Mein ist die Rache von Tach ================================================================================ Kapitel 17: ------------ Hanns Friedrich von Rosenbaum musterte die junge Frau, die ihm in der Küche seines Hauses gegenüberstand, mit ausserordentlichem Interesse. Sie war keine Schönheit, dass musste er sich eingestehen, aber wenigstens war sie nicht so häßlich, dass man fürchten musste zu erblinden, wenn man ihr begegnete. Die grauen Augen standen zu nah bei einander und vermittelten den Eindruck, sie würde ein wenig schielen. Die Nase war lang wie der Rest des Gesichts und himmelwärts gerichtet, der Mund klein und spitz. Das Haar, zu einem Zopf geflochten und als Kranz um den Kopf gelegt, war blond, aber ebenfalls wenig betörend. Für den Geschmack des Grafen war es zu stumpf. Ihr fast schon ins schlacksige abdriftende Körper steckte in einem für ihre zukünftige Postition zu feinen Kleid. Es ließ sie nicht aussehen wie eine Dame von Stand, aber es war aus teurem Tuch gemacht, um den schlichten Schnitt aufzuwerten. Zu teuer für eine Küchenhilfe. Darüber würde er noch einmal mit ihr reden müssen. Vertraulich. In seinem Arbeitszimmer. Er würde ihr einfühlsam erklären, dass sie dieses Gewand nach Möglichkeit ablegen sollte, wenn sie in seinem Haushalt arbeite. Er würde es ihr langsam erklären, denn sie schien nicht nur beim Aussehen vom Herrn benachteiligt worden zu sein, sondern auch beim Verstand. Aber darüber würde er sicherlich hinwegsehen können, wenn sie sich nur gut in seinen Haushalt einfügte. Alles in allem, befand der bayrische Gesandte, hätte er sicherlich Verwendung für dieses neunzehnjährige Wesen, das ihn so hoffnungsvoll ansah. Er nickte erst der stämmigen Köchin, dann ihrer zukünftigen Gehilfin aufmunternd zu. "Ihr fangt gleich morgen früh an! Willkommen!" Er schenkte ihr ein Lächeln, dass sowohl seine weißen Zähne als auch seine Bernsteinaugen strahlen ließ, und verließ die Küche. Caroline Gervis konnte ihr Glück kaum fassen. Sie würde im Hause eines Grafen arbeiten. Eines Diplomaten sogar. Wenn das ihre Freundinnen erfuhren, sie würden vor Neid erblassen. Wenn Monsieur Athos davon erfuhr, er würde sich ihr um den Hals werfen und sie anflehen, ihm zu verzeihen. Aber sie würde ihn abweisen. Warum sollte sie sich mit einem Grafen zufrieden geben, der sein Leben lieber als Musketier fristete, wenn sie doch einen adligen Diplomaten haben konnte, der überdies auch noch jünger war und genau so gut aussah? Dem sie ganz offensichtlich gefallen hatte, denn keine andere Vermutung ließ das Lächeln zum Abschied zu. Dass sie nur eine Bürgerliche und der Graf verheiratet war, war nur ein kleiner Stolperstein auf ihrem Weg an die Spitze der Pariser Gesellschaft. Bald würde sie aus der Küche an die Tafel des Hausherrn wechseln; dann würden andere für sie das Gemüse schneiden. Zufrieden lächelnd bog sie in die Rue St. Denis ein, den Gedanken im Hinterkopf, dass sie heute zum letzten Mal gezwungen war, das Bettzeug eines kranken Musketiers zu wechseln. Madame Sylvestre, seit vielen Jahren Witwe und seit beinahe ebenso langer Zeit Wirtschafterin im Hause de Treville, war ebenfalls voller Hoffnung, nicht länger einen angeschlagenen Leibgardisten seiner Majestät bemuttern zu müssen. Über Wochen hatte sie ausschließlich Flüssiges in jeder erdenklichen Form kochen dürfen: fette Brotsuppen, fette Kohlsuppen, fette Rübensuppen, fette Fleischbrühen. Nur fett musste es sein. Denn, da war sich der Kapitän der Musketiere sicher, nur eine fette Suppe war der Gesundheit eines