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Die Kronen des Kriegers

Die Vorgeschichte zu den Ereignissen in der Zeit der Echidna
von

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Der erste Schritt

Er stand auf dem Balkon und sah sich um. Er sah auf die Stadt hinab, auf seine Stadt, die er als König hätte beschützen sollen... und die jetzt lichterloh brannte. Selbst hier oben meinte er, die Hitze spüren zu können, meinte, die Schreie derer hören zu können, die in den Straßen der Stadt letzten, verzweifelten Widerstand leisteten gegen die Horden feindlicher Eroberer. Doch es war ein verlorener Kampf. Das wusste er, und das wussten auch die, die dort unten in der Stadt kämpften, und die, die in ihren Häusern festsaßen und sich fragen mussten, wann der brennende Dachstuhl über ihnen zusammenbrechen und sie alle in den Tod reißen würde.

Er hörte Schritte hinter sich, hörte, wie jemand ein Schwert zog, und drehte sich um.

Hinter ihm stand ein junger Igel, und in den Schatten hinter ihm konnte er einige andere Igel sehen, die sich mit gezogenen Waffen im Hintergrund hielten. Langsam kam der Igel auf ihn zu und hob seine Waffe. "Die Echidna sind geschlagen", hörte er ihn flüstern, sah den Schlag kommen und konnte doch nichts tun, um ihn abzufangen.
 

Alles wurde schwarz.
 

Die Schwärze verzog sich, als der Vollmond hinter einer Wolke hervorkam und alles in silbriges Licht tauchte. Er sah, dass er auf einer Wiese stand, vor einem seltsamen Altar. Der Altar stand auf einer kreisrunden Basis. Sieben Säulen stützten das steinerne Dach, das eine erhöhte Plattform beschirmte, sieben Säulen stützten den steinernen Ring, der um die Basis herumführte, und sieben spitze Säulen standen in gerader Linie von der ersten über die zweite Säule und deuteten ebenfalls einen Kreis an.

Eine Treppe führte zur Plattform hinauf.

Er ging die Treppe hinauf. Oben stand ein seltsames Wesen. Sein Gesicht erinnerte ihn an das jenes Igels, den er eben noch gesehen hatte, doch der Rest seines Körpers bestand aus dunkelgrünem Kristall, der ein seltsames Licht ausstrahlte.

"Wer bist du?", fragte er dieses seltsame Wesen schüchtern.

Das Wesen ignorierte seine Frage. "Willst du verhindern, was du eben gesehen hast?", fragte es. Seine Stimme war dunkel und doch seltsam scharf, ganz so wie sein Kristallkörper.

"Natürlich will ich das!" rief er. "Das darf nicht geschehen!"

"Es gibt einen Weg", sagte das Wesen, ging zu ihm, legte ihm eine Hand oben auf den Kopf und sah ihm in die Augen. "Vertrau mir, dann können wir es verhindern."

Er nickte.

Das nächste, was er sah, war ein gleißend heller, grüner Lichtblitz. Dann spürte er urplötzlich unerträgliche Schmerzen in seinem Kopf, schrie aus Leibeskräften - und dann, ganz plötzlich, fühlte er gar nichts mehr.
 

Der Kammerdiener öffnete die Tür und sah ihn aufrecht in seinem Bett sitzen. "Geht es dir gut?", fragte er. "Du hast geschrieen."

Der Junge wandte den Kopf und lächelte. "Es geht schon wieder. Es war nur ein böser Traum."

Der Kammerdiener verbeugte sich und schloss die Tür wieder.

Der Junge stand auf, ging zum Fenster, durch das eine kühle Brise hereinwehte, und blickte hinaus. Der Himmel im Osten färbte sich bereits rot und kündigte den Sonnenaufgang an. Einen neuen Tag über Echidnapolis.

Der Junge seufzte. Nein, nicht der Junge , dachte er und lächelte freudlos. Was er ihm im Traum gezeigt hatte, musste unbedingt verhindert werden. Er musste die Echidna, das Volk, das ihn als den obersten seiner Götter verehrte, schützen, vor den anderen Völkern, die der Tod der Echidna sein würden, wenn er nichts unternahm.

Dafür würden Opfer notwendig sein. Damit hatte er sich schon lange abgefunden, und der älteste Sohn dieser Familie war mit seinen zehn Jahren der beste Weg, um direkt Einfluss zu nehmen auf die Geschicke der Echidna. Er war ein Opfer, das unbedingt notwendig gewesen war für die Fortführung seines Plans. Und nun stand seiner Ausführung nichts mehr im Wege.

Selina

Weit im Osten, über dem Meer, ging die Sonne langsam auf. Ihre Strahlen beleuchteten zunächst nur schwach das Meer, bevor sie langsam die Sterne verdrängten und die Nacht zu vertreiben begannen. Der Mond zog sich im Westen zurück, während die Sonne sich auf dem Meer spiegelte und das Land jenseits des Strandes beschien.

Es war ein weites Land. Hinter dem sandigen Strand begann eine hügelige Landschaft, die von Gras bewachsen war, das sich im Wind hin und herbewegte. Man konnte unheimlich weit ins Land sehen, und man sah doch nur grasbewachsene Hügel sowie hier und da ein paar Bäume und Büsche. Nichts deutete darauf hin, dass jemals irgendein Wesen hier gewesen war.

Als die Sonne höher stieg, schien sie noch weiter ins Land hinein und enthüllte noch mehr von dieser Landschaft. Im Norden waren die ersten Ausläufer eines Gebirges zu erkennen, das dicht mit Bäumen bewachsen sein musste, denn selbst aus dieser Entfernung konnte man erkennen, dass die Hänge zu grün für Wiesen oder gar Fels waren. Das Gebirge ragte zwar nicht sehr hoch in den Himmel, aber dennoch schien es sehr schweres Gelände zu sein. Die Berge waren steil, und zwischen ihnen erstreckten sich schmale Schluchten, die scheinbar ins Unendliche führten, wenn man dort hineinstürzte. In den anderen Richtungen sah man nur weites Grasland, scheinbar unberührt.

Als die Sonnenstrahlen weiterzogen, erreichten sie schließlich ein kleines Zeltdorf, in dem sich soeben die ersten Igel sehen ließen, die offensichtlich gerade aufgestanden waren. Sie alle waren leicht bewaffnet, mit Pfeil und Bogen, und einige von ihnen trugen noch ein kurzes Messer. Doch auch von diesem Dorf ließen sich die Sonnenstrahlen nicht aufhalten, genauso wenig von einigen anderen Dörfern, die ihnen unterwegs begegneten, oder von einigen einsamen Gestalten, die scheinbar ziellos über die Ebene zogen.

Schließlich erreichten sie eine Gegend, die deutlich hügeliger war als die scheinbar unendliche Prärie, über die sie eben gezogen waren. Die Gegend war felsig und voller Hügeln, die relativ steil waren, einigen kleineren und größeren Bergen sowie weiten Tälern. Es gab auch hier Bäume, ja sogar Wälder auf den Hügeln, und an einigen Hügeln flossen sogar einige kleine Flüsse hinab, von denen sich schließlich einige in einem großen, klaren See, mitten in der unwegsamen Gegend, sammelten.

Rund um den See wuchs dichtes Gras und einige Bäume, wenn auch nicht so viele, dass man sie als Wald bezeichnen konnte. Die Landschaft rund um den See sah vielmehr recht idyllisch aus - Vögel zwitscherten in den Bäumen, einige wilde Tiere huschten durch das Gras, und bereits jetzt, am frühen Morgen, war es recht warm. Der Sommer nahte, das war deutlich.

Trotz der frühen Stunde war die Wiese nicht leer. Eine einsame Echidna mit hellroten Stacheln stand dort, am Ufer des Sees, und blickte zur aufgehenden Sonne hinüber. Ihre Kleidung war so einfach wie irgend möglich gehalten - sie trug ein eng anliegendes Oberteil sowie einen Rock, der kurz über ihrem Knie endete, und Schuhe aus billigem, abgetragenem Leder. Keins ihrer Kleidungsstücke war gefärbt - sie trug sie im natürlichen Graubraun, das sich von selbst ergab, wenn die Kleidung lange Zeit getragen wurde. Sie war zwar anscheinend noch nicht erwachsen, aber auf dem besten Weg dorthin - wachsen würde sie nicht mehr, dafür war sie schon zu groß, und sie sah schon recht weiblich aus. Sie war kräftig gebaut. Zwar hatte sie keine Muskelpakete, aber man sah ihr doch eine gewisse Stärke, Gewandtheit und Geschicklichkeit an. Im Notfall war sie sicherlich so schnell und präzise wie eine Katze.

Hinter ihr waren Schritte zu hören, aber sie wandte nicht einmal den Kopf, um zu überprüfen, wer sich ihr da näherte. Und kurze Zeit später erschien eine weitere Echidna neben ihr.

Diese Echidna schien etwas jünger zu sein, und sie strahlte auch bei weitem nicht diese Aura einer Jägerin aus. Vielmehr wirkte sie schüchtern und geradezu schmächtig, obwohl sie nicht viel kleiner war als die andere Echidna. Aber abgesehen davon sah sie ihr so ähnlich, dass sofort klar wurde, dass diese beiden nur Schwestern sein konnten.

"Ich hab mir schon gedacht, dass du hier bist", sagte die Jüngere der beiden. "Du solltest lieber in die Stadt zurückkehren, Selina. Die Verabschiedung der Gesandten wird bald stattfinden, und du weißt doch, dass du da sein musst."

"Ja, ich weiß", murmelte Selina abwesend, blickte auf den See hinaus, in dem sich das Sonnenlicht spiegelte, und seufzte leise. "Du wirst mir fehlen, Malinche."

"Ist das der einzige Grund, warum du noch bei uns bist?", fragte Malinche und schüttelte betrübt den Kopf. "Du weißt doch, dass du eine der begabtesten jungen Kriegerinnen bist, und du weißt auch, dass es hier keinen Gegner mehr gibt, von dem du noch etwas lernen kannst. Ich habe deinen Kampf gegen Huascar vor zwei Tagen gesehen, und dafür, dass er als dein Ausbilder deinen Kampfstil eigentlich kennen müsste, hast du ihn ziemlich alt aussehen lassen. Mit zwei Messern bist du wirklich gut."

"Trotzdem habe ich Angst vor diesem Schritt", meinte Selina leise. "Ich fühle mich einfach noch nicht dazu bereit, die Echidna zu verlassen... unsere Familie zu verlassen... und dich zu verlassen."

Selina bemerkte nicht, wie sich für einen Moment ein Schatten der Unsicherheit auf Malinches Gesicht legte.

"Das verstehe ich", sagte die jüngere Echidna und wandte sich zum Gehen. "Es wird dich auch niemand dazu zwingen, zu gehen... aber im Moment müsstest du in der Stadt sein. Du weißt doch, dass du mit einigen anderen jungen Kriegern einen Schaukampf liefern sollst, bevor die Gesandten wieder aufbrechen, und du willst sie doch nicht warten lassen, oder?"

Selina antwortete nicht, sondern wandte sich langsam ab und folgte ihrer Schwester zurück in die Stadt.
 

Echidnapolis war die Hauptstadt des Reichs der Echidna. Die Stadt lag inmitten der höchsten und steilsten Hügel der Gegend in einem Talkessel, der sie von außen fast unsichtbar machte. Sie füllte den ganzen Talkessel aus und kletterte sogar noch ein wenig an den Hügelböschungen entlang, wo die Wohnungen teilweise in den Fels hineingehauen worden waren. Der Palast der Königsfamilie lag am äußersten Ende des Tals, vom Eingang, der nach Süden lag, soweit wie möglich entfernt. Er thronte majestätisch über der Stadt und überragte alle anderen Gebäude um mindestens das Doppelte. Die Wände, das Tor, ja selbst die Fensterrahmen waren mit Edelsteinen aller Arten besetzt, und der Palastgarten war gigantisch. Verglichen mit den anderen Häusern der Stadt, die bei weitem nicht so prächtig waren, sondern meistens nur aus einfachen Sandsteinwänden und Holztüren bestanden, wirkte der Palast einfach unverhältnismäßig groß. Selbst das Viertel, in dem die reicheren Echidnafamilien lebten, konnte nicht einmal ansatzweise mithalten - das Palastgelände war allein schon so groß wie dieses ganze Viertel.

Selina und Malinche quetschten sich durch die engen Straßen des Marktviertels, durch die Menge der Echidna, die sich alle auf den Weg zum Palastvorplatz gemacht hatten. Die beiden jungen Echidna kamen gerade noch rechtzeitig an und zwängten sich durch die Menschenmenge, die sich um den Kampfplatz und die Tribüne, auf der die Gesandten, die Kämpfer sowie besondere Gäste - und natürlich die Königsfamilie selbst - Platz nehmen würden, angesammelt hatte. Selina mischte sich unter die Kämpfer, wobei ihr auffiel, dass die meisten anscheinend sehr nervös waren - manche waren bleich, andere atmeten schneller als gewöhnlich, zitterten oder ließen ihre Augen fast panisch umherschweifen. Nur ein anderer Kämpfer war ebenso ruhig wie sie selbst - Aztic, ihr Mitschüler, ein junger Echidna in ihrem Alter mit roten Stacheln und meerblauen Augen. Während sie sich auf den Kampf mit zwei Messern spezialisiert hatte, konnte er mit dem Langschwert sehr gut umgehen und war entsprechend kräftig gebaut - allerdings wohl auch nicht so wendig wie Selina, die sich oftmals auf ihr Geschick und ihre Geschwindigkeit verließ, um gegnerischen Angriffen auszuweichen.

Sie gesellte sich zu ihm und lächelte zuversichtlich. "So nervös, wie die anderen hier sind, werden ihnen die Waffen schon von ganz allein aus der Hand fallen", meinte sie.

Aztic nickte und wollte etwas sagen, doch in genau diesem Moment erschallten die Trompeten, welche die Königsfamilie ankündigten, und alles auf dem Platz hielt förmlich den Atem an. Dann betraten der König Montezuma und sein einziges Kind, Prinz Hector, die Tribüne durch eine Treppe von hinten.

Alle Echidna auf dem Platz gingen auf die Knie, und für einen Moment herrschte absolute Stille, während der König seinen Blick über den Platz schweifen ließ und den Igeln freundlich zunickte, auch wenn sie ihm nicht auf die Weise der Echidna ihre Ehrerbietung bezeugt hatten. Dann sprach er, trotz seines recht hohen Alters von immerhin fünfzig Jahren, mit klarer und kräftiger Stimme.

"Steht auf, meine Untertanen. Was starrt ihr den Boden an, wenn es doch etwas viel Interessanteres zu sehen gibt?"

Langsam erhoben sich die Echidna wieder, und die Spannung, was er verkünden wurde, war jetzt fast greifbar.

"Zunächst", fuhr Montezuma fort, "muss ich euch sagen, dass die Gesandten des Volkes der Igel und ich in den letzten Wochen lange darüber gesprochen haben, ob wir die Gebietsstreitigkeiten, die seit unzählig vielen Jahren bestehen, nicht endlich beenden sollen, und sie haben zugestimmt, Verhandlungen aufzunehmen und diese Frage in naher Zukunft durch einen verbindlichen Vertrag zu klären."

Alle auf dem Platz atmeten tief durch. Das konnte das Ende bedeuten für die ewigen Streitigkeiten und Auseinandersetzungen mit den Igeln, die auf beiden Seiten immer wieder einen unsinnigen Blutzoll forderten. Selina blieb aber ruhig - es würde für sie noch genug Möglichkeiten geben, sich über Wasser zu halten, als bloß Kriege. Und falls sie wirklich aufbrechen würde, konnte niemand sagen, wann sie zurückkehren würde, geschweige denn, ob ein Vertrag auch dann noch Gültigkeit haben würde.

"Zur Feier dieses Ereignisses", ergänzte Montezuma, "habe ich für heute einen Festtag angesetzt. Heute soll niemand arbeiten müssen, ganz gleich, ob Händler, Weber, Schneider oder Hausdiener. Statt dessen wird auf diesem Platz ein Kampfturnier statt finden, an dem unsere jungen Krieger teilnehmen werden, um sich zum ersten Mal in ihrem Leben Anerkennung und Ruhm zu verdienen."

Diese Ankündigung war reine Formsache. Es war seit Tagen im ganzen Reich bekannt gewesen, dass der König ein Kampfturnier veranstalten wollte, und die jungen Krieger, die hier auf der Tribüne saßen, stammten nicht alle aus Echidnapolis, wie Selina leicht daran erkannte, dass sie manche Gesichter noch nie zuvor gesehen hatte.

"Bevor dieses Turnier beginnt", rief der König nun, denn diese letzte Meldung, dass junge Krieger gegeneinander antreten würden, hatte auf dem ganzen Platz Gemurmel ausgelöst, weil man hier zum ersten Mal Kämpfer sehen würde, die man noch nicht kannte, "muss ich noch eins bekannt geben. Morgen, bei Sonnenaufgang, werden die Gesandten der Igel wieder zurück nach Hause aufbrechen, und unsere Delegation wird sie begleiten. Sie wird angeführt werden von Malinche, der Verlobten unseres Kronprinzen und meines Sohnes Hector."

Dieser Satz traf Selina wie ein Peitschenhieb. Sie wandte den Kopf und versuchte ihre Schwester in der Volksmenge zu finden - vergeblich. Dann blickte sie zum Prinzen hinauf - und sah sie an dessen Seite stehen.

