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Fallende Sterne

von

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Gnadenlos brannten die frühabendlichen Sonnenstrahlen auf die eingehüllten Flüchtlinge. Die sommerliche Hitze war schweißtreibend, doch niemand wagte es, Kleidung abzulegen, aus Angst vor Sonnenbrand und Hautkrebs. Die Alten und Kranken, die unter diesen Bedingungen nicht lange marschieren konnten, mussten auf den Flößen eng zusammenrücken, um neben den Proviantsvorräten und diversen Utensilien noch Platz zu finden.

Freddy wusste nicht mehr, wie lange sie nun schon dem Verlauf der Weser nach Norden folgten, doch bald schon würden sie die Lüneburger Heide erreichen und von dort aus würde es nicht mehr weit bis zu den Toren Hamburgs sein. Freddy war gehörte zu den Wachen. Ausgerüstet mit einem alten Jagdgewehr lief er hinter der Masse der Flüchtlinge und sorgte einerseits dafür, dass niemand sich zuweit vom Trek entfernte und andererseits dafür, dass keine Mutanten zu Nahe herankamen.

Ein großer, kräftiger Blondschopf lief Freddy, aus dem Bulk der Flüchtlinge vor ihm kommend, entgegen.

"Hallo! Ich bin Markus. Der Chef meint, ich soll mich zu dir Gesellen. Freddy, stimmt's?" Er streckte seine Hand aus.

Freddy gab ihm die Hand und spürte seinen festen Handdruck. "Der bin ich. Freddy, der Schafshüter!" Er salutierte neckisch. "Bist du neu im Trek?"

"Nein, nein", antwrotete Markus und ging neben Freddy weiter. "Ich war verletzt und komme geradewegs vom Lazarett-Floß."

"Verletzt?" fragte Freddy neugierig und musterte den stämmigen Mann, neben dem er wie ein Wiesel aussah. Er stellte fest, dass dessen linker Arm beim Gehen nur verhalten mitschwang. Er tippte ihn an.

"Autsch!" Markus fasste sich am Arm und schaute argwöhnisch auf den etwas hageren, braunhaarigen Freddy herab, der scheinbar Mitte 20 war.

Fredy zog schnell seine Hand zurück. "Tut wohl noch weh, was?"

Markus schwieg einen Moment mit grimmiger Mine bevor er antwortete: "Das hab' ich von nem Yeti."

"Echt? Dann bist du wohl über die Alpen dazu gestoßen?"

Markus nickte knapp.

"Ich hab mir erzählen lassen, dass man die Yeti-Mutationen nach einem Fabelwesen aus dem Himalaya-Gebirge benannt hat, denen man nachsagte sie hätten zotteliges weißes Fell, so wie eben unsere Alpenyetis."

"Mhm..." Markus zeigte offen sein mangelndes Interesse.

Freddy redete dessen ungeachtet weiter. "Mutanten sprießen heutzutage überall aus dem Boden. Die radioaktive Verseuchung hat zwar bereits nachgelassen, aber anscheinend ist die Umwelt unwiderruflich verändert worden. Hängt wohl irgendiwe mit den vielen Chemikalien und biologischen Kampfstoffen aus dem Krieg zusammen. Hundert Jahre liegt das zurück und wir haben immer noch gut davon. Das echt üble daran ist, dass es uns Menschen genauso erwischen kann."

"Hör bloß auf. Als ich auf dem Lazarettfloß war, hab ich mehr genug von diesen Missgeburten gesehen, als sie zur Welt kamen. Ab damit in den Fluß, aber zackig, sag ich."

"Für die Mutter ist sowas natürlich echt Scheiße. Mit versauten Genen lässt man sie nie in die Skandinavische Allianz. Und nach allem, was ich so höre, soll's in Hamburg ja auch nicht so rosig zugehen. Man munkelt von einem kalten Krieg zwischen Hamburg und den Skandinaviern."

"Scheinst ja ne Menge zu wissen, Kleiner."

"Bin viel rumgereist. Außerdem hab ich schonmal nen Trek nach Hamburg begleitet."

"Scheiße, Junge! Warum bist du zurückgekommen?"

"Hamburg ist nicht so toll, glaub's mir. Außerdem ist es ganz lustig hier draußen. Hier gibt es noch echten Zusammenhalt. Da kann man noch auf den Mann neben sich zählen."

