhnen, hätte er sich nicht im letzten Moment auf die Lippe gebissen. Ich schluckte trocken, versuchte gar nicht erst mein wild schlagendes Herz beruhigen zu wollen. Mein Name aus seinem Mund, während er auf meinem Schoß in seiner Lust verging und mich dabei mit verklärten Augen und roten Wangen ansah. Es verschlug mir den Atem. Sanft legte er seine Hände an meine Wangen, lehnte seine Stirn an meine und sah mich mit einem intensiven Blick an, der mir einen Schauer durch den Körper jagte. Ich spürte seinen heißen Atem auf meiner Haut, nahm seinen Duft intensiv wahr. Mein Herz schien in meiner Brust zu zerspringen. Noch nie hatte ich etwas Derartiges gespürt. Es machte mir Angst, bescherte mir aber auch ein unfassbares Glücksgefühl. Langsam legte er seine Lippen auf meine. Sein Kuss war zärtlich, ohne Forderung und ließ mich die Welt um mich herum vergessen. Meine Finger strichen seine Wirbelsäule hinauf, und an den Flanken wieder nach unten. Suchten sich ihren Weg zu dem wohlgeformten Hintern, während meine andere Hand bestimmt über sein Glied fuhr und ihm ein Keuchen entlockte. Diesen Moment nutzte ich, um den Kuss zu intensivieren. Erneut schlang er seine Arme um mich und ich warf einen kurzen Seitenblick zum Nachttisch. Dort stand noch immer das offene Tongefäß. Ob ich diesen Schritt schon gehen konnte? So anschmiegsam wie er im Moment war, wollte ich es wagen, also benetzte ich meine Finger mit dem Öl und strich mit dem Handrücken über seinen Hintern. Zog die Backen etwas auseinander und fuhr mit den Fingern den Pfad entlang. Als ich seinen Eingang berührte, löste er sich von mir und sah mich überrascht an. Prüfend betrachtete ich seine Augen, doch es steckte keine Furcht in ihnen. Also löste ich meine Hand von seinem Glied und strich eine Strähne aus seinem Gesicht, sah ihn mit einem warmen Lächeln an. „Verstraust du mir?“ flüsterte ich. Er lehnte sich gegen die Berührung meiner Hand an seiner Wange und sein warmer Blick schien mich zu durchdringen. „Ja.“ Die Überzeugung, mit der er dieses kleine Wort sagte, berührte mich. Mit dem Daumen strich ich über seine weichen Lippen, führte sein Gesicht zu mir. Kurz bevor sich unsere Lippen berühren konnten, ließ ich meine Hand von seiner Wange über seinen Oberkörper wandern. „Dann entspann dich“ hauchte ich und küsste ihn. Sanft strich ich über sein Glied, ließ meinen Daumen über seine Spitze kreisen. Erst, als er sich meinen Berührungen ganz hingab, begann ich damit, seinen Eingang zu massieren. Plötzlich wurde sein Kuss fordernder, sein Becken bewegte sich leicht. Es begann ihm wohl schneller zu gefallen, als ich angenommen hatte. Ich erhöhte den Druck um sein Glied, spielte intensiver mit seiner Spitze und genoss seine erregten Laute. Als er mir abgelenkt genug erschien, führte ich meinen Finger in ihn ein. Einen Moment versteifte er sich, gab sich aber schnell wieder den Berührungen an seinem Glied hin und verstärkte das erregende Gefühl durch die Bewegungen seines Beckens für uns beide, sodass ich damit begann, meinen Finger in ihm zu bewegen. Dieses Mal zögerte er nur kurz, ehe er den Kuss intensivierte und sich mir vollends hingab. Sein Vertrauen legte sich wie eine warme Welle über mein Herz. Plötzlich löste er sich von mir und stöhnte, hielt sich aber schnell die Hand davor, um das Geräusch zu dämpfen. Ich schmunzelte. Anscheinend hatte ich den richtigen Punkt getroffen. Immer flacher wurde sein Atem, sein Gesicht versteckte er in meiner Halsbeuge. Die erregten Laute, und sein heißer Atem überzogen meinen Körper mit einer Gänsehaut. Erneut bäumte er sich auf, biss sich auf die Lippe, um sein Stöhnen zu ersticken, und suchte Halt in meinem Haar. Dabei sah ich dem Spiel seiner Muskeln zu, wie sie sich im Kerzenlicht verspannten, während er sich in seiner Erregung wand. Schwer atmend sah er mich an, versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Gerade als er dazu ansetzte zu sprechen, flutete eine neue Welle der Erregung seinen Körper, doch es fiel ihm immer schwerer, sein Stöhnen zu unterdrücken. Sehr viel länger schien er es nicht mehr auszuhalten. „Haou… Ich…“ setzte er an, presste sein Gesicht aber wieder gegen meine Halsbeuge und stöhnte unterdrückt. Ich führte einen zweiten Finger ein, dann einen dritten. Seinen Anblick, wie er sich im warmen Licht verführerisch keuchend auf meinem Schoß räkelte, und mich dabei verklärt ansah, wollte ich in meinem Gedächtnis abspeichern. Immer härter pumpte ich seine Erregung, stieß mit meinen Fingern tief in die feuchte Enge und entlockte ihm damit mehr dieser berauschenden Laute. Ein letztes Mal streckte er den Rücken durch, biss sich auf die Lippe, um den Laut zu dämpfen und ergoss sich in meiner Hand. Seine Lust spritzte mir bis zum Schlüsselbein, pumpte mehrmals nach. Erschöpft ließ er seinen Kopf auf meine Schulter fallen, atmete stoßweise. Sein gesamter Körper zitterte. Neugierig pumpte ich seine Erregung langsam weiter, massierte dabei sein Innerstes. Ein Zucken ging durch seinen Körper und ich spürte, wie sich neue Lust in seinem Glied sammelte. Ein Grinsen legte sich auf meine Lippen. Interessant. Es würde wenig Mühe kosten, seine Erregung wieder stehen zu lassen. Doch so erschöpft wie er in meinen Armen lag, wollte ich ihm eine Pause gönnen. Also entfernte ich meine Finger aus seinem bebenden Körper und schlang meine Arme um ihn. Drückte ihn sanft an mich. Seltsam. Obwohl ich selbst nicht zum Höhepunkt gekommen war, fühlte ich mich auf eigenartige Weise befriedigt. Beruhigend strich ich durch sein Haar und lauschte seinem immer ruhiger werdenden Atem. Ein leises Seufzen kam über mich. Wäre die Situation eine andere, würde ich bei ihm bleiben. Doch es würde nur Gerede geben. Gerüchte bauschten sich schnell auf und verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Im dümmsten Fall würde es Yusei schaden, und das konnte ich nicht riskieren. Gerade jetzt nicht. Ihn allerdings jetzt allein zu lassen, wo er vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben von einem wirklichen Orgasmus runterkam, erschien mir falsch. Im Moment sehnte er sich vermutlich ebenso nach Nähe und Geborgenheit, so wie er sich an mich schmiegte. Noch so etwas, was ich an mir selbst nicht kannte. Selbst wenn es keine schlechte Idee gewesen wäre einfach zu gehen, wollte ich es nicht. Ich wollte bei ihm bleiben, ihn in meiner Nähe haben. Es war zum Haare raufen. Was stimmt nicht mit mir? Ist das nur die Angst um die Ungewissheit seiner Zukunft? Ja, das muss es sein. „Ihr müsst gehen, oder?“ murmelte er erschöpft und riss mich damit aus meinen Gedanken. Tief atmete ich durch, streichelte dabei über seinen Rücken, während er sich gerade so weit von mir löste, um mich ansehen zu können. Ich strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht, und sah ihn im tanzenden Licht der Flammen an. „Es tut mir leid“ sagte ich leise, doch er schüttelte nur dezent den Kopf und schob sich höher, um sich einen Kuss zu stehlen. Als er sich von mir löste, lag ein kleines Lächeln auf seinen Lippen. „Ihr seid der König. Ich weiß, dass Ihr wichtigeres zu tun habt, als bei mir zu sein.