Sie hatte nicht gewusst, dass Malinche sich mit ihm verlobt hatte... Und Malinche hatte nichts davon erwähnt, dass sie die Echidna verlassen und sie bei den Igeln vertreten würde. Ihre kleine Schwester, die gerade erst dreizehn war, würde die Echidna im Namen ihres zwei Jahre älteren Verlobten bei den Igeln vertreten...

Ihre kleine Schwester...

Selina schob den Gedanken daran in den Hinterkopf. Sie konnte sich auch nach dem Turnier noch Gedanken machen.

Die jungen Krieger erhoben sich jetzt, unter dem Jubel der Menge, die sich ganz offensichtlich auf die Schaukämpfe freute, und kletterten auf den Platz, der vor der Tribüne freigelassen worden war, wo verschiedene ältere Krieger auf sie warteten. Diese älteren Krieger hatten die jungen Krieger ausgebildet, und Selina und Aztic fanden ihren Meister Huascar schnell und problemlos.

Man konnte es kaum glauben, dass Huascar schon sechzig Jahre alt war, wenn man ihn sich so ansah - manche seiner Stacheln waren zwar bereits grau, und in seinem Gesicht zeigten sich schon erste Falten, aber er bewegte sich immer noch so elegant und kraftvoll, als wäre er erst zwanzig und noch ein junger Mann. Und ganz so bewegte er sich auch im Kampf. Selina hatte ihm oft als Gegnerin im Rahmen ihrer Ausbildung gegenübergestanden und seine vollendete Meisterschaft im Kampf mit nahezu allen Waffenarten bewundert, und sie konnte sich den alten Krieger unmöglich mit einer Krücke vorstellen.

Huascar hielt in der einen Hand zwei unterarmlange, gerade Übungsmesser aus schwarzem Holz und in der anderen Hand ein langes Übungsschwert aus genau demselben Material. Selina griff routinemäßig nach den Messern und spürte das bekannte Gewicht dieses besonderen Holzes, das den Waffen fast das gleiche Gewicht verlieh wie echten Metallmessern. Das waren die Waffen, mit denen sie seit Jahren tagaus, tagein übte und mit denen sie erst vor zwei Tagen ihren Ausbilder geschlagen hatte.

Huascar sah sie beide kurz an. "Ihr wisst alles, was ihr braucht", sagte er ruhig, mit seiner beruhigenden, tiefen Stimme, die Selina nach zehn Jahren Ausbildung zur Genüge kannte. "Jetzt zeigt, was ihr könnt."

Selina nickte knapp und steckte sich die Holzmesser in den dünnen Ledergürtel, der ihren Rock in Position hielt. Es war alles gesagt - jetzt kam es auf Taten an.
 

Wenige Augenblicke später gehörte der Platz ganz den jungen Kriegern, die zur Tribüne hinaufblickten. Atahualpa, der oberste Heerführer der Echidna, hatte sich erhoben und blickte zu den Kriegern hinunter. Sein Ruf unter den jungen Echidna war legendär. Ihm wurden alle möglichen und unmöglichen Heldentaten nachgesagt, die er in seiner Jugendzeit vollbracht hatte - angeblich war er es gewesen, der damals in einem Überraschungsangriff den obersten Häuptling der Igel in seinem eigenen Zelt ermordet hatte, ohne dass die Igel jemals den Mörder gefasst hatten, andere berichteten davon, dass er ganz allein einen Spähtrupp der Feinde erledigt hatte, mit einer Mischung aus Geschick im Umgang mit den Waffen und einigen Listen, die er im unwegsamen Berggelände voll hatte ausspielen können. Mittlerweile war er ergraut. Seine Stacheln zeigten nur noch vereinzelt die dunkelrote Farbe, die sie einst gehabt haben mussten, aber seine tiefgrünen Augen waren klar wie eh und je, und auch seine Stimme hatte nichts von ihrer Kraft und Klarheit eingebüßt. Jetzt blickte er einmal über die Gruppe aus jungen Kriegern, wandte sich dann an die übrigen Echidna und begann zu sprechen:

"Dort auf dem Platz seht ihr die besten der jungen Krieger, die noch nicht das Erwachsenenalter erreicht haben. Sie alle sind begabte Kämpfer mit ihren Waffen und brauchen sich vor keinem unserer älteren, erfahreneren Krieger zu verstecken. Dieses Turnier soll ihnen die Gelegenheit geben, sich zum ersten Mal vor euch zu beweisen, und es soll euch die Gelegenheit geben, bereits jetzt die zukünftigen Führer des Heers kennen zu lernen."

Selina musste lächeln, als sie hörte, wie der Heerführer sie und ihre Kameraden lobte. Er mochte zwar etwas übertreiben, aber trotzdem fühlte sie so etwas wie Stolz, dass der alte Krieger so von ihnen sprach - auch wenn er sie wahrscheinlich nicht einmal kannte, geschweige denn gezielt ansprach.

Nun, zumindest dem Problem, dass er sie nicht kannte, konnte sie vielleicht Abhilfe schaffen, dachte sie, als Atahualpa weitersprach.

"Die jungen Krieger werden Einzelkämpfe austragen. Ihr seht, dass sie mit Übungswaffen kämpfen werden. Jeder Treffer, der tödlich wäre, bringt einen Punkt. Wer zuerst drei Punkte geholt hat, gewinnt den Kampf und kommt in die nächste Runde." Er hielt eine Schale hoch. "Auf Tonscherben in dieser Schale befinden sich die Namen aller Teilnehmer des Turniers. Der Anführer der Igel und unser König werden jeweils eine Tonscherbe aus der Schale nehmen. Die so ausgelosten Krieger tragen den ersten Kampf aus. Anschließend wird der nächste Kampf ausgelost, und das so lange, bis die Hälfte der Teilnehmer noch im Turnier ist. Die Gewinner werden dann in die nächste Runde gehen, und dieses Schema werden wir wiederholen, bis ein Sieger feststeht." Erneut ließ er seinen Blick über die Krieger schweifen. "Gebt euer Bestes und zeigt, was ihr gelernt habt. Es ist keine Schande, zu verlieren - denn noch könnt ihr aus euren Fehlern lernen. In der Schlacht wird es dafür zu spät sein."

Bei seinen letzten Worten wurde die Erleichterung bei einigen Teilnehmern fast greifbar, obwohl sie diese mit keinem Laut ausdrückten. Jetzt, wo sie wussten, dass niemand ihnen später ihre Fehler vorhalten würde, war deutlich sichtbar eine schwere Last von ihnen abgefallen.

Atahualpa stellte die Schale auf einen kleinen Tisch aus vergoldetem Holz, der zwischen dem König und dem Anführer der Gesandten stand, und stellte sich hinter den Tisch, sodass er ins Publikum, auf den Kampfplatz und in Richtung der Kämpfer blickte. Der König griff in die Schale, und es wurde totenstill, sodass über dem ganzen Platz das Klirren zu hören war, mit dem die Scherben in der Schale aneinander stießen. Endlich, nach einigen quälend langen Sekunden, in denen Selina und alle anderen Personen auf dem Platz erwartungsvoll zu ihm aufsahen, zog er die Hand wieder aus der Schale und reichte Atahualpa eine Scherbe, der sie entgegennahm und den Namen laut vorlas, der darauf stand.

"Der erste Kämpfer ist eine Kämpferin, und ihr Name ist Selina."

Die Ausgeloste musste lächeln. Etwas besseres als der erste Kampf konnte ihr nicht passieren, wenn sie zeigen wollte, was sie konnte - schließlich blieb der erste Kampf oftmals lange in Erinnerung.

Jetzt griff der Anführer der Gesandten in die Schale, und erneut wurde es totenstill. Er hielt sich allerdings nicht so lange damit auf, in der Schale herumzuwühlen, sondern zog fast sofort die Hand wieder heraus und reichte Atahualpa die Scherbe.

"Der zweite Kämpfer", verkündete dieser, "heißt Metan."

Die anderen Teilnehmer, die nicht ausgelost worden waren, zogen sich auf die Tribüne, auf die eigens für sie reservierten Sitze, zurück, und außer Selina blieb nur ein Echidna stehen, der gut einen Kopf größer war als sie und Muskeln in Melonengröße hatte. Seine Waffe war - wie bei Aztic - ein langes Schwert.

Selina betrachtete ihn innerhalb eines Augenblicks - er schien zwar wirklich stark zu sein, aber mit Größe und Stärke ging oftmals eine gewisse Trägheit einher, und besonders klug sah er auch nicht aus. Der Beweis dafür kam, als er Selina einmal kurz verächtlich musterte und dann zu Atahualpa hinaufrief: "Schickt mir einen richtigen Gegner! Es ist eine Beleidigung für jeden Krieger, sich mit so einem schwächlichen Mädchen messen zu müssen!"

"Das wird sich noch zeigen", erwiderte sie kühl und blickte mit verschränkten Armen zu ihm hinüber. "Spätestens dann, wenn ich dich drei zu null geschlagen habe." Es war normalerweise nicht ihr Stil, zu prahlen, vor allem nicht bei einem unbekannten Gegner, aber diese Abwertung ihrer Fähigkeiten, die Metan nicht einmal einschätzen konnte, wollte sie ihm auch nicht einfach durchgehen lassen. Und tatsächlich starrte ihr Gegner sie mit einem einmalig dümmlichen Blick an. Offensichtlich hatte er nicht mit so einer schnellen Entgegnung gerechnet - und anscheinend war er es auch nicht gewohnt, dass seine Gegner sich nicht schon von seiner Erscheinung einschüchtern ließen.

In den folgenden Sekunden war die Stille fast hörbar, in der das Publikum auf den Beginn des Kampfes wartete, Selina mit verschränkten Armen zu ihrem Gegner hinüberblickte und dieser, ohne Anstalten, sich zu bewegen, zurückstarrte.

"Willst du mich anstarren, bis es dunkel wird?", fragte Selina spöttisch. "Oder willst du endlich anfangen?"

Das war dann doch zu viel des Guten. Metan stürmte auf sie los und holte zu einem Horizontalschlag aus, einen siegesgewissen Ausdruck auf seinem Gesicht.

Selina ging in die Knie, und der Schlag pfiff über ihren Kopf hinweg. Während sie sich wieder erhob, zog sie ein Messer und schlug damit nach dem Hals des Gegners. Ihr Gegner war gleich doppelt überrascht, weil einerseits sein Schlag ins Leere ging und in der gleichen Sekunde bereits ein Gegenangriff erfolgte, und starrte sie nur mit dem gleichen dümmlichen Gesichtsausdruck an, den er zuvor schon gezeigt hatte, und dachte nicht einmal daran, auszuweichen, geschweige denn den Angriff abzuwehren. Erst als das Messer seinen Hals berührte, erkannte er, was passierte - und da stand es schon eins zu null für Selina.

Atahualpa hob die Hand, und Selina löste sich von ihm und ging wieder auf zwei Schritte Abstand, damit die zweite Runde beginnen konnte. "Bis jetzt steht es eins zu null für das schwächliche Mädchen", sagte sie grinsend, um ihren Gegner noch weiter zu reizen - und wer wütend war, war blind für das, was der Gegner tat.

Diesmal stürmte er zwar nicht blind vor, aber Selina sah doch, dass er wütend war. Ihre Provokation und ihre Führung schienen doch etwas zu viel für ihren Gegner zu sein. Sicherheitshalber zog sie auch noch ihre zweite Waffe und nahm eine eher defensive Haltung ein. Blinde Frontalangriffe führten niemals zum Erfolg, wie sie wusste.

Ihr Gegner deutete das allerdings etwas anders.

"Greif mich doch an, wenn du dich traust", meinte er und grinste seinerseits. "Nur weil du einen Glückstreffer gelandet hast, heißt das noch lange nicht, dass du schon gewonnen hast. In meinem Dorf hat mich noch niemand besiegt."

"Es gibt immer ein erstes Mal", meinte sie ruhig. Dann sprang sie blitzschnell vor und schlug erneut mit dem rechten Messer nach dem Hals ihres Gegners, aber er hatte dazugelernt und sein Schwert parat. Knallend schlug Holz auf Holz, und aus der Nähe sah Selina, dass Metan sich seines Sieges immer noch sicher zu sein schien. Blitzschnell öffnete sie ihre andere Hand in einer hundertfach geübten Bewegung und drehte das doppelschneidige Messer herum, sodass sie es jetzt wie ein Schwert hielt, und stach damit zu, an seinen Armen und seiner Waffe vorbei, zielgenau auf die Stelle zwischen den Rippen, wo das Herz saß.

Jetzt sah sie zum ersten Mal Unsicherheit auf dem Gesicht ihres Gegenübers, als er den zweiten tödlichen Treffer realisierte. "Noch hast du nicht gewonnen", stieß er hervor.

"Ich weiß", erwiderte Selina und ging wieder auf Abstand, um die dritte Runde beginnen zu lassen.

Diesmal ließ ihr Metan nicht einmal Zeit, um die Waffen zu heben, sondern er griff sie gleich an, aber nicht in blinder Wut, und auch nicht in überheblicher Halbherzigkeit. Diesmal zeigte er, was er wirklich konnte. Unter dem ersten Schlag konnte Selina sich noch wegducken, beim zweiten Hieb, der von oben kam, drehte sie sich seitwärts, und das Schwert verfehlte sie knapp. Aus dieser Bewegung stieß sie wieder mit dem Messer zu, aber diesmal war ihr Gegner wach und lenkte den Stoß ganz knapp an seinem Brustkorb vorbei ins Leere zwischen dem linken Arm und der Brust - und dann quetschte er ihren Arm zwischen den Oberarm und zwei Rippen ein, und zwar mit aller Kraft, während er mit dem Schwert in der anderen Hand nach ihrem Rücken hieb.

Selina blieb nichts anderes übrig, als sich herumzudrehen, soweit sie konnte, sodass sie mit dem Rücken zu ihm stand, und mit dem Messer der rechten Hand den Hieb abzublocken. Erneut knallte Holz auf Holz, doch bevor ihr Gegner die Waffe zurückziehen und erneut zuschlagen konnte, trat Selina ihm mit all ihrer Kraft auf den Fuß. Das genügte, um den Druck auf ihren zweiten Arm soweit zu erleichtern, dass sie ihn herausziehen konnte, und blitzschnell rollte sie sich nach vorne, weg von ihrem Gegner.

Metan hieb, als sie aufstand, erneut nach ihrem Hals, aber sie duckte sich schnell genug wieder. Auf den vertikalen Hieb antwortete sie mit einer halben Seitwärtsdrehung, und anschließend schlug sie wieder mit ihrem rechten Messer nach seinem Hals - und traf.

Das Publikum, das bisher gespannt den Kampf verfolgt hatte, begann zu applaudieren, als es die Kampfkunst der jungen Kriegerin sah. Atahualpa hob erneut die Hand. "Den ersten Kampf gewinnt Selina", sagte er klar vernehmlich und wandte sich dann wieder um, um die nächsten Kämpfer festzustellen.

Selina ging zur Tribüne hinüber und ging zu ihrem Sitz neben Aztic, der ihren Kampf ruhig mitverfolgt hatte. "Glückwunsch", meinte er schlicht und lächelte ehrlich erfreut. "Ich habe keinen Augenblick an deinem Sieg gezweifelt."

"Danke", erwiderte Selina lächelnd. Den ersten Kampf hatte sie gut überstanden, jetzt hoffte sie darauf, dass möglichst noch drei weitere siegreiche Kämpfe folgen würden. Bei insgesamt sechzehn Teilnehmern konnte sie sogar auf einen besseren Gegner in der nächsten Runde hoffen.
 

Während die Sonne langsam weiterzog, ging auch das Turnier weiter. Während die Sonne langsam weiterzog, kämpften andere junge Krieger, zeigten andere junge Krieger einander und den Zuschauern ihr ganzes Können. Während jedes Kampfes herrschte auf dem Platz atemlose Stille und eine fast greifbare Spannung. Die Kämpfe waren - abgesehen von Selinas deutlichem Auftaktssieg - sehr ausgewogen und spannend. Mehrere Male waren die Kämpfe bis zum allerletzten Moment offen, mehrere Male waren die Gegner einander absolut ebenbürtig, aber immer zeigten die jungen Krieger an nahezu allen denkbaren Klingenarten beeindruckende Fähigkeiten, egal ob mit dem Langschwert, mit den Messern, mit der Hellebarde oder mit Schild und Kurzschwert, sodass sich auf den Gesichtern der Gesandten unverhohlene Bewunderung zeigte und selbst Atahualpa mehrere Male anerkennend nickte.

Dann schließlich begann sie zu sinken. Der Himmel veränderte seine Farbe von einem tiefen Blau langsam hin zu Orange, und immer noch war das Turnier nicht zu Ende. Immer noch standen sich zwei Krieger in der letzten Begegnung gegenüber, die nun schon über eine Stunde andauerte und in der sie sich beide gegenseitig zu absoluten Höchstleistungen getrieben hatten. Beide waren gezwungen gewesen, das letzte aus sich herauszuholen, und waren jetzt entsprechend erschöpft, aber keiner von beiden dachte auch nur ans Aufgeben. Es stand zwei zu zwei, und auf dem Platz herrschte seit einer Stunde absolute Stille - und jetzt harrten die Zuschauer der Entscheidung, die kommen musste.
 