Markus hob eine Augenbraue. "Ich wär trotzdem lieber in Hamburg. Scheiß auf den Zusammenhalt, Mann. Ich will weg hier. Raus aus der brennenden Sonne und weit weg von den verfluchten Mutanten!"

"Weg? Im Moment steuern wir geradewegs auf sie zu. Mal abgesehen von den wilden mutierten Bestien, die hinter jedem Busch lauern können gibt es einige regelrechte Mutantenstämme. Die sind wie riesige Wolfsrudel und werden angeführt von mutierten Menschen. Die hausen meist in den Überresten von Großstädten. Und ein ziemlich riesiger Verband befindet sich in Bremen. Denen ist mein letzter Trek in die Arme gelaufen. Deshalb werden wir diesmal rechtzeitig unsere Floße zurücklassen und zu Land weiterziehen."

"Diese Mutantenstämme sind echt grausig, Mann. Wegen denen bin ich überhaupt erst losgezogen. Die haben mein Dorf überfallen und fast alle abgeschlachtet." Markus biss die Zähne zusammen, dass sie knirschten.

"Die Stämme breiten sich aus wie eine Seuche. Die haben in den letzten Jahren schon mehrere Vorposten Hamburgs erobert. Und umso mehr Flüchtlinge nach Norden ziehen, desto mehr Mutanten folgen ihnen, weil denen einfach nichts so gut schmeckt wie frisches Flüchtlingsfleisch."

"Scheiße, Junge! Kannst du vielleicht aufhören von den Mutanten zu reden? Schau mal da rüber", Markus deutete auf einen eingehüllten Flüchtling der in gekrümmter Haltung abseits der Menge hinterherlief. "Da muss ein Schäfchen zurück zur Herde getrieben werden, du Schafshüter."

"Aye, aye, Käpt'n, schon unterwegs." Freddy salutierte erneut und rannt zu dem Flüchtling herüber. Er streckte die Hand zur Begrüßung aus. "Yo, Alterchen! Zurück zur Herde! Hier draußen wimmelt es von Mutanten. Wir wollen doch nicht, dass dich so ein fieses zweiköpfiges Eichhörnchen anfällt, oder?"

Der Flüchtling ignorierte ihn und ging weiter seines Weges.

"Komm schon! Gesell dich zu den anderen! Sprich mit den Leuten, hör dir dieselben dummen Witze an, die sie seit Anbeginn unserer Reise erzählen und träller ein lsutiges Liedchen!" Freddy wollte dem Flüchtling unter den Arm greifen um ihm als Stütze zu dienen, doch der Flüchtling drehte sich geschwind zur Seite und ließ ihn somit ins Leere fassen. Der Mann warf Freddy einen arroganten, angewiderten und zugelich müden Blick zu.

"Tschuldigung!" Freddy verbeugte sich. "Dachte du wärst einer von den alten gebrechlichen Typen, die sich nicht gegen Eichhörnchen wehren können. Bei deinem gruseligen Blick, wirst du aber mit Sicherheit jeden noch so fiesen Nager in die Flucht schlagen können. Also dann, spiel weiter den Einzelgänger!" Freddy wandte sich von ihm ab und ging zurück zu Markus.

"Hast du nen neuen Freund gewonnen, Freddy?"

"Wir hatten ein wunderbares Gespräch. Ich schaute ihm in die Augen und er mir. Doch wir wussten, es könnte nie zwischen uns klappen, also zog ich die Konsequenzen und reichte die Scheidung ein. Ich werde ihm nie verzeihen können, dass er mich dem Eichhörnchen vorzog."

Markus schaute ihn schief an. "Eichhörnchen?!"

"Ach diese elenden Casanovas mit ihrem wunderbar glänzendem Fell. Die wedeln nur einmal mit ihrem büschigen Schwänzchen und schon zergeht er wie Butter."

"Bist'n echt schräger Typ."

"Herrje, nach 24 Jahren in den Wastelands kann niemand mehr so richtig bei Trost sein oder?"

"Hm. Das erklärt zumindest, warum du nicht in Hamburg geblieben bist, als du dort warst."