“ Wieder seufzte ich lautlos, fuhr zärtlich über seine Wange. Mein Kopf gab ihm recht, mein Herz protestierte. „Du glaubst nicht, wie gern ich bei dir bleiben würde“ hörte ich mich plötzlich sagen. Das zauberte ihm wieder diesen herrlichen Schimmer auf die Wangen. Kurz sah ich neben mich und griff mir das feuchte Tuch in der Schale. Das klebrige Gefühl auf meinem Brustkorb war langsam unangenehm, und sicher erging es ihm nicht anders. Als ich wieder zu ihm sah, war sein Gesicht knallrot. Aus großen Augen betrachtete er mich, fesselte mich mit seinem Blick. Das kühle Tuch benetzte seine Haut und ließ ihn zusammenzucken. Hastig sah er sich an was ich tat, legte seine Hand auf meine. „Das müsst Ihr nicht tun“ sagte er kleinlaut. „Ich will es aber“ erstickte ich seinen Protest im Keim und zog seinen Blick wieder auf mich. „Außerdem wird es mit der Zeit unangenehm, oder nicht?“ „Ähm, j- ja“ stotterte er, sah beschämt zur Seite, was mich schmunzeln ließ. Von seiner stürmischen Erregung war nichts mehr übrig, vielmehr wirkte er schüchtern, irgendwie verunsichert. Das war sicher alles neu für ihn, und er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Also hob ich sein Gesicht wieder zu mir und gab ihm einen sanften Kuss. Er seufzte erleichtert und schlang seine Arme um meinen Hals. Das gab mir genügend Platz, um auch die restlichen Spuren unseres gemeinsamen Abends zu beseitigen. Als ich fertig war, legte ich das Tuch in die Schale zurück und genoss noch einen Augenblick das Gefühl von Vertrautheit und Wärme, das er in mir auslöste. Doch auch wenn ich bleiben wollte, der Moment des Abschieds war gekommen. Noch war es kein endgültiger, und ich musste verhindern, dass es so werden würde. So löste ich mich wieder von ihm, betrachtete ihn sorgenvoll. Wenn ich es nicht schaffen sollte, würde es mir das Herz rausreißen. Widerwillig schob ich ihn von meinem Schoß und zog mich an. Als ich fertig war, legte ich meine Hand an sein Kinn, gab ihm einen letzten Kuss. Und seufzte. Mein Blick fiel auf sein Schlüsselbein, und das dunkle Mal, das ich dort hinterlassen hatte. Zärtlich fuhr ich darüber. Wenn es doch nur ausreichen würde, um zu markieren, dass er zu mir gehört. Aber bald würde es verblassen. Ich stockte. Moment… Eine absurde Idee entstand in meinem Geist, nahm immer mehr Gestalt an. Es wäre riskant, gefährlich und kurzsichtig. Es war eine dumme Idee. Aber eine Idee, die Yusei retten könnte. Und vor allem war es die Einzige, die vermutlich funktionieren würde. „Ist alles in Ordnung?“ Ich schreckte hoch, brauchte einen Augenblick, um mich zu sammeln. Yusei betrachtete mich verunsichert. Sorge war in den strahlend blauen Augen zu erkennen, und je länger ich sie betrachtete, umso sicherer war ich mir, dass es das Risiko wert ist. Ich schenkte ihm ein warmes Lächeln, hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Bis morgen“ versprach ich und löste mich endgültig von ihm. Kapitel 29: Das kleine Stück Freiheit ------------------------------------- Die Zeit verging, in der ich mich die meiste Zeit mit meinen Büchern ablenkte. Seit gestern besaß ich auch eines über das Training von Aldurias. Kleine, echsenartige Lebewesen mit einer hohen Intelligenz, die von Spähern eingesetzt werden, um Feinde unauffällig auszuschalten oder Schlösser zu überwinden. Es gab unzählige verschiedene Zeichen, mit denen man den schwarzen Wesen komplexe Anweisungen geben konnte. Jesse hatte es mir überreicht, da ich meine Ausbildung bald beginnen sollte. Unkonzentriert klappte ich das Buch zu und sah in den weiten Himmel. Nur wenige Wolken unterbrachen das unendliche Blau. Einen Moment schloss ich die Augen und genoss das warme Gefühl der Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Auf dem Fenstersims wurde es zwar schnell unbequem, doch ich hatte hier nicht mehr das Gefühl eingesperrt zu sein. Langsam wurde mir dieses Zimmer zu viel, aber morgen würde ich endlich hier rauskommen. Die Frage war nur, ob ich in Freiheit oder auf dem Weg in mein neues Gefängnis sein werde. Ich schüttelte den Gedanken ab. Haou hatte mir versichert, dass alles gut werden würde. So wie er es ausgedrückt hatte, würde er die Abstimmung gewinnen und dieser Spuk hatte endlich ein Ende. Zwar war der Mörder von Meister Lyman noch immer nicht gefasst, aber es waren genug Meister im Rat auf unserer Seite. Allerdings war ich mir unsicher, ob es wirklich der Wahrheit entsprach, oder ob er mir das erzählte, um mir keine Angst zu machen. Ein dezentes Klopfen riss mich aus meinen Gedanken und ich sah zur Tür. Fonda kam freudestrahlend auf mich zu. „Hast du dein Frühstück beendet?“ fragte sie gut gelaunt. Skeptisch betrachtete ich sie. Irgendwas war da im Busch. „Ja, wieso?“ „Der König hat eine Überraschung für dich.“ „Haou?“ Augenblicklich schlug mir mein Herz bis zum Hals und ich stand auf. Das ließ sie leise lachen. „Er ist unten. Komm mit.“ „Ich darf hier raus?“ vergewisserte ich mich. Sie nickte, wandte sich um, doch stoppte in ihrer Bewegung. „Ach, bevor ich es vergesse: Du sollst deine Rüstung anlegen.“ „Meine Rüstung? Aber wozu?“ Doch sie deutete nur auf die Kommode und lächelte dabei wissend. Während wir durch die Gänge des Nebenkomplexes liefen, wurde ich immer aufgeregter. An der frischen Luft, weit abseits der engen Räume, war ich seit meiner Schwertkampfprüfung nicht mehr. Fonda nickte einer Wache zu, die die schwere Tür für uns öffnete. Die ersten Strahlen, die mir ins Gesicht schienen, blendeten mich, und bevor ich mich versah, spürte ich nicht mehr den harten Stein unter meinen Stiefeln, sondern weiches Gras. Eine seichte Brise umspielte meinen Körper und ließ mich unwillkürlich lächeln. Und dann sah ich ihn. Haou stand wie immer in seiner Königsrobe vor mir, sein Umhang bewegte sich leicht im Wind. Eine Strähne fiel ihm ins Gesicht. Ein außenstehender würde meinen, er sah ernst aus. Distanziert und ohne die Spur eines Lächelns. Doch ich erkannte den warmen Ausdruck in seinen Augen und wusste, dass er mir galt. Mein Herz hüpfte bei dem Gedanken ihn zu küssen, hatte er mich in den letzten Tagen doch immer so begrüßt. Aber er hatte ausdrücklich gesagt, dass ich mich ihm gegenüber in der Öffentlichkeit verhalten soll wie früher. Also schluckte ich den Drang herunter und schritt auf ihn zu. Erst jetzt fiel mir auf, dass Yubel nicht an seiner Seite war. Stattdessen stand Meister Ares neben ihm. „Du kannst gehen, Danke“ richtete sich Haou an Fonda. Sie verbeugte sich und kam seinem Befehl nach. Erst als sie weg war, waren die goldenen Augen wieder auf mich gerichtet. Auch Meister Ares musterte mich von oben bis unten. „Ihr wolltet mich sehen?“ fragte ich zögerlich, um meine Nervosität zu unterdrücken. Ich wusste noch immer nicht, was das ganze sollte, schließlich wurde mir aufgetragen in meinem Behandlungszimmer zu bleiben, bis die Abstimmung entschieden wäre. Nun huschte doch für einen kleinen Augenblick ein Schmunzeln über Haous Lippen. „Wir haben uns dazu entschieden, dass es für deinen Drachen das Beste wäre, wenn er etwas Bewegung bekommt.