Selina verstärkte den Griff um ihre Waffen und kniff die Augen zusammen. Sie schwitzte, sie war erschöpft - aber sie konnte es sich nicht leisten, sich den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen oder in ihrer Konzentration nachzulassen. Nicht beim Stand von zwei zu zwei mit Aztic als Gegner - sie hätte schneller den dritten Treffer kassiert, als ihr lieb sein konnte. Ihr einziger Trost dabei war, dass es Aztic genauso gehen musste. Er atmete genauso schwer und er schwitzte mindestens genauso wie sie.

Sie kannten beide den Kampfstil des Gegners in- und auswendig. In unzähligen Übungskämpfen hatten sie einander in genau dieser Situation gegenübergestanden, und Selina wusste genau, dass der entscheidende Treffer nach stundenlangem Kampf immer der schwerste war.

Für einen Moment senkte Aztic das Schwert ein wenig zu weit nach unten. Selina überlegte nicht lange - es konnte zwar eine Finte sein, aber sie konnte diese Gelegenheit nicht einfach so verstreichen lassen.

Also stürmte sie unter Einsatz ihrer verbliebenen Kräfte los und schlug mit ihrem linken Dolch nach seinem Hals. Aztic duckte sich, sodass sie ihn knapp verfehlte, und antwortete mit einem Hieb, der sie in die Kniekehle treffen und zu einem leichten Ziel machen sollte. Selina sprang hoch, zog ihre Knie dabei an, und der Hieb ging unter ihr hinweg. Als sich die Klinge genau unter ihr befand, drückte sie die Beine ruckartig durch, landete genau auf der flachen Seite des Schwerts und presste es auf den Boden. Bevor Aztic auf Abstand gehen und so seine Waffe wieder freikriegen konnte, weil sie ihn würde verfolgen müssen, stach sie mit einem Messer nach hinten zu, zielte mit einem schnellen Blick über die Schulter - und traf genau den Punkt, wo das Herz saß.

Atahualpa erhob sich und hob die Hand. "Selina gewinnt diesen Kampf", sagte er und konnte nicht ganz verbergen, dass er beeindruckt von den Fähigkeiten der beiden jungen Kämpfer war. "Damit gewinnt sie auch dieses Turnier."

Selina steckte sich ihre Messer zurück in den Gürtel, trat von der Holzwaffe herunter und atmete tief durch. Dieser Kampf war viel anstrengender gewesen als die schweren Kämpfe, die sie in den Runden zuvor überstanden hatte, und sie fühlte sich so, als müsste sie jeden Moment vor Erschöpfung zusammenbrechen, aber gleichzeitig freute sie sich auch, und die anerkennenden Blicke und der Applaus von den anderen Echidna - auch von den Turnierteilnehmern - entschädigten sie für alles.

Sie beugte sich zu Aztic hinunter, den der letzte Treffer und die Enttäuschung schwer mitgenommen hatte. Seine Augen glänzten feucht und er saß erschöpft auf dem Boden, als er zu ihr hinaufblickte. Sie hielt ihm ihre Hand hin und lächelte. "Den nächsten Kampf gewinnst du", sagte sie, gerade laut genug, dass er sie verstehen konnte.

Aztic erwiderte ihr Lächeln und ergriff ihre Hand. "Das will ich auch hoffen", meinte er und ließ sich von ihr auf die Beine helfen. Zusammen genossen sie nun den Applaus der Zuschauer, und selbst die Igel waren beeindruckt, wie man an ihren Mienen deutlich ablesen konnte.

Nur einer von ihnen, der jüngste, mit grünen Stacheln und dunklen Augen, sah sich Selina genauer an, und über sein Gesicht zog ein leichter Schatten, als Malinche zu ihr lief und sie freudig umarmte.

Der letzte Abend

Am westlichsten Ende der Stadt führte eine gewundene Treppe an einem Hügelhang empor. Die Treppe bestand aus einfachem grauen Stein, und oben war ein kleines Plateau, auf dem ein kleiner Schrein stand. Er bestand nur aus sieben Säulen auf einer siebeneckigen Grundfläche, die ein ebenfalls siebeneckiges Dach stützten, und einem Mosaik auf der hintersten Wand des Schreins, das etwa einen halben Meter hoch und einen Meter breit war und damit etwa auf Kopfhöhe die gesamte Wandbreite bedeckte. Es zeigte ein igelähnliches Wesen, das strahlte und funkelte, als wäre es aus Kristall, vor einem Hintergrund aus Gewitterwolken.

Nachdenklich stand Selina vor diesem Mosaik und betrachtete es, während sie mit ihren Gedanken ganz woanders war. Sie kam oft hierher, einfach wegen der Ruhe dieses Ortes. Man hatte einen wunderschönen Blick auf den Sonnenuntergang über der rauen Gegend im Westen, wo dünne Wälder und felsige Hügelhänge sich am Fuße einer hohen Felswand abwechselten abwechselten, oder konnte morgens die Sonne auf der anderen Seite der Stadt aufgehen sehen. Beides hatte sie schon oft getan.

Sie hörte Schritte auf der Treppe, die auf das Plateau heraufführte und die durch die Stille, die hier oben abgesehen von einige zirpenden Grillen in den Büschen auf dem Plateau herrschte, weithin hörbar waren. Sie warf einen Blick über die Schulter und erkannte Huascar, der eine kleine Stoffrolle in einer Hand hielt.

Ihr Ausbilder kam zu ihr hinüber und lächelte. "Ich hatte noch keine Gelegenheit, dir zu gratulieren", sagte er. "Du hast wirklich großartig gekämpft."

"Dank Eurer Hilfe", erwiderte Selina und blickte verlegen zu Boden. "Ohne Eure Ausbildung hätte ich es nie soweit gebracht."

Huascar zuckte mit den Schultern, ging aber nicht näher darauf ein. "Zögerst du immer noch, die Echidna zu verlassen und dir neue Herausforderungen zu suchen?", fragte er statt dessen. Selina hob überrascht den Kopf, sagte aber nichts, was Huascar mit einem Kopfschütteln quittierte. "Du hast heute besser gekämpft als so manche Soldaten mit viel mehr Erfahrung als du", sagte er, "und du hast noch Potenzial, aber hier bei den Echidna kannst du nichts mehr dazulernen. Worauf wartest du?"

"Ich... weiß es auch nicht", murmelte Selina und blickte ihren Ausbilder direkt an. "Ich habe Angst vor diesem Schritt, aber diese Angst wird durch Aussitzen auch nicht verschwinden. Und", sie schwieg kurz, als schäme sie sich, das einzugestehen, "und ich habe Angst um Malinche. Sie ist gerade erst dreizehn... und irgendetwas an diesen Verhandlungen kommt mir sehr seltsam vor."

Huascar nickte. "Wenn es dich beruhigt", meinte er, "Aztic hat sich der Delegation angeschlossen und wird ein Auge auf deine Schwester haben."

Selina war zwar überrascht, aber auch erleichtert. Auf Aztic war Verlass.

"Und was deine Bedenken zu den Verhandlungen angeht", ergänzte der alte Krieger und wurde plötzlich viel ernster, "mir geht es genauso wie dir."

Jetzt konnte Selina ihre Überraschung nicht mehr verbergen und blickte Huascar mir unverhohlenem Staunen an.

"Ich weiß, dass das Turnier nicht als Feier zum Abschied geplant war", begann Huascar zu erklären. "Es diente vorrangig dazu, um die Igel vom Gedanken, Krieg gegen die Echidna zu führen, abzuschrecken. Diesen Zweck hat es vielleicht erreicht - aber warum ist eine solche Abschreckung überhaupt nötig, wenn doch beide Seiten Frieden wollen? Vielleicht, weil eine Seite gar nicht am Frieden interessiert ist... oder?"

"Was wollt Ihr damit sagen?", fragte Selina. "Dass die Igel geplant haben, uns anzugreifen, und der König sie so abschrecken will?"

"Wohl kaum", schnaubte Huascar. "Ich denke eher, dass der König sie abschrecken will, um sie, falls wir sie angreifen, vom Gedanken an Widerstand abzubringen. Denn falls sie sich auf ihrem Land wehren würden, hätten wir keine Chance gegen sie. Sie kennen Orte, die sich für Hinterhalte eignen, sie kennen mögliche Schlachtfelder, wichtige strategische Punkte - selbst Atahualpa könnte gegen sie mit all seinem strategischen Können nicht bestehen. Wir würden uns schnell zurückziehen müssen, und eine Armee, die sich zurückzieht, ist leicht zu schlagen - sie könnten uns in den Rücken fallen und uns schlagen, dann auch auf unserem Gebiet. Um das zu vermeiden und die Moral der Igel zu untergraben, hat das Turnier heute stattgefunden, zu keinem anderen Zweck."

"Und was hat das mit unseren Gesandten zu tun?", bohrte Selina nach.

"Die müssen entweder den Schein des Friedens aufrecht erhalten, was zu ihrer sicheren Gefangennahme führen würde, oder abziehen, was die Igel warnen würde", antwortete Huascar düster. "Du hast also durchaus Recht, wenn du irgendetwas spürst, was dich stört."

Selina furchte die Stirn. "Schön und gut", meinte sie, "aber was, wenn die Igel wirklich Feindseligkeiten gegen uns planen?"

"Dann hat das Turnier fürs erste zu ihrer Abschreckung geführt, aber dann würden sie unsere Unterhändler vermutlich gefangen nehmen, sobald sie sich bereit glauben, und als Geiseln gegen uns einsetzen, wenn unser Heer auszieht, um sie zu befreien", murmelte Huascar. "Das läuft auf das gleiche hinaus. Auf jeden Fall ist diese Verhandlung ziemlich gefährlich, für alle Beteiligten. Der kleinste Fehler kann schwerwiegende Folgen haben."

"Und Malinche führt unsere Gesandten", fügte Selina besorgt hinzu. "Weiß sie, worauf sie sich da eingelassen hat?"

"Mit Sicherheit", meinte Huascar. "Deine Schwester ist sehr schlau, und ich wüsste niemanden, der für dieses Unternehmen besser geeignet wäre. Ihr Verhandlungsgeschick ist beachtlich - man erzählt sich sogar, dass sie es geschafft habe, auf dem Markt einige Artikel zu einem Viertel des Originalpreises zu erhalten, nur durch Verhandeln." Er musste grinsen, als er das erzählte. "Mach dir mal um sie keine Sorgen. Sie wird schon darauf achten, dass sie nicht überrumpelt und als Geisel festgehalten wird - und wenn nicht sie, dann wird es Aztic tun.

Aber ich bin eigentlich nicht hier, um mit dir über Politik zu reden", sagte er plötzlich. "Eigentlich wollte ich dir etwas geben." Damit drückte er Selina die Stoffrolle in die Hand und blickte sie direkt an. "Bei mir kannst du nichts mehr lernen, wie du ja heute gesehen hast. Du hast für das hier mehr Verwendung als ich - vor allem, wenn du dich endlich dazu entschließen solltest, neue Herausforderungen zu suchen." Er wartete Selinas Antwort gar nicht erst ab, sondern drehte sich um und ging die Treppe hinab.

Verwirrt und verunsichert blickte Selina ihrem alten Meister nach. Auch er hatte also das Gefühl, dass an diesen Verhandlungen irgendetwas faul war... aber das verunsicherte sie nur noch mehr, wenn sie an die Gefahr für ihre kleine Schwester dachte. Auch wenn sie selbst erst fünfzehn war, wünschte sie für einen Moment, Malinche zu begleiten und sie zu beschützen, obwohl sie sie bei den Verhandlungen sowieso nicht unterstützen konnte und sie bei Aztic in allerbesten Händen sein würde

Ihr Blick fiel auf die Stoffrolle, die ihr Huascar in die Hand gedrückt hatte. Sie war ungewöhnlich schwer für eine einfache Stoffrolle, sodass sie sich fragte, was in ihr sein mochte, was Huascar ihr unbedingt unter vier Augen hatte geben wollen.

Nun, es gab einen einfachen Weg, das herauszufinden.

Sie zog an der Kordel, die die Stoffrolle in ihrer Form hielt. Die Schnur, die zu einer Schleife gebunden gewesen war, löste sich leicht, und Selina ließ sie durch ihre Finger gleiten, bevor sie sie festhielt. Sie war aus seltsam feinen Fäden gedreht, und die dunkelrote Farbe wurde hier und da von einem Goldfaden unterbrochen. Allein dieses Band war sehr wertvoll, wie Selina sofort erkannte. Was mochte da in der Rolle drinstecken?

Vorsichtig entrollte Selina die Stoffrolle. Lage um Lage des Stoffes ließ sie abrollen, Lage um Lage des Stoffes legte sich auf den Boden, bis Selina schließlich sah, was die Rolle enthalten hatte und vor Überraschung und Erstaunen den Atem anhielt.

In ihrer Hand hielt sie zwei Messerscheiden aus rotem Holz, die kunstvoll mit dünnen Goldlinien verziert waren und glänzten, als wären sie soeben frisch hergestellt worden. Das dünne Seil, an dem diese Messerscheiden befestigt wurden, hielt sie vermutlich gerade in der anderen Hand. Von der Farbe und der Verzierung passte es jedenfalls zusammen. Die Griffe, die zu sehen waren, waren mit Leder umwickelt, das vermutlich einst rot gewesen war, sich aber im Lauf der Zeit fast schwarz verfärbt hatte. Vorsichtig zog Selina eine der Waffen und lauschte andächtig auf das kaum wahrnehmbare Kratzen des Metalls auf dem Holz. Das Messer selbst war eine gerade, zweischneidige Waffe, die etwa so lang war wie einer ihrer Unterarme und im Licht der untergehenden Sonne blitzte und funkelte. Beide Schneiden liefen geradezu unheimlich in einer Spitze zusammen, die selbst aus nächster Nähe nicht zu erkennen war. Probeweise spreizte Selina den Daumen der Hand ab, mit der sie die Scheiden hielt, und setzte das Messer an - aber sie brauchte nicht einmal bewusst zu schneiden. Schon beim Ansetzen schnitt das Messer durch ihre Haut, als sei sie gar nicht vorhanden, und ließ an ihrem Finger ein dünnes Blutrinnsal hinablaufen.

Und das zweite Messer war bestimmt genauso beschaffen.

Selina musste schlucken. Diese Waffen waren ganz sicher ein Vermögen wert. Sie waren sogar noch ein wenig leichter als die hölzernen Übungswaffen, aber so scharf und spitz, dass die kleinste Berührung verletzte. Echidnaschmiede brachten so ein Meisterwerk gar nicht fertig - die Messer, die sie in der Stadt gesehen hatte, waren alle deutlich plumper, unförmiger, schwerer und auch bei weitem nicht so scharf gewesen. Nein... diese Messer mussten aus der Schmiede der Chamäleons stammen, jener Wesen, deren Existenz nicht einmal gesichert war, denen man aber nachsagte, dass sie die schärfsten und gefährlichsten Waffen der Welt herstellten.

Und obwohl Huascar sie oftmals benutzt haben musste, wie das angelaufene Leder am Griff bewies, waren diese Waffen immer noch so gefährlich wie damals, als sie gerade erst geschmiedet worden waren. Nicht eine Scharte war zu sehen, kein noch so kleiner Rostfleck verdeckte das makellose Blitzen der Klinge. Diese Waffe war schön, so schön, wie Selina noch keine Waffe gesehen hatte... und unglaublich gefährlich.

Huascar musste wirklich verrückt sein, dachte sie, als sie die dünne Kordel durch die dafür vorgesehenen Schlaufen zog und sie sich um die Hüfte band, sodass sie beide Messer mit beiden Händen erreichen konnte. Er hätte mit dem Verkauf dieser Messer der reichste Mann der Stadt werden können - aber statt dessen verschenkte er diese Schätze einfach an seine Schülerin. Es war zwar Brauch, dass Ausbilder ihren Schülern, wenn sie glaubten, dass sie ihnen nichts mehr beibringen konnten, ihre ersten Waffen schenkten als Zeichen ihrer Reife, aber solche Waffen hätte sie niemals erwartet.

Sie wandte den Blick zur untergehenden Sonne, die jetzt, bevor sie endgültig verschwinden und die Nacht hereinbrechen lassen würde, den Himmel blutrot färbte, und eine einzige Träne der Wehmut lief ihr aus dem Auge, aber sie achtete nicht darauf, sondern genoss die Ruhe dieses Momentes an ihrem Lieblingsort. Vermutlich, dachte sie, würde sie ihn nicht allzu bald wiedersehen. Jetzt, mit diesen Waffen, konnte sie unmöglich noch länger zögern. Jetzt gab es wirklich keinen Grund mehr für sie, noch länger im Reich der Echidna zu bleiben. Sie würde gehen, würde die Echidna verlassen und sich die Welt draußen ansehen. Hier konnte sie jedenfalls nichts mehr lernen.
 

Doch obwohl sie diesen Entschluss gefasst hatte, obwohl sie sich eigentlich ganz sicher war, so ging ihr doch etwas nicht aus dem Kopf, als sie die Treppe vom Aussichtspunkt wieder hinabstieg und sich durch die Straßen, die jetzt, zur Abendessenszeit, wie leergefegt waren, nach Hause begab. Sie machte sich immer noch Sorgen um ihre kleine Schwester. Auch wenn Malinche wusste, worauf sie sich da eingelassen hatte - und sie wusste es, dessen war Selina sich ganz sicher - so war es immer noch ein unverhältnismäßig gefährlicher Auftrag für eine Dreizehnjährige. Sie musste unbedingt mit ihr darüber reden, dachte sie, als sie den Platz vor dem Palast überquerte. Die Tribüne war bereits wieder abgebaut worden, und der große Platz war jetzt wie ausgestorben. Unter den Palmen, die um den Teich in der Mitte herumstanden, saß niemand, und außer ihr war niemand zu sehen.

