Unmei no Akai Ito von Amalia-chan ================================================================================ Kapitel 4: Das Ritual der Macht 1/3: Ah-Uhn, Mokomoko und derlei Dämonitäten ----------------------------------------------------------------------------- Nahezu geräuschlos setzte er in seinem Rücken auf, nur der retardierte Luftzug kündete von seiner Bewegung. Umgehend verfing sich der Wind in dem silbernen Haar und peitschte auch sein Fell in seine ausdruckslosen Züge. Seine Yôki war gerade erst abgeklungen, ehe der felsige Untergrund seinen Flug beendet hatte. Es hatte sich vor einer geraumen Weile zu einer allmorgendlichen Routine entwickelt, dass sein Sohn den Tag mit einem leisen Aufflammen der dämonischen Energie begann. Selbst bis an seine Ohren war das aufgeregte Schlossgeflüster gedrungen, die Anwesenheit, oder genauer die Streitigkeiten mit seinem göttlichen Schützling, mochten die geschulten Nerven empfindlich strapazieren. Er empfand es als durchaus lobenswert, dass sein Sprössling Entspannung scheinbar in allmorgendlichen Ausflügen suchte. Was auch immer sein Sohn dann tat, so schien er doch ein probates Mittel gefunden zu haben, um seine innere Balance zu stabilisieren. Schließlich hatten die anfänglichen Gefechte, welche durchaus das ein oder andere Inventar gekostet hatten, sowohl an Intensität als auch an Aggressivität nachgelassen. Sie schienen sich miteinander abgefunden zu haben, trugen sie ihre Differenzen doch bereits seit einer geraumen Weile vermehrt durch verbale Spitzen aus, denen der Jüngere mittlerweile immer weniger aggressiv begegnete. Er war fast geneigt zu behaupten, dass sie manches Mal von teuflischer Belustigung getragen schienen. Es war ihm nicht entgangen, dass Sesshômaru durchaus Umsicht und Verständnis entwickelt hatte im Umgang mit der Göttertochter. Ganz wie erhofft, schien doch die gemeinsam aufgebürdete Zeit und Aufgabe Wirkung zu zeigen. Devot neigte der Jüngere das Haupt gegen den Vater. Er zeigte keine Regung, lenkte den Blick von der endlos erscheinenden Weite, welche sich unter ihnen erstreckte, nicht ab, als er sich in gewohnter Ruhe, wie beiläufig, an den Jüngeren wandte: „Du erinnerst dich an Haruki, Sesshômaru?“ Der erfahrene Sohn erkannte umgehend, dass darin keinerlei Beiläufigkeit, vielmehr die Begründung dafür lag, weshalb sein Vater noch vor dem Morgengrauen, hier, fernab des Schlosses, zumindest für ihn, zu finden war. „Euer ehemaliger Befehlshaber, welchen Ihr für seine Treue mit den östlichen Grenzgebieten betraut habt, Chichi-ue.“ Was hatte ihn erreicht, dass der jahrhundertelange Waffenbruder so urplötzlich seine Gedanken beschäftigte? Es hatte sogar vermocht, den Herrn der Hunde von seinem Schreibtisch weg hinauf die höchste Klippe des Gebirges zu treiben. Pfeiffend riss der Wind an ihnen, als beide, Vater und Sohn, für den Augenblick verstummt in trauter Eintracht dem Morgenrot dabei zusahen, wie es allmählich dem Blau des Himmels wich und den weiten Horizont vor ihnen ausbreitete. Hier oben erreichte sie kein weiterer Laut, außer dem Rauschen des Windes. Es war absolut ruhig. „Haruki wünscht, dass sein Sohn, Akito, das Ritual der Macht durchläuft.