Mein ist die Rache von Tach ================================================================================ Kapitel 11: ------------ Aramis fühlte sich ein wenig verloren in dem großen, lichtdurchfluteten Salon. Ausser einer kleinen, grün gepolsterten Bank aus Kirschholz, einigen Skulpturen aus Marmor und einem einsamen Stilleben, dass eine wenig stilvoll gedeckte Festtafel zeigte, war der Raum leer. Schadenfroh stellte sie fest, dass der Stoff der Polsterung beim besten Willen nicht zu der dunkelroten Samttapete und den kupferfarbenen Vorhängen passen wollte. Dafür passte er hervorragend zu dem Ölschinken , der einige Schritte entfernt von ihr hing und ihr den Appetit verdarb und den kleinen fetten Putten. Aber vielleicht war das ja der bajuvarische Geschmack. Die Bayern schienen ihr an sich ein ziemlich merkwürdiges Völkchen zu sein. Der Hausangestellte, der ihr die Tür geöffnet hatte, war zwar jung, aber mürrisch wie ein alter Mann gewesen. Als sie sich vorstellen wollte, hatte er nur den Kopf geschüttelt und sie dann mit einer müden Handbewegung hereingebeten. Nachdem er etwas gesagt hatte - zumindest glaubte Aramis, dass er etwas hatte sagen wollen - dass in ihren Ohren geklungen hatte wie betrunkenes Lallen, war er von dannen geschlürft. Sie war so in Gedanken über die bayrische Lebensart vertieft, dass sie beinahe überhört hätte, wie jemand die Tür hinter ihr öffnete. Aramis fuhr herum. "Bonjour Monsieur!" Das Mädchen vor ihr machte einen eleganten Knicks. "Bonjour..." Es dauerte einige Zeit, bis Aramis sich daran erinnerte, woher sie das Mädchen mit dem merkwürdigen Dialekt und den blonden Zöpfen kannte. "Du bist das Mädchen aus den Hallen, nicht wahr?" "Oui Monsieur!" Das hübsche Gesicht wippte auf und ab. "Madmoiselle..." Aramis korrigierte ihre Gegenüber inzwischen automatisch, um Mißverständnisse zu vermeiden. "Oh verzeiht, ich wußte nicht...ihr seid der erste, der mich berichtigt..." Ihre Wangen röteten sich. "Liegt wohl daran, dass du es das erste Mal falsch machst." Aramis lächelte. Gerne hätte sie die plötzliche Neugier des Mädchens gestillt, die aus großen blauen Augen sprach, aber sie würde kaum genügend Zeit dafür finden. "Ich will dich nicht bei der Arbeit stören!" "Ich arbeite nicht, Madmoiselle. Ich komme gerade vom Einkaufen. Ich bin ausschließlich in der Küche bschäftigt, wißt ihr? Naja, und da hab ich den Fredl getroffen. Fredl hat mir erzählt, dass jemand im Salon wartet und da dachte ich mir..." "Ist das dieser Bursche, der mich hereingelassen hat?" Aramis verstand nicht recht, was sie ihr sagen wollte. Dieses Kind redete zu viel, als es Hauspersonal eigentlich nicht gestattet war. Genau genommen hatten Bedienstete gar nicht mit den Gästen zu reden, sondern lediglich Befehle entgegenzunehmen. Hier sah man das scheinbar anders. "Oui, Madmoiselle. Eigentlich heißt er ja Ferdinand, aber wir nennen ihn alle Fredl. Passt besser. Er ist ein wenig...wie sagt man...langsam." Ihr Finger vollführte kreisende Bewegungen vor ihrer Stirn. "Deswegen spricht er auch kein Französisch. Er arbeitet für unsere Herrschaft weil er der Sohn der Köchin ist. Sonst tät er schon längst auf der Straße sitzen, der Depp." Aramis lief es bei diesem sprachlichen Fehltritt kalt den Rücken runter. "Ich habe ihn gefragt ob die Herrschaften über euren Besuch informiert sind und er meinte, dass er ja nicht wissen konnte dass Ihr zum Herrn Grafen wollt. Und deswegen bin ich jetzt hier. Als ob ihr einen anderen grund haben könntet." Die Worte sprudelten wie aus einem Wasserfall aus ihr heraus. Wenn auch ein langsamer Wasserfall, dachte Aramis belustigt. "Ich werde dem Herrn Grafen Bescheid sagen, dass ihr wartet! Das heißt, erst muss ich ja euren Namen wissen." Sie kratzte sich verlegen am Hinterkopf. "Aramis, Musketier des Königs. Seine Majestät schickt mich." Erneut wurden die Augen des Mädchens groß vor Staunen. Dann nickte sie, raffte ihre Röcke und lief an ihr vorbei und aus dem Raum. Die groben Lederschuhe waren auf den Holzbohlen kaum zu hören. Wenig später betrat sie das Arbeitszimmer des Grafen, der sie mit offenen Armen empfing. Ihr erster Blick fiel, nach den farblichen Irrtümern im Salon, auf die Einrichtung. Hier waren die Wände in einem dunklen Blau gehalten, die Vorhänge waren fast weiß. Alles in allem sah es hier nur