Samhain - Der Feind meines Feindes von Futuhiro (Magister Magicae 10) ================================================================================ Kapitel 3: Die verschiedensten Flüche ------------------------------------- Victor kämpfte sich mit seiner schweren, wassergetränkten Kleidung etwas schwerfällig aus dem verbotenen See heraus und befand sich wieder im Höhlensystem seines Berges Predanje. Wieder auf dem Trockenen. Quietschfidel spuckte er sein Mundstück aus, sprang auf und marschierte, eine triefend nasse Spur hinter sich herziehend, zu den bereitgelegten Handtüchern und trockenen Klamotten hinüber. Mit einer Hand wrang er dabei schon notdürftig seine langen Haare aus. Urnue robbte auf allen Vieren hinter ihm her, brach jedoch am Ufer des Sees zusammen und blieb stöhnend liegen. Mit geschlossenen Augen. Abgesehen vom kraftlosen aus-dem-Mund-ziehen seines Atemgerätes rührte er sich vorerst nicht mehr. "Und? Wie fandest du es dort unten? Beeindruckend, nicht?", meinte Victor, jetzt wo er wieder reden konnte. Ein leises Stöhnen war die einzige Antwort. "Schaltest du mal das Luftgerät ab? Der große, rote Schalter da an der Seite." Diesmal kam gar keine Antwort mehr. Victor rubbelte sich mit einem Handtuch durch die Haare und drehte sich dabei fragend zu ihm um. Skeptisch beobachtete er seinen Kameraden ein paar Augenblicke lang, ob der nur theatralisch schauspielerte oder ob das ernst war. Er lag noch mit den Beinen im Wasser. Musste er sich erst wieder an Schwerkraft gewöhnen? "U.? Bist du okay?" "Nein ...", hauchte der schwach und etwas wehleidig. Besorgt aber beherrscht kam Victor wieder zu ihm herüber, und drehte ihn auf den Rücken, um ihn besser begutachten zu können. "Was hast du?" "Ich bin plötzlich so entsetzlich müde ...", murmelte Urnue leise. Dann begann er sich schwach erst am Hals und dann auf der Brust zu kratzen. Victor erkannte die Symptome sofort. "Taucherflöhe", meinte er erschrocken. "Was, Flöhe?", gab Urnue angeekelt zurück und kratzte sich als nächstes beide Arme. "Nein, keine Flöhe. Die Symptome werden wegen des markanten Juckreizes nur so genannt. Du hast dir eine Dekompressionskrankheit eingefangen. Die bekommt man, wenn man zu schnell wieder auftaucht, ohne auf den Druckausgleich zu achten. Aber das hätte bei so einer geringen Tiefe wie im See eigentlich nicht passieren dürfen." Er zog rigoros das Atemgerät zu sich heran, klappte die Abdeckung herunter und begann fachkundig an den Einstellungen herumzuändern. "Wahrscheinlich warst du einfach zu lange unten und warst dem Wasserdruck zu lange ausgesetzt. Durch den steigenden Druck unter Wasser wird Stickstoff ins Blut und Gewebe gedrückt. Wenn der Umgebungsdruck beim Auftauchen wieder sinkt, wird der Stickstoff normalerweise ohne Probleme wieder zur Lunge geleitet und ausgeatmet. Wenn man schneller auftaucht als der Körper den Stickstoff wieder loswerden kann, bildet er im Blut kleine Luftbläschen. Wie bei so ner Flasche mit Kohlensäure, die man öffnet. Die können je nach Körperregion die kleinen Blutgefäße verstopfen und echt hässliche Folgen haben." Victor hielt Urnue das Mundstück wieder hin. "Hier, ich hab auf 100% Sauerstoff gedreht. Das beschleunigt das Abatmen des Stickstoffs. Nimm das mindestens eine halbe Stunde, oder besser noch etwas länger, dann wird es wieder gehen." Urnue, der inzwischen damit beschäftigt war, sich müde und kraftlos die Schienbeine zu kratzen, nahm das Sauerstoffgerät nickend an und schob es sich wieder in den Mund. Aufmerksam beobachtete Victor ihn weiter, ob noch mehr Symptome hinzukamen. Er hoffte und glaubte es nicht. Es wunderte ihn sowieso, dass Urnue bei der verhältnismäßig geringen Tiefe im See überhaupt welche ausgebrütet hatte. Aber er wollte trotzdem sichergehen. "Hast du irgendwo Schmerzen? Oder andere neurologische Auffälligkeiten. Oder Probleme beim Atmen?" Der