“ Überrascht blinzelte ich ihn an, warf einen Seitenblick zu Meister Ares. „Ich verstehe nicht ganz“ gab ich zu und betrachtete Haou fragend. „Vor wenigen Tagen ist dein Schutzgeist ausgebrochen“ schaltete sich Meister Ares ein. „Damit das nicht noch einmal vorkommt, war unser König der Überzeugung, dein Drache bräuchte einen kontrollierten Ausgang, ohne das Volk zu verschrecken.“ Mein Herz machte einen Satz, aufgeregt sah ich wieder zu Haou. Heißt das wirklich das, was ich denke? Der Ausdruck in seinen Augen wurde liebevoll und er nickte. „Ein Tag sollte erst einmal reichen, um seinen Freiheitsdrang zu stillen, meinst du nicht?“ Mir stockte der Atem. Es dauerte einen Augenblick, bis ich es wirklich realisiert hatte. Plötzlich bildete sich ein Wirbel aus schimmernden Funken, aus dem Sternenstaubdrache erschien und ein freudiges Brüllen von sich gab. Ich lachte erleichtert, sah hoch zu meinem Drachen, der sich abwartend neben mich gestellt hatte. „Ich denke schon“ beantwortete ich Haous Frage und versuchte dabei dem Drang zu widerstehen, ihm um den Hals zu fallen. Mein Glück konnte ich kaum in Worte fassen. „Danke“ fügte ich schlicht an. Meister Ares war einen Schritt zurückgewichen, gesellte sich aber wieder an die Seite unseres Königs. „Unter einigen Bedingungen“ erinnerte er ihn. Haou rollte mit den Augen und fügte ernster an: „Bis Sonnenuntergang müsst ihr wieder hier sein, und euch vor großen Dämonenansammlungen fernhalten. Das Volk in der Stadt wurde vorgewarnt, aber einigen Dörfern im Umkreis würdet ihr einen riesigen Schrecken einjagen.“ „Verstanden“ sagte ich glücklich, wandte mich schnell zu Sternenstaubdrache, ehe Meister Ares es sich anders überlegen konnte. „Ach, und Yusei?“ Mit der Hand an meinem Drachen drehte ich mich wieder zu Haou um. Ein warmes Lächeln lag auf seinen Lippen. „Viel Spaß.“ Auch ich lächelte, nickte dabei. „Danke.“ Ungeduldig zuckten Sternenstaubdraches Flügel, als ich auf seinen Rücken kletterte. Kaum hatte ich in der kleinen Kuhle an seinem Nacken Platz genommen, breitete er seine mächtigen Schwingen aus und war mit einem Satz in der Luft. Erschrocken zog ich die Luft ein, hielt mich mit aller Kraft an einer Halszacke fest. Dabei sah ich meine Umgebung nur noch als Schemen an mir vorbeiziehen. Mit einem freudigen Brüllen schraubte er sich immer weiter in die Luft, bis er die Schwingen ausgebreitet ließ und in einen Gleitflug wechselte. Erst jetzt erlaubte ich es mir, richtig durchzuatmen. „Beim nächsten Mal bitte langsamer“ japste ich, versuchte meine zitternden Arme zu entspannen, die durch das Festklammern schmerzten. Doch mein Drache schnaufte nur amüsiert. Ich solle mich daran gewöhnen. Fasziniert blickte ich zu Boden, betrachtete, wie die Siedlungen Wäldern wichen, die von hier oben nur wie ein grünes Meer aussahen. Die Hauptstadt hatten wir während des rasanten Fluges schnell hinter uns gelassen. „Ich kann verstehen, warum dir das gefehlt hat“ sagte ich. Beobachtete einen Schwarm Vögel, die unweit von uns in Formation flogen und uns neugierig beäugten. So hoch oben waren wir wie in einer anderen Welt. Wieder ein bestätigendes Brüllen, die Vögel verließen einen Moment ihre Formation, zwitscherten beinahe wütend in unsere Richtung. Ein Lachen konnte ich mir nicht verkneifen. Sternenstaubdrache wechselte die Richtung, flog weiter gen Norden. Immer dichter wurde die Wolkendecke, so nah, dass man sie beinahe greifen konnte. Mein Drache flog höher, ich hob meinen Arm. Beobachtete fasziniert, wie die Wolken sich um meine Hand kräuselten, wie der Flugwind sie sanft aufwirbelte, und ich damit eine schmale Furche bilden konnte. Ohne Hektik glitt Sternenstaubdrache höher, durch die Wolkendecke, sodass ich seinen Kopf nur noch erahnen konnte, bis wir das weiße Meer schließlich durchbrachen. Das plötzliche Licht der Sonne blendete mich einen Augenblick, ehe ich mich staunend umsah. Ich hatte auf dem Nebelberg bereits auf die Wolkendecke blicken können, aber das hier war etwas vollkommen anderes. Weiter. Friedlicher. Dieser Anblick, der Wind in meinem Gesicht, das zufriedene Brummen meines Drachen… Es fühlte sich nach Freiheit an. Die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten und ich legte meine Hand sanft an den Hals von Sternenstaubdrache. „Wir sollten bald umkehren, wenn wir vor Sonnenaufgang wieder am Palast sein wollen.“ Er zog einen Bogen, wirbelte dabei den Schleier der Wolken mit einer seiner mächtigen Schwingen auf, und tauchte in selbigen ab, sodass ich nur noch meinen Drachen wahrnehmen konnte. Ich hörte das Geräusch der schlagenden Flügel, spürte die Bewegungen seiner Muskeln, die kleinen Wassertropfen, die sich auf meiner Haut sammelten. Eigentlich wollte ich noch nicht umkehren. Ein kleiner Zwischenstopp wäre sicher in der Zeit. Sternenstaubdrache brüllte freudig auf, ging in einen Sturzflug über und ließ mich nach Luft schnappen. Unter uns erkannte ich ein weites Waldgebiet. Einen großen See, dessen Oberfläche in der Sonne glitzerte. Mein Drache flog langsamer, hielt aber weiter auf den See zu. Warte… „Du willst doch nicht…“ Doch ehe ich die Frage stellen konnte, brüllte er bereits belustigt. Ich kniff die Augen zu, hörte einen Augenblick später das Platschen, spürte das kalte Nass, wie es mich umschloss. Zögerlich hob ich meine Lider, sah mich um. Nur gedämpft drang das Licht durch das Wasser, erhellte die Umgebung in seiner geisterhaften Stille. Der See war so klar, dass man den Boden bereits erahnen konnte. Eine Bewegung ließ mich Aufsehen. Eine Gestalt sah panisch zu uns, fuchtelte wild mit den Armen. Immer mehr Luftblasen stiegen auf, bis sie sich nicht mehr regte. Ertrinkt sie gerade? Sternenstaubdrache steuerte in ihre Richtung, sodass ich sie behutsam festhalten konnte, dann tauchte er wieder auf. Als wir die Wasseroberfläche durchbrachen, schnappte ich nach Luft, nahm ein par tiefe Atemzüge. Die Gestalt in meinen Armen war ein weiblicher Dämon. Sie rührte sich nicht. Besorgt versuchte ich sie wach zu rütteln, doch nichts geschah. Sie atmete nicht. In meinen Armen drehte ich sie auf den Bauch, klopfte vorsichtig auf ihren Rücken, bis sie schließlich einen Schwall Wasser abhustete. Erleichtert atmete ich auf, beobachtete Sternenstaubdrache dabei, wie er langsam Richtung Ufer glitt. Dort angekommen stieg ich ab, setzte die Dämonin vorsichtig ins Gras. Sie hustete noch immer, war aber wieder bei Bewusstsein. „Geht’s wieder?“ erkundigte ich mich. „Was war das?“ fragte sie erschöpft, hob dabei ihren Blick, doch erstarrte. Mit großen Augen sah sie an mir vorbei, zu meinem Drachen. In ihrem Blick lag eine Mischung aus Angst und Ehrfurcht. Langsam rutschte sie zurück, brachte so etwas Platz zwischen uns. „Sternenstaubdrache tut dir nichts“ versuchte ich sie zu beruhigen. Das ließ sie verwirrt zu mir sehen. Kurz sah sie zu meinem Drachen, dann wieder zu mir. „Ihr seid der Mensch, oder?“ Ich nickte. „Tut mir leid, wenn wir dich erschreckt haben.“ Sternenstaubdrache erhob sich und ging gemächlich etwas abseits, legte sich hin und brummte zufrieden. Seine Schwingen legte er in voller Pracht in das weiche Gras. Ich schmunzelte. Er wollte sich nach der kleinen Abkühlung wohl sonnen. Ein Murmeln ließ mich wieder zu der Dämonin sehen. Auch sie betrachtete meinen Drachen, sah aber nicht mehr so verkrampft aus. „Ist alles in Ordnung?