Mein ist die Rache von Tach ================================================================================ Kapitel 4: ----------- D'Artagnan war übel. Nicht, dass er morgens schon mit diesem Gefühl im Magen aufgewacht wäre, ganz im Gegenteil. Heute früh hatte er sich prächtig gefühlt. Dieser Zustand hatte sogar bis zum Mittag angehalten, war jedoch plötzlich umgeschlagen, als er sich mit dem Elend der Pariser Randviertel konfrontiert sah. Der Dunst menschlicher und tierischer Überbleibsel, vergammelnder Lebensmittel, Schimmel und Krankheit brannte in der Nase, aus Angst vor dem Geschmack wagte er es gar nicht erst, durch den Mund zu atmen; eigentlich wollte er überhaupt nicht mehr atmen. Er war sich nicht sicher mit welchen Krankheiten man noch in solch einer menschliche Gemeinschaft - oder zumindest etwas, dass als solche gehandelt werden wollte - toleriert wurde, er wollte jedenfalls keine von ihnen haben. D'Artagnan wollte weg hier, weg von den Krüppeln und den Ausgestoßenen. Warum musste ausgerechnet er mit Porthos hierher? Genauso gut hätte doch auch Aramis den Hünen begleiten können. Oder Athos. Zugegeben, Aramis hatte heute früh wirklich eigenartig ausgesehen. Während die blasse Nase mit der roten Spitze sonst von kleinen rosigen Apfelbäckchen eingerahmt wurde war ihr Gesicht diesmal einheitlich kalkweiß, ihre Augen schimmerten glasig und bettelten förmlich nach etwas Schlaf. Athos hingegen hatte ihm nur einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter verpasst und ihm gesagt dass er auch solche Erfahrungen machen müsste und ihm viel Glück gewünscht. Athos war kein Mensch der Sorte ,Viel Glück', dass wusste D'Artagnan, für ihn gab es nur Können oder Versagen. Hätte Aramis so etwas gesagt hätte es ihn nicht weiter beunruhigt, aber sie hatte nur einen Blick voller Mitleid für ihn übrig, sofern man ihn unter den verschlafenen Lidern erkennen konnte. Mit hängendem Schultern hatte er die beiden im Hauptquartier zurückgelassen und war hinter Porthos hergetrottet ohne zu wissen, was Athos mit dem ,Viel Glück' hatte sagen wollen und ohne zu ahnen was auf ihn zukam. Inzwischen wusste er es. Viel Glück, dass du dir nicht den Tod oder noch schlimmere Krankheiten einfängst! Einige Minuten zuvor hatte eine Maus versucht ihm in den Fuß zu beißen, scheiterte jedoch am Leder seiner Stiefel. Zu allem Überfluß hielt es Porthos auch noch für angebracht, dem pelzigen Ungeziefer die Lichter auszublasen und hatte mit einem kleinen, für seine Verhältnisse gerade noch machbaren Sprung auf der Maus gestanden. Sie schaffte es nicht einmal, ein letztes entsetztes Fiepen zu vollenden, es versank mit dem kleinen Körper im Schlamm. "Diese kleinen Mistviecher sind schlimmer als die Pest!" war alles, was Porthos zu diesem Vorfall einfiel. Nun gut, er hatte nicht wirklich unrecht, immerhin waren sie und ihre größeren Brüder die Ursache des schwarzen Todes, aber was wusste er schon davon? Für ihn und alle anderen war die Pest eine Strafe Gottes für all die kleinen irdischen Sünden, wobei angemerkt werden muss, dass Porthos sich keineswegs für sündig hielt. Es waren die anderen, und er hatte es auszubaden, wenn der Herr einmal wieder strafte. Schließlich war die fleischliche Liebe keine Sünde sondern einfach eine sehr angenehme und zwingend notwendige Sache, eine Investition für's Leben quasi. Und Geschäft war keine Sünde, es sei denn man betrog den Geschäftspartner. Das selbe galt für Speis und Trank. Der Mensch musste doch essen, um zu leben. Und um nicht auszutrocknen, musste er trinken. Basta. Er tat das alles nur um zu überleben, er sündigte nicht! Und wenn doch so tat er es heimlich, damit der liebe Herrgott es nicht mitbekommt. Das Leben konnte so einfach sein wenn man Porthos hieß Inzwischen schob sich der einem Fass gleiche Körper durch die engen Gassen und erkundigte sich nach ihrem ehrlichen Finder. Die Beschreibung durch einen der Pariser Nachtwächter fiel wie zu erwarten dürftig aus: Ja, er sei bei ihnen gewesen und hätte ihnen von der Leiche berichtet und ja natürlich hätten sie sich sein Äusseres gemerkt. Ziemlich verlaust, mager und dreckig bis zu den Ohren und dahinter sei er gewesen. Sein Name sei Clovis gewesen, ja, wie der Merowingerkönig hätte er geheißen und man hätte das ziemlich absurd gefunden, da er ausgesehen habe wie der Rattenkönig und nein man