deutete ein Kopfschütteln an. "Gut. ... Komm, wir holen dich erstmal ganz aus dem Wasser raus und ziehen dir was Trockenes an. Kälte ist in diesem Zustand gar nicht gut. Wir müssen dich warm kriegen." Während er Urnue unter den Schultern schnappte und ganz an Land zog, grübelte er fieberhaft, was er übersehen hatte. Bis hinunter zum tiefsten Punkt der Kalksenke waren es 20, bestenfalls 25 Meter. Er wusste, dass Menschen beim Auftauchen aus solchen Tiefen Stopps einlegten, um die Dekompressionskrankheit zu vermeiden. Er selbst hatte noch nie Probleme gehabt und verzichtete oft ganz auf die lästigen, zeitraubenden Zwischenstopps. Vielleicht war er als Wesen der Lüfte einfach unempfindlich gegen Gasbildungen im Körper. Für Urnue hatte er vorhin extra den für Menschen vorgeschriebenen Zwischenstopp auf 9 Metern eingehalten. Sogar länger als nötig. Aber es schien trotzdem nicht gereicht zu haben. Er hätte nicht gedacht, dass Urnues menschliche Gestalt sogar anfälliger sein würde als die gewöhnlicher Menschen. Dennoch waren Müdigkeit und Juckreiz nur sehr harmlose Symptome, die mit Sauerstoffgabe wieder behoben werden konnten. Die waren unangenehm, hinterließen aber keine Schäden. "Urnue, du hängst seit 2 Stunden am Sauerstoff. Langsam ist mal gut, meinst du nicht?", fand Victor amüsiert, als er wieder in die kleine Nebenhöhle kam, die sein Kamerad sich als sein privates Zimmer hergerichtet hatte. Er hatte in den zwei Stunden in häufigen, regelmäßigen Abständen nach Urnue gesehen, aber mit zunehmender Sicherheit verließ ihn nun langsam die Lust dazu. Urnue lag auf dem Bett, spielte theatralisch 'toter Mann' und weigerte sich, das Sauerstoffgerät wieder herzugeben. Victor hätte ihm vielleicht nicht erzählen sollen, was alles hätte passieren können, wenn im Blutkreislauf kleine Luftbläschen für Embolien sorgten. Urnue schlug sofort putzmunter die Augen auf und sah ihn etwas beleidigt an. Er nahm das Mundstück aus dem Mund. "Ich will lieber kein Risiko eingehen", stellte er vehement klar, dann schob er es sich wieder zwischen die Zähne. "Schon okay", meinte Victor und warf beim Näherkommen einen halbherzigen Blick auf die Anzeige, ob überhaupt noch Sauerstoff in dem Ding drin war. "Wie geht´s dir denn inzwischen? Hast du noch irgendwelche Symptome ausgebrütet?" Mit einem gedämpften, verneinenden 'mh' schüttelte Urnue den Kopf. "Was macht der Juckreiz? Ist der inzwischen wieder abgeklungen?" Diesmal nickte der Wiesel-Genius. Victor hielt einladend die zwei Teller hoch, die er mitgebracht hatte. "Ich hatte noch ein letztes Stück Schoko-Kuchen im Lager. Wollen wir uns das teilen?" Urnue nahm das Atemgerät abermals aus dem Mund, ließ es in seinen Schoß fallen und setzte sich auf. Dabei hielt er fordernd beide Hände auf. "Nein, das Stück Kuchen schaff ich alleine. Gib her", entschied er ernst. Der Russe feixte nur. "Wie du meinst. Ich freu mich, wenn es dir wieder so gut geht, dass du vernünftig essen kannst." Da lachte der Wiesel-Tiergeist endlich los und outete seine Forderung als Scherz. "Tut mir leid", kicherte er fröhlich. "Ich genieße es einfach nur so, dass ich bei dir nach Herzenslust solche Sprüche klopfen kann. Bei Ruppert hätte ich das nicht gedurft, das hätte richtig Ärger gegeben." "Bedauerlicherweise", stimmte Victor ihm zu, gab ihm einen der Teller und setzte sich mit dem anderen auf den am Bett stehenden Stuhl. Urnue beugte sich vor, um das weiterlaufende Sauerstoffgerät abzuschalten - wenigstens für den Moment, solange er mit Essen beschäftigt war und es nicht brauchte. "Also ... Was glaubst du, wer dort unten mal gelebt hat, auf dem Grund des verbotenen Sees?", begann er nebenher endlich ein vernünftiges Gespräch, nachdem er die letzten zwei Stunden eifersüchtig das Mundstück in seiner Klappe behalten hatte, statt zu reden. "Ich weiß es nicht. Aber er scheint rechtzeitig fortgegangen