Die breiten, von Palmen gesäumten Alleen, die am Palastgelände entlang führten und an denen sich, gegenüber des Palastgartens, auf der anderen Straßenseite, die Villen der Reichen und Einflussreichen befanden, waren ebenso ausgestorben. Aus den Häusern war lediglich hin und wieder das Klappern von Geschirr zu hören, typische Geräusche, die beim Essen nun einmal ständig entstanden.

Selina folgte der Prachtstraße aber nicht allzu weit, sondern blieb schon nach wenigen Häusern stehen, vor einem Haus, das sogar noch größer war als die Villen, die direkt daneben standen. An der Straße führte hinter einem hohen Metallzaun ein mit Kies gepflasterter Weg zwischen Blumenbeeten und einem großen Obst- und Gemüsegarten, der von den Dienern bestellt wurde, hindurch, zu einem einstöckigen Haus, das aus einem großen Raum und einigen kleineren Räumen, die immer direkt an den großen Raum angeschlossen waren, bestand. Der große Raum hatte in der Mitte ein kleines Wasserbecken, das nicht überdacht war, sodass der Raum tagsüber immer hell erleuchtet war. Die kleinen Räume waren zum großen Teil Schlafzimmer, sowohl für Selinas Eltern als auch für sie selbst und ihre Schwester sowie für die Diener, deren Zimmer etwas kleiner und mit mehr Personen belegt waren.

Selina schüttelte unwillkürlich den Kopf, als sie das Tor im Zaun öffnete und über den Weg zur Haustür ging. Wie sie diese erzwungene, vornehme Ruhe doch hasste, die hier in Palastnähe und inmitten eines Viertels voller träger, fauler und meistens alter Echidna zu herrschen hatte...
 

Als sie die Tür öffnete und den Innenraum betrat, richteten sich die Blicke der Anwesenden auf sie. Ihre Mutter und ihre Schwester, ja selbst ihr Vater saßen bereits am Tisch, dicht am kleinen Teich, und blickten überrascht zu ihr hinüber, während die Bediensteten sich an ihren Tischen im Hintergrund wieder ihren Gesprächen untereinander zuwandten, als sei nichts gewesen. "Wo bist du gewesen?", fragte Malinche und brach sich ein Stück vom frischen Fladenbrot ab, bevor sie es in die Suppe aus Tomatensaft mit Maiskörnern und viel Pfeffer - eine Spezialität ihrer Mutter - tauchte, die sich in ihrer tönerne Schale befand, und hineinbiss.

Selina antwortete nicht, sondern ging um den Tisch herum, setzte sich neben ihre Schwester und griff nach der letzten freien Schale, deren Inhalt bereits abgekühlt war.

"Warum antwortest du Malinche nicht?", fragte ihre Mutter missbilligend. "Du weißt doch, dass sie uns morgen schon verlässt. Warum also ignorierst du sie?"

"Wo könnte ich schon gewesen sein?", gab Selina leise zurück, griff nach der Vase mit Wasser und schüttete sich ihren Becher voll.

Malinche nickte und aß weiter, als sei nichts geschehen.

"Deine Schwester hat dich etwas gefragt", knurrte ihr Vater sie an.

Malinche wollte sich einschalten, wollte vermutlich sagen, dass sich ihre Frage geklärt hatte, dass sie jetzt wusste, wo Selina gewesen war, aber ihre Schwester war schneller. "Nur weil du als Berater des Königs total unter Stress stehst, brauchst du mich nicht so anzufahren", gab sie zurück und griff nach der Kelle im Suppentopf, um sich ihre Schale mit Suppe zu füllen. "Es geht dich gar nichts an, wo ich mich aufhalte und was ich mit meiner Zeit anfange."

"Es geht mich etwas an, wenn du unserer ganzen Familie Schande bringst", gab ihr Vater zurück. "Es gehört sich einfach nicht für ein junges Mädchen, sich mit der Kunst des Kampfes zu befassen."

Selina blickte ihren Vater nicht an, als sie antwortete, aber ihrer Stimme war deutlich anzumerken, dass sie wütend war. "Es kommt mir nicht wie Schande vor, eine Tochter zu haben, die ihre Zeit lieber an den Messern als am Spinnrad oder am Herd verbringt, vor allem dann nicht, wenn diese Tochter eben erst das Kampfturnier gewonnen hat."

"Glück", meinte ihr Vater geringschätzig. "Glück und die Tatsache, dass dich deine Gegner unterschätzt haben. Schon der erste Gegner hätte dich unter normalen Umständen aus dem Ring werfen müssen." Er riss sich ebenfalls einen neuen Streifen vom Brot ab, bevor er weitersprach. "Mädchen wie du gehören eben nicht an die Waffen, sondern viel eher an den Herd oder ans Spinnrad - oder an die Seite eines starken Mannes." Hierbei wanderte sein Blick kurz zu Malinche, und er lächelte, bevor er sich wieder seiner älteren Tochter zuwandte und sein Blick wieder härter wurde. "Wenn du dir nicht langsam über deine Rolle klar wirst, dann wirst du niemals einen Mann abkriegen."

"Mir egal", gab Selina zurück, biss einmal kräftig in ihr Brot und genoss den kräftigen, scharfen Geschmack der Suppe, die sich im Brot gesammelt hatte.

Ihr Vater blickte sie kalt und fast mitleidig an. "Du bist verrückt, und eigentlich müsste ich dich mit ein paar saftigen Schlägen zur Vernunft bringen."

Selina schluckte ihr Brot hinunter und blickte ihren Vater voll Verachtung an. "Versuch es", meinte sie ebenso kalt wie er. "Aber ich garantiere dir, ich werde mich wehren."

Jetzt griff ihre Mutter ein. Sie legte sanft ihre Hand auf Selinas Arm. "Du solltest wirklich nicht so mit deinem Vater reden", sagte sie beschwichtigend. "Er meint es doch nur gut mit dir. Und er hat doch Recht - du wirst niemals heiraten und niemals Kinder haben, wenn du nicht endlich Vernunft annimmst."

Unwirsch zog Selina ihren Arm weg. "Das will ich auch gar nicht", gab sie genervt zurück, und ihre Stimme zitterte vor Zorn, als sie weitersprach. "Diese Belehrungen habe ich jetzt schon unzählige Male gehört, und sie liefen immer auf das gleiche hinaus. Und langsam habe ich wirklich genug davon. Ich habe es satt, mir tagaus, tagein eure endlosen Litaneien darüber anzuhören, was sich für jemanden wie mich gehört. Ich habe es satt, von euch immer wieder aufs Neue gesagt zu bekommen, was ich zu tun und zu lassen habe, obwohl ihr doch längst wissen solltet, dass ich mich sowieso nicht dran halte. Lasst mich einfach in Ruhe. Zumindest für heute. Morgen verschwinde ich. Dann muss ich mir euer endloses Gerede wenigstens nicht mehr länger antun."

Die Wirkung dieser Worte auf ihre Familienmitglieder war erstaunlich. Ihr Vater prustete ins Essen und begann zu husten. Ihre Mutter zuckte zusammen, wie von einem Peitschenhieb getroffen, sprang auf und eilte in Richtung ihres Schlafzimmers, dicht an Selina vorbei, und Selina war sich sicher, in ihrem Auge Tränen glitzern zu sehen. Malinche hingegen sah sie zwar zunächst ungläubig an, aber dann lächelte sie. "Also hast du dich endlich entschieden", meinte sie.

Selina nickte. Jetzt, wo sie es gesagt hatte, wo sie es vor ihrer Familie gesagt hatte, fühlte sie eine große Erleichterung - ein Gefühl, das freilich nicht allzu lange währte, als ihr Blick auf ihren Vater fiel. Er starrte sie zitternd vor Wut an. Dann, urplötzlich, sprang er auf und holte zu einer Ohrfeige, quer über den Tisch, aus.

Sein Hieb wurde allerdings von einem Unterarm abgewehrt, auf den er mit dem Handgelenk schlug. Blitzschnell hatte Selina ihren Arm gehoben, um den Schlag abzuwehren, und dabei beiläufig noch einen Schluck Wasser getrunken. Jetzt setzte sie den Becher ab und stand langsam auf. "Ich habe dir gesagt, ich werde mich wehren", sagte sie leise, aber doch im ganzen Raum vernehmbar, denn auch die Diener hatten ihre Gespräche eingestellt, als ihr Herr wie von Sinnen aufgesprungen war. Der Knall, als Selina ansatzlos mit einem ebensolchen Schlag ins Gesicht antwortete, wie sie ihn hatte erhalten sollen, war im ganzen Haus zu hören. Der ältere Echidna taumelte, mehr überrascht als wirklich verletzt, einige Schritte zurück und hielt sich die Wange. "Dafür wirst du büßen", zischte er und verschwand in Richtung des Schlafzimmers von ihm und seiner Frau, in das diese zuvor verschwunden war.

Malinche stand auf und ging langsam zu Selina hinüber. "Ich glaube, er meinte das ernst", warnte sie.

Selina schnaubte verächtlich. "Sollte mir das etwa Angst machen?", fragte sie und schüttelte den Kopf. "Was auch immer er vorhaben mag, er müsste es heute Abend oder heute Nacht tun. Und ich weiß mich durchaus zu verteidigen. Mach dir mal keine Sorgen. Das kannst du dir für die Zeit aufheben, in der du dich bei den Igeln aufhältst."

Malinche nickte. "Willst du nicht mitkommen?", fragte sie. "Du kannst dich doch uns anschließen, wenn du doch sowieso von hier weg willst."

"Das habe ich mir auch überlegt", meinte Selina. "Aber wenn ich wirklich für mich Erfahrungen sammeln will, habe ich nichts davon, mich einer größeren Gesellschaft anzuschließen. Es ist besser, wenn ich mir die Welt da draußen allein ansehe." Malinche senkte traurig den Kopf, sodass sie sich beeilte, hinzuzufügen: "Aber trotzdem kann ich ja vielleicht mal bei euch vorbeischauen, wenn ich zufällig in der Gegend bin. Wie lange werden die Verhandlungen andauern?"

Die jüngere Echidna zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung", murmelte sie. "Aber es könnten durchaus einige Jahre werden. Du hast also genug Zeit, um mich zu besuchen."

Selina warf einen Blick auf den Himmel, an dem sich bereits die ersten Sterne zeigten, die sie selbst durch den Lichtschein der Fackeln im Hof erkennen konnte. "Weck mich, wenn du morgen aufstehst", meinte sie zu ihrer Schwester. "Bis zum Ortsausgang haben wir den gleichen Weg."

Die Nacht des Kampfes

Es war sehr spät in der Nacht. Der sichelförmige Mond war längst wieder verschwunden, und nur die Sterne beschienen die schlafende Stadt der Echidna.

In den Straßen des Viertels rührte sich nichts, abgesehen von den Nachtwächtern, die soeben, pünktlich zur Mitte der Nacht, die Schicht übernommen hatten und müde und verschlafen durch die Straßen wankten. Der Schein ihrer Laternen zeigte kein Lebewesen irgendeiner Art auf den Straßen.

Doch kaum waren sie verschwunden, kaum waren sie weit genug entfernt, um zu sehen, was sich vor dem Haus abspielte, tauchten einige schwarze Gestalten auf. Sie erschienen wie aus dem Nichts. Sie kamen nicht die Straße entlang, sie sprangen nicht über die Mauer aus dem Palastgarten, sie erschienen einfach, ohne dass erkennbar war, woher sie kamen. Sie schienen fast aus der Dunkelheit der Nacht zu kommen, fast aus dem Schatten zu entstehen.

Nach und nach erschienen zehn dieser Schattengestalten. Der erste kletterte am Zaun hoch wie an einer Strickleiter, sprang auf der anderen Seite wieder hinab und öffnete das Tor. Blitzschnell huschten die Schattengestalten hinein, und dann, als der letzte durch das Tor gegangen war, verschloss der erste es wieder und legte auch den Riegel wieder vor. Es sah so aus, als sei das Tor nie geöffnet worden.

Als die Nachtwächter wieder am Tor vorbei kamen, schien alles so zu sein, wie sie es verlassen hatten.
 

Der Nachtwind schob die Wolke beiseite, die vor dem vollen Mond stand, und enthüllte die Umgebung um die Echidna.

Sie stand auf einer Wiese vor einem großen Altar, direkt vor ihr. Die Basis des Altars war kreisrund. Sieben Säulen stützten das steinerne Dach, das eine erhöhte Plattform beschirmte, sieben Säulen stützten den steinernen Ring, der um die Basis herumführte, und sieben spitze Säulen standen in gerader Linie von der ersten über die zweite Säule und deuteten ebenfalls einen Kreis an.

Eine Treppe führte zur Plattform hinauf.

Sie ging die Treppe hinauf. Es war nicht einmal ihre Entscheidung, das zu tun. Ihre Beine stiegen einfach die Treppe hinauf, Schritt für Schritt, Stufe für Stufe, und sie war nur die Beobachterin der Szene.

Oben auf der Plattform stand in einer siebeneckigen Fassung, die mit verschiedenen Zeichen, die sie in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, verziert war, ein Kristall, der fast ebenso groß war wie sie und ein dunkelgrünes Leuchten abgab. Der Kristall war vollkommen regelmäßig achteckig und endete oben auf einer glatten Fläche, die sie allerdings nicht erkennen konnte. Sie trat näher hin und blickte auf den Emerald, auf ihr Spiegelbild, das sie auf der grünen Seite gegen das Licht gerade so erkennen konnte.

Urplötzlich wurde die Seite, auf die sie starrte, glasklar, wie eine Wasseroberfläche, und ließ sie hineinblicken. Als sie nun versuchte, etwas darin zu erkennen, hatte sie das Gefühl, als versuche sie, in die tiefsten Geheimnisse, in die dunkelsten Ecken einer ihr unbekannten Seele zu schauen. Ein Schauer überlief sie, und für einen Moment war sie sich unsicher, ob sie wirklich hinein sehen wollte, aber dann siegte die Neugier.

Hinter und um ihr Spiegelbild herum herrschte Dunkelheit, so vollkommen wie ein wolkenverhangener Nachthimmel in einer mondlosen Nacht. Dann, ganz langsam, verformten sich die Konturen des Bildes, ganz langsam verfremdete sich ihr Spiegelbild, bis sie nicht mehr sich selbst sah.

Sie sah statt dessen ein Wesen, dessen Körper aus Wasser zu bestehen schien. Das Wasser war so klar wie frisches Quellwasser, und keine Welle ging über den Körper des Wesens. Seine Hände waren unverhältnismäßig groß. Sie waren fast so lang wie sein Oberschenkel, und Finger waren nicht zu sehen, abgesehen vom Daumen. Obwohl es aus Wasser bestand, musste das Wesen in diesen Händen ziemlich viel Kraft haben.

Das Gleiche war es mit den Füßen. Sie waren fast so lag wie seine Unterschenkel und besaßen keine Zehen, aber trotzdem hatte das Wesen in den Beinen und Füßen vermutlich eine ganze Menge Kraft.

Aber das erstaunlichste war der Kopf. Das Wesen besaß keinerlei Gesichtszüge irgendeiner Art. Es hatte keine Ohren, keinen Mund und keine Nase, dafür aber zwei große Augen, die zusammen über fast die ganze Kopfbreite gingen und zwischen sich nur einen fingerbreiten Spalt freiließen. Der Kopf war nur so breit wie eine Hand des Wesens, dafür aber auch so lang wie eine seiner Hände vom Gelenk bis zur äußersten Spitze der Masse, die es anstatt der Finger besaß.

Dieses Wesen blickte ihr aus der Dunkelheit entgegen, mit ruhigem Blick, und sie meinte, eine Stimme in ihrem Kopf hören zu können... eine Stimme, die klang, als würde sie unter Wasser gesprochen, die aber trotzdem, durch den blubbernden Klang hindurch, klar verständlich blieb... und ihrer eigenen Stimme sehr stark ähnelte...

"Pass auf... was du tust... wofür du kämpfst... was du dir wünschst...

Und... WACH AUF!"
 

Selina öffnete die Augen und sah sich um. Sie merkte, dass ihr Herz raste, und versuchte instinktiv, lautes Atmen zu unterdrücken. Bevor sie irgendetwas erkennen konnte in der nahezu totalen Dunkelheit, die sie umgab, hörte sie die Tür zum Zimmer, in dem sie mit Malinche lag, knarren, auf die unverwechselbare Weise, und konnte, gegen den ganz leicht erhellten Hof, einen Schemen erkennen, der ins Zimmer huschte und die Tür mit demselben Knarren wieder hinter sich schloss. Einen Moment meinte sie, eine Reflexion des Lichtes auf einer Klinge erkannt zu haben.