"Jaja. Hab ich dir eigentlich schon von der mutierten Brieftaube erzählt, die ich ne zeitlang gehalten hab?"

Markus verdrehte die Augen.
 

Der Abend dämmerte, und die untergehende Sonne färbte den Himmel in einem romantischen rötlich-violetten Ton. Der Trek der Flüchtlinge war langsam zum Stillstand gekommen um das Lager für die Nacht aufzuschlagen. Die Flöße wurden festgebunden und die Ausrüstung, die für den Aufbau des Nachtlagers benötigt wurde, brachte man an Land. Das Aufschlagen der Lager dauerte in der Regel ein bis zwei Stunden. Sobald der Flüchtlingszug anhielt, zündete man hier und da die ersten Lagerfeuer an und Menschen reihten sich um die flackernden Flammen und begannen sich Geschichten zu erzählen und Lieder zu singen, von besseren Zeiten und großen Abenteuern, von der Heimat, die man hinter sich gelassen hatte und von den großen Gefühlen, die die Menschen seit altersher bewegt hatten.

Markus und Freddy hatten ihre Aufgabe für den Tag erfüllt und gesellten sich zu einer der Lagerfeuergruppen. Ein älterer Mann mit grauen Strähnen in seinem schwarzen Haar spielte auf seiner Gitarre und sang ein altes Lied, das sich "Country Roads" nannte. Freddy lehnte sich zurück und genoss die leicht melancholischen Akkorde. Markus hockte neben ihm, starrte in die tänzelnden Flammen und lehnte seinen Oberkörper gegen die Beine, die er mit den Armen langsam fester an sich zog.

"Jetzt noch ein deftiges Stockbrot und es wär wie Camping..." sagte Freddy in seinem gewohnt heiterem Tonfall, der ihn stets sorglos erschinen ließ.

Markus reagierte zunächst nicht, bis er plötzlich zuckte und sich mit einer Hand am Auge rieb. "Was? Ich... hab grad nicht zugehört", meinte er zögerlich.

Freddy lächelte ihm zu. "Du siehst da vermutlich was, das mir verborgen bleibt", sagte er auf die Flamme deutend.

Verdutzt schaute Markus zum Lagerfeuer und zurück zu Freddy. Dann atmete er einmal tief ein und aus, als ihm klar wurde, was gemeint war. "Ja... Es erinnert mich... an jemanden, den ich sehr mag..."

"Und sie heißt?" fragte Freddy neugierig.

Markus hob eine Augenbraue ob der korrekten Annahme, das es sich um eine Frau handelt. "...Natasha. Natasha ist ihr Name und das letzte Mal, als wir zusammen waren, brannte ebenfalls ein Lagerfeuer. Ich... war mit ihr aus meinem Heimatdorf losgezogen. Wir hatten uns einem Trek angeschlossen, der die Alpen überquerte. Doch... während wir eines Abends am Lagerfeuer beisammen saßen, kamen die Yetis und griffen uns an. Chaos brach aus und alle rannten durcheinander. Ich wurde angefallen und schwer verletzt. Ich weiß nicht mehr genau was dann passierte. Als ich aufwachte war der Trek weitergezogen. Man hatte mich zurückgelassen in der eisigen Kälte zusammen mit den Leichen anderer Flüchtlinge und der getöteten Yetis. Zu meinem Glück kamen ein paar einheimische Späher vorbei die mich auflesen und in ihr Dorf brachten. Ich gab den Spähern eine Beschreibung Natashas und sie meinten sich sicher zu sein, dass sie sie in einem Flüchtlingstrek gesehen hatten, der ihnen entgegen gekommen war. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich mich wieder vernünftig bewegen konnte. Doch bis dahin war es schon wieder fast Winter und ich musste bis zum Frühling warten, bis wieder Flüchtlinge nach Norden zogen... Wobei ich im übrigen nochmals von Yetis angefallen wurde", er schob den linken Ärmel hoch und brachte einen stark vernarbten und noch immer teilweise verbundenen Arm zum vorschein. "Wär ich nicht so'n kräftiger Bursche, wär ich längst über'n Jordan. Aber nun bin ich hier auf den Weg nach Hamburg in der Hoffnung Natasha wiederzusehen..."