unwesentlich besser aus als in dem Raum zuvor. "Monsieur Aramis, ich bin erfreut endlich eure Bekanntschaft machen zu dürfen." Überrascht über diese stürmische Begrüßung viel ihre obligatorische Verbeugung weniger elegant aus als es sonst der Fall war. "Die Freude ist ganz auf meiner Seite." Aramis hatte sich den kurfürstlichen Gesandten anders vorgestellt. Er unterschied sich bei weitem von seinen Kollegen aus anderen Ländern. Die meisten von ihnen hatten die Blüte ihrer Jahre bereits lange überschritten und gaben sich am französischen Hof der Völlerei hin, die ihre Körper aufgehen ließ wie Hefe. Hanns Friedrich von Rosenbaum jedoch war ein Bild von einem Mann: Groß und schlank, mit gut ausgeprägten Schultern und einem schmalen Gesicht, das von dunkelblondem, welligem Haare eingerahmt wurde. Er konnte nicht viel älter sein als sie selbst, vielleicht fünfundzwanzig. "Ihr müsst meinen Angestellten entschuldigen. Er ist ein ziemlicher Trottel und wird seine Strafe erhalten. Das selbe gilt für mein bescheidenes Heim. Ich weiß das einiges noch nicht perfekt ist. Die passenden Möbel sind noch nicht fertig." Er wies sie an, sich zu setzen. "Nun Monsieur, was verschafft mir die Ehre eures Besuches?" "Madmoiselle!" Aramis konnte das Wort aus ihrem Munde nicht mehr hören. Irgendwann würde sie es als Zettel bei sich tragen und bei jeder passenden Gelegenheit herumreichen. Ihr Gegenüber schien durch diese Korrektur wenig beeindruckt. "Dann ist es nicht nur ein Gerücht?" Er lehnte sich ins einem Sessel etwas nach vorne. "Ihr müsst wissen, euer Ruf eilt euch voraus. Vor ein paar Wochen hörte ich euren Namen zufällig in einem Gespräch...nicht dass es mich sonderlich interessiert hätte, versteht sich. Man unterhielt sich wirklich sehr angeregt über euch und ich war etwas irritiert, dass man von euch als Madmoiselle sprach, wo ich doch vorher deutlich vernommen hatte, dass ihr Musketier seid. Ich hielt es für einen Scherz verbitterter alter Weiber. Und, wenn ihr mir diese Anmerkung gestattet, eure Erscheinung verhärtete meinen Verdacht noch. Aber in Anbetracht dieser Umstände entschuldige ich mich natürlich für meinen Irrtum." Sein Lächeln zeigte eine Reihe makelloser weißer Zähne. "Aber nun zurück zu meiner Frage. Was verschafft mir die Ehre?" "Seine Majestät der König schickt mich. Oder vielmehr mein Vorgesetzter. Eigentlich wäre es seine Aufgabe gewesen mit euch zu sprechen, aber da er kurzfristig schwer erkrankt ist, habe ich mich dieser Aufgabe angenommen." "Euer Vorgesetzter? Ihr meint sicher Kapitän de Treville. So war doch sein Name, nicht wahr?" "Nein, der Kapitän ist schon längere Zeit unpäßlich. Ich spreche von seiner Vertretung." Der Graf nickte interessiert. "Ach, jetzt erinnere ich mich. Ein gewisser...na, wie war noch gleich sein Name. Ich erinnere mich dass der König ihn häufig in unseren Gesprächen erwähnte. Es klang etwas kurios..." Bedächtig kratzte er sich am Kinn. Er zog die Worte genauso in die Länge wie das kleine Dienstmädchen, wodurch seine Erscheinung etwas an Glanz verlor. "Athos." In wie weit dieser Name nun kurios klingen sollte war Aramis ein Rätsel. Aber sollte sich jemand mit dem Namen Hanns ruhig seine Gedanken darüber machen. "Ja genau, so lautete sein Name. Seine Majestät erzählte mir, dass er sich zur Zeit um die Belange der Leibgarde kümmert. Und wer ist nun bis zu seiner Genesung dafür verantwortlich?" Aramis fand es erstaunlich, wie gut er über die Musketiere informiert war, zumal er erst seit vier Wochen in Paris lebte. "Niemand. Die schriftlichen Arbeiten werden warten müssen, bis er oder Kapitän de Treville wieder dienstfähig sind. Bis dahin beschränken wir uns auf dass Wesentliche: Den Schutz seiner Majestät." "Seine Majestät erzählte mir ebenfalls, dass seine Leibgarde mit einigen Morden beschäftigt ist, die sich vor einigen Tagen und Wochen zugetragen haben..." Die goldbraunen Augen musterten sie von Kopf bis Fuß und ruhten dann auf ihrem Gesicht, gespannt auf eine Reaktion. In diesem Moment bemerkte sie die Ähnlichkeit zu einem Raubvogel. Nicht nur die Augen ließen ihn wie einen Jäger aussehen, auch die Nase, die einem Schnabel mehr als nur ähnlich sah. "Deswegen bin ich zu euch gekommen. Der König ist der Ansicht, dass ihr unsere Situation am besten verstehen könnt, wenn sie einer von uns