Geheimnisse von abgemeldet (Aramis/Athos) ================================================================================ Kapitel 12: Sturheit -------------------- Blinzelnd schaute sie auf, nahm den Lärm und die Unterhaltungen um sich herum nur noch verschwommen wahr, während sie erneut ein Glas Wein an die Lippen führte. Wie viele hatte sie bisher geleert? Nur vage konnte sie sich erinnern und selbst diese Erinnerungen hielt sie nicht für sehr vertrauenswürdig. Eines wusste sie jedoch mit ziemlicher Gewissheit: Noch nie in ihrem Leben war sie so betrunken gewesen. Niemals. Und in Anbetracht der Tatsache, dass sie sich selbst zu den trinkfesten Menschen zählte, musste sie mehr als nur ein einziges Glas zuviel gehabt haben. Milde überrascht stellte sie fest, dass ihr gegenüber ein junger Mann saß, den Kopf auf beide Hände gestützt und mindestens ebenso betrunken wie sie selbst. Er war recht hübsch, wenn man die Tatsache außer acht ließ, dass seine Augen und Wangen gerötet waren und er sich mehr am Tisch abstützen musste, als dass er gerade sitzen konnte. Nicht, dass sie an diesem Abend in der Wahl ihrer Gesellschaft wählerisch gewesen wäre. Es war ihr eigentlich egal, mit wem sie über was sprach, solange sie die wirklich wichtigen Dinge für sich behielt. "Lasch unsch anstossen, mon ami.", lallte ihr Gegenüber und sie musste kichern. Wirklich, wenn sie selbst sich nur halb so scheußlich anhörte, musste sich jede halbwegs nüchterne Person im Raum vor Lachen kaum auf ihrem Platz halten können. Aber wenn sie den Gedanken in einer kurzen Sekunde sich lichtenden Nebels näher betrachtete, so kam sie zu dem Schluss, dass sich kaum ein nüchterner Mann unter den Gästen der Schenke befand. "Worauf denn?", fragte sie nur und starrte vor sich hin. "Auf den König! Auf Frankreich!", schrie ihr Gegenüber, stand wackelig auf und hielt sein Glas in die Höhe. "Du hascht ganz Recht, stossen wir auf den König an.", murmelte sie und stand ebenfalls auf. Nach diesem Abend hätte sie nicht sagen können, wie sie es geschafft hatte ihre Stimme über das allgemeine Gelächter und Getratsche zu erheben, aber bevor sie weiter darüber nachdachte, sprach sie auch schon. "Auf den König von Frankreich, den gierigsten, halsstarrigsten und unfähigsten König, der je auf Frankreichs Thron saß! Stossen wir darauf an, dass er sisch einen Dreck um dasch Volk schert!" Sie lachte, obwohl sie nicht wusste, weshalb und ließ sich gemächlich wieder auf ihren Stuhl sinken. Wäre sie nicht so betrunken gewesen, wäre ihr vielleicht aufgefallen, dass das Gemurmel der Menschen um sie herum plötzlich gedämpfter klang und einige Männer, die an umstehenden Tischen saßen, sie mit scheelen Blicken musterten. Aber sie war nicht nüchtern und nicht halb so aufmerksam wie sie hätte sein sollen. "Hascht du dasch eben ernst gemeint?!", erhallte hinter ihr eine tiefe Stimme und Aramis bemühte sich nicht einmal darum, den Kopf nach dem Sprecher zu wenden. Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern und wandte sich erneut dem Wein zu, der noch immer vor ihr auf dem Tisch stand. Erst als eine geballte Faust auf die Tischplatte direkt vor ihrem Gesicht aufschlug und ihr Glas umfiel, sich ein Rinnsal roter Flüssigkeit seinen Weg über die Tischplatte auf den Boden bahnte, hob sie den Kopf an und starrte in ein paar trüber Augen. "Isch rede mit dir!", donnerte der Mann, der nach ihrer Schätzung gut zweimal so breit war wie sie selbst. "Und isch bin nischt taub!", gab sie aufbrausend zurück, nicht gewillt, sich länger mit diesem betrunkenen Störenfried aufzuhalten. ,Wie ironisch.', fuhr es ihr noch durch den Kopf, bevor etwas hartes auf ihr Kinn traf und samt ihrem Stuhl zu Boden schleuderte. Wie all ihre Gedanken, registrierte sie durch den dunstigen Nebel, dass ihre linke Schulter brennende Schmerzen aussandte und sie ahnte, dass sie wohl unglücklich gefallen war. Selbst die Tatsache, dass sie unachtsam und wegen ihres Stolzes nun in dieser Situation war, streifte ihre Wahrnehmung, wurde aber sofort verdrängt, als sie sich fluchend wieder auf die Beine rappelte. "Fasch misch nischt an, Schnapsfasch!", stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Es war doch die perfekte Gelegenheit, um ein wenig Dampf abzulassen. Sie hatte diesen Streit nicht begonnen... oder doch? Was kümmerte sie das in diesem Moment? Beleidigungen flogen kurzzeitig hin und her, bevor nur noch die Fäuste sprachen. Eine gewöhnliche Frau wäre unter den Hieben des schwereren Mannes wahrscheinlich bewusstlos geworden, bevor sie auch nur ein Wort hätte herausbringen können; eine Frau jedoch, die seid Jahren als Musketier unter Männern lebte, bewahrte sich auch in der Trunkenheit einen guten Teil der antrainierten Reflexe und Reaktionen. Wäre weniger Alkohol durch ihre Adern geflossen, hätte sie so manchem Hieb ausweichen und dafür mehrerer austeilen können, während sich ein Kreis von Männern um die Kämpfenden bildete, die rücksichtslos Tisch und Stühle und was ihnen gerade sonst noch im Wege war, zur Seite stießen oder umrannten. Aus dem Augenwinkel heraus, glaubte Aramis wahrzunehmen, wie einer der Tische, die sie in einem Ausweichmanöver umgeworfen hatte, zerbrach und hörte den Wirt laut schimpfen; er mischte sich jedoch nicht ein, wusste er es doch besser. *** Athos machte sich Sorgen. Er würde es niemals offen zugeben, aber er machte sich Sorgen um Aramis, die im Zorn davon gerannt war, wie ein verstocktes Kind - oder wie ein Mann, dessen Stolz man verletzt hatte, so musste er sich eingestehen. Und jetzt saß er am Kamin und starrte hinaus in den strömenden Regen, gegen jede Vernunft auf Hufgetrappel wartend, dass das leise Prasseln des Regens übertönen würde. D'Artagnan hatte ihn auf diesen Ruheplatz verbannt, nachdem er ruhelos auf und ab gewandert war. "Setz dich hin und mach uns nicht alle noch verrückt mit diesem ständigen Hetzgang!", hatte der junge Mann geschimpft und seine Augen verrieten, dass er selbst nicht sicher war, als er hinzufügte: "Ihr wird schon nichts passieren." Claude und Porthos beugten sich über die Reste des Abendessens und schwatzten, während D'Artagnan selbst Claudes Sohn dazu überredet hatte, eine Partie Schach mit ihm zu spielen. Treville hätte doch ahnen können, wie vertrackt diese Situation sein würde, wenn er Aramis zu Entscheidungen zwang, die sie nicht zu treffen bereit gewesen war. Dieser und ähnliche Gedanken bestimmten Athos' finsteres Grübeln, während er den Blick vom Fenster losriss, um ins Feuer zu starren ohne den Tanz der Flammen wirklich zu sehen. *** Sie hatte gewonnen. Wieder und wieder wiederholte sie diese Worte in