Der Kreis schließt sich von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 1: Nächtlicher Spaziergang ---------------------------------- Athos stand lange in der Dunkelheit und tat nichts, als zum Fenster hinauf zu starren. Um ihn herum war es still. Das riesige Tier Paris, mit seinen vielen Stimmen und Lauten, hatte sich zur Ruhe gebettet. Der Abendwind trieb den Hauch von frischer Luft durch die schmalen Gassen der Hauptstadt, welche gesättigt mit dem Aroma von Abfällen, verbrannten Fett, Urin, tierischen, wie menschlichen Ausdünstungen war. Er schmiegte sich eng in den Schatten, dass seine Gestalt mit der Dunkelheit verschmolz. Nur sein gleichmäßiger Atem war zu hören. Irgendwo schrie ein Nachtvogel und eine Katze miaute. Wer die Augen des stillen Musketiers gesehen hätte, wäre über die Traurigkeit, die in seiner Tiefe lag, erschrocken gewesen. Die Straße und eine Mauer aus Stein stand zwischen ihnen und doch fühlte er sich der Person, die dahinter schlief nahe, wenn er zu dem Fenster hinaufstarrte. Er verstand seine Gefühle nicht. Sie bereiteten ihm Unbehagen und Angst und darum vermied er es, sie in Worte zu fassen. Aber tief ihn ihm, konnte er nicht verleugnen, dass sie da waren. "Was machst du hier?" Erschrocken fuhr Athos herum und er glaubte das Herz würde ihm in der Brust stehen bleiben. "Aramis?" Mehr war er nicht fähig zu äußern. Sonst fehlten ihm nie die Worte. Athos gehörte zu den Menschen, die sorgfältig durchdachten, was sie äußerten, bevor sie sprachen. Da sein Geist erheblich reger und von schnellerer Auffassungsgabe, als den der meisten Menschen war, fiel dies kaum seinen Gesprächspartnern auf. Aber angesichts des plötzlichen Auftauchens seines Freundes, war sein Gedächtnis wie ausgelöscht. Er fühlte wie sein Herz in seiner Brust schneller schlug und wie Mücken in seinem Nacken surrten und kribbelten. Sein Freund sah in einfach nur an. Er konnte die Farben seiner Augen nicht in der Dunkelheit erahnen, aber er erinnerte sich an zwei unglaublich helle Augen, wie der Himmel und das Meer. "Und?" Neugier schwang in Aramis Stimme und leichte Ungeduld. "Ich konnte nicht schlafen und bin spazieren gegangen", sagte er schließlich und fühlte den Kloß in seinem Hals rutschen. "Und dann bin ich auf einmal hier gelandet und habe mich gefragt, ob du schon schläfst." "Oh, diese Frage kann ich dir beantworten", erwiderte Aramis vergnügt. "Nein!" Aramis seufzte und folgte seinem Blick zum Schlafzimmerfenster. "Ich auch nicht und Paris riecht einfach besser in der Nacht. Die Stadt ist dann ganz still und leer. Man vergisst fast, wie viele Menschen hier wohnen. Möchtest du mit rein kommen? Vielleicht macht ein Glas Wein uns müde?" Athos nickte, obwohl sein Verstand ihm sagte, dass er umdrehen und gehen sollte. Egal wohin, nur nicht dorthin, wohin ihn sein Herz ohne sein Zutun hinzog. Beide betraten Aramis Stube und setzten sich. Aramis war glücklich, Athos ungestört um sich zu haben. Es war eine stille Freude, die sie nur mit sich selbst teilte. Ihr Geist war ungebunden und musste nur die Ängste und Zweifel, die ihre Verkleidung mit sich brachte, überstehen, aber nach fast sieben Jahren als Musketier, war nur noch ein geringer Teil von ihr auf der Hut. So lang sie als Mann und Musketier weiterhin bestand, konnte sie Athos Gegenwart und Freundschaft ungestört genießen und davon in Träumen zerren. Anstatt mit ihrer unerwiderten Liebe zu hadern, fand sie etwas unglaublich schönes darin, wovon sie ihre Kraft speiste. Die Tage waren strahlender, jetzt da sie wieder liebte. Als Frau, so musste sie sich offen eingestehen, hätte er sie wahrscheinlich kaum beachtet, aber als