erläutert." "Ich bin gespannt." Das war er tatsächlich. Aramis erzählte ihm das, wovon sie sicher sein konnte, dass es ihm nicht sehr viel weiterhalf und ihm nicht die Möglichkeit gab, eine Schwachstelle in der Arbeitsweise der Musketiere zu finden. Sie und Athos hatten sich im Vorfeld auf den ungefähren Wortlaut ihrer Geschichte geeinigt und großzügig einige Ereignisse und Fakten gestrichen. Aramis behielt für sich, dass beide Leichen durch den selben Mann zu Tode gekommen zu sein schienen, dass der Vater des ersten Opfers ein alter Schluckspecht war und dass sie einen kleinen Dieb namens Clovis irrtümlich für den Mörder gehalten hatten. Ihr Gesicht machte den Anschein, als würde sie dem Gesandten etwas über das Wetter der vergangenen Woche erzählen, doch hinter ihrer Stirn arbeitete sie auf Hochtouren. Jedes einzelne Wort musste bedächtig gewählt werden, sie durfte keine Widersprüche aufkommen lassen. Wie froh war sie, wenn dieses Gespräch beendet war. Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie. Aramis hörte, wie die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde, aber nicht, wie jemand das Zimmer betrat. Erst ein leises Rascheln hinter ihrem Stuhl ließ erkennen, dass tatsächlich jemand eingetreten war. "Meine Gattin!" Die Stimme des Grafen wirkte plötzlich kälter. Und auch sein Blick verfinsterte sich. Es war keine große Veränderung, aber sie war groß genug, um von Aramis bemerkt zu werden. "Madmoiselle Aramis." Aramis erhob und verbeugte sich mit der nötigen Zurückhaltung. Nachdem sich die Gräfin in einen zweiten Sessel links von ihr hatte gleiten lassen, nahm auch Aramis wieder ihren Platz ein, jedoch ohne den Blick von der jungen Frau abzuwenden. Alles an ihr erschien Aramis majestätisch. Ihre aufrechte Haltung, die schlanken Hände, die, im Schoß gefaltet, soviel Ruhe ausstrahlten, der zarte Hals mit dem schlichten Collier, der kleine volle Mund, die ungewöhnliche Nase, die großen hellen Augen, die hohen geschwungenen Augenbrauen, die ihrem Gesicht den Ausdruck der Erhabenheit gaben und schlußendlich die kunstvoll gesteckte Frisur. Aramis verstand nicht, warum der Gesandte seine schöne Frau mit soviel Kälte strafte. Auch jetzt, da sie fast neben ihm saß, würdigte er sie keines Blickes. "Madmoiselle Aramis. Ich habe von euch gehört." Die Stimme der Gräfin schmiegte sich warm und sanft in Aramis' Ohr. "Tatsächlich? Ihr seid heute schon die zweite Person, von der ich das höre..." Aramis bekam tatsächlich den Eindruck, dass sie ohne ihr Wissen ein beliebtes Thema bei Hofe war. "Eure Geschichte erscheint mir auch durchaus erzählens- und hörenswert. Wenn sie denn stimmt, wie ich sie gehört habe...eine Dame bei Hofe hat sie mir erzählt." "Mit Verlaub, Madame, die Damen bei Hofe erzählen viel. Die meisten von ihnen sind geprägt durch Schundromane in denen sich alles nur um Liebe und Leid dreht. Und sie sind geradezu versessen darauf, ihre Leben wie eines dieser Heftchen zu gestalten. Oder, wenn nötig, dass von anderen. Das ist der grund, warum es im Louvre so viele Intrigen gibt. Vermutlich haben sie viel gehört, was sich so nie zugetragen hat. Aber der Kern der Geschichte wird vermutlich noch stimmen...zumindest hoffe ich das. Ich habe nicht vor, als Walküre in die Geschichte der Schundliteratur einzugehen." "Nun, vielleicht wollt ihr sie mir selbst einmal erzählen. Dann kann ich mir ja ein Bild darüber machen, was Erfindung ist und was nicht. Wenn ihr einmal die Zeit findet würde ich mich sehr freuen." "Ich werde zumindest darüber nachdenken..." Nach dem Eintreffen der Hausherrin hatte das Gespräch zwischen Aramis und dem Gesandten ein relativ rasches Ende gefunden. Seine Gesprächsbereitschaft war in ihrer Gegenwart von Minute zu Minute gesunken und Aramis wollte das frostige Klima nicht noch weiter nähren. Dennoch hatte das kurze Gespräch gereicht, um die junge Frau sympathisch zu finden. Aramis hatte sich für das nette Gespräch bedankt und anschließend höflich aber bestimmt das Appartment derer von Rosenbaum verlassen. Zurück auf der belebten Straße schlug sie den Weg Richtung Hauptquartier ein. Dort würde sie ihr Pferd satteln und zum Kloster St. Genevieve reiten, um bei Schwester Clementine, einer alten Vertrauten, etwas Salbe und einige Kräuter abzuholen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)