“ „Was?“ fragte sie, sah mich überrascht an. „Achso, ja. Ich hab nur einen riesen Schreck bekommen. Wer konnte ahnen, dass ein Drache plötzlich in den See springt? Macht das bloß nie wieder, ich dachte mein Herz bleibt stehen!“ „Entschuldige.“ Doch sie winkte ab, sah verträumt zu meinem Freund. „Schon gut. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Ehre haben werde ihn zu sehen…“ Mit einem breiten Lächeln blickte sie wieder zu mir. „Dafür sollte ich Euch danken. Ich bin Carly.“ „Yusei“ antwortete ich verwundert. Was soll diese förmliche Anrede? Doch bevor ich fragen konnte, sah ich etwas durch die Büsche huschen. Carly folgte meinem Blick. „Kannst rauskommen“ rief sie, fuchtelte dabei mit ihren Händen. Irgendwoher kam mir die Bewegung bekannt vor. Im nächsten Moment fiel es mir ein. Jesses Buch. „Ein Alduria?“ fragte ich, als das Wesen auf Carly zu rannte. Sie nickte. „Das ist Rifton. Wir arbeiten schon ewig zusammen.“ „Dann bist du Späherin?“ „Ja, eine der besten. Zumindest hat das die ehrenwerte Yubel gesagt. Naja, nicht in diesem Wortlaut, Ihr wisst sicher, was ich meine. Schließlich kennt Ihr sie besser als ich.“ „Hm. Sag mal… Warum sprichst du mich so förmlich an?“ „Das gehört sich so, wenn man mit Hochrangigen spricht.“ „Ich weiß, aber ich bin nur ein Mensch. Ich stehe im Rang weit unter dir.“ Ihre schwarz untermalten Augen starrten mich überrascht an. „Nur ein Mensch? Ihr habt den höchsten Rang des Reiches. Mal abgesehen von König Haou.“ „Was?“ Sie nickte. „Dämonen, die eine Seelenbindung mit einem Drachen eingehen, stehen im Rang direkt unter der königlichen Familie. Wusstet Ihr das nicht?“ Ich soll was?! „Du musst dich irren. Das gilt vielleicht für Dämonen, aber nicht für mich. Und bitte hör mit der förmlichen Ansprache auf, das musst du nicht tun.“ „Wie Ihr meint. Ähm, ich meine ‚Wie du meinst‘…“ Den Blick richtete sie nach unten. Man konnte sehen, dass ihr die Umstellung unangenehm war. „Was habt- Ich meine, was wolltest du eigentlich im See, wenn ich fragen darf?“ Scheu sah sie mich an. Aber ich war ihr dankbar für den Themenwechsel, und so langsam sprach sie endlich normal mit mir. „Du meinst, bis auf das Erschrecken unschuldiger Dämonen?“ Sie gluckste belustigt. Nickte. „Sternenstaubdrache brauchte eine kleine Abkühlung. Aber was wolltest du hier draußen?“ So weit abseits von Siedlungen und Dörfern hatte ich niemanden erwartet. „Ä-ähm. Streng geheim!“ haspelte sie, stand hektisch auf und klopfte sich die Kleidung ab. „I-ich muss auch wieder. Es war mir eine Ehre Euch kennenzulernen. Ich meine dich! Ah!“ Bevor ich weiter nachfragen konnte, ging sie wieder in den See. Verwirrt sah ich ihr nach, bis sie verschwunden war. „Was war das denn?“ murmelte ich. Sternenstaubdrache nahm an, dass sie einen Auftrag hatte, aber was genau, konnten wir auch nur erraten. Kapitel 30: Abstimmung ---------------------- Ein seichter Wind wehte über den Platz, ließ das Gras anmutig tanzen. Ein Schwarm von Vögeln zwitscherte in unmittelbarer Nähe. Noch einmal atmete ich tief durch, betrachtete durch das Fenster die Stelle, an der sich Yuseis Zimmer befand. Der Kloß in meinem Hals schien mich zu ersticken. „Es ist soweit“ hörte ich die vertraute Stimme hinter mir. Lediglich ein knappes Nicken hatte ich dafür übrig. Lieber wollte ich über den Platz gehen und bei ihm sein. In diesem Moment nahm ich eine Bewegung wahr. Jemand setzte sich ans Fenster. Ich schmunzelte. Sicher hatte er sich wieder dorthin gesetzt, um zu lesen. Wenn die ganze Sache vorbei ist, sollte ich ihm einen eigenen Raum, nur für seine Bücher einrichten. Ein Druck auf meiner Schulter zwang mich wieder in die Realität. Ich seufzte und drehte mich zu Jesse. Nickte ihm entschlossen zu. Erst einmal mussten wir die Abstimmung hinter uns bringen. „Drake ist noch immer unschlüssig?“ fragte ich ihn leise. Er nickte. „Hoffentlich hatte Yubel mehr Glück bei Valon.“ „Ja, hoffen wir es.“ Die schweren Holztüren wurden geöffnet und wir traten ein. Ich nahm meinen Platz ein, Jesse stellte sich an meine Seite. „Wenn Ihr die Frage erlaubt, mein König: Was macht Meister Jesse hier?“ fragte Nate verwundert. „Bald wird er Mitglied des Rats sein. Es spricht nichts dagegen, wenn er dieser Abstimmung beiwohnt.“ Ares nahm ebenfalls seinen Platz ein, doch er schien nicht im Mindesten irritiert über die Anwesenheit seines Neffen. „Wird er auch eine Stimme haben?“ „Seid nicht albern, Meister Reiji“ sagte Ares. „Ich begrüße es sehr, dass er dieser Versammlung beiwohnt, doch abstimmen können nur Mitglieder des Rats, und noch ist das nicht der Fall.“ ‚Leider‘ fügte ich gedanklich dazu. Wenig später hatten auch die letzten Mitglieder des Rats Platz genommen, nur zwei der Stühle blieben frei. Ein Räuspern erklang, alle Augen waren auf Ares gerichtet. „Jetzt, wo alle anwesend sind-“ „Moment“ unterbrach ich ihn. „Meister Damian ist noch nicht eingetroffen.“ „Mein König, bei allem Respekt, aber die Schwere seiner Anklage erlaubt es ihm nicht, einer Abstimmung beizuwohnen.“ „Was?“ Irritiert betrachtete ich Meister Reiji. Doch er nickte nur knapp. Einen Seitenblick warf ich zu Jesse, der mich nur konfus ansah. „Er wurde nie verurteilt“ stellte ich klar. „Und er ist noch immer ein Mitglied des Rats. Und als solches wird er jeder Versammlung beiwohnen!“ „Gegen ihn steht ein Mordverdacht“ sagte Meister Reiji ernst. „Selbst wenn es nur ein kleiner Dieb war, der getötet wurde, war er ein wichtiger Zeuge. Meister Damian war derjenige, der den Trank gebraut und ihn verabreicht hat. Bis das aufgeklärt ist, darf er keiner Sitzung beiwohnen, bei der es um die Sicherheit unseres Reiches geht. So will es das Gesetz.“ „Hier geht es aber nicht um die Sicherheit unseres Reiches“ erwiderte Jesse, warf mir einen mahnenden Blick zu. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich die Armlehnen meines Stuhls so fest umklammerte, dass meine Knöchel weiß wurden. Tief versuchte ich durchzuatmen, um mich zu beruhigen. Hier eine Szene zu machen, war taktisch unklug. „Wenn man bedenkt welchen Schutzgeist der Mensch hat, schon.“ Zornig funkelte ich Ares an. „Was soll das heißen?“ Er erwiderte meinen Blick ernst. „Gegen die Menschen wäre ein Drache die wohl mächtigste Waffe, die wir besitzen. Und es geht hier schließlich um die Zukunft dieser Waffe.“ Ich schnaubte, versuchte meine Wut zu zügeln. „Yusei ist keine Waffe.“ „Darüber werden wir heute entscheiden.“ „Schön, dann wollen wir die Sache nicht weiter in die Länge ziehen“ knurrte ich. „Sehr wohl, mein König“ sagte er, holte dabei eine Rolle Pergament hervor. „Da der Mensch ‚Yusei Fudo‘ von Beginn an als Kriegsgefangener zählte, hatte er nie dieselben Rechte wie die Dämonen dieses Landes und stand damit bis vor einiger Zeit noch im Besitz des Königs.“ Meine Finger krallten sich in die Lehne des Stuhls. Besitz. Es war so lächerlich. „Da der Mensch von König Haou in die Obhut von Meister Jesse, und dann schließlich in meine gegeben wurde, ist es nur logisch, dass seine Besitzrechte auf mich übertragen wurden.“ Ein abfälliges Schnalzen konnte ich mir nicht verkneifen. „Sofern er je als Besitz gesehen wurde.