1000 Ways to Die in the West von Hotepneith (Die Memoiren eines Flohgeistes) ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Aufrichtigkeit ist vermutlich die verwegenste Form der Tapferkeit William Sommerset Maugham 1874 – 1965   Ich konnte kaum mehr atmen, denn, was immer nun passieren würde lag nicht mehr in meiner Hand. Das war die Entscheidung des Daiyōkai vor mir, der mich im wahrsten Sinn des Wortes in der Hand hatte. Und alles, was Meister Mikoto je über diese mächtigen Wesen gesagt hatte, war nichts, was nach Erbarmen oder Mitleid klang. Ich fühlte mich hochgehoben, dann auf ein weiches Fell gesetzt. Halb spürte ich auch Metall. Fell? Metall? Ich hockte auf der Schulter. Da hatte er selbst in seiner Menschenform Fell? Aber, was sollte ich hier? Was wollte er von mir? Ich krallte mich irgendwie am Fell fest um nicht hinab zu stürzen. „Müder Floh.“ Das klang fast nachsichtig und ich fühlte mich erneut gepackt, dann gegen etwas gedrückt, das ich auch als warm und weich empfand. Allerdings konnte ich nur zu gut den Schlag des Herzens vernehmen, das Rauschen von Blut. Er hatte mich an seinen Hals gesetzt! Und, da ich mich noch immer nicht regen konnte, packte er mich und stieß meinen Rüssel in seine Haut. Blut, mächtiges, süßes Blut! Während ich instinktiv trank, kehrte mein Bewusstsein soweit zurück. Dieser Daiyōkai rettete mir das Leben! Ja, er hatte mir nicht nur erlaubt sein Blut zu trinken, und, oh besseres habe ich nie wieder getrunken! - sondern mich sogar eigenpfötig hineingestoßen. DAVON hatte Meister Mikoto sicher nichts erzählt. War das ein sehr ungewöhnlicher Daiyōkai? Träumte ich das Ganze auch nur? Gleich. Wenn das der letzte Traum vor dem Tod war, so wollte ich nicht daraus erwachen. So trank ich, schluckte, bis ich dick und rund angeschwollen war und endlich wagte den Rüssel zu ziehen. Prompt fühlte ich mich fort geschnippt, prallte gegen einen Stein und fiel zu Boden. In den Schatten, dem so mächtigen Wesen gegenüber. Aufsetzen war unmöglich, dazu war ich zu dick geworden und so wandte ich nur den Blick. Ja, da saß er. Ein Bein angezogen, das andere nachlässig ausgestreckt. Über seine Rüstung voll Stacheln wanden sich auf beiden Schultern Fellteile. War das normal oder ein Statussymbol? Ach, ich wusste doch so vieles nicht. Seine Augen leuchteten Gold – und dahinter lag etwas ganz anderes. Yōki, erkannte ich selbst da, Dynamik. In diesem Mann musste förmlich ein Energiesturm toben. Nun das, was ich getrunken hatte und gerade mehr Energie und Kraft durch meine Adern fließen ließ als ich je auch nur erträumt hatte, war ja nur ein winziger Abklatsch davon. Wie mächtig, oder eher, so mächtig war ein Daiyōkai? „Hekashin,“ sagte er. Ich musste für einen Moment nachdenken. „Ja, Herr. Dort will ich hin. Mein eigener Meister hat dort gelernt und …“ „Du willst mehr lernen.“ „Ja.“ Sollte ich das mit zuhause erzählen, meinem verlorenen Dorf? Kannte er es gar? Aber ich wollte die Toleranzgrenze eines Daiyōkai eigentlich nicht kennen lernen. „Ich bin noch so jung.“ „Ich halte es für einen Fehler nicht lernen zu wollen. Ich selbst bin auf dem Weg in das Schwebende Schloss.“ „Was?“ brachte ich hervor und schaffte es irgendwie mich aufzusetzen, gegen den Stein zu lehnen. Er schien überrascht, denn er zog eine Braue hoch. Nun, immerhin nur das. So erklärte ich hastig: „Ich hörte nur, dass … nun, dass noch jeder Bewerber um die Hand seiner Tochter unter den Klauen des Fürsten starb.“ War dieser Mann so stark, dass er sich an einen Fürsten wagte? Um seinen Mund zuckte ein Lächeln. „Myōga – ich empfinde es fast als sinnlos nett, dass du mich warnen willst. Hältst du mich folglich jedoch für schwach oder dumm?