Der Kreis schließt sich von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 9: Porthos Leiden ------------------------- Die kommenden Wochen geschah etwas merkwürdiges. Athos verwandelte sich in einen Grafen. Die Veränderung begann ganz allmählich. Der Stil seiner Kleidung wurde exquisiter, sein freizeitlicher Umgang erkletterte von der unteren Stufe ihrer Stammschenke, die oberen Sprossen der gesellschaftlichen Schicht. Aus Athos wurde Graf de la Fere und hatte sich der wahre Status und Name des Musketiers erst herumgesprochen, häuften sich die Einladungen bei denen er, am Arm seine zauberhafte Verlobte, erscheinen musste. Dafür verschwanden die Abende, die er mit seinen einstigen Freunden verbracht hatte. Stück für Stück wurde aus dem Musketier wieder der Graf. Nachdem Aramis die Nachricht erst einmal verdaut hatte, gestand sie sich selbst ein, dass es so kommen musste. Selbst wenn er herausfand, dass sie in Wirklichkeit eine Frau war, gehörte sie nicht zu dem Frauentyp, den Athos bevorzugte und für sie selbst war vollkommen klar, dass er auch nie das geringste romantische Interesse an ihr äußern konnte. Porthos nahm die Nachricht von Athos baldiger Hochzeit schlimmer auf. Für die folgenden Tage verfiel der Koloss in depressive Stimmung. Es nahm beängstigende Formen an, als ihm der Appetit versagte. Binnen einer Woche lag sein Wams in Falten um seinen Leib. Nachdem Porthos selbst den Huren im Bordell entsagte, auf Arbeit nicht erschien und Rauferein aus dem Weg ging, war das schmaler werdende Gesicht und der apathischen Ausdruck in seinen Augen, die erschreckensten Anzeichen seiner seelischen Verfassung. Aramis beschloss etwas zu unternehmen. Die Sorge um Porthos hatte sie abgelenkt und so glaubte sie, Athos sogar normal begegnen zu können. Um wirklich sicher zu sein, schnappte sie sich D’Artagnan und zerrte den verdutzten Jungen vor Athos Haustür. Energisch klopfte sie gegen das Holz, um ja den Nachdruck zu behalten, der sie hierher getrieben hatte. Verwundert blickte Athos seine beiden Eindringlinge an, die kaum das sich die Tür geöffnet hatte, in sein Heiligtum gestürmt waren. Nicht nur, dass sie unverhofft bei ihm eindrangen; -nachdem die Notwendigkeit der Situation erklärt war und Aramis von kleinen stimmlichen Patzern mit Oktavensprüngen und zittrigen Knien das Wiedersehen mit Athos überstanden hatte, sah er sich auf die Straße gesetzt. Das Trio zog weiter und fiel wie das Donnergericht bei Porthos ein. Ihr Freund litt. Das Ende der vier Musketiere kam seiner persönlichen Apokalypse gleich. Mit der ganzen Leidenschaft, mit der Porthos Trinken, Kämpfen, Frauen beglücken und allem voran Essen konnte, gab er sich seinem Leiden hin. Der vierte Musketier lag, alle Glieder von sich gestreckt auf seinem Bett und starrte zur Decke. Seine entzündeten Augenlieder nahmen mit einer gewissen Genugtuung wahr, dass man sich um ihn bemühte. Dunkle Bartstoppeln bedeckten sein Gesicht. „Bonjour, meine Freunde“ begrüßte er sie, mit einer vor Selbstmitleid rauer Stimme und die rotgeränderten Augen sahen mitleidig zu ihnen auf. „Was verschlägt euch in mein bescheidenes Heim?“ Das bescheidene Heim hatte sich in eine muffige Hütte mit verdunkelten Räumen und einen Haufen Fliegen, als Untermieter verwandelt, die zufrieden um seinen vollen Nachtopf kreisten. „Athos“, seufzte er glückselig und rollte mit den Augen. Eine Hand verscheuchte träge den übelriechenden Dunst, der seinen Mund entrang. Aramis stieß die Fensterläden auf, um tief durchzuatmen. Ihr Patient stöhnte gequält und kroch in sich zusammen. „Was soll das, Porthos?