Mein ist die Rache von Tach ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Seit einigen Minuten schon starrte Treville fassungslos vor sich hin. Er hatte beide Hände auf die Stirn gelegt und sich dann langsam nach vorne fallen lassen, bis seine Ellenbogen auf die Tischplatte trafen. Das durfte alles nicht wahr sein. Athos hingegen wartete auf ein Lebenszeichen seines Kapitäns, das die peinliche Stille im Raum beenden würde. Nach einer Weile jedoch beschloss er, ihr selbst ein Ende zu setzen. "Kapitän?" "Athos sag mir, dass das alles nicht wahr ist!" Der ergraute Kopf löste sich aus der Umklammerung der Finger, die dunklen Augen suchten den Blick des Angesprochenen. "Was, Kapitän?" Jetzt verstand er gar nichts mehr. War der Wein nicht gut gewesen? War der Kapitän der Musketiere betrunken? Oder war es die unerträgliche Hitze in seinem Büro, die ihn verwirrt erscheinen ließ? "Heute nachmittag war ein älterer Herr hier. Der Polizeikommissar hatte ihn hierher geschickt, weil er seine Tochter suchte und Monsieur Cormier sicherlich derselben Ansicht war wie ich. Dass er der Vater des Mädchens ist, das wir am Pont Neuf gefunden haben. Er erzählte mir, dass er seine Tochter seit gestern Abend vermisst, wie sie heißt und allen möglichen Kram, der mich kein bischen interessiert hat. Du weißt, ich bin momentan dankbar für jede ruhige Minute die man mir zugesteht." Athos nickte. Das wußte jeder im Hauptquartier. "Nun, jedenfalls war ich so sehr darauf fixiert, ihn wieder loszuwerden, dass ich eine entscheidende Sache nicht beachtet habe!" Treville machte eine dramatische Pause. "Das Mädchen, von dem ich dachte es wäre seine Tochter, ist schon seit zwei Tagen tot. Ergo, das Mädchen vom Pont Neuf kann nicht die Tochter von Monsieur Menard sein. Sonst würde das bedeuten, Monsieur ist verwirrter als ich und hat nicht bemerkt, dass seine Manon auch in der Nacht davor schon gefehlt hat. Und wir beide wissen, wie unwahrscheinlich das ist." "Das kommt darauf an, wo Monsieur sich nachts herumtreibt, meint ihr nicht? Wäre es nicht durchaus denkbar, dass er in der Nacht, bevor er das Verschwinden seiner Tochter bemerkt hat, betrunken nach Hause kam, ohne sich der Anwesenheit seiner Tochter zu vergewissern eingeschlafen ist und dann bis gestern mittag durchgeschlafen hat. Als er dann aufgewacht ist nahm er einfach an, dass seine Tochter bereits das Haus verlassen hatte, um einzukaufen oder sich mit Freundinnen zu treffen. Dann wäre es nicht weiter verwunderlich, dass er sie erst seit gestern vermisst." "Das ist doch absurd." Treville fuchtelte abwehrend mit den Händen. "Mindestens so absurd wie ohne jeden Grund anzunehmen, dass es sich bei der entlaufenen Tochter dieses Mannes um unsere Leiche handelt, nicht wahr? Vermutlich ist sie mit ihrem Liebhaber durchgebrannt oder ähnliches." "Seine Beschreibung passte perfekt. Was hätte ich denn tun sollen? Ihn um ein Porträt fragen?" Er richtete sich zu voller Größe auf, um gleich darauf wieder in sich zusammenzufallen. Mit dem Liebhaber durchgebrannt? Natürlich, das war es. Er würde einfach einen seiner Musketiere zu dem jungen Mann schicken, den Monsieur Menard als den Verlobten seiner Tochter angegeben hatte. Dieser würde dann feststellen, dass dessen Wohnung leerstand und die Sache hätte sich von selbst gelöst. Doch da fiel ihm erneut Athos in's Wort: "Wisst ihr, was meine Theorie stützt?" Athos konnte ein Grinsen nicht verbergen. "Welche Theorie?" "Das Monsieur in der Nacht des Verschwindens seiner Tochter gar nicht zu hause war..." "Nein, aber du wirst es mir wohl sagen?" "Nur zu gerne. Der Fund der Leiche hatte sich innerhalb weniger Stunden zum Stadtgespräch entwickelt. Als