Der Kreis schließt sich von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 6: Karneval ------------------- Der König lud sein Volk zum Karneval ein. Im mittelalterlichen Europa feierte man - zwar in Kirchen, jedoch nicht kirchlich - „Narrenfeste“, vom 12. Jahrhundert bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, um den Epiphaniastag (6. Januar) zu ehren. Aber das ein König seine Stadt zum Maskenball einlud, war neu. Es würde reichlich Gesprächsstoff geben. Es war der Sommer 1627 in Frankreich. Der Kaiser des römisch-deutschen Reiches befand sich mit Christian IV. König von Dänemark im Krieg. Seit fast zwei Jahrhunderten brachte das österreichische Herrschergeschlecht die Habsburger, den römisch-deutschen Kaiser hervor. Ein weiter Zweig der Familie regierte Spanien und herrschte zudem über die Niederlande. Vom immer größer werdenden Machtbereich der Habsburger, fühlte sich nun auch Frankreich bedroht. Aber Frankreich konnte zu dieser Zeit nur auf die Zeit hoffen. Noch war seine Flotte zu schwach und es stand keine ausreichende Armee zur Verfügung. Deshalb versprach Richelieu dem schwedischen König Geld und Unterstützung und während seine tapferen Schweden die Habsburger beschäftigten, begegnete man der Bedrohung von Außen, mit einer saloppen Geste der Unbekümmertheit von Innen. Frankreich war offiziell noch im Frieden. … Und ganz Paris sprach davon. Für das gemeine Volk sollte die Arbeit für diesen Tag ruhen. Wenige Wochen vor Beginn des Festes, begannen Handwerker mit der Arbeit an Tribünen und Schaubuden. In den Künstlerwerkstätten, bei den Schneidern und Hutmachern war man emsig am Werk. Die Aufträge häuften sich. Auf der Seine staute es, als Kolonnen von Lastbooten zusätzliche Lebensmittel in die Stadt brachten. Menschen aus dem ganzen Land reisten an. In Herbergen und Gasthäuser war jedes Zimmer, jeder Stallwinkel belegt. Die Rue de France sollte zur Festallee werden, die Gärten der Tullerien zum Tanzplatz, entlang der Seine wurden Handelsstände von der Voie Georges Pompidue bis zum Quai de Bercy errichtet. Der König rief und Gauklergruppen, Schauspieler und Sänger kamen. Selbst ein fahrender Zirkus schlug sein Zelt unweit des Place de Victories auf. Der Adel plante prächtige Bälle und der König versprach Musik, Feuerwerk und ein rauschendes Fest im Louvre. In der ganzen Stadt steckten Gruppen junger Menschen die Köpfe zusammen, die Alten schlugen die Hände über den Kopf zusammen, der Klerus schüttelte missbilligend den Kopf und der Finanzminister ergraute über Nacht. Die glücklichsten Menschen der Stadt waren zweifellos die Bankiers. Frankreichs Nonchalant verschlang die Geldreserven des Staates. Als Monsieur Bonacieux am Morgen des Festes vor die Tür trat, kostet es ihn einige Lebensjahre. Aus dem Nichts sprang ihn ein Mann von grausigem Äußeren an und brüllte wie ein Wahnsinniger. Gemeinerweise hatte der Unbekannte einen Mordsspaß, während Monsieur Bonacieux kurz vor einem Herzinfarkt stand. Monsieur Bonacieux bekam den Schreck seines Lebens. Dem tapferen Schneider schlotterten die Knie, während er verschreckt aufquietschte. Von dem Geschrei angelockt, kamen D`Artagnan und Jean heraus, während sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Fenster öffnete und jemand schlecht gezielte Tomaten auf sie warf. Jean nahm Anlauf und sprang dem Unbekannten auf den Rücken, während sich D`Artagnan von vorne gegen ihn warf. Der grausige Unhold rang nun mit zwei Angreifern und einen ganzen Eimer fauler Kartoffeln, welche nun aus dem gegenüber liegenden Fenster hagelten, da die Tomaten ausgegangen zu sein schienen. Eine zeitlang rang er mit seinen beiden Angreifern, die wie lästige Blutegel an ihm klebten, dann rief er: „Aufhören!