Untitled von Tach ================================================================================ Kapitel 3: Von der Neugier und liebestollen Grafen -------------------------------------------------- Erneut hörte er das Rascheln der alten Magd. Mit kurzen trippelnden Schritten kam sie auf ihn zu. "Monsieur, wenn ihr mir bitte folgen wollt?" "Wohin?" Langsam wurde es ihm hier zu viel. Er saß jetzt schon seit einer halben Ewigkeit hier rum und niemand, wirklich niemand, hatte ihm Beachtung geschenkt. Man hatte ihn gedrängt, hierher zu kommen und dann war niemand da, der mit ihm reden wollte? Und jetzt wurde er in den nächsten Raum abgeschoben? "Man ist jetzt bereit, euch zu empfangen!" Nun gut, dass war keine Antwort auf seine Frage, aber es war besser als Nichts. Er raffte sich auf und folgte ihr in den ersten Stock. Vermutlich wäre er schneller am ziel gewesen, wenn sie ihm einfach den Weg beschrieben hätte. So blieb ihm jedoch nichts weiter übrig, als darauf zu warten, dass die runde Gestalt unter viel Schnaufen auch die letzte Stufe erklomm. Auf ein oder zweit Minuten mehr kam es inzwischen auch nicht mehr an. Zu seinem Erstaunen musste er feststellen, dass man ihn keineswegs in die Räumlichkeiten einer Dame sondern in ein Arbeitszimmer führte. "Setzt euch ruhig..." Sie deutete auf einen Stuhl in einer Ecke des Zimmers. Noch ehe er eine Frage stellen konnte, war sie wieder verschwunden. Er fühlte sich ertappt - wie ein Liebhaber, der vom heimkommenden Ehemann erwischt wird. War er das? Ein Liebhaber, der sich nicht an seine Liebschaft erinnern konnte? Er sah sich um, in der Suche nach einem Hinweis. Der Raum wurde dominiert von einem Schreibtisch, auf dem sich Briefe und Unterlagen häuften. Sie waren ordentlich auf zwei Stapel verteilt, der eine links von der Schreibunterlage, der andere rechts. Parallel zur Unterlage lagen ein paar Schreibfedern, daneben ein Tintenfässchen, ein Messer und ein Siegel. Nichts ließ den Verdacht zu, dass dieser Tisch tatsächlich als das benutzt wurde, wofür er gedacht war: Zum Arbeiten. Er setzte sich in den schweren Ledersessel hinter dem Schreibtisch und griff nach dem Siegel, in der Hoffnung es wiederzuerkennen. Nein. Nichts. Vielleicht fand sich ja zwischen den ganzen Unterlagen ein Hinweis auf seine Gastgeber. Er durchwühlte den Papierstapel zu seiner Linken. Zwischen Rechnungen und Notizen fand er schließlich etwas, was ihm interessant erschien: "Liebe Gräfin, - ich hoffe Ihr verzeiht mir diese Vertraulichkeit -, wie steht es um uns? Seit zwei Monaten schon hoffe ich auf Antwort und dennoch haltet ihr mich hin. [...] Sicherlich wisst ihr so gut wie jede andere Frau eures Standes, dass der heilige Bund der Ehe über Kurz oder Lang unumgänglich ist. Vermutlich wisst Ihr es sogar besser, denn ich halte Euch für ein überaus intelligentes Weib. Dennoch denke ich auch, dass Ihr einen starken Mann an eurer Seite braucht. Wie Ihr sehr wohl wisst, sehe ich mich für diese Aufgabe wie geschaffen. [...] Ich hoffe, dass Ihr euch zu unser beider Wohl entscheidet. In treuer Verehrung ..." Er starrte gebannt auf die Buchstaben. Sollte es tatsächlich möglich sein, dass es gar keinen Hausherrn gab? Hatte er es hier mit einer Witwe zu tun? Er sah vom