Mein ist die Rache von Tach ================================================================================ Kapitel 18: ------------ Renée Caspar, geboren in der ersten Woche des siebzehnten Jahrhunderts und seither nur "die Stille" genannt, konnte nicht von sich behaupten, dass ihr Leben glücklich verlaufen war. Nach einer von menschlicher und körperlicher Kälte und Hunger geprägten Kindheit kam sie mit acht Jahren bei einem Kaufmann, oder besser gesagt in seiner Küche, als niedere Magd unter. Im zarten Alter von Vierzehn verfiel sie eben dort den Versprechungen eines jungen Lastenträgers. Wochen später hatte er ihr nicht nur die Unschuld sondern auch die Hoffnung auf ein moralisches Leben genommen. Als das Mädchen plötzlich eine Schwangerschaft offenbarte und um Heirat bat, verweigerte er die Hochzeit und leugnete vor aller Leute Ohren, jemals Kontakt mit dieser dummen Henne gehabt zu haben. Wer konnte schließlich sagen, wem sie sich noch an den Hals geworfen hatte. Angesichts dieser Schamlosigkeit wurde Renée Caspar gebeten, das Haus des Kaufmanns, oder besser gesagt dessen Küche, umgehend zu verlassen. Sie nahm es schweigend hin. Unverheiratet schwanger und mittellos hielt das Leben nicht viele Optionen für sie bereit. Sie könnte in kürzester Zeit verhungern oder erfrieren. Vielleicht, dass was bei ihrer schwachen Konstitution und ihrer zarten Gestalt nicht sehr wahrscheinlich, würde sie irgendwie bis zur Geburt ihres Bastards überleben und diese oder das Wochenbett würde sie dann dahinraffen. So oder so, der Tod wirkte auf die junge Renée nicht sonderlich verlockend. Sie war zu oft getreten worden, um nicht noch ein paar mehr Tritte erdulden zu können. So kam es, dass sie nach nicht einmal zwei Tagen des Hungerns vor Madame Paradis´ Tür stand. Madame wurde von ihren Mädchen nur Maman genannt und die meisten Pariser traten regelmäßig durch die Tür zum Paradies, die sich in einer nicht völlig heruntergekommenen Gasse am Rande des Quartier Latin befand und, ganz wie der wahre Garten Eden, jeden hereinließ, der nur genug Geld vorzuweisen hatte. Das heißt, sofern dieser Jemand männlicher Natur war. Für Frauen gab es nur einen Hintereingang, der, einmal durchschritten, sich nicht wieder öffnete. Eben dieser Hintereingang also hatte sich vor Jahren vor Renée Caspar aufgetan. Madame Paradis hatte sie lange gemustert, wie sie da vor ihr gestanden hatte: Das Mädchen war zu jung. Und vor allem war das Mädchen zu schwanger. Zugegeben, es sollte ja Männer geben, die eine besondere Freude an derartigen Dingen verspürten, aber Madame Paradis erschien der Gedanke zu grotesk, um ihn weiter zu verfolgen. So etwas würde es in ihrem Haus nicht geben. Genau genommen hatte sie also keinerlei Verwendung für Madmoiselle Caspar. Dennoch nahm sie sie auf. Nicht aus Mitleid, sondern aus purer Berechnung. Noch mochte das Mädchen schwanger sein, aber solche Dinge konnten sich bekanntlich recht schnell ändern. Der Mittel gab es viele und niemand kannte sich auf diesem Gebiet besser aus als eine fürsorgliche Hurenmutter. Und sollte das junge Dinge die Austreibung überleben würde es sich für Madame Paradis mit Sicherheit lohnen. Renée Caspar war zwar hübsch und, soweit sie das unter diesen Umständen beurteilen konnte, körperlich attraktiv, doch weit entfernt davon, einen wolllüstigen Eindruck zu machen, wie es bei den meisten ihrer Mädchen der Fall war. Für einige Männer wäre sie sicherlich leichter mit dem Gewissen vereinbar. Ihr Gespür sollte sich schon wenige Monate später als goldrichtig erweisen: Einige Gäste des Paradieses verlangten schon bald ausschließlich nach dem schweigsamen blonden Mädchen. Renée Caspar hatte sich, wie bereits ihr gesamtes Leben, in ihr Schicksal gefügt ohne zu protestieren. Eines Tages war sie aufgewacht und das Kind