Mannes seiner Statur dienlich. Und ständig diese streng riechenden Kräuteraufgüsse. Was hätte sie in den vergangenen Tagen und Wochen nicht alles darum gegeben, irgendein erdenkliches Geflügel zu braten, angereichert mit kräftigen Gewürzen und einem ganzen Becher schweren Rotweins für die Soße, ein paar getrockneten Pflaumen vielleicht oder gebackenen Äpfeln. Irgendetwas, dass ihr Können als Köchin widerspiegelte. Dann plötzlich, an diesem Morgen, Julie Sylvestre hatte bereits den Topf mit den Resten der gestrigen Suppe über das Feuer gehängt, hatte der Kapitän der Musketiere höchstselbst und halbnackt in der Küche gestanden und verkündet, er wünsche sich heute etwas anderes. Eine Buchweizengrütze vielleicht. Sie solle sich etwas Schönes einfallen lassen. "Und er hat wirklich gesagt, er würde morgen früh wie gewohnt an seinem Schreibtisch sitzen? Und sich all der Dinge widmen, die in letzter Zeit liegen geblieben sind?" "Aber ja, wenn ich es dir doch sag. Er wollte etwas ordentliches zu Essen, und als ich ihn fragte, ob er wie jeden Morgen seinen Kräuteraufguss dazu trinken wolle, hat er gesagt Ja, ein letztes Mal werde er dieses scheußliche Zeug wohl noch verkraften. Das waren seine Worte, so wahr ich hier vor dir sitze, Mädchen." "Klingt, als ginge es ihm tatsächlich besser. Aber das glaube ich erst, wenn ich es mit eigenen Augen gesehen habe." "Er hat jedenfalls seinen Appetit wiedergefunden, soviel kann ich dir versichern. Wenn ich ihm in absehbarer Zeit noch einmal Suppe vorsetze, hat er gesagt, dann schmeißt er mich raus und sucht sich eine neue Köchin. Ist doch eine Unverschämtheit. Erst nicht genug davon kriegen können und mir das jetzt auch noch vorwerfen. Männer... Aber wem erzähl ich das? Also, jedenfalls hat sich Monsieur zum Mittag etwas vernünftiges gewünscht, etwas festes. Egal was es kostet. Also hab´ ich ihm ein Karnickel besorgt. Einen richtigen Brocken. Den isst er niemals auf, egal wie hungrig er ist." Aramis wurde hellhörig. "Ihr macht Hasenbraten?" "Einen ganz besonders leckeren. Mit Rotwein und Speck. Du sollst nicht glauben, wie zart er dann wird. Eigentlich gehören ja auch noch frische Pilze dazu, aber zu dieser Jahreszeit..." Madame Sylvestre hob die schweren Schultern und ließ sie sofort wieder fallen. "Aber wenn das nichts Vernünftiges ist, dann weiß ich mir auch nicht mehr zu helfen." "Was meint ihr, bliebe da auch noch etwas für einen erkälteten Musketier auf dem Weg der Besserung übrig? Zur Stärkung?" "Na, aber sicher doch, Mädchen!" Sie zwinkerte. "Muss der alte Griesgram ja nicht erfahren, nicht wahr?" Mühsam und schnaufend schob sie sich zwischen Bank und Tisch hervor, strich Röcke und Schürze glatt und griff nach dem Korb, in dem, unter Gemüse verborgen, ein toter Hase auf ein Bad in einem süffigen Wein aus dem Anjou wartete. Die Sonne hatte gerade den Zenit durchschritten, als Simon Tournier sich weit vor den Toren der Stadt an das linke Ufer der Seine setzte, um, mehr zum Zeitvertreib denn aus Hunger, ein paar Fische zu fangen. Er breitete die abgetragene Jacke auf dem jungen Gras aus und ließ sich mit Ächzen und unter Knacken seiner Knie darauf sinken. Dies war sein Lieblingsplatz. Hierher kam er jedes Frühjahr, um dem Lärm der zu neuem Leben erwachenden Stadt und vor allem derm Anblick junger Frauen zu entkommen, die unter den ersten wärmenden Strahlen des Jahres prüften, ob die Wirkung ihrer Reize über die Wintermonate erhalten geblieben war. Monsieur Tournier machte sich nicht sonderlich viel aus jungen Frauen. Sie waren