zu sein, bevor die Höhle geflutet wurde. Ich habe nie Gebeine gefunden." "Glaubst du, es war ein großer, mächtiger Magier, der sich in diese entlegene Höhle zurückgezogen hat, um seine Ruhe zu haben und zu studieren? Ich hätte mir die Bücherrücken genauer ansehen sollen ... Vielleicht gibt es ja sogar Zauber, mit denen man solche aufgeweichten Bücher noch konservieren und retten kann!" Victor schüttelte langsam und sentimental den Kopf, woran man merkte, dass er es insgeheim ebenfalls sehr schade um die Bücher fand. "Selbst wenn. Wenn die Bücher so alt sind wie die Hütte, wird sie ohnehin keiner mehr lesen können. Bei Alt-Russisch und Glagolitisch bin ich noch an Bord. Aber alles, was noch älter ist, kann selbst ich nicht mehr übersetzen. Und wenn die Schriften auch noch aus einem anderen Kulturkreis stammen, dann sowieso nicht." "Hast du sie dir denn mal genauer angesehen? Zumindest die Buchrücken? Was man halt so erkennen kann, wenn sie im Regal stehen?" Urnue schaufelte sich mit der Gabel hungrig etwas Kuchen in den Mund. "Ja. Aber man kann die Buchrücken nicht mehr lesen. Ist alles zu verwittert. Ich konnte nicht sagen, was für Bücher das sind. Nichtmal in welcher Sprache." "Und was war mit dem gelb leuchtenden Teil, das du nach einem kurzen Blick wieder in die Kalkpfanne zurückgeschmissen hast? Das sah noch sehr intakt aus." Victor nickte lächelnd und piekste ebenfalls endlich ein Stück Kuchen auf seine Gabel. "Dieses Buch ist gefährlich, Urnue. Solltest du jemals wieder in den See tauchen, dann versprich mir, nicht nochmal danach zu suchen." Der Wiesel-Genius nickte einverstanden, obwohl er nicht den Eindruck erweckte, überhaupt so schnell wieder Lust auf Tauchgänge zu verspüren. "Es ist mit einer starken und sehr langlebigen Quarantäne-Magie umgeben. Weder Feuer, noch Flüssigkeiten, noch scharfe Werkzeuge, noch Magie, noch sonst irgendwas erreichen es. Man kann es nicht zerstören. Das hat den Nebeneffekt, dass man es im See versenken kann, ohne dass es Schaden nimmt." "... und man es unter Wasser lesen kann." "Genau." "Warum holst du es nicht hoch, wenn du es lesen willst? Tauchst du jedes Mal da runter, wenn du was drin nachschlagen musst?" "Dieses Buch darf man nicht zu lange in seiner Nähe haben. Es neigt dazu, seine Besitzer in den Wahnsinn zu treiben. Ich tippe darauf, dass eine Art Verwünschung auf dem Buch liegt. Aber dann müsste es eine so antiquierte Art von Magie sein, dass wir sie heute nicht mehr kennen. So wie alle Wissenschaften ist auch die Magie ständig im Wandel und hat sich über die Jahrhunderte immer weiterentwickelt." "Warum fertigen wir keine Abschrift davon an, wenn wir das Original nicht hier behalten können? Das Ding schien höchstens 70 - 80 Seiten zu haben. Das muss doch zu schaffen sein." Victor lachte leise und schob sich noch etwas Kuchen in den Mund. "Ich verstehe genug von Flüchen und Verwünschungen, um dieses Risiko nicht einzugehen. Erinnerst du dich an die Studenten in Düsseldorf? Die Selkie-Zwillinge und ihr Freund Salome? Salome ist von dem Fluch erfasst worden, weil er bloß eine Übersetzung davon bei sich rumliegen hatte. Und dabei war noch nichtmal das Original besonders ausgefeilt." "Auch wieder wahr ..." "Man kann Flüche sogar digitalisieren. Ich hab neulich von einem Fall gehört, wo eine junge Frau ein verwunschenes Objekt nur mit ihrem Smartphone fotographiert hat und schon von den Auswirkungen befallen war, bis sie das Foto und alle BackUp´s davon wieder gelöscht hatte. Wobei ich noch keine Erklärung dafür habe, was da genau passiert ist. Zum Glück scheint es bisher ein Einzelfall gewesen zu sein." Urnue stellte seinen inzwischen leeren Teller weg. "Also halten wir als Faustregel fest: keine Kopien von Flüchen anfertigen, egal in welcher Bild-, Schrift- oder Ton-Form." "Klingt, als könnte ich das als Lehrsatz für meine Studenten