ihren Gedanken und lächelte, obwohl ihr gesamter Kiefer dabei schmerzte. Aber was machte das schon? Ihr ganzer Körper schmerzte? Wieso sollte sie sich dann um den stechenden Schmerz in ihrer unteren Gesichtshälfte besonders kümmern? Die Möglichkeit in einen Spiegel zu blicken war ihr bisher zum Glück erspart geblieben. Dennoch hatte Aramis eine ziemlich gute Vorstellung davon wie sie aussehen musste. Aber sie hatte gewonnen, hatte den Mann, der sie so frech angepöbelt hatte, niedergestreckt und hoch erhobenen Hauptes, wenn auch mit taumelndem Gang, das Wirtshaus verlassen. Sogar auf den Wallach war sie alleine hinauf gekommen und ritt jetzt den Weg zurück zu Claudes Anwesen, wenn sie sich auch auf das Rückkehrverhalten des Tieres verlassen musste. Bäume und Sträucher huschten schemenhaft an ihr vorbei und sie erkannte kein Stück des Weges wieder. Es war ihr ein Rätsel, wie sie sich noch immer im Sattel halten konnte... eigentlich hatte sie sich nur eisern vorgenommen, soweit von der Spelunke fort zu kommen, um ihre Würde zu wahren und weiter hatte sie nicht gedachte. Als Sieger war sie aus dem Kampf hervorgegangen und sie hatte sich diesen Sieg nicht durch einen Sturz vom Pferd nehmen lassen wollen. Graue Umrisse erschienen vor ihr und da... stand dort nicht die Kutsche, mit der sie von Paris hierher gekommen waren? Ein Adrenalinstoss versetzte sie noch einmal in Hochstimmung, auch wenn sie zu betrunken war, um noch einen klaren, vernünftigen Gedanken zu fassen. "Isch hab gewonnen!" *** "Sie kommt!", sagte D'Artagnan, der insgeheim ebenfalls die Ohren gespitzt hatte und nur auf das regelmäßige Getrappel der Hufe gewartet hatte. "Soll sie nur kommen, ich hab ihr ganz schön was zu sagen!", grummelte Athos und starrte auf die Tür, die sich doch jeden Moment öffnen musste. Eine Minute verstrich, das Geräusch der Hufe war verstummt und nur das Prasseln des Regens, der auf aufgeweichte Erde traf, war zu hören. "Hmpf!" Eine weitere Minute verstrich und die Tür wurde noch immer nicht geöffnet. "Sollen wir nachsehen?", fragte D'Artagnan, der hinter diesem Verhalten in diesem Moment nicht mehr als Sturheit sah. Vielleicht war Aramis noch immer zornig und zog es vor, die Nacht im Stall bei dem Wallach zu verbringen, um der anstehenden Auseinandersetzung mit Athos aus dem Weg zu gehen. Es war bei ihrem temperamentvollen Wesen schließlich nicht vollkommen auszuschließen, dass sie kurzentschlossen reagierte und handelte. Das Licht, das durch das Fenster des Aufenthaltsraumes nach draußen drang, und sicher vom Hof aus zu sehen war, hatte sie - so vermutete D'Artagnan - wohl dazu veranlasst, nicht ins Haus zu kommen. Noch bevor er seine Frage wiederholen konnte, stapfte Athos auf die Tür zu, zog sie auf und ein Schwall kalten Regens traf ihn ins Gesicht, ließ ihn blinzelnd und nur verschwommen sehend zurück. Aber jetzt, da die Tür die Geräusche des Hofes nicht mehr dämpften, hörte er, vermischt mit dem Geräusch des Regens, das helle Lachen einer Frau. Und ein Schatten schien sich zu bewegen, in der Mitte des Hofes, mehr oder weniger auf kleiner Fläche rotierend und erst als er genauer hinsah, erkannte er, dass die in einen Mantel gehüllte Gestalt niemand anderes als Aramis war, die sich mit ausgebreiteten Armen ständig im Kreis drehte und lachte. "Ist sie