Wer den Tod hintergeht, muss nachsitzen von Kenja ================================================================================ Kapitel 1: Erwachen ------------------- Der Tod sollte die Erlösung bringen – so hatte sie zumindest lange gedacht. Doch bereits die Hexe Urasue hatte sie einst eines Besseren belehrt. Wer hätte ahnen können, dass sie auch nach ihrem zweiten, endgültigen Tod noch immer mit denselben Emotionen zu kämpfen hatte? Dass Wut, Schuld und Trauer ihren Alltag beherrschten und sich durch ihr ganzes Wesen fraßen, wie ein hungriger Dämon durch ein Dorf voll wehrloser Menschen? Hätte sie geahnt, dass auch der Tod nur Ärger für sie bereithielt, hätte sie vielleicht mehr um ihr eigenes Überleben gekämpft. So hätte sie wenigstens bei ihm bleiben können. Inuyasha. Der Name hallte durch ihren Geist, zerrte an ihrem Herzen und ein Gefühl, dass sie schon lange vergessen geglaubt hatte, hinterließ einen bittersüßen Geschmack auf ihrer Zunge. Die Liebe, die sie einst empfunden hatte, hinterließ noch immer diesen Schmerz, der ihr die Luft zum Atmen raubte. Kikyo erhob sich von ihrem Stuhl. Es war soweit. Sie war mehr als bereit, endlich aus diesem Gefängnis herauszukommen, in dem sie seit nun fast zwei Wochen ausharrte. Sie war splitterfasernackt und ohne jegliche Erinnerung an ihr Leben ins Bewusstsein zurückgekehrt. Welch süßes Erwachen! Ohne ihre Erinnerungen war ihr Wunsch endlich in Erfüllung gegangen. Auch, wenn es nur ein paar Stunden angehalten hatte, so waren es doch Stunden, an die sie sich klammerte, wie eine Ertrinkende an einen Ast. Die Stunden, in denen sie eine ganz gewöhnliche Frau sein durfte. Nach und nach waren die Erinnerungen an ihr Leben, ihren Tod, ihre Auferstehung und ihren erneuten Tod, Erinnerungen an Liebe und Schmerz, an Hass und Krieg in ihr aufgewacht. Hatten sie von ihrem kurzen Hoch wieder hinabgezogen in die Tiefe ihrer ewigen Melancholie. Kikyo seufzte. Sie hoffte wirklich, dass, wer auch immer dieses Institut leitete, eine wirklich gute Aufgabe für sie hatte. Etwas, das sie ablenkte an diesem Gefühlscocktail. „Wenn du diese letzte Aufgabe gewissenhaft erledigst, erfüllen wir dir deinen Wunsch und du darfst Erlösung und Frieden finden.“ Das waren die Worte des jungen Mannes gewesen, der sie willkommen geheißen hatte an diesem Ort. „Doch bevor du diese Aufgabe antreten kannst, wird etwas Zeit vergehen. All deine Erinnerungen und Fähigkeiten müssen zu dir zurückkehren und auch die, aller anderen. Erst dann können wir beginnen.“ Kikyo näherte sich der Tür. Nie hätte sie gedacht, dass es zwei Wochen dauern würde, und so hatte sie fast täglich ungeduldig vor der Tür darauf, den jungen Fremden wiederzutreffen. Denn, was immer sie versuchte, sie war nicht in der Lage das Zimmer zu verlassen, in dem sie sich befand. Ein Blick aus dem Fenster zeigte grüne Wiesen und die Baumkronen eines entfernten Waldes am Horizont, sonst nichts. Kein Mensch oder Tier hatte die Wiese je betreten. Keine Stimme war je durch das Fenster zu ihr heraufgeschallt. Es lies sich nicht öffnen, genauso wenig wie die Tür. Sie hatte einiges versucht. Gestern war es dann endlich soweit gewesen. Die Tür hatte sich geöffnet und sie blickte in das Gesicht des jungen Mannes, der nicht viel älter sein konnte, als sie selbst. „Es ist soweit. Morgen, wenn du wach bist und gefrühstückt hast, komm in den großen Saal und du wirst mehr über die Mission erfahren, für die du auserwählt wurdest.“ „Auserwählt, ha!“ Die zweite Stimme kam aus dem Flur hinter dem jungen Mann. Kikyo verengte die Augen, konnte jedoch keinen Blick auf den anderen Mann erhaschen. Sie bestätigte, dass sie verstanden hatte, und war daraufhin früh zu Bett gegangen. Überraschenderweise hatte sie schnell in den Schlaf gefunden. Kikyo holte tief Luft und öffnete die Tür. Sie fand sich auf einem Flur wieder. Dunkle Holzdielen glänzten wie frisch poliert und Öllampen tauchten den Gang in ein dämmriges Licht. Kikyo schloss die Tür hinter sich und zuckte zusammen. Das Geräusch einer weiteren Tür ließ sie herumfahren. „Oh, hallo“, begrüßte sie ein junger Mann mit hellem Haar, der soeben aus einer Tür, ihrer nicht unähnlich, herausgetreten war. „Wer bist du?