Sie griff nach den Waffen, die sie von Huascar erhalten hatte und die griffbereit neben ihrem Bett, ein Sack, gefüllt mit Stroh, lagen, und zog so leise wie möglich ein Messer. Ihre Augen hatten sich jetzt an die Dunkelheit gewöhnt, und auch wenn nur wenig Licht ins Zimmer kam, von den Sternen durch den Spalt unter der Tür und zwischen den Strohhalmen, die ineinander verflochten den Hauptteil der Tür ausmachten, so reichte es doch aus, um einen noch dunkleren Schemen zu erkennen, der neben ihr stand und etwas hob.

Sie schaltete schnell. Sie hatte eine Waffe gesehen, als der Unbekannte das Zimmer betreten hatte. Sie sah, wie er neben ihr stand und mit eben dieser Waffe zum Schlag ausholte.

Mit einer blitzschnellen Bewegung schlug sie dorthin, wo sie sein Bein vermutete. Für einen ganz kurzen Moment spürte sie einen geringen Widerstand - auch wenn das Messer durch Haut, Fleisch und Knochen schnitt, als seien sie nicht vorhanden, so war doch ein kleiner Widerstand spürbar, und sie wusste, dass sie getroffen haben musste. Und wirklich kippte der Unbekannte zu dieser Seite weg, offensichtlich überrascht von ihrem Gegenangriff. Sofort war Selina bei ihm und schlug mit dem Messer erneut zu. Weil sie gegen den dunklen Schemen auf dem ebenso dunklen Boden kein gutes Ziel hatte, hieb sie einfach nach seiner Bauchdecke, spürte, dass sie traf, und zog das Messer nach oben, in Richtung des Kopfes. Sie spürte, dass Blut aus der Leiche auf sie spritzte, griff nach ihrem zweiten Messer und stand auf. Sie blickte kurz auf den Schemen hinunter, und auch wenn es dunkel war, konnte sie erkennen, dass ihr Gegner kein Echidna gewesen war. Überhaupt konnte sie nicht erkennen, welcher Rasse er angehörte. Alles an ihm war schwarz: sein kugelförmiger Kopf, seine Arme, seine Beine, sein Körper überhaupt - nur sein Blut nicht. Es schimmerte rötlich im schwachen Licht.

Ihre Schwester schlief noch. Seltsamerweise hatte ihr Gegner keinen Laut von sich gegeben, wie sie es eigentlich erwartet hatte.

Selina nahm sich ein paar Sekunden Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen. Dieser Unbekannte war völlig ungestört in das Zimmer von ihr und Malinche eingedrungen. Niemand hatte ihn bemerkt, niemand hatte sie gewarnt. Das war kein Zufall gewesen, kein Irrtum - das war ein geplanter Anschlag. Und wenn das stimmte, dann mussten noch mehr Gegner im Haus sein, weil niemand allein alle Bewohner eines Hauses umbringen konnte und sich schon gar nicht allein hineinwagte, um jemanden gezielt umzubringen - und dann...

Selina schluckte, als sie den Gedanken zu Ende dachte. Dann waren vermutlich nur noch sie und Malinche am Leben.

Dann wollte sie wenigstens ihre Leben retten.

Sie ging zu ihrem Bett hinüber und stieß ihr einen Finger zwischen die Rippen. Das war schon immer ein sicheres Mittel gewesen, ihre Schwester zu wecken, und auch diesmal klappte es tadellos. Malinche fuhr hoch, wie von der Tarantel gestochen, und wollte sie wütend anfahren, aber Selina legte ihr schnell einen Finger auf die Lippen. "Hör mir zu", flüsterte sie. "Hier war gerade jemand drin und hat versucht, mich umzubringen. Ich vermute, dass noch mehr von seiner Sorte im Haus sind. Bleib hier drin, und wenn irgendjemand in diesen Raum kommt, bring ihn um. Sonst bist du die nächste."

Malinche schüttelte den Kopf, wie Selina fühlte. "Was meinst du damit?", fragte sie verwirrt.

"Ich meine, dass irgendjemand gerade versucht hat, mich zu töten", zischte Selina zurück. Sie war deutlich nervöser, als sie bereit war, sich einzugestehen, was man an ihrer zitternden Stimme merkte. "Dieser Jemand ist hier rein gekommen, ohne dass uns irgendjemand gewarnt hat - entweder weil man ihn nicht bemerkt hat, oder," und an dieser Stelle schwieg sie kurz, "oder die, die uns hätten warnen können, sind bereits tot. Und dann sind wohl noch mehr im Haus."

"Was meinst du mit ,es sind noch mehr im Haus'?", flüsterte ihre kleine Schwester ängstlich. "Meinst du etwa, dass du nicht das einzige Opfer bist?"

Selina umarmte ihre Schwester kurz, und für einen Moment überlegte sie, ob sie sie anlügen sollte, ob sie vortäuschen sollte, dass alles in Ordnung war... aber ihre Schwester musste es ja doch herausfinden. Also konnte sie auch gleich die Wahrheit sagen. "Genau das befürchte ich", antwortete sie leise. "Ich fürchte... außer uns beiden ist in diesem Haus niemand mehr am Leben." Malinche schluckte schwer, aber bevor sie etwas erwidern konnte, sprach Selina weiter. "Ich werde die verbliebenen Mörder suchen und sie töten. Du bleibst hier, und wenn irgendjemand hier hinein kommt, nimmst du die Waffe dieses Eindringlings" - dabei wies sie auf ihren toten Gegner - "und bringst ihn um."

"Und was, wenn du hier rein willst?", fragte Malinche unsicher.

"Du wirst doch meine Stimme erkennen", meinte Selina und band sich die Messerscheiden, in die sie ihre Waffen zurückgesteckt hatte, um die Hüfte. "Wenn ich hier rein will, werde ich mich vorher melden. Denk dir meinetwegen eine Frage aus, die du mir stellst und die ein Außenstehender nicht beantworten kann, wenn du meiner Stimme nicht traust."

Damit stand sie auf, schlich zur Tür hinüber und öffnete sie gerade so weit, dass sie durch den entstandenen Spalt hindurchsehen konnte.

Der Innenhof war zwar nur schwach beleuchtet, aber deutlich heller als ihr Zimmer, sodass sie einen guten Blick auf den Raum hatte. Andere schwarze Schatten waren nicht zu erkennen.

Vorsichtig öffnete sie die Tür so weit, dass sie hindurchschlüpfen konnte, zog sie wieder hinter sich zu und sah sich erneut um, aber erneut konnte sie keine Gegner erkennen. Statt dessen hatte sie jetzt einen guten Blick auf den kleinen Teich in der Mitte des Raumes, der normalerweise für kühle Luft sorgte - aber jetzt war die Luft kalt und abweisend, wie Nachtluft eben war, und es stank fürchterlich nach Blut. Das Wasser des Teichs spiegelte keine Sterne, die am klaren Nachthimmel zu sehen waren. Seine Oberfläche war spiegelglatt, aber trotzdem spiegelte er nichts.

Selina ging näher hin. Ihre Schritte platschten in der Blutlache, die sich hier im Raum angesammelt hatte, als das Blut der anderen Hausbewohner in diesen Raum geflossen war, und hier und da konnte sie eine Leiche in der Blutlache liegen sehen. Sie kämpfte die Übelkeit nieder, die in ihr hochstieg, und blieb am Rand des Teiches stehen.

Und sofort erkannte sie, warum er nicht spiegelte, und stolperte einige Schritte zurück. Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Das Wasser war schwarz vom Blut der Leichen, die darin lagen und nicht untergingen, weil der Teich nicht tief genug war. Und die Leichen, die dort lagen, deren Blut in den Teich floss, waren ihre Eltern, mit aufgeschlitzten Kehlen, die Arme und Beine in unnatürlichen Winkeln abgespreizt, die leeren Augen zum Himmel gerichtet.

Selina schüttelte hektisch den Kopf und versuchte, dieses grauenhafte Bild aus ihrem Kopf zu bekommen. Ihr Herz raste, und sie merkte, dass sie schwitzte und unverhältnismäßig schnell atmete. Mit Mühe und Not konnte sie die Übelkeit, die immer deutlicher und stärker in ihr hochstieg, unterdrücken, und währenddessen kamen zwei Fragen in ihr hoch.

Wer konnte so etwas tun?

Und warum?

Hinter sich hörte sie ein leises Kratzen, ganz so, als hätte jemand eine Waffe gezogen. Instinktiv zog sie ihre Waffen, fuhr herum und stach zu - und traf. Tatsächlich hatte einer der Schatten hinter ihr gelauert, gerade seine Waffe gezogen und anscheinend vorgehabt, sie hinterrücks zu ermorden. Ohne einen Laut - schon wieder! - fiel er hintenüber und blieb reglos liegen.

Jetzt hörte Selina weitere Bewegungen. Schritte auf dem Blutteppich, hinter ihr, neben ihr, aber alles am Rand des Raumes. Sie drehte sich langsam um, sah sich dabei einmal komplett um, und entdeckte, dass sie umzingelt war. Einige Gegner waren aus dem Schatten ein den Ecken des Raumes gekommen, andere hingegen erhoben sich aus ihrer Tarnung, als sie eine Leiche gespielt hatten. Insgesamt zählte Selina noch acht Gegner, die sie in einem Kreis umgaben. Und jeder von ihnen hielt ein langes, dünnes Schwert in der Hand.

Blitzschnell drehte sie ihre Waffen in den Händen um, sodass die Klingen wieder unten aus der Hand kamen, und hob sie in eine Verteidigungsstellung. Gerade noch rechtzeitig, denn schon kamen zwei ihrer Gegner schnell auf sie zu, von zwei Seiten. Der Gegner von links war etwas schneller und wollte sie von oben nach unten aufschlitzen, traf dabei allerdings nur ihr Messer, das sie gerade rechtzeitig in Position gebracht hatte. Der Klang, als die Waffen aufeinander schlugen, war ganz anders, als sie ihn von den Holzwaffen gewohnt war, aber das ignorierte sie, so gut sie konnte, und duckte sich blitzschnell unter dem Horizontalschlag des zweiten Gegners weg. Dadurch bekam ihr erster Gegner das Schwert für den Vertikalschlag wieder frei, aber als seine Waffe nach unten sauste, traf sie nur die Waffe seines Mitkämpfers, die die Echidna mit einer ihrer Waffen gestoppt hatte. Für einen Moment waren beide unschlüssig, was sie nun tun sollten, und diesen Moment nutzte Selina, die unter ihren Waffen kniete, um beiden jeweils ein Messer durchs Standbein zu stoßen, es wieder herauszuziehen und sich unter den Waffen wegzurollen, die beide nach unten fielen, als ihre Gegner einknickten und umfielen. Dann, noch bevor sie sich wieder gefasst hatten, war Selina über ihnen. Zwei simultan ausgeführte Hiebe, während sie sich bückte - und beide Gegner lagen mit offenen Kehlen da und rührten sich nicht mehr.

Als sie sich jetzt umsah, merkte sie, dass sie wirklich umzingelt war. Die sechs verbliebenen Gegner hatten den Kreis enger gezogen - immer noch nicht eng genug, dass sie in ihrer Reichweite war, aber noch deutlich enger, als er zuvor gewesen war. Dann, wie auf ein Zeichen, stürmte einer ihrer sechs Gegner vor und schlug auf Kopfhöhe horizontal nach ihr. Sie duckte sich unter diesem Angriff hinweg, kam aber nicht zu einem Gegenangriff, als er mit einem Vertikalschlag nachsetzte und sie sich zurückdrehen musste - genau auf einen weiteren Gegner zu, der schon die Waffe hob. Aber er war nicht schnell genug, als Selina auf ihn zusprang und ihm ein Messer mit der linken Hand in den Hals hieb, obwohl sie damit kurz ihren Gegner im Rücken zu ignorieren schien. Und tatsächlich kam er mit einigen wenigen Schritten sehr schnell an sie heran - und bremste dann plötzlich ab, als Selina mit ihrem zweiten Messer blind nach hinten, aber trotzdem auf der richtigen Höhe und an der richtigen Stelle, zustieß. Er blieb Zentimeter vor der Messerschneide stehen, die sich ansonsten in seinen Hals gebohrt hätte. Das war aber nicht weit genug entfernt, denn Selina fuhr jetzt herum und zog ihm ihr anderes Messer durch die Kehle, ohne dass er eine Chance gehabt hätte, seine Waffe zu heben, um den Hieb abzuwehren. Dann stieß sie ihn in Richtung der zwei Gegner zu ihrer Linken, die von ihrem Widerstand ganz offensichtlich auf dem falschen Fuß erwischt worden waren und keine Bewegung machten, um ihrem toten Freund auszuweichen. Der Körper prallte gegen sie, riss sie um und noch ein Stückchen mit über den Boden.

Gerade noch rechtzeitig bemerkte sie, dass ihre Gegner von rechts sie gleichzeitig angreifen wollten. Einer von ihnen war bereits mitten in einem Schlag von oben begriffen, und gerade noch rechtzeitig konnte sie eines der Messer heben, um den Angriff von ihrem Kopf wegzulenken. Statt dessen glitt das Schwert von der Klinge nach rechts ab und schnitt ihr ein Stück der Haut an der rechten Schulter weg. Den Schmerz ignorierte sie aber einfach. Sie hatte bei Übungsunfällen schon schwerere Verletzungen erlitten, da war ein bisschen abgeschnittene Haut einfach gar nichts. Sie zog den Arm blitzschnell zurück, drehte dabei das Messer wieder um und stach nach vorne zu, genau in den Hals ihres Gegners, konnte dann allerdings den Angriff ihres Gegners, der horizontal nach ihrem Hals schlug, nur ganz knapp parieren, als sie gerade noch rechtzeitig ihr anderes Messer hoch bekam. Erneut schlugen zwei Waffen klirrend zusammen, und erneut wollte die Waffe ihres Gegners abgleiten, aber Selina hielt mit ihrem zweiten Messer dagegen, und als ihr Gegner zu einem weiteren Schlag ausholte, sprang sie schnell vor und stieß ihm ein Messer in den Hals. Als sie jedoch Ausschau nach ihren zwei verbliebenen Gegnern hielt, konnte sie sie nicht mehr entdecken. Sie schienen einfach verschwunden zu sein.

Und als sie auf ihre toten Gegner hinabblickte, verschwanden auch sie. Sie lösten sich einfach in Luft auf und verschwanden wie Nebel im Sonnenlicht, noch während die Echidna sie betrachtete.

Verblüfft bückte Selina sich und fasste dorthin, wo eben noch ihr letztes Opfer gelegen hatte. Vielleicht hatte sie sich im schwachen Sternenlicht ja getäuscht, obwohl sie sehr gute Augen hatte und selbst bei diesem schwachen Licht ihre Gegner hatte auseinanderhalten und ihre Waffen hatte erkennen können, aber als sie nun dort herumtastete, wo ihr letzter Gegner gelegen hatte, merkte sie nur, dass er wirklich nicht mehr da war. Wie ein Geist war er verschwunden, als wäre er nie da gewesen, und nur das Blut ihrer Gegner, das noch an ihren Messern klebte, deutete darauf hin, dass sie noch vor wenigen Minuten um ihr Leben gekämpft hatte.

Jetzt, nach dem Kampf, kehrte plötzlich die Nervosität zurück - zusammen mit der Angst, die sie während des Kampfes verdrängt hatte. Urplötzlich fing ihr Herz an zu rasen, urplötzlich atmete sie schneller als zuvor und begann am ganzen Körper zu zittern, als ihr ein furchtbarer Gedanke kam.

Nur noch das Blut ihrer Gegner an ihren Waffen und auf ihrer Kleidung deutete auf den Kampf hin...

Und das ganze Haus war voller Blut... Alle Bewohner des Hauses waren tot, und ihr Blut bedeckte fast den ganzen Innenhof...

Bevor sie diesen Gedanken zu Ende denken konnte, hörte sie ein lautes Krachen, als der Riegel am Tor im Zaun brach, hörte Schritte auf dem Kiesweg zur Tür, und sah, wie die Tür langsam aufschwang und die Laterne eines Nachtwächters in den Raum hineingehalten wurde.

Zitternd hob sie ihre Waffen zurück in Kampfhaltung. Es ging nicht anders... wenn die Nachtwächter sie hier, mit blutigen Waffen, inmitten dieses Blutbads, finden würden, dann müssten sie sie für eine Mörderin halten... Sie kannte die Strafe für Mord... Und sie wollte ihr entgehen...

Aber warum zitterte sie dann so bei dem Gedanken, sich auf die Nachtwächter zu stürzen und ihnen mit einigen schnellen Hieben die Kehle durchzuschneiden oder das Herz zu durchstoßen, so wie sie es bei den schwarzen Gestalten getan hatte? Warum zögerte sie, die Wächter ohne Vorwarnung anzugreifen und ihnen die Bauchdecke aufzuschlitzen, so, wie sie es in dieser Nacht schon einmal getan hatte?

Die Tür schwang etwas weiter auf. Noch hatte der Wächter, der hinter der Tür stand, sie nicht gesehen... Noch hatte sie die Chance, sich zu verstecken und ihn und nötigenfalls auch seine Begleiter aus dem Hinterhalt anzufallen und zu töten...

Sie verstärkte den Griff um die Messer, um das Zittern zu unterdrücken, das sie durchlief. Worauf wartete sie? Warum griff sie die Wächter nicht einfach an?

