Mein ist die Rache von Tach ================================================================================ Kapitel 23: ------------ In der Küche des Hauses von Rosenbaum war die Sicht getrübt. Rauch vom Herd und der Dampf, der aus zwei Töpfen aufstieg, gaben der Luft einen milchigen grauen Schleier. Der Geruch frisch gebackenen süßen Kuchens verband sich mit dem von in Butter schwimmenden Zwiebeln, Kräutern, gebratenem Fleisch und menschlichen Ausdünstungen. Es knisterte und knackte in allen Ecken. Hier wurde Holz ins Feuer geworfen, dort wurden Knochen durchtrennt, in einer Nische wurde ein Topf geschrubbt. Und über all diesen Geräuschen thronte die Stimme der Köchin, nicht sonderlich schön, aber kräftig und keine Widerworte akzeptierend. Sie gab ihre Kommandos von einem Tisch in der Mitte des Raumes aus, vor sich ein Brett mit getrockneten Kräutern, einen Mörser aus Stein, Rüben und in der Hand ein stattliches Messer. Die Schürze, stramm über den üppigen Leib geschnürt, war voller Flecken: Blut, Fett und Soße bildeten ein zufälliges Muster. Beim Anblick ihres Herrn wischten ihre Hände ordnend über den ehemals hellen Stoff und fügten einige neue Schlieren hinzu. Sie deutete eine Verbeugung an. Mit offener Neugier musterte sie anschließend die unbekannten Gestalten in seinem Rücken. Drei hochgewachsene, schöne Männer, wenngleich sehr unterschiedlich, wann bekam sie in ihrem kleinen Universum so etwas schon einmal zu Gesicht? Viel Zeit blieb ihr für den Genuss dieses Anblicks jedoch nicht. "Wo steckt dein Sohn?" Der Graf hätte gerne noch einige Attribute wie "nichtsnutzig" und "dämlich" hinzugefügt, aber er schätzte seine Köchin und wußte, dass an der Beschränktheit des Jungen der Vater schuld war. Dieser war selbst kein helles Licht gewesen und wurde in der Blüte seiner Jahre und im Vollrausch von einem Pferdehuf ins Jenseits befördert. "Er wird wohl in der Vorratskammer sein. Er sollte dort einige Dinge in Ordnung bringen." Sie zuckte hilflos mit den Schultern. Ihr Sohn hatte in der letzten Nacht auf der Suche nach etwas Hochprozentigem einiges um- und heruntergeschmissen und war am frühen Morgen von seiner tobenden Mutter aufgefunden worden. Der Graf sah prüfend in die Runde und alle nickten. "Dann geht einer von euch runter und holt ihn her! Diese Herrschaften möchten sich mit ihm unterhalten." Die Musketiere verstanden kein Wort von dem, was der Gesandte und sein Personal sprachen, waren sich nicht sicher ob sie überhaupt sprachen oder nur seltsame Laute von sich gaben, nickten aber bestätigend, als die Hand des Grafen auf sie wies. Einer der Küchenjungen, eine schmale Gestalt mit zu langen Armen, machte sich schleunigst daran, die schmale Treppe in die Speisekammer hienabzusteigen. Doch kaum war er verschwunden, war er auch schon wieder aufgetaucht, in der Hand eine fast vollständig niedergebrannte Kerze, und schüttelte vielsagend den Kopf. Athos bemerkte, wie sich der Rücken des Hausherrn versteifte und die Fäuste sich etwas fester schlossen. Auch wenn er die Sprache, die ihre Lippen formten, nicht verstand, ihre Körpersrpache war eindeutig. "Sucht ihn! Wenn ihr ihn gefunden habt übergebt ihr ihn den Herrschaften. Wenn sie mit ihm fertig sind schickt ihr in zu mir." Er machte auf der Stelle kehrt und verließ die Küche. "Wenn Ihr gestattet werde ich mich zurückziehen. Man wird ihn gleich zu Euch bringen." In seinen Augen stand die blanke Wut. Während sich die Tür zur Eingangshalle schloß, wurde der Dienstboteneingang, der direkt auf die Straße führte, geöffnet. Eine zarte Gestalt huschte herein, war jedoch nicht schnell genug, um allen Regen auszusperren. Unentschlossen stand sie da, das Wasser perlte von ihrem Umhang ab und bildete eine Pfütze. Die derben Lederschuhe waren dunkel vom Wasser, dass sie aufgesogen hatten. Schließlich lüftete sie den Umhang und präsentierte einen Korb, der fast vollständig trocken war. Die Kapuze wurde zurückgeworfen