Aramis und ich am Fundort eintrafen, wusste bereits ihre gesamte Nachbarschaft darüber bescheit." "Wann war das ungefähr?" Treville hob die Augenbrauen. Die Worte ,Aramis und ich' aus Athos' Mund machten ihn immer wieder nervös. "Vormittags!" Er würde sich hüten eine konkrete Uhrzeit zu nennen. "Aber wie es nun einmal ist in dieser Stadt, Geschichten kommen und verschwinden, bevor sie sich in den Köpfen der Menschen festsetzen können. Selbst in den Hallen wurde heute kein Wort mehr über sie verloren. Wenn sich Monsieur Menard also vor zwei Tagen tatsächlich selig getrunken hat, hat er bis gestern Mittag durchgeschlafen. Und danach wird er sicherlich einen Teufel tun und vor die Tür gehen. Er wird sich in seine kleine dunkle Kammer verkrochen und darauf gewartet haben, dass sein Töchterchen nach Hause kommt und ihn bemuttert. Jedwedes Gerücht über Leichen und ähnliche Dramen dürften also spurlos an ihm vorbeigegangen sein." Regungslos endete er in seinen Überlegungen. Und während er auf eine Antwort wartete dachte er darüber nach, wie unrealistisch all das jetzt geklungen haben mag und sah er dabei zu, wie es hinter der faltigen Stirn des Kapitäns arbeitete. "Was hast du in den Hallen verloren?" Das durfte doch nicht möglich sein. Er redete sich den Mund lahm, um seine Gedanken für den Kapitän verständlich zu machen und alles, was in seinem Hirn ankam waren die Hallen. Vielleicht sollte man diesen Mann mal für ein paar Minuten vor die Tür stellen, damit er etwas frische Luft atmen konnte. "Wir hatten Hoffnung, noch etwas über das Mädchen zu erfahren." "Wer sind ,Wir'?" Warum fragte er eigentlich? Die Antwort war so klar wie die Suppen, die seine Haushälterin für gewöhnlich kochte. "Aramis und Ich. Warum?" "Pures Interesse..." Trevilles Finger umkreisten seine Schläfen. Gab es irgendetwas, was die beiden nicht inzwischen zusammen machten? ,Hoffentlich', schoß es ihm durch den Kopf. "Gibt es etwas Neues von Porthos und D'Artagnan?" "Ich denke schon. Zumindest hatten sie jemanden im Schlepptau, als sie vorhin hier ankamen. Genaueres weiß ich aber auch noch nicht. Soll sich einer von uns mal bei ihrem Verlobten umhören? Vielleicht weiß er ja etwas..." "Jaja, macht das!" Seine Gestiken zeugten von deutlichem Desinteresse. "Und sag Porthos, dass er hier antanzen soll, sobald sie etwas wissen." Clovis wollte schreien. Oder rennen. Oder schreiend wegrennen. Doch er traute sich weder das eine, noch das andere, geschweige denn letzteres. Statt dessen versuchte er, sich so tief wie möglich in die Stuhllehne zu drücken. Er gehörte nicht zu den Leuten, die Angst bekamen; er hatte es sich abgewöhnt. Immerhin war das letzte, was er nachts in den dunklen Ecken der Stadt brauchen konnte Angst, die ihn am Arbeiten hinderte. Angst, erwischt oder um Beute und Leben gebracht zu werden. Bisher hatte er immer Glück gehabt. Um so mehr war er jetzt verunsichert, da er sich umzingelt sah von Musketieren. Clovis wusste genau, dass sie nicht für einfache Diebstähle zuständig waren, es sei denn sie spielten sich direkt vor ihrer Nase ab. Aber diese beiden hatten ganz offensichtlich gezielt nach ihm gesucht. Und er wusste nicht warum; dass war es, was ihn am meisten beunruhigte. "Weißt du, warum du hier bist?" Porthos wanderte vor ihm auf und ab, darum bemüht autoritär und intelligent zu wirken, während D'Artagnan und Aramis in einer Ecke saßen und schwiegen. "Nein, Monsieur!" Clovis würde seine Hände vermissen. Wenn man erst einmal in die Fänge der Justiz geraten war, verließ man sie erst nach dem Verlust einer oder beider Hände. Im günstigsten Fall. "Stimmt es, dass du vor zwei Tagen die Leiche einer jungen Frau gefunden hast?" "Ja, Monsieur." Das