Freddy lächelte weiter und klopfte ihm auf die Schulter. "Ich glaube fest daran, dass sie auf dich in Hamburg wartet. Du wirst schon sehen. Vermutlich wartet sie schon ungeduldig auf die Ankunft des nächsten großen Flüchtlingzuges aus dem Süden." Er ließ sich nichts anmerken. Er war dabei gewesen, als der letzte große Trek von dem Mutantenstamm aus Bremen angefallen wurde. Und er konnte sich gut an eine Natasha erinnern, die von ihrem großen, starken Freund erzählt hatte, der zurückgeblieben war um die Yetis zu bekämpfen, während sie fliehen konnte. Er erinnerte sich ebenso gut daran, wie sie starb. Doch es war sinnlos, Markus die Hoffnung zu rauben. Hoffnung war das einzige, dass den meisten Menschen geblieben war.

Plötzlich erspähte Freddy einen Schatten im Dunkeln. Sofort sprang er auf und nahm sein Gewehr zu Hand.

"Was ist?" fragte Markus. "Mutanten?"

Freddy starrte angestrengt in die Dunkelheit um die Umrisse des Schattens auszumachen und ging langsam näher auf ihn zu. "Nein", winkte er schließlich ab. "Ist nur ein verirrtes Lamm. Bin gleich wieder da." Er hängte sich sein Gewehr um die Schulter und ging weiter in die Dunkelheit hinein zu der Schemenhaften Figur, die in der Finsternis abseits vom Licht und Gelächter der Lagerfeuer saß. "Yo, Alterchen, bist du das? Deine dreckigen Lumpen erkenn ich doch wieder..." Freddy grinste dem Mann im Umhang zu.

Der Mann warf ihm einen kurzen müden Blick zu und schien dann in Gedanken zu versinken.

Freddy hockte sich dirket vor seiner Nase hin und neigte den Kopf von einer Seite zur anderen, als würde er versuchen hinter die undurchdringliche Maske des Gesichtes des Mannes zu schauen. Das Abendrot war inzwischen einem faden Mondlicht gewichen, das die Konturen des Mannes nur sprälich beleuchtete. Doch in den Augen des Mannes konnte er sehen, wie sich der Mond darin spiegelte. "Bist ja doch älter, als ich dachte, auch wenn du auf den ersten Blick recht jung aussiehst..."

Der Mann schaute ihn ein wenig verwundert an. Seine Neugier schien geweckt.

"Ich bin Freddy, eine der Wachen." Er streckte die Hand aus.

Der Mann schien die Geste gar nicht zu beachten und blickte weiter in Freddys Gesicht als würde er nun versuchen hinter dessen Maske zu blicken.

"Nicht sehr gesprächig, was? Die Manieren lassen auch ein wenig zu Wünschen übrig. Was soll's. Vielleicht hast du ja gar keinen Namen. Ich nenn dich einfach... mmm... Jack! Ein schöner einfacher Name. Jack! Schön dich kennen zu lernen." Freddy strahlte den Mann an.

"...Jack...?" sagte der Mann leise zu Boden blickend. Er schien amüsiert zu sein. "Nun gut, dann bin ich eben Jack. Das scheint mir... durchaus passend."

"Oh mein Gott!" sagte Freddy in einem gespielt schockierten Ton. "Es spricht! Es spricht! Und es heißt... tatsächlich Jack?" Er hob eine Augenbraue. "Also gut. Jack. Lumpen-Jack, hehe. Du solltest dir wirklich was besseres aussuchen. Kannst ja nem Mutanten das Fell abziehen, wenn wir mal wieder einen erlegen."

"Ich bin gänzlich zufrieden mit meinem Erscheinungsbild. Du wirst gemerkt haben, dass ich für gewöhnlich lieber für mich bleibe. Mir liegt nichts am Kontakt mit Menschen."

"Huuuhh..." Freddy klang spöttisch. "Da hat wohl jemand nicht genug Liebe mit auf den Weg bekommen, was? Aber das macht nichts. Wirst du schon noch finden. Glaub mir, steckt hinter jedem zweiten Stein und wartet nur darauf dich anzufallen, wenn du's am wenigsten erwartest. Wenn du also nicht mit Menschen zusammen sein willst, warum hast du dich dann nem ganzen Batzen von uns angeschlossen?"