“ Die Stimme klang gedämpft. D`Artangna stutzte und ließ von dem schaurigen Mann ab, um ihn genauer zu betrachten. Seine Kleidung war zerschlissen und staubig. Haarreste bedeckten einen fast kahlen Schädel, dessen dünne graue Haut sich wie eine Membrane über einem dichten Netz aus dicken Venen spannte. Das Gesicht war von Narben und Beulen entstellt. Er stutzte. Es war eine Maske. Eine täuschend echte Maske, aber eine Maske. „Porthos?“ „Toll, nicht wahr“, erklang eine Stimme, mit der Resonanz eines Eimers und Porthos nahm stolz die Maske ab. „Von Monsieur Simon, fürs Theater normalerweise.“ Sein echtes Haar klebte ihm schweißnass im Nacken. Monsieur Bonacieux hielt sich noch immer zittrig an seinem Türrahmen fest. Um ihn herum lagen Kartoffeln und Tomaten. Er starrte reichlich schockiert den Musketier an, unfähig ein Wort zu sagen. Porthos zeigte indes stolz seine Maske den beiden Jungen. „Der Mann ist ein Genie. Seht nur die Venen und Beulen. Ihr habt es für echt gehalten, gebt`s zu!“ Der Stolz in Porthos Augen hatte die Leuchtkraft von zwei 60 Volt Scheinwerfern. „Monsieur Porthos“, entfuhr es dem alten Schneider schockiert und er griff sich an sein Herz. „Oh Bonacieux, wieso halten Sie sich an Ihrem Türrahmen fest“, dröhnte Porthos fröhlich. „Oh keine Angst. Heute Abend ziehe ich den neuen Wams an, den Sie extra für mich gemacht haben, versprochen.“ Und er hieb ihm fröhlich auf die Schulter. Bonacieux sah ihn verwirrt an, erntete aber nur ein selbstzufriedenes Grinsen. „Jetzt gehe ich Aramis suchen und erschrecke ihn derart, dass er sich in die Hosen macht, das Milchgesicht.“ „Warum das?“, wollte D`Artagnan wissen. Porthos blinzelte verwundert. „Warum nicht, das ist doch lustig? Es ist Karneval, da haben alle Spaß.“ „Und wie willst du Aramis finden? Ganz Paris feiert. Ich meine, alle sind verkleidet, oder haben sogar Masken auf. Er könnte praktisch überall sein." "HA-HA", brüllte Porthos triumphierend und wedelte mit einem weißen Tuch vor D´Artagnans Nase. "Damit!" "Damit?" "Ja, damit“, und sein Gesicht leuchtete vor Übermut. „Ein Rotztuch von Aramis. Ja, ich habe vorausgedacht", erklärte er und setzte einen Gesichtsausdruck auf, von dem er glaubte, es wirke gerissen. "Du klaust Aramis sein Taschentuch?", fragte D Artagnan zweifelnd. "Glaubst du, er sucht danach und kommt zu dir?" "NNNNNNNNnnnein", donnerte der Untote und zog das Nein in die Länge. "Rosinante wird ihn für mich finden." "AAAAAAAAAAAA", schoss D`Artagnan hinterher und holte mit einem langestreckten Ah auf. "Ja, dank der ausgezeichneten Nase deines putzigen Pferdchens, finden wir Aramis." Das putzige Pferdchen holte aus und stellte die Vorderhufe auf Porthos Zeh ab. Dieser verzog leicht die unteren Gesichtszüge und trat zurück. Aramis lief in Richtung Louvre. Sie war nervös. Ihre Sohlen klapperten hohl über das grobe Pflaster der Straße. Nur noch über die Point Neuf, dann war sie dort. Die blaugrauen Mauern des Königspalastes tauchten vor ihr auf. Sie wusste, dass die gehobene Klasse der Pariser Bürger sich in den Gärten der Tuileries zum Feiern eingefunden hatte. Ganz Paris war ein Straßenfest, doch man suchte auch verborgen hinter Kostümen und Masken Seinesgleichen und wo strahlte der Glanz heller, als beim König selbst. Sie rannte jetzt die Rue de Rivoli entlang. Seit der Mittagsstunde feierte das Volk. Vormittags hatte sie ihren Dienst beim König versehen und ihn auf seinen offiziellen Gängen schützend begleitet. Für den Nachmittag hatten die vier Musketiere frei. Die Garde des Kardinals schützte das Königsarenal. Sie wusste, dass Athos sich mit Diana de de Claivice traf, so wie fast jeden Tag seit den letzten Wochen. Ein Stich der Eifersucht stach in ihren Herzen. Bevor Porthos fragen konnte, war sie nach Hause geeilt und hatte sich umgekleidet. Die Turmglocke von Notre Damm schlug die zweite Nachmittagstunde. Aramis war aufgeregt. Sie trug seit über sieben Jahren zum ersten Mal Frauenkleider und fühlte sich merkwürdig schutzlos und nackt. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Die Handflächen waren kalt und klamm, obwohl ihre Haut vor Hitze glühte. Noch hielt sie die Maske in der Hand. Ansonsten sah sie aus wie eine gewöhnliche Schankmagd. Das Hemd schloss am Hals, darüber trug sie ein rostrotes Mieder mit gleichfarbenen Rock. Ihr Kleid war schmucklos und unscheinbar. In der Masse der exotischen Kostüme fiel sie nicht auf. Aramis wollte nur kurz gucken gehen, nur ein wenig sich ihm nähern. Sie wollte ja gar nichts. Sie wollte nicht erkannt werden, sie wollte nicht mit ihm tanzen oder gar reden. Es würde nur Spaß sein. Für Athos würde sie Aramis der Musketier bleiben. Ein Mann, ein Freund, ein Arbeitskollege. Niemals würde sie das aufs Spiel setzen. Ein gefühlsdusliger Teil von ihr, wollte sich nur einmal im Kleid, als Frau, Athos nähern. Die Maske würde sie verbergen. Er würde gar nicht wissen dass sie es war. Dort waren die Gärten der Tuileries. Bunte Papierlampions hingen von Ast zu Ast und säumten die Köpfe der Feiernden. Blumenbuketts schmückten steinerne Amphoren, Diener eilten mit Platten von Leckerein umher. Ihr Herz klopfte schneller. Fast wäre sie über den ungewohnten Rocksaum gestolpert. Fahrig fuhr sie sich über den Sitz ihrer Frisur. Die Menschen tanzten einen Reigen. Eine wogende Masse aus ineinandertanzenden Ketten. Sie setzte die Maske auf. Das Spiel begann. Athos tanzte mit Diana. Keinen Reigen, sondern eine langsame Paarschrittfolge. Aramis Blick folgte jeden ihrer Bewegungen. Gräfin de Claivice sah so schön, so bezaubernd aus. Sie trug keine Maske und ihre Augen hingen an Athos Gesicht. Sie gingen auseinander. Zwei Schritte, sie trafen sich wieder, ihre Hände berührten sich, ihre Blicke fanden sich. Aramis näherte sich ihnen ohne ihr Zutun. Sie sah jeden zärtlichen Blick, jede zarte Handberührung und spürte die Eifersucht in ihr Herz stechen. Eine Drehung, zwei Schritte seitwärts, zwei Schritte zurück, ein Blick in ihre dunklen Augen, mit vier Schritten sie umrundet, ein tiefer Blick in seine grauen Augen. Der Tanz der Beiden war nicht für Außenstehende bestimmt. Aramis bemerkte nicht die Hand, die sich zur Tanzaufforderung ihr entgegenstreckte. Sie spürte nicht, wie man gegen sie stieß und ihr etwas zurief. Sie sah nur die beiden. Ihre Kehle wurde trocken und sie schmeckte die bittere Galle. Er würde sie nie so ansehen. Warum ging sie nicht oder sah wenigstens weg? Der tanzende Reigen zerrte seine gefangenen Tänzer durch die geordneten Reihen der Tanzpaare. Mit munteren Zurufen durchbrachen sie die sorgsamen Formationen und hüpften fröhlich zwischen die einzelnen Paare und trennten sie. Doch wer wollte es ihnen an solch einem Tag übel nehmen? Lachend nahm Athos Dianas Hand und führte sie fort. Dabei legte er zärtlich den anderen Arm um ihre Taille und zog sie damit an sich. Die Gräfin lächelte versonnen und lehnte den Kopf an seinen Arm, dass das dunkele Braun ihrer Haare sich wie ein Schleier auf seiner Schulter ausbreitete. Eine kalte Hand griff nach Aramis Herz und drückte zu. Athos hob den Blick und sah eine Frau, die unbeweglich in der Menge stand und in ihre Richtung sah. Sie war