Schreibtisch auf. Sofort fiel sein Blick auf ein Bild an der gegenüberliegenden Wand, das einzige im Zimmer. War sie das? Eine junge Frau Anfang Zwanzig, blond, helläugig, an ihrer Seite ein Mann, nicht viel älter als sie und trotz der markanten Gesichtszüge nicht minder attraktiv. Das Bild musste gut zwanzig Jahre alt sein, denn mindestens so lange hatte er solche Kleider nicht mehr gesehen. Bei genauerer Betrachtung erinnerte sie ihn an... "Schon was gefunden?" Der Musketier fuhr hoch. Ertappt. Er hatte ihn nicht kommen hören...ihn....sie...oder doch ihn? Sein Blick wanderte an der Gestalt in der Tür auf und ab. Es waren unverkennbar die blanken Stiefel, die er schon auf dem Innenhof gesehen hatte. Und es waren die selben langen Beine, die von hellen Hosen umschmeichelt wurden. Die linke Hand ruhte auf einem schlichten Degenknauf. Sein Blick blieb auf dem Gesicht des Gegenüber hängen. Er war unfähig zu sprechen, aber seine Lippen formten ein "Unmöglich". Dann konzentrierte sich seine Aufmerksamkeit auf einen anderen Bereich des schlanken Körpers. "Wie ich sehe suchst du immer noch..." Sie trat ein und schloß die Tür hinter sich. Wie aus weiter Ferne hörte er ihre Schritte auf dem Holz. "Setz dich!" Das brauchte sie ihm nicht zweimal zu sagen. Es gab in diesem Moment nichts was er lieber tat. "Ich hoffe du musstest nicht zu lange warten!" Sie erweckte in ihm nicht wirklich den Anschein, diesen Satz allzu ernst zu meinen. Es schien mehr wie reine Höflichkeit. Aber er hatte andere Sorgen. "Was soll das alles?" "Was meinst du? "Ich meine, dass du Hals über Kopf verschwindest, dass niemand auch nur eine Ahnung hat, wo du plötzlich abgeblieben bist, dass ich vor Sorge um dich nicht schlafen konnte bis ich irgendwann die Hoffnung aufgegeben habe, dass nach einem halben Jahr wie aus heiterem Himmel ein Bote bei mir auftaucht, der mir eine ominöse Nachricht überbringt und das Maul nicht aufkriegt, mich aber dazu auffordert, ihm ohne Bedenken zu folgen, dass ich hier stundenlang sinnlos herumsitze und zu guter Letzt du vor mir stehst. Aber das alleine wäre ja noch nicht einmal tragisch, nein, ich muss feststellen, dass unsere Freundschaft auf einer einzigen Lüge aufgebaut hat. Und du fragst mich, was ich meine?" Seine grauen Augen funkelten. "Du hast Recht...ich hätte dich auch für den Rest deines Lebens im Ungewissen lassen können. Glaube mir, es ist mir nicht leicht gefallen, diesen Schritt zu gehen. Es hat nicht umsonst Monate gedauert, bis ich den Mut dazu hatte, dich hierher bringen zu lassen. Und ich habe nicht so lange mit mir gerungen, um mich am Ende von dir anbrüllen zu lassen. Du hast jetzt zwei Möglichkeiten: Du lehnst dich zurück und hörst mir zu, oder du gehst. Du hast dir den Weg sicherlich gemerkt. Aber denke nicht, dass ich dir ein Pferd oder eine Kutsche zur Verfügung stelle. Wenn du jetzt losgehst, kannst du vielleicht morgen abend schon in Paris sein...Die Entscheidung liegt bei dir!" "...und den Rest der Geschichte kennst du!" Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Soeben hatte sie ihm ihr gesamtes Leben zu Füßen gelegt und nun wartete sie auf eine Reaktion. Lange Zeit kam nichts. "Warum hast du es mir nicht gesagt!" Seine Miene hatte sich seit Beginn des Unterhaltung nicht verändert. Er hasste es, wenn man ihn anlügte. "Lass uns doch mal überlegen, wie du reagiert hättest, wenn du es von Anfang an gewußt hättest. Du wärst in deinem Stolz verletzt gewesen, so wie du es jetzt auch bist, und hättest alles daran gesetzt, dass ich nie wieder einen Fuß in's Hauptquartier setze, einfach nur weil Frauen keine Hosen, geschweige denn Waffen zu tragen haben. Und das konnte ich einfach nicht riskieren, dafür ging es um zuviel. Und als wir erst einmal befreundet waren hatte ich Angst vor deiner Reaktion...begründet, wie sich ja nun gezeigt hat." Gerade wollte er zu einer Verteidigung ansetzen, als ihre Unterhaltung durch ein leises Klopfen unterbrochen wurde. "Entschuldige mich..." Sie räusperte sich "Ja!?" Ihre Stimme hatte von einer Sekunde auf die andere ihren Befehlston wiedergefunden. Die Tür öffnete sich mit einem langen Ächzen und die alte Magd streckte ihren Kopf nach der Herrschaft suchend hervor. "Ein Bote wünscht euch zu sprechen!" "Wer schickt ihn?" "Der Graf de Senlis..." "Soll wieder verschwinden!" Mit einem Nicken schloß sie die Tür. "Er ist scharf auch dich, hm?" Er musste an den Brief denken, den er unerlaubterweise gelesen hatte. "Er ist scharf auf mein Erbe! Ausserdem ist er ein notgeiler Bock der ein kleines Frauchen sucht, das ihm jede Nacht zur Verfügung steht!" "Da ist er bei dir ja an der richtigen Adresse wie mir scheint..." Er lachte leise auf. Eigentlich hatte er sich geschworen, im Verlaufe dieser Unterhaltung keine Regung zu zeigen, aber er liebte diesen Ausdruck in ihren Augen, der irgendwo zwischen Hass und bemitleidender Verachtung schwankte. "Hast du schon mal darüber nachgedacht, ihm das in's Gesicht zu sagen?" Es war unglaublich, sie hatte es innerhalb kürzester Zeit geschafft, ihn um den Finger zu wechseln. Keine Frau der Welt hatte das Recht dazu, ihn ohne Erlaubnis in seiner Wut zu besänftigen. Eigentlich wollte er sie für den an ihm begangenen Verrat anbrüllen, statt dessen erwischte er sich dabei, wie er sich Gedanken darüber machte, ob dieser liebestolle Graf am Ende nicht etwa eine Konkurrenz für ihn darstellte. "Ich hab's ihm in's Gesicht gesagt!" Sie zuckte mit den Schultern. "Er hat es nicht so ernst genommen..." "Nicht nur notgeil, sondern auch dämlich hm?" "Ohne Ende! Ich glaube er ist als Kind mal gegen einen Baum gelaufen oder so..." Sie fuchtelte wild mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. "Du hast also nicht vor, zu euer beider Wohl zu entscheiden?" "Gott bewahre! Eher gehe ich in's Kloster und sterb als alte Jungfer..." Sie zog die Augenbrauen zusammen. "Nein, doch nicht. Eher kämpfe ich mich für den Rest meines Lebens allein durch diese Papierberge und dann sterbe ich als alte Jungfer!" Sie deutete auf den Schreibtisch. "Nimm es mir nicht übel, aber dieser Schreibtisch sieht nicht gerade danach aus, als würde er benutzt werden..." "Das, mein Lieber, nennt sich Ordnung. Ich kann einfach nicht arbeiten, wenn alles zerstreut liegt!" Erneut wurde ihre Unterhaltung durch ein Klopfen unterbrochen. "Madame, der Bote lässt sich nicht abwimmeln..." Sie rollte mit den Augen. "Entschuldige mich für eine Minute!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)