Mann, konnte sie sein Freund sein und solange gehörte er ihr. Und das machte sie zufrieden. Es war ein heißer Sommer und für jemanden wie Aramis eine weitere Prüfung. Ihre Verkleidung verlangte Kleidung aus festem, unverräterischen Stoff. Es musste kein Feuer im Kamin entzündet werden. Das gleichmäßige Flackern einer Kerze reichte. Sie saßen nebeneinander am Tisch, tranken Wein und unterhielten sich. Die lange Zeit ihres Zusammenseins, erlaubte ihnen ganz seicht in ihre persönliche Vergangenheit zu tauchen. "Ich war heute in der Kirche", sagte sie leise und erschrak über sich selbst, weil sie das Thema angeschnitten hatte. "Und?", fragte Athos nicht weniger erschrocken. Gestand er sich doch selbst nicht zu, was er dem Beichtvater versucht hatte anzuvertrauen. Auf keinen Fall, wollte er daran erinnert werden. Weshalb war Aramis dort gewesen? "Was hast du gesucht?" Sie zuckte die Schultern. "Vergebung?", erwiderte sie leichthin. "Hast du sie gefunden?" Aramis lächelte still. "Nein. Keine Buße kann das." Kein Ave Maria und kein kleines Vermögen in Silbermünzen, dachte sie und die Last ihrer Verstellung und Lügen lag schwer auf ihr. Als Mädchen hatte sie ohne bedenken der dunklen Stimme hinter den Gittern des Beichtstuhls geglaubt. Dieser körperlosen Stimme im geheimnisvollen Dunkeln. Doch jetzt, als erwachsene Frau? Wie konnte sie nur so dumm sein, anzunehmen, dass ein fremder Priester, ihr die Schuld nehmen konnte. Jetzt, da ihre Rache an Francois Mörder vollzogen war, hatte sie kein Grund als Musketier in Paris bleiben. Doch wohin? Die Kirche gab ihr darauf keine Antwort. Nicht der Priester, noch Gott. "So viele Sünden?" "Die eines ganzen Lebens." Sie lächelte erneut. "Ist das verwunderlich bei einem Musketier? Ich war das letzte Mal in der Kirche, als ich noch bei meinem Vormund lebte." Athos sah sie überrascht an. "Deine Eltern leben nicht mehr?" "Nein", gestand Aramis. "Sie starben, als ich noch ein Kind war. Mein Onkel zog mich groß." "Dann bist du ein Einzelkind." Sie nickte und seufzte. "Wie sehr habe ich mir eine große Familie gewünscht. Mit vielen Geschwistern und Verwandten. Meine Tante starb auch recht früh und so waren wir beide alleine." Der Schein der Kerze zeichnete Aramis Züge weicher. Athos nickte. "Meine Eltern bekam ich kaum zu Gesicht. Ich habe eine Schwester, aber sie lebte in ihrer Welt und ich in meiner." Während Athos von seiner Familie erzählte, beobachtete sie ihn. Die gleichmäßigen Züge, eingerahmt von vollem dunklem Haar, die grauen Augen unter den gebogenen Brauen in einem ovalen Gesicht mit kantigem Kinn. Ihre Augen streichelten seine Züge. "Jungen und Mädchen sind zu verschieden." Sie stützte den Kopf in die Hand. "Glaubst du das wirklich?", fragte sie beunruhigt. "Sie hatte ihre Kleider, ihren Unterricht in Tanz, gutem Benehmen und Konversation und ich hatte Fecht- und Reitunterricht." "Das ist, weil Männer und Frauen unterschiedlich aufwachsen. Würden Frauen mehr die Dinge der Männer tun, würde man sehen, dass beide gar nicht soweit entfernt sind." Mit angehaltenem Atem wartete sie auf seine Antwort. "Das mag gut möglich sein." Er lächelte entschuldigend. "Aber bislang traf ich noch keine, die so war. Leichter ist es mit Männern zu reden. Keine Frau kann das gut machen, was zwischen zwei Männern und einer guten Flasche Brandwein läuft", sinnierte er, aber Aramis hörte es nicht mehr. Ihr Kopf knickte weg und sie schlief ein, in der weichen Beuge ihres Armes. "Aramis?" Er seufzte. "Ich bin ganz deiner Meinung, was diesen Teil unseres Gespräches betrifft." Der Atem ging gleichmäßig. Wie von selbst streckten sich seine Finger aus "Das darf nicht