“ Eine seltene Ehre, hatte ihr aller Schöpfer doch nur den wenigsten Yôkai ausreichend machtvolles Blut vererbt, um den Weg hin zum Daiyôkai überhaupt antreten zu können – unter den prüfenden Augen ihres Fürsten. Er vernahm echte Überraschung in sich regend, hatte er Haruki doch nie als derart machtvoll erfasst- neben der ausgereiften Yôki seines Vaters. Auch wenn er sich an das braune Mokomoko des Hundedämons erinnern konnte. „Ich erachte es als eine einzigartige Gelegenheit“, ließ den Jüngeren aufhorchen. War er etwa hier, um Auskunft über Ishizus Betragen zu geben? Der fremde Hof mochte von dem Urteil und der Gnade seines Vaters bedingungslos abhängig sein, wohl der Grund, warum er die Göttin an seinem Hof empfing; neben Harukis Neugierde, welche er mit seinem Vater teilte. Ein gewisser Schutz; dennoch konnte sich die dämonische Etikette als Spießroutenlauf oder gar als Fallstrick für die unerfahrene Megami erweisen. Er erinnerte sich noch lebhaft an den Patzer beim Turnier- und an ihre Nervosität. Er würde ihre Begleiter gut auswählen müssen, für die Momente, in denen sein Vater nicht zugegen sein konnte – und er durfte Ai nicht vergessen. „Wenn Ihr erlaubt, so schlüge ich vor, Ishizu-sama von Yoko begleiten zu lassen.“ Es stand außer Frage, dass die Nefrilin ihrer Göttin nicht von der Seite wich. Dennoch, auf fremde Zofen wollte er sich nicht verlassen. Im Augenwinkel erfasste er das wohlwollende Nicken, welches ihm zusicherte, dass entsprechende Instruktionen längst erteilt worden waren. Das Lächeln auf den väterlichen Zügen schien zufrieden seine Umsicht zu bemerken; fühlte sich Ishizu doch in der Umgebung ihrer menschlichen Schützlinge weitaus wohler. Yoko war im Laufe ihres Aufenthalts zu viel mehr geworden als der bloßen Zofe. Ihr Verhalten war stets ohne Tadel. Als das dunkle Gold dann ruhig auf ihm lag, weitete der Anflug von Verwunderung sein Raubtiergold kaum merklich, ehe er bereit war zu erkennen, dass der Vater wohl diesmal ihn gedachte hinzuschicken. Er erkannte jedoch nicht, dass es genau dieser kurze Augenblick war, in welchem seine Fassade brüchig war, der die Verwunderung im Vater über den fehlenden Unwillen stillte. Niemals wäre er sichtbar an die Oberfläche getreten. Dennoch vermeinte der Vater ein Zögern in den goldenen Iriden beobachtet zu haben - und missinterpretierte. Natürlich entsprach er dem väterlichen Wunsch. Zum einen ehrte ihn das väterliche Zutrauen, zum anderen bemerkte er durchaus die Prüfung, die darin nicht nur für ihn verborgen lag. Und er konnte versichert sein, dass der Vater unmöglich die tatsächliche Herausforderung für sie beide erahnte. Also nickte er devot den Kopf senkend. „Ihr reist zu Fuß. Weise Takesumi an, alles für morgen zu veranlassen.“ Er nahm es hin, als er bei sich feststellte, dass es ihm nicht einmal unrecht war, ihr sein Land zeigen zu können - mochte es auch der umständlichere Weg sein zu reisen. Es war nur eine Nacht und eine weitere vor Ort, ungeachtet des Rückwegs. Und, Yoko hatte die mickrigen Sinne der Menschen geerbt. Er war bereits wieder zurück von seinem, nach außen hin, alltäglichen Neu-Morgenritual, als der erste Sonnenstrahl durch die Fensterfront des Westflügels brach und die zuvor debattierte Schülerin neckisch an ihrer Nasenspitze kitzelte. Warm drang die oszillierende Magie ihrer treuen Begleiterin immer weiter in die Tiefen ihrer dämmrigen Bewusstheit vor, als die Schwere der Nacht nach und nach von ihr wich. Blinzelnd öffnete Ishizu ihre Lider, um sogleich auf den weißen Blütenblättern der Blume, die auf dem eingedrückten Kopfkissen