war verschwunden. Als wäre sie nie schwanger gewesen. Wie viele Tage sie im Fieber gelegen und mit dem Tod gerungen hatte, nachdem man ihr die bittere Suppe zu trinken gegeben hatte, sie wußte es nicht und es war ihr egal. Genau so egal wie die Frage, wo es geblieben sei. Was hätte es auch gebracht? Sie hatte ein Dach, unter dem sie schlafen konnte, und eine Hurenmutter, die sie vor dem Verhungern bewahrte. Und als wäre das nicht schon genug des Glücks sorgte Madame Paradis auch noch dafür, dass ihre Mädchen nicht geschlagen wurden. Versuchte es der eine oder andere Freier im Rausch doch einmal, wurde er von wütenden Huren aus dem Haus geprügelt, gekratzt und getreten. So lebte Renée also von einem Freier zum nächsten, ohne besondere Freude zu verspüren oder sich selbst in ihrer Situation zu bedauern. Bis man sie vor zwei Tagen mit einem Würgegriff und einem anschließendenWurf in die Seine aus ihrem Dasein riss. Es war eng in Bruder Claudius´ Keller. Er und vier Männer, von denen einer keiner war und der andere Platz für zwei beanspruchte, drängten sich um einen kalten aufgehenden Körper, der den fischigen faulen Geruch der Seine und seinen eigenen beißend süßlichen Duft ausströmte. "Hier stinkt´s ganz schön!" Porthos verzog das Gesicht zu etwas, das wohl nach Ekel aussehen sollte, in seiner Gesamtheit aber wirkte, als müsse er jeden Moment heftig niesen. "Du hast Grund zur Klage. Wenigstens musst du nicht auch noch deine Ausdünstungen ertragen..." Bereits gestern Abend im "Goldenen Bock" hatte D´Artagnan geahnt, dass die Unmengen Zwiebeln, die sein Kamerad in sich hineinschaufelte, ein Nachspiel haben würden. Zwiebeln förderten die Manneskraft, hatte Porthos ihm erklärt. Doch was, so fragte er sich jetzt, brachte dem Koloss all die Manneskraft, wenn jede Frau angesichts dieses Gestanks sofort das Bewußtsein verlor? Er blickte in die Runde und stellte fest, dass auch Aramis unauffällig einige Schritte von seiner Seite gewichen war. Und Athos? Er war weitestgehend wieder hergestellt, lediglich sein Geruchssinn hatte sich noch nicht wieder vollständig regeneriert. "Der Glückliche.", schoss es D´Artagnan durch den Kopf. "Das gleiche Schema?" Athos sah den Mönch über den Tisch hinweg an. "Beinahe. Es gibt keine Spuren an den Gelenken. Sie wurde also offenbar nicht gefesselt. Und soweit ich das beurteilen kann fand auch keine Vergewaltigung statt." "Aber Bruder," platzte es aus Porthos heraus, "ihr habt doch nicht etwa.... nachgesehen?" Ein großes dümmliches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Porthos!" Athos´ Finger deutete auf die Treppe hinter sich. "Schon gut, schon gut. Tut mir leid." Er hob beschwichtigend die Hände. Der Mönch, dankbar für die ihn umgebende Dunkelheit, die seine aufsteigende Röte verbarg, räusperte sich: "Um eure Frage zu beantworten, Monsieur, doch, dass habe ich. Aber wenn ihr meinem Urteil nicht traut, gestatte ich euch selbstverständlich, euch selbst zu überzeugen." "Nein, danke, das ist wirklich nicht nötig." "In der Tat. Das ist wirklich nicht nötig." murmelte Athos. "Ich denke, sie ist verheiratet." setzte Bruder Claudius unbeirrt fort. "Wie kommt ihr darauf?" Athos bemerkte, wie der Mönch weiter in den unbeleuchteten Teil des Kellers zurückwich. "Nunja, sie... Ihr Zustand lässt diese Vermutung zu." "Sie war eine Hure." Aramis sagte es so sachlich, dass Claudius für einen Moment die Bedeutung des Wortes Hure vergass. Dann begann er hektisch, sich zu bekreuzigen. Auf Athos´ fragenden Blick hin fuhr sie fort: "Ich habe sie hin und wieder im Paradies gesehen." "Ich muss doch sehr bitten!" Bruder Claudius bekreuzigte sich erneut. "Und was machsr ausgerechnet du im Paradies?" Diese Frage war allerdings berechtigt, wie der Mönch erzürnt feststelle. Eine sündige Seele wie die ihre hatte