wisse nicht wo er sich in Paris aufhalte aber er würde wohl kaum die Nähe zum Wasser suchen. An dieser Stelle brachen sowohl der befragte Nachtwächter als auch sein Begleiter in übertrieben lautes Lachen aus, man hielt sich wohl an diesem Morgen für unsagbar witzig. "Ihr seid mir ja zwei ganz besondere Spaßvögel, vielleicht solltet ihr Narren einmal vor dem König tanzen?" Porthos brachte sie schneller als ihnen lieb war wieder zu den nüchternen Fakten. Nein, besondere Merkmale habe er nicht gehabt dieser Clovis, ausser vielleicht einer riesigen Nase, die sein gesamtes Gesicht beherrsche und alle Blicke auf sich lenke. Wie groß er gewesen sei? Vielleicht etwa fünf Fuss, man war sich da nicht mehr ganz sicher. Mehr können man ihnen aber auch nicht sagen, man werde ja schließlich nicht für die Musterung von Leuten bezahlt sondern für die Sicherung der Pariser Straßen bei Nacht, dass müsse auch ein Musketier verstehen. Natürlich verstand Porthos und zog, D'Artagnan im Schlepptau, mürrisch von dannen, um sich auf die Suche nach einem kleingroßen, helldunkelhaarigen, auffälligunauffäligen Tagedieb namens Clovis zu machen, der irgendwo in Paris zu finden sein musste. Und wo lag eigentlich dieses Merowingen? Während Porthos verzweifelt mit einer auf einen Stock gestützten krummen Alten diskutierte, ob er ihr nun etwas Böses wolle oder nicht, versuchte D'Artagnan erfolglos, sich den toten Augen eines Blinden zu entziehen, indem er unbeteiligt in den grauen Himmel starrte. "Was soll das heißen ich will euch ausspionieren?!" "Du willst wissen wem ich Unterschlupf gewähre!" Ihr zahnloser Mund verstümmelte die Worte, bevor sie sie unter Husten und Krächzen hinausbellte. "Das ist mir verdammt noch mal scheißegal, ich suche einfach nur diesen verdammten Colvis!" Langsam aber sicher gewann seine Stimme an Lautstärke. Diese starrsinnige alte Henne brachte ihn in den Wahnsinn. "Flucht nicht in meiner Gegenwart!" "Ich fluche wann ich will!" Jetzt hatten alle Bewohner des kleinen Gässchens etwas von ihrer Unterhalten, sofern man sie noch so nennen konnte. Ohne hinsehen zu müssen wusste D'Artagnan, dass sein Freund kurz davor war der Alten den Stock aus den Händen zu reissen und ihr damit das gebogene Kreuz gerade zu prügeln. Wenn sie nicht noch mehr Aufsehen erregen wollten musste er jetzt einschreiten. "Komm Porthos, fragen wir jemand anders!" Immer noch völlig ungerührt starrte die Alte den vor Wut bebenden Musketier an. "Ihr werden von niemandem etwas über mich erfahren!" "Die Alte ist doch völlig übergeschnappt!" Immer noch zeterte Porthos lautstark vor sich hin, als sie um die Ecke in die nächste Gasse bogen. Hier hatten sie wirklich nichts mehr erreicht. Nach dem lauten Wettern von Spionage war keiner mehr bereit gewesen, mit ihnen zu reden, wo es doch ohnehin schon schwer genug war, in dieser Gegend jemanden zum Sprechen zu bewegen. Also versuchte man jetzt woanders sein Glück. Zur selben Zeit hatte Aramis beschlossen, dass sie Athos nicht für den Rest ihres Lebens mit durchfüttern wollte und machte sich mit ihm auf den Weg zum Einkaufen. Zwar hätte sie sich jetzt viel lieber hinter dem warmen Kamin am anderen Ende des Zimmers zusammengerollt, aber sie würde keine Nacht durchschlafen, wenn sein hungriger Magen ihn jeden Morgen in der Früh zu ihr trieb. Noch saß er friedlich neben ihr auf einer Bank und ahnte nichts von seinem Glück, aber das sollte sich in den nächsten Sekunden ändern. "Bist du schon wieder einigermaßen warm?" "Wieso?" Betont langsam legte er das Buch beiseite. Sie wollte etwas, soviel war klar. "Dann könnten wir ja jetzt wieder raus an die frische Luft nicht wahr?" Ein charmantes Lächeln versuchte ihn von ihrer Meinung zu überzeugen. "Wieso?" Gab es für ihn etwas beunruhigenderes als ihr nicht folgen zu können? Seiner Stimme nach zu urteilen nicht. "Wir gehen einkaufen!" "Wieso?" Diese Frage war ohne Zweifel absolut überflüssig gewesen. "Weil ich sonst in den nächsten Jahren keine Nacht durchschlafen kann, weil ich jeden Morgen damit beschäftigt sein werde dir meine geliebte Küche anzuvertrauen und weil du das schamlos ausnutzt und mich damit wahrscheinlich am Ende ruinierst. Ich hätte nie gedacht dass ich das einmal zu dir sagen müsste, aber vielleicht sollte ich einfach nach all den Jahren wissen, dass hier nichts ungewöhnlich ist. Da ich allerdings auch