“ Ohoh. Das war ganz dünnes Eis, denn mit diesem Lächeln hatte mich etwas gestreift, das ich nur als Hauch des Todes bezeichnen möchte. „Weder noch, Herr,“ beteuerte ich eilig. „Nur eine Information. Die natürlich Ihr bewertet.“ „Für einen jungen Floh setzt du deine Worte erstaunlich geschickt. Nun gut. - Natürlich sterben die Bewerber um die Hand der Tochter. Kein Fürst wird seinen Nachfolger neben sich dulden.“ „Äh...und der eigene Erbe?“ entfuhr es mir. „Der eigene Sohn wird den Fürsten auch eines Tages umbringen. Schwerttragende Yōkai. Aber meinethalben kann der Fürst des Westens seine Tochter behalten. Ich beabsichtige nicht die Nachfolge, ich will lernen. Und mich bei ihm als Taishō bewerben. Sieh nicht so drein, Myōga. Bei wem kann man lernen ein Heer zu führen, außer bei einem Fürsten?“ „Das ist wahr,“ gab ich zu. „Und, wenn ich das richtig sehe, würdet Ihr als sein Feldherr ihm Treue schwören, damit wärt Ihr auch nicht in diese ganze Nachfolgesache verstrickt. Nur, mit Verlaub – wenn es doch einen Nachfolger gibt?“ „Entweder er lässt mir den Titel und das Heer oder wir duellieren uns.“ Ich dachte an die umgepflügte Erde dort hinten. „Ihr seid sicher zu gewinnen.“ „Ich würde auch gegen den Fürsten gewinnen. Nur, ich will lernen.“ „Das ist sehr klug von Euch,“ gab ich zu. Langsam ging es mir besser und mein Körper hatte die wahrlich ungeheure Menge an Energie verdaut. Und ich konnte wieder besser nachdenken. Dieser Mann hielt sich für stärker als den Fürsten? Nein, das hatte er nicht gesagt. Er würde gewinnen. Was hatte nur diese Erde so umgepflügt? Warum spürte ich nun, da ich erholter und wacher war, eine unheimliche Präsenz, die von dem Daiyōkai ausging? Nein, von seinem Schwert, „Euer Schwert würde Euch sicher zum Sieg verhelfen,“ ergänzte ich darum. „Aber ich glaube, es ist weiser erst alles zu lernen, was immer man kann.“ „Das Schwert nennt man das Höllenschwert. Nur jemand aus meiner Blutlinie kann es kontrollieren. Der Fürst des Westens sollte angetan sein, wenn es sein Heerführer trägt.“ Ich begriff seinen Plan. Nein, er war nicht daran interessiert sich einen Fürstentitel zu erheiraten, er wollte lernen: ein Heer zu führen und vermutlich auch mit der höllischen Klinge, an die er scheinbar gebunden war, auszukommen. „Ihr scheint mir ein sehr weiser Mann zu sein,“ erklärte ich darum. „Ein hübsches Kompliment von einem Floh gegenüber einem Hund.“ Er musterte mich noch einmal. „Allerdings hat mir das nie zuvor jemand gesagt und es so ehrlich gemeint.“ „Ihr würdet doch sowieso jede Lüge bemerken.“ „Das ist wahr, Myōga. Nun, angenommen, ich werde Taishō des Westens. Was sollte ich beachten?“ „Ja, das weiß ich doch nicht. Ich meine, ich bin weder Krieger noch Feldherr ….“ Ja, aber er erwartete sichtlich eine Antwort. So dachte ich nach, ohne dass er sich bewegte oder auch nur seine Energie erhob. Das war mehr als freundlich. Auch, dass er mich um Rat fragte, obwohl er doch wissen musste, wie ahnungslos und jung ich war. Oder war es eben deswegen? Eine schrecklich hinterlistige Falle? Nein, entschied ich. Er hatte mich trinken lassen. Nach allem, was ich wusste, machten Yōkai zwar was sie wollten, gerade Daiyōkai, aber sie bereuten nie was sie taten. Nun, ich konnte nur hoffen, dass er auch nie bereuen würde mir das Leben gerettet zu haben. „Ich denke, das, was ich zuvor erwähnte, was mein Meister sagte, stimmt. Das Unscheinbare zu beachten. Nie nur die großen Dinge sehen, die Starken, die Mächtigen.“ Eine Handbewegung. Weiter. „Aber, wenn Ihr schon einen Rat von mir hören wollt, missachtet die Fürstentochter nicht wenn Ihr im Schloss seid. Frauen mögen nicht herrschen dürfen, aber sie sind nicht zu unterschätzen….