übergeschnappt?", flüsterte Porthos neben ihm, ohne dass Athos ihn neben sich treten gehört hatte. "Aramis!", schrie er gegen den Regen an und trat ebenfalls hinaus auf den Hof, als sie nicht reagierte. Er wiederholte ihren Namen, aber erst als er nahe genug heran war, um den von Regen und Wind gedämpften Geruch des Alkohols wahrzunehmen und den entrückten Blick sah, hielt sie in der schlingernden Kreisbewegung inne, heftig schwankend und um Gleichgewicht ringend. Ein nachdenklicher Ausdruck schlich sie auf ihr Gesicht, während sich ihre Augen zu Schlitzen verengten, so als müsse sie angestrengt nachdenken, bevor sich erneut ein entrücktes Lächeln ausbreitete. "Isch hab gewonnen!", verkündete sie stolz, lallend, noch immer torkelnd. "Was zum...", setzte er erneut an. "Du riechst ja wie ein Schnapsfass!" Zum ersten Mal schien sie ihn wirklich wahrzunehmen, kniff die Augen zusammen und erwiderte so ernsthaft wie möglich: "Rotwein." "Es ist mir gleich, mit was du dich so zugerichtet hast!" Aber sie war schon wieder der Ernsthaftigkeit entfleucht und kicherte. "Mir eigentlisch ausch." "Was ist nur in dich gefahren?!" Ungläubig starrte er Aramis an, die sich inzwischen in einem nicht enden wollenden Lachkrampf schüttelte, dich Athos wetterte ungehemmt weiter. "Wie siehst du überhaupt aus? Hast du dich geprügelt?!" Das Lachen erstarb und sie sah ihn mit einem sonderbaren Blick an, erhob die Hand und führte den Zeigefinger der linken Hand nahe vor sein Gesicht. "Gansch genau, mein Freund. Isch hab den wohl schmierigschten Menschen im Umrkeisch von Meilen für einige Zeit insch Land der Träume geschickt." "Sie ist einen Tag hier und prügelt sich in einer Spelunke.", lamentierte Porthos und schüttelte amüsiert den Kopf. Aramis war doch immer wieder für eine Überraschung gut. "Hey, dasch war nischt meine Schuld! Isch hab nur einen Trinkspruch..." "Und was um alles in der Welt hast du gesagt?", fragte D'Artagnan, der sich nur darüber wundern konnte, dass die junge Frau noch nicht bewusstlos zusammengebrochen war. Sie sah exakt so aus wie ein junger Bursche, der nach seiner ersten Prügelei ernsthaft verletzt nach Hause gestolpert kam ohne die Tragweite seiner Verletzungen wirklich zu begreifen. Der Alkohol mochte die Schmerzen im Moment betäuben und ihr die Sinne vernebeln; nichtsdestotrotz würde ihr geschundener Körper früher oder später eine Auszeit, eine Pause verlangen. "Isch hab geschagt: !" Wieder begann sie zu lachen und Athos begann die gesamte Situation als eher unheimlich anzusehen. "Es wundert mich, dass man dich nicht erschlagen hat.", murmelte Athos und schüttelte den Kopf. "Wer hat geschagt, dasch sie esch nischt versuscht haben?" Wieder dieses Kichern, hoch und unnatürlich, aber das mochte vom Alkohol herrühren. "Die bessere Frage wäre: Wie bist du in einem Stück wieder hierher zurück gekommen?", warf Porthos ein, sich zwischen die beiden Streitenden stellend, von denen der eine noch immer wütend und die andere vollkommen weggetreten war. "Weisch isch ausch nischt. Frag mal den da.", mit einem leichten Nicken in Richtung des Wallachs und einem Grinsen auf dem blassen Gesicht sprach sie noch immer verworren. "Ich kann es nicht glauben!", keuchte D'Artagnan, scheinbar auch langsam belustigt. Noch nie hatte er Aramis so ausgelassen erlebt und