und ein strahlendes Lächeln kam zum Vorschein. Wasser lief aus dem blonden Haar, ein Wassertropfen hing an der zierlichen Nasenspitze. Der Junge mit den langen Armen eilte herbei, um ihr den Korb abzunehmen und seinen Inhalt in der Küche zu verteilen. Die Köchin selbst befreite sie aus dem triefenden Umhang und hing ihn zwischen Kellen und Schöpflöffeln an dem Rauchabzug des Herds auf. Zwar war die Kleidung darunter ebenfalls nass, aber das schien das Mädchen nicht zu stören. Sie sah sich suchend um, bemerkte schnell das küchenfremde, aber doch bekannte Gesicht des Musketieres Aramis und kam strahlend auf sie zu. "Bonjour, Monsieur." Sie stutzte. "Verzeiht, ich meine natürlich Mademoiselle! Aramis, nicht wahr?" Ihr Lächeln entblößte strahlend weiße Zähne und war nicht nur Aramis vorbehalten. Den älteren der beiden Männer kannte sie vom Sehen. Er war Mademoiselles Begleiter bei ihrer ersten Begegnung gewesen und musste demnach ebenfalls ein netter Mensch sein, auch wenn er recht streng wirkte. Der andere erschien ihr von sich aus nett. "Richtig. Und ich denke es ist an der Zeit, dass ich deinen Namen erfahre." Aramis konnte nicht anders als ebenfalls zu lächeln. "Emma, Mademoiselle." Sie machte einen tiefen Knicks. "Also, Emma. Wir sind froh, dass du da bist. Monsieur Athos kennst du ja bereits, der junge Mann hier ist D´Artagnan. Wir sind Musketiere des Königs und aus einem bestimmten Grund hier. Wir haben uns wegen eines bestimmten Problems mit deinem Herrn unterhalten und möchten jetzt mit Ferdinand darüber reden. Der Graf ist zur Zeit leider etwas...nun, sagen wir, er ist etwas missgestimmt, was den Jungen angeht. Und wir wollen nicht, dass er ihm gegenüber handgreiflich wird. Also brauchen wir dich. Du musst für uns übersetzen. Es ist wichtig, dass sowohl unsere Fragen als auch seine Antworten richtig wiedergegeben werden. Traust du dir das zu?" Das Mädchen überlegte einen Moment. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden. "Hat Fredl was angestellt?" Sie sah Aramis mit sorgenvollen Augen an und wirkte plötzlich um Jahre älter. "Nun, zumindest nichts, was uns beschäftigen würde." "Dann mache ich es." Zögerlich hellte sich ihr Blick auf. "Wo steckt er denn?" Der Sohn der Köchin lag zusammengerollt auf seinem Strohlager unter dem Dach und hörte, wie der Regen auf das Dach prasselte. Seine linke Gesichtshälfte brannte noch von dem Schlag, den seine Mutter ihm am Morgen in der Speisekammer verpasst hatte, nachdem sie ihn benebelt in einer Ecke gefunden hatte. Anschließend war er auf die Straße gerannt und hatte alles erbrochen, was er noch im Magen hatte. Jetzt dröhnte sein Schädel und in seinem Magen rumorte es. Er hatte Hunger. Und vor allem hatte er Durst. Der Geschmack von Magensäure, Wein und Dörrfleisch hatte sich auf seine Zunge gelegt und wollte mit frischem Wein bekämpft werden. Er hätte in der Speisekammer das Risiko eingehen sollen, erwischt zu werden, nachdem seine Mutter ihn dazu verdonnert hatte, das von ihm angerichtete Chaos zu beseitigen, bevor der Graf etwas davon mitbekäme. Statt dessen hatte er sich bei der ersten Gelegenheit aus der Kammer und durch das gesamte Haus bis ins Dach geschlichen. Früher oder später würden sie sein Verschwinden bemerken und ihn vermutlich zuerst hier oben suchen. Dann würde die Hölle über ihn herreinbrechen. Schon hörte er Schritte auf der Treppe zur Schlafkammer der Hausangestellten. Sie kamen näher, blieben aber vor der Tür stehen. Ferdinand hielt die Luft an. Die Klinke wurde herunter gedrück und das Brett flog geräuschvoll auf. "Fredl! Was zum Henker tust du hier?" Der Junge mit den langen Arm stand schwer atmend in der Tür. "Was glaubst du denn was ich hier tu, na?" Er richtete sich halb auf, den Kopf in beiden Händen, aus Angst, er könnte zerspringen. "Sie suchen dich überall!" "Und? Sollen sie doch!" Er ließ sich wieder zurückfallen, noch enger zusammengerollt als vorher. "Der