“ Und da musste ich nur an meine eigene Verlobte denken, die hoffentlich nach meinem Verschwinden jemand anderem zugesprochen worden war. „Dürfen, ja.“ Er winkte weiter. „Ich denke ein Feldherr muss sich auch um das Gelände kümmern, das ihm zur Verfügung steht, alles mögliche durchdenken.Ich meine, hier, diese Einöden, dürften doch den Westen schon einmal ganz gut schützen. Natürlich nicht gegen Leute wie Euch.“ „Oder gegen Drachen. Mit einem davon geriet ich gestern aneinander. Er folgte mir aus dem Osten.“ „Sie sind recht blutdürstig, heißt es.“ „Ja.“ Ich fasste es nicht. Da saß ein so mächtiges Wesen, ein Daiyōkai, und befragte mich, gab mir sein Blut, tat so, als ob wir irgendwie befreundet wären … und doch wusste ich, dass er mich jederzeit umbringen konnte. Was mich schützte war wohl sein eigenes Blut, das durch meine Adern rann. Ich sollte wirklich, wenn er schon meinte, ich sei klug, ihn davon weiter überzeugen. „So wäre es, denke ich, kaum falsch, wenn Ihr der Taishō geworden seid, auch an der östlichen Grenze unauffällige Spione einzusetzen.“ „Dort befinden sich natürlich welche.“ „Natürlich, ich denke ja auch nicht, dass unser Fürst töricht ist,“ beteuerte ich eilig, während mir der Schweiß ausbrach. Die Stimme war jäh eisig geworden, jetzt blickte er mich wieder mehr neugierig an. „Aber auch die Drachen werden Späher haben und diese Posten doch wohl kennen. Was ich meinte, ist etwas anderes, kleineres. Drüben, am anderen Ende der Einöde, wo ich herkam, gibt es ein Dorf mit Fliegen namens Mikokadije. Ich lernte von dort jemanden namens Edoporo kennen, die erwähnte, dass sie militärisch wichtig sein.“ „Fliegen.“ „Herr, sie sind klein und unauffällig, wenn ich das als Flohgeist so formulieren darf. Keinem Drachen oder schwerttragenden Yōkai wird eine Fliege auffallen, die in gewisser Entfernung an ihm vorbei schwirrt.“ „Was du mir alles erzählst ohne dass ich dich bedrohe.“ Ich zuckte etwas die Schultern, um rasend nachzudenken, Was meinte er damit? „Ihr braucht mir nicht zu drohen, Herr. Eure Existenz mir gegenüber genügt. Und zum Zweiten – Ihr habt mir das Leben gerettet. Ich weiß nicht viel über Yōkai, aber mir wurde gesagt, dass sie nie die eigene Tat ungeschehen machen.“ „Sind alle Flohgeister so intelligent wie du?“ „Ich fürchte nur noch Meister Mikoto,“ gab ich zu, „Ich fiel durch meinen Wissensdurst stets negativ auf.“ Tatsächlich, er lächelte. Aber das war keine Todesverheißung, sondern echtes Amüsement. „Wo liegt der Hekashin?“ „Im Nordosten des Westens, mehr weiß ich nicht. Ich hoffte jedoch, dass Meister Nekohiko bekannt sei.“ „Nekohiko, der Katzenmagier. Ja, von dem habe ich gehört. Allerdings nichts davon, dass er Lehrlinge hat.“ „Mein eigener Meister, Mikoto, war bei ihm Schüler. Vielleicht ist ein Flohgeist nicht aufgefallen?“ schlug ich vor. Das war ja eine schlechte Nachricht. Wenn dieser Katzenmagier keine Schüler mehr annahm, wohin sollte ich denn dann bloß? Nach Mikokadije? Und auch das würde mir nichts helfen. Mit jähem Entsetzen wurde mir klar, dass ich jetzt nicht einmal mehr vom Blut eines Gebirgsgeistes leben konnte – ich hing an Daiyōkai! Ach du armer Floh! Er hatte mir das Leben gerettet, ja, aber gleichzeitig, wohl bestimmt unwissend, dafür gesorgt, dass ich nur mehr das Blut eines Daiyōkai benötigen konnte. Bei allen Sternen, die jemals schienen… wie viel Pech konnte man haben? Der Hundeyōkai vor mir wandte den Kopf nach rechts und links, ehe er fragend zu mir blickte. „Was hat dich erschreckt, Myōga?“ Oh, ihm die Wahrheit zu sagen, dass ich keine Ahnung hatte wo und wie ich meine nächste Mahlzeit bekommen sollte, würde undankbar klingen und sicher Folgen haben. Lügen würde er allerdings sofort bemerken. Also ….nun ja, die zweite Wahrheit. „Wenn Meister Nekohiko keine Schüler mehr annimmt, war meine Reise vollkommen sinnlos, alle Gefahren und so ...Nur, das Problem ist, ich finde so nicht mehr in mein Heimatdorf zurück. Ich bin oft geflohen, wurde viel gejagt.