✩ Mondpalast ✩ von AliceFeder ================================================================================ Kapitel 1: Ungewissheit ----------------------- 1. Ungewissheit   Ich erwachte aus meinem Schlaf und richtete mich hektisch in meinem Bett auf. Ich fasste mir an mein wild schlagendes Herz, welches schmerzhaft gegen meine Brust schlug. Mein Puls raste als wäre ich einen Marathon gelaufen, meine Halsschlagader pochte regelrecht auf Hochtouren und ich schnappte mit kurzen, abgeharkten Atemzügen gierig nach Luft. Mit zittrigen Fingern fuhr ich mir durch meine blonde Mähne, meine Haare waren verwusselt, standen in alle Himmelsrichtungen ab und ich stellte dabei fest, dass meine Haare vom Schweiß feucht waren. Was für ein Albtraum, schoss es mir als erstes durch den Kopf als ich langsam zu mir kam und fühlte mich alles andere als erholt. Einen erholsamen Schlaf hatte ich seit längerem nicht mehr gehabt und ich fühlte mich ausgelaugt und erschöpft, so, als wäre ich gerade erst mit Natsu und Happy von einem anstrengenden Auftrag zurückgekehrt. Der letzte Auftrag, den wir gemeinsam hatten, lag bereits vier Wochen zurück. Vier Wochen in denen ich wieder in Magnolia war und mit der ersten Nacht seit unserer Rückkehr suchte mich in jeder Nacht dieser Albtraum heim, der mittlerweile stark an meinen Kräften nagte. Ich war gedanklich bereits den ganzen Auftrag noch einmal durchgegangen in der Hoffnung, dass ich irgendeinen Auslöser finden würde, da es meiner Meinung nach schon sehr verdächtig war, dass diese Träume erst anfingen, als ich mit Natsu diesen Auftrag beendet hatte, aber gefunden hatte ich nichts. Es war nichts weltbewegendes Geschehen, so dass ich sagte: Hey, daran liegt es! und das machte mir zusätzlich zu schaffen, denn wie sollte ich etwas bekämpfen, wovon ich nicht wusste was es ausgelöst hatte? »Doch was habe ich nur geträumt?« Ich wusste es nicht mehr, aber wieso? Ich vergaß meine Träume sonst nie, aber wieso konnte ich mich ausgerechnet an diesen Traum nicht erinnern, der mich jede Nacht um meinen wohlverdienten Schlaf brachte? Was war der Grund dafür, dass sich mein Körper, mein Kopf sich so sehr gegen die Erinnerung des Traumes sträubte? Mich schüttelte es und meine Fingernägel bohrten sich in den dünnen Stoff meiner grünen Hot-Pan, die ich zum Schlafen benutzte.   »Luce?«, hörte ich eine allzu bekannte Stimme unmittelbar neben mir sorgenvoll meinen Namen sagen. Verwirrt drehte ich meinen Kopf in die Richtung aus der die Stimme kam um direkt in zwei dunkle Augen zu schauen, die mich besorgt musterten. Mit einem Schlag befand ich mich zurück in der Realität. Der Traum war vergessen und eine Ader pochte bedrohlich an meiner Stirn, während mein linkes Auge gefährlich zuckte. »Was zur Hölle hast du - leider Gottes mal wieder - in meiner Wohnung zu suchen?«, herrschte ich den Dragon Slayer wütend an, der panisch aufsprang und abwehrend die Hände in die Höhe hob als er einen kleinen Sicherheitsabstand zwischen uns legte. »Also, ich, ä-ähm,…«, haspelte er überfordert vor sich her und suchte nach einer guten Ausrede, die ihm natürlich nicht einfallen wollte. »Ja?«, fragte ich viel zu ruhig für meine momentane Verfassung mit einer viel zu lieblichen Stimme nach. Natsu schluckte schwer und sein Adamsapfel machte einen kleinen Hüpfer. »Ich bin gerade erst gekommen, weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe?«, erwiderte er nervös, doch klang es eher nach einer Frage als nach einer Erklärung für sein Vorhandensein in meiner Wohnung, während seine Hände sich zu Fäusten ballten, sich öffneten und wieder zu Fäusten ballten. Ein Zeichen, dass er sichtlich aufgewühlt war und nicht mehr weiter wusste wie er sich aus dieser brenzligen Situation heil herausbefördern sollte. Mein Blick huschte zu meinem Sofa, auf welches ein zerknülltes Kissen und eine benutzte Decke von mir lagen, auf welcher ein stiller Happy saß und zwischen uns beiden mit einem leichten Anflug von Panik in den Kateraugen hektisch hin und her schaute. Auch er schien nicht zu wissen, was er nun sagen sollte und entschied sich daher besser seine sonst so Vorlaute Schnute zu halten. Eine sehr weise Entscheidung Happy! »So, so, ihr seid also gerade erst zu mir gekommen, ja?« Der rosahaarige Mann, der zugleich mein bester Freund war, nickte unsicher und im gleichen Moment platzte mir der Kragen. »Und warum zur Hölle schaut mein Sofa so aus als hättest du darauf die Nacht verbracht?« »Ähm, also…«, kam die geistreiche Reaktion des jungen Mannes und schon war ich aus dem Bett aufgesprungen, was sich als sehr leicht herausstellte, da meine Bettdecke dank meines mysteriösen Traumes, der mich völlig in den Wahnsinn trieb, auf den Boden lag und verpasste ihm hysterisch schreiend einen Lucy Kick, der sowas von gesessen hatte und der ihn einmal quer durch mein Zimmer schleuderte. Seinen empörten Aufruf, als er Bekanntschaft mit der Wand gegenüber machte, ignorierte ich gekonnt und deutete auf meine Tür. »Raus, aber dalli. Wie oft habe ich dir bereits gesagt, dass meine Wohnung kein Hotel ist? Hast du schon mal daran gedacht, dass ich vielleicht meine Ruhe haben möchte, wenn wir zu Hause in Magnolia sind? Oder das ich vielleicht auch Männerbesuch mit nach Hause nehmen möchte, was ich aber nicht kann, weil du ständig hier unangekündigt aufkreuzt, ob am helligten Tag oder heimlich Mitten in der Nacht, weil, ja, keine Ahnung, deine Hängematte dir zu unbequem ist?«, konterte ich bissig und hielt ihm eine Predigt, die ihn nicht zu Wort kommen ließ und selbst Erza's Wutausbrüche schienen meinen gerade in den Schatten zu stellen. Zumindest fühlte es sich für mich so an. Meine rehkitzbraunen Augen funkelten meinen pinkhaarigen Teamkameraden böse an und er schien zu wissen, dass, wenn er jetzt auch nur ein Piep von sich geben würde, ich Erza von ihrem Thron als furchteinflößendste Frau Fairy Tails ablösen würde. »Wir sehen uns, Luce«, antwortete der Dragneel eilig, packte Happy beim Rucksack und verließ fluchtartig meine Wohnung. Laut hallten seine überstürzten und hurtigen Schritte im Treppenhaus wider und ich, ja ich konnte nichts anderes als zufrieden vor mich hinzugrinsen, als mich die Erkenntnis des Tages traf. »Natsu hat zum ersten Mal meine Tür und das Treppenhaus benutzt«, murmelte ich und war ein kleines bisschen Stolz auf mich, dass ich ihn nach all den Jahren, wo ich ihn nun kannte, dazu habe bringen können. ≈ ♦ ≈ »Oh man, die hat ja heute vielleicht eine Laune«, nuschelte der Feuermagier schmollend zu seinem blauen Freund, der neben ihm herflog. Seine Hände hinter den Kopf verschränkt, hopste er geschickt auf der kleinen Mauer entlang, die sich neben den Fluss befand. Eine gar nicht mal so schlechte Angewohnheit, die er mit den Jahren von Lucy übernommen hatte, die das schon tat seitdem er sie damals mit zu Fairy Tail genommen und sich hier in Magnolia eine zentralliegende Wohnung gesucht hatte. Im Gegensatz zu seinem gehopste balancierte die blonde Stellarmagierin allerdings jedes Mal auf der kleinen Steinmauer mit ausgestreckten Armen an dem Fluss entlang, so, als würde sie jeden Moment losfliegen wollen. »Frauen sind halt komisch«, kicherte Happy, der es sich soeben auf Natsus Kopf bequem machte, da er keine Lust mehr hatte zu fliegen. Lieber machte er es sich in den weichen Strubbelhaaren seines Freundes bequem und genoss die leichte Wärme der aufgehenden Sonne auf seiner Katzenhaut. »Luce und Männerbesuch ... als ob«, nuschelte er vor sich hin und ließ seinen Blick auf die Wasseroberfläche des Flusses schweifen, die durch die ersten Sonnenstrahlen leicht glitzerte. Aber der Gedanke stört mich, dass es wirklich mal so sein könnte. Ein x-beliebiger Kerl, der sich an sie ranschmeißt und … Er kniff seine Augen zusammen und verwarf den aufkeimenden Gedanken, bevor er sich in seinem Kopf festsetzen konnte. »Ihr seid doch immer zusammen Natsu. Lucy hat gar keine Zeit, sich einen Mann zu suchen«, erwiderte der blaue Kater aufmunternd, der die bedrückte Stimmung bei seinem Freund bemerkt hatte. Hoffen wir es, ansonsten fällt das weiche Bett und die gemütliche Couch weg und ich müsste jeden Abend in meiner Hängematte pennen … Vor allen Dingen, müsste ich dann mal meine Bruchbude aufräumen und ne, lieber bei Luce schlafen, da ist immer alles schön sauber und gemütlich! »Allerdings ist Lucy in letzter Zeit wirklich komisch drauf.« »Ja, da hast du recht. Aber anvertrauen tut sie sich uns nicht. Was sie wohl bedrückt?« »Hm«, kam ein nachdenkliches Geräusch von Happy, der überlegend wieder ein paar Kreise flog. Seine weißen Flügel schlugen sachte im Wind, ehe er sich mit seinen kleinen Pfoten verzweifelt am Kopf fasste und eine verzweifelte Schnute zog. »Ich verstehe weder Luce, noch Charlé und erst recht Erza nicht. Frauen sind einfach anstrengend und viel zu kompliziert«, nörgelte der blaue Kater. »Und jetzt habe ich Hunger auf einen Fisch!«. Natsu grinste zu ihm hoch. Das Happy sich überhaupt Gedanken über seine blonde Tramkameradin machte, wenn auch nur kurz, zeigte ihm, dass er wirklich besorgt um sie war. »Wir sollten Luce auf einen Auftrag mitnehmen. Der Letzte ist bereits vier Wochen her und das wird sie sicherlich ein wenig ablenken«, überlegte der Dragneel. Die beiden strahlten sich bis über beide Ohren entschieden an. »Auf zur Gilde«, riefen sie enthusiastisch mit einem überdimensionalen Grinsen im Gesicht, das von einem Ohr bis zum anderen reichte und spurteten los. ≈ ♦ ≈ »Die beiden treiben mich schier in den Wahnsinn«, meckerte ich wütend mein Spiegelbild an, während ich mir meine Haare mit einem blauen Stoffband zu einem Pferdeschwanz zusammenband. »Meine Wohnung ist doch kein Hotel!« Allerdings machten sie sich nur sorgen um mich und ich wusste ja selbst, dass ich in letzter Zeit schwierig war. Ich seufzte schwer als ich mir meinen Pony zurecht zupfte. Mit einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel verließ ich meine Wohnung und machte mich ebenfalls auf den Weg zur Gilde, allerdings mit einem kleinen Umweg. Ich wollte noch ein wenig meine Gedanken schweifen lassen. Ich wusste nicht warum, aber es nagte sehr an mir, dass ich nicht wusste, was ich träumte. Ob es daran lag, dass ich an die Traumdeutung glaubte? Oder eher daran, dass ich noch nie einen Traum nach dem Aufwachen vergessen hatte? Ich wusste es nicht. Fest stand nur: Ohne Traum keine Traumdeutung und es war mehr als nur klar, dass durch diese ständige Grübelei, das Nichtwissen und der Schlafmangel meine Nerven bis zum äußersten gereizt waren. Abermals verließ ein tiefer Seufzer meine Lippen, was ebenfalls an mir nagte. So viel wie in den letzten vier Wochen hatte ich mein ganzes Leben nicht vor mich hin geseufzt und ich fragte mich bereits, ob das zu einer schlechten Dauergewohnheit werden würde. Ich sollte mir von Cana die Karten legen lassen. Vielleicht kann sie mir ja weiterhelfen. Abrupt blieb ich stehen und konnte über meine eigene Dummheit nur lächeln. Ja, genau!, johlte ich innerlich und konnte es nicht glauben, dass ich auf diese simple und logische Idee nicht schon viel eher gekommen war. Der Schlafmangel schien wohl mittlerweile meine Intelligenz anzugreifen. Mit neuem Elan und neu gewonnener Hoffnung schlug nun auch ich den direkten Weg zur Gilde ein und meine Schuhsohlen hallten unüberhörbar auf den Pflastersteinen wider.     