im Paradies nun wirklich nichts verloren. "Im Gegensatz zu euch? Informationen einholen. Eigentlich solltet ihr Madames Damen viel besser kennen als ich." D´Artagnan atmete tief durch. Das war wahrlich nicht der richtige Ort für solche Sticheleien. "Ich kann schließlich nicht alle diese Mädchen kennen! Zumal unser Mörder einen denkbar schlechten Geschmack hat..." Porthos verschränkte die Arme vor der Brust. "Warum?" Es war nicht so, dass es Aramis tatsächlich interessiert hätte, was ihr gewichtiger Kolloge unter schlechtem Geschmack verstand. Aber ein Reflex brachte die Frage über ihre Lippen. "Sieh sie dir doch an. Diese blasse Haut, die blonden Haare, die wässrigen Augen. Und zu allem Überfluss auch noch so dünn. Alle drei." Er sah Aramis an und überlegte, warum er so ein schlechtes Gefühl hatte, was seine letzten Worte betraf. Da fiel es ihm plötzlich wieder ein und er begann, heftig mit den Armen wedelnd: "Versteh mich bitte nicht falsch. Nichts gegen dich als Person, aber als Frau...also..." Wie benommen ließ Athos den Arm der Leiche sinken und starrte Porthos an. "Guck du mich nicht auch noch so an!" dröhnte es durch den Keller. "Ist dir klar, was du da gerade gesagr hast?" "Ja, ich hab´ Aramis beleidigt. Aber es war nicht so gemeint. Ich seh sie doch gar nicht als Frau..." Hinter ihm ertönte ein Räuspert. "Ich meine...ach, vergesst doch einfach, was ich gesagt habe!" "Keineswegs! Dir ist scheinbar wirklich nicht klar, was du gerade erkannt hast. Der Mörder dieser Mädchen scheint nach einem bestimmten Muster vorzugehen." "Tut er das?" Porthos war irritiert. Für ihn hatte der Mörder nach wie vor schlichtweg einen furchtbaren Geschmack in Bezug auf Frauen. Wenn er sich an üppigen Brünetten vergangen hätte, wäre das für ihn zumindest nachvollziehbar gewesen. Diese Frauen konnten einem Mann durchaus den Verstand rauben. Aber diese unscheinbaren Mädchen? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. An denen gab es nun wahrlich nichts, was ein echter Mann interessant oder sogar mordenswert finden könnte. Gab es das Wort mordenswert überhaupt? Porthos grübelte. "Ich habe die ganze Zeit nach einem Zusammenhang zwischen den dreien gesucht, aber das offensichtliche wollte mir einfach nicht auffallen." Athos schüttelte ungläubig den Kopf. Ungläubig über seine eigene Blindheit und die Leichtigkeit, mit der Porthos darauf gestossen war. "Aber könnte das nicht auch ein Zufall gewesen sein?" Aramis war näher an den kalten Körper von Renée Caspar herangetreten, um ihn noch einmal zu betrachten. "Ich denke nicht. Es ist die einzige Gemeinsamkeit, die alle Mädchen haben. Sie kommen aus unterschiedlichen Kreisen, sind unterschiedlich alt und keins der ersten beiden Mädchen dürfte Kontakt zu ihr hier gehabt haben." "Und was, wenn diese hier gar nicht unserem Mörder zum Opfer gefallen ist sondern irgendeinem Freier, der nicht zahlen wollte? Davon gibt es meines Wissens genug in der Stadt." "Sagtest du nicht, sie arbeitet bei Madame Paradis?" Athos strich sich gedankenverloren den Bart. "Sie lässt niemanden gehen, der nicht bezahlt hat. Frag nur einige unserer Kollegen." "Ausserdem", mischte Porthos sich ein, "arbeiten die Süßen vom Paradies nicht auf der Straße." "Ganz offensichtlich wurde sie aber genau dort umgebracht. Und dass das nicht am hellen Tag von Statten gegangen sein wird dürfte uns allen klar sein. Also?" Aramis legte die Stirn in Falten. "Statten wir Madame Paradis einen Besuch ab." Zu Bruder Claudius, der die vergangenen Minuten stumm in der Dunkelheit verbracht hatte und jetzt gemessen wieder ins Licht trat, sagte Athos: "Könntet Ihr sie noch einen Tag hier verwaren?" Der Mönch nickte unwillig. Eine Hure. Hier in seinem Keller. Er würde heute lange beten müssen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)