“, fragte Athos streng und verschränkte die Arme vor der Brust. „Mein lieber Athos, erinnerst du dich noch an die kleine Blonde aus Faubourg St. Victor?“ Athos blickte verständnislos. „Du hast sie vor einem Jahr ein paar Mal besucht.“ „Du meinst Caroline?“ „Heißt sie so? Ein nettes Mädchen“, Es folgte eine Atempause. „Nun,“ Er nahm den Faden mit schwächenden Stimmchen wieder auf. „Ich wollte sie besuchen.“ Pause. „Erst sagte Sie nicht einmal etwas.“ Pause. „Sie lachte.“ Pause „Dann brüstete sie sich mit dir. Da wusste ich, es ist vorbei.“ Er seufzte unglücklich und der dunkle Flaum aus der losen Hemdöffnung seines schmuddligen Nachgewands erzitterte. „Alles vorbei, Porthos sagte ich mir. Mach dir nichts vor. Dein Vater ein einfacher de Portau, ein Sekretär. Und er ist Protestant.“ Porthos heulte und schnäuzte sich laut. „Meine Freunde, verurteilt mich nicht“. Er schniefte. „Er … „ Seine Hand wies auf Athos, „Er ist ein de Sillègue de Fere, mit dem richtigen Stammbaum und der richtigen Religion. Und nun geht er. Die Zeit der vier Musketiere ist vorüber“, Er richtete sich halb auf den Unterarmen auf. „Ich spüre Schmerzen im Rückrat, auch meine Zeit ist vorbei. Ich stinke schon nach Tod.“ „Das ist dein Atem, Porthos.“ stellte Athos sachlich richtig und versuchte nicht zu lachen. „Du bist ein kerngesunder Mann, in den besten Jahren.“ Es folgte eine Standpauke, die Porthos Tränen in die Augen trieb. Ein Musketier hatte sich nicht so gehen zu lassen. Eine gewisse Contenance musste bewahrt werden. Heulend bat er um Verzeihung, welche ihm nur gnädig widerwillig gewährt wurde, weil es sonst die Dramaturgie verdorben hätte. „Und nun?“ „Nun gehen wir einen Trinken.“ Ihr Patient strahlte und wischte sich eine Krokodilsträne fort. „Wie könnte ich das ablehnen, wo du das so hübsch ausdrückst, aber … ich bin zu schwach.“ Das Bettgestell ächzte, als sich knapp 200 Pfund zurückfallen ließen. Zu dritt stemmten sie ihn hoch. Zwei zogen ihn auf die Beine, einer drückte von hinten. Aramis rümpfte die Nase. „Wir sollten ihn vorher in die Regentonne stecken, wenn er nicht so dick wäre. Pfui, Porthos, du solltest dich schämen!“, schimpfte sie, weil sie unter seiner schweißstinkenden Achselhöhle hockte. „Ja, bei Monsieur Simon im Theater wärst du gut aufgehoben“, pflichtete D`Artagnan ihr bei und stemmte beide Hände in das breite Hinterteil.“ Porthos schmollte. „Ihr seid ungerecht. Ich leide.“ „Reichen dir denn D`Artagnan und ich nicht?“ „Ph, ein Hänftling und ein Milchgesicht“, schnaubte es hoheitsvoll. „Es ist übrigens nett von dir, Aramis, dass du mir einen ausgeben willst.“ „Wer sagt denn so was?“ Er schniefte laut. „Ihr seid echte Freunde.“ Athos schielte unter der rechten Armbeuge hervor. Dieses Geplänkel würde ihm fehlen … und noch einiges mehr. Sein Blick glitt zu Aramis. Sein Herz bekam einen Stich. Es wurde ein netter Abend mit viel Bier und Wein, einer anständigen Kartenrunde mit nicht unerheblichen Verlusten und etlichen derben Witzen, die mit zunehmendem Alkoholpegel erheblich an Niveau verloren. Ein jeder der vier gaukelte sich vor, es wäre wie in alten Zeiten und würde immer so bleiben. Leider kam mit dem Kater und dem Erwachen aus der Beseligung eines anständigen Saufgelages, die bittere Erkenntnis, dass sie bald nur noch zu dritt waren. Wobei