Kapitel 2: Cana --------------- 2. Cana   Kaum hatte ich die Gildenhalle betreten, flog auch schon sausend ein Barhocker an mir vorbei, der meinen Pony durch die vorbeisauende Wucht regelrecht nach hinten wehte. Die ändern sich nie. Belustigt konnte ich nur mit dem Kopf schütteln als ich sah, wie sich die übliche Männerhorde miteinander prügelten und ihren täglichen Prügel-Sport absolvierten, der schlicht und einfach ein zärtlicher Faustaustausch dafür war, wie lieb sie sich in Wirklichkeit alle hatten. Natsu und Gray waren natürlich ganz vorne mit dabei. Wenigstens hier ist alles in bester Ordnung, kam es mir in den Sinn und ich lächelte belustig als soeben ein grölender Elfman an mir vorbeihuschte und sich in den Trubel warf. »Männerliebe ist so männlich!« Ich musste bei dem alltäglichen Wahnsinn lächeln und genau dieser Anblick beruhige mich ungemein. Kurz stutzte ich als ich Natsus temperamentvolles Gebrüll vernahm. Hatte ich richtig gehört? »Eiszapfen-Stripper?«, lachte ich leise und hielt meine Hand vor den Mund, als meine Augen nach meinem besten Freund Ausschau hielten. Da hat Gray wohl soeben einen neuen Spitznamen erhalten. Zu gerne hätte ich den Gesichtsausdruck von ihm gesehen. Als meine braunen Iriden einen bestimmten Magier erfassten erröteten sich kurz meine Wangen in einem zarten Rosé und mir wurde augenblicklich ganz warm ums Herz. Schnell verdrängte ich die aufkeimenden Gefühle. Ich hatte andere Sorgen als mich jetzt mit meinem geschundenen Herzen auseinander zu setzen, welches jeden Morgen einen hektischen Marathon hinter sich legte und ich sehr froh darüber war, nicht bereits an einem Herzinfarkt gestorben zu sein. Nichtsdestotrotz verlangte genau dieses seit geraumer Zeit nach der Nähe eines bestimmten Mannes. Meine braunen Seelenspiegel wanderten weiter durch die chaotische Gilde bis ich in der hintersten Ecke einen braunen Haarschopf erblickte und die dazugehörige junge Frau gelangweilt an ihrem Glas Rotwein nippte. Cana! Freudig marschierte ich auf meine braunhaarige Freundin zu und musste unweigerlich bei dem Wissen grinsen, dass sie nur vom Fass zum Glas übergesprungen ist, weil sie sich für einen gewissen gutaussehenden und intelligenten Magier weiblicher und eleganter geben wollte. Sie wollte ihm zeigen, dass sie durchaus frauliche Züge besaß und keine lallende Säuferin war und ihre einzige Liebe eben kein Fass mit Bier war. Auf den Weg zu ihr musste ich hin und wieder mal geschickt fliegende Hocker oder auch Bierkrüge ausweichen, die selbstverständlich zuvor leergetrunken worden waren. Man verschüttete hier bei Fairy Tail schließlich keinen kostenbaren Alkohol. Das dürfte klar sein! Mein Ziel erreichte ich aber dennoch. ≈ ♦ ≈ »Hey Cana, wie läuft es mit deiner Mission?« Ich setzte mich neben ihr auf die Bank und zwinkerte ihr keck zu. Die Braunhaarige nippte an ihrem Glas ehe sie sich mir mit einem viel zu ernstem Ausdruck in den Augen zuwandte, in denen ein Hauch von Traurigkeit lag. Ich musste schlucken und war sofort auf Alarmbereitschaft eingestellt. Oh, oh, Liebeskummer Alarm. »Ich habe bereits viele Männer Herzen erobert und nie irgendwelche Hemmungen gehabt einen Typen abzuschleppen. Aber bei ihm... Ich traue mich noch nicht einmal ihn um ein Date zu bitten!« Ich stützte mein Kinn auf meinen Handballen ab und sah meine Freundin mit einem wissenden Ausdruck in den Augen an. Die Alberona hingegen hatte ihren Blick zu einem bestimmten Magier in der Gilde gerichtet, der just in dem Moment eine hitzige Diskussion mit Evergreen führte. »Liegt wohl daran, dass es dir diesmal ernst ist und du dich verliebt hast«, lächelte ich sie an. Cana allerdings seufzte schwer und musste kurz über sich selber lachen, dass sie sich in den ganzen 27 Jahren, wo sie sich nun auf dieser Welt befand, zum allerersten Mal verliebt hatte und sich nach, was vielleicht etwas übertrieben war, hunderten von One Night Stands, zig gebrochenen Männerherzen, nicht traute, ihrem heimlichen Schwarm um ein Date zu bitten. Ob das ihre Strafe für die Flatterhaftigkeit war?   Ich stelle bedrückt fest, dass ich nicht die einzige war, die ein Problem mit sich selbst und mit Männern hatte, aber im Gegensatz zu mir, kannte Cana den Grund allen Übels. »Darin liegt das Problem. Sowas kenne ich nicht. Ich hatte noch nie eine ernsthafte Beziehung. Nur One Night Stands über die man nicht weiter nachzudenken brauchte. Es waren nie Gefühle mit ihm Spiel und ... « »Cana«, unterbrach ich sie lächelnd und legte tröstend meine Hand auf die ihre. »Frag ihn einfach. Es muss ja nicht nach einem Date aussehen.« »Sondern?«, fragte sie mich, während sie ihre Augenbraue skeptisch in die Höhe zog. »Ich weiß nicht, ähm, haben wir keinen Auftrag am Quest Board, den du mit ihm als Zweier-Team machen könntest? Irgendwie was mit Runen oder ähnlichem?«, schlug ich vor und überlegend schielte ich hinüber zum Quest Board, wo mein Teamkollege stand und mit einer neugierigen Mimik einige Aufträge genauer unter die Lupe nahm. Gray und Natsu sind wohl erstmal fertig mit ihrer Liebelei. Canas Miene erhellte sich augenblicklich und sie fiel mir dankend um den Hals, was für meinen Geschmack etwas zu überschwänglich war. »Eine tolle Idee Lucy. Du hast wirklich was im Köpfchen. Darauf bin ich gar nicht gekommen«, rief sie freudig und klopfte mir ein paar Mal kräftig anerkennend auf die Schulter, so dass beinahe meine Stirn mit der Tischplatte Bekanntschaft gemacht hätte. »Und was möchtest du von mir?« Abschätzend schauten mich ihre dunklen Schokoaugen an, die mich irgendwie an Zartbitterschokolade erinnerten. Abermals nippte sie an ihrem Glas Rotwein als ich mir verlegen mit dem Zeigefinger an die Wange kratzte und ihrem Blick auswich. »Naja...«, nuschelte ich unsicher und knabberte nervös mit meinen Zähnen an meiner Unterlippe herum. Ich wollte zwar, dass mir Cana die Karten legte, allerdings würde sie Einblicke in mein tiefstes Inneres haben, was mir mehr als nur unangenehm war. Wer wusste schon, was dabei an Tageslicht befördert werden würde? Sie hatte mir bis jetzt zwar zwei Mal die Karten gelegt, allerdings war dies Missionsbezogen gewesen. Noch nie hatte sie die Karten für mich aus persönlichen Gründen gelegt gehabt, doch welche Alternativen hatte ich schon? Sie war meine letzte Hoffnung bevor ich als erste verrücktgewordene Magierin Fairy Tails von den Ratsmitgliedern in eine Zelle verfrachtet werden würde und mein Name gegen eine Nummer eintauschen müsste. Von Lucy Heartfilia zu Häftling Nummer 122589. Keine schöne Vorstellung, wenn ich ehrlich zu mir war …   »Schweigst du wie ein Grab, wenn du für jemanden privat die Karten legst?«, fragte ich sie zuerst und beäugte sie kritisch. Ich wollte wirklich erst zu einhundert Prozent sicher gehen. Die Braunhaarige kräuselte verwirrt ihre Brauen, während sie mich weiterhin abschätzend mit ihrem Blick durchbohrte. »Aber natürlich, Lucy! Ich reiße zwar oft Sprüche und bringe auch viele mit dem Thema Sex hier bei uns in Verlegenheit, aber ich habe noch nie was Persönliches ausgeplaudert, was man mir anvertraut hat.« Ein erleichtertes Seufzen verließ meine Lippen ehe ich mit unruhigen Fingern an dem Saum meines Rockes zupfte. Ich wusste selbst nicht, warum ich auf einmal so beunruhigt war. Vielleicht lag es daran, dass Cana mit ihren Karten endlich Licht ins Dunkle bringen würde oder mache ich mir vielleicht zu viele Hoffnungen?   »Also ich habe Albträume. Zumindest denke ich, dass es welche sind, weil ich seit ein paar Wochen morgens immer schweißgebadet aufwache und mein Herz mir fast durch die Brust springt. Das komische ist nur, dass ich mich an jeden meiner Träume erinnern kann, nur an diesen einen nicht und das macht mir wirklich zu schaffen«, gestand ich ihr und bevor ich es überhaupt ausgesprochen hatte wusste sie, was ich von ihr wollte. »Ich soll dir die Karten legen und von dem Traum berichten«, stellte sie fest und traf damit mehr als nur in Schwarze. Ich nickte zur Bestätigung und überlegend wandte sie ihren Blick ab. Sachte schwang sie das Rotweinglas zwischen ihrem Zeige- und Mittelfinger umher und ließ damit die rote Flüssigkeit im Inneren sanft kreisen. Überlegend schaute sie in das schwappende Rot und mir wurde bereits mulmig zu mute. Warum überlegt sie so lange? Das tut sie doch sonst nicht, fragte ich mich und hatte ernsthaft Bange, dass sie meine Bitte ablehnen würde. »Also gut«, sagte sie schließlich und mir rutschte vor Erleichterung mein Herz in die Hose. Ich wollte mich gerade bei ihr bedanken, doch schnitt sie mir bestimmend das Wort ab. »Wir treffen uns heute Abend bei mir. 20 Uhr. Allerdings werde ich dir nicht die Karten legen. Eine Traumdeutung muss man anders angehen«, erwiderte sie und erhob sich von der Bank. »Wohin gehst du?«, fragte ich sie verwundert und sah zu ihr hinauf. Ein viel zu freundliches Lächeln lag auf ihrem Gesicht und ein kalter Schauer lief mir über dem Rücken. »Ich muss für heute Abend noch was besorgen. Mit Karten legen kann ich die Erinnerung an den Traum nicht lesen. Wir sehen uns«, antwortete mir die Braunhaarige mit den Locken und verabschiedete sich mit einem Handgruß bei mir. Kurz verspürte ich einen Anflug von Panik und schaute ihr fassungslos hinterher. Ich ahnte nichts Gutes. »Was wohl noch dafür benötigt wird?«, fragte ich mich leise und schreckte im gleichen Moment hoch als ich einen heißen Atem auf meiner Haut spürte, der mir absichtlich in den Nacken gepustet wurde.   »Natsu!«, schrie ich sauer und verpasste ihm innerhalb einen vormittags einen zweiten Lucy Kick und er diesmal eine neue Bekanntschaft mit der Gildenwand schloss. Eingeschnappt ließ ich mich an der Bar nieder, bestellte mir bei Mirajane einen Eiskaffee und ignorierte Natsus Protestrufe, der sich jammernd seinen Hinterkopf rieb. Zumindest versuchte ich das. »Mit extra viel Sahne, Mira«, rief ich ihr hinterher und sie lächelte mich wissend an. Genervt rieb ich mir die Schläfen um die aufkeimenden Kopfschmerzen weg zu massieren. Seit Tagen schlafe ich nicht gut, meine Laune sinkt in den Keller und ich bin dauergereizt. Ich mag nicht mehr. Ein Königreich für eine Mütze voll Schlaf bitte!, nörgelte ich in Gedanken und bemitleidete mich selbst. Natsu tat mir zwar ein wenig leid, immerhin bekam er meine ganze schlechte Laune ab, aber der junge Mann schien auch nicht lernfähig zu sein und erst recht schien er nicht zu wissen, wann man eine Frau am besten in Ruhe ließ, besonders, wenn man in der Nacht zuvor wieder ein ihr eingebrochen war. Vielleicht sollte ich doch Sicherheitsschlösser an die Fenster anbringen.   