zu ihrer Seite drapiert lag, haften zu bleiben. Ihr verzücktes Lächeln tröstete sie darüber hinweg, dass sie seinen Aufbruch verschlafen hatte. Winselnd begrüßte sie Ai, sobald sie sich zu regen begann. Sie lag eingerollt an ihrem Fußende, wie stets, wenn er sie verließ. Die Mondblume war nicht das Einzige, was er ihr zurückließ; wenn auch bei Weitem unbeabsichtigter. So wie seine Yôki ihren Geruch von ihm wischte, so verschloss Ai den Seinen in der Bettwäsche, einen jeden Morgen, wenn sie darauf lag – allein nur für ihre Herrin wahrnehmbar. Und so drehte sich die zierliche Göttin noch einmal zur Seite, nahm die Sonderheit seines Zuhauses zwischen ihre Finger – um dann ihre Nase weich in sein Kopfkissen zu vergraben. Es würde, kaum wäre sie aufgestanden, gleich wieder unberührt wirken, dank Ais Umsicht. Schwanzwedelnd erhob die Gottesdienerin da ihren Kopf, als das leise Knarren der Dielen hinter den Türen zu ihrem Schlafgemach die Ankunft ihrer Zofen ankündigte. Sie war ihnen für ihren wachsamen Umgang dankbar, kamen sie doch nie, ehe sie erwachte- wie auch immer sie das anstellten. Ishizu hatte Ai schwer im Verdacht und mit einem begrüßenden Lächeln auf den Lippen erhob sie sich aus ihrem Nachtlager. „Guten Morgen“, war Routine. Automatisch umhüllte sie sich mit seiner Bettdecke, ehe sie ansetzte, auf ihre Veranda in den anbrechenden Tag hinauszutreten. „Yoko, bitte, es ist nicht nötig, mein Bett jeden Morgen zu wechseln“, war freundlich gemeint- und stets das Selbe. Doch diesmal sank die Angesprochene mit ihren Begleiterinnen, beide ebenso Menschenfrauen, devot auf die Knie. Da sie den Körper und Kopf gegen den Boden gepresst behielten, hielt Ishizu irritiert noch einmal inne. Wieso musste es auch so kompliziert sein? „Yoko?“, gestattete und forderte eine Erklärung. „Ishizu-sama, der Oyakata-sama wünscht, dass es Euch an nichts fehlt“, war ebenso neu. Einen Moment stockte die Göttin. Sie war hartnäckig. Hatte man sie gemahnt? „Nun, da jedoch nicht er in diesem Bett ruht, sondern ich, möchte ich doch meinen, dass er mir die Freiheit lässt, zu bestimmen, wann ich mein Bettzeug gewechselt wünsche. Wenn es dir und deinen Damen hilft, so werde ich gerne mit ihm diesbezüglich Rücksprache halten. Widmet euch anderen Aufgaben.“ Sie wollte unbedingt vermeiden, dass ihnen dadurch ein Versäumnis entstand; doch die Bettsachen blieben hier! Die Mondblume zwischen ihren filigranen Fingern drehend trat sie, eingewickelt in seinen Geruch, hinaus in das Grün ihres Gartens. Sie konnte darauf vertrauen, dass Ai ihre Interessen durchsetzte- so es denn noch nötig war. Gedankenverloren führte sie die geöffnete Blüte an ihre Nase und sog den süßlich-herben Duft genussvoll ein. Ob sie sich die Vertrautheit mit seinem Geruch einbildete? Um sie herum waren alle Mondblumen längst geschlossen; das Mondlicht war lange dem Tage gewichen. Brach man sie, erstarrte das Leben in ihnen und verlosch Schritt für Schritt. Eingefangen in dem Moment des Pflückens waren ihre Blütenblätter weit geöffnet verharrt. Er musste sie also vor dem Morgengrauen verlassen haben. Sie erspürte ihn im Ostflügel. Warum war er so früh aufgebrochen? Reges Treiben schien den Tag einzuleiten, erreichte sie doch die Aufregung, welche das Schloss erfasst hatte. Sie war gespannt. Natürlich hatte die Sache mit dem Bettzeug lediglich für ein Schmunzeln auf den Zügen des