"Ihr wart nur zufälligerweise auf demselben Weg gewesen. Und außerdem, musste ich mich über etwas vergewissern."

"Neugierde, hm? Redest du deshalb mit mir? Bist du'n außerirdischer Arzt der hier ist um die Menschen zu studieren?"

"Hm", Freddy hätte schwören können, dass Jack da ein Lachen verschluckt hatte, "das ist gar nicht mal so verkehrt. Ich versichere dir, ich habe meine Gründe. Aber... du solltest jetzt zurück zu den anderen gehen. Und halte dein Gewehr bereit. Du wirst es brauchen..." Mit diesen Worten wandte sich Jack von ihm ab.

Freddy schaute verdutzt zum Lagerfeuer hinüber und dann in die Dunkelheit. Er kniff die Augen zusammen. Und dann sah er sie. Schatten. Mehrere sogar. Und sie huschten mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit durch die Finsternis auf das Nachtlager zu. In der Ferne hörte Freddy erste Schüsse fallen. Sofort rannte er zu dem Lagerfeuer zurück, nur um gerade noch zu sehen wie eine Wolfsartige Mutation Markus anfiel und ihm seinen gesunden Arm abriss. Freddy legte das Gewehr an, peilte den Gegner an und drückte den Abzug. Die Kugel raste ins dunkle Fell der Bestie und es fiel leblos zu Boden. So schnell er konnte rannte Freddy zu Markus. Doch der Mann war bereits tot und Freddy hatte nicht die Zeit ihm nachzutrauern. Um ihn herum liefen die Menschen kreischend umher und immer wieder huschten Schatten durch das flackernde Licht der vielen Lagerfeuer. Er wollte sich gerade ins Getümmel werfen, als er hinter sich einige der Bestien knurren hörte. Er drehte sich um und sah wie ein halbes Dutzend der mutierten Tiere Jack umringten. Der stellte sich aufrecht hin und bewegte seine Arme. Freddy konnte nicht genau ausmachen, was er da machte. Plötzlich durchzuckte ein Blitz die Dunkelheit gefolgt von einer leichten Druckwelle, die Freddy sanft durchs Haar strich als er sich gerade, vom Licht geblendet den Arm vors Gesicht hielt. Eine der Mutationen lag reglos vor ihm, nein, nur die Hälfte davon. Die anderen lagen in mehreren Teilen verstreut um Jack herum, der kurz zu Freddy hinüber schaute und ihm dann den Rücken zudrehte und in der Dunkelheit verschwand. Schüsse, Schreie und das unwirkliche Heulen der mutierten Bestien schallten durch die kühle Nachtluft, als Freddy dem Fremden fassungslos hinterherblickte.

Unruhiges Gemurmel und die Schritte hunderter Füße drangen durch die Luft. Vor ihm sah er nur den Rücken einer Frau, so dicht, dass er jeden Moment drohte mit der Nase dagegen zu laufen. Hinter ihm drangen dumpfe Geräusch durch das Stimmengewirr. Dann kam das Heulen. Ein unmenschlicher Chor aus Unheil verkündenden Lauten drang an sein Ohr. Donnerndes Gewehrfeuer folgte und schürte die Unruhe der Menschen überall um ihn herum, die schließlich in Panik zu schreien begangen und sich zunehmend gewaltsam nach vorn drängten, weg von der Schlacht. Der Boden unter seinen Füßen begann zu beben. Etwas warf ihn zu Boden. Als er aufschaute war sie weg. Er spürte Tränen in den Augen brennen. Ein lauter Knall, Rauch, Feuer...

Alexej schreckte auf. Das bekannte Geräusch feuernder Gewehre und schreiender Menschen drang aus den Lautsprechern vor ihm. Der große Wandbildschirm zeigte ihm die dazugehörigen Bilder. Er schaute genauer hin, da er seinen Augen nicht recht trauen wollte. Es konnte einfach nicht-

"Flensburg", sagte ihm eine mitleidvolle Frauenstimme hinter seinem Rücken.

Erschrocken drehte sich Alexej um. "Was um Himmelswillen ist da los, Helena?" fragte er die große, schlaksige Frau mit den roten Haaren, die hinter ihm durch die Tür sein Büro betrat.

"Was glaubst du denn, was da los ist?" gab sie entrüstet von sich.