Metall tickte gegen Holz, ließ es dumpf klimpern. Kapitel 3: Vicky's Magic Shop ----------------------------- 3. Vicky’s Magic Shop   Metall tickte gegen Holz, ließ es dumpf klimpern. Neugierig darüber, wer sich zu mir gesetzt haben könnte, linste ich zu meiner linken, während ich mir immer noch mit meinen Fingerspitzen sanft die Schläfen massierte. »Ist wohl nicht deine Woche, oder Lucy?«, vernahm ich eine desinteressierte Stimme, zumindest sollte es den Anschein erwecken, denn ich konnte einen sorgevollen Unterton heraushören, was mich schmunzeln ließ. »Wohl eher nicht mein Monat«, verbesserte ich den Eismagier, zu welchem ich mich nun vollends wandte. »Und mein Teamkamerad macht es mir heute auch nicht unbedingt leicht«, fügte ich genervt hinzu und musste lächeln als Gray bei meiner Aussage amüsiert mit den Mundwinkeln zuckte. »Unser Chaot macht es einem doch nie einfach«, grinste er und neigte mir leicht den Kopf entgegen. Onyxfarbene Augen sahen mich durchdringend an und ich traute mich nicht zu atmen. Seine dunklen Iriden, die mich ruhig musterten, ließen meine feinen Nackenhaare zu Berge stehen und meinen Puls diesmal angenehm in die Höhe schießen. »Wenn du Probleme oder Kummer hast Lucy, dann kannst du zu jeder Tages- und Nachtzeit mit mir darüber reden«, sagte er in einem besorgten Tonfall zu mir. »Natürlich nur, wenn du möchtest«, fügte er sogleich hinzu. Scharf zog ich die Luft ein und schaute ihn verwundert an. Mit solch einem Angebot hatte ich nicht gerechnet. Er ist wirklich total lieb und zuvorkommend. »In Ordnung?«, fragte er nach, nachdem ich keine positive Reaktion ihm gegenüber zeigte.   Hinter mir hörte ich es schon gefährlich brodeln. Ich konnte Juvias Todesaura in meinem Rücken wahrnehmen und bildete mir ein, dass ich Wasser kochen hörte. Auch ohne, dass ich mich umdrehte wusste ich, dass sie mir am liebsten tausend Dolche in den Rücken jagen wollte. Langsam, qualvoll und schmerzhaft. Schließlich sprach ihr heißgeliebter Gray-sama gerade vor ihren Augen mit ihrer selbsternannten Liebesrivalin. Sie hatte bei unserer ersten Begegnung bereits den richtigen Riecher gehabt und wusste eher über meine Gefühle Bescheid als ich. Schon irgendwie witzig, dass ich es erst im letzten halben Jahr verstanden habe, was mein Herz mir die ganze Zeit versucht hatte zu sagen und Juvia war sich bereits Jahre zuvor darüber im Klaren gewesen. Ironie des Schicksals.    »Okay«, flüsterte ich ihm mit gedämpfter Stimme zu und mein Herz machte einen freudigen Hüpfer. »Danke Gray, das bedeutet mir viel«, erwiderte ich und lächelte ihn dankbar an. Er hatte bei weitem keine Ahnung wie sehr mich dieses simple Angebot glücklich machte. Doch ehe ich noch ein weiteres Wort zu ihm sagen konnte, befand sich ein gewisser Dragon Slayer zu meiner Rechten und klatschte mir schwungvoll ein Blatt Papier vor die Nase. »Lass uns auf einen Auftrag gehen«, forderte er bestimmend und ich nahm missmutig das Blatt vom Quest Board in die Hände. Anscheinend hatte sich Natsu nach einer gefühlten Ewigkeit, die er vor dem Board gestanden hatte, für einen Auftrag entscheiden können. Kurz war ich darüber verwundert gewesen, denn normalerweise riss er willkürlich irgendeinen Zettel vom Board, doch heute schien er sich Mühe bei der Auswahl genommen zu haben, was mich das Blatt neugierig mustern ließ. Auf einen Auftrag hatte ich in meiner Verfassung eigentlich alles anderes als Lust. Außerdem wollte ich mich lieber an meinen Traum erinnern, aber der gestrige Blick auf mein Konto hatte mir verraten, dass ich nicht mehr genug Jewel für die nächste Miete beisammen hatte und so, wie meine Vermieterin zurzeit drauf war – vielleicht lag das auch an Natsus ständigen unangemeldeten, nächtlichen Besuchen bei mir, so dass er in den Augen meiner Vermieterin bereits als nichtzahlender Untermieter galt und bei ihr mittlerweile den Spitznamen Schmarotzer innehatte - würde sie mich direkt auf die Straße setzen und dabei noch nicht mal ein schlechtes Gewissen mir gegenüber haben. Und bei Natsu will ich nicht zwangswohnen müssen! Allein bei der Vorstellung, ich müsste in dieser Drecksbude auch nur eine Nacht übernachten, schauderte es mich und leichter Ekel stieg in mir auf. Wie Natsu mit Happy zusammen in dieser Müllhalde leben, respektive wohnen konnte verstand ich bis heute nicht.   Gray lehnte sich zu mir herüber um den Auftrag mitlesen zu können, der soeben bei mir in weiter Ferne gerückt war. Leise hörte ich ihn murmeln, während mir unweigerlich die Röte in die Wangen schoss und ich die Seiten des Papiers fester umklammerte. Zu nah. Zu nah, hörte ich meine Alarm Sensoren ticken bis ein einziges Wort meine volle Aufmerksamkeit erregte und ich seine Nähe völlig ignorierte. »Wie bitte?«, platzte es überrascht aus mir heraus und las mir den Auftrag aufmerksam durch. Ich wusste zwar nicht warum, aber dieser Auftrag hatte definitiv mein Interesse geweckt. Allein, wie der Auftraggeber das Hilfegesuch formuliert hatte war ungewöhnlich. Es klang so gehoben und entweder lag es daran, dass mich seine gutgewählten Sätze in den Bann zogen oder an den mysteriösen Mondpalast hoch im Norden. Wahrscheinlich spielte alles zusammen eine Rolle und löste in mir einen gewissen Reiz aus. Der Auftrag schien mich regelrecht anzuziehen, aber eine einzige Sache störte mich gewaltig und das war nicht die hohe Belohnung, die unser Auftraggeber Joy Akish in Form von 444.444 Jewel zahlen würde und die mich unter normalen Umständen skeptisch gemacht hätte, denn wer zahlte schon freiwillig eine so hohe Summe aus seiner eigenen Geldbörse für einen Auftrag, der sich relativ einfach anhörte? Es war vielmehr die Tatsache, dass er explizit verlangte, dass ein Stellargeistmagier diesen Auftrag annehmen sollte. Am Rand des Zettels befand sich eine kleine Notiz mit einem schrecklich schlecht gemalten Smiley, welches die festgelegte Belohnung erklärte. Die vier ist meine Lieblingszahl.   »Das ist eine Dreier Mission, Natsu«, sagte ich und wollte ihm bereits den Zahn ziehen, aber bevor ich weitersprechen konnte, fiel er mir ins Wort. »Wir haben doch Happy!«, konterte er rasch. Ich schüttelte verzweifelt meinen Kopf. »Wir brauchen einen dritten und fähigen Magier Natsu, sonst wird das nichts«, klärte ich ihn auf als mir das Blatt aus meinen Händen gezogen wurde und es zwischen meinen Fingerkuppen glitt. Überrascht schaute ich zu meiner Linken und sah nur noch einen gewissen Fullbuster Richtung Makarov gehen. »Ich melde das Team Gray an«, antwortete er kühl. »Ey Eisfresse, wer hat gesagt, dass du mitkommst?«, schrie Natsu empört, der an mir vorbeisauste als stünde sein Leben auf dem Spiel. »Und das heißt Team Natsu, klar?« Ich lächelte den beiden hinterher. Das wird sicherlich spannend werden. »Mondpalast ich komme!«, murmelte ich und sprang voller Vorfreude von meinem Hocker auf. »Jungs, wir treffen uns Morgen um sieben Uhr am Bahnhof und seid bloß pünktlich. Der Zug wartet nicht«, rief ich den beiden zu und meine Mahnung galt insbesondere dem Dragneel, als ich vor mich hin summend gut gelaunt die Gilde verließ. Natsus entgleisten Gesichtszüge und die kreidebleiche Hautfarbe als ich den Begriff des Grauens Bahnhof verwendete, bekam ich gar nicht mehr mit. Der Reisekoffer musste jetzt gepackt werden, bevor es zu Cana gehen würde und mit einem kleinen Gedanken, der soeben in meiner Fantasie entsprang, befand ich mich bereits im Mondpalast und stellte mir vor, ich wäre eine Prinzessin, die ausgelassen und fröhlich in einem langen, weißen Seidenkleid durch einen aus Marmor bestehenden Palast rannte. ≈ ♦ ≈   Währenddessen bog eine dunkelhaarige Frau in einer kleinen Seitengasse ein und betrat ein heruntergekommenes Geschäft. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man auf den ersten Blick sagen, dass der kleine Laden schon seit Jahren nicht mehr in Betrieb war und kurz vor dem Abriss stand, aber dies diente nur zum Schein. Nur wenige Magier wussten von diesem kleinen Laden innerhalb der Gassen Magnolias und die normale Bevölkerung wusste von seiner Existenz überhaupt nichts. Nur Magier, die sich der Voraussagung bedienten, und dazu gehörte das Karten legen und selbstverständlich das Voraussagen der Zukunft, konnten den Schutzbann, mit dem das Geschäfts belegt und vor den Augen Anderer unsichtbar war, durchbrechen.   Die Dunkelhaarige blieb vor dem leuchtenden Schutzbann stehen und zeichnete mit dem Zeige- und Mittelfinger einen Durchgang auf den magischen Bann auf. »Lösen«, murmelte sie und eine Kette mit einem ovalen Stein, die sie um den Hals trug, fing an zu glühen. Augenblicklich öffnete sich der Bann und sie schritt durch die entstandene Öffnung hindurch und legte die letzten Meter zum Geschäft Vicky’s Magic Shop zurück. Sie öffnete die alte knatschende Holztür und eine rostige Glocke, die an der Tür befestigt war und die besten Zeiten bereits seit langem hinter sich hatte, kündigte mit einem lauten Glong ihren Besuch an.   Entgegen der üblichen Erwartung erschien keine alte, gebrechliche Frau mit einer dicken Warze auf der Nase, krumm gehend mit einem Krückstock in der Hand aus der Kammer. »Oh Cana, dich habe ich schon lange nicht mehr hier gesehen«, sagte Vicky als die den Vorhang zur Seite schob und aus der Vorratskammer kam, die sich hinter ihrer Theke befand, wo sich an der Rückwand unzählige Mixturen für jeden Anlass abgefüllt und speziell zubereitet in kleinen Fläschchen befanden. »Hallo Vicky«, grüßte die Braunhaarige die junge Frau mit den orangenen Haaren und den giftgrünen, stechenden Augen, die sie interessiert musterten. »Heute wieder was spezielles?«, fragte sie frei heraus und schien sie mit ihren schlangenartigen, grünen Iriden regelrecht zu durchbohren. Ihr Blick war stechend und hätte so manchen Normalbürger schreien in die Flucht geschlagen. Cana hingegen lächelte versonnen und beugte sich mit einem überdimensionalen Grinsen im Gesicht über die Theke. »Aber natürlich, und zwar hätte ich gerne diese Flasche da«, erwiderte sie und deutete auf eine kleine dunkelbaue Mixtur in der es golden schimmerte. Vicky folgte ihrem ausgestreckten Zeigefinger und nickte verstehend. »Willst du dich an was erinnern?