auch wenn er die Ursachen dieser flüchtigen und künstlichen Heiterkeit nicht guthieß. Aber wie sie Athos auf die Palme brachte ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. "Das ist nicht lustig!", warf Athos ein und musterte Aramis besorgt. Sie hatte Mühe sich gerade auf den Beinen zu halten - ihr Blick suchte immer wieder einen unsichtbaren Punkt im dichten Regen und das leise, grundlose Lächeln auf ihren Lippen ließen die Situation noch grotesker wirken. "Ich bring sie jetzt ins Haus und ich hoffe, dass Claudes Frau noch wach ist - ich bring sie nämlich nicht auch noch ins Bett!", schimpfte Athos und versuchte Aramis am Arm zu fassen, um sie ins Haus zu führen. "Isch kann alleine gehen!", stammelte sie und wich seinem Arm aus, mit weiten, wankenden Schritten und wäre beinahe vornüber im schlammigen Boden versunken, hätte Athos sie nicht im letzten Moment zurück auf die Füße gezogen. "Das sehe ich.", murmelte er, doch Aramis entging die Spitze in diesen Worten und so nuschelte sie bloß: "Siescht du! Isch kann alleine gehen - isch lasch mir nur helfen, weil du disch so gern alsch Held siescht." *** Der kurze Weg zurück ins trockene Innere des Hauses erwies sich als eine größere Herausforderung als die Musketiere angenommen hatten. Aramis war kaum in der Lage selbstständig zu gehen, ließ sich aber auch nicht richtig stützen und so wurde aus der gut gemeinten Hilfe ein Ziehen und Schieben, das von Aramis mit wilden Worten quittiert wurde. "Selbst die Straßenjungen von Paris können nicht so fluchen wie dieses Weib!", stieß Porthos hervor und schloss die Tür hinter sich. "Pasch auf wasch du schagscht, Porthos! Isch kann disch schehr wohl hören!" Claudes Frau trat gerade aus dem Aufenthaltsraum und strahlte. "Da sind sie ja! Ich habe den jungen Mann gerade herunter geführt! Er sieht aus wie ein richtiger Edelmann! Kommen...", mitten im Satz hielt sie inne und erstarrte, als sie Aramis erkannte. "Oh, was hast du dir nur angetan, mein Kind?! Du riechst als hättest du in Wein gebadet und wie du aussiehst! Fast so schlimm wie der junge Mann vorhin... wo hast du dich nur herumgetrieben?!", ereiferte sie sich. "Esch war nischt meine Schuld.", gab Aramis ungewöhnlich kleinlaut zurück. Vielleicht war es der vertrauliche Ton, den die Frau gewählt hatte, vielleicht auch nur die bloße Situation. Aber die Züge der jungen Frau wurden für einige Sekunden weicher, während sie sich entschuldigte. "Ist meine freundliche, liebendwürdige Heldin zurück?", erklang Phillippes leises Gelächter, als auch er den Aufenthaltsraum verließ und sich zu der kleinen Menschenansammlung gesellte. Ein breites Lächeln lag auf seinem Gesicht und zuerst bemerkte niemand, dass Aramis blass und stumm geworden war. Die arme Aramis konnte ja nicht wissen, dass gewisse andere Musketiere mit gewissen Informationen vertraut waren. Für sie kam diese Situation mit der Wucht eines Faustschlages auf sie zu und sie konnte nicht ausweichen. "Isch musch übergeschnappt schein.", murmelte sie und rieb sich ungläubig die Augen. "Oder isch träume und wache gleisch in meinem Bett auf und allesch ischt nischt passchiert..." "Was hat sie denn?", fragte Phillippe und musterte die junge Frau ebenso ungläubig wie sie ihn. "Ist sie betrunken?" "Wenn dasch nischt König Louis ischt...", waren die