“ Reiji räusperte sich. „Wenn ich etwas fragen darf: Was erhofft Ihr Euch durch diese Abstimmung zu erreichen?“ „Ich will die Waffe, wenn man es so will, zielgerichteter machen.“ „Was soll das heißen?“ „Lasst es mich genauer erläutern, mein König. Ihr erinnert euch noch an die Voraussagung der Weisen?“ „Wenn der rote Drache erwacht, und fünf Monde vorüberziehen, werden die Menschen sich vereinen“ rezitierte Stone. „Wir erinnern uns. Aber habt Ihr Euch die Farbe seines Drachen angesehen? Er ist weiß.“ Ich nickte zustimmend. „Das schon“ gab Ares zu. „Doch ein kleines Detail ist Euch entgangen, Meister Stone.“ „Und welches?“ „Sein Arm.“ Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das Mal auf Yuseis Arm! Woher wusste Ares davon?! „Das Mal, das seit kurzem seinen Arm ziert, hat die Form eines roten Drachenkopfes.“ „Zufall“ warf ich ein. Jesse sah mich an, in seinem Blick ein Hauch von Mitleid. Ich wusste selbst, dass ein Zufall unwahrscheinlich war, doch ich wollte es nicht wahrhaben, dass ich dieses Zeichen übersehen hatte. „Bei allem Respekt, mein König, aber es erscheint mir schon mehr als ein Zufall zu sein.“ „Nehmen wir an, Ihr habt recht“ warf Meister Nate ein. „Meint Ihr damit wirklich, dass uns der Angriff kurz bevorsteht?“ Ares nickte. „Er hat sich vor etwa zwei Wochen mit seinem Drachen verbunden. Stimmt die Vorhersehung der Weisen, haben wir nur noch gut vier Monate bis zum Angriff der Menschen. In dieser Zeit möchte ich aus dem Menschen eine Waffe schmieden, die unsere Gegner vernichten wird.“ „Und wie?“ fragte Drake interessiert. „Mit dem Schwert weiß er bereits umzugehen. Doch um den Feind dort zu treffen, wo er am angreifbarsten ist, setze ich lieber auf Raffinesse. Ich werde den Menschen als Späher ausbilden, werde ihm beibringen an Informationen zu kommen, ohne selbst welche preiszugeben, und wenn er genug über unsere Feinde weiß, wird er die Möglichkeit haben sie mit seinem Drachen auszulöschen.“ Jegliche Farbe schien aus meinem Gesicht zu schwinden. Das kann Ares nicht ernst meinen. „Warum der Umweg, wenn er sie nicht gleich auslöschen kann?“ fragte Crowler. „Da sieht man, dass Ihr nie die Frontlinien gesehen habt“ erwiderte Reiji abschätzend. „Wir wissen weder wie stark ihre Truppen sind noch wie sie aufgestellt werden. Wir haben auch keine Ahnung über ihre Hierarchie oder ähnliches.“ „Stimmt schon“ murmelte er. „Ihr wollt ihm also die Drecksarbeit überlassen“ knurrte ich. Ares sah mich mit hochgezogener Braue an. „Aber ich dachte genau das war vor 13 Jahren Euer Anliegen. Hat sich daran etwas geändert?“ Durchdringend sah ich Meister Ares an. Dass er meine Worte von damals gegen mich richtet, hatte ich erwartet. „Wieso müssen Yusei dafür seine Rechte abgesprochen werden?“ „Rechte, die er meiner Ansicht nach nie besessen hat.“ „Genau darüber wollen wir abstimmen, nicht wahr?“ meldete sich Madame Tredwell zu Wort. Ares nickte. „Ganz richtig.“ „Schön“ sagte ich ernst, blickte dabei in die Runde. „Aber bedenkt, dass er auch ohne Manipulation auf unserer Seite ist. Ihn zu bedrängen und zu unterwerfen, bringt uns nicht weiter.“ „Das ist Eure Sicht, mein König“ wandte Ares ein. „Aber bei solch einem heiklen Thema tendiere ich doch dazu, auf Nummer sicher zu gehen.“ „Dann lasst uns abstimmen“ meldete sich Stone. „Wer dafür ist, dass Yusei als Kriegsgefangener, und damit als Besitz zählt, möge seine Hand heben.“ Fünf Hände streckten sich sofort in die Höhe, immer weitere folgten. Mir wurde übel. Ich traute mich nicht, sie zu zählen, oder zu überblicken, wer sich gemeldet hatte. „Gegenstimmen?“ Meine Hand schnellte hoch, Madame Tredwell meldete sich ebenso. Zögerlich hob sich noch ein Arm. Valon. Doch dabei blieb es. „Dann ist es entschieden. Yusei wird von nun an offiziell als Sache gezählt und befindet sich derzeitig im Besitz von Meister Ares.“ Schlagartig war mir eiskalt, ich fühlte mich wie betäubt. Stone schwafelte weiter, die Ratsmitglieder erhoben sich, um den Raum zu verlassen, doch ich konnte mich nicht rühren. Ich hatte verloren. Ich hatte ihn verloren. Nur langsam begriff ich, was das bedeutete. Eine Hand auf meiner Schulter zwang mich wieder in die Realität. Mittlerweile hatte sich der Raum fast gänzlich geleert. Einzig Jesse und ich waren noch übrig. „Es tut mir so leid.“ Doch ich reagierte nicht, mied seinen Blick. Wie sollte ich das Yusei beibringen? „Wäre Damian dabei gewesen, hätten wir gewonnen“ murmelte ich. Wir waren so kurz davor. Jesses Griff wurde fester. „Ich wünschte wirklich, wir könnten noch etwas ändern. Du solltest zu ihm gehen, und es ihm selbst sagen.“ Mechanisch nickte ich, doch meine übrigen Muskeln versagten mir den Dienst. So elend hatte ich mich lang nicht gefühlt. Alle Energie war aus meinem Körper gewichen. Ich hatte nicht einmal die Kraft wütend zu sein. Ich wusste nicht, wie lange ich da saß und vor mich hinstarrte. Jesse redete mir gut zu, und irgendwann hatte ich es geschafft aufzustehen. Der Weg zum Nebenkomplex kam mir vor wie der Gang zum Schafott. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich vor seiner Tür stand. Tief atmete ich durch, versuchte den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken, doch es brachte nichts. Ein dezentes Klopfen, und ich trat ein, doch hielt inne. Meine Augen weiteten sich, ich vergaß fast zu atmen. Irritiert blickte ich zurück zu Jesse, der in einiger Entfernung auf mich wartete, dann aus dem Fenster, um mich zu versichern, dass ich wirklich im richtigen Zimmer war. Das war definitiv sein Behandlungsraum, doch er war leer. „Was ist los?“ fragte Jesse und kam auf mich zu. Auch er sah sich verwirrt um. „Wo ist er?“ Konfus schüttelte ich den Kopf. Meine Anweisung lautete, ihn in diesem Zimmer zu behalten. Was geht hier vor sich? Da fiel mir noch etwas auf. „Wo ist Yubel?“ Jesse blinzelte irritiert. „Stimmt, sie wollte vor dem Versammlungssaal auf uns warten.“ Ich hörte eine sich öffnende Tür und trat auf den Gang. In einiger Entfernung entdeckte ich die Heilerin, die sich um Yusei gekümmert hatte. „Wartet!“ rief ich, als sie weitergehen wollte. Sie stoppte, verbeugte sich tief. „Was kann ich für Euch tun, mein König?“ „Wo ist er?!“ Traurig sah sie zu mir auf. „Meister Ares hat ihn mit sich genommen.“ „Warum hast du ihn nicht aufgehalten?!“ fuhr ich sie an. „Haou“ wies mich Jesse leise zurecht, aber es kümmerte mich nicht. Langsam kam die Wut zurück. „Der Hauptmann hat mir die Anweisung gegeben mich zurückzuziehen. Es tut mir leid, mein König.“ Ich schnaubte, schritt an ihr vorbei. Dieser Mistkerl! „Wo willst du hin?“ fragte Jesse, als er mich eingeholt hatte. Schnellen Schrittes bog ich zu den Stallungen ab. „Ich folge ihm.“ „Du weißt doch nicht, wo sie sich befinden!“ „Das Brachland im Südosten“ knurrte ich. „Was?“ Jesse stellte sich mir in den Weg, sah mich durchdringend an. „Woher willst du das wissen?“ „Er hat es bei der letzten Versammlung erwähnt. Und jetzt geh mir aus dem Weg!“ „Nein.“ „Jesse!“ „Benutz deinen Kopf! Du weißt weder welchen Weg sie eingeschlagen haben noch wann sie aufgebrochen sind! Wenn sie mit den Stevas unterwegs sind, könnte nur Yubel sie einholen.