«, fragte die Orangehaarige neugierig als sie auf eine Trittleiter stieg und zur kleinen Mixtur griff. »Nein, aber eine Freundin«, klärte Cana sie auf und tippte ungehalten mit den Fingerspitzen auf dem dunklen Holz der Theke herum. »Ihr Geist verdrängt einen gewissen Traum und ich werde ihn heute Abend hervorlocken«. Vicky schaute sie abschätzend an, während sie die Flasche gut verpackte und in eine kleine, braune Tüte tat. »Scheint so als wärst du dir nicht sicher, ob du dich darüber freuen sollst«, antwortete sie und hob drei Finger in die Höhe, die sie kurz mit einem diabolischen Lächeln auf ihren Gesichtszügen freudig wackeln ließ. Die Alberona seufzte und rollte genervt mit ihren Augen. »Sie ist eine sehr gute Freundin, da schnüffel ich nicht gerne in ihrem Kopf herum, auch, wenn ich das bei anderen Leuten aus der Gilde nur allzu gerne mal machen würde«, erwiderte sie und drückte der grünäugigen Giftschlange 3000 Jewel in die Hand. »Verstehe, aber bei dir sind die Geheimnisse in guten Händen«, sagte sie und nahm mit einem leuchten in ihren Schlangenaugen die Scheine entgegen. »Ich weiß, und du bist und bleibst ein geldgeiles Miststück«, lachte die Braunhaarige und nahm die schmale Papiertüte von der Theke. Als sie das kleine Geschäft nach erledigtem Einkauf wieder verließ hörte sie die Besitzerin hinter sich nur belustig Lachen. Vicky war schräg, engstirnig und durch ihre grünen, schlangenartigen Augen wirkte sie wie eine Verrückte auf andere, aber die Alberona mochte die freundliche junge Frau, auch, wenn ihre einzige Liebe dem Geld galt und sie ihr jedes Mal das grüne Moos aus der Tasche zog. Kapitel 4: 20 Uhr ----------------- 4. 20 Uhr   Die Zeit bis 20 Uhr hatte ich gut rumbekommen. Mein Rucksack, den ich mit allerlei Dingen gefüllt hatte, die ich bei dem Auftrag gebrauchen könnte, stand Griffbereit neben meinem Bett und um nicht über das komische Verhalten von Cana nach zu grübeln, hatte ich meinen kompletten Haushalt auf Vordermann gebracht. Hieß so viel, dass ich wie ein wild gewordener Teufel den Putzlappen geschwungen habe und meine vier Wände glänzten wie bei meinem ersten Putz Wahn als ich frisch in diese liebgewonnene Wohnung eingezogen war. Das war bereits gute fünf Jahre her. Aber nun stand ich vor Canas Wohnungstür und betätigte mit einem nervös zuckenden Finger die Klingel. Was mich wohl erwarten wird?, fragte ich mich, aber weiter darüber nachdenken konnte ich nicht, denn schon vernahm ich tapsende Schritte und bevor ich mich versah, lächelte mich meine Freundin an, die ihre langen Haare zu einen lässigen Dutt zusammengebunden hatte. Einige Strähnen fielen ihr widerspenstig in ihr schmales Gesicht und ich starrte sie einen Moment zu lange an. »Hast du es dir anders überlegt?«, fragte sie mich, da sie meine Reaktion falsch aufgefasst hatte. Eilig schüttelte ich verneinend mit dem Kopf. »Nein, es ist nur ungewohnt, dich mit einem Dutt zu sehen. Der steht dir sehr gut. Solltest du auch mal in der Gilde tragen«, antwortete ich ehrlich und lief an ihr vorbei in die Wohnung. Sie dirigierte mich ins Wohnzimmer, wo wir es uns auf ihrer Couch bequem machten.   Unruhig spielte ich mit meinen Fingern, während mein Blick vor uns auf den Tisch gerichtet war. Auf diesem Stand eine kleine Flasche mit einem dunklen Inhalt, in welchem es golden schimmerte, ihre Karten und ein paar Duftkerzen, die einen fruchtigen Geruch verbreiteten. Pfirsich, war mein allererster Gedanke und ich nahm einen tiefen Atemzug. Ich liebte Pfirsiche, das wusste auch Cana und ich dankte ihr bereits jetzt dafür, dass sie daran gedacht hatte, denn der Duft nahm mir die Nervosität für das Kommende. »Also Lucy«, erhob sie das Wort und ich schenkte ihr meine volle Aufmerksamkeit. Aus großen, rehbrauen Augen sah ich sie an und fühlte mich wie eine Schülerin, die gleich von ihrer Mentorin eine Unterweisung in Sachen Zaubertränke und Traumdeutung erhalten würde. »Du wirst gleich diese Mixtur trinken müssen«, fing sie an zu erklären und deutete auf das kleine blaue Fläschchen. So viel zur Thematik Zaubertrank, dachte ich belustigt und nickte eifrig. Ich fragte sie erst gar nicht, wozu das blaue Getränkt gut sein sollte, denn die Antwort bekam ich bereits kurz darauf. »Diese blaue Spezial Mixtur wird dir helfen deinen Geist zu öffnen und diesen zu spalten. Das heißt, du wirst in eine Art Trance Zustand versetzt und erlebst deinen Traum, den du aus dir hervorholen möchtest, wie aus der Perspektive einer dritten Person. Du wirst ein Zuschauer deines eigenen Bewusstseins sein und mir von ganz alleine deinen Traum berichten.« Abermals nickte ich und sie legte mir beruhigend ihre Hand auf meine verschränkten Finger, die ich nun doch ein wenig zu fest ineinander drückte. »Wenn es nötig sein wird, werde ich dich mit Anweisungen leiten oder dir Fragen stellen und falls die Traumerinnerung nur bruchstückhaft oder unklar sein sollte, werden wir am Ende der Sitzung meine Karten zur Hilfe ziehen und den deuten, okay?« Ich schloss für einen Augenblick meine Augen und sog mit einem tiefen Atemzug den Geruch von Pfirsich ein, der sich im Raum ausgebreitet hatte. »Alles klar, ich bin bereit!«, erwiderte ich mit fester Stimme und schaute sie aus meinen rehkitzbrauen Augen ernst an. Ich möchte wissen was ich jede Nacht träume. Ich will wissen, was mir den Schlaf raubt und mich langsam verrückt werden lässt!   Ein aufmunterndes Lächeln zierte ihre Lippen als sie zur Mixtur griff und den Korken entfernte. Ich nahm ihr die Flasche ab. »Alles austrinken?«, fragte ich und beäugte den blauen Inhalt skeptisch. »Ja«, antwortete sie mir und schien meine Gedanken zu lesen. »Keine Sorge, es ist nicht giftig«, kicherte sie vergnügt, was mir peinlich berührt die Röte in die Wangen schoss. Ich setzte den Flaschenhals an meine Lippen an und leerte das Fläschchen in nur einem kräftigen Zug. Ein bitterer Geschmack bereitete sich umgehend auf meiner Zunge aus und mir wurde etwas schummrig. »Du könntest eine gute Saufkumpanin werden«, nickte Cana mir anerkennend zu und reichte mir ein Kissen. »Jetzt leg dich hin und entspann dich«. Ich folgte der Anweisung allzu gerne, da es sich in meinem Kopf bereits wie ein Kettenkarussell zu drehen begann und legte mir das Kissen in den Nacken. Derweil schaltete Cana das Deckenlicht aus, so dass das Wohnzimmer nur noch durch die Duftkerzen erhellt wurde. Die kleine rotblaue Flamme warf tanzende Schatten an die Wände. Kurz kam es mir so vor, als würden sich die Schatten lösen und in unterschiedlichen Gestalten Mitten im Raume schweben. Meine müden Augen huschten von einem der tanzenden Schatten, der mich irrwitziger Weise an eine Maus mit Flügeln erinnerte, in meinem vernebelten Sichtfeld zu der flackernden Flamme, die vor meinen Augen einen wilden Tanz vollführte. Gebannt schaute ich auf diese lodernde Flamme und bemerkte, wie mein Körper und meine Augenlider immer schwerer und schwerer wurden. Auf einmal hatte ich das Gefühl, als würde ich schweben.   Am Rande vernahm ich Canas gedämpfte Stimme die zu mir sprach. Sie glich einem flüstern und wies mir in einer sanften Tonlage den Weg. Es rauschte in meinen Ohren, hinter meinen Augenlidern flackerte es in allerlei Farben und mit einem Mal befand ich mich in einem Gebäude wieder, was ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen hatte. ≈ ♦ ≈   Mein blaues Sommerkleid wehte sachte im Wind, der pfeifend um die Ecke des Gebäudes zog. Mit einem Lächeln schob ich meine blonden Haare hinter mein Ohr, die der Wind mir störend ins Gesicht geweht hatte. Doch ich störte mich nicht weiter daran und hielt meinen Blick weiter in die Ferne gerichtet. Der Anblick war atemberaubend schön und ein nie dagewesenes Funkeln lag in meinen rehkitzbraunen Augen. Der Mond zeichnete sich in seiner vollen runden Erscheinung am Firmament ab. Er war so groß, dass ich das Gefühl hatte, ich müsste nur meine Hand ausstrecken um ihn berühren zu können, während unzählige Sterne strahlend am Himmel leuchteten. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie so viele Sterne am Nachthimmel strahlen sehen, geschweige denn von dem Mond, der die Landschaft in einem Meer aus Silber verzauberte. Es gab hier kein Grün, keine Blumen die blühten, alles war verdeckt unter einer weißen, dicken Schneeschicht, einem Pulverschnee, der aussah wie leckere Zuckerwatte.   Und ich, ich stand einfach mit nackten Füßen draußen auf dem Balkon und konnte meinen Blick nicht von dieser bezaubernden Aussicht lösen. Frieren, das tat ich nicht. Das Gebäude befand sich innerhalb einer magischen Schutzkuppel, das jegliche Kälte von uns fernhielt. Nur der Wind, der um die Ecke zog, streichelte sanft meine Haut.   Ich hörte Schritte hinter mir. Jemand kam mir immer näher, doch rührte ich mich nicht vom Fleck oder wandte meine leuchtenden Augen von diesem unglaublichen Sternenhimmel ab. Ich fühlte mich nicht bedroht, nein, im Gegenteil. Meine Seele und mein Herz befanden sich im absoluten Einklang wie ich es noch nie zuvor verspürt hatte. Die Person, die zu mir gekommen war, befand sich direkt hinter mir. Ich spürte keine Hitze, aber ganz leicht ging eine vertraute Wärme von dieser Person aus. Die Person schien nicht zu wissen, was sie sagen sollte. Ich hörte nur einen gleichmäßigen Atem an meine Ohren dringend, doch dann, machte sie einen letzten Schritt auf mich zu und ich spürte eine starke Brust an meinem Rücken. Im gleichen Augenblick schlang die Person sanft ihre Arme um meine Hüfte, drückte mich noch etwas mehr an den starken Brustkorb. Ich fühlte mich unsagbar wohl und geborgen in dieser unschuldigen Umarmung und entspannte mich. »Lucy«, hörte ich ihn meinen Namen flüstern, aber ich antwortete ihm nicht. Ich lehnte mich ihm glücklich entgegen und bettete meinen Hinterkopf an seine Schulter. »Schau, wie schön sie sind«, hauchte ich nur als ich meine Hände zögerlich auf die seinen legte. Diese Nähe war ungewohnt und doch wollte ich sie nie mehr zu ihm missen müssen. Normalerweise hätte ich jetzt einen kitschigen Spruch erwartet wie: Nicht so schön wie du oder Die Sterne erblassen neben deiner Schönheit, aber nichts dergleichen kam. Es wäre auch nicht sein Stil gewesen. Stattdessen überraschte er mich auf eine ganz andere Art und Weise. Er öffnete seine Hand, in welcher ein Gegenstand lag, der mir die Tränen in die Augen trieb.   Hinter meinen Augenlidern begann es erneut zu Flimmern und ich merkte wie mein Körper unruhig wurde. Mein Puls beschleunigte sich und ich stöhnte gequält in der Trance auf, als ich im Traum hektisch durch Flure aus weißem Marmor lief. »Gray! Natsu!