väterlichen Mentors gesorgt, ehe er den Verantwortlichen einfach zu ihnen hatte bringen lassen. Da Yoko keine Angst gezeigt hatte auf Ishizus Bemühen hin, hoffte sie, dass der dem Rachedurst oder gar der Vergeltung zu entsagen vermochte. Ziemlich verwirrt und wohl deutlich besorgt war dieser nur Augenblicke darauf vor der Parkbank erschienen und hatte sich sogleich seinem Herrn zu Füßen geworfen, reichlich schmallippig und blass wie der Schotter, welcher die Wege in diesem Bereich des Gartens säumte. In ihr hatte sich Mitleid geregt, hatte der arme Tropf doch nur seine Anweisung nach bestem Wissen und Gewissen ausführen wollen. Dankbarerweise wusste sie ihn unter der Obsorge des Inu no Taishôs sicher. Und so war Yoko hoffentlich ab jetzt merklich befreiter bei den Alltäglichkeiten in ihren Diensten. Weit nach Mittag saß sie bereits in der Bibliothek zwischen den Regalen, welche magisch, wenn auch schwarzmagisch, so stark erweitert waren, dass sie im scheinbaren Nichts über ihren Köpfen endeten. Sie lauschte gerade einer seiner Erklärungen über einen Krieg, den dieser Freund seines Vaters in dessen Diensten wohl gewonnen hatte. Ihre Unterweisung durch seinen Vater hatte heute mit dem Ritual der Macht geendet. Sie war erstaunt gewesen zu erfahren, dass auch Dämonen so eine Art Initiationsritus kannten – wenn es auch deutlich blutiger vonstattenging als selbst so manche ihrer Menschenvölker sie begingen. Es klang vergleichbar mit ihrem Ritual der Ablösung, nur, dass es davon wohl mehrere Stufen gab. Das hatte sie nicht so recht verstanden – wie sie hoffte, noch nicht. Bei den Dämonen verhielt es sich so, dass der eigene Vater die Aufgaben erwählte, in welchen sich seine Kinder zu bewähren hatten, um von ihrem Oberhaupt, dem Inu no Taishô, ihre Macht zugesprochen zu bekommen. Ähnlich wie ihr Vater die Aufgaben, die den Göttern anvertraut wurden, welche geboren worden waren. Sie nahm an, der Daiyôkai brach eine Art Siegel. Ein äußerst seltenes Ereignis, waren doch nur wenige unter den Dämonen in der Lage, auf dieses Erbe des dunklen Erdensohnes zuzugreifen. Und dieses Mal durfte Sesshômaru an der Stelle seines Vaters diese Macht entfesseln, sodass sie sich entwickeln konnte. Sie war beeindruckt. Dass sie ihn begleiten durfte, um diesem Ereignis beizuwohnen, war beinahe in der Aufregung darüber, mit ihm als ihrem Sensei die Zeit tagsüber gemeinsam, notgedrungen, verbringen zu dürfen, untergegangen. Und so tat sie sich auch reichlich schwer seither, seinen Ausführungen aufmerksam zuhören zu können. Stattdessen verharrte ihr Blick seit einer geraumen Weile interessiert auf seinem Fell, welches seine Schultern umschlang. Sie blieb dem weißen Flaum noch einen weiteren Moment lang verhaftet, ehe sich ihr erschloss, dass er längst geendet hatte und sie sein starr auf sie gerichtetes Raubtiergold für ihre Unaufmerksamkeit abstrafte. Peinlich berührt setzte sie sich auf und tat einen leisen Atemzug. Seine Augenbraue wanderte unter seinen Pony. Er amüsierte sich nur allzu offenkundig über ihr Vergehen. An der Hitze, welche in ihre Wangen stieg, erkannte sie, dass sie errötete. Sie tat es mit einem Blinzeln ab. Den Blick behielt sie starr auf ihn gerichtet. Da räusperte es sich von dem Berg an Pergamentrollen, welche auf dem Tisch zwischen ihnen ausgebreitet die östlichen Grenzgebiete zeigten. „Ishizu-sama, wenn Ihr erlaubt, wir könnten eine Pause andenken.