“ Ich schnaubte, suchte die Umgebung nach jemandem ab, der mir helfen könnte. Wo, verdammt nochmal, steckt Yubel? Sie würde die beiden aus dem Himmel sicher schnell ausmachen können. Plötzlich tauchte aus Richtung der Stallungen eine bekannte Gestalt auf. Wutentbrannt drängelte ich mich an Jesse vorbei und lief auf Yubel zu. „Wo warst du?“ keifte ich, noch bevor sie gelandet war. Sie wirkte milde irritiert. „Ich bin Ares gefolgt.“ „Was? Wo sind sie?!“ „Er reitet mit Yusei in den Südosten. So wie die Abstimmung ausgefallen ist, konnte ich ihn schlecht aufhalten, aber ich habe jemanden auf die beiden angesetzt.“ „Bring mich zu ihnen!“ „Keine gute Idee. Ares ist der Meinung, dass Yusei euch nur ablenkt und damit schadet. Wenn Ihr ihm jetzt folgt, bestätigt ihn das nur.“ Ich knurrte, sah hilfesuchend zu Jesse, doch auch er war wohl auf Yubels Seite. „Schön“ zischte ich. „Was hast du vor?“ „Mehr als ihn beobachten können wir im Moment nicht tun. Die Späherin, die den beiden folgt, ist sehr diskret, und sollte Ares Yusei irgendwie schaden, wird sie mich sofort benachrichtigen.“ „Und ausrichten könnten wir trotzdem nichts“ bemerkte ich leise, mied ihren Blick. Das alles hätte ich Yusei lieber selbst gesagt. So wurde er einfach in die ganze Situation hineingezogen, ohne dass ich mich hätte verabschieden können. Ich drehte mich um und machte mich auf den Weg zum Palast. „Was hast du vor?“ rief Jesse mir nach. „Plan B“ murmelte ich. Kapitel 31: Neuer Meister ------------------------- „Hast du einen Tipp für mich?“ Yugi rutschte nervös auf seinem Stuhl herum, musterte mich angespannt. „Keine Ahnung“ erwiderte ich. Seufzte. „Ich wurde zwar oft angegriffen, aber König Haou meinte, das läge daran, dass auch die Geister den Menschen noch nicht verziehen hätten. Also musst du dir darum wohl weniger Sorgen machen. Was sagt denn Mana?“ Er stöhnte verzweifelt und ließ den Kopf hängen. Als er wieder aufsah, erschien er mir etwas grün im Gesicht. „Sie meinte nur, dass ich schon gut genug vorbereitet wäre. Aber mal ehrlich, ich bin viel schlechter als sie damals! Und du hattest immerhin dein Schwert, mit dem du dich verteidigen konntest.“ „Ich finde du machst dich kleiner als du bist. Wenn Madame Tredwell und Meister Mahad nicht sicher wären, dass du das schaffst, würden sie deiner Reise zum Nebelberg doch nicht zustimmen, oder? Außerdem bewerten dich die Geister nicht nach deiner körperlichen oder magischen Stärke.“ „Ja, ich weiß“ seufzte er, mied meinen Blick. „Es ist fast wie bei einer Seelenbindung. Aber genau das macht mir ja Angst. Ich bin weder mutig noch stark. Keine Ahnung, ob ich das schaffe. Hey, warum lachst du?“ „Entschuldige“ sagte ich noch immer amüsiert. Ein kleines Lachen hatte ich mir einfach nicht verkneifen können. „Aber du bist einer der mutigsten Dämonen, die ich kenne. Immerhin bist du in den Palast eingebrochen und hast dich sogar Yubel und König Haou entgegengestellt. Und das nur, um mir zu helfen. Die wenigsten würden sich das trauen.“ Da fiel mir etwas ein und ich grinste verschmitzt. „Mana hat mir übrigens gesagt, dass sie an dem Tag wirklich beeindruckt von dir war.“ Ein leichter Rotschimmer bildete sich auf seinen Wangen, perplex sah er mich an. „Was?“ Ich nickte. „Sie sagte so eine Entschlossenheit hätte sie selten gesehen, und sie war tief beeindruckt von dir, weil sie sich das selbst nie getraut hätte. Und du hast auch bei König Haou Eindruck hinterlassen, sonst wäre deine Strafe für den Aufruhr nie so milde ausgefallen.“ Immer röter wurde er bei meiner Ansprache und er sah verlegen zur Seite. „Eindruck schinden würde ich das nicht unbedingt nennen.“ „Warum?“ „Weil…“ Er seufzte, wirkte niedergeschlagen. „Weil ich die ganze Zeit Angst hatte.“ „Na und?“ Überrascht sah er auf. „Wie ‚Na und?‘ Das war doch nicht mutig, wenn ich die ganze Zeit Angst gehabt habe!“ Ich schmunzelte. „Glaubst du ich hätte keine Angst? Oder Mana? Oder irgendjemand? Meister Damian hat mal gesagt es wäre die Angst, die uns mutig werden lässt.“ Im ersten Moment schien er verwirrt, doch dann schien er zu überlegen. „Stimmt… mein Großvater hat sowas auch mal gesagt.“ „Siehst du?“ sagte ich zufrieden. Die Tür wurde geöffnet und wir sahen zum Eingang. Ich hatte mit Fonda gerechnet, oder Haou, doch unser Besucher überraschte mich. „Raus hier!“ Die Strenge in der Stimme von Meister Ares ließ Yugi verwirrt zu mir sehen, doch er gehorchte und verließ den Raum. Mein Herz schlug schneller. Dass Meister Ares hier war, konnte nur eins bedeuten. Er griff unter seinen Umhang und kam auf mich zu. Hervor holte er einen festen, schwarzen Lederstreifen mit einer seltsamen Verschlussvorrichtung. „Ein Halsband?“ fragte ich verwirrt. Im Innenteil des Leders waren komplizierte Runen eingraviert. Doch ehe ich sie genauer betrachten konnte, war Meister Ares dabei es mir anzulegen. Ich wollte zurückweichen, hielt jedoch inne. Wenn er die Abstimmung gewonnen hatte, und das war meine einzige Erklärung für sein Handeln, durfte ich mich nicht gegen ihn zur Wehr setzen. „Leg deine Rüstung an und pack alles, was du für einen dreitägigen Ritt brauchst. In zehn Minuten findest du dich bei den Stallungen ein.“ „Wohin gehen wir?“ Sein strenger Blick ließ mich schlucken. „Hat… König Haou die Abstimmung verloren?“ Er sah mich missbilligend an. „Vielleicht mag es ihm im Moment so vorkommen, aber jeder von uns zieht aus dem Ergebnis der heutigen Abstimmung seinen Gewinn. So auch der König. Und jetzt beeil dich, deine Zeit läuft.“ Mit diesen Worten war er aus dem Raum verschwunden. Einen Augenblick stand ich da wie erstarrt. Ich hatte es geahnt, aber es jetzt von ihm zu hören, traf mich wie ein Schlag. Haou hatte verloren… „Vertraust du mir?“ „Ja“ antwortete ich konfus. Wie kommt er darauf? Er sah mich ernst an. „Sollte morgen etwas schieflaufen, sollte Ares gewinnen und dich mir wegnehmen, habe ich vielleicht eine Idee, die uns helfen könnte. Aber es ist sehr riskant und dafür brauche ich Zeit und noch wichtiger: dein volles Vertrauen, sonst funktioniert mein Vorhaben nicht.“ Ich nickte. Dass er mir von seinen Sorgen erzählte, bestärkte mein Vertrauen in ihn. „Wie schlecht steht es?“ fragte ich. Er seufzte, legte seine Hand an meine Wange. „Ich weiß es nicht. Aber sollte der schlimmste Fall eintreffen, mach ihn dir bitte nicht zum Feind. Und halte durch, versprichst du mir das?“ „Ich verspreche es.“ Ein trauriges Lächeln schlich sich in sein Gesicht. Zärtlich strich sein Daumen über meine Haut, ehe er seine Lippen auf meine legte. Ich seufzte, fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht. Atmete tief durch. Durchhalten. Nur was? Und wie lange? Meine Finger glitten über das Leder an meinem Hals. Langsam tastete ich mich vor bis zu meinem Nacken. An die Stelle, an der er es eigentlich verschlossen haben sollte. Doch es war absolut ebenmäßig. Die Runen im Inneren hatten eine Bedeutung, da war ich mir sicher. Nur welche? Ich schüttelte den Gedanken ab und machte mich fertig. Wenn ich zu spät bei den Stallungen eintreffen sollte, konnte ich mir nur schwer vorstellen, was mir blühen würde. Wenig später war ich fertig und auf dem Weg zu den Stallungen. Von weitem erkannte ich Meister Ares und den Hauptmann, sie unterhielten sich neben zwei bereits gesattelten Pferden. Doch ehe ich etwas von der Unterhaltung mitbekommen konnte, sahen sie zu mir und verstummten. Der Hauptmann nickte knapp, lief auf mich zu. Als er an mir vorbeiging, musterte er mich prüfend, doch schwieg. „Du bist spät.