«, schrie ich aus voller Kehle verzweifelt die Namen meiner Freunde und mir stand die nackte Angst ins Gesicht geschrieben, doch eine Antwort erhielt ich nicht von ihnen. Ein heftiges Beben ließ das Gebäude aus Marmor erzittern. Ich verlor mein Gleichgewicht und schlug hart auf den Boden auf. Tränen rannten mir über mein Gesicht, nicht vor Schmerz, sondern aus Furcht. Ich hatte Angst, schreckliche Angst. Wo waren sie nur? Warum fand ich sie nicht? Schnell stand ich wieder auf. Fuhr mir fahrig mit meinem Handrücken über meine nassen Wangen, um sie zu trocknen, aber die Tränen hörten nicht auf zu fließen. Aus reiner weiblicher Intuition heraus bog ich den nächsten Flur ab. Dort erblickte ich eine Treppe, welche direkt nach unten, weiter in das Innere des Gebäudes hineinführte. Stufe für Stufe rannte ich diese hinunter und mein blaues Kleid, welches an einigen Stellen eingerissen war, wehte durch mein hektisches Rennen hin und her. Ich lief und lief, Stufe für Stufe. Die Treppe kam mir unendlich lang vor und ich hatte das Gefühl, eine gefühlte Ewigkeit hinab zu rennen, was wahrscheinlich auch zutraf, aber dann erreichte ich die letzte Stufe. Schwer atmend blieb ich stehen und meine Augen waren auf ein unglaublich großes Tor aus Marmor gerichtet. Der Bogen, der um das Tor errichtet worden war, war verziert mit Symbolen aus der uralten Zeit. Einige von ihnen erkannte ich. Hatte meine Mutter mir als Kind spielerisch ein paar dieser Symbole beigebracht gehabt, als sie mir nebenbei mystische Geschichten von Feen und Dämonen aus dem hohen Norden erzählte. Ich schüttelte meinen Kopf und zu meinem Entsetzen war das große Tor einen Spaltbreit geöffnet. Ein Lichtstrahl kam aus der schmalen Öffnung und ich bildete mir ein, einen stöhnenden Schmerzenslaut zu vernehmen. Pure Panik kroch meine Glieder empor. Alles in mir schrie, dass ich mich umdrehen und weglaufen sollte und entgegen jeglicher Vernunft tat ich das genaue Gegenteil. Was ist, wenn Gray und Natsu da drinnen waren und meine Hilfe brauchten? Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, den ich aufbringen konnte und ging in zögerlichen Schritten zu dem Tor. Beiläufig wischte ich mir die Tränenspuren aus dem Gesicht fort und legte meine Hand auf den kalten, weißen Marmor als ich die Tür langsam, Stück für Stück weiter aufschob. Danach hörte ich nur noch meine eigene Stimme in meinen Ohren widerhallen, die mit einem grellen, entsetzten Schrei die weiße Halle durchzog, in der es nicht ganz so weiß war, wie es eigentlich sein sollte. ≈ ♦ ≈   Im nächsten Moment fand ich mich in Canas Wohnung wieder und meine Freundin, die mich aus geweiteten zartbitterbraunen Augen überfordert anstarrte. Schwer atmend saß ich senkrecht auf ihrer Couch und versuchte mein wild schlagendes Herz zu beruhigen, das schmerzhaft gegen meine Rippen schlug. Schweißperlen zierten meine Stirn und meine braunen Seelenspiegel waren vor Schreck geweitet, während mein Mund sperrangelweit zu einem stummen Schrei geöffnet war.   »Lucy?«, hörte ich sie sanfte Stimme von Cana, die mir beruhigend ihre Hand auf meine bebende Schulter legte. »Was hast du gesehen?« Ich schüttelte wild mit dem Kopf und kniff verängstigt meine Augen zusammen. »I-Ich weiß es nicht«, erwiderte ich panisch und drückte meine Handballen fest in meine Augäpfel hinein. Ich wollte es nicht sehen. Wollte mich nicht an dieses Bild erinnern, als ich dieses Tor, den Schlund zur Hölle, geöffnet habe. Wie ein Häufchen Elend saß ich in gekrümmter Haltung auf der Couch und versuchte mich so klein wie möglich zu machen, so, als wollte ich mich verstecken oder gar ganz verschwinden. »Ab-er ich w-will es auch nicht wissen. Ich hatte solche Angst«, gestand ich ihr und wiegte mich selbst hin und her, um mich zu beruhigen und ehe ich mich versah, fand ich mich in den Armen meiner Freundin wieder, die mir tröstend über den Rücken streichelte. Fest klammerte ich mich an die Alberona als wäre sie meine Rettungsleine und heulte wie ein kleines Kind. Sie ließ mir die Zeit, die ich brauchte und dafür war ich ihr sehr dankbar.   »Geht es dir wieder besser?«, fragte sie mich, als ich mich nach einer langen Zeit endlich beruhigt hatte. »Ja«, hauchte ich erschöpft und spürte das Nachgeben der Polster. Cana war aufgestanden und keine fünf Sekunden später drückte sie mir mit einem matten Lächeln ein Kühlpack in die Hand. »Damit deine Augen nicht anschwellen«, erklärte sie mir als sie meinen fragenden Blick sah. Dankend nahm ihr dieses ab und legte es auf meine Augen als ich mich erschöpft wieder zurück die Couch sinken lieg. »Das war eine blöde Idee. Es hatte schon seinen Grund, warum ich mich nicht daran erinnern konnte und/ oder wollte«, murmelte ich grummelig und genoss die angenehme Kühle auf meinen verheulten Augen. »Wie man es nimmt«, hörte ich sie sagen und darauffolgend ein Zischen und ein dumpfes Plopp. Gierig hörte ich sie eine Flasche leeren. Ich tippte auf Bier, aber sicher war ich mir nicht, weil sie in letzter Zeit auch ein Faible für Rotwein entwickelt hatte, aber das Kühlpack von meinen Augen nehmen wollte ich auch nicht um nachzuschauen. Letztendlich war es mir auch egal. »Wie meinst du das?« »Naja, du musst das Gute sehen«, sagte sie gedehnt und ich könnte förmlich ihren Blick auf mir spüren sowie das fette Grinsen, was sie zu einhundert Prozent im Gesicht hatte. »Wer war denn der Mann aus deinem Traum?« Und schneller als man gucken konnte saß ich wieder senkrecht auf der Couch während die Kühl-Kompresse lautlos auf meine Oberschenkel plumpste. »D-Das, also, ä-ähm, …«, stotterte ich Natsus geistreiche Antwort vom heutigen Vormittag herunter und schaute sie mit rotglühenden Wangen an. Ich verbringe definitiv zu viel Zeit mit Natsu.   »Ich höre«, sagte sie mit einem selbstgefälligen Lächeln und robbte auf allen Vieren auf mich zu. »U-und?«, hakte sie erneut nach als sie an ihrer Couch ankam und anzüglich mit ihren Augenbrauen wackelte. »Ich weiß es nicht okay«, antwortete ich rabiater als gewollt, aber wer wäre in dieser Situation schon ruhig geblieben. Erst verspürte man eine unglaubliche Angst, die einem in den Gliedern empor kroch, darauf folgte eine Panikattacke und ein Heulkrampf, als ich aus der Trance zu mir kam, um schließlich von Canas Neugierde wegen eines Mannes aus einem Traum völlig aus der Bahn geworfen zu werden. Alles in einem bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass das für heute definitiv genug an Erlebnissen war. Ich wollte nur noch nach Hause, in mein weiches Bett plumpsen und die Decke über’n Kopf ziehen. »Ich gehe jetzt besser. Danke für deine Hilfe, Cana«, sagte ich zu ihr als ich Aufstand und ihr das Kühlpack in die Hand drückte. Mit einem enttäuschten Ausdruck in den Augen schaute sie mich an. »Aber ich dachte, wir trinken jetzt noch einen zusammen?«, schmollte sie und schaute mich aus ihren großen schokobraunen Seelenspiegel hoffnungsvoll und zugleich flehend an. Verneinend schüttelte ich mit meinen Kopf. »Ich gehe morgen mit Natsu, Gray und Happy auf eine Mission hoch in den Norden und dafür brauche ich eine Mütze voll Schlaf, damit ich die morgige Zugfahrt mit einem gewissen Dragon Slayer überstehe«, zwinkerte ich ihr zu, aber das erwartete Kichern ihrerseits blieb aus. Ruhig blickte sie mir entgegen bis sie sich zurück auf ihren Hintern fallen ließ und seufzend durch ihre braune Haarpracht fuhr. »Passt bitte auf euch auf«. Fragend zog ich meine rechte Braue in die Höhe und verstand nicht was sie meinte. »Tun wir das nicht immer?« »Nach dieser Erinnerung finde ich nicht, dass ihr die Mission antreten solltet«, sagte sie ungewöhnlich ernst, während ich nur hysterisch lachte. »Erinnerung? Ich bitte dich, Cana ... Das war nur ein Traum. Nichts weiter als ein Traum!«, erwiderte ich und versuchte selbst an meinen Worten zu glauben als ich mir den Pferdeschwanz neu band, der zuvor durch meinen Anfall sehr in Mitleidenschaft gezogen worden war. Überzeugt war ich jedoch nicht und das wusste auch die Alberona, als ich ohne jeglichen Abschied ihre Wohnung verließ.   Es war gut, dass ich kein Abschied genommen hatte, denn das bedeutete im Umkehrschluss, dass ich wieder zurückkehren würde, oder? Vor allen Dingen mit meinen Freunden. Das nahm ich mir fest vor. Allerdings fühlte es sich nicht überzeugend an, als ich mich tief in meinen wirren Gedanken versunken auf den Weg nach Hause machte. Hoffentlich lässt Natsu mich in dieser Nacht in Ruhe, bettete ich stillschweigend und seufzte schwer. Kapitel 5: Unerwarteter Besuch ------------------------------ 5. Unerwarteter Besuch   Mehr als es nötig gewesen wäre, hatte ich mich zu Lucy gebeugt und linste mit einem zufriedenen Schmunzeln auf den Lippen über ihre Schulter auf den Zettel. Meine dunklen Augen huschten über die geschriebenen Zeilen, die mit einer filigranen Handschrift geschrieben worden waren und selten hatten mich solch wenige Worte auf einen Auftrag neugierig gemacht wie dieser hier. Hin und wieder linste ich zu meiner hübschen blonden Kameradin hinüber. Zufrieden grinste ich in mich hinein, da ich durchaus ihre Reaktion mir gegenüber bemerkt hatte. Eine leichte Röte zierte ihre zarten Bäckchen und sie starrte abwesend auf das Blatt Papier. Wo du wohl gerade mit den Gedanken bist?, fragte ich mich als mir das Ziel der Mission in die Augen stach. »Mondpalast«, nuschelte ich und hauchte dieses Wort absichtlich an ihrem Ohr vorbei. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und ich konnte eine leichte Gänsehaut erkennen, die sich über ihre schlanken Arme zog und sich die feinen Härchen aufrichteten als mein Atem ihre helle Haut streifte.   Ich wusste nicht, wann es bei mir angefangen hatte und die Erkenntnis traf mich am Anfang wie ein nackter Faustschlag Mitten ins Gesicht bis ich mir meine Gefühle ihr gegenüber eingestanden hatte und bemerkte, wie ich mich in der letzten Zeit mehr und mehr zu der hübschen Stellarmagierin hingezogen fühlte. Ich konnte meine Gefühle nicht mehr leugnen oder verdrängen, geschweige denn einen Abstand zu ihr einhalten. Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich unbewusst ihre Nähe suchte genauso wie heute. Ich wusste nicht, was sie für mich fühlte oder wie sie zu mir stand. Es war mir bewusst, dass wir Freunde waren, das waren wir hier alle in der Gilde, eine Familie halt, die zueinander ein festes Band pflegten, aber meine Gefühle ihr gegenüber gingen weitaus mehr in die Tiefe. Ich wollte sie berühren, wollte in ihrer Nähe sein, sie besser kennenlernen und mich einfach mit ihr unterhalten. Des Öfteren hatte ich mir bereits vorgenommen gehabt, sie einfach um ein Date zu bitten. Es ist nicht so, dass ich mich nicht trauen würde, aber ihre rehkitzbraunen Augen sahen in den letzten Wochen stets sorgenvoll aus. Sie war meist in Gedanken versunken, grübelte verzweifelt über irgendwas nach, während sie sich dabei unbewusst mit ihren Fingern über ihre Augenringe fuhr, die selbst ihr Make-Up so langsam nicht mehr abdecken konnte. Zudem seufzte sie viel vor sich hin und das war alles andere als normal. Genau aus diesem Grund hatte ich sie noch nicht gefragt gehabt. Es fühlte sich falsch an sie um ein Date zu bitten, wenn sie anscheinend von Kummer geplagt war und ich machte mir berechtigte Sorgen um sie.   