“ Sie klang strenger als beabsichtigt, was den jungen Mann einen Schritt zurückweichen ließ. „Mein Name ist Eichi. Mir wurde gesagt, ich soll in den großen Saal kommen.“ Kikyo kniff die Augen zusammen. „Du also auch?“ Er nickte. Kikyo wandte sich um. Die dumpfen Schritte verrieten ihr, dass Eichi ihr nacheilte. „Darf ich deinen Namen auch wissen?“ Kikyo überlegte einen Moment, doch ihr fiel kein Grund ein, seine freundliche Bitte auszuschlagen. „Oh, du wurdest nach einer Blume benannt, nicht wahr? Ein schöner Name.“ Eichi lächelte und das erste Mal seit langem fühlte Kikyo eine Wärme in ihrem Brustkorb, die nichts Physisches an sich hatte. Unweigerlich verzog sie ihre Lippen zu einem kurzen Lächeln. Vielleicht konnte sie ihr Misstrauen anderen gegenüber endlich ablegen. Zu viele Jahre hatte sie die Maske der starken Priesterin getragen, war nie irgendwo zuhause gewesen und hatte so nicht viel Freundlichkeit erfahren. All dies war notwendig im Kampf gegen Naraku gewesen, aber dieser Kampf war nun nicht länger ihrer. Sie hatte diesen Krieg im Diesseits zurückgelassen und fühlte sich nicht länger verantwortlich für das, was dort geschah. „Nach dir!“ Eichi hielt ihr die Tür zum großen Saal auf, in dem bereits drei andere warteten. Kikyo ließ den Blick kurz über die drei Fremden schweifen. Einer von ihnen blickte sie aus einem blassen Gesicht und tiefen Augenringen an, die anderen zwei würdigten sie keines Blickes. Ohne lange zu überlegen setzte sie sich auf den Stuhl neben dem blassen Mann, der die Beine nun anwinkelte, sodass seine Füße auf dem Stuhl ruhten und sein Kopf hinter seinen Knien fast versteckt wurde. „Hallo, ich bin Eichi“, stellte Eichi sich vor, doch dieser schüttelte den Kopf: „Namen sind sehr wertvoll, gib sie nicht leichtfertig weg.“ Kikyo musste ein Lachen herunterschlucken. Eichi wirkte fehl am Platz. Er war wie ein helles kleines Leuchten in einem sonst düsteren Raum. Kaum eine Minute später wurde eine Doppelflügeltür am Kopf des Saals aufgestoßen. Da war er, der junge Mann, der in den letzten zwei Wochen das einzige Lebewesen war, das sie gesehen hatte. Wenn „Lebewesen“ an diesem Ort überhaupt der richtige Ausdruck dafür sein konnte. Räuspernd stellte er sich vor die Gruppe. „Hallo alle zusammen“, begann er und wurde von einem grimmig dreinblickenden Mann unterbrochen, der neben ihm aus der Doppeltür trat. „Jetzt fang bloß nicht wieder einen Kaffeeklatsch an. Wir haben schon genug Zeit vertrödelt mit diesem ewigen Warten!“ Kikyo beäugte den zweiten Mann misstrauisch, dem eine Ader an der Stirn hervorstand. Er trug eine Art von Kampfanzug, den Kikyo nie zuvor gesehen hatte. Die muskulösen Arme hielt er vor der Brust verschränkt und das dunkle Haar stand unnatürlich von seinem Kopf ab. „Ach nun sei doch nicht so, sie alle haben viel durchgemacht und verdienen eine vernünftige Erklärung.“ „Dann erklär schneller!“ Auch an seinem Hals trat eine Ader hervor und Kikyo bekam das Gefühl, dieser Mann leide an Aggressionsproblemen. „Nun, also, wo war ich? Ach ja, hallo euch allen! Ihr fragt euch sicher, warum ihr nach eurem Tod hier gelandet seid, anstatt Erlösung im Jenseits zu finden.“ „Oder in der Hölle zu schmoren“, hörte Kikyo den Mann murmeln, der noch immer in seiner unüblichen Position auf dem Stuhl neben ihr saß. Der Blick war nicht auf den Mann vor ihnen gerichtet, sondern galt einem der beiden anderen, der mit dem Anflug eines Lächelns an der Seitenwand des Raumes lehnte. „Nun, um es kurz zu erklären: Es gibt einen Riss im Raum-Zeit-Gefüge. Alle hier kommen aus unterschiedlichen parallelen Universen und normalerweise könnten wir alle uns gar nicht in einem Raum befinden. Aber der Riss hat alles durcheinandergebracht. Entstanden ist er, weil das Gleichgewicht zwischen Leben und Tod in unseren Universen zu sehr aus dem Gleichgewicht gebracht worden ist. Alle, die sich hier im Raum befinden, haben den Tod auf irgendeine Art oder Weise betrogen. Diese Schuld gilt es nun zu begleichen. Nur wenn ihr das tut, könnt ihr den Weg weitergehen, der euch ursprünglich vorbestimmt war.“ „Betrogen?