Als die Tür noch weiter aufschwang und sie in das Gesicht des Nachtwächters blickte, wusste sie, warum. Er war kaum älter als sie, und sein Gesicht zeigte genau denselben Ekel, den sie empfunden hatte, als sie das Blutbad gesehen hatte. Er zitterte genauso wie sie, als er seinen Blick durch den Raum schweifen ließ - und als sein Blick an ihr haften blieb, zuckte er für einen Moment zusammen, als hätte ihn ein Peitschenhieb getroffen. Angst zeichnete sich deutlich auf seinem Gesicht ab, als er langsam seine rechte Hand zum Schwert führte, das an seiner Hüfte hing. "Keine Bewegung", sagte er mit vor Angst zitternder Stimme, und Selina meinte zu hören, dass er gegen die Übelkeit ankämpfte, die auch sie bei diesem Blutbad empfunden hatte.

Sie wusste, dass sie ihn nicht würde töten können. Er war unschuldig, so unschuldig wie sie, und sie wusste, was sie wahrscheinlich erwartete - aber sie konnte ihn nicht töten. Sie konnte nicht einfach so ein junges, hoffnungsvolles Leben zerstören. Sie konnte nicht einfach sein Leben wegwerfen, nur um ihres zu retten. Sie konnte deutlich sehen und spüren, was er empfand. Er war nicht hier, weil er hier sein wollte - er war hier, weil er hier sein musste, und sie hatte kein Recht, ihn dafür büßen zu lassen. Sie hatte kein Recht, ihn zu töten. Sie war keine Mörderin.

Flucht

Als sie und Malinche noch in der selben Stunde zum König geführt wurden, verfluchte Selina sich im Stillen für ihre Weichherzigkeit. Sie hätte die Stadt längst verlassen haben können, wenn sie nicht gezögert hätte, den jungen Nachtwächter auch noch zu töten, so wie die schwarzen Schatten. Statt dessen war sie jetzt eine Gefangene und konnte nur noch zusehen und abwarten, wie der König sich entscheiden würde.

Der Thronsaal war ein langgezogener Raum. Der Mittelgang war mit einem dicken Teppich ausgelegt, der vermutlich rot war, aber im flackernden Fackellicht war das nicht eindeutig zu erkennen. Zwei Schritte neben dem Teppich standen in größeren Abständen Säulen, die so dick waren wie Selinas Arm lang und halfen, das Dach zu tragen. Auch wenn das nur so hoch war wie drei Echidna, die jeweils auf den Schultern des unteren standen, war das Gewicht auf die Wände vermutlich ziemlich hoch.

Müde saß der König auf seinem Thron. Selina sah ihn zum ersten Mal von näherem und war erstaunt, wie tief die Falten in seinem Gesicht bereits waren. Im Sonnenlicht war Montezuma ihr nie so erschöpft, so müde, so kraftlos, so... alt vorgekommen. Seine prachtvoll verzierten Gewänder, die er normalerweise trug, hingen vermutlich über einem Stuhl in seinem Schlafzimmer. Im Moment trug er nur einen dunklen Morgenmantel.

Im Schatten, den die Fackeln, die den Thronsaal nur spärlich erleuchteten und von seiner Pracht fast nichts erhellten, hinter dem Thron ließen, konnte Selina schemenhaft eine Gestalt sehen, die Malinche, als sie auf die Gestalt zulaufen wollte, einen abwehrenden Wink gab. Vermutlich Prinz Hector, dachte sie. Vielleicht würde er sich ja für sie verwenden, immerhin war sie die Schwester seiner Verlobten.

Als sie kurz die Augen durch den Raum schweifen ließ, sah sie aber, dass neben dem König, dem Prinzen, ihr selbst und den zwei Wachen, die sie hergebracht hatten und nun einige Schritte hinter ihr standen, noch drei weitere Personen im Raum waren. An einer Säule zur Linken standen zwei Igel. Beide Igel trugen die übliche Igelkleidung - eine Hose und eine Jacke aus Leder, die entsprechend ihres Ranges als Gesandte mit an den Armen herabhängenden Lederstreifen und Zierfäden an den Nähten verziert waren. Einer von ihnen musste der Anführer der Gesandtschaft sein. Selina erkannte ihn unzweifelhaft vom Turnier, als er mitgeholfen hatte, die Kämpfer auszulosen. Sie konnte zwar einige erste Fältchen in seinem Gesicht sehen, aber er schien noch nicht wirklich alt zu sein. Trotzdem war er als Führer der Gesandten vermutlich sehr erfahren und klug. Im Moment sah er allerdings ziemlich unwillig und verstimmt aus.

Der andere war deutlich jünger als der Anführer der Gesandtschaft. Selina schätzte ihn auf allerhöchstens Anfang zwanzig, und trotz seiner Jugend wirkte er fast schon zu entspannt, wie er da mit verschränkten Armen an der Säule lehnte und wartete. Er war bestimmt nicht so erfahren wie sein Begleiter, was Verhandlungen anging, aber... da war irgendetwas an ihm, was Selina misstrauisch machte. Sie spürte irgendwie, dass dieser Igel mehr war, als er vorgab zu sein. Ihn umgab eine seltsame Aura... vielleicht hing das mit seinen dunklen Augen zusammen, die selbst im rötlichen Fackellicht so tiefblau schimmerten wie der Himmel zur Mittagszeit.

Und auf der anderen Seite des Raumes, rechts von ihr, stand Huascar neben einer Säule und blickte mit einer Mischung aus Besorgnis und Verwunderung zu ihr herüber. "Was soll sie getan haben?", fragte er in den Raum hinein.

Der König warf ihm einen strafenden Blick zu, bevor er antwortete. "Man hat mir gesagt, sie sei festgenommen worden, mit blutigen Waffen inmitten eines unglaublichen Blutbades in ihrem Haus."

"Ihr wollt sagen, dass Selina ihre Familie umgebracht haben soll?", fragte Huascar ungläubig und schüttelte den Kopf. "Das kann nicht wahr sein. Nicht Selina. Das würde sie niemals tun."

"Das hat mir der junge Nachtwächter berichtet, der sie hierher gebracht hat", erwiderte der König. "Und er sah mir nicht so aus, als würde er lügen."

Selina räusperte sich und blickte den König direkt an. "Der junge Nachtwächter konnte nur berichten, was er gesehen hat", sagte sie laut. "Es waren einige schwarze Gestalten, die mitten in der Nacht aufgetaucht sind. Einer von ihnen hat sich in das Zimmer von mir und Malinche geschlichen und wollte mich umbringen. Ich habe ihn getötet und bin in den Innenhof gegangen, der schon so aussah, wie es der Junge berichtet hat. Es waren noch neun weitere. Und mitten im Kampf sind sie plötzlich alle verschwunden."

Die Stille im Raum, die diesen Worten folgte, war fast greifbar. Endlich, nach einigen qualvoll langen Sekunden, kam Huascar zu ihr hinüber und blickte ihr direkt in die Augen. "Sie sind verschwunden?", fragte er leise und eindringlich. "Wie sind sie verschwunden?"

Selina wunderte sich kurz über die Frage. "Sie sind binnen weniger Sekunden verschwunden", sagte sie langsam. "Sie sind vor meinen Augen verblasst wie Nebel im Sonnenlicht."

Der alte Krieger nickte langsam und blickte dann zu den Igeln hinüber, während er an seinen alten Platz an der Säule zurückging. "Könnt Ihr uns erzählen, was man bei euch Igeln über Wesen erzählt, die man Shiki nennt?"

Der jüngere hob den Kopf und blickte Huascar mit seinen unheimlichen blauen Augen an. Selina hätte schwören können, dass er für einen Moment verwundert aussah, aber er hatte sich schnell wieder gefangen und sah wieder so gelassen aus wie zuvor. Der ältere hingegen lachte. "Warum fragt Ihr nach einer Kindergeschichte?", fragte er verächtlich. "Seid Ihr abergläubisch?"

Huascar blickte lächelnd zurück. "Sagen wir einfach, es ist eine Geschichte, an die ich mich nur noch schemenhaft erinnere, die aber, wie ich glaube, nicht ganz unwichtig ist."

Der Igel nickte verstehend. "Shiki sind Wesen, die ein Beschwörer erschafft", begann er zu erklären, langsam und deutlich. "Sie sind Wesen, die nur aus der geistigen Kraft des Beschwörers entstehen, genau nach seiner Vorstellung, sowohl an Gestalt als auch an Fähigkeiten." Er pausierte kurz und blickte den König an. "Was der alte Krieger vermutlich sagen will, ist, dass irgendein Beschwörer zehn Shiki mit Waffen gerufen und damit beauftragt hat, diese Familie umzubringen - wenn die Kraftreserven des Shiki aufgebraucht sind, verschwindet er nämlich einfach wieder. Aber", und an dieser Stelle grinste er verächtlich, "aber das ist Unsinn. Seit Hunderten von Jahren hat niemand mehr Shiki gerufen, geschweige denn eingesetzt."

"Dann erklärt mir doch bitte mal das, was Selina da gesagt hat", meinte der alte Krieger. "Ich glaube nicht, dass sie lügt."

"Dann erklärt mir doch bitte mal, warum irgendjemand sich die Mühe machen sollte, einige Shiki zu erschaffen, um diese Familie abzuschlachten", schaltete sich der jüngere ein. Seine Stimme war genauso ruhig wie er selbst - aber aus ihr waren keinerlei Gefühle zu hören. Sie war kalt und distanziert, fast herablassend und verächtlich. Schon ihr bloßer Klang ließ Selina einen Schauer über den Rücken laufen, ohne dass sie genau hätte erklären können, warum. Dieser Igel war ihr unheimlich.

Die Antwort auf seine Frage schwebte im Raum, und schließlich war es Hector, der sie aussprach. "Jemand, der die Friedensverhandlungen sabotieren will... Nur so jemand hätte Interesse daran, unsere Verhandlungsführerin aus dem Weg zu räumen."

"Und kennt ihr jemanden, der den Frieden nicht will und der ein Beschwörer ist?", fragte der ältere Igel. "Ich nicht. Und mein Begleiter auch nicht."

Montezuma schüttelte den Kopf. "Es gibt bei uns keine Beschwörer oder dergleichen", stellte er fest.

"Dann dürfte der Sachverhalt ja klar sein", meinte der jüngere Igel und richtete seine seltsamen Augen direkt auf Selina, die unter ihrem Blick kurz zusammenzuckte wie unter einem Peitschenhieb. "Sie lügt. Und damit ist klar, dass sie dieses Gemetzel angerichtet hat." Er wendete sich wieder dem König zu. "Ich weiß nicht, wie ihr eure Mörder bestraft, aber ich muss euch bitten, ein Zeichen zu setzen und das volle Strafmaß anzuwenden. Diese Tat richtete sich gegen die Friedensverhandlungen, und wenn ihr diese Verhandlungen unterstützen wollt, werdet ihr uns sicherlich unsere Bitte erfüllen."

Hector trat aus dem Schatten des Throns und blickte den Igel zornig an. "Wie wir mit unseren Mördern verfahren, ist unsere Sache", erwiderte er scharf. "Nur weil wir niemanden kennen, der Shiki gerufen haben könnte, heißt es nicht, dass es niemanden gibt. Und wir werden keine Unschuldigen auf dem Altar der Politik opfern."

Scheinbar gleichgültig zuckte der junge Igel die Schultern. "Nun, dann werden die Echidna, die den Krieg dem Frieden vorziehen, mit Sicherheit versuchen, das auszuführen, was sie" - er wies verächtlich mit einer Kopfbewegung auf Selina - "nicht vollendet hat. Und es sind eure Leute, die dadurch sterben. Und ob wir die Verhandlungen fortführen können, wenn ihr keine Unterhändler schicken könnt, weil sie alle vorher umgebracht werden, ist doch sehr fraglich."

Hector senkte den Blick. "Wir wissen es nicht", meinte er leise. "Wir wissen nicht, ob es einen Beschwörer gibt oder nicht."

"Das ist das Problem", meinte er seltsame Igel fast genauso leise. "Wenn es noch mehr Echidna gibt, die bereit sind, alles zu riskieren, sind die Verhandlungen fast schon gescheitert. Und das ist deutlich wahrscheinlicher, als dass es irgendwo im Geheimen einen Zauberer gibt, der die Verhandlungen sabotieren will. Und diesen Echidna müsst Ihr" - dabei sah er wieder zum König - "ein Zeichen geben, was mit denen passiert, die die Gespräche aktiv stören. Sonst werden eure Gesandten nicht lebend bei uns ankommen."

Montezuma knirschte mit den Zähnen. "Ihr habt Recht", meinte er leise durch zusammengebissene Zähne, "auch wenn ich wünschte, dem wäre nicht so." Er blickte Selina direkt in die Augen, und für einen Moment konnte sie Mitleid in seinen Augen erkennen, bevor er weitersprach und sein Gesicht hart wie Stein wurde, eine Maske, die er als König wohl immer griffbereit haben musste. "Die Strafe für Mord ist der Tod. Und weil du besonders rücksichtslos und mehrere Male binnen kurzer Zeit gemordet hast, wirst du nicht einfach so sterben. Morgen früh wirst du mit den Armen an zwei Pfähle gebunden werden, und man wird dir die Pulsadern durchstechen. Im Lauf des Tages wirst du langsam verbluten, und jeder wird dir dabei zusehen können." Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und verließ den Saal durch eine Tür, die im Schatten hinter dem Thron verborgen lag, und die Igel folgten ihm.

Im selben Moment stand Hector neben Malinche und stützte sie, sonst wäre sie sicher zusammengebrochen. Bereits jetzt, Sekunden nach der Urteilsverkündung, liefen ihr die Tränen ungehemmt über das Gesicht, und sie schluchzte haltlos. Hector umarmte sie vorsichtig und sah zu Selina hinüber. "Verzeih mir", sagte er leise und mit erstickter Stimme.

Selina nickte langsam und fasste sich mit der Hand an die Stirn. Sie sollte sterben...? Für etwas, was sie nicht getan hatte? Noch dazu auf diese Weise, die grausamste und entehrendste, die ihr Volk kannte?

"Ich bin unschuldig", sagte sie laut und mit zitternder Stimme und blickte zu Huascar hinüber. Sie hatte Angst davor, auf diese Weise zu sterben, als Mörderin ihrer eigenen Familie und aller Angestellten geächtet zu sein... und diese Angst raubte ihr den Atem, und ihr wurde schlecht.

Ihr alter Ausbilder kam zu ihr herüber, legte ihr eine Hand auf die Schulter und blickte ihr in die Augen. "Ich weiß", erwiderte er leise und sah zum Prinzen hinüber, der einige Sekunden zurückstarrte und dann schließlich, kaum merklich, nickte.

Malinche löste sich aus seiner Umarmung und ging zu ihrer Schwester. "Das hast du nicht verdient", flüsterte sie leise, und immer noch weinte sie. "Ich habe gesehen, was mit dem Kerl passiert ist, der im Zimmer lag. Ich weiß, dass du die Wahrheit sagst."

Selina nickte langsam. "Pass auf dich auf", sagte sie leise und fuhr Malinche vorsichtig mit einer Hand übers Gesicht, sodass einige Tränen an ihrer Hand haften blieben. "Und bring diese Verhandlungen zu einem guten Ende", fügte sie tapfer lächelnd hinzu, auch wenn sie am liebsten ebenfalls geweint oder sich übergeben hätte. Ihr war noch nie so schlecht gewesen wie jetzt, wo sie wusste, was sie in einigen Stunden erwartete.

Malinche schüttelte den Kopf. "Das kann der König nicht ernst meinen", schluchzte sie. "Ich will dich nicht auch noch verlieren!"

Hector legte ihr tröstend den Arm auf die Schulter und blickte Selina direkt in die Augen, obwohl es ihm sichtlich schwer fiel. "Vergib mir", sagte er leise. "Aber selbst ich werde meinen Vater nicht dazu überreden können, dein Leben zu schonen. Er hat zu lange auf diese Verhandlungen hingearbeitet, als dass er sie einfach platzen lassen würde, indem er dich nicht zum Tode verurteilt." Jetzt senkte er den Blick. Offensichtlich konnte er Selina nicht länger in die Augen sehen. "Ich wünschte, ich könnte mehr tun", murmelte er leise. "Aber ich kann es nicht. Ich kann dein Leben nicht retten."

Selina schluckte schwer. Wenn selbst der Prinz das sagte... dann gab es wohl wirklich keine Hoffnung mehr für sie.

Einer der Wächter legte ihr die Hand auf die Schulter. "Leg deine Waffen ab", befahl er.

Wie von selbst ging Selinas Hand zum Knoten, der das Seil mit den Messerscheiden in Position hielt, und löste ihn. Behutsam nahm sie die Waffen vom Gürtel und gab sie ihrem alten Ausbilder. "Ihr habt für das hier mehr Verwendung als ich", sagte sie leise.

Langsam und widerstrebend nahm Huascar die Waffen zurück. "Ich hatte mir ein anderes Schicksal für dich erhofft", sagte er leise.