Während Natsu mit Sicherheit einen Lucy Kick abbekommen hätte, bekam ich als Belohnung von ihr eine Gänsehaut geschenkt. Unweigerlich musste ich schmunzeln als ich feststellte, wie ihr Körper auf mich reagierte und das machte mir Hoffnung. Im gleichen Moment erschrak sie jedoch aus ihrer Starre und fixierte den Zettel mit einer gewissen Konzentration. Da war sie also wieder, die alte Lucy. Als sie allerdings die Bedingung las, die der Auftraggeber forderte, seufzte sie frustriert und versuchte ihren besten Freund zu erklären, dass ein dritter Magier benötigt wurde und Happy alles andere als dafür geeignet war. Der Dragneel blies beleidigt seine Wangen auf, verstand das Problem nicht, da Happy mit seinen Flügeln durchaus Magie anwenden konnte und ein festes Mitglied der Gilde war. Sie hingehen war der Verzweiflung nahe und ich fragte mich, wie die beiden nur beste Freunde werden konnten. Na gut, bei mir und Natsu fragte ich mich das jede Minute, aber laut aussprechen würde ich das natürlich nicht, dass ich den Backofen als meinen besten Freund bezeichnete, auch, wenn dies ein offenes Geheimnis war.   Entschlossen zog ich ihr den Zettel aus der Hand und erhielt nach einem verwirrten Ausdruck in den Augen ein dankbares Lächeln als ich sagte, dass ich das Team Gray mal anmelden gehen würde. Wie es zu erwarten war, war der Dragon Slayer alles andere als begeistert davon und lief mir entrüstet hinterher, den ich gekonnt ignorierte und zu unserem Master ging, der sich gerade in einem interessanten Gespräch mit Mirajane zu befinden schien.   »Master«, störte ich die ernste Diskussion der beiden und fragte mich, was denn so Wichtiges an der Tagesordnung stand und war ein paar Sekunden später durchaus froh, dass ich auf einen Auftrag gehen würde, als ich von Mirajane nur das Wort Gesangswettbewerb erhaschen konnte. Allein bei der Vorstellung Gajeel in einem weißen Anzug auf der Bühne zu sehen ließ mich gruseln. Von seinem schrecklichen Gesang, das selbst jedes Ungeziefer in die Flucht schlug, fing ich gar nicht erst an. Mira ließ uns alleine und stellte sich wieder hinter den Zapfhahn, da einige schreiend und kurz vorm Exitus stehend gierig nach Bier verlangten. »Oh Gray, was kann ich für dich tun?«, fragte mich der Master und ich hielt ihm desinteressiert den Zettel vom Quest Board unter die Nase. »Lucy, ich und der entsetzte Backofen hinter mir werden diesen Auftrag erledigen«, erwiderte ich auf seine Frage hin und versuchte Natsus beleidigende Ausrufe an mir vorbeiziehen zu lassen. »Wann soll es losgehen?«, fragte mich der alte Mann mit dem spitzen Hut auf den Kopf, der ihn wirklich wie einen Zwerg aussehen ließ. »Morgen um sieben Uhr«, gab ich knapp zur Antwort. Er zog ein kleines, ledergebundenes Einband aus seiner Hosentasche und notierte sich die wichtigsten Punkte von dem Missions-Zettel. »Genehmigt«, antwortete er kurz angebunden und nippte mit funkelnden Augen an seinem vollen Bierkrug, den ihn Mirajane soeben hingestellt hatte. Wieder einmal fragte ich mich, wie man in einem so hohen Alter solch eine Menge Alkohol vertrug. »Oi Eiszapfen-Stripper, ich habe dir nicht erlaubt mitzukommen!«, hörte ich Natsu hinter mir sagen und der mich herausfordernd an der Schulter packte. Meine dunklen Augen leuchteten voller Vorfreude auf den bevorstehenden Kampf. Beiläufig steckte ich den Zettel in meine Hosentasche als ich mich zu ihm herumdrehte und ihn bedrohlich an der Weste packte. »Wenigstens strippe ich richtig und mache keine halben Sachen, du Lauwarmer-Möchtegernfurz«, giftete ich zurück als meine dunklen Seelenspiegel abfällig über seinen Körper glitten und ihn in einer freundschaftlichen Beleidigung auf die schwarze Weste klopfte. »Du«, knurrte er mich gedehnt an, doch ehe einer von uns einen Schlag austauschen konnten, hörten wir Happys freudiges Geschrei. »Yukino!« Unsere Köpfe schellten Richtung Gildeneingang in der die silberhaarige Saber-Tooth Magierin stand, wo der blaue Kater seinen Kopf gegen ihren prallen Busen drückte.   »Dieser kleine perverse Schwerenöter«, hörte ich Natsu bedrohlich knurren als er meine Hände von der Weste entfernte und zu den beiden hinüberging. Was ist denn mit dem los? Verwirrt schaute ich ihm hinterher. Seit wann kümmerte es den Dragon Slayer, das Happy sich an die Brüste von irgendwelchen Magierinnen schmiegte? Das tat der blaue Kater schließlich andauernd allen vorweg bei Lisanna und Lucy, wobei er um Erza und Cana einen weiten Bogen machte. Verständlich, wenn man bedachte, dass das kleine blaue Fellknäuel von den beiden beim ersten und letzten Versuch eine deftige Kopfnuss verpasst bekommen hatte, so dass der Exceed drei Tage über Kopfschmerzen klagte. »Hey Natsu, was soll das?«, jammerte Happy als der Dragneel ihn von Yukino wegzog. »Finger weg von Yukino«, zischte er ihn aus funkelnden Augen an. »Jungs, beruhigt euch doch«, sagte die Silberhaarige und hob in einem Schlichtungsversuch ihre Hände in die Höhe. Man sah ihr an, dass sie nicht wusste, was sie nun machen sollte, waren Natsu und Happy in der Hinsicht schlecht zu durchschauen und unberechenbar. Besonders der blaue Kater konnte absolut hinterlistig sein, wenn er schmollte, was sich just in dem Moment mehr als bestätigte als er seinen Kameraden absolut bewusst in die Pfanne haute. »Du bist so gemein Natsu. Seitdem du mit Yukino zusammen bist, darf ich sie gar nicht mehr knuddeln …«, jammerte das blaue Fellknäuel und fing gespielt an zu weinen. Ein erstauntes Raunen ging durch die Gilde. Ich hingegen zog überrascht meine rechte Braue in die Höhe. Natsu hat eine Freundin? Ob Lucy das weiß? »... und das geht jetzt schon gute sieben Monate so. Das ist fies! Ich habe Yukino schließlich auch lieb«, schrie Happy so laut, dass es wirklich jeder in der Gilde mitbekam und wedelte wild mit seinen Beinen, während er hinter vorgehaltener Hand frech kicherte.   »Natsu hat eine Freundin?«, rief die Mehrheit seiner Kameraden ungläubig. »Seit sieben Monaten?« »Du bist sowas von ein ganzer Mann«, grölte Elfman und schlug überschwänglich mit seiner geballten Faust laut auf den Tisch ein, so dass dieser gegenwärtig in sich zusammenbrach. Elfman schien sich daran jedoch nicht weiter zu stören und stemmte voller Stolz auf seinen Kindheitsfreund seine Hände in die Hüften. »Das ist ja so männlich!«   Der Dragneel lief purpurrot an und auch Yukino schien das Szenario mehr als peinlich zu sein, während in der Gilde ein lautes Getuschel herrschte, bevor ein heiteres Gejubel ausbrach. »Das muss gefeiert werden«, schrie der Master und hob voller Elan seinen Bierkrug in die Höhe. »Aye«, stimmten alle mit ein und schon herrschte wieder das ganz alltägliche Chaos in unserem trauten Heim.   Lächelnd lief ich auf den peinlich berührten Dragon Slayer zu und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Du kannst froh sein, dass Cana nicht hier ist«, sagte ich zu ihm, was durchaus ernst von mir gemeint war. »Ich weiß«, antwortete er mir als ich an ihm vorbeiging und nickte zum Gruß der hochroten Yukino zu. Gemütlich machte ich mich auf den Weg nach Hause. Zu gerne hätte ich mit den anderen auf dieses Weltwunder angestoßen, aber ein Saufgelage konnte ich mir heute nicht mehr leisten. Morgen ging es schließlich auf einen Auftrag und ich hatte das Prinzip, vor einer Mission nichts zu trinken. Nichtsdestotrotz konnte ich es mir nicht verkneifen kurz bei der Vorstellung zu lachen, wenn Cana da gewesen wäre, die mit purer Wahrscheinlichkeit – ich würde mein letztes Hemd darauf verwetten – einmal quer durch die Gilde gebrüllt hätte in der Art von: Natsu, bist du jetzt keine Jungfrau mehr? Wie ist er denn so im Bett Yukino?   Wie von alleine hatten mich meine Füße zu Lucys Wohnung gebracht. Ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, was für einen Weg ich eingeschlagen habe. Vor ihrer Wohnung blieb ich stehen und schaute hinauf zu ihrem Fenster, welches an diesem sonnigen Tag sperrangelweit geöffnet war. Vielleicht sollte ich ihr Gesellschaft leisten und von dem neusten Ereignis erzählen. Kam mir der Gedanke. Zumindest hätte ich einen Vorwand um unangekündigt vor ihrer Türe zu stehen, aber dann sah ich sie mit einem Staubwedel an dem geöffneten Fenster vorbeihuschen und verwarf die Idee. Da störe ich jetzt nur. Und so machte ich kehrt und schlug den Weg zu meiner Wohnung ein, während ich die warmen Strahlen der Frühlingssonne auf meiner weißen Haut genoss und hier und da ein Steinchen, das sich aus dem mit Pflastersteinen versehenden Bürgersteig gelöst hatte, durch die Gegend kickte. ≈ ♦ ≈   In der Zwischenzeit nahm ein gewisser junger Mann mit kirschblütenfarbenen Haar seine Freundin bei der Hand und wirkte von einer Sekunde auf die andere mehr als erwachsen. »Möchtest du was trinken gehen?« »Gerne«, lächelte sie ihn an und zusammen verließen sie mit ineinander verschränkten Fingern das Gildengebäude um es sich bei diesem sonnigen Tag in einem kleinen Café vor der Kardia Kathedrale gemütlich zu machen.   Eine blaue Katze blieb absichtlich zurück und kicherte den beiden hinterher. »Sie haben sich ja so lieb«. Kapitel 6: Beginn eines Abenteuers ---------------------------------- 6. Beginn eines Abenteuers   Mein Wecker klingelte pünktlich um sechs Uhr und seit Wochen habe ich endlich mal wieder eine ganze Nacht durchschlafen können. Müde rieb ich mir die Augen und blieb noch einen Augenblick in meinem kuscheligen, warmen Bett liegen und genoss die Ruhe. Seit langem fühlte ich mich wieder erholt und ausgeschlafen und am liebsten hätte ich mich einfach umgedreht und noch ein paar Stunden geschlafen, aber der Luxus war mir leider nicht gegönnt. Die innerliche Unruhe und das unangenehme Gefühl, was ich gestern noch bei Cana bezüglich des Auftrages verspürt hatte, war verflogen und ich stand mit einem kleinen Lächeln im Gesicht auf. Ich sprühte nur so vor Energie. Mein Bett war fix gemacht und auch die Dusche hatte ich schnell hinter mich gebracht.   