sein", flüsterte er, während seine Hand, eine Locke aus ihrem Gesicht strich und wie verbrannt zog er sie zurück. Fluchtartig verließ Athos die Wohnung seines Freundes und stürzte in die Nacht hinaus, die für seinen Geschmack viel kälter sein müsste. Das Geräusch der zuschlagenden Tür weckte Aramis und sie lief zum Fenster. Von dort aus, sah sie ihm nach, obgleich sie wegen der Schwärze der Nacht kaum mehr als einen wagen Schatten erkennen konnte. Würde die Liebe sich jemals legen, wenn sie unerwidert blieb? Würde aus verzehrendem Sehnen, Zuneigung in Freundschaft werden? Oder würde dieses Feuer der Begierde, der Schmerz der unerfüllten Liebe, die Sehnsucht nach einer Berührung und das Surren im Nacken sie ständig begleiten? Hätte Athos für sie Interesse gezeigt, wenn er sie als Frau kennen gelernt hätte? Wie würde er sie als solche sehen, wenn er ihr wahres Geschlecht kannte, - als potenzielles Ziel amouröser Absichten oder gar als jemanden an seiner Seite? Aramis seufzte schwer. Was nützten diese Fragen, da es gar nicht erst passieren durfte, dass er sie als was anderes wahrnahm, als Aramis den Musketier. Ihre Freundschaft hätte ein Ende. Für ihn war und blieb sie ein Mann, auch wenn das Kribbeln auf ihrer Haut, bei jeder noch so kleinen Berührung zeigte, dass ihr Körper das nicht zu begreifen schien. Was tat er da, fragte er sich, während er durch die Nacht lief. Schwermütig fuhr er mit der Hand durch das Haar. Das was er hier tat, war nichts unrechtes oder gar verwerfliches. Nichts womit er sein Gewissen belasten musste. Sein Kollege und Freund trank mit ihm. Und dennoch ... Porthos und D'Artagnan tauchten nicht in seinen Träumen auf. Die beiden weckten keine Sehnsucht in ihn, obwohl sie ihm am Herzen lagen. Wann hatte das angefangen? Wann war seine Beziehung zu Aramis kompliziert geworden? Nein, nicht kompliziert, musste er sich berichtigen, beängstigend, für ihn widernatürlich, weil Aramis ein Mann war. Ab wann wollte er ständig in der Nähe seines Freundes sein und ihn berühren? Gefühle, die er nur einer Frau entgegengebracht hätte, brachte er einem Mann entgegen. Er widerte sich fast selbst an, mochte kaum über sich nachdenken oder gar in den Spiegel sehen. Jahrelang hatte er Aramis nur als Kollege und Freund gesehen und dann war ein Tag wie jeder andere, einfach ein Tag zuviel gewesen. Athos lief schneller. An der Rue de Fossiliè eilte er an Damen des käuflichen Gewerbes in knapp sitzenden Kleidern mit üppigem weißgepuderten Dekollete und grell geschminkten Gesichtern vorbei. Manch eine verbarg das Kratzen oder einen keuchenden Husten. Syphilis mochte kein Kunde als Zugabe haben. Betrunkene, lüsterne Kunden räumten ihm widerwillig den Weg. Verdammt, dachte er, er war doch ein gesunder Mann, mit gesunden Gelüsten gewesen. 29 Jahre war er es wenigsten gewesen. Athos lief immer schneller. Er hatte versucht gegen sein Herz anzukämpfen, wollte es sich herausreißen und vergessen. Verdammt, aber auch. Zuneigung oder gar einfach nur Liebe wären ja noch angegangen gewesen. Er rannte fast. Häuser, Gassen, die wenigen Menschen auf den Straßen flogen an ihm vorbei. Aber Begehren und körperliches Sehnen waren zuviel. Nun rannte er wirklich, kraftvoll und mit tiefen Atemzügen, bis seine Gedanken ruhiger wurden. Zwischen der Rue de Roi und dem Point Saint Michel, wo tagsüber die Blumenhändler standen und ein Meer von Farben dem Käufer anboten, wo am Markt zwei Straßen weiter die Fischweiber, Obstverkäufer und Rattenfänger nach Abnehmern schrieen, schwor er sich vor, das das aufhören musste. Gleich Morgen, wenn er wieder Aramis Nähe suchte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)