Selina nickte. "Ich mir auch", sagte sie noch leiser als er. Als sie sich umdrehen wollte, fiel ihr Blick auf ihre Schwester, die gar nicht mehr aufhörte zu weinen. Sie ging auf sie zu und umarmte sie ein letztes Mal. "Leb wohl", flüsterte sie leise, bevor sie sich wieder von ihr löste und sich vom Wächter mitziehen ließ. Ihre Schwester versuchte ihr zu folgen, aber Hector hielt sie - zwar sanft, aber unnachgiebig - zurück. Langsam, während der Wächter sie rückwärts zog, wurde der Abstand zwischen ihnen größer, bis die große Tür knallend zwischen ihnen zufiel und sie nichts mehr von ihrer Schwester sah oder hörte. Jetzt, als der Wächter sie zwar unsanft, aber nicht allzu grob herumdrehte, damit sie ihm besser folgen konnte, hörte sie nur noch das Tapsen der Schritte auf dem Steinboden, zu einer Treppe, die aus den mit prächtigem Marmor gefliesten und mit großen Glasfenstern ausgestatteten Räumen hinunter in enge Gänge aus grobem Stein mit Fackeln an den Wänden führte, entlang dieser Gänge, durch eine Tür in den Kerker und dort hinein in eine kleine fensterlose Zelle. Mit einem Knall fiel die Tür ins Schloss, ein leises Klacken war zu hören, als die Zellentür abgeschlossen wurde, dann Schritte, die sich entfernten. Schließlich herrschte Stille.

Jetzt, in der Dunkelheit, in der Einsamkeit, merkte Selina, dass sie weinte. Jetzt, in der Dunkelheit, liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Jetzt, in der Einsamkeit, begann sie leise zu schluchzen, als sie sich in eine Ecke der Zelle setzte, die Knie an den Leib zog, den Kopf auf sie hinabsinken ließ und die Augen schloss.

Ihre Familie war tot, ohne dass sie wusste, wer sie hatte umbringen lassen... und man hielt sie für schuldig... Sie würde sterben... langsam verbluten... mit aufgeschlitzten Pulsadern, vor einer großen Menge, die ihr Beleidigungen, Schmähungen und Schlimmeres entgegenwarf... die jede Minute ihres Leidens mit ansehen konnte... die jeden einzelnen Blutstropfen, der aus ihr herausfloss, betrachten konnte... die sie vielleicht schon stundenlang betrachtete und den Moment herbeisehnte, in dem ihr Körper erschlaffen würde... in dem sie in den Knien einknicken und nur noch von den Fesseln gehalten würde... in dem sie sterben würde...
 

Urplötzlich hörte sie ein Geräusch und hob den Kopf. Sie musste geschlafen haben... noch stand sie nicht dort, wo sie sterben würde. Noch waren ihre Pulsadern unbeschädigt... noch lebte sie.

Noch während sie erleichtert aufatmete, hörte sie dasselbe Geräusch noch einmal. Es klang, als würde jemand einen kräftigen Schlag auf den Kopf erhalten und anschließend bewusstlos zusammensinken. Fast im gleichen Augenblick öffnete sich die Kerkertür leise knarrend... ein Geräusch, das ihr beim Hereinkommen nicht aufgefallen war. Das Knarren war seltsam langgezogen, so als öffne jemand die Tür ganz langsam. Der Schein einer Fackel schien durch die Tür in den dunklen Kerker, der keine Fenster und auch keine Fackeln an den Wänden hatte, und eine dunkle Gestalt blickte in den Raum hinein, ließ den Blick von der Tür aus durch den ganzen Raum, durch jede einzelne Zelle schweifen. Alle waren leer, wie Selina jetzt sah. Alle bis auf ihre.

Die dunkle Gestalt atmete erleichtert auf, betrat den Kerker vollends, schloss die Tür hinter sich und kam zu ihrer Zelle. Sie trug einen langen, weiten schwarzen Mantel mit einer Kapuze, die sie tief ins Gesicht gezogen hatte. In den engen Gängen musste sie, falls sie die Fackeln löschte, nahezu unsichtbar sein.

Die Gestalt blieb vor ihrer Zelle stehen, schlug die Kapuze zurück - und enthüllte ein bekanntes Gesicht eines alten Kriegers. Selina stand ganz langsam auf und ging zum Gitter. "Träume ich?", fragte sie leise. "Oder seid Ihr es wirklich?"

Huascar nickte. "Ich bin es wirklich", sagte er leise, während er einen dicken Schlüsselbund aus der Tasche zog und hastig die Schlüssel an ihrem Zellenschloss durchprobierte. "Den habe ich einem der Wachen abgenommen. Man glaubt gar nicht, was ein kräftiger Schlag mit einem dicken Holzstock auf den Kopf so für eine Wirkung haben kann."

"Wie spät ist es?", fragte Selina. Hier unten hatte sie jedes Zeitgefühl verloren.

"Die letzte Stunde vor Sonnenaufgang hat soeben angefangen", sagte der alte Echidna und fluchte leise, als erneut ein Schlüssel nicht passte. "Bei Sonnenaufgang soll das Urteil vollstreckt werden."

"Warum habt Ihr dann so lange gewartet?", fragte Selina mit zitternder Stimme. Wenn Huascar hier war, gab es für sie vielleicht doch noch Hoffnung. "Was macht Ihr überhaupt hier?"

"Dir das Leben retten", gab der Alte unwirsch zurück und probierte weiter die Schlüssel durch. "Ich glaube dir, auch wenn die Igel es nicht tun. Ich habe selbst in jungen Jahren gesehen, wie Shiki beschworen wurden. Und du würdest niemals das tun, was deiner Familie angetan worden ist." Endlich knackte das Schloss, und die Tür öffnete sich. Der alte Echidna griff unter seinen weiten Umhang und förderte die Waffen zutage, die er Selina geschenkt hatte. "Nimm sie schon", meinte er. "Du hast sie nötiger als ich, wenn du dich da draußen alleine durchschlagen willst."

Selina griff zögernd nach den Waffen, aber dann band sie sie sich wieder um die Hüfte und blickte verwirrt auf ihren alten Meister. "Ich muss die Stadt verlassen", meinte sie unsicher. "Aber was dann?"

"Du suchst nach dem Mörder", meinte Huascar und zog sich die Kapuze bis weit übers Gesicht. "Der Beschwörer, den ich kannte, war ein Fuchs, und er hat mir berichtet, dass seine Art weit im Norden lebt. Das ist vielleicht eine Spur, der du folgen kannst."

"Dann muss ich über die Prärie", wandte Selina ein. "Da leben doch die Igel, oder?"

"Wenn sich jemand an ihnen vorbeischleichen kann, dann bist du es", meinte Huascar und lächelte, während er zur Tür ging. "Aber jetzt müssen wir dich erst einmal aus der Stadt hinausbringen."

"Und... Ihr?", fragte Selina unsicher. "Was, wenn herauskommt, dass Ihr mir geholfen habt, zu entkommen?"

Der alte Echidna zuckte nur mit den Schultern. "Dann kommt es halt heraus. Ob ich sterbe, weil ich so bestraft werde wie du, oder ob ich im nächsten Winter an irgendeiner Krankheit eingehe, macht mit meinen sechzig Jahren auch nichts mehr aus. Wichtig ist nur, dass du entkommst. Und keine Diskussionen", ergänzte er eine Spur lauter als bisher, als Selina widersprechen wollte. "Ich will nicht, dass du so jung sterben musst. Vor allem nicht wegen etwas, das du nicht getan hast. Du hast dein ganzes Leben noch vor dir. Meins liegt hinter mir - und jetzt will ich es wenigstens noch dafür verwenden, um dir dein Leben zu retten."

Selina nickte widerstrebend, auch wenn ihr wirklich unwohl war bei dem Gedanken, dass Huascar, ihr Ausbilder... nein, ihr Freund wegen ihr sterben würde.

Der alte Krieger öffnete die Tür und blickte in den Gang hinein. Und wirklich stellte Selina fest, dass alle Fackeln an den Wänden nicht mehr brannten. Ein guter Trick, den Huascar da angewendet hatte, dachte sie grinsend - ein pechschwarzer Mantel im Dunkeln, und er konnte sich den Wachen nähern, ohne dass sie ihn bemerkten. Die letzte Fackel hatte er dann anscheinend aus der Fassung genommen und nutzte sie jetzt, um ihnen den Weg zu erhellen.

"Die Wachen schlafen noch", meinte Huascar befriedigt und griff nach dem Stock, den er neben der Tür hatte stehen lassen. Es war ein dicker Stab aus dem gleichen Holz wie ihre Übungswaffen und war halb so groß wie Huascar - gerade kurz genug, um ihn in den engen Gängen wirkungsvoll einsetzen zu können. "Das ist der Grund, warum ich so spät dran bin", meinte er leise. "Wenn sie müde sind, lassen sie sich leichter überwältigen und bleiben länger bewusstlos." Damit huschte der Alte vorwärts und Selina folgte ihm, immer einige Schritte auf Abstand, um ihm nicht auf den Umhang zu treten. Die Luft in den Gängen war stickig, und jeder ihrer Schritte hallte unheimlich von den nahen Wänden wider. Zum Glück ging es nur eine kurze Strecke geradeaus, bis sie wieder an der Treppe standen. Der Kerker war nicht groß. Im Grunde genommen war er ein umgebauter Weinkeller - und daher lag er nicht allzu tief unter dem Palast, ein Umstand, der ihre Flucht begünstigte. In der Regel, dachte Selina bitter, brauchte man auch keinen Kerker. Schließlich diente er nur zur Zwischenlagerung von Verbrechern über Nacht, bevor das Urteil - von Handabschlagen für Diebstahl bis zum Tod wegen Mord - am Morgen vollstreckt wurde.

Am Fuß der Treppe blieb sie stehen, während Huascar hoch schlich, die Tür in die Eingangshalle öffnete, hineinsah und sie schnell hoch winkte. Die Halle war leer - so kurz vor Sonnenaufgang nichts ungewöhnliches. Die Diener standen üblicherweise erst bei Sonnenaufgang auf, also war das Risiko, jemanden zu treffen, sehr gering. Und die große Halle mit dem kleinen Springbrunnen in der Mitte und den vielen Türen, die zu den verschiedensten Räumen und Trakten des Palastes führten, bildete da keine Ausnahme.

Eine kleine Tür auf der anderen Seite der Halle stand offen. Ihr Führer warf einen letzten, prüfenden Blick durch den Raum, bevor er die Tür, durch die sie gekommen waren, ganz öffnete, Selina durchwank, die Tür hinter ihr wieder schloss und durch den Raum eilte, zur offenen Tür hin. Auch dort betrat Selina den Raum zuerst, bevor Huascar ihr folgte und die Tür schloss, um sie vor Blicken von außen zu schützen.
 

Der Raum war eine kleine Kammer mit einem kleinen Fenster nach vorne, neben dem Haupttor in den Palast. Vermutlich war er beim Bau des Palastes als Wachstube angelegt worden, um gefahrlos das Gelände vor dem Palast im Blick halten zu können, aber im Moment diente er vermutlich nur als ein Raum, in dem die Wächter für ihre Patrouillen durch die Stadt tagsüber und in der Nacht ihre Uniformen anzogen.

"Was wollen wir denn hier?", fragte Selina leise.

"Tarnung", hörte sie eine bekannte Stimme aus der Ecke zur Linken sagen. Sie drehte sich dorthin und erkannte im flackernden Licht von Huascars Fackel, dass sie sich nicht geirrt hatte.

"Was macht Ihr denn hier, Prinz?", fragte sie verwirrt.

"Helfen, dein Leben zu retten, wenn ich den König schon nicht überreden kann, es zu schonen", erwiderte er nicht unfreundlich und griff hinter sich. Das Päckchen, was er dabei in die Hand nahm, warf er Selina zu. "Zieh das an. Es ist die Uniform eines Wächters. Du bist meine persönliche Eskorte, wenn ich die Igel verabschieden gehe. Wir werden allerdings einen Umweg machen, am Plateau des Sonnenuntergangs vorbei. Dort musst du die Felswand hinunter klettern. Das ist der einzige Weg, um dich schnell genug aus der Stadt herauszubringen. Bevor deine Flucht bemerkt wird, meine ich."

Selina nickte knapp und öffnete die Schlaufe, die das Päckchen aus Kleidungsstücken zusammenhielt. Sie sollte also die Felswand an ihrem Lieblingsplatz hinunterklettern... das war gefährlich, aber sie hatte nichts zu verlieren, und es war wirklich der einzige Weg. "Was werdet Ihr tun?", fragte sie Huascar, während sie sich das blutrote Wams der Wächter überzog. Es reichte ihr bis an die Knie und verdeckte sowohl ihre Waffen an der Hüfte als auch ihren knielangen Rock. Zusammen mit dem Ledergürtel war sie gegenüber ihrem sonstigen Aussehen kaum wiederzuerkennen.

"Ich werde dich begleiten", meinte Huascar. "Ich bin über Nacht im Palast geblieben und vom Prinz dazu eingeladen worden, mit ihm zusammen den Sonnenaufgang zu betrachten, bevor die Igel verabschiedet werden, wenn jemand es wagen sollte, die Begleiter des Prinzen näher auszufragen."

Selina musste grinsen, während sie den Gürtel festzog. "Wenn wir überhaupt jemanden treffen", meinte sie. "Zum Glück ist die Sonne noch nicht aufgegangen."

"Deswegen musst du ja so schnell verschwinden", mahnte Hector. "Wenn die Wachablösung kurz nach Sonnenaufgang abläuft, wird es nicht lange unentdeckt bleiben, dass du geflohen bist. Und bis dahin solltest du schon aus der Stadt verschwunden sein. Sonst wird es eng für dich." Damit verließ er den Raum, mit Huascar auf der einen und Selina auf der anderen Seite, führte sie durch das offene Tor des Palastes hin zum Tor im Zaun, das ein Posten, der Huascar auch die Fackel abnahm, ihm auf einen Wink hin öffnete, und wandte sich nach rechts, über den großen Platz in Richtung Westen. Der Platz war menschenleer, ebenso auch die Straße, die vom Palast aus direkt nach Westen auf einen weiteren, erheblich kleineren Platz führte. Die Häuser hier waren wesentlich kleiner, höchstens so groß wie der Innenhof eines Hauses im Viertel der reicheren Echidna, und hatten ein einfaches Dach aus roten Dachziegeln. Sie waren aus den gleichen Steinen gebaut wie das Haus, in dem Selina aufgewachsen war, und standen zwar dicht an dicht, boten aber wahrscheinlich genug Platz für eine Familie.

Aus einer Straße, die von Süden auf den kleinen Platz führte, kam eine Figur in der Uniform eines Wächters, die eine kleine Laterne mit sich trug und sehr langsam ging. Offensichtlich ein Nachtwächter, der darauf wartete, dass er sich schlafen legen konnte, dachte Selina, als sie ihn sich näher ansah - und den jungen Echidna erkannte, der sie festgenommen hatte. Schnell wandte sie den Blick ab und ließ ihn über den Platz schweifen, aber abgesehen von ihnen und dem jungen Nachtwächter war niemand auf dem Platz.

Glücklicherweise beachtete er sie nicht, als er auf den Prinzen zuging und sich knapp verbeugte. "Was macht Ihr so früh hier, Prinz Hector?", fragte er, und die Müdigkeit in seiner Stimme war unüberhörbar, auch wenn er klar gegen sie ankämpfte.

"Ich will mir den Sonnenaufgang ansehen", erwiderte der Prinz. "Wie lange bist du schon unterwegs?"

"Seit Einbruch der Dunkelheit", antwortete der junge Echidna und gähnte. "Verzeihung", murmelte er. "Ich weiß, dass ich schon längst hätte abgelöst werden müssen, aber nach den Ereignissen mit diesem Mädchen" - er blickte Selina nicht an, sondern starrte nur auf den Boden zwischen ihm und dem Prinzen - "hätte ich einfach nicht schlafen können. Was wird mit ihr geschehen?"

"Du meinst das Mädchen, das ihre ganze Familie umgebracht hat, richtig?", fragte der Prinz und seufzte. "Sie wird sterben", sagte er schließlich. "Bei Sonnenaufgang werden die Igel verabschiedet. Anschließend wird sie sterben."

Der junge Wächter nickte langsam. "Es ist seltsam", sagte er leise. "Die Beweise sind eindeutig... und trotzdem glaube ich nicht, dass sie es wirklich getan hat." Er hob den Kopf und blickte Hector in die Augen. "Wenn sie es wirklich getan hat, warum hat sie mich dann nicht auch noch umgebracht? Es wäre so leicht für sie gewesen, aber sie hat es nicht getan - und irgendetwas sagt mir, dass sie die Tat, für die sie sterben wird, nicht begangen hat. Auch wenn das natürlich Unsinn ist", fügte er müde lächelnd hinzu. "Aber gibt es wirklich keinen Weg, sie zu retten?"

Hector schüttelte den Kopf und sah wirklich überzeugend traurig aus, als er weitersprach. "Ich fürchte nicht. Nicht bei dieser Beweislage." Er seufzte. "Mach dir nicht zu viele Gedanken um sie", meinte er. "Du kannst sie sowieso nicht retten. Jetzt solltest du schlafen gehen, ..." Er musste lächeln. "Ich kenne nicht einmal deinen Namen", sagte er leise.

"Yucatan", sagte der junge Echidna und nickte müde. "Wahrscheinlich sollte ich mich wirklich schlafen legen", murmelte er. "Sobald die Sonne aufgeht, werde ich das auch tun." Damit verbeugte er sich noch einmal und ging an ihnen vorbei, in einer weitere Straße und verschwand aus ihrem Blickfeld.

Hector setzte sich wieder in Bewegung, und erst, als sie den Platz überquert hatten und bereits auf der Straße waren, die zu den Treppen führte, sprach er wieder. "Er hat dich nicht erkannt. Glück für uns."