Mit einem runzeln in der Stirn stand ich nun vor meinem Kleiderschrank und überlegte, was für ein Kampfoutfit ich anziehen sollte. Spontan entschied ich mich für mein Lieblingsoutfit und zog den weißen Rock und das dazugehörige blaue Oberteil und die schwarze Armstulpe über. An meinem rechten Handgelenk, wo sich mein geliebtes pinkes Gildensymbol befand, stülpte ich ein weißes Rüschenband über. Ich zog meinen Pferdeschwanz fest und mit einem letzten prüfenden Blick an meinen Wandspiegel drehte ich mich einmal zufrieden in den Kreis bevor ich meinen Rucksack holte und vor meiner Tür in meine braunen Stiefel schlüpfte. Ich liebte diese Stiefel, denn sie waren saubequem. Gerade richtig für einen langen Marsch, der mich mit Sicherheit in dem hohen Norden erwarten würde. Ach ja, schoss es mir durch den Kopf als ich noch einmal schnell zum Kleiderschrank eilte und meinen dicken Wintermantel aus diesem kramte und kritisch zu meinem vollgepackten Rucksack schielte. »Öffne dich Tor des Löwen«, rief ich Loki aus der Stellarwelt zur mir, der mich mit seinem Liebessingsang herzlich begrüßte. Eigentlich würde ich genervt die Augen verdrehen, aber dafür war ich heute viel zu gut gelaunt. »Kannst du bitte meinen Mantel mit in die Stellarwelt nehmen? Der passt nicht mehr in meinen Rucksack hinein«, bat ich den Anführer der zwölf Stellargeister und drückte ihm sogleich meinen Mantel gegen die Brust. »Aber natürlich Lucy. Für dich würde ich doch alles tun«, säuselte er auch sogleich wieder drauf los, was mich zum Lachen brachte. Kurz drückte der Löwe seine Nase in meinen Mantel. »Dein süßer Duft bringt die Sonne in meinen Leben. Ich passe gut auf ihn auf«, schwor er mir und verschwand in einem goldenen Lichtstrahl zurück in seiner Welt. Genau wie Happy ein unverbesserlicher Schwerenöter, lachte ich in Gedanken und schüttelte meinen Kopf. Schließlich schulterte ich meinen Rucksack und verließ gutgelaunt meine Wohnung.   Meinen Rucksack hätte ich Loki zwar auch mitgeben können, aber ich wollte meine Stellargeister, die sehr gute Freunde für mich waren, nicht ausnutzten. Es wäre zwar ein schöner Luxus und ich wusste auch, dass sie es ohne weiteres zu Fragen für mich machen würden, aber ich wollte ihnen nicht ständig meine Sachen mit in die Stellarwelt mitgeben, nur, weil ich zu faul war, diese selbst zu tragen. Der Mantel war da eine absolute Ausnahme.   Die Sonne ging langsam auf und tauchte den Himmel in einem warmen Orange. Summend tänzelte ich auf der Mauer am Fluss entlang und hielt meine Arme zu den Seiten ausgetreckt um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Seitdem ich vor Jahren nach Magnolia gezogen bin, hatte ich diese komische Angewohnheit und immer, wenn das kleine Bötchen auf dem Fluss an mir vorbeitrieb, riefen mir zwei Männer zu, dass ich vorsichtig sein sollte, die ich stets mit einem »Ja, ja«, abwinkte und ihnen freundlich zuwinkte. Wer die beiden waren wusste ich bis heute nicht. Von der Sonne war noch nicht viel zu sehen. Dafür war es viel zu früh am Morgen, aber dennoch war es nicht kalt. Der leichte Wind war angenehm und ich wusste, dass es heute ein schöner Tag werden würde.   Vom weiten sah ich bereits das Bahnhofsgebäude und mein Blick fiel auf die große, runde Uhr. Die Zeiger zeigten 6:50 Uhr an. Ich hatte also noch ein bisschen Zeit bis Natsu und Happy hier eintreffen würden. Gemächlich ging ich in das Gebäude hinein und wartete an dem Gleis, von welchem wir abfahren würden. »Guten Morgen«, hörte ich eine raue Stimme hinter mir und zuckte kurz zusammen. Verwundert drehte ich mich um und blickte in zwei onyxfarbene Augen. »Oh, guten Morgen Gray. Schon hier?«, fragte ich und musste schmunzeln, als sich seine Augenbraue in die Höhe verirrte. »Ich bin schließlich nicht Natsu«, gab er mir zur Antwort und ich musste lachen. »Das stimmt. Scheint so als wäre ich überpünktliche Menschen gar nicht mehr gewohnt«, gab ich zu und kratzte mir peinlich am Hinterkopf, ehe ich ihn musterte. Er hatte eine schwarze Hose und ein weißes Hemd mit einem V-Ausschnitt an. Über seinen linken Arm lag lässig eine gefütterte Jacke mit weißem Schafsfell. Genau wie ich trug auch er einen Rucksack, der jedoch viel kleiner war als meiner, aber mein Blick wanderte zurück zu dem V-Ausschnitt, der die Fantasie zum Anregen brachte bei dem, was man darunter alles entdecken könnte. Klar, ich wusste, wie gut er gebaut war. Schließlich zog er sich oft genug einfach in der Gilde aus, aber dennoch regte dieses Shirt meine Fantasie an und mir fiel immer wieder aufs Neue auf, wie gut er aussah. Anzogen wie ausgezogen. »Ist was?«, fragte er mich, da ich ihn weiterhin unverblümt anstarrte. »Ä-Ähm«, stotterte ich verlegen und zeigte nur auf seine Jacke. »Wozu brauchst du denn so eine dicke Jacke? Dir machen kalte Temperaturen nichts aus«, versuchte ich mich aus meiner Misere herauszureden. Er schaute auf die Jacke und schließlich mich an. Ein wissendes Grinsen lag auf seinen Gesichtszügen und ertappt schoss mir genau wie gestern die Röte in die Wangen. Als Antwort erhielt ich ein Schulterzucken, denn von weitem hörten wir bereits Natsu unsere Namen rufen. Grinsend kam dieser auf uns zugelaufen und trug das gleiche Oberteil wie sonst auch, nämlich seine schwarze Weste. Seinen weißen Schuppenschal legte er sowieso nie ab und da er ein Feuermagier war, fror oder schwitzte er so oder so nicht. Wie ich ihn um diese Eigenschaft beneidete.   »Hey Luce«, begrüßte er mich freundlich während er Gray nur ein Brummeln zuwarf, welches genauso von ihm erwidert wurde. Ich kicherte. Die beiden konnten nicht mit aber auch nicht ohne einander und ich, ja ich hatte den Spaß definitiv auf meiner Seite. »Hallo Natsu, na bereit?«, fragte ich schief grinsend und zeigte auf den einfahrenden Zug. Der Dragneel folgte meinem Finger und verlor augenblicklich an Farbe. »Komm schon, die Zugfahrt dauert nur knappe zwei Stunden. Du hast schon längere überlebt«. Meine aufmunternden Worte verfehlten allerdings ihre Wirkung und er schaute mich entsetzt an. »ZWEI STUNDEN?«, schrie er panisch. »Knappe zwei Stunden«, murmelte ich kleinlaut und versuchte die anderen Passanten zu ignorieren, die komisch zu uns herüberstarrten. Gray trat an meine Seite und konnte es nicht lassen seinen Senf dazuzugeben. »Und danach geht die Reise mit einer fünfstündigen Schiffsfahrt weiter«, grinste er fies. Natsu klappte der Mund auf und der entsetzte Schrei blieb ihm im Halse stecken und ich, ja ich war mir in dem Moment nicht sicher, ob er gerade im Stehen mit diesem geschockten Gesichtsausdruck das Bewusstsein verloren hatte. »Gray«, zischte ich mahnend und gab ihm einen freundschaftlichen Seitenhieb in die Rippen. »Musste das sein?« »Ja«, war seine einsilbige Antwort, als er den nicht mehr anwesenden Natsu am Handgelenk packte und ihn in den Zug hineinzerrte. Kurz blieb er noch einmal stehen und warf mir einen Blick über die Schulter zu. »Du wirst mir dafür danken, denn du hast gestern in der Gilde was verpasst«. Fragend neigte ich meinen Kopf und er schien zu überlegen, ob er es mir hier draußen sagen sollte oder eher gleich drinnen in aller Ruhe. »Natsu hat eine feste Freundin«, entschied er sich für draußen und nun war ich diejenige die schrie und dessen Stimme ungläubig durch den Bahnhof hallte.   Das Natsu ohne Happy im Schlepptau erschienen war, war mir nach diesem Schock erst später im Zug aufgefallen. Kapitel 7: Star Moonlight -------------------------   7. Star Moonlight   Natsu ging es wirklich zum Kotzen schlecht, aber Mitleid verspürte ich keines für meinen besten Freund. Nach dem Gray mir die ganze Geschichte erzählt hatte, die ich gestern zu meinem Bedauern verpasst hatte, war ich zunächst sprachlos gewesen. Zu gerne wäre ich dabei gewesen, doch war ich gerade viel mehr darüber enttäuscht, dass mich mein – wohl bemerkt – bester Freund nicht darüber in Kenntnis gesetzt hatte, dass er sich bereits seit sieben Monaten in einer festen Beziehung befand. Nach dem Unglauben folgte die riesengroße Enttäuschung und dann setzte der Zorn darüber ein, dass der Dragneel sich mir nicht anvertraut hatte. »Geschieht dir recht«, grummelte ich beleidigt und fixierte ihn mit einem bösen Blick. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Ab und zu gab er würgende Geräusche von sich und hing auf seinem Sitz wie ein nasser Sack Kartoffeln.   Der Arme könnte einem fast leidtun. Wäre da nicht die Geschichte, die ich von Gray erfahren habe, hätte ich wirklich Mitleid mit ihm gehabt. Aber so sah die Sache bereits wieder ganz anders aus und war beinahe etwas traurig darüber, dass wir bereits eine Stunde von der Zugfahrt hinter uns hatten. Nur die fünfstündige Schiffsfahrt die vom Hafen Haregon noch folgte, der Stadt, in der ich Natsu zum ersten Mal traf, stimmte mich milde. Allerdings wusste ich auch, dass, wenn wir im Hafen ankommen würden und ich in den ganzen alten Erinnerungen, besonders an unser erstes Treffen schwelgen würde, wäre mein Zorn verraucht und ich würde mich wieder um meinen besten Freund sorgen. Natürlich aber erst, wenn ich ihn gebührend für sein unmögliches Verhalten, was er in seiner Naivität mit Sicherheit noch nicht mal mit Absicht gemacht hatte, zurechtgestutzt hätte.   Zwischen unzähligen Würgegeräuschen hatten wir nach einer gefühlten Ewigkeit auch den Grund von Happys Abwesenheit aus ihm herausbekommen. Entgegen Grays Annahme, dass sich die beiden nach dem Vorfall von gestern zerstritten haben, hatte Happy einige Ausflüchte parat gehabt, um in Magnolia bleiben zu können. Erstens, ihm wäre der Norden zu kalt. Zweitens, ein vierter Magier sei überflüssig. Es wurden von dem Auftraggeber ja nur drei geordert. Drittens, der Auftrag wäre nichts für Katzen, da es dort nur tiefgefrorenen Fisch geben würde und man könne nicht von ihm erwarten, dass er sowas essen würde. Ich spitzte meine Ohren und meinte in diesem Zusammenhang was wie Fisch Vergewaltigung gehört zu haben. Des Weiteren murmelte der Reisekranke ständig was von Verräter und Happy will nur bei Yukino bleiben. Sein Schmollen, dass Happy bei seiner Freundin blieb und sich unerlaubte Knuddeleinheiten bei ihr abholen würde, hätte beinahe süß gewirkt, würde er nicht so aussehen, wie er gerade aussah und ständig diese Würgegeräusche von sich geben. Die verfolgen mich heute noch in den Schlaf.   Keine Stunde später verließen wir unseren Zielbahnhof und wechselten in der Hafenstadt auf das Schiff Abby, was uns mit einem magischen Antrieb hoch in den Norden bringen würde. Natsu war so grün im Gesicht, das er von dem Umstieg gar nichts mitbekam und Gray ihn direkt in ihre Kajüte verfrachtete, wo der Dragneel wie ein halbtoter Drache auf das Holz Bett plumpste und reglos liegen blieb.   Ich befand mich in meiner Kajüte, welche spärlich mit einem Holz Bett und einen Schreibtisch, der seine besten Zeiten bereits seit langem hinter sich hatte und nur aus einer breiten, massiven Mahagoni Holzplatte und einem klapprigen, altern Hocker bestand, bei welchem ich befürchtete, es könnte bei dem nächsten Wellengang und dem damit verbundenen Ruck, der durch Abby jagte, eines seiner vier Beine abbrechen und wollte gerade einen Eintrag in meinem Tagebuch schreiben, das mir gleichzeitig als Ideenquelle für meinem Roman diente, an welchem ich zurzeit zu Hause in Magnolia schrieb, auch, wenn das Schreiben und meine Kreativität durch meine innerliche Unruhe litt und ich keinen vernünftigen Satz in den letzten vier Wochen auf's Papier gebracht hatte, als es an meiner Tür klopfte, die ein dumpfes Hämmern von sich gab. »Ja bitte?