Samhain - Der Feind meines Feindes von Futuhiro (Magister Magicae 10) ================================================================================ Kapitel 6: Der unerwartete Verbündete ------------------------------------- "Hör mal, Shaban, was meintest du vorhin damit: deine Leute wären unschlüssig gewesen, ob ich hier auftauche. Was für Leute? Hast du neuerdings ein Gefolge? Irgendwas, was mir Sorgen machen müsste?" Inzwischen war Ruhe eingekehrt. Shaban und Urnue schwiegen sich sauer gegenseitig an und wichen dem Blick des jeweils anderes aus, also hielt Victor die Zeit für gekommen, wieder vernünftige Gespräche in Gang zu bringen. Der Druide lächelte wissend. "Mir ist schon klar, was du jetzt von mir hören willst." "Ich hoffe doch eher, dir ist klar, was ich jetzt NICHT von dir hören will." "Ich will keine Probleme mit dir, Akomowarov. Ursprünglich bist du hergekommen, weil das zwischen dir und mir was persönliches war. Aber das scheint ja vorerst auf Eis zu liegen. Damit könntest du fröhlich da zur Tür rausspazieren und deiner Wege gehen und wir wären beide glücklich." Victor grinste hinterhältig. "Was bringt dich zu dem Schluss, dass das schon aus der Welt wäre?" "Aber falls ich immer noch irgendwelchen Motus-Aktivitäten nachgehen sollte ...", fuhr Shaban unbeeindruckt fort, "von denen du noch nichts mitbekommen hast, und am Ende vielleicht sogar ne Untergrund-Truppe auf die Beine gestellt haben sollte, dann wird das hier nichts mehr mit dem fröhlich-zur-Tür-rausspazieren. Das ist mir schon bewusst." "Lenk nicht ab, Shaban. Was für Leute!?", verlangte Victor abermals beherrscht zu wissen. Der große, bullige Druide atmete seufzend durch und ließ den Blick schweifen. "Weißt du, wo Vladislav gerade ist? Hast du ihn schon gefunden?" Victor verengte etwas die Augen. "Ich hab mich noch nicht ernsthaft auf die Suche gemacht", gab er ehrlich zu, auch wenn er nicht wusste, was das eine mit dem anderen zu tun hatte. "Nun, in den Staaten ist er jedenfalls nicht mehr. ... Meine Leute wissen, wo er ist. Sie können ihn dir liefern. Und glaub mir, das würden sie mit Freuden für dich tun." "Warum?", konnte Victor sich nicht verkneifen. "Warum sollten sie ihn an mich verraten? Sind das ehemalige Motus-Leute? Denken die, im Gegenzug lasse ich sie dann in Ruhe und jage sie nicht weiter?" "Wäre das denn kein Deal, auf den du dich einlassen würdest?" "Kommt drauf an, wie viele du unter Schutz stellen willst. Früher oder später finde ich Vladislav auch alleine. Dazu brauch ich deine Leute nicht. Die können mir bestenfalls helfen, meine Suche etwas zu beschleunigen." Shaban schmunzelte. "Was glaubst du denn, wo Vladislav gerade steckt?", fragte er erneut. "Hier in England. In London, um genau zu sein. Jedenfalls wurde sein Schutzgeist Waleri zuletzt da gesehen." Shabans Augen verengten sich kurz verschwörerisch. "Wie alt ist diese Information?" "Fünf Tage." Der Druide nickte verstehend. Er fuhr gewitzt mit der Zungenspitze seine Oberlippe nach. "Er befindet sich in Barcelona und kehrt heute noch nach Moskau zurück", stellte er klar und beobachtete Victors Reaktion. "Diese Information ist drei Stunden alt." Victor griff sich seufzend an die Stirn. "Gut, du hast gewonnen. Sag mir, wer deine Leute sind, damit ich nen Bogen um sie machen kann." "Nun ... Seiji Kami wäre einer." "WAS!?", machten Victor und Urnue wie aus einem Mund. "Was hast du mit den FABELS zu schaffen?", keuchte Victor, immer noch hyperventilierend. Shaban brummte mit einem geringschätzigen Schulterzucken. "Das gleiche wie du, muss ich wohl annehmen." "Wenn der Kerl weiß, wo Vladislav ist, warum sagt er´s mir dann nicht? Er hat mich nichtmal informiert, dass Vladislav