Unmei no Akai Ito von Amalia-chan ================================================================================ Kapitel 10: Neugier 2/3 ----------------------- Das weitverbreitetste Gerücht entsteht merkwürdigerweise immer durch ein Geheimnis. (Unbekannt) Es war das charakteristisch dumpfe Auftreffen von Knochen auf Holz, das Ishizus Gedanken vom hereinbrechenden ersten Sonnenstrahl des Tages zurück in ihre Gemächer befahl. Wie stets hielt die Himmelstochter kurz inne. Nichts in ihr wollte sich jemals an diese Eigenart aller Irdischen gewöhnen, sich in steter Manier des eigenen Ranges zu versichern und ihn so immer tiefer einzumeißeln ins gesellschaftliche Gefüge. Yoko schlug unbehelligt den Ärmel um, noch während der Aufprall ihrer Stirn vor den geschlossenen Türen etwas gedämpfter in das Ankleidezimmer drang. „Was ist?“, verlangte sie für ihren Schützling barsch zu wissen. Sie war noch nicht einmal richtig angekleidet! Zumal ihr nicht entgangen war, dass die Göttin seit einiger Zeit etwas schwerer in den Tag fand als üblich. Sie wirkte dann oft noch bis weit in das Ankleiden hinein müde, war tief in Gedanken und hatte den Blick meist hinaus in die Natur gewandt, ganz so wie heute. Gestern hatte ihr dann noch alle Farbe gefehlt. Yoko hätte ihren Schützling am liebsten im Bett behalten, um auszuschlafen. Doch die Göttin kannte keine Entschuldigung, ging es um ihre Unterweisungen durch den Herrn. Der ausgedehnte Spaziergang schien ihr gut getan zu haben. Ihre Wangen waren belebt gewesen, als sie mit dem Erben zurückgekehrt war. Einen Streit hatte Yoko schnell ausschließen können. Dafür war ihr Schützling zu ausgeglichen in ihrer Stimmung heimgekehrt. Laut der dämonischen Kolleginnen war zwar das Yōki ihres Prinzen für den Moment spürbar angestiegen, jedoch in eher unbedenklichem Maße, bedachte man die Bandbreite, die ihre Herrin bereits bei ihm hervorgerufen hatte. Also ging nicht nur sie eher von einer Auseinandersetzung aus, die sich wohl rasch wieder geklärt hatte - typisch für die Beiden und längst keines Wortes der Tuschelei mehr wert. Mit Wohlwollen hatte sie daher zur Kenntnis genommen, dass Ishizu sich gestern frühzeitig zur Ruhe begeben hatte. „Die Gobodo-sama wünscht die Anwesenheit der Hime-sama in ihren Gemächern“, weckte Ishizus Neugier. Dann musste Sesshōmaru bereits zurückgekehrt sein. Sie verbat es sich, ihre Sinne sogleich nach ihm auszusenden, wusste sie doch nichts über die mütterlichen Fähigkeiten. Dennoch vermeinte sie ihr Herz einen aufgeregten Hüpfer in ihrer Brust tun. Ein Glück waren die Damen allesamt Menschenfrauen, die den Tag mit ihr einläuteten. Sie hatte ihn nicht bemerkt, nicht bewusst wahrgenommen. Woher kam diese Erschöpfung? Nur schwer hatte sie diese Nacht in den Schlaf gefunden, wie damals, als er seinen Vater vertreten hatte. Heute wusste sie, von welchem Anlass und von wem ihr kleiner Unfall ihn so abrupt wegberufen hatte: Kaito. Dafür war sie am heutigen Morgen leichter ihren Matten entstiegen. Das Unwohlsein schien eine einmalige Unpässlichkeit gewesen zu sein, vielleicht tatsächlich aus Mangel an Schlaf. Oder der sonderbare Tee, den ihr Ai heute zugeschoben hatte, bewirkte wahre Wunder. Die bleierne Müdigkeit dagegen war geblieben. Sie hoffte, ihn alsbald zu sehen. Allein. Mit einem leisen Atemzug darum bemüht ihre sehnsüchtigen Gedanken einzufangen, erwiderte sie Yokos fragenden Blick im Spiegel mit einem herrschaftsvollen Nicken. Wie könnte sie sich der Herrin über die Hundedämonen verwehren? „Richte Ihr aus, dass Ishizu-sama Ihrem Gesuch unumwunden nachkommt.