ungewöhnlich hochgewachsen und strahlte Einsamkeit und Trauer aus. Diana flüsterte ihm etwas ins Ohr und er spürte ihren süßen Atem auf seiner Wange. Als er hochblickte, sah die Frau noch immer unverwandt zu ihnen. Sie trug eine Maske und doch kam sie ihm vertraut vor. Plötzlich passierte alles gleichzeitig. Athos sah in ihre Richtung. Aramis bekam einen Stoß in den Rücken, der sie zwei Schritte näher taumeln ließ. Jemand griff lachend um ihre Taille und riss ihr die Maske vom Gesicht. Erschrocken starrte Aramis in das fröhliche Gesicht des jungen Mannes. „Na so ein Goldschatz.“ Jauchzte er ihr vergnügt ins Ohr. Bevor sie reagieren konnte, nahm er ihr Gesicht in beide Hände und drückte ihr einen schallenden Kuss auf die Lippen. „Die ist zu groß für dich“, rief einer seiner Freunde. „Oh, mehr zum Liebhaben“. Der Fremde zwinkerte vergnügt und kniff ihr in die Hinterbacke, um sich schnell dem losen Ende der Reigenkette anzuschließen und fortzuhüpfen. Schrecklich bleich und erschrocken sah sie Athos an. Diana de Claivice musterte sie nicht unfreundlich, aber uninteressiert. Athos zog nachdenklich die Brauen zusammen. Sie sah die Veränderung in seinem Gesicht, blickte schnell zu Boden und biss sich auf die Unterlippe. Unter ihren Füßen lagen zertretene Blütenblätter und Papierschnipsel. Wortlos nahm Athos Dianas Hand und ließ sich von ihr fortziehen. Aramis hob den Blick unter den halbgesenkten Wimpern und glaubte weinen zu müssen. Die Schultern sackten zusammen und ihre Arme hingen schwer herab. Der Reigen zog sich um sie herum. Eine Kette lachender, scherzende Tänzer, laute Stimmen, schelmisches Augenzwinkern, vergnügtes Lachen, ein verstohlener Kuss, eine vorwitzige Hand. Niemand beachtete die große blonde Frau mit dem traurigen Gesicht in ihrer Mitte. Porthos stieß einen Laut puren Entzückens aus. „Gleich haben wir ihn.“ Eine Gruppe tanzender Menschen zog an ihnen vorbei und er hüpfte ausgelassen ein Paar Schritte hinterher, weil sie ohnehin in die Richtung lief, in die sie Rosinante führte. Porthos glaubte fehlende Eleganz mit Enthusiasmus wettmachen zu können. Er war in Karnevalekstase. D`Artagnan folgte dem jauchzenden Mann im Gruselgewand, dessen verwestes Gesicht so gar nicht zu dem Freudentaumel passte, mit dem er seinen großen Körper hinter den Tanzenden herzappeln ließ und wünschte sich weit weg. Die letzte Frau in der Schlange drehte sich um, schrie schrill und rannte davon. Der Kopf der Schlange zuckte, sah sich um und bog hopsend in eine andere Straße ab. „Eigentlich sollte ich bei Constance sein und mit ihr feiern!“, murrte er. Porthos ignorierte ihn und behielt unbekümmert seinen Tanzstil bei. Er stieß einen Triumphschrei aus, als er sah, wie Rosinante hinter einer großen Frau hielt und bestätigend wieherte. Das Pferd ließ seinen Schwanz kreisen. Kein Zweifel. Euphorisch rannte Porthos näher. Die Frau stand mit dem Rücken zu ihnen und war zu sehr in Gedanken versunken, um das Pferd in ihrem Rücken zu registrieren. Das Geschrei der feiernden Massen war viel zu laut. Berauscht von der Vorfreude und mit einer Inbrunst sprang der riesige Untote ihr vor die Füße. „Uaaaaaaaaaaaaarg“, Keine Antwort erfolgte. „Uaaaaaaaaaaaarrrr“. Porthos stutzte und versuchte es erneut. „UUUUUuuuuuuuuaaaaaaaargggggggggg“ Noch ein wenig lauter, „Uuurrrrg“, dann betrachtete sie genauer und riss die Maske vom Kopf. „Du siehst aber echt aus.“ Aramis war vor Schreck erstarrt. „Warum siehst du aus wie eine Frau?“ „Es ist Karneval“, stotterte sie hilflos. Seine Blicke glitten immer wieder an ihrem Körper auf und ab, dass ihr schwindlig wurde. Porthos wurde ein ziemlich blasser Untoter. „Aber du siehst aus … „ Er rang nach Worten, „… du siehst aus wie eine normale Frau.