ihm zu albern und zu geschwätzig. Aus diesem Grund hatte er es bisher auch vermieden zu heiraten. Er würde warten, bis eine Frau nach seinem Geschmack einen geliebten Gatten zu beweinen hatte und sich dann als tröstende Schulter erweisen. Simon Tournier hatte sich schon früh vorgenommen, sich in ein gemachtes Nest zu setzen. Inzwischen war er beinahe vierzig, sah jedoch aus wie beinahe fünfzig, und hatte die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben. Er trieb durch das Leben wie ein Stück Holz auf der Seine, was für sein Verständnis von der Welt nicht einmal eine Beleidigung gewesen wäre. Auf seinem Weg hatte er sich einen trockenen Ast von einem Baum abgebrochen und begann nun, ihn von kleineren Zweigen zu befreien. Das Messer in seiner Hand war stumpf, aber es erfüllte seinen Zweck. Aus seiner Hosentasche zog er ein dünnes Seil und ein fleckiges Tuch. Darin eingewickelt lag der selbst zurechtgebogene Haken. Bedächtig knotete er erst das Seil an der Rute fest, dann den Haken an dem Seil. Er konnte nicht leugnen, dass der nun folgende Schritt ihm jedes Mal aufs Neue ein gewissen Vergnügen bereitete: Aus dem Lederbeutel an seinem Gürtel zog er einen kleinen sich windenden Wurm, um anschließend den rostigen Haken hindurch zu schieben. "Kaum das Licht der Welt erblickt, trittst du auch schon wieder vor deinen Schöpfer, du Glückswurm..."flüsterte er höhnisch. Simon Tournier holte aus und schleuderte den Wurm samt Haken aufs Wasser. Jetzt begann für ihn der gemütliche Teil des Tages. Er ließ sich nach hinten fallen und sah die Wolken vorüberziehen. Sein Griff um die Angel lockerte sich, denn zu dieser Jahreszeit biss hier nur selten ein Fisch an. Also beschloss er, ein wenig zu dösen. Kaum war er in das Reich der Träume versunken, zerrte ihn das Zittern seiner Angel auch schon wieder in die Realität. Sein Lebtag hatte er noch nicht so schnell einen Fisch an der Leine gehabt. Sofort umfasste er die Rute fester, sprang auf und begann zu ziehen. Dem Gewicht nach musste das ein riesiges Exemplar sein. Er hatte Mühe, einen Schritt nach hinten zu tun, ohne die Angel zu zerbrechen oder sie an den Fluß zu verlieren. Sein Fang wehrte sich hartnäckig, an die Oberfläche zu kommen oder sich geschlagen zu geben. Monsieur Tournier stellte sich auf ein langes Kräftemessen ein. Er fühlte sich wie einer der Seemänner, denen man nachsagte, sie würden hoch im Norden, in den kalten Meeren, gegen unvorstellbare Kreaturen gigantischen Ausmaßes kämpften. Für einen Moment bildete er sich ein, mit seinem Triumph über den Giganten der Seine auch den ältesten Fischer beeindrucken zu können. Er musste dieses Spiel nur noch zu einem für ihn glücklichen Abschluss bringen. Schritt für Schritt entfernte er sich vom feuchten Flußufer, darauf bedacht, den Zug auf das Seil nicht zu stark werden zu lassen. Auf keinen Fall konnte er den Verlust dieses Brockens riskieren. Er musste ihn zermürben, den Fisch müde werden lassen. Nach einiger Zeit spürte Simon Tournier, wie der Widerstand schwächer wurde. Behutsam zog er an der Schnurr. Jetzt war keinerlei Gegenwehr mehr zu spüren. Was für ein ungeheuerlich großer Fisch das sein musste. Schon bei dem Gedanken daran, was für Köstlichkeiten er mit einem einzigen Fisch dieses Gewichts zubereiten konnte, trieb ihm das Wasser im Mund zusammen. Langsam trat sein Fang an die Oberfläche. In dem Moment, als Simon Tournier bewusst wurde, was er dort am Haken hatte, verging ihm der Appetit für unbestimmte Zeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)