überhaupt aus dem Knast ausgebrochen ist!" "Tja. Die FABELS wollen nicht, dass du Vladislav vor ihnen erwischst. Beziehungsweise wollen die überhaupt nicht, dass du ihn erwischst. Die wissen ganz genau, dass du ihn nicht nochmal lebend bei irgendeiner Institution abliefern wirst. ... Die FABELS wollen ihn unbedingt vor euch finden, und zwar lebend. Seiji hat mir lediglich gesagt, dass Vladislav aus dem Gefängnis ausgebrochen ist, weil er geglaubt hat, dass Vladislav plötzlich bei mir auftauchen könnte. Immerhin hat Vladislav sich ein paar Tage lang hier in der Nähe rumgetrieben, in London drüben." Er wandte sich wieder direkt an Victor. "Von den FABELS brauchst du keine Hilfe zu erwarten. ICH war der Auffassung, dass du von dem Gefängnisausbruch wissen solltest." Victor senkte nur mit einem geschlagenen Kopfschütteln den Blick. Wissen und gute Vorbereitung waren immer seine Lebensversicherung gewesen. Er ging nie irgendwo hin, ohne genau zu wissen, was ihn erwarten würde oder mit wem er es zu tun bekam. Er war lange nicht mehr so von den Entwicklungen überrollt worden wie hier und jetzt. "Und um auf deine Frage zurück zu kommen, warum ich mir so sicher bin, dass du mich nicht umlegst: Ich bin der, der dir die nötigen Informationen zugänglich machen kann. Ich habe Leute da draußen, die wissen wo Vladislav steckt." Victor nickte schweigend in sich hinein. Mit immer noch hängendem Kopf. "Hör mal", brummte Shaban mit seiner tiefen Bass-Stimme eindringlich. "Wenn ich dir Vladislav liefere, hängt da natürlich auch eine Bedingung dran." "Natürlich hängen da Bedingungen dran. Alles andere hätte mich auch sehr gewundert. Das bist immerhin du, von dem wir reden", gab Victor ruhig zurück. Dann sah er endlich wieder auf, mit etwas leidendem Gesicht, und wartete auf mehr. "Wenn du mit Vladislav fertig bist, wirst du deinen Job als Vollstrecker an den Nagel hängen. Keine Toten mehr!" "Als hätt' ich´s geahnt ..." "Solltest du darauf nicht eingehen, werde ich dir nicht helfen, und dann werden die FABELS Vladislav todsicher selber aus dem Verkehr ziehen, bevor du ihn erwischst. Dann kriegst du ihn nie. Und du solltest nicht darauf spekulieren, dass du Vladislav auch ohne meine Hilfe finden wirst. So schnell bist du nicht. Denk dran: die FABELS wissen, wo Vladislav ist. Du nicht. " Victor überdachte das noch eine Weile, dann stand er von seinem Sitzplatz auf, womit er auch seinen Kameraden Urnue notgedrungen mit hochscheuchte. "Danke für deine Gastfreundschaft, Shaban. Wir werden dich nicht länger aufhalten. Ich denk über deine Bedingungen nach, nachdem ich mit Vladislav fertig bin. Ich muss erstmal sehen, wie sich das auf mein Gemüt auswirkt. Ob ich danach endlich zufrieden bin, mit der Welt wie sie ist, oder nicht." Mit diesen Worten marschierte er Richtung Tür. Der Druide zog die Augenbrauen zusammen. "Das würde ich meinen Leuten ungern so ausrichten." "Solltest du aber, sonst glauben sie dir nämlich nicht. Keiner, der mich kennt, wird eine andere Antwort von mir erwarten. Offensichtlich hast du ja Urnues Handynummer. Halt uns auf dem Laufenden." Victor zog die Tür auf und verließ die Hütte im Wald. Ein Trampelpfad wies ihnen den Weg zurück zur Straße. "Das war ein ganz schön überstürzter Aufbruch", kommentierte Urnue. "Das war auch ein ganz schönes Überschlagen der Ereignisse, dafür, dass wir ursprünglich hergekommen waren, um Shaban kalt zu machen. In so unberechenbaren Situationen bleibe ich lieber nicht länger als nötig." Urnue nickte nur verstehend und sagte dann nichts mehr. Die beiden spazierten eine Weile wortlos nebeneinander her, und Victor wusste Urnues Schweigen sehr wohl zu deuten. "Es tut mir leid, dass du jetzt