sich schon die Dritte im Bunde fragte, wie lange der Glücksstern Fortuna noch ihr wahres Geschlecht verbarg. Zwei Tage später, Aramis stand bei Monsieur Brix am Point St. Michel in seinem Buchladen. Am Point St. Michel drängelten sich die Buchläden dicht an dich, fahrende Buchhändler standen an der Seine, wegen des nahe gelegenen Collége am Point Royal. Aber nur wer wirklich gute und manchmal auch verbotene Lektüre suchte, ging zu Monsieur Brix. Seit der Amtszeit des Kardinals als erster Minister im Lande, hatte sich die Bücherzensur verstärkt, was das Abenteuer des Lesens noch aufregender machte, aber nicht jeder wackere Buchhändler mochte diese Abenteuerlust teilen. Zurück in Monsieur Brix´s staubigen, nach Mottenpulver, Leder und alten Buchseiten riechenden Ladenraum, mit den bis zur Decke reichenden Regalen, die sich in langen Reihen durch den Verkaufsraum zogen. Licht mochte Monsieur Brix nicht, weil es die Farbe der Einbände ausblich und so hatte es jeder Kunde schwer, in den dicken oder dünnen Büchern, schweren Wälzern, Broschüren oder Heften zu schmökern. Monsieur Brix war wie seine Bücher vom Wesen her staubig und alt. Doch das Wissen, dass hinter der hohen kahlköpfigen Stirn und den kleinen flinken Augen lag, war grenzenlos, wie die endlosen Reihen seiner Bücher. Aramis fühlte sich wohl bei Monsieur Brix und kam ab und zu bei ihm vorbei, um ein Buch zu kaufen, obwohl sie ein sparsamer Mensch war. Sollte sie, was fragwürdig war, doch mit ihrer Verkleidung noch einige Jahre durchkommen, dann benötigte sie ein ausreichendes finanzielles Ruhepolster. Das hieß bis dahin, Gesundbleiben, keine Verletzungen und das vermeiden jeglicher Ärztekonsultation, - ein Zustand, den der Berufsstand eines Musketiers nicht gerade förderte. Nun stand sie gerade zwischen der schweren Entscheidung eines fragwürdigen Schiffberichtes über die sogenannte neue Welt und einer kritischen Gesellschaftsanalyse, die es von der verbotenen Liste des Kardinals, unter den Ladentisch von Monsieur Brix geschafft hatte. Sie war abwechselnd in beide Lektüren vertieft. Sie beugte die Nase bis in das Buch hinein, um im Funzellicht, etwas lesen zu können. Die Ladenglocke bimmelte und die schnarrige mit sparsamer Freundlichkeit bestückte Stimme des Buchhändlers erklang. Seine Kundin sprach. Diese Stimme kannte sie. Aramis Kopf schnellte hoch und sie schielte vorsichtig um die Ecke, den Finger umsichtig zwischen die gelesenen Seiten geklemmt. Vor der Ladentheke stand Diana de Claivice und gab mehrere Bücher in Auftrag. Monsieur Brix schrieb emsig mit. Eine Stundenbibel, ein Lösungsbuch, leichte Liebesgedichte, eine naturwissenschaftliche Sammlung über heimische Pflanzen und ein Werk über tugendhafte Ehefrauen. Aramis zog angewidert die Nase kraus. Die Namen der Werke kamen ihr äußerst bekannt vor. Solche Bücher schlugen umsichtige Tanten zur Eheschließung vor. Ihr kam Tante Julliett in den Sinn und sie seufzte. Oh, nein, nie wieder würde sie sich mit einem ganzen Buch voll schwachsinniger Liebesgedichte mit abgedroschenen Phrasen abgeben, dessen Schwülstigkeit in ihrer Nase kitzelte oder eine ellenlange Abhandlung über die Butterblume. Wie immer, wenn sie Diana sah, verkrampfte sich ihr Herz vor Eifersucht und sie betrachtete widerwillig fasziniert die zierliche Gestalt in dem eleganten Kleid. Bald würde sie Athos Namen tragen, bald mit ihm auf sein Schloss ziehen, Teil seiner Familie werden und selbst eine