“ Sobald sie fertig waren, ließ die Menschenfrau geflissentlich unausgesprochen, wie alle anwesenden Damen wussten. Sie hatte sie in ihre Farbe gekleidet: Flieder. Die Konturen der Blumen wirkten wie verwischt vom Wind, welche die cremeweißen Blütenblätter formten. Sie ähnelten den Seinen, mochten sie auch den Kimono bei Weitem häufiger schmücken. Ob Yoko intuitiv diesen Stoff gegriffen hatte? Der Bau im Osten war gestern noch in hellem Aufruhr gewesen, der Boden frisch poliert. Die magische Seide schleifte demzufolge hellklingend über seine glatte Fläche, während die Lagen an Stoff ihre Schritte enger begrenzten, als die Göttertochter dies gewohnt war. Schwer lasteten sie auf ihren Schultern. Nicht nur, weil sie heute keine großen Aktivitäten erwartete, trug sie ihr Haar offen, wie dies Mode unter den hohen Damen ihrer menschlichen Schützlinge war. Es fiel ihr wie flüssiges Pech lang bis über ihre weitumhüllte Hüfte - zwei dickere Strähnen umrahmten dabei ihr feinzügiges Gesicht. Ai zu ihrer Seite, Yoko zur anderen wurden ihr sofort die Shōjitüren schleifend geöffnet. Ishizu erkannte den quadratischen Raum mit dem ihn umspannenden, erhöhten Randweg sofort. Jetzt, ohne all die Gäste, wirkte er befremdlich riesig auf sie. Die gesamte Längsseite aus Japanpapiertüren zum Hof war weit geöffnet. Die Fensterfront flutete den Raum so nicht nur mit dem zunehmenden Licht des Tages. Auch die vertrauten Klänge der erwachenden Natur strömten von draußen herein. Dennoch erschienen ihr ihre notgedrungen kleinen Schritte über die polierte Fläche unnatürlich laut. Sie musste beinahe die ganze Länge bis zu ihr überwinden. Genug Zeit also, um unter ihren Ponyfransen ihre Erscheinung neugierig zu erkunden. Sie empfing sie allein, nur einen Schwarzhaarigen in dunkler Kleidung in ihrem Rücken. Er wäre ihr um ein Haar entgangen, fast als verschluckten ihn die Schatten in der Ecke des Raumes. Sie saß, nicht schicklich auf den Knien, sondern ganz wie der Herrscher auf einer Art niedrigem Sitz. Natürlich hatte man auch sie in die mehrlagigen Roben einer Fürstin gekleidet. Obwohl sie bei sich durchaus bemerkt hatte, dass die Kleidung der Dämoninnen eine wesentlich freiere Bewegung erlaubte, als dies die ihrer menschlichen Schützlinge vermochte. Wohl ein Relikt ihres betont kämpferischen Lebensstils. Ihr silbernes Haar erinnerte an den Sohn. Es brach das Licht auf dieselbe Art und Weise. Instinktiv erwartete sie es daher nicht weniger geschmeidig. Anders als er, trug sie es jedoch zu zwei fremdartig geknoteten Zöpfen gebunden. Ihr Fell fing ihr Meeresblau für den Moment ein. Es schien den Saum ihres Gewands und ihre Armbeugen wie eine Stola zu umschlingen, ehe sie erkannte, dass sie es mit dem blauen Überwurf verbunden trug. Es war weiß, wie sie es kannte. Dennoch erschien es nicht verwachsen, ganz anders als das Mokomoko, das sie vorgestern Nacht noch gewärmt hatte. Eisern kontrollierte sie ihre Miene, als sie das wohlige Gefühl von Kaschmir auf ihrer nackten Haut überkam, ehe sie wagte, ihre Erscheinung weiter hinauf zu wandern. Wo Sesshōmaru zwei Streifen trug, hatte sie jeweils nur einen über den ebenso hohen Wangenknochen. Er hatte ihre Augen. Was ihr dann jedoch den Atem stahl, war die Sichel, die auf ihrer Stirn thronte, freigelegt durch den zurückgesteckten Mittelscheitel. Sie hatte es immer für eine Laune von Mutter Natur gehalten; kein ererbtes Merkmal. Eine angedeutete Verbeugung