Herr ist verdammt wütend!" Seine Stimme zitterte. "Mir egal!" "In der Küche warten drei Soldaten auf dich..." Er war kaum noch zu hören, aber seine Worte hallten klar und deutlich im Gehör des Angesprochenen wieder. Mit einem Ruck saß er aufrecht. "Soldaten? Warum?" Sein Gegnüber hob die Schultern. "Jetzt sag schon, oder ich hau dir eine rein!" Er versuchte aufzuspringen und auf ihn zuzulaufen, schaffte es aber nicht einmal, festen Stand zu gewinnen. "Ich weiß es nicht. Vielleicht will er dich ja in die Armee abschieben, weil er die Schnauze voll hat von deinen Fehltritten. Geh halt runter wenn du es unbedingt wissen willst." Sicherheitshalber hatte er einen Schritt aus dem Raum getan. Der schwankende Gang des Kraftpakets ließ ihn jedoch wieder auf ihn zugehen: "Soll ich dir helfen?" "Verpiss dich. Damit ist uns allen geholfen!" Er stieß ihn zur Seite und machte sich daran, die Stufen bis in die Küche zu überwinden. Als er gerade die unterste Stufe erreicht hatte, sah er die drei Musketiere und atmete tief durch. Sie wirkten nicht sonderlich aufgebracht. Im Gegensatz zu seiner Mutter, deren Stimme aus dem Hintergrund zu ihm herüberdrang: "Du brauchst gar nicht so blöde dort rumzustehen und dich zu verstecken! Ich hab deine dreckigen Füße genau gesehn. Sieh zu, dass du hierher kommst, damit ich dir deinen Rausch austreiben kann!" Sie schien noch wütender als heute morgen. Unweigerlich zog er den Kopf so weit wie möglich zwischen die Schultern und machte sich wie ein geprügelter Hund auf den Weg zu seiner nächsten Bestrafung. Er wagte es nicht, einem der Anwesenden in die Augen zu sehen. Die Schande darüber, dass ausgerechnet seine Mutter derartig mit ihm umsprang, machte ihn rasend. Gleichzeitig wäre er jedoch am liebsten im Boden versunken. Vor seiner Mutter blieb er stehen. Sie hatte sich zu voller Größe aufgerichtet und die mächtigen Arme vor der Brust verschränkt, war jedoch immer noch einen ganzen Kopf kleiner als ihr Sohn in seiner reumütigen Haltung. Sie holte aus und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige auf die Hälfte des Gesichts, die sie am Morgen verschont hatte. Dann drehte sie sich um und strafte ihn mit Nichtachtung. Das Mittagsgericht für die Herrschaften war wichtiger als dieses missratene Kind. Schließlich war es jetzt an ihr, den Grafen zu besänftigen, damit er ihren Sohn nicht als billige Arbeitskraft auf ein Schiff nach Indien oder Weißderteufelwohin verkaufte. Wäre er nicht ihr einziges Kind, sie hätte ihn wahrscheinlich selbst schon mehrere Male an den Erstbesten verkauft. Oder ihn in ein Kloster gegeben, damit er wenigstens eine schwache Aussicht auf ein ewiges Leben im Paradies hätte. Die für beide unangenehme Stille wurde durch ein kurzes, forderndes Räuspern unterbrochen. Der junge Mann drehte sich um. Nur widerwillig hob er den Kopf, aber der letzte Funke Verstand in den Tiefen seines vernebelten Geistes sagte ihm, dass es besser wäre, einem bewaffneten Mann, zumal einem Soldaten, in die Augen zu sehen, wenn dieser etwas von ihm verlangte. Also sah er ihn an, mit aller Unterwürfigkeit, die er in diesem Moment aufbringen konnte, und aller Wut, die die Strafe seiner Mutter vor aller Augen in ihm entfacht hat. Neben dem Mann, der ganz offensichtlich geräuspert hatte, bemerkte er jemanden, der ihm bekannt vorkam. Er überlegte angestrengt, dann fiel es ihm wieder ein: Der blonde Schönling, der vor einigen Tagen schon einmal bei dem Grafen gewesen war. "Nun?" Athos sah ihn herausfordernd an. Er wußte, dass sein Gegenüber ihn nicht verstand, aber Stimmlage und Mimik taten das ihrige, um sein geringes Interesse an dem gerade vollführten Schauspiel zum Ausdruck zu bringen. Gleichzeitig riss seine Stimme das Mädchen Emma aus seinen Gedanken. Sie hatte am Feuer gestanden und betont desinteressiert in der Suppe herumgerührt, die darüber hing. Auseinandersetzungen zwischen Ferdinand und seiner Mutter waren an der