Familie gründen. Doch das war ihr eigentlich egal. Der Athos den sie kannte, war ein namenloser Musketier aus der Rue de Saint Martin nahe des Temple, mit einem bescheidenen Haus von zwei Zimmern und einem ungenutzen Zimmer unter dem Dach. Mit diesem Athos würde sie das Bett teilen, Zärtlichkeiten austauschen und empfangen und dieses Wissen schmerzte. Die einzelnen Frauenbekanntschaften hatten nicht sein Herz berührt, nur seine Begierde. Doch bei Diana war das anders. Ohne es besser zu wissen, gab sie Diana die Schuld, dass Athos sich von ihnen distanzierte. Von seinen verwirrten Gefühlen ihr gegenüber ahnte sie nichts. Aramis war derart mit Beobachten vertieft, dass sie nicht mitbekam, wie sie ihrerseits beobachtet wurde. Sie fuhr dementsprechend erschrocken zusammen, als ihr jemand sachte auf die Schulter tippte und ließ polternd eins der Bücher fallen. Erschrocken sah sie sich Athos gegenüber. „Ließt du oder stierst du?“ fragte er und bückte sich nach dem Buch. Erwischt. Sie fühlte sich ärgerlich erröten und runzelte die Stirn. „Ich lese“, erklärte sie hochmütig und blätterte energisch um. Er lächelte? „Verkehrt herum?“ Ertappt. Sie zuckte leicht die Schultern. „Mich interessierte eben, was Frauen so lesen.“ „Und sind deine Fragen beantwortet?“ „Butterblumen.“ „Butterblumen?“, fragte er verwirrt. „Ja“, erwiderte sie gedehnt. „Butterblumen.“ Und griff nach ihrem Buch in Athos Händen. „Und was liest du?“ Er zog das Buch zurück und ihre Finger berührten sich. Aramis Hand zuckte zurück und blieb unschlüssig in der Luft. Sie bemerkte den merkwürdigen Blick, mit dem Athos ihre langen schlanken Finger bedachte und ließ die Hand schnell fallen. Normalerweise vermied sie es, ihre bloßen Hände zu zeigen, wie auch sonst einen Quadratzentimeter Haut. Athos drehte das Buch in seinen Händen und pfiff leise. „Das ist Abraham Ortelius`s Ex vetusto codice“, bemerkte Athos anerkennend. „So etwas ließt du?“ „Warum denn nicht“, erwidere Aramis schnippisch und riss ihm das Buch aus der Hand. Sie fühlte sich gekränkt. Athos hob beschwichtigend die Hände. „So war das nicht gemeint. Ein gutes Buch. Aber du weißt, dass es verboten ist und auf der Verbotsliste des Kardinals steht?“ „Na und woher weißt du dann, dass es gut ist, Herr Musketier?“, erwiderte sie bauernschlau und grinste. Er grinste zurück. „Weil es bei meinen anderen verbotenen Büchern zu Hause ist.“ „Es war nett gestern Abend“, bemerkte sie leise und traurig. „Wie früher.“ Athos seufzte und sein Blick verdunkelte sich. „Das war es.“ Sie strahlte „Weißt du noch, der Auftrag in Montlucon?“ Dieses feine leicht süffisante Lächeln, erschien auf seinen Zügen, dass ihr die Knie immer schwach werden ließ. „Ja, wir hatten uns gerade erst kennengelernt und mussten das Pferd teilen, weil deins auf der Straße nach Chaillot lahmte.“ „Kurioserweise hält Porthos Pferd immer durch. An den Abend in Montlucon, betranken wir uns so derb, dass wir am nächsten Tag vor dröhnendem Schädel nicht reiten konnten.“ Aramis lachte mit ihm. Sie wollte fragen, warum er heiraten musste, aber sie konnte nicht und so standen sich beide schweigend gegenüber und musterten einander bekümmert gegenüber. Jeder von ihnen aus demselben Grund. Weil sie nicht zueinander finden konnten und nichts so bleiben durfte wie es war. Als sich Diana zu ihnen gesellte, erlosch die besondere Verbindung, die gerade zwischen ihnen gewesen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)