verwenden." "Gerne. Ich erlaube dir, mein Zitat zu verwenden, wenn du als Quellenangabe dazu sagst, dass es von mir ist. Von Professor Urnue!" Beide lachten herzlich. Und während Urnue dabei Victors fröhliches Gesicht musterte, wurde ihm einmal mehr bewusst, wie glücklich er hier tatsächlich war. Bei Ruppert hätte er auch diesen Spruch nicht vom Stapel lassen dürfen, das wusste er. "Verrätst du mir, was in dem Buch drinsteht?", wollte Urnue vorsichtig wissen, als sie sich von dem Gelächter wieder erholt hatten. Er war sich nicht so sicher, ob er das fragen durfte. Wenn jemand so viel Mühe investierte, das Buch zu verwünschen und unzerstörbar zu machen, um seinen Inhalt zu schützen, war das ja bestimmt nicht bloß ein Katzenrassenlexikon. Andererseits hatte Victor ihm unter Wasser ja selbst angeboten, einen Blick hineinzuwerfen. Victor wog kurz nachdenklich den Kopf hin und her, wie er es erklären sollte. "Es fasst die keltischen Götterkulte mit all ihren Riten, Gebräuchen und Magiesystemen zusammen. Da in der Zeit der Christianisierung leider sehr vieles verloren gegangen ist, ist in dem Buch immer noch ein gewisser Anteil Spekulation und Mutmaßung enthalten. Aber trotzdem ist es bis heute das seriöseste und umfassendste Werk zum Thema, das man finden kann." Urnue zeigte sich skeptisch. Das sollte alles sein? Klang nach keiner Sache, an der die falschen Leute ein Interesse haben dürften. "Und steht da irgendwas Verbotenes drin? Sowas wie Beschwörungen, die man besser lassen sollte?" "Das kommt - wie mit allem im Leben - darauf an, welche Pläne und Ziele man damit verfolgt. Ich versuche diese Magie in erster Linie zu verstehen, um dagegen gewappnet zu sein, wenn sie mir im Kampf begegnet." "Du willst kämpfen?", hakte Urnue verdutzt nach. "Suchen wir nicht Vladislav?" Er konnte gerade keinen logischen Zusammenhang zwischen Vladislav und den Kelten herstellen. "Ich will erst noch jemand anderen aus dem Weg haben, bevor ich mich um Vladislav kümmere. Jemand, um den ich schon viel zu lange einen Bogen gemacht habe. Weil er mir immer ne Nummer zu groß war und ich nie die Zeit investieren wollte, mich gut genug darauf vorzubereiten. Aber mich mit Vladislav anzulegen, kann schiefgehen, und danach hab ich vielleicht keine Gelegenheit mehr, diesen Kerl noch aufzuknüpfen. Also muss ich das vorher erledigen, jetzt oder nie." "Und der Typ nutzt alte, keltische Magie?" "Shaban ist ein Druide, ja." "Gott, ein Öko-Hexer ...", stöhnte Urnue wenig angetan. Victor lachte auf. "Das solltest du einem Druiden nicht ins Gesicht sagen", kicherte er belustigt. "Ist doch so. Das ist ne Natur-Religion. Was soll an denen so gefährlich sein?" "Das Druidentum ist ein Kult des Todes", erklärte der Russe ihm, und das immer noch amüsierte Leuchten in seinen Augen passte dabei kaum zum dramatischen Inhalt seiner Worte. "Bei denen dreht sich alles um den Tod, das Sterben, die Verehrung der Ahnen, das Jenseits, um Tier- und sogar Menschenopfer zu Ehren ihrer Totengötter. Es gibt barbarische Tötungsrituale zum Zwecke der Wahrsagerei. Die entscheiden über Todesurteile durch das Werfen von Knochenrunen. Diese Leute haben keine Angst vor dem Tod. Im Gegenteil, sie freuen sich regelrecht darauf. Sie wollen lediglich, dass sie ihren Tod im Kampf finden und dabei möglichst heroisch sterben. Sonst werden sie ihren Totengöttern nicht gerecht. Und noch schlimmer: nicht wenige von denen sind Necromanten." Urnue sah ihn mit großen Augen an, als ihm bewusst wurde, dass er solche Horror-Geschichten tatsächlich ebenfalls schon gehört hatte. "Und jetzt stell dir vor, gegen jemanden zu kämpfen, der keine Angst vor dem Tod hat, sondern dich ohne Rücksicht auf Eigenschaden plattmachen will." Der Wiesel-Tiergeist zog eine unschlüssige Flunsch. "Dagegen wüsste ich was. Nimm ne Knarre und puste ihn weg. Ist doch eh deine altbewährte Methode." Victors