«, gab ich meine Erlaubnis und schon steckte ein junger Mann mit schwarzen Strubbelhaaren seinen Kopf durch den Türspalt als er die Tür ein bisschen öffnete um letztendlich ganz hineinzutreten. »Der Backofen ist für die nächsten fünf Stunden gefechtsunfähig«, grinste er mich an und ich konnte mir ein belustigtes Schmunzeln nicht verkneifen. Ich wusste, dass er nicht hier war um mir zu sagen, dass unser grüner Freund nicht ansprechbar war. Sein Besuch hatte einen ganz anderen Grund und ich wurde nicht enttäuscht als er in der Tür stehend mit dem Auftrags-Zettel in der Hand wedelte. Ich winkte ihn zu mir heran und er lehnte sich lässig gegen meinen Schreibtisch, während ich weiterhin auf meinem klapprigen Hocker saß und den Zettel betrachtete, den er mir überreichte.   »Wir sollten uns einen Plan zurechtlegen«, fing er an und erhielt von mir ein bestätigendes Nicken. Ich las mir noch einmal in aller Ruhe den Auftrag durch. »Befreie das Licht des verschollenen Sterns«, las ich leise vor und legte meine Stirn in Falten. Was es damit wohl auf sich hat? »Ich habe keine Ahnung, was damit gemeint sein könnte. Allerdings konnte ich mich auch noch nicht schlau machen«, gab ich ehrlich zu und schämte mich. Es war noch nie vorgekommen, dass ich planlos und regelrecht unvorbereitet einen Auftrag angetreten bin. Gray musterte mich eingiebig und zog verwundert seine Braue in die Höhe. Einen Vorwurf von ihm blieb jedoch aus. »Verstehe. Ich habe bemerkt, dass du nicht ganz du selbst bist in letzter Zeit, deswegen habe ich mich gestern zu Hause ein bisschen schlau gemacht«, antwortete er mir und ich sah überrascht zu ihm hinauf. »Ich bin darin zwar nicht so gut wie du, aber...« Er wirkte etwas verlegen und kratzte sich an dem Hinterkopf als er meinem Blick auswich. »... in Sternlicht geht das Gerücht herum, dass der Ort verflucht ist«, führte er weiter aus und stieß sich vom Tisch ab. Er fischte mit seinen schlanken Fingern eine Karte des Ortes aus seiner Hostentasche heraus und bereite diese auf der dunklen Tischoberfläche aus. Der Eismagier kniete sich neben mich, so dass wir uns nun auf gleicher Augenhöhe befanden und deute auf einen bestimmten Punkt auf der Karte. Nur kurz erhaschten meine rehkitzbraunen Augen den Ort Sternlicht ehe ich meine Aufmerksamkeit verträumt auf diese langen, schlanken Finger warf. Hatte ich schon mal erwähnt, dass ich seine Hände sehr anziehend fand? Sie waren sehr gepflegt, kein Stückchen Hornhaut konnte ich erkennen, obwohl er ein Magier war, der mit seinen Händen bereits viele Kämpfe ausgefochten hatte. Allein die ständigen Prügeleien mit Natsu … Aber nichts davon war zu sehen. Er schien sehr viel Wert auf sein Äußeres zu legen und ich verspürte den Drang in mir, diese Hand berühren zu wollen, die sich direkt vor meine Nase befand. Ob sie so weich ist wie sie ausschaut? Einen Augenblick schweifte ich ab und fragte mich, wie sich diese Finger wohl auf meine Haut anfühlen würden, wenn sie tänzerisch meinen Körper erkundeten und ohne es zu bemerkten fuhr ich mit meinen Fingerkuppen über seinen Handrücken. So zart, schoss es mir durch den Kopf als ich eine verdutzte Stimme hörte, die meinen Namen sagte. »Lucy?« Eilig zog ich meine Hand zurück und schaute ihn aus großen Augen ertappt an. »Ähm, wo waren wir?«, fragte ich um vom Geschehen abzulenken und mein schwarzhaariger Teamkamerad spielte mit einem undeutbaren Funkeln in seinen onyxfarbenen Augen zu meinem Glück mit. »Sternlicht soll verflucht und angeblich von einem Dämon heimgesucht worden sein, der das Licht des verschollenen Sterns gestohlen hat«, erklärte er weiter und zog aus seiner anderen Hosentasche ein kleines Buch, eingewinkelt in einem schwarzen Ledereinband, heraus. Neugierig betrachte ich das Buch und als ich die erste Seite aufschlug verschlug es mir regelrecht die Sprache. »Woher hast du dieses Buch«, fragte ich ihn in voller Ehrfurcht als ich mit meinen Fingern sachte über den Titel fuhr. »Ein Vermächtnis meiner verstorbenen Eltern«, kam es von ihm und sofort bereute ich meine Frage, doch Gray winkte nur lächelnd ab. »Ich wusste, dass es dich interessieren würde und wie du dir sicherlich denken kannst, habe auch ich ein gewisses, persönliches Interesse an diesem Auftrag. Ich komme zwar ursprünglich aus dem Norden, aber Sternlicht ist weit von meinem zerstörten Heimatdorf entfernt. Soweit ich weiß haben wir auch keine Beziehung zu diesem Ort gehabt und ich frage mich, wie meine Eltern an dieses Tagebuch von dieser Frau, uhm«, er beugte sich zu mir herüber um den Namen lesen zu können und legte mir dabei seine Hand auf den Oberschenkel. »Claire Heartfilia gekommen sind, die allem Anschein nach in dem Mondpalast gelebt hat«. Fragend schaute er mich an. »Eine Verwandte von dir?« »Was? Hm, ich weiß es nicht«, antwortete ich ehrlich, aber die Tatsache, dass ich vielleicht eine Verwandte im hohen Norden gehabt haben könnte, interessierte mich im Augenblick auch nicht im Geringsten. Ich war so von diesem Titel eingenommen, dass ich nur halb realisierte, dass der attraktive Eismagier neben mir seine Hand immer noch auf meinem Oberschenkel liegen ließ und die er sicherlich nicht brauchte um sich abzustützen. Euphorisch drehte ich mich zu ihm herum. Meine Stimme war ein paar Oktaven zu hoch als ich ihm den Titel des Buches förmlich ins Gesicht kreischte und mich ihm entgegen beugte. Ich war ja so aufgeregt. »Der 14. Stellarschlüssel. Star Moonlight. Gray, es gibt einen 14. Schlüssel wovon niemand weiß, außer dieser Claire!«. Meine rehkitzbraunen leuchteten vor Aufregung und mein Herz raste wie wild. Ich war ja so aufgeregt und vor allen Dingen neugierig. »Ich muss diesen Schlüssel finden«, haspelte ich weiter und bemerkte gar nicht, wie nah wir uns in diesem Moment eigentlich waren. »Ja«, hauchte er mir entgegen und seine Stimme klang ungewöhnlich belegt. Mir blieb jedoch keine Gelegenheit um zum gefühlten hundertsten Mal an diesem Tag peinlich berührt in seiner Gegenwart zu erröten, denn es ging ein gewaltiger Ruck durch Abby, der so stark war, dass er mich glatt von meinem Hocker fegte und ich erschrocken Aufschrie.   Gray reagierte blitzschnell und fing mich schützend auf. Gemeinsam fielen wir zu Boden, wobei ich in voller Länge auf ihn landete und er schützend seine Arme um mich schlang. »Was war das?«, fragte ich mit gedämpfter Stimme, als ich mich von meinem ersten Schreck erholte. »Eine Fügung«, murmelte er benommen und ich spürte, wie sich der Druck seiner Arme um meinen zierlichen Körper verfestigte. Mein Herz begann schneller gegen meine Brust zu schlagen als mir sein Duft in die Nasenlöcher stieg. Er roch nach einer angenehmen Winterbrise, die den Duft von weichem Pulverschnee mit sich trug und mich irrwitziger Weise daran denken ließ, wie ich mit sechs Jahren zum allerersten Mal den Schnee gesehen habe. Damals war ich mit meinen Eltern auf einen Ausflug zu einem Adeligen. Auf den Weg dorthin saßen wir in einer Kutsche und ich habe damals tief und fest auf den Schoss meiner Mutter geschlafen bis diese mich liebevoll wachgerüttelt hatte und lächelnd nach draußen zeigte. »Schau Lucy. Schnee«, hatte sie mir zugeflüstert und neugierig hatte ich mit großen braunen Kulleraugen mit meinen beiden Zöpfchen aus dem Kutschen Fenster geschaut, bevor ich, schneller als meine Mutter und mein Vater gucken konnten, kreischend die Tür der Kutsche aufgerissen hatte und fröhlich jauchzend in den Schnee sprang. Ich lachte und versuchte die weißen runden Kugeln, die sich als Schneeflocken entpuppten, wie meine Mutter mir erklärt hatte, zu fangen, aber sobald die weißen Flocken meine kindliche Handfläche berührt hatten, schmolzen sie und wurden zu Wasser. Ich weiß noch wie fasziniert ich damals gewesen war und gebannt auf meine Handfläche geschaut hatte. »Mama. Mama, die Flocke löst sich auf und der Schnee ist ganz kalt«, kreischte ich fröhlich als ich auf sie zu rannte. »Die Flocke schmilzt, Lucy. Schnee besteht aus feinen Eiskristallen und ist gefrorenes Wasser«, erklärte sie mir, während ich sie aus großen Augen fragend anblickte. »Eiskristallen?«, fragte ich nach und lies mich in den Schnee plumpsten, wo ich eine Menge Schnee mit meinen Händen zu einem Ball formte und dabei lachte. »Wasser mag ich zwar nicht, aber Schnee ist toll«, johlte ich ihr fröhlich entgegen, als auch schon mein Vater nach uns rief.   »Gray?« Ich hob leicht meinen Kopf an um sogleich in zwei funkelnde schwarze Seen zu blicken, die mich gefangen nahmen. »Hm?«, gab er abwesend einen fragenden Ton von sich. Zärtlich strich er mir eine blonde Strähne hinter das Ohr, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte. Ein angenehmer Schauer durchfuhr meinen Körper als ich seine zarten Finger an meinem Gesicht entlang streifen fühlte. Ich hatte die Antwort auf meine Frage schneller erhalten als gedacht. Er ist so zärtlich und warm. Von dieser ungeahnten Erkenntnis ließ ich mich allerdings nicht ablenkten. Seine Fingerspitzen spielten an meinem Haaransatz im Nacken herum. »Gray«, flüsterte ich hauchzart seinen Namen und schaute ihn verträumt an. Diese wildtosende schwärze in seinen Seelenspiegel hielt mich völlig gefangen. Er hob seinen Kopf an und beugte sich mir etwas entgegen, während er einen sanften Druck in meinem Nacken ausübte, dem ich nur allzu gerne nachgab. Unsere Lippen kamen sich immer näher und ich hatte das Gefühl innerlich vor Anspannung zu platzen. Ich fühlte die angenehme Wärme auf meiner Haut in meinem Nacken, die von seiner Hand ausging; das vorfreudige Prickeln auf meinen Lippen. Es hämmerte laut gegen meine Tür und wir fuhren erschrocken auseinander. »Fräulein ist alles in Ordnung bei ihnen? Wir sind leider mit einem kleinen Eisberg kollidiert«, rief der Käpt’n außerhalb zu mir. »J-Ja! Alles okay«, antwortete ich hektisch und schaute Gray atemlos an. »Sorry Luce«, entschuldigte er sich mit einem zarten rosé Ton auf den Wangen, öffnete die Tür zu meiner Kajüte und lief schnellen Schrittes an einem verdutzten Schiffskapitän vorbei, während bei mir einfach nur die Beine nachgaben, die sich wie Gummi anfühlten, und ich erneut auf den Holzboden plumpste. Das kleine Buch mit dem schwarzen Einband drückte ich fest gegen mein wild schlagendes Herz und lächelte smart. »Fräulein?«, holte mich der Käpt’n zurück. »Bei mir ist wirklich alles in bester Ordnung«, versicherte ich ihm aber der alte, bärtige Mann schüttelte mit seinem Kopf als Zeichen, dass er das nicht meinte. »In einer guten halben Stunde erreichen wir den Hafen von Sternlicht. Ich werde sie und ihre Freunde wie vereinbart dort absetzen«, erklärte er mir. Meine Lippen verformten sich zu einem lautlosen ‘O’. Ich nickte ihm dankend zu und fragte mich, wo nur die vier Stunden hin waren. Dennoch kam ich nicht drum herum wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen. Er hat mich zum ersten Mal Luce genannt! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)