“ D`Artagnan schwieg lieber. Sonst hätte er ihr gesagt, dass sie sehr hübsch aussah. Vielleicht hätte es sie gefreut. So hüstelte er nur gequält. „Das ist die Verkleidung“, versuchte sie zu erklären. Porthos starrte sie nur verständnislos an. „Ein Mann verkleidet als Frau“, half Aramis nach. Sein Blick blieb auf ihrem Busen haften. „Und das da?“ Er zeigte mit spitzem Finger drauf. D´Artagnan verschluckte sich und wurde rot. Wortlos zog Aramis zwei Sockenpaare aus ihrem Mieder und drückte sie Porthos in die Hand. Porthos sah die Socken an, dann ihre Brust und wieder die Socken in seinen großen Händen. Aramis sah von den Socken zu ihrem Mieder. „Das sieht dumm aus“, beschloss sie und griff nach den Socken, um sie wieder zurückzustopfen. „Du bist komisch“, sagte Porthos und runzelte die Brauen. Sie zog ein langes Gesicht. „Es ist Karneval.“ Aramis zupfte sich das Spangenheer aus den Haaren, bis es ihr wieder auf die Schultern fielen. Sie fühlte sich gedemütigt und lächerlich und sehr, sehr einsam. Was hatte sie sich beweisen wollen? Das sie wie alle Frauen war, die sich verlieben konnten und träumten? Es hatte so einfach geklungen. Verkleidete Menschen und Masken. Sie konnte keine Frau mehr sein. Dieses Leben hatte sie sich schließlich gewählt. Sie würde irgendwann als Musketier sterben, oder vorher durch ein Unglück entdeckt werden und dann sterben. Das war der Weg den sie gewählt hatte. Aramis stolperte nach Hause als die ersten Tropfen fielen. Der zugezogene Himmel verdunkelte sich und öffnete seine Schleusen. Der Regen wischte die Festdekoration hinfort. Die Menschen flohen vor ihm, die Stände schlossen sich, die Gauklertruppen zogen ab. Im Schlamm der Turnierfelder kämpften nur noch die Unerbittlichen. Der Regen zerstörte die Blumenarrangements, durchnässte die Pavillions, die bunten Wimpel, die bemalten Fahnen, spülte Essensreste und die ein, oder andere Maske hinfort. Der Regen vermischte sich mit den Tränen auf Aramis Wangen. Der Rock war nass und schwer, die Haare klebten im Gesicht, der kalte Regen lief ihren Körper hinab. Ein Schuh löste sich von ihrem Fuß und blieb auf der Straße liegen. Endlich war sie zu Hause. Sie erschrak, als sie den Schatten im Halbdunkel bemerkte. „Also warst du es doch?“ Es war Athos Stimme, die da sprach. Sie hob hilflos die Hände und schwieg. Ihre Stimme hätte sie verraten. „Warum?“, fragte er. „Es ist Karneval“, brachte sie mühsam hervor, weil ihre Stimme brach. „Es sollte ein Spaß sein“, flüsterte sie leise. Er trat näher und sah sie an. Männlich und schön. Sie konnte seinen Duft riechen. Aramis strich sich unbewusste die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Eine seltsam weibliche Geste. Er zuckte zusammen, als es heiß durch seinen Körper fuhr. Er musterte den schlanken Körper im dunklen Licht. Das Kleid hing wie ein nasser Sack herab und irgendwo auf der Straße lagen zwei Sockenpaare. Aramis sah lächerlich aus und sehr verletzlich und doch pochte es in seiner Körpermitte vor unbewusster Erregung. „Es sollte nur ein Spaß sein“, wiederholte sie leise. Athos sah sie mit einem merkwürdigen Ausdruck auf dem Gesicht an. Sie seufzte. „Geh nach Hause, Athos“, sagte sie müde. „Dort wartet sicherlich jemand.“ Er sah sie schweigend an, sie blickte zu Boden. Eine Weile sagten beide nichts mehr. Dann ging er. Sie blickte weiterhin beharrlich zu Boden, auch als er an ihr vorbeilief. Athos verließ sie mit einem merkwürdigen Gefühl und war reichlich verwirrt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)