“ „Vorsichtig und klug.“ „Äh, danke, Herr.“ Er erhob sich und ich sah erst jetzt einen roten Flecken auf einem der beiden Fellanhängsel, die ihm weich über den Rücken flossen. Blut. Ja, er hatte gegen einen Drachen gekämpft und gewonnen, war allerdings verletzt worden. Nun, nichts, was ihm mehr noch etwas auszumachen schien. Allerdings, einen der wenigen Gesprächspartner der letzten Tage zu verlieren, erschien mir … arg. Auch, wenn der Mann gefährlich war, ein Daiyōkai, so war er doch mir gegenüber wahrlich großzügig gewesen. „Ihr geht weiter, Richtung des Schwebenden Schlosses.“ Natürlich bekam ich keine Antwort. Wohin auch sonst. Aber eine Klaue deutete auf seine Schulter. „Floh!“ Ich sollte ….Nun, ich hatte keine Wahl und so machte ich den Sprung, krallte mich fest. Was sollte das jetzt? Ich vermutete über meinem Kopf lag mindestens ein großes Fragezeichen. Ein Daiyōkai, ein Hundeyōkai – und ließ einen Flohgeist auf sich reiten? Wohin wollte er mich mitnehmen? Ablehnen stand natürlich außer Frage. Er strich seinen langen Zopf zurück als er gemächlich losging. „Du verstehst nicht?“ „Nein, denn das Schwebende Schloss liegt im tiefen Südwesten, der Hekashin im Nordosten.“ „In gut einer Stunde werden wir uns auch trennen und jeder geht seines Weges. Bis dahin lasse ich dich bei mir. So wird dich niemand jagen.“ „Das ist sehr großmütig von Euch,“ brachte ich hervor. Das war wahr. Nur ein Wahnsinniger würde versuchen einem Daiyōkai etwas von der Schulter zu nehmen. Ein lebensmüder Wahnsinniger. „Nimm es als Dank für die Lektion, die ich von dir bekommen habe.“ „Das Unscheinbare zu beachten?“ fragte ich etwas verwirrt. ER und bedankte sich bei mir? „Ich habe mich noch gar nicht für Euer Blut bedankt…“ fiel mir ein. „Man hält manches, wie Flohgeister, für Ungeziefer, Menschen, ebenso ….“ Er klang, als ob er mit sich selbst rede. „Und dann trifft man jemanden, der so mutig ist, dass er sogar einem Daiyōkai gegenüber die Wahrheit sagt. Selten genug gibt es solche Leute. Alles beachten.“ Ich fühlte einen seltsamen, unbekannten Stolz und eine Wärme aufsteigen, die ich noch nie gefühlt hatte. Ein Daiyōkai hielt mich für intelligent und mutig. Selbst, wenn ich durchaus überzeugt war, dass er falsch lag – ein derartiges Lob tat einfach gut.   Nach einer Stunde blieb der Daiyōkai stehen und ich sprang hastig von seiner Schulter. Vage deutete er nach rechts. „Dort enden die Einöden.“ „Ich wünsche Euch viel Erfolg im Schwebenden Schloss. Und gutes Lernen.“ Oh, war das zu viel gewesen, denn der goldene Blick senkte sich zu mir. „Auch du lerne, Myōga. Vielleicht sehen wir uns eines Tages.“ Ich wich hastig zurück, als eine ungeheure Menge an Yōki aufflammte, seine Form veränderte, sein nur scheinbar menschliches Gesicht verzerrte. Dann stand ein riesiger weißer Hund vor mir, um dessen Brust und Schultern sich Fell bauschte. Waren das die Teile, die er als Anhängsel in seiner Menschenform trug? Wusste er womöglich nicht wohin damit? Ich konnte allerdings nur noch nachsehen, als er mit wehenden Ohren nach Westen galoppierte, und wandte mich selbst in die angezeigte Richtung. Wenn dort die Einöden endeten, womöglich würde ich jemanden finden, der mir den Weg zum Hekashin weisen konnte. Oder ich fragte nach Meister Nekohiko, der schien ja hier in der Gegend eher bekannt als sein Wald. Es war meine Hoffnung, und so sprang ich wieder los, gestärkt durch das Blut eines Daiyōkai und gestützt auf eine der stärksten Säulen unseres Lebens – falsche Hoffnung.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)