“, fragte Eichi und Kikyo konnte die Angst in seiner Stimme hören. Narr, lass dich nicht so leicht durchschauen, dachte sie grimmig. „Ich weiß, dass das ein großer Schock für euch ist, aber bitte hört mich an. Wir sind die Einzigen, die diesen Riss flicken können. Dazu brauchen wir jedoch unsere Kräfte, die wir in unseren Welten auch hatten. Euch ist sicher aufgefallen, dass einige Fähigkeiten, die euch früher ausmachten, abhandengekommen sind. Dies liegt einzig an diesem Ort. Bevor wir irgendetwas tun können, um die Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen, müssen wir unsere Fähigkeiten wieder aktivieren und das geht nur auf eine einzige Art.“ Er stemmte die Hände in die Hüften und warf einen Blick in die Runde. „Nun, welche wäre das?“ „Unsere Fähigkeiten sind blockiert, da jede Seele in dieser Ebene gleich sein soll. Die einzige Möglichkeit, unsere Fähigkeiten zu aktivieren, ist unsere Komplementärseele zu finden.“ Der zweite Fremde, der bisher stumm an der Wand gelehnt hatte, stieß sich von dieser ab. Kikyo spürte, wie sich die feinen Haare in ihrem Nacken aufstellten. Der Mann trug eine Kleidung, die Kikyo nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte, doch sie vermutete, dass sie sehr hochwertig war. Irgendetwas daran erinnerte sie an eine Uniform, doch der Schnitt war zu ausgefallen, um einen Soldaten einkleiden zu können. Auch die weiße Farbe passte nicht dazu. Doch es war nicht die Kleidung, die Kikyo frösteln ließ. Etwas in den braunen Augen des hochgewachsenen Mannes löste einen Fluchtreflex in ihr aus. Sie hatte das Gefühl durch seine Augen auf einen hellen Verstand zu blicken und spürte die Gefahr, die er ausstrahlte. „Du sagtest soeben ‚unsere‘. Also gehe ich recht in der Annahme, dass auch du zu den Auserwählten gehörst, die den Tod einmal zu oft betrogen haben, richtig?“ Es wurde still. „Ja, das ist richtig.“ „Woher weißt du dann all das, was du uns erzählst? Wer hat uns diese Mission aufgetragen?“ „Als ich hier erwachte, fand ich nur ein Rätsel vor, das ich allein nicht zu entziffern in der Lage war. Nach einer Weile tauchten jedoch Weitere auf, die in der Lage waren es zu lösen und so begriffen wir, wozu wir hier waren.“ „Also gibt es noch mehr Personen hier? Ich würde das Rätsel gern selbst sehen, bevor ich darauf vertraue, das irgendein Stümper es entschlüsselt hat.“ „Ihr könnt euch das Rätsel gern alle selbst ansehen, aber ich bin sicher, dass Urahara das richtig gelöst hat. Bisher ist er einer der intelligentesten Köpfer hier, möchte ich meinen.“ „Sagtest du Urahara?“ Der junge Mann grinste sein Gegenüber an. „Du kennst ihn, nicht wahr? Ihr stammt aus demselben Universum.“ „Wo sind diese anderen?“, fragte der zweite Mann, der neben dem Unheimlichen noch immer an der Wand lehnte. „Sie sind nebenan und warten darauf, euch kennenzulernen. Diejenigen, die auserwählt wurden, an dieser Mission teilzunehmen, erwachten nach und nach aus ihrer Bewusstlosigkeit und so füllt sich unsere Gruppe immer weiter auf. Ich hoffe, dass wir bald vollständig sind, denn erst dann können wir diesen Ort hier verlassen und die Mission beginnen. Also ich verstehe, dass ihr viele Fragen habt, aber lasst uns zu den anderen gehen, sodass ihr sie alle kennenlernen könnt. Ich heiße im übrigen Son Gohan und der etwas grimmig dreinschauende Mann hier neben mir ist Vegeta.“ Vegeta würdigte sie keines Blickes, wandte sich ab und durchquerte die Doppeltür. „Ähm, Herr Son Gohan, entschuldigen Sie“, Eichi sprang auf. „Oh, du kannst mich einfach Gohan nennen.“ „Okay, Gohan. Was ist denn eine Komplementärseele? Und was heißt, dass wir sie finden müssen?“ Es war nicht Gohan, der antwortete, sondern der hochgewachsene Mann, den Kikyo noch immer nicht aus den Augen ließ. „Nun das ist doch selbst erklärend. Es ist das Gegenteil deiner Seele, das sie vervollständigt. Wenn ich das richtig interpretiere, bedeutet es, dass nur einer der hier Anwesenden in der Lage ist, meine Fähigkeiten zu erwecken und dafür müsste ich mit dieser Person ein Team bilden, schätze ich." „Richtig. Du hast es verstanden. Wie war dein Name noch?“ „Sosuke. Sosuke Aizen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)