“ „Oh, das wäre in der Tat sehr angenehm, Myōga-oji-san“, hoffte sie doch so für einen Moment allein mit dem Dämonenprinzen sein zu können. Die Bibliothek war ein selten besuchter Ort in diesem Gebäudekomplex – und bot massenweise uneinsichtige Ecken und Winkel. Sie meinte das leise Funkeln in seinem Raubtiergold auch kurz aufblitzen zu sehen, sobald der Flohgeist dem Gesuch unumwunden nachgegeben und sich mit einer Verbeugung für „fünf Minuten“ verabschiedet hatte. Wie beide aus Erfahrung längst wussten, dauerte die Pause so lange, bis der Flohgeist seinen nächsten willigen Blutspender getroffen und den Weg zurück zu ihnen in die Bibliothek gefunden hatte. Es überraschte ihn in keiner Weise, dass ihre Züge sogleich befreiter wirkten. Als fiele die Last wie ein Vorhang von ihrem Antlitz ab, strahlte ihm ihr bezauberndes Lächeln entgegen, während er vor ihr stand, das gut gefüllte Regal in seinem Rücken und sein Blick ausdruckslos dem Ihren begegnete. Er wartete, dass sie sich erklärte, erkannte sie. „Euer Herr Vater erwähnte, dass Euer Mo-koko...“, sie brach frustriert ab, es war zu mühselig und entlockte ihm doch glatt sein so schmales Lächeln. Er hatte es gewusst; in dem Moment, als ihr Blick an seiner Schulter verweilt war. Natürlich hatten ihre Gedanken nichts mit seinen Ausführungen zu tun gehabt, schon lange nicht mehr. Sie war heute abgelenkter als sonst und das Thema so oder so nicht das Ihre. „Mokomoko, Ishizu“, verbesserte er und die Vertrautheit versicherte ihr, dass sie allein waren – für den Moment. „Wir bekommen ihn von unseren Vätern, sobald sie uns für fähig erachten, uns dem Ritual zu unterziehen.“ Es war wenig überraschend, dass sie das interessierte, war doch diese Insignie unter Seinesgleichen derart selten, dass nur wenige ihren Namen kannten. Er war beruhigt, die Überwindung, die es sie kostete, sitzen zu bleiben, nicht in ihrem Blick beobachten zu können, als sie seine Züge dabei maß; meinte er doch ihre Sehnsucht spüren zu können, welche bereits auch nach ihm langte. Es gestaltete sich von Mal zu Mal anstrengender auf Distanz zu bleiben. Er konnte einzig hoffen, dass ihre Fassaden auch dieser Idee seines Vaters standhielten. „Das wird kein gewöhnlicher Lehrausflug“, war ganz der Lehrmeister, der hier vor ihr stand. Sie schürzte die Lippen. „Und du meinst, das wisse ich nicht.“ „Ishizu“, ein Seufzen. Sie hätte es mehr belohnt, säßen sie hier nicht sprichwörtlich auf heißen Kohlen, wann der Aufpasser zurückkehrte. „Du wirst unter ständiger Beobachtung stehen. Wir beide.“ Sie nickte. Und dennoch konnte sie sich nicht gegen das leise Kribbeln in ihrem Bauch erwehren. „Aber es wird nicht auffallen, wenn du nicht von meiner Seite weichst“, bemühte sie ein zartes Lächeln. Er schüttelte nachsichtig den Kopf. Unverbesserlich. „Du hast zu viel Spaß daran, Megami“, ließ sie verzückt lächeln. „Hai, Sesshômaru-dono“, bemühte sie ihre erlernten Umgangsformen. Sie erschrak, als sich daraufhin sein Blick schlagartig erhärtete. „Niemals sprichst du irgendwen dort mit `–dono´ an!