"Er scheint ein ziemlich vernünftiger junger Mann zu sein", bemerkte Huascar. "Ihr solltet ein Auge auf ihn haben, Prinz. Es mag sein, dass er sich als ein tüchtiger Wächter erweist... vielleicht wäre er ein Fall für eure persönliche Garde."

Hector zuckte mit den Schultern. "Vielleicht", meinte er. "Er ist noch jung. Vielleicht in zwei oder drei Jahren."

Huascar grinste. "Ihr redet wie ich", meinte er sichtlich amüsiert. "Dabei seid ihr doch selbst erst fünfzehn."

"Als Prinz fühlt man sich unter der Last der Verantwortung viel älter, als man ist", meinte Hector entschuldigend und blieb am Fuß der Treppe stehen, die sie nach oben aufs Plateau führen würde.

Selinas Blick wanderte die Treppenstufen hinauf... jene Stufen, die sie schon unzählige Male erklommen hatte, um die Sonne untergehen zu sehen, und die sie jetzt vielleicht retten konnten.

Hector stieg die abgetretenen Stufen gemessenen Schrittes hinauf, Huascar und Selina dicht bei sich. Und als sie oben ankamen, waren sie niemandem mehr begegnet, die Sterne funkelten am Himmel, und der Himmel im Osten verfärbte sich bereits dunkelviolett.

Hector atmete erleichtert auf. "Von hier an liegt es in deiner Hand", sagte er leise zu Selina. "Zieh die Wächterkleidung aus. Huascar wird sie anlegen und mich nachher zurück in den Palast begleiten, damit nicht auffällt, dass meine Eskorte plötzlich verschwunden ist."

"Guter Plan", ertönte plötzlich eine Stimme vom kleinen Schrein zu ihnen herüber.

Selina fuhr zusammen, als hätte sie einen Peitschenhieb mitten ins Gesicht erhalten. Sie kannte diese Stimme, und sie fürchtete sie, auch wenn sie sie erst bei einer einzigen Gelegenheit gehört hatte. Und tatsächlich erschien aus dem Schatten unter dem Schreindach der junge Igel, der sich so vehement für ihren Tod eingesetzt hatte. Seine tiefblauen Augen leuchteten in der Dunkelheit, und das kalte, überlegene Lächeln auf seinem Gesicht war nicht zu übersehen.

Instinktiv wich Selina einen Schritt zurück und warf das rote Wams und den Gürtel weg, aber bevor sie etwas sagen konnte, trat Hector vor und blickte dem mysteriösen Igel direkt in die Augen, die Selina, selbst wenn sie nur ihren Blick auf sich spürte, einen Schauer über den Rücken jagten. Hector hingegen schienen sie überhaupt nichts auszumachen.

"Was macht Ihr denn hier?", fragte er leise und scheinbar höflich, aber Selina spürte, dass da noch etwas anderes war... nicht Hass, aber unverhohlene Feindschaft.

"Ich will mir den Sonnenaufgang ansehen", gab der Igel zurück und grinste. Offenbar hatte er nicht zufällig Hectors Worte gebraucht. "Aus dieser Perspektive muss es ein ganz anderer Blick sein als über die unendlichen Weiten der Ebenen, auf denen wir leben."

"Ihr seid jetzt zwei Jahre hier und habt noch nie von hier aus den Sonnenaufgang betrachtet", meinte Hector mit einem kalten Lächeln. "Ich hätte eine bessere Lüge erwartet."

"Wenigstens bin ich nicht hier, um eine verurteilte Mörderin vor dem Griff der Gerechtigkeit zu schützen und sie aus der Stadt zu schmuggeln", erwiderte der Igel, und seine Züge wurden hart. "Wollt Ihr wirklich die Verhandlungen für das Leben eines Mädchens aufs Spiel setzen?"

Jeder seiner Sätze jagte Selina einen eiskalten Schauer über den ganzen Körper. Woher wusste dieser Igel das alles?

Hector schüttelte den Kopf. "Wenn Ihr uns nicht hier erwartet hättet, dann hätte es niemand bemerkt", knurrte er leise. "Wollt Ihr denn wirklich Eurem Blutdurst ein unschuldiges Leben opfern?"

"Unschuldig?" Verächtlich schnaubte der Igel. "Das haben wir doch zur Genüge besprochen, Prinz. Ihr glaubt doch nicht etwa diese Shiki-Geschichte, oder? Und Ihr wollt doch nicht wirklich den radikalen Echidna freie Hand lassen, oder?"

Hector lächelte überlegen. "Wer sagt denn, dass der Drahtzieher ein Echidna ist?", fragte er und blickte den Igel scharf an. Aber bevor er weitersprechen konnte, hob der Igel geradezu unheimlich schnell die flache Hand und richtete sie auf ihn. Ein dumpfes Grollen war zu hören, und binnen eines Wimpernschlages baute sich eine unglaubliche Kraft auf, die genau auf Hector zuraste. Der hob blitzschnell die Arme und verschränkte sie vor seinem Gesicht. Und im nächsten Moment prallte die Kraftwelle auf ihn und presste ihn um mehrere Schritte nach hinten, genau zwischen Selina und Huascar hindurch.

Selina spürte die Kraft wie einen kräftigen Windstoß, der ganz dicht an ihr vorbeizischte und blickte verwundert und ängstlich zu dem Igel hinüber. Was war dieser Igel eigentlich?

Ihre Verwirrung nahm noch zu, als sie sah, dass auch dieser Igel für einen Moment ernsthaft überrascht war. Das hielt aber nicht lange an. Statt dessen drehte der den Arm geringfügig weiter - und jetzt zeigte die Hand genau auf Selina. Ein kaltes, siegesgewisses Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht, seine Augen leuchteten einmal kurz auf, und erneut ertönte das dumpfe Grollen.

Selina spürte, wie sie zur Seite gestoßen wurde, ließ sich fallen und rollte sich weiter weg. Selbst auf diese Distanz - etwa ein Schritt entfernt von dem Ort, an dem sie eben noch gestanden hatte - spürte sie noch die Druckwelle an sich vorüberziehen.

Und genau dort, wo sie eben noch gestanden hatte, hatte sich Huascar befunden, wie Selina sofort erkannte. Er war von seinem Standort zu ihr herübergerannt und hatte sie weggestoßen - und musste dabei die ganze Wucht des Angriffs abbekommen haben.

Selinas Blick wanderte entlang der geraden Linie von ihrem Feind über den Punkt, an dem sich Huascar befunden haben musste - und schnell sah sie, wo er gelandet war. Der Angriff hatte ihn bis an die Felswand zurückgestoßen, die das Plateau überragte. Am Rande des Plateaus, gegenüber dem kleinen Schrein, ragte der Berggipfel noch etwa drei bis vier Echidnagrößen weit in den Himmel hinauf. Huascars Körper, besser gesagt das, was die Wucht des Aufpralls überstanden hatte, klebte etwa auf Kopfhöhe an der Wand. Ein großer Blutfleck war zu sehen, in dem noch der Rumpf, der Kopf und Teile der Arme und Beine an der Wand hingen. Der Rest hatte sich beim Aufprall auf dem Boden vor ihm verteilt.

Und dieser Angriff hatte ihr gegolten.

Selinas Blick fuhr zurück zum Igel, der soeben wieder seine Augen aufleuchten ließ. Erneut erklang das dumpfe Grollen, erneut raste eine Kraftwelle auf sie zu, aber diesmal konnte sie nicht ausweichen. Sie schloss die Augen, aber nichts passierte mit ihr. Statt dessen hörte sie ein unheimliches, tiefes Hallen. Sie öffnete die Augen wieder und sah über die Entfernung, die sie von ihrem Gegner trennte, dass er wütend an ihr vorbeisah, und als sie seinem Blick folgte, sah sie, dass er Hector anblickte.

Sie wäre unter diesem Blick vermutlich schon längst zusammengebrochen, so... unheimlich war der Blick des Igels. Seine Augen leuchteten jetzt fast so stark wie der Vollmond und beleuchteten sein ganzes Gesicht, und in ihnen brannte ein zorniges, kaltes Feuer. Sie fröstelte schon, wenn sie ihm jetzt, wo er sie ignorierte, in die Augen sah.

Aber Hector hielt dem Blick stand, als sei er gar nichts. Er erwiderte den Blick, und Selina meinte, in seinem Blick so etwas wie Zufriedenheit sehen zu können. "Jetzt weiß ich, wer du bist und was du willst", sagte er leise.

Das war das letzte, was sie bewusst von den beiden wahrnahm. Im nächsten Moment flog sie, wie von einer gigantischen Faust getroffen, nach hinten, über die Felswand hinweg, befand sich für kurze Zeit im freien Fall, während sie auf die Baumgruppe am Fuß der Felswand zuraste, und Zentimeter über den Baumwipfeln bremste sich ihr Fall plötzlich von ganz allein. Irgendeine seltsame Kraft ließ sie sanft durch die Blätter und Äste gleiten, bis sie unter dem Blätterdach nicht mehr zu sehen war. Dann ließ sie sie fallen, aber aus fünf Metern Höhe war es für Selina kein Problem, sich abzurollen und so den Fall ohne Schaden zu überstehen.

Sie rappelte sich sofort wieder auf und lief los, in Richtung Westen. Sie wollte nur weg von hier. Weg von der Stadt der Echidna, in die Wildnis, dem einzigen Ort, an dem sie nun noch sicher sein würde. Weg von diesem kranken Igel. Von diesem Monster.

Ein Tränenschleier legte sich über ihre Augen, aber sie fuhr nur mit einer Hand über die Augen und rannte weiter, immer im Schutz des Blätterdachs. Er hatte Huascar getötet, auf eine Weise, die sie noch nie gesehen hatte... und sie hatte auf die gleiche Weise sterben sollen.

Sie merkte, dass ihr bei dem Gedanken übel wurde. Fast so übel wie in der Nacht, als sie gedacht hatte, dass sie sterben würde, auf die unerträglichste Art und Weise... nein, sogar noch mehr. Dieser Igel mit seinen Kräften, seiner Stimme, seinen Augen machte ihr mehr Angst als alles, was sie jemals gesehen oder sich vorgestellt hatte. Sogar mehr als die Aussicht, so zu sterben, wie sie nach dem Urteil des Königs hatte sterben sollen.

Als sie an einem großen Baum vorbeikam, blieb sie stehen und setzte sich an seinen Stamm. Sie musste ihre Gedanken ordnen, dachte sie... aber immer noch wurde sie das grässliche Bild von Huascar nicht los... von dem, was dieser Igel mit ihm gemacht hatte, und sie kämpfte mit aller Macht die aufsteigende Übelkeit nieder. Die Tränen konnte sie allerdings nicht zurückhalten. Tränen der Trauer um Huascar, um ihre Träume, die sie nun unwiderruflich vergessen konnte, um ihr Leben, das sie von nun an als ausgestoßene, als Geächtete im Schutz der Wildnis verbringen musste... und Tränen der Angst vor diesem Igel, vor seiner leeren Stimme, vor seinen unheimlichen Augen. Und Tränen der Angst um ihre Schwester, die die nächsten Jahre in unmittelbarer Gesellschaft dieses Monsters verbringen musste. Und sie konnte ihr nicht einmal helfen. Sie konnte sich nicht in ihrer Nähe blicken lassen, weil entweder die Echidna um Malinche herum oder die Igel sie sofort umbringen würden.

Sie war von nun an ganz auf sich allein gestellt.

Sie kämpfte sich wieder auf die Beine und schleppte sich weiter. Jeder Schritt brachte sie weg von der Stadt, wo sie der Tod erwartete, weg von dem Monster in Igelsgestalt, hin zum Schutz, den ein Leben in der Wildnis bot, hin zum täglichen Überlebenskampf, hin zur Einsamkeit.

Sie schluckte hart und fuhr sich ein letztes Mal über die Augen. Als sie die Hand sinken ließ, spürte sie die Waffen, die sie immer noch am Gürtel trug, und ein grimmiges Lächeln ging über ihr Gesicht. Sie hatte eine Spur. Vielleicht konnte Huascars Hinweis sie wirklich auf die Spur des wahren Mörders bringen.

Aber jetzt, dachte sie, musste sie erst einmal Gras über die Sache wachsen lassen. Jetzt musste sie erst einmal für einige Zeit untertauchen. Wenn der Frieden unter Dach und Fach war, konnte sie es vielleicht wagen, durch das Gebiet der Igel zu reisen und die Füchse aufzusuchen.

Und wie würde sie am besten herausfinden, wann es Frieden gab? Indem sie Reisende belauschte, die durch diese Wildnis zogen, auf dem Weg zur Hauptstadt oder zu den kleinen Ansiedlungen in den unwegsamen Hügeln.

Dann war auch klar, wo sie sich in nächster Zeit aufhalten würde.

Sie drehte sich um und blickte zur Spitze der Felswand, durch eine Lücke im Blätterdach. Der Himmel über der Felswand war bereits sehr hell. Die Sonne würde bald aufgehen, und dann würde auch die Suche nach ihr beginnen.

Nun, dachte sie grimmig entschlossen, dann würde sie sich am besten noch einen ordentlichen Vorsprung verschaffen. Sie kannte die Gegend um Echidnapolis recht gut und war sich sicher, mit einem vernünftigen Vorsprung ihren Verfolgern auf jeden Fall entkommen zu können. Sie musste sich nur in der Wildnis halten, abseits der Straßen und Wege, dann konnten ihre Verfolger sie für Monate suchen und doch keine Spur von ihr finden.
 

"Du wirst sie nicht entdecken", sagte Hector leise und wandte sich ab. "Sie ist zu klug, um sich offen sehen zu lassen. Und selbst wenn sie es täte - du könntest sie doch nicht erreichen."

"Ich könnte sie sehr wohl von hier aus töten", gab der Igel zurück, wandte sich vom Abgrund ab und ging zur Treppe hinüber.

"Aber nicht, ohne diesen Körper dabei zu zerstören", erwiderte Hector ruhig. "Und diesen Preis willst du nicht zahlen. Das weißt du so gut wie ich. Lass uns lieber zusehen, dass wir noch rechtzeitig zu eurer Verabschiedung kommen."

Der Igel nickte knapp und machte sich auf den Weg die Stufen hinunter. Hector blieb kurz oben stehen und blickte über die Kante des Plateaus hinweg zum Horizont. "Wo bist du da nur hineingeraten, Selina", murmelte er leise, und ein Lächeln ging über sein Gesicht. Sie würde einfach das Beste aus dieser Situation machen müssen. So wie er.

Drei Jahre

Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages strahlten über den Horizont. Weit entfernt im Osten über den weiten Ebenen ging die Sonne langsam auf. Ein kleines Stück der Sonnenscheibe war bereits über dem Horizont zu sehen, und ihre Strahlen beschienen das kleine Dorf, das an den Hängen eines Gebirgsausläufers im Norden der großen Ebenen lag.

Das Dorf war eine Ansammlung von kleinen Blockhütten. Es waren höchstens fünfzig, die gerade groß genug für eine kleine Familie waren. Sie standen auf einem kleinen Plateau, etwas erhöht gegenüber der Ebene, die über einen kurzen Serpentinenweg entlang des steilen Berghanges erreicht werden konnte. Am anderen Ende des Plateaus stieg die Felswand erneut steil an, bis sie sich auf einer Höhe, die wohl zwanzig Echidna aufeinander gestellt entsprach, zurückzog.

Die Hütten bildeten zwei große Ringe um das einzige größere Gebäude inmitten des Dorfes - eine größere Blockhütte, die etwa so viel Platz belegte wie vier von den kleinen Hütten. Wie ihre kleinen Entsprechungen war sie komplett aus einfachem Holz gebaut und sah zwar nicht besonders schön aus, aber die Wände waren zwei Baumstämme dick und hielten die Kühle der Nacht und gegebenenfalls auch die Kälte des Winters recht gut ab.

Die Tür einer Hütte direkt in der Nähe der Halle öffnete sich, und verschlafen blickte ein Echidna heraus. Er trug ein rotes Wams, wie die Wächter in der Stadt, allerdings war dieses Wams an den Nähten mit kleinen blauen und grünen Zierfäden bestickt und war aus deutlich feinerem Stoff als die Uniformen der Wächter. Seine Waffe war ein Schwert, das etwa zwei Ellen lang war und das er sich auf die Schulter geschnallt hatte. Er wirkte noch recht jung, und er war zwar kein Muskelprotz, aber trotzdem war nicht zu übersehen, dass er stark war - und vermutlich auch schnell, wenn es darauf ankam.

Er gähnte herzhaft und grummelte leise vor sich hin. "Jetzt muss ich sie wieder suchen... Warum kann sie nicht einfach zu einer normalen Zeit aufstehen?"

"Das würde nicht zu ihr passen", hörte er jemanden links von sich sagen.

Er drehte den Kopf und nickte. "Trotzdem wüsste ich gerne, wo sie gerade ist", sagte er zu der gelben Igelin, die ihn angesprochen hatte. Er hatte es längst aufgegeben, sich über ihr Aussehen zu wundern. Zitronengelbe Stacheln, zusammen mit dunkelblauen Augen, einer Jacke und einer Hose, beide aus dunklem Leder, wie sie alle höherrangigen Igel trugen, sahen nun mal seltsam aus - aber man gewöhnte sich schnell daran. Lediglich eine Halskette aus Holzplättchen, die mit seltsamen roten Symbolen verziert waren, wirkte unpassend, aber er hatte sie noch nie ohne diese Kette