“ „Entschuldigt“ antwortete ich, auch wenn ich mir sicher war, noch in der Zeit zu sein. „Lass dir das eine Warnung sein. Solltest du nicht nach meinen Anweisungen handeln, mir widersprechen, oder einen Fehler mehrmals machen, wird deine Strafe schmerzhaft werden. Dasselbe gilt auch, wenn du deinen Drachen erscheinen lässt. Hast du das verstanden?“ Ich nickte, spürte die Wut meines Drachen, doch ermahnte ihn zur Ruhe. Haou sagte, er würde uns da rausholen, so lange mussten wir durchhalten und folgen. Sternenstaubdrache war nicht begeistert, beugte sich aber. „Ja ‚Meister‘ ist die korrekte Antwort. Hat man dir keine Manieren beigebracht?“ „Ja, Meister“ verbesserte ich mich, versuchte dabei das letzte Wort nicht sarkastisch zu betonen. Sein Verhalten erinnerte mich an Meister Zero, aber ihn hatte ich die letzten zehn Jahre auch ausgehalten. „Weißt du wie man einen Steva reitet?“ Einen kurzen Blick warf ich in die Stallungen. Im hinteren Teil standen drei der muskulösen Tiere. Die Zweibeiner hatten kurzes, matschbraunes Fell, einen langen Hals und einen Kopf, der zu einem großen Teil aus dem messerscharfen, langen Schnabel bestand. Die krallenbesetzten, kräftigen Beine ermöglichten eine wahnsinnige Geschwindigkeit über so gut wie jedes Terrain, was sie zu den vielfältigsten und schnellsten Reittieren machte. Allerdings war es sehr schwer sie zu reiten. Selbst ausgebildete Tiere warfen ihren Reiter gern ab, wenn er es nicht richtig führte. Nicht selten gab es gab es schwere Verletzungen oder sogar Todesfolgen. Aus diesem Grund hatte ich keinerlei Erfahrung mit ihnen. „Nein, Meister“ antwortete ich deshalb. „Wie enttäuschend, aber ich bin nicht überrascht. Dann werden wir die Pferde nehmen. Los.“ Ich band mein Gepäck hinter den Sattel und stieg auf. Meister Ares gab seinem Pferd bereits die Sporen. Spät am Abend, wir hatten gerade die weitläufigen Wiesen hinter uns gelassen, drosselte Meister Ares endlich das Tempo. Seit wir die Stadt verlassen hatten, gönnte er den Pferden nur eine kurze Pause, und so langsam schienen sie am Ende ihrer Kräfte. Zielsicher steuerte er sein Tier durch das Dickicht des Waldes, bis wir zu einer kleinen Lichtung kamen. Von hier hatte man einen guten Einblick auf die Felder, über die wir geritten waren, doch durch das Dickicht blieben wir gut verborgen. „Wir schlagen hier das Lager für die Nacht auf.“ Für die Pause war ich dankbar. Meine Beine schmerzten, mein Körper fühlte sich steif an. Keine Ahnung, ob ich so einen Ritt morgen wieder überstehen würde. Meister Ares hingegen sah aus, als wäre er gerade von einem kurzen Ausflug wiedergekommen. Dass ihm so eine Reise nichts auszumachen schien, erstaunte mich. Ich band die Zügel an einen nahegelegenen Baum und wollte Feuerholz sammeln. Doch ich kam nur wenige Schritte weit, da hielt er mich auf. „Was tust du da?“ Verwirrt drehte ich mich zu ihm. „Feuerholz sammeln.“ Kaum merklich schüttelte er den Kopf. „Hast du jemals ein Lager aufgestellt?“ „Ja“ erwiderte ich konfus. Plötzlich wurde mein Körper von einem unglaublichen Schmerz durchzogen. Ich sackte in die Knie, rang nach Luft. Doch so schnell wie er gekommen war, ebbte er wieder ab. Nur mein rasendes Herz beruhigte sich kaum. Was war das? „Ja, Meister“ verbesserte er mich. „Das war das zweite Mal. Ich habe dir gesagt, dass dein Handeln ab sofort Konsequenzen nach sich zieht.“ „Was war das?“ keuchte ich, versuchte mich wieder auf die Beine zu kämpfen. Er hob seinen Arm, dabei glitt der Stoff seines Gewandes zurück und legte eine Manschette an seinem Handgelenk frei. Sie schien aus demselben Material zu sein wie das Halsband, das er mir umgelegt hatte. „Eine nützliche Spielerei, wie ich finde. Wann immer ich es für nötig erachte, aktivieren sich die Insignien im Inneren des Leders und lassen dich diesen Schmerz fühlen, bis ich es beende. Des Weiteren hat er einen Schutzmechanismus gegen deinen Drachen. Solltest du versuchen ihn zu rufen, oder sollte er sich selbst materialisieren wollen, wird dich das gleiche Schicksal ereilen. Nur etwas… intensiver. Das gleiche passiert, wenn du dich zu weit von mir entfernst. Und die einzige Möglichkeit es wieder abzulegen ist, wenn ich es so will. Hast du das verstanden?“ Ich biss die Zähne zusammen, sah ihn scharf an. Er will meinen Drachen einsperren? Hat er so große Angst vor ihm? Er hat noch nie jemandem etwas getan! Diese ganzen Sicherheitsvorkehrungen sind absurd! Plötzlich durchzog eine weitere Welle von Schmerz meinen Körper, schien mich innerlich zu verbrennen. Ich sackte zu Boden und schrie auf. Meine Muskeln verkrampften, ich war wie gelähmt. Rang nach Atem. Der Schmerz ebbte einfach nicht ab. Sternenstaubdrache war rasend vor Zorn. Ich spürte einen Druck in meinem Körper. Als würde er versuchen auszubrechen, aber etwas hinderte ihn. Bitte beruhige dich! Zu den höllischen Schmerzen gesellte sich ein Brennen in meinem rechten Arm. Das Atmen wurde immer schwerer. Ich konnte die Schmerzensschreie nicht kontrollieren, zwang mich meine Augen zu öffnen und lugte zu meinem Arm. Das Drachenmal glühte. Aber das war nichts im Vergleich zu den Qualen, die meinen Körper lähmten. Vorsichtig sah ich auf. Ares stand vor mir. Verschwommen meinte ich Unglaube in seinen Augen zu lesen. Eine weitere Welle von Schmerz durchzuckte meinen Körper, ich schrie auf. Verdammt. Bitte, Sternenstaubdrache, beruhige dich! Eines der Pferde schnaubte nervös. „Wenn du so weitermachst, bringst du dich selbst um“ hörte ich Ares‘ Stimme. Das war eine einzige Qual. Ich konnte mich nicht rühren, lag nur zuckend am Boden und versuchte verzweifelt zu atmen. Hör auf. Hör auf! HÖR AUF! Erneut zwang ich mich die Augen zu öffnen. Alles war verschwommen. An der Seite des Meisters meinte ich zwei Gestalten zu sehen. Panisch rannten sie auf mich zu, doch wieder schrie ich auf, konnte den Schmerz kaum ertragen. Zwang mich zu atmen. Vage hörte ich vertraute Stimmen, die meinen Namen riefen. Ich versuchte mich darauf zu konzentrieren, was sie mir sagen wollten, doch ich scheiterte. „Selbst eine niedere Kreatur wie du sollte sich darauf verstehen aufzugeben, wenn der Kampf aussichtslos ist“ sagte Meister Ares kalt. Ich versuchte ihn auszublenden, versuchte Sternenstaubdrache zu beruhigen, doch seine Worte waren wie Dolche, die sich in mich hineinbohrten. Erneut schrie ich auf. „Ich sehne mich nach dem Tag, an dem deinesgleichen vernichtet wird. Aber bis es so weit ist, solltest du am Leben bleiben, verstanden? Also nimm dich zusammen und kontrolliere deinen Schutzgeist.