Tagesordnung, dennoch war es ihr jedes Mal aufs Neue unangenehm, Zeuge davon zu werden. Eilig legte sie den großen Holzlöffel zur Seite. "Fredl, die Herrschaften sind Musketiere des Königs. Sie möchten mit dir reden...", begann sie zögerlich. "Ach, und was geht dich das an?", bellte er zurück. "Sag ihm, dass ich deutlich härter zuschlagen werde als seine Mutter, wenn er sich nicht benimmt." Emma sah entsetzt zu Athos auf, nickte aber schließlich und übersetzte. Die Fingerknöchel des Angesprochenen traten deutlich hervor, aber er schwieg. Athos wies auf einen Hocker und er setzte sich. "Wenn du dich denn ein wenig beruhigt hast, können wir uns vielleicht wie vernünftige Menschen unterhalten." Athos machte eine Pause, um seiner Übersetzerin etwas Zeit zu geben. Ihm war klar, dass sie sich hüten würde, ihn wortwörtlich wiederzugeben, aber Ferdinands Gesichtsausdruck nach stimmte der Inhalt: Er nickte stumm. "Schön. Wir wollen dich auch gar nicht lange aufhalten, du scheinst wichtige Dinge zu tun zu haben." Athos bemerkte, wie die Mutter des Jungen ihn anfunkelte. Offensichtlich war ihr Französisch deutlich besser als das des Sohnes. "Also: Du hast deinen Herrn vor vier Tagen nachts aus dem Haus mit dem Namen Paradies abgeholt. Stimmt das?" Ferdinand zuckte mit den Schultern. "Sag ihm, dass es das Haus mit dem halben Apfel über der Tür ist." Jetzt nickte er. "Wann war das? Um welche Uhrzeit, meine ich." "Gegen Mitternacht. Er sagt, die Nachtwächter haben ihn angepöbelt, aber er hat nichts verstanden und ist einfach weitergegangen. Auf dem Rückweg ist er mit dem Herrn Grafen den selben Leuten begegnet und sie haben dem Herrn gesagt, sie haben gedacht er, also der Fredl, sei taub und stumm oder dämlich oder etwas dergleichen." Sie zwinkerte Athos verschwörerisch zu. "Naja, so ganz unrecht haben sie ja nicht." "Was sagst du ihm da, na?" Ferdinands Stimme hatte wieder an Selbstbewußtsein gewonnen. "Nichts, ich habe nur von den Nachtwachen gesprochen." "Frag ihn doch bitte noch, ob ihm etwas aufgefallen ist, während er auf euren Herrn gewartet hat." Die Antwort hatte keiner Übersetzung bedurft. Ferdinand schüttelte bedauernd den Kopf und sagte wohl etwas wie "Nichts, was mich interessiert hätte.". Seine Hand machte eine wegwerfende Bewegung. Zur gleichen Zeit betrat Caroline Gervis die Küche. Sie trug das Tablett mit dem Frühstücksgeschirr des Grafen in beiden Händen und versuchte dabei, an selbigem vorbei auf den Boden zu sehen, um nicht auszurutschen oder zu stolpern. Für einen kurzen Moment blickte sie auf, sah Athos und lief aufs Neue für jeden sichtbar hochrot an. Vergessen waren die Gefahren, die auf dem schmutzigen Küchenboden lauerten. Sie wollte so schnell wie irgend möglich aus dem Blickfeld aller Anwesenden verschwinden und trat dabei auf ein vergessenes Stück Schwarte. Vor Schreck riss sie die Arme in die Höhe, das Tablett mit dem Silbergeschirr verteilte sich mit leutem Knallen auf dem Boden und sie selbst konnte sich mit Müh und Not an einer Tischkante halten. Caroline sah sich um, sah in entsetzte Gesichter, verfluchte diesen Tag, rappelte sich auf und lief laut schreiend hinaus in den Regen. "Ich denke, wir gehen jetzt lieber." Aramis strich sich verlegen durchs Haar. "Er kann verschwinden." Sie sah die Erleichterung in Emmas Gesicht und das Mädchen tat ihr leid. Sie hoffte inständig, dass dieses unschuldige Wesen, irgendwo zwischen naivem Kind und verantwortungsvoller junger Frau, nicht seine Wut über ihren Besuch ertragen musste. Grummelnd zog der Sohn der Köchin in die Vorratskammer, um die Aufgabe zu erfüllen, die man ihm vor Stunden schon aufgetragen hatte, nicht wissend, dass sich in wenigen Minuten der Zorn des Grafen ein weiteres Mal über ihn ergiesen würde. "Ich begleite euch nach draussen!" Ihr Gesicht hatte schon wieder das unverwechselbare Lächeln aufgesetzt, dass jeden für sich einnahm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)