war es? Er war hier wegen dem Mädchen? Hielt man ihn am Ende gar für den Mörder? Clovis spürte, wie sich die unsichtbare Schlinge um seinen Hals langsam zuzog. "Wann war das?" "Wie ihr sagtet, Monsieur. Vor zwei Tagen..." "Ich meine die Tageszeit!" "Gegen sechs Uhr morgens, Monsieur." Es widerstrebte ihm, sich derartig demütig gegenüber dem Musketier zu zeigen, aber wenn er seinen Kopf retten wollte, blieb ihm nicht viel übrig. Sein Leben mochte erbärmlich sein, aber es war sein leben und er hing doch sehr daran. "Wart ihr allein?" Das war eine gute Frage. Wirklich intelligent, wie Porthos fand. Er war stolz auf sich. So stolz, dass sich für einen Moment ein dümmliches Grinsen auf seinem Gesicht breit machte, dass auch D'Artagnan und Aramis nicht verborgen blieb. "Natürlich, Monsieur!" Natürlich war er allein gewesen. Er brauchte keine Mitwisser, die ihn jederzeit an den Pranger oder Galgen bringen konnten, um alle Schuld von sich selbst zu weisen. Schlimm genug, dass sein alter Sauffreund Cornelis über seine nicht ganz gesetzlichen Machenschaften Bescheid wusste. Nicht dass er selbst besser gewesen wäre. Cornelis pflegte sich durch's Leben zu spielen. Er betrog seine Mitspieler, wo er nur konnte und zog ihnen das Geld Säckchenweise aus den Taschen. Besonders pflegte er das Spiel mit gezinkten Karten, nachdem man ihn wiederholt mit falschen Würfeln erwischt hatte. Sicherlich hatte Cornelis ihn verpfiffen und sobald er, Clovis, diese Befragung hinter sich gebracht hatte, würde er ihm ordentlich den kranken Schädel polieren. Porthos gingen indes die Fragen aus. Er war so begeistert von seiner letzten Frage gewesen, dass er prompt alle anderen vergessen hatte. Hilfe suchend drehte er sich zu seinen beiden Freunden; immer noch schweigend und betont desinteressiert starrte der eine an die Decke, die andere aus dem Fenster in den Himmel. Es würde wohl wieder Schnee geben. "Aramis!" Leise reden gehörte nicht zu Porthos Stärken, trotzdem versuchte er sich im Flüstern. "Aramis!" Entnervt zog er ihren Namen immer weiter in die Länge. "Was denn?" Es war lächerlich, das gebrüllte Flüstern der beiden Musketiere hätte man mit etwas gutem Willen noch auf dem Flur hören können, dennoch ließ sie sich darauf ein. Es gab sonst schließlich nichts zu lachen. "Was soll ich ihn fragen?" "Frag ihn nach dem Fundort. Ob ihm irgendetwas aufgefallen ist!" Porthos nickte wissend. "Ist dir irgendetwas besonderes aufgefallen, als du die Leiche entdeckt hast?" "Sie war schon tot!" "Davon gehen wir aus!" Aramis runzelte die Stirn. "Irgendwelche Fußabdrücke, Kampfspuren, Wertgegenstände die aus Versehen ihren Weg in deine Taschen gefunden haben?" "Nein, Madmoiselle. Keine Kampfspuren. Nur ein Paar Fußabdrücke..." Als ob er sich nicht vor einem Toten ekeln würde. Wer weiß, woran sie gestorben war; er müsste ziemlich dämlich sein, würde er sein Leben für ein bischen Geld auf's Spiel setzen, Nein, Tote waren ihm definitiv zu heiß. "Wie sahen sie aus?" "Ich weiß es nicht mehr, ich schwöre bei Gott." Schnell bekreuzigte er sich. "Ja ja, was auch immer. Und du bist dir ganz sicher, dass dort kein Kampf stattgefunden haben kann?" "Ich denke schon...natürlich kann ich das nicht richtig beurteilen!" "Natürlich nicht!" Aramis hatte genug gehört. Wenn dieser Taschendieb die Wahrheit sagte, würde sich ihre Vermutung bestätigen und das Mädchen war schon tot, bevor man sie an der Seine abgelegt hat. Das machte die Sache allerdings kein Stück einfacher. Ganz im Gegenteil, wenn dem so wäre, müssten sie den Tatort finden, ein Ding der Unmöglichkeit. Sie würde mit Athos alles weitere besprechen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)