nicht möchte dass du mir vom Fleisch fällst oder am Ende gar jämmerlich verhungerst wirst du jetzt mit mir einkaufen gehen. So einfach ist das!" "In der Dienstzeit?" Athos wusste, dass der Vorwurf keineswegs bösartig gewesen war, sondern zu seinem Erstaunen sogar etwas sehr liebevolles hatte, dennoch fühlte er sich durchschaut. Er hätte das Szenario von heute zu gerne auf die folgenden Tage übertragen, aber den Gedanken konnte er jetzt wohl begraben. Sie war bereit sich für seine Versorgung alles abzufrieren was man sich nur abfrieren konnte. "Was heißt in der Dienstzeit? Natürlich in der Dienstzeit. Immerhin sind wir nicht auf dem Markt um einzukaufen, sondern um Nachforschungen über unsere Leiche anzustellen. Jetzt hab doch mal ein bischen Fantasie." "Entschuldige dass ich für gewöhnlich einkaufen lasse. Eigentlich bist du schuld an meiner Situation, eigentlich müsstest du allein gehen, zur Strafe." "Ich? Wieso dass denn?" "Aus einem ganz einfachen Grund. All die Jahre hat sie es irgendwie verkraftet, dass ich sie nicht mehr beachte als nötig. Das Mädchen hatte Hoffnung dass ich vielleicht doch irgendwann verzweifelt genug bin. Und dann stellt sich heraus dass eine gewisse Person, die ständig in meiner Nähe ist - wogegen ich weiß Gott nichts einzuwenden habe - eine Frau ist. Und schon hatte sie einen schönen Grund anzunehmen, dass das mit uns im Leben nichts wird. Ergo, sie wird sauer und sucht nach einer Form der Strafe, die ihren Intellekt nicht überansprucht." "Und deswegen bin ich schuld? Weil jahrelang das offensichtliche nicht offensichtlich genug war?" Bevor Athos etwas erwidern konnte war sie schon aufgesprungen und hatte sich Hut und Mantel gegriffen. "Kommst du jetzt endlich?" "Das war nicht nett von dir!" "Ich weiß! Jetzt hol endlich deine Sachen damit wir gehen können!" Je länger sie unterwegs waren desto weniger gefiel ihm ihre Idee. Ihm lief das Wasser aus der Nase und er hatte keine Chance, an sein Taschentuch zu kommen. Er hätte es natürlich wie alle anderen auch machen und das Übel in den Ärmel wischen können, aber seine Erziehung verbot es ihm. Gerade als er versuchte, alles so geräuschlos wie möglich hochzuziehen, wedelte ihm ein blütenweißes Taschentuch vor der Nase. "Jetzt guck nicht so, ich hab's noch nicht benutzt...und bevor du an deinen eigenen Körperflüssigkeiten erstickst, opfere ich doch lieber eins von denen hier." Während einige Schritte hinter ihr eine Ein-Mann-Gruppe Lieder auf ihrem Taschentuch trötete, versuchte Aramis sich auf die Stimmen der Menge zu konzentrieren. Jedoch, so sehr sie sich auch bemühte, keiner der Umstehenden schien noch an die junge Frau zu denken geschweige denn über sie zu reden. Man hatte sich inzwischen wieder anderen Themen zugewandt. Irgendwo neben sich vernahm sie etwas von einem neuen Mieter in der Place Royale, verwarf die Information jedoch wieder, nachdem sie sie für unbedeutend erklärt hatte. Also wartete sie weiterhin darauf, dass das Schnauben hinter ihr endlich eingestellt wurde und sie sich wieder bewegen konnte. "Denk dran es auszuwaschen bevor du es mir wiedergibst!" "Wiedergeben? Von wiedergeben war doch hier nie die Rede!" "Du willst mir doch nicht ernsthaft auch noch meine Taschentücher klauen? Reicht es nicht dass du mir die Küche leerräumst?" "Es gab Zeiten da haben Frauen den Männer die Lappen geradezu hinterhergeworfen! Und jetzt? Muss ich mir hier sowas anhören..." "Hört hört, der Ritter vom leeren Küchenschrank hat gesprochen!" Athos hatte beschlossen, sich nicht weiter auf diese Diskussion einzulassen. Er würde ohnehin den Kürzeren ziehen. Also versuchte er einfach, so würdevoll wie er nur konnte auf sie herabzusehen. Immer noch zuckten ihre Mundwinkel spöttisch, sie hatte aber beschlossen, nicht weiter in der Wunde zu bohren. Statt dessen wechselte sie das Thema: "Was brauchst du eigentlich?" "Was Essbares! Egal was..." "Also ein bischen präziser dürfte es schon sein...Käse? Brot? Wurst? Gemüse?" "Ja, genau!" Er grinste. "Also gut, ich mach dir einen Vorschlag. Wir fangen mit Brot an, gehen dann zum Fleischmarkt und von dort aus zu den Obst- und Gemüsehändlern." Sie zeichnete ihre Marschrute mit dem Finger in die Luft. "Einverstanden?" Athos nickte nur stumm. Er musste einsehen, dass er hier ohne Aramis völlig aufgeschmissen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)