“ Es war unmöglich falsch zu verstehen. Sie hatte in seinen Augen einen gefährlichen Fehler begangen. Sie verstand nicht recht. Es war höflich, respektvoll, die Anrede für jemanden, der denselben sozialen Status genoss; er war ein Erbe und sie war eine Erbin– das hatte er ihr erklärt, ganz zu Beginn, noch etwas weniger begeistert zwar, aber er war deutlich gewesen. Hatte sie es missverstanden? „-Sama“ durfte sie nur Zuhause verwenden, um ihn anzusprechen. Es war sonst reiner Hohn, eine unter Umständen tödliche Provokation, war sie doch eine Göttin und damit unantastbar und so, strenggenommen, einzige Trägerin des göttlichen Suffixes. Da in diesem Haushalt jedoch jeder um ihre versiegelten Kräfte wusste, konnte ihre „über-respektvolle“ Umgangsform ungeahndet bleiben, ohne einen Gesichtsverlust des Herrscherhauses zu riskieren. Ihre Verwirrung musste ihr an der Nasenspitze anzusehen sein, da er sie, nach einem kaum vernehmbaren Atemzug, aufklärte; so unhörbar, dass sie lediglich an dem leichten Heben und Senken seiner Brust bemerkte, dass er erfolgt war. „Sozial gleichgestellte Fürsten untereinander benutzen das Suffix, wenn sie dem anderen einen höheren Respekt zollen wollen. Menschen tun das. In unserer Welt kostet dich das den Kopf.“ Sie verstand sofort. In einer Welt, in der Macht das Einzige war, was das Überleben in der sozialen Hierarchie definierte, durfte sie sich nicht als „schwächer“ darstellen – erst recht nicht als Erzfeindin. „Hai, Sesshômaru-san.“ „Achte auf die Aussprache“, erhob ihren Blick in sein Gesicht. Hatte sie etwa das verniedlichende „-chan“ formuliert? Doch an dem leisen Flackern seiner raubtierhaften Augen erkannte sie, dass er sie aufzog. Sie hatte es deutlich ausgesprochen. Da Myōga noch auf sich warten zu lassen schien, packte sie daher die erstbeste geschlossene Pergamentrolle und hatte sich in einem Versuch, diese ihm überzuziehen, so weit über den Tisch gebeugt, dass sie beinahe bäuchlings darauf zum Liegen kam. Sein „verlockend“, sorgte dafür, dass die nächste Rolle bereits schnurstracks auf ihn zuhielt. Er wich auch dieser gekonnt aus. Da unterbrach das dezente Räuspern erschreckenderweise die Szene. Wie Eis erstarrte die Ausgelassenheit in ihren Venen. Ishizu war froh, dass ihr Gesicht hin zum Fenster hinaus, dem Störenfried abgewandt war, gab ihr dies doch die Chance, den Ausdruck der Vertrautheit hinwegzuwischen und gegen vor Zorn geschürzte Lippen auszuwechseln. Sesshômaru war beeindruckt, als Takesumi ihr giftiger Blick traf, während sie sittsam auf ihren Platz zurückglitt. Wie viel darin nun gespielt war und wie viel empfunden, beließ er einstweilen dahingestellt. Stattdessen hielt er es für besser, dem väterlichen Vertrauten mit einem dezenten Neigen seines Kopfes das Wort zu erlauben, als der sein Erscheinen mit der obligaten Unterweisung in den dämonischen Haushalt erklärte. Als der Schwarzhaarige sich zum Gehen wandte, blickte er noch einmal über seine Schulter und bemerkte, fast beiläufig: „Wenn Ihr gestattet, so wäre ein „Sensei“ sicher passend.“ Ishizu sah sich nicht sofort mit einer Chance bedacht, seiner triumphierend gezückten Augenbraue angemessen begegnen zu können. Doch sobald sie an ihm vorbeikam, zweifelte Sesshômaru doch glatt an seinen Sinnen, als die Prinzessin der Götter ihm da frech die Zungenspitze rausstreckte, ehe sie sittsam Takesumi weiter aus der Bibliothek folgte. Die Nacht war bereits weit fortgeschritten, die Dunkelheit so düster, dass ihre menschengleichen Augen definitiv seiner Führung bedurften, als er mit ihr über den Hof schlich. Seine dämonische Energie wäre zu auffällig gewesen, hätte doch nicht nur der Vater diese einwandfrei zuordnen können. Also hatte er sie, nach reichlichen Bemühungen, doch noch dazu bewegen können, ihm voran aus ihren Gemächern zu treten. Er verblieb dabei in ihrem Rücken, sodass er im Falle ihres Entdecktwerdens jederzeit unbemerkbar rasch auf die gehörige Distanz weichen konnte. Seine Hände lagen warm um ihre Oberarme und dirigierten sie. Es erinnerte Ishizu an ein Kinderspiel, welches sie oft mit den göttlichen Halbwesen und Kindern, welche geboren waren und heranwuchsen wie sie, gespielt hatte. Nur, dass sie diesmal keine Augenbinde brauchte und seine Berührung permanent kribbelnd ihre Arme hinabwanderte. Als sie der erste Lichtstrahl durch das Holz der geschlossenen Flügelfenster erreichte, welche in Zweierreihen die niedrigen Bauten um den Hof säumten, beschleunigte er ihre Schritte. Sie stieß leise die Luft aus - nur zu deutlich protestierend, woraufhin sie sich gepackt fühlte, wenn auch nicht schmerzhaft-grob und im nächsten Moment gegen eine der Mauern gedrängt vorfand. Der Stein war eiskalt. Dunkel funkelten ihr seine Raubtieraugen im fahlen Licht entgegen, welches durch die Maserung der Türen drang. Er bemühte den Türgriff, als sie zum Meckern ansetzen wollte. Da hatte sie sein stählerner Körper auch schon in den Stall gedrängt. Erstaunt blickte sie sich um, als sie penibel aneinandergereihte Boxen vorfand. Sie waren leer. Es gab tatsächlich einen Stall. „Was wollen wir hier?“, wagte sie endlich die Stille flüsternd zu brechen und verbreiterte sein Grinsen. Er machte ein solches Geheimnis darum, dass sie befürchtete, er nähme sie erneut auf den Arm. Dafür war sie dann doch zu müde. Abermals fühlte sie sich sanft an ihren Schultern umfasst und bedachtsam umgedreht. Sein Atem strich ihr heiß von der Ohrmuschel über die Wange. Es erschauderte sie, als sein Tenor in ihren Gehörgang vibrierte. Er stand so nahe hinter ihr, dass sie sein belustigtes Grollen in seiner Kehle durch den Stoff von seiner Brust auf ihren Rücken überspringen erspürte. „Ah-Uhn bestimmt seinen Reiter.“ Natürlich, er war ihr da ja noch eine Erklärung schuldig. Sie war erstaunt einem zweiköpfigen Drachenwesen gegenüberzustehen, welches schmatzend das Heu in beiden Mäulern zerkauend in seiner überdimensionierten Box stand und sie mit großen Augen besah. „Wer ist Ah und welcher ist Uhn?“, beugte sie sich leicht zurück und lehnte sich so noch enger an ihn. Ihre Stimme hatte sie noch um eine weitere Nuance gesenkt, in der Hoffnung, das Drachengehör möge nicht so fein sein, wie das des hundeartigen Besitzers. „Es wird nicht dienlich sein, ihn einzeln anzusprechen.“ Sie konnte hören, dass er schmunzelte. Dennoch meinte sie zu verstehen. Der Stolz der Drachen, so konnte sie nur verlieren, spräche sie doch immer Einen als Zweiten an. „Warum hatte das nicht bis morgen Zeit?“ „Wenn Ihr lieber vor aller Augen abgewiesen werden wollt, Megami-sama“, veranlasste sie dazu, ihren Ellbogen in seine Seite zu boxen. Sie hatte Erfolg. Es war als schlüge sie ihr Gelenk gegen Stein- es tat ihr weh. Sie verbat es sich, ihren Ellbogen zu reiben. Als wenn ein Drachenwesen sie ablehnte. Sie war die Freundin aller Drachen. Also straffte sie ihre Schultern. Automatisch richtete sie sich auf, ganz so, wie es ihr beigebracht worden war. Alles unter den Argusaugen des Besitzers und seines Reitdrachens. Dann trat sie sicheren Schrittes auf das stolze Wesen zu, sich seiner wachsamen Beobachtung der Geschehnisse in ihrem Rücken sicher. „Hallo, Ah-Uhn, ich bin Ishizu.“ Auch wenn sie sich nicht ganz sicher war, wem er wen gerade vorstellte, bemühte sie eine Vorstellung in ihrer Sprache. Es war ihr nicht gestattet, ihr Versprechen an den Drachenlord zu brechen, zumal sie annahm, dass es auch so funktionierte. Sachte erhob sie ihre elfenbeinfarbene Hand. Heiß blies einer der Köpfe alsbald seinen Atem aus seinen Nüstern über ihren Handrücken, als er ihre Witterung aufnahm. Noch ließ er sie näherkommen. Eine Stecknadel hätte die angespannte Stille donnernd gebrochen, wäre sie zwischen dem Heu auf den Boden aufgeschlagen. Sein Schnauben erschreckte sie bis ins Mark, dennoch wagte sie nicht zurückzuzucken. Es wurde andachtsvoll registriert. Stattdessen überwand sie die restliche Distanz, sobald der Kopf sich ausgeschüttelt hatte und erfühlte die Wärme seiner geblähten Nüstern. Sie behielt die Hand hauchzart auf seiner Haut, jederzeit bereit geschwind Abstand zu suchen – und tatsächlich geschah gar nichts. Ein Blick, ein Moment des Verharrens, dann kaute der Grünbeschuppte entspannt weiter. Das feine Lächeln, das sich über die Züge in ihrem Rücken spannte, entging ihr, als sie ebenso lächelnd begann, den Reitdrachen zu streicheln. Eingehend betrachtete sie diese sonderbare Schöpfung ihres Freundes. Ishizu registrierte bei sich, dass Ah-Uhn den gesamten Abschnitt für sich allein bewohnte. „Wie habt ihr euch gefunden?“, erhob ihren Blick hin auf seine erneut ausdruckslosen Züge. Einzig die Tatsache, dass sie nicht angespannt waren, gab ihr einen Hinweis darauf, dass es ihm gefiel. „Er war ein Geschenk.“ Was hatte er sich nur dabei gedacht? Hatte der Reitdrache doch Sesshômaru offenkundig als seinen Herrn erwählt. Interessiert wanderte ihr Blick darunter zurück auf die kauende Riesenechse. Erst seine Wärme, die in ihrem Rücken auf sie abstrahlte, bewegte sie dazu, von Ah-Uhn abzulassen und sich ihm zuzuwenden. Instinktiv wanderten ihre Arme um seinen Nacken, als er sich ihr bereits entgegenneigte. Sehnsüchtig schmiegte sie sich an ihn und stieß ihre Nase zärtlich gegen seine als Dämonengold göttliches Meeresblau einfing. „Und jetzt?“ Trotz ihrer verheißungsvoll gesenkten Augenlider war sie sich nicht zur Gänze der Tragweite ihrer Wirkung auf den Dämonensohn bewusst, als sich sein gefährliches Lächeln über ihren Lippen spannte. Heiß prallte sein Atem gegen sie, als er ihr dunkel entgegengrollte: „Heu ist weich, Ishizu.“ Sie lachte leise auf, wollte sich ihm entwinden und hob zeitgleich die Hand. Er ließ sie aus. Das leise Klimpern, als er die linke Klaue hob, lenkte ihren Blick kurz von seinen Zügen ab. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass er die Türen versperrt hatte. Er war bereits wieder so nahe bei ihr, dass sie automatisch zurückwich. Sie erkannte das Spiel an dem Funkeln in seinem Raubtiergold, als der Dämon sie so in die nächste Box drängte, welche wohl als Lager für frisches Stroh und Heu diente. Bald war er abermals vor ihr, ließ keine Distanz mehr aufkommen und hatte ihre Lippen sehnsuchtsvoll mit den Seinen verschlossen, noch ehe ihr Protest über diese entweichen konnte. Er erstarb noch in seinen Armen, als er sie tiefer hinein in die Box bugsierte und mit ihr ins weiche Heu sank. Der Drache würde von nun an auch sie mit seinem Leben beschützen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)