böse auf mich bist", ergriff er daher irgendwann als erster wieder das Wort. Mit einem "hm?" schreckte Urnue aus seinem dumpfen Brüten hoch. "Böse? Auf dich? Wie kommst du darauf?" "Ich weiß, dass du diesen Dullahan unbedingt zur Strecke bringen wolltest. Und jetzt gehen wir wieder und er lebt noch." "Ist ja nicht deine Schuld, dass wir ihn plötzlich noch brauchen", gab der Wiesel-Genius gleichmütig zurück. "Außerdem kann ich noch nichtmal beweisen, dass er wirklich der war, den ich suche." "Wir werden uns noch um ihn kümmern, versprochen." "Dann willst du auf seine Forderung also nicht eingehen?" "Das hab ich nicht gesagt. Aber so wie ich das verstanden habe, besagt der Deal, dass ICH niemanden mehr umbringen soll. Von Helfershelfern war keine Rede." "Soll ich also deine Nachfolge antreten?", wollte Urnue besorgt wissen. Victor machte riesige, erschrockene Augen. "Gott, nein! Das wirst du schön bleiben lassen, U.! Du nicht! Ich hab dir das schon so oft gesagt. Ich will nicht, dass du auch noch zum Mörder wirst. Schon schlimm genug, dass ich so geworden bin. - Aber es ist offensichtlich, was hier läuft. Die Tatsache, dass die FABELS mich gedeckt und unterstützt haben, statt mich zu jagen, hat meine Arbeit sehr befeuert. Ich hab wohl ein paar Motus-Wichser zuviel aus dem Verkehr gezogen. Die, die noch übrig sind, sind meine Aktivitäten leid. Sie wollen mich endlich von der Bildfläche verschwinden sehen und wieder in Ruhe ihr Leben leben. Es geht ihnen hier nicht um Vladislav, oder darum ob der lebt oder stirbt. Ich mache denen größere Sorgen. Und wenn ich nicht freiwillig aufhöre, Verbrecher abzuschießen, wird Shaban wahrscheinlich Methoden finden, mir einen Riegel vorzuschieben. Das wird ihm nicht schwer fallen. Kontakt zu den FABELS hat er ja offensichtlich schon." "Dann ist Vladislav also sein Friedensangebot? Win-win-Situation für euch beide, und dann Schluss mit dem ganzen Spiel?" "Jedenfalls hoffe ich das. Alle anderen Ziele oder Beweggründe, die Shaban mit dieser wahnwitzigen Aktion sonst noch haben könnte, würden schlechter für mich ausgehen." "Dann hör auf, Hintertüren in dem Deal zu suchen. Egal welche Gründe du Shaban unterstellst, tu mir einen Gefallen und heuer dir keine Helfer an, Dragomir. Schick keine Leute mit Aufträgen durch´s Land, die das Töten für dich übernehmen. Dann wärst du endgültig so geworden wie Vladislav, und wärst keinen Deut mehr besser als er." Victor verschränkte locker die Arme, mit gesenktem Blick weitergehend, während er dieses Argument auf sich wirken ließ. Urnues Worte spukten wie ein Echo in seinem Kopf herum. Endgültig so geworden wie Vladislav. Er nickte langsam. "Ja", hauchte er leise. "Da hast du vermutlich Recht." Urnue nickte beruhigt zurück und sah auf seine Hände. "Oh, hey!?", machte er plötzlich euphorisch. Er verschwand kurz in den unsichtbaren Sphären der Astralebene und kehrte einen Augenblick später wieder auf die stoffliche, sichtbare Ebene zurück. "Ich kann wieder wechseln. Endlich. Ich dachte schon, Shaban hätte mich mit seinem blöden Gebräu veralbert." Victor schmunzelte müde, wenn auch ehrlich erfreut, und beendete die Debatte vorläufig, ob er schon bereit war, sein Lebenswerk aufzugeben. Schweigend ging er weiter und überließ Urnue seiner Begeisterung. Insgeheim überlegte er, welches Interesse die FABELS ausgerechnet an Shaban haben konnten. Klar, bevor sie einen alleine hopp nahmen, fragten sie den lieber, ob der nicht noch ein paar mehr kannte, die es hopp zu nehmen lohnte. Aber ausgerechnet dieser Kerl ...? Shaban war ein Niemand, angesehen davon, dass er Victor vor Jahren beinahe mal eliminiert hätte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)