“ Wieder schrie ich meinen Schmerz hinaus, doch das linderte ihn nicht. Die Pferde wieherten aufgeregt, Hufe scharrten über den Boden. Sternenstaubdrache! Haou wird uns hier rausholen, aber wir müssen durchhalten… Bitte! Plötzlich erschlaffte mein Körper, der Schmerz war nicht mehr allgegenwärtig. Nur das Brennen meines Arms und meiner Muskeln blieb. Verzweifelt rang ich nach Luft, kämpfte gegen die Ohnmacht. Sternenstaubdrache hatte sich endlich beruhigt. Mühsam öffnete ich meine Augen, blinzelte. Meister Ares hatte seine Hände hinter dem Rücken verschränkt und betrachtete mich missbilligend. „Versuche nie wieder dich gegen mich aufzulehnen, sonst endet dein kümmerliches Leben schneller, als du denkst. Ob du es glaubst oder nicht, aber das wollen wir beide nicht. Schließlich bist du uns noch von nutzen.“ Ich konnte nichts erwidern, schloss nur meine Augen. Kein Muskel in meinem Körper gehorchte mir mehr. Mein Herz raste noch immer. Die Geräusche um mich herum kamen zum Erliegen. Nichts wollte ich mehr, als mich der verführerischen Ruhe hinzugeben. „Wenn ich Holz gesammelt habe, wirst du aufstehen und lernen, wie man als Späher ein Lager in feindlichem Gebiet errichtet. Jeder hat seine Aufgaben und dein kleines Unwohlsein ist keine Ausrede.“ Innerlich seufzte ich. Ich kann mich wohl glücklich schätzen, dass ich nicht sofort wieder aufstehen muss. Auch wenn ich dazu nicht einmal fähig wäre. Noch immer konnte ich kaum einen Muskel bewegen. Schritte entfernten sich, und ich versuchte mein noch immer schnell schlagendes Herz zu beruhigen. Eine warme Hand legte sich auf meine Schulter. „Wir holen dich hier raus“ flüsterte eine sanfte Stimme. Irritiert hob ich meine Lider. Für einen kurzen Augenblick sah ich traurige, graue Augen, doch schnell verblassten sie wieder. Auch das Drachenmal hörte endlich auf zu brennen und ich versuchte mich durch tiefe Atemzüge zu entspannen und schloss meine Augen. Jetzt hatte ich durch diese Tortour auch noch Halluzinationen. Großartig. Als ich irgendwann Schritte aus der Ferne hörte, versuchte ich meinen Arm auf den Boden zu stemmen und aufzustehen. Meine Muskeln brannten höllisch, aber ich konnte sie wieder bewegen, wenn auch sehr steif. Außerdem war ich mir sicher, dass ich, wenn ich jetzt nicht aufstehen würde, wieder Schmerzen auszuhalten hätte, und darauf wollte ich verzichten. „Du bist doch lernfähig“ sagte Ares abschätzend. Ich verkniff mir einen Kommentar und stand endgültig auf, stützte mich an einem nahestehenden Baum ab, um meine zitternden Beine etwas zu entlasten. Tief atmete ich durch. „Die Nacht bricht bald an“ sagte er, während er einen Stapel Holz fein säuberlich in die Mitte des Platzes legte. „Was muss als erstes errichtet werden?“ „Das Lagerfeuer.“ „Und wie gehst du vor?“ „Ich errichte mit Steinen eine Feuerstelle und entzünde dann das Holz.“ „Falsch.“ Kurz zuckte ich in Erwartung des Schmerzes zusammen, doch er sprach weiter. „Du bist in feindlicher Umgebung. Entzündest du das Feuer, machen sie deinen Standpunkt aus und töten dich. Also, zweiter Versuch.“ „Ich… ich weiß es nicht.“ Er schnaufte, schnappte sich junge Äste, die im Unterholz lagen und errichtete um eine kahle Stelle im Gras eine kleine Mauer. „Ein Sichtschutz?“ fragte ich zögerlich. „Ganz recht. Jetzt bau den Feuerplatz auf, während ich das Zelt aufschlage.“ Ungelenk ging ich zum Feuerplatz, legte einige Steine im Kreis in den Sichtschutz und nahm mir das Holz, das Ares gesammelt hatte. Doch stutzte. Einige Stücke waren feucht, es würde furchtbar qualmen, wenn wir es entzünden würden. Ob das ein Test war? Ich griff mir nur das trockene Holz und stapelte es auf. Aus meiner Tasche holte ich anschließend mein Feuersalz, um die Flammen zu entfachen, aber wieder hielt Ares mich auf. „Was hast du jetzt wieder vor?“ fragte er misstrauisch. „Ich will das Feuer entzünden.“ „Womit? Mir wurde berichtet, du könntest Magie anwenden. Einen einfachen Feuerzauber wirst du doch wohl beherrschen.“ Ich seufzte lautlos, festigte meinen Griff um die Phiole mit dem Feuersalz. Bei meinem letzten Versuch hatte ich beinahe meinen Behandlungsraum in Brand gesteckt. „Es wurde mir noch nicht gelehrt, seit ich Magie anwenden kann. Und ein Selbststudium wurde mir verboten.“ Er knurrte genervt und winkte mich zu sich. Hockte sich vor die Feuerstelle. Aus seinem Gewand zog er ein Stück Pergament. „Beherrschst du wenigstens die Insignien?“ „Ja“ antwortete ich, korrigierte meine Aussage aber schnell, als mich sein stechender Blick traf. „Ja, Meister.“ „Dann schreib sie auf.“ Ich folgte seinem Befehl und zeichnete mit dem dazu gereichten Stück Kohle die Insignien. Als ich es ihm reichte, nickte er. „Den Zauber auszuführen, lernst du an unserem Zielort. Im Moment reicht es mir, dass du zumindest die Zeichen beherrschst.“ Im nächsten Moment loderte eine kleine Flamme in seiner Hand, die er behutsam in die Feuerstelle setzte. „Zumindest das richtige Holz hast du gewählt“ fügte er widerwillig hinzu und stand auf. „Jetzt zur Lage: Warum habe ich diesen Ort ausgewählt?“ Also war es doch nur ein Test? Ich sah in den Wald. Das Dichte grün der Bäume ließ kaum noch Lichtstrahlen durch, sodass es bald finster sein würde. Auf der anderen Seite lagen die Felder, über die wir hergekommen waren. „Von hier hat man einen guten Ausblick über die Wiesen, ist aber gleichzeitig durch das Dickicht geschützt, sodass wir nicht gesehen werden können.“ Er deutete mit einem Kopfschwenk auf einen anderen Teil des Waldes. „Das hätten wir dort auch gehabt. Warum hier?“ Kurz sah ich zu dem Waldstück, dass er meinte. Das Unterholz schien genauso dicht wie hier, daran konnte es also nicht liegen. „Ich weiß es nicht“ gestand ich erneut. „Der Wind“ sagte er schlicht. Was? Ich versuchte zu verstehen, was er meinte, aber der Wind war so schwach, dass ich kaum ausmachen konnte aus welcher Richtung er wehte. Schon gar nicht im Schutz der Bäume. Wieder schnaubte er. „Der Wind kommt aus südöstlicher Richtung, unsere einsehbare Fläche liegt im Norden. Der Geruch des Feuers, der Pferde und unser eigener wird also über freie Fläche geweht, die wir einsehen können.“ Endlich fiel der Groschen. „Also würde der Angriff aus gut sichtbarem Gebiet kommen.“ „Na endlich. Morgen wirst du ein geeignetes Lager ausfindig machen und aufbauen, und das fehlerfrei. Ich übernehme die erste Wache. Leg dein Schwert aber in greifbare Nähe.“ Er schritt an mir vorbei und setzte sich neben einem Baum, den Blick stur auf die Felder gerichtet. Verständnislos schüttelte ich den Kopf und zog mich zurück. Er benahm sich, als würde er tatsächlich jeden Moment einen Angriff erwarten. Ich kroch ins Zelt und machte mir nicht einmal die Mühe meine Rüstung abzulegen. Noch immer schmerzte mein gesamter Körper und ich sehnte mich nur nach Schlaf. Es war sicher nur Glück, dass er nicht wieder das Halsband eingesetzt hatte, als ich keine Antwort auf seine Fragen gewusst hatte. Morgen würde ich sicher nicht so viel Glück haben. Schon gar nicht, wenn Sternenstaubdrache wieder rebellieren will. Ich spürte sein Bedauern, doch übelnehmen konnte ich es ihm nicht. Ares war ein Mistkerl, aber Haou sagte ich solle durchhalten. Mein Schwert legte ich wie befohlen neben mir ab und seufzte dabei. Legte mich auf die überraschend weiche Unterlage. Was Haou wohl gerade macht? Doch lange konnte ich nicht darüber nachdenken und driftete schnell in einen traumlosen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)