Alexej schaute auf den Bildschirm. Es sah nach einem Straßenkampf aus. Überall wurde wild gefeuert. Dann Bilder von einer Hinrichtung auf offener Straße. Ein paar geschunden aussehende Menschen knieten auf der Straße und wurden der Reihe nach erschossen. "Ich kann keine skandinavischen Truppen entdecken..."

Helena nahm auf einem Ledersessel in der Ecke platz und schaute zu Alexej. "Wozu sollten die Skandinavier Truppen brauchen? Ihre Agenten haben in Flensburg schon seit Monaten Unruhe gestiftet. Und nun haben sie's endlich geschafft, ihnen ihre Ideale näherzubringen."

Alexej schaute erneut auf den Bildschirm. Dort sah er nun eine Gruppe bewaffneter Menschen die ein Banner in die Luft hoben. "Reinigt unsere Stadt! Reinigt die Welt!" verkündete es. "Sie schlachten die verseuchten Einwanderer ab..."

Helena schaute Alexej mit meiner Mischung aus Abscheu und Trauer an. "Wie kannst du dabei so ruhig bleiben, Alex?! Sie töten unschuldige Menschen, nur weil sie aus den Wastelands eingewandert sind! Und wenn sie fertig sind, werden sie sich den Skandinaviern anschliessen." Sie fixierte seine Augen.

Alexej entgegnete ihr mit einem müden, ausdruckslosen Blick. "Das hatte ich kommen sehen. Das hatten wir alle kommen sehen. Umso mehr ein Grund, meine Forschung weiterzutreiben." Er schaltete den Bildschirm aus. "Und was sagen dir deine eigenen Forschungen, Helena?"

Sie schaute ihn zornig an. "Du weißt genau, dass wir noch nicht so weit sind, dass wir schon Ergebnisse hätten."

"Du brauchst doch mit Sicherheit nicht die endgültigen Ergebnisse für eine Prognose, oder? Der Regierung ist es doch auch schon längst klar. Wieviel Zeit, also, bleibt uns wohl noch, bis uns die Mutantenhorden überrennen? Sie strömen doch nun schon seit Ewigkeiten stetig gen Norden. 5 Jahre vielleicht, wenn wir Glück haben?"

Helena senkte ihren Blick für eine Weile. Als sie wieder zu Alexej aufschaute sah ihr Gesicht um 10 Jahre älter aus. "Noch nicht einmal... Sie werden uns in 1 bis 2 Jahren vernichtet haben. Maximal... 3 Jahre... Wenn wir wirklich Glück haben..." Sie senkte erneut den Blick.

Alexej stand auf und ging zu ihr hinüber. Er ging vor ihrem Sessel in die Hocke und musterte die Frau, die wie er auch bereits anfang 40 war. Zögerlich streckte er die Hand nach ihrem dürren, blassen Arm aus. Er spürte die unterdrückten Gefühle in ihm hochsteigen. Das Verlangen nach der Berührung der vertrauten weichen Haut. Doch er hielt inne. Die Erinnerungen schmerzten. Doch als er die Tränen in Helenas Gesicht erkannte, sah er, dass es sie noch mehr schmerzte.

Wortlos erhob sie sich von dem Sessel und ging an ihm vorbei zurück zur Tür, wo sie stehenblieb. Sie schaute hinaus auf den Boden vor ihr im Gang. "Alex, wir... Ich... Ich muss noch ein paar Simulationen durchlaufen." Schnellen Schritts marschierte sie den Gang hinunter.

Sekunden, die eine Ewigkeit zu dauern schienen, vergingen, bevor Alexej das Hallen ihrer Schuhe nicht mehr hören konnte. Er ging mit leerem Gesichtsausdruck zur Tür und schloß sie behutsam. Dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und vergrub, die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt, das Gesicht in seinen Händen. Nach einer Weile atmete er tief durch und griff zur obersten linken Schublade um das alte abgegriffene Dossier herauszuholen, dass er in den letzten Jahren schon so häufig durchgegangen war. "Projekt Sternschnuppe" war in dem roten Umschlag mit goldenen Lettern eingestanzt. Alexej schlug die Zusammenfassung auf und las:

"Am 5. Oktober 2078 fielen mehrere Sternschnuppen über Europa, die sich schon bald als weitaus mehr entpuppen sollten. Eine dieser Sternschnuppen, mit einem Durchmesser von rund einem Meter schlug in der Hattstedter Marsch in Schleswig Holstien ein. Ein deutsches Forschungsteam ist wenige Minuten später vor Ort um das Objekt zu untersuchen. Die erste Vermutung war, dass es sich um außerirdisches Artefakt handelt. Das Objekt, im folgenden als Stern bezeichnet, wurde sofort in ein Labor nach Hamburg gebracht, wo es von einem europäischen Forschungsteam untersucht wird. Schon nach wenigen Tagen steht fest, dass der Stern Unmengen an Energien gespeichert hält. Fortan wird die Freisetzung und Nutzung dieser Energien zum Hauptziel der Forschungsgruppe. Im Jahre 2081 wird der gerade mal 39-jährige Prof. Dr. Dr. Lukas Jakob, von der Physikalischen Fakultät der Universität Hamburg, zum Leiter des Projekts ernannt. Jakob gelingt es noch im selben Jahr eine Maschine zu entwerfen und zu bauen, die die Energien des Sterns nutzbar macht. In der Nacht zum 6. Dezember, dem angesetzten Datum für einen ersten Test, führt Jakob einen unauthorisierten Versuch mit der Maschine durch. Es gelingt ihm, die Energien des Sterns auf sich selbst zu übertragen und den Stern damit auszulöschen. Jeder Versuch Jakob unter Quarantäne zu stellen misslang, da er fortan über Telekinetische Kräfte ungeahnten Ausmaßes verfügte. Professor Jakob, nicht willens sich untersuchen zu lassen, offenbart seinen eigenen geheimen Plan: Von vornherein war es sein Ziel gewesen, die Energien auf einen einzelnen Menschen zu übertragen, um die Nutzung der Energien für das Wwohlergehen der Menschheit sicherzustellen. Er hatte der Regierung nicht zugetraut, keinen Missbrauch mit den enormen Energien zu treiben. Stattdessen machte es sich Jakob zum Ziel als selbsterkorener Retter der Welt Verbrechen und Unrecht zu bekämpfen. In den folgenden vier Jahren gelang es ihm zunächst, Hamburg selbst zu einer gänzlich verbrechensfreien Stadt zu machen. Mit allen Mitteln bekämpft er das organisierte Verbrechen auf der ganzen Welt. Doch mit der Verfolgung der Verbrecher geht auch die Verfolgung korrupter Politiker und Wirtschaftsbosse einher. Mit rapider Geschwindigkeit werden führende Persönlichkeiten weltweit als Gesetzesbrecher entlarvt und ihrer Position beraubt, wenn nötig mit Gewalt. Am 17. September 2086 kommt es schließlich zur Katastrophe. Die genauen Umstände sind bis heute nicht geklärt. Die Politik und die Wirtschaft befand sich unlängst in einem chaotischen Zustand infolge der großen Säuberung durch Jakob. Es ist im Nachhinein nicht nachvollziehbar, wer die erste Massenvernichtungswaffe einsetzte, doch was wir wissen, ist das es Jakob im letzter Sekunde gelang, den Großteil der Waffen unschädlich zu machen. Doch zu diesem Zeitpunkt war bereits ein Großeteil der Erde verwüstet und verseucht durch das ABC-Waffenarsenal der Menschheit. Jakob ist seither nicht mehr gesehen worden, aber vermutlich noch immer am Leben."

Alexej klappte das Dossier wieder zu und verstaute es in der Schublade. Fast exakt 100 Jahre waren seither vergangen und es gab noch immer keine Spur von Jakob. Doch das Projekt, das inzwischen unter dem Namen "Gefallener Stern" lief, existierte noch immer und er selbst, Dr. Alexej Ludevich, hatte vor zwei Monaten die Leitung übernommen, nachdem sein Onkel gestorben war, der das Projekt davor geleitet hatte. Das Ziel war dasselbe wie einst: die Nutzbarmachung der Energien des Sterns. Das Problem jedoch war, dass es den Stern nicht mehr gab. Jakob hatte ihn vollends in sich aufgenommen.