immerfröhliche Stimmung erlosch immer noch nicht ganz. "So einfach scheint das diesmal leider nicht zu sein. Shaban ist kugelsicher." "Was soll das heißen?" "Na, das was es eben heißt: es sieht aus als könnte er nicht erschossen werden. Viele haben es versucht. Mit Blei. Mit Silber. Mit bannmagiebewährten Kugeln. Keiner konnte was ausrichten." Urnue zog skeptisch die Augenbrauen zusammen. "Das glaub ich erst, wenn ich´s sehe." "Ich ja auch. Aber trotzdem sollte ich nicht ohne Plan B dort auftauchen." "Was ist mit seinem Schutzgeist?" "Er scheint keinen Schutzgeist zu haben." Urnue ließ den Kopf in den Nacken fallen. "Mit dir wird das Leben echt nie langweilig." "Der Legende nach ..." "Legende!", unterbrach Urnue ihn augenrollend und nahm sofort wieder Haltung an. "Jetzt gibt es also schon Legenden über diesen Kerl!? Muss ja ein krasser Typ sein." Victor lächelte erheitert. "Man sagt jedenfalls, sein Schutzgeist sei ein körperloses Wesen ohne eigene, stoffliche Form. Deshalb soll es mit in Shabans Körper hineingefahren sein, den sich die beiden jetzt gemeinsam teilen. Wie so eine Art Symbiose." "Im Klartext: er ist von irgendwas besessen." "So könnte man es auch ausdrücken." "Das ist Blödsinn!", urteile Urnue humorlos. "Natürlich ist das Blödsinn", stimmte Victor ihm unverhohlen zu. "Aber ich habe leider die wahre, logische Erklärung dazu noch nicht gefunden." "Ich sag dir, was die wahre, logische Erklärung dazu ist! Sein Schutzgeist wird gezwungen, sich permanent auf der Astralebene zu verstecken, wo er unsichtbar ist, und mauert von dort aus Schutzschilde um ihn herum, die die Gewehrkugeln fernhalten. Genau wie es bei mir war, als ich noch Rupperts Schutzgeist war." Victor verschränkte mit einem nachdenklichen Durchatmen die Arme und überdachte das. "Ich weiß nicht ... Das wäre zu einfach. Es gibt genug Genii, die auf die Astralebene wechseln oder zumindest in sie hineinsehen können. Wäre der Schutzgeist dort, hätte ihn längst irgendjemand entdeckt." "Bist du diesem Shaban jemals persönlich begegnet?" "Ja, zu Motus-Zeiten ein- oder zweimal." "Und was denkst DU, wo sein Schutzgeist hin ist? Hat er vielleicht gar keinen mehr, und erfindet solche Märchen, um es niemandem verraten zu müssen? Weil sonst alle wüssten, wie angreifbar er in Wirklichkeit ist?" Der kleingeratene Gestaltwandler senkte grübelnd den Blick. Inzwischen war er völlig ernst, seine lockere und amüsierte Laune war gänzlich verflogen. "Ich kann´s nicht beweisen, aber ich habe den Verdacht, dass er nichtmal ein Mensch ist. Ich glaube, er ist in Wirklichkeit ein Genius, der sich nur als Mensch ausgibt. DAS wäre eine logische Erklärung, warum er keinen Schutzgeist hat." Urnue nickte verstehend. "Hast du eine Theorie?" "Keine, die einer genaueren Betrachtung standhalten würde. Der Mann hat eine Statur wie ein Elasmotherium. Wenn ich schon allein alle Genii-Arten ausschließe, die niemals so ein Erscheinungsbild haben würden, fallen dreiviertel meiner Ideen wieder hinten runter. Und wenn ich dann noch überlege, welche Wesen heutzutage noch alte, keltische Magie beherrschen könnten, bleibt keiner mehr übrig." "Hm~ Nur weil irgendwas heute als ausgestorben und vergessen eingestuft wird, muss das nicht gleich bedeuten, dass es das wirklich nicht mehr gibt. Hast du ein Foto von dem Typ? Ich würde mir den gern mal angucken." Victor griff nach Urnues leerem Teller, stellte ihn auf seinen eigenen und erhob sich damit von seinem Sitzplatz. "Ich guck mal auf dem Laptop nach. In meinen alten Motus-Datenbanken könnte mit viel Glück noch eins zu finden sein." "Ich komm mit", entschied Urnue und sprang ebenfalls topfit vom Bett hoch. "Vergiss dein Sauerstoff-Gerät nicht. Nicht, dass du mir noch umkippst." "Dragomir!", maulte der Wiesel-Genius beleidigt und ließ Victor damit auflachen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)