einzigen Worte, die sie noch hervorbrachte, bevor sie nach vorne und direkt in Phillippes Arme sank. "Mademoiselle!", stieß er hervor, doch Porthos schnaubte nur und sagte: "Sie ist nur ohnmächtig geworden - bis morgen hat sie ihren Rausch hoffentlich ausgeschlafen, aber ich bezweifle, dass es ihr dann viel besser gehen wird..." "Soll ich sie nach oben tragen?", fragte Phillippe und starrte auf das Gesicht der jungen Frau, deren Züge vollkommen entspannt waren. ,Sie ist wunderschön.', schoss es ihm durch den Kopf. "Ja, komm, mein Junge. Bringen wir sie nach oben in ihr Bett und dann sollten wir alle ein wenig Schlaf bekommen." Claudes Frau stieg die Stufen resolut empor und Phillippe folgte ihr. Den stechenden Blick, den Athos ihm dabei zuwarf, bemerkte er nicht. *** Der Geruch von Alkohol und Rauch hing noch immer in der Luft, als Aramis am nächsten Morgen mit pochenden Schläfen und hämmernden Kopfschmerzen erwachte. Das leise Vergessen, flüchtig, trügerisch und schädlich, war vergangen. Was ihr blieb waren die Auswirkungen einer durchzechten Nacht und ein ziemlicher Filmriss. Verschwommene Erinnerungsfetzen waberten durch ihre Gedanken: eine Frau, die im Regen tanzte, harsche Worte, Gelächter... Mit der rechten Hand rieb sie sich das schmerzende Kinn. Zwei und zwei zusammen zählend entschied sie, dass sie wohl oder übel in eine Prügelei hineingeraten, wenn nicht sogar eine angezettelt hatte. Wie sie zurück gekommen war... es war alles zu weit weg, um es jetzt noch fassen zu können. Und vielleicht war das auch gut so. Rücksichtslos wurde an ihre Zimmertür geklopft - wie sie vermutete mit der geballten Faust geschlagen und sie sollte Recht behalten. Kurz darauf erklang Athos wenig freundliche Stimme, die ihr zu verstehen gab, dass sie sich im unteren Stockwerk einfinden sollte. Mehr als eine einzige bissige Bemerkung lag ihr auf den Lippen. Sie wollte, dass er sie in Frieden wieder ins Land der Träume zurückkehren ließ, bis diese Kopfschmerzen vergangen wären, wollte, dass sie nicht ins Tageslicht blinzeln musste, was zweifelsfrei noch mehr Kopfschmerzen verursachen würde und vor allem war sie nicht gewillt sich jetzt einer Strafpredigt ihres alten Freundes zu stellen. Beinahe hätte sie sich einfach wieder hingelegt um weiter zu schlafen, doch eine kleine Stimme, die leise im hinteren Teil ihres Kopfes an ihr nagte, brachte sie dazu sich auf die Beine zu kämpfen und angewidert das Gesicht zu verziehen, als sie bemerkte, dass sie tatsächlich so mitgenommen aussah wie sie sich fühlte. Sie hatte in den Kleidern geschlafen, die sie am Vorabend getragen hatte und wog zwei Möglichkeiten ab. Nummer eins: Die Kleidung wechseln und mit der daraus folgenden Verspätung noch mehr Athos Zorn anzustacheln. Nummer zwei: Ohne die Kleidung zu wechseln nach unten zu gehen. Tja, ein wenig Eitelkeit mochte ihr an diesem Morgen gestattet sein und so gewann die erste Wahlmöglichkeit mit Abstand. Athos war ohnehin schon zornig - sein Zorn konnte sich zwar noch steigern, aber was machte das schon? Ihr würde ohnehin der Kopf platzen, wenn er zu einer langen Rede über ihr ungebührliches Verhalten ansetzen würde. Sie warf einen kurzen Blick in die Kleidertruhe und entschied sich für ein Kleid in einem satten Violet. *** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)