Als sein Onkel mit Alexej und seiner Mutter nach Hamburg kam belebte er das Projekt wieder, nachdem es so viele Jahre unbeachtet blieb. Jakob war noch irgendwo da draußen und mit ihm die ungeheure Energie die er gestohlen hatte. Hamburg hatte nur wenige Energiequellen. Die Hauptquelle waren die sogenannten Baterien, in denen Menschen in einem künstlichen Schlafzustand gehalten wurden und Ihre körpereigene Energie weitergaben. Die Skandinavier hatten dahingegen viele Wasserkraftanlagen und zudem Erdgas, Erdöl und Uran. Der Regierung Hamburgs war klar gewesen, dass sie mehr Energie brauchten und so waren sie gewillt Alexejs Onkel, Joseph Ludevich, das Projekt wiederzubeleben. Joseph hatte ihnen versprochen, eine Methode zu entwickeln mit der man Jakon entweder aufspüren oder seine Energie auf große Entfernung abziehen konnte. Alexej hatte er schon recht früh in das Projekt geholt. Als sein engster Mitarbeiter wusste er, dass das Projekt in all den Jahren so gut wie keine Fortschritte zeigte. Sein Onkel Joseph hatte stets mit haarstreubenden Lügen das Ende des Projektes hinausgezögert. Das einzige, was das Projekt hervorbrachte, was man auch anwenden konnte, war ein Gerät, mit dem sie Jakobs Energiesignatur ausmachen konnten. Vor 2 Monaten wurde es zum ersten mal verwendet. Am Tag darauf hatte sich Joseph in seinem Büro erhängt. Alexej hatte keine Ahnung, weshalb sein Onkel so auf seinen bisher größten Triumph reagiert hatte. Sie konnten Jakob ausmachen, irgendwo in den Wastelands mit Kurs auf Hamburg. Das Gerät konnte die Position mit einer Genauigkeit von ca. 10 Kilometern bestimmen, was nicht genügte, um einen Suchtrupp entsenden zu können. Doch Alexej war sich sicher, das Jakob nach Hamburg kommen würde. Und dann könnte er endlich das Projekt zum Abschluss bringen. Die Maschine, die Jakob gebaut hatte, stand bereit, seinen Schöpfer zu empfangen und wie eine Orange auszupressen.

Mit der gewonnenen Energie würde es Hamburg endlich gelingen sich sowohl gegen die Mutanten als auch gegen die Skandinavier erfolgreich zur Wehr zu setzen. Vielleicht konnten sie sogar die Wastelands zurückerobern und mehr Lebensraum für die Menschen schaffen. Zumindest gäbe es wieder Hoffnung auf eine friedliche Zukunft, in der die Menschen in Freiheit leben konnten, auch wenn sie durch die Wastelands mutiert worden sind.

Alexej öffnete erneut die obere linke Schublade. Diesmal wühlte er jedoch etwas tiefer und zog einen Videodatenträger hervor. Er hob die durchsichtige Hülle mit der runden Scheibe empor und drehte sie einige Male in den Händen herum. Dann schloss er die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Zunächst war da nur schwarze leere. Doch dann bildeten sich verschwommene Bilder und Geräusche drangen an sein Ohr, die klangen, als hätten sie mehrere Kilometer unter Wasser überwunden bevor sie ihn erreichten. Alexej schüttelte den Kopf und legte den Datenträger zurück in die Schublade.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von: abgemeldet
2004-03-15T14:47:49+00:00 15.03.2004 15:47
Hallihallo! ^^

Ich finde sie auch ganz toll und bin wirklich gespannt, wie es weitergeht!
*ungeduldig warte*
naja, zur Not weiss hiso ja wo du wohnst.. *devil-smile*

bye Shu-Chan
Von:  Hisoka19
2004-02-21T17:35:01+00:00 21.02.2004 18:35
ERSTER!!!! *jubel*

Aaaaalso, die Story is wirklich klasse ^-^ Hoffe sie geht noch weiter!
*schieb drängel*

Hamburg als der Vorposten Europas, das is gut ^___^ Die Weltmetropole schlechtin *ggg*
Dein Schreibstil gefällt mir wirklich sehr gut, man kann sich alles gut vorstellen und auch nachvollziehen. Um hier in meinen Müll auch mal ein bisschen Sachlichkeit reinzubringen.

Greez Hiso


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