hätte ihm missfallen, eine zu tiefe hätte er gar getadelt. Und so wählte sie nur ein leises Kopfneigen und behielt den Blick gesenkt. Mochte sie auch die Frau ihres Gastgebers und Mutter des Thronerben sein, Hausherrin war sie strenggenommen nicht, eingedenk der Übereinkunft. Ishizu dagegen war Gast in diesem Schloss – und die Tochter des Erzfeindes. Nichtsdestotrotz hatte sie nach ihr rufen lassen. Das gab ihrer Gegenüber zweifelsfrei das erste Wort. Sie vermeinte den fremdartigen Blick aus doch längst vertrautem Gold wie unzählige Pfeile auf sich herniedergehen. Er maß sie genau; genauer als ein jeder Dämon es bis dato gewagt hatte. Was ihr jedoch entging, war das leise Heben und Senken der Nasenflügel, als die Herrin über die Hundedämonen kaum wahrnehmbar die Luft prüfte. „Wie ich sehe, konnte mein Sohn Euch den Wert der Rangordnung vermitteln, wenn er es auch verabsäumte, Euch in die feinen Unterschiede der weiblichen Ehrerbietung einzuweisen“, veranlasste die Göttertochter verwirrt unter ihrem Pony zu blinzeln. Kritik hatte sie erwartet - an sich. So unverhohlen direkte Kritik an dem Dämonenprinzen war sie jedoch nicht gewohnt. Kein Wunder, dass er sie mied. Sie rang das Bedürfnis, ihn zu verteidigen sofort nieder. Es stand ihr nicht zu – und hätte ihre Farce gesprengt. Eine angespannte Stille legte sich zwischen sie, sodass Ishizu leise zusammenfuhr, gut verborgen unter den Lagen ihrer Gewänder, als es sich kaum vernehmbar aus der düsteren Ecke räusperte. „Kenshin“, war so eisig, wie sie es nur von einem bis jetzt gekannt hatte. „Herrin, wenn Ihr mir erlaubt, so vermag Sesshōmaru-sama unmöglich alle Feinheiten der weiblichen Etikette...“ „Mein Sohn bedarf deines umsichtigen Einwurfs nicht. Er hätte mich fragen können“, seufzte es dann befremdlich vor Ishizu, sodass sie sich gerade noch davon abhalten konnte, irritiert ihr Näschen zu kräuseln. Nicht einmal eben ermahnter Kenshin wagte, die Mutter daran zu erinnern, wie ungern ihr Sohn auch nur Hilfe annahm, geschweige denn darum bat. „Nun gut, wenn er das nicht vermag, soll ihm dieses Wissen auch weiterhin verwehrt bleiben“, wirkte umso verstörender auf die Göttertochter. War die Mutter etwa gekränkt, weil er ihren Rat nicht eingeholt hatte? Er war so rasch aufgebrochen, dass sie sich ernsthaft fragen musste, woher er hätte...? Sei es drum. Es stand ihr nicht zu – und stiftete nichts als Verwirrung, sollte sie auch nur ihre Stimme jetzt erheben. Die Gnadenlosigkeit, mit welcher die Mutter die Konsequenz bestimmte, glaubte Ishizu dagegen durchaus wiederzuerkennen. Damit raschelte die Seide hell vor ihr auf. Sie erkannte, ohne den Blick zu heben, dass die Hundedämonin sich erhoben hatte und dabei war, die eine Stufe von der Plattform zu ihr herabzusteigen. Auch ihre Bewegungen glichen denen des Raubtiers in ihr. Sie erfolgten so unvorstellbar leise, dass einzig das Rascheln des Stoffes sie erahnen ließ, sofern es sich denn über das Singen der Vögel durchzusetzen vermochte. Anders als die Herren, verbarg die Fürstin über den Westen ihre gegensätzliche Energie weit weniger, sodass eben diese die Göttertochter alsbald unangenehm im Nacken pikste. Sie hatte sie einmal umkreist, hatte ihre Erscheinung studiert wie eine Sonderlichkeit – ein Gefühl des Unbehagens damit in Ishizu ein ums andere Mal entfachend, welches Letztere beharrlich ignorierte. „Ihr seid von außergewöhnlicher Schönheit und Anmut, Prinzessin der Götter.“ „Ein Geschenk, mit welchem der dunkle Erdensohn seine Kinder nicht weniger beschenkt hat“, bemühte sie sich, die Anmaßung der Geborenen tapfer zu übersehen. War sie etwa deshalb hier – um begutachtet zu werden? Noch niemals zuvor hatte eine Schöpfung es gewagt, ihr in ihrer göttlichen Erscheinung auch nur annähernd so zu begegnen. Instinktiv nahm die Göttin einen tieferen Atemzug, sodass sich die Seide über ihrer Brust sogar leicht hob. Ai winselte zur Beruhigung im Hintergrund, während Yoko unruhig von einem Knie aufs andere wechselte. Allmählich wurde es anstrengend. Dennoch war das nicht der richtige Zeitpunkt, um darauf anzuspringen. Ob sie sie bewusst reizte? Aus der Vertrautheit mit ihrem Sohn heraus identifizierte sie den Atemzug zu ihrer Seite als leises Lächeln. „Hm, und dennoch verweigerte er uns Dämoninnen die Grazie und sirenenhafte Anziehung einer Göttin.“ Es war nicht klug, seine Schöpfung darauf hinzuweisen, was ihr ach so verehrter dunkler Schöpferkami alles nicht vermocht oder ihnen wohlweislich vorenthalten hatte. Sie brauchte da nur an Sesshōmarus unzählige Belehrungen denken, die längst wie Mantras in ihren Gedanken verklangen. „Es ist mir leider unmöglich, die Beweggründe Eures Schöpfers zu ergründen, Gobodo-sama.“ Da Ishizu den Blick gesenkt behielt, verpasste sie das Zucken über die Züge ihrer Gegenüber. „Wie dem auch sei, den respektvollen Ton wollt ihr wohl beibehalten, Megami-sama“, veranlasste Ishizu dazu, sich auf die Unterlippe zu beißen. Hatte sie doch in ihrer überrespektvollen Anrede, ihm, vor lauter Nervosität, erneut Tadel eingehandelt. „Mir scheint, es gibt Einiges, was selbst mein werter Gefährte, sowie mein Sohn, Euch nicht zu zeigen vermochten. So erlaubt mir die Ehre, Euch meine Einladung auszusprechen, Euch in meinem Schloss zu empfangen und in die Belange der Fürstinnen unter den Yōkai einzuführen“, war definitiv nicht, was sie je erwartet hätte. Es überforderte sie. „Ihr könntet meinen Sohn begleiten, wenn ihr dies wünscht. Vielleicht denkt ihr den heutigen Tag darüber nach“, hob ihren Blick in die dämonischen Züge der Fürstin über den Westen. Ihre Verwunderung konnte sie nicht verbergen. Das leise Lächeln ihrer Gegenüber deutete ihr, dass es wohl wieder offen zutage trat. „Ich werde Eure großzügige Einladung gerne erwägen“, war alles, was sie hervorbringen konnte. Natürlich vermutete selbst sie weit mehr als reine Großzügigkeit dahinter. Und das, obwohl er ihr stets eine zu große Vertrauensseligkeit unterstellte. Ihre Sinne hatten bereits lauthals Alarm geschlagen, kaum dass sie den Raum betreten hatte. Es genügte dennoch, um das Lächeln auf den Zügen der Dämonenfürstin zu halten. Ihm fehlte dabei jede Wärme, die sie von dem ihrer Mutter kannte. „So erwarte ich Eure Antwort bis zu meinem Aufbruch. Nun möchte ich Euch nicht weiter aufhalten, soweit mir bekannt, erwartet Euch mein Gefährte für seine morgendlichen Unterweisungen“, entließ Ishizu mit mehr als nur einem mulmigen Gefühl. Was war denn das gewesen? Sie konnte einzig hoffen, ihren Gastgeber und Sesshōmaru nicht allzu sehr blamiert zu haben, ohne es auch nur bemerkt zu haben. Takesumi hatte sie letztlich erwartet. Ihr Mentor ließ sich für heute entschuldigen, für gewöhnlich bescherte ihr das angenehme Stunden mit Sesshōmaru. Sie waren von Beginn an eine Herausforderung gewesen. Zuerst war es die Feindseligkeit gewesen, seine Reizbarkeit, welche sich erst nach und nach erklärt hatte. Jetzt war es die Distanz, fanden diese doch stets in Begleitung durch den Flohgeist statt. So wie die Unterweisung Takesumis an diesem Morgen. Sie nahm an, Sesshōmarus familiäre Verpflichtungen gingen vor. Also hatte sie die Chance genutzt und sich nach dem weiblichen Betragen gegenüber der Dämonenherrscherin erkundigt, ohne ihre sonderbare Vorladung auch nur zu erwähnen. Natürlich kannte der geschulte Hofbedienstete jede Form und Feinheit der Etikette – ganz anders als der hochgeborene Erbe. Sie hatte also erfahren, dass ein Kopfneigen zwar höflich war und dem Stand entsprach, aber den Männern vorbehalten war. Und, dass es einen Unterschied machte, ob sie ihr allein oder in Begleitung ihres Gefährten, des Inu no Taishōs, begegnete. Natürlich spielte auch die Tiefe dabei eine entscheidende Rolle. Dämoninnen zeigten, ihr gegenüber, eine seltsame Form der Verbeugung, aber eben nur dann ausgeführt, wenn sie nicht in Begleitung des Herrschers war. Es glich fast einer Art Knicks, dezent und gut verborgen unter den vielen Stoffen, dennoch offenbarte der Kimono sie unverkennbar in seinen verräterischen Ausbeulungen. Seine genaue Ausführung musste ihm, dem Erbprinzen, unbekannt sein. Es war nicht minder kompliziert als die unter ihren Menschenkindern Üblichen. Sie hatte, zugegeben, redlich Mühe gehabt, sich aufrecht zu halten. Hinfallen hatte sie dann doch nicht vor Takesumi wollen, der ungewohnten Bewegung und Stofflagen wegen. Sah man von ihrer göttlichen Stellung über jedwedem irdischen Protokoll ab, hatte sie ja von Beginn an darauf bestanden, sich wie eine unter ihnen zu gebärden. Es stieß auch bei Takesumi, wie bei so vielen, stets aufs Neue auf Unverständnis, wenn der geschulte Getreue dies auch nie wagte, offen zu zeigen. Seine Augen verrieten ihn. Dennoch, sie blieb hartnäckig; anders machte ihr Aufenthalt unter ihnen doch keinen Sinn. Und so hatte sich alle Mühe am Vormittag doch tatsächlich ausgezahlt. Als Takesumi sie mit einer tiefen Verbeugung gegen seinen Fürsten und die Fürstin vor das Paar führte, konnte Ishizu mit einer leisen Unruhe in ihrer Bewegung, die seltsam anmutende Form des Knicksens gegen die Hundeherrscherin andeuten. Myōga achtete dabei auf das korrekte Maß in Anwesenheit des Hundeherrschers. Er saß auf ihrer rechten Schulter verborgen hinter ihrem Pechschwarz. In ihrem Augenwinkel schnappte sie den leisen Zug um die Mundwinkel ihres Mentors dabei auf, welcher diese umspielte. Einem Windhauch gleich verlosch er in unscheinbarer Flüchtigkeit. Seine Fürstin blieb regungslos. Sie stand etwas versetzt hinter ihm, wie sie das von Sesshōmaru kannte, nur an seiner anderen Seite. Scheinbar waren diese zugewiesen. Es wirkte auf sie, als schien sie es lediglich zur Kenntnis zu nehmen, ehe ihr Mentor die Stille löste. „Wie mir zu Ohren kam, ist eine offizielle Vorstellung längst überflüssig“, verlangte nach keiner Erwiderung. Er ließ durch nichts erkennen, wie er dazu stand. Natürlich war es ihm nicht entgangen, nicht in seinen eigenen Mauern. „Oyakata-sama, Gobodo-sama, welche Ehre Euch in unseren Hallen zu sehen“, begrüßte Myōga überschwänglich, was auf Nichtachtung traf. Stattdessen stach ihr Gold einzig auf Ishizus schwarzen Schopf, ehe sich ihre seit dem heutigen Morgen vertraute Stimme trocken erhob: „Wie ich sehe, besitzt Ihr den Anspruch, Euer Betragen zu perfektionieren, Ishizu-sama, Prinzessin der Götter.“ Myōga holte kaum wahrnehmbar Luft. Nur, weil er es direkt neben ihrem spitzen Ohr tat, wurde sie sich dessen gewahr. Sie nahm nicht an, dass es selbst von dem ausgeprägten Gehör der Hundedämonen aufgefangen worden war. Da fing sie gerade noch den Seitenblick ihres väterlichen Mentors unter ihrem Pony auf. Ob er das mit “gewöhnungsbedürftig“ gemeint hatte? Scheinbar war er jedenfalls nicht mit allem einverstanden, was seine Gefährtin so trieb. Ob sie deshalb heute auf ihn verzichten hatte müssen? Weil ihm in seinem eigenen Schloss nichts entging? Andererseits, warum sollte sie herkommen und dann wagen, gegen seinen Wunsch zu handeln, ja, ihn gar zu verärgern? Wäre sie so vermessen? Der Verdacht, ihr Besuch könnte nicht sein Wunsch sein, regte sich längst nicht mehr leise in ihr. Sie konnte sich sogar vorstellen, dass die Fürstin ihrem Fürsten bereits eine Weile in den Ohren gelegen war mit ihrem vordergründigen Begehr, ihren Sohn zu sehen. Erst jetzt, da der Inu no Taishō und mit ihm seine Gefährtin sich zur Balustrade wandten und sie ihren Blick in ihren Rücken zur Gänze aufrichtete, erhaschte sie eine freiere Sicht auf einen der äußeren Höfe um die weiträumige Anlage. Er lag tiefer, näher am Aufweg hinauf zum Schloss, welches auf einem natürlichen Felsenplateau die Ebene und das Meer überragte. Seit sie das Schloss kannte, diente jener Sandplatz Sesshōmaru und seinem Vater für ihre täglichen Übungskämpfe. Sesshōmaru stand dort diesem Kenshin von heute Morgen gegenüber. Letzterer hatte seine dunkle Kleidung gegen einen Kimono eingetauscht, der ihm wohl mehr Beweglichkeit erlaubte. Er hielt ein Schwert gegen Sesshōmaru gerichtet. Der Dämonenprinz dagegen schien unbewaffnet. Auch wenn ihre Sinne ihr die Bündelung seines Yōki in seinen Klauen über die Distanz hinweg zutrugen, als bemühte er sie direkt an ihrer Seite. Sie hätte sie nicht gebraucht, glaubte sie doch, eine jede seiner Attacken längst so gut zu kennen, als hätte er sie in all den gemeinsamen Stunden in jeder einzelnen davon genauestens unterwiesen. Kenshin benutzte die Klinge, um die Peitschte abzuwehren, erkannte sie da, als Sesshōmaru diese erbarmungslos, flink und in einer geschmeidigen Bewegung auf den Schwarzhaarigen niedergehen ließ. „Ich erhielt Nachricht aus dem Norden“, trug ihr der Wind zu, welcher das Rauschen der Brandung in einiger Entfernung erahnen ließ. Ein Seitenblick über die Schulter und sie führte ungerührt aus: „Sie erwarten eine Reaktion.“ Es konnte einzig um ihren Sohn gehen. Der Fokus beider Eltern lag auf ihm allein. Da ereilte sie seine Stimme in Gedanken, wie ein sanfter Windzug umschmeichelte seine Präsenz ihre Sinne dabei. Nicht zu mir sehen! Es wirkte weniger bewusst an sie gerichtet. Woher auch, er wusste, dass nur sie diese Verbindung initiieren konnte. Dennoch entging ihr die Dringlichkeit nicht, welche in seinen Gedanken lag. Er musste die Worte seiner Mutter aufgeschnappt haben - über die Distanz hinweg. Wind hin oder her, er wehte aus der komplett anderen Richtung. Wie angespannt war er, wenn seine Aufmerksamkeit hier oben lag anstatt beim Kampf? Automatisch senkte sie den Blick und suchte nach einer Möglichkeit, worauf sie ihr Augenmerk richten konnte. Sie fand den Rücken seines Vaters, genauer sein cremefarbenes Fell. Nicht zum ersten Mal fiel ihr der deutliche Unterschied zu dem Sesshōmarus auf. Es musste sich mit der Zeit verändern, hatte sie geglaubt. Doch, wenn sie es jetzt mit dem seiner Mutter verglich. Was ist im Norden? Wenn sie ihn überrascht hatte, so ließ er sich dies mit keiner Regung oder gar Veränderung in seiner Mimik anmerken. Rhythmisch und erbarmungslos senkten sich seine magischen Hiebe auf die im Sonnenlicht aufblitzende Klinge. Was tust du da?, verlangte er stattdessen zu erfahren. Deinem Wunsch entsprechen, ihn eben nicht anzusehen. Wich er ihr aus? Indem du meinem Vater Löcher in den Rücken starrst?, hätte ihr Meeresblau beinahe doch noch zornig auf seine Erscheinung gelenkt. Wo bitteschön lag seine Aufmerksamkeit gerade? Meine Verlobte, senkte ihr den Blick wie von Steinen beschwert auf die polierten Holzplanken. Mehr wagte sie nicht. Nicht einmal einen Atemzug, um ihre Miene zu richten. Seit wann reagierte sie so, ja, merkwürdig empfindlich? Es war ja nicht so, als käme es überraschend. Ebenso natürlich war es, dass das die Aufgabe seiner Mutter war. Scheinbar war ihre Regung nicht unbemerkt geblieben. Als sich der Schulterblick ihres Mentors auf sie richtete, verstand sie die Einladung unumwunden und kam an seine andere Seite, die Sesshōmarus. Nur am Rande fing sie den Blick aus befremdlich vertrautem Dämonengold auf. Es schien ihr nicht recht. Wie bereits heute Morgen war ihr ihre Aufmerksamkeit mehr als nur unangenehm. Dennoch fügte sie sich stumm dem Wunsch ihres Gefährten. Weshalb war sie hier? Das hölzerne Geländer umzäunte den gesamten Umweg um den ersten Stock und schützte vor dem Sturz den steinernen Wall hinab, auf dem auch der innere Hof errichtet war. Instinktiv legte sie ihre zierlichen Hände darauf ab, während ihr Blick sich endlich auf seine hünenhafte Erscheinung senkte. Automatisch spürte sie sich von der längst bekannten Empfindung erfasst. Sie hatte ihn vermisst, tat es noch. Also bemühte sie sich eisern darum, das verräterische Herz neben ihrer Miene zu kontrollieren. In längst vertrauter Routine lenkte sie ihre Gedanken in scheins neutralere Bahnen. Soweit sie sich an seine Lektionen über seine Inselkette erinnerte, war der Norden für die seltenen Vögel gerühmt – und das Territorium der Dämonen, welchen so mancher Philosoph das Symbol des Gleichgewichts und ewigen Lebens zuschrieb. Er sollte also eine Kranichdämonin heiraten? Tatsächlich vermeinte sie da leise Belustigung in sich aufkommen. Sie bedurfte eines Augenblicks, um zu realisieren, dass es nicht die Ihre war. Sie kam von ihm, erkannte sie erst, als es längst vorüber war. So rasch, als hätte die nächste Windböe jegliches Empfinden mit sich hinfortgerissen. Weiter im Norden, Ishizu, ließ sie verlegen ihren Blick abwenden. Sie genoss seine Anwesenheit, wenn sie sich ihr auch nicht recht erschloss. Wie Balsam legte sie sich über ihre Nervosität, beruhigte und elektrisierte sie zugleich, wie eine jede seiner Berührungen. Weiter nördlich kam das Meer und dann – das Festland! Im Augenwinkel schnappte sie seine rasante Bewegung auf. Es dirigierte ihr Meeresblau zurück auf ihn, als er eine ihr noch völlig unbekannte Attacke wählte. Fasziniert verfolgte sie den Ruck, der sein Fell in Bewegung setzte. Es wirkte fast so, als schlang es sich daraufhin fast von selbst um Kenshin. So blitzartig schnell, dass jener in seiner Bewegung noch im Ansatz gestoppt wurde. Die Klinge traf dumpf auf dem Boden auf, während sich sein Gold längst zu ihnen hinaufrichtete. „Wir besprechen das vor deiner Abreise“, war ein Versprechen des Herrschers an seine Fürstin – und ging sie nichts an. Ishizu nahm es nur am Rande neben sich wahr, als Sesshōmarus Raubtiergold ihre Erscheinung - wie zufällig – streifte. Er hatte genug von dem Schauspiel. Denn das war es unverkennbar. Im Augenwinkel schnappte sie das leichte Nicken des Vaters auf, welches ihn undeutbar entließ. Ob ihre Besuche stets so abliefen? Es erschien Ishizu zumindest schlüssig, kontrollierte und wachte die Mutter über die Ausbildung ihres Erbes in ihm. Ein interessantes Bündnis, sinnierte sie laut in seinem Kopf, während sein Fell Kenshin entließ. Es wand sich dabei einer Boa gleich um die schlanke Gestalt des Dämons. Ein nicht minder überraschender Aspekt, den sie der Insignie nie zugetraut hätte; kannte sie doch diese Bewegungen in einem völlig anderen Zusammenhang. Erneut glaubte sie sein schmales Lächeln mehr zu erspüren, denn, dass sie es beobachten konnte, so rasch war es wieder von seinen Zügen verschwunden. Er war ja auch eine interessante Partie, hätte sie beinahe zu einem Augenrollen verleitet, als sein Gedankengang sie erreichte, hätte sie da nicht der leise Windzug erfasst, welcher von seiner Ankunft vor dem Elternpaar kündete. Sie tat es ihnen gleich, als sie sich damit dem Sohn zuwandten. Mit seiner angedeuteten Verneigung gegen den Vater empfing die Mutter sein ausdrucksloses Gold nicht minder regungslos. Zu Ishizus Erstaunen zeigte es keinerlei Ähnlichkeit mit der Art, wie ihre Mutter ihr begegnete. Sie interessierte sich doch für ihn, nicht? „Wie mir scheint, wirst du nachlässig in der Erfüllung deiner Aufgaben, Sesshōmaru“, löste in Ishizu immer noch diese befremdliche Mischung aus Empörung und selten gekannter Irritation aus. „Hättet Ihr Euer Treffen angekündigt, hätte sich ein Moment davor gefunden, um die Prinzessin darin zu unterweisen, wie sie Euch allein begegnet, Haha-ue“, kam nahe an Tadel ob der mütterlichen Neugier heran – und glich gleichsam einer Verteidigung augenscheinlich gegen das vorgeworfene Versäumnis. Ob er nur sich verteidigte? Sie widerstand dem Drang, ihr Meeresblau in sein Raubtiergold zu erheben. War er zornig - weil sie keinen Vorwand gefunden hatte? Und noch ein weiterer Gedanke schoss ihr mit einem Mal durch ihre Gedanken, war das der Grund für ihre Unterweisung durch Takesumi heute Morgen gewesen? „Kenshin“, erfolgte genauso wie noch am Morgen. Besagter schien genau zu wissen, was seine Herrin von ihm forderte, als er sogleich an ihre Seite gesprungen kam. Er demonstrierte dabei eine ähnliche Verbeugung gegen das Fürstenpaar, wie sie das auch von Takesumi kannte. Insgeheim nahm Ishizu zur Kenntnis, dass der Name wohl genügte, um den jahrelangen Bediensteten ihr Begehr zu verdeutlichen. Es erinnerte sie an Sesshōmaru, genauer an ihre ersten Auseinandersetzungen. Sie sah den Inu no Taishō selten Anweisungen geben. Sesshōmaru vermied jedwedes überflüssige Wort an Untergebene. Es hatte sie von Beginn an empört, wenn nicht sogar erzürnt in seiner Respektlosigkeit. Doch nun musste sie sich fragen, ob es normal war unter Dämonen, dass sie von ihren Getreuen erwarteten, zu wissen, was zu tun war – ohne Order. Das erklärte seine Ungeduld mit menschlichen Bediensteten, oder so manche wortkarge Art und Irritation ihrer Bediensteten, die dann natürlich ausführliche Bitten nicht gewohnt sein konnten, wie sie Götter erteilten. Dennoch waren diese nicht minder Befehle. Kein Wunder, dass er sich über ihren Umgang mit dem Personal zuerst irritiert, dann amüsiert und verwundert gezeigt hatte, ehe er es heute nur mehr kommentarlos negierte. Beinahe wäre ihr der kurze Blickwechsel des Fürstenpaares entgangen, bevor seine Mutter sich erneut an sie wandte. „Ob es wohl genug der Ankündigung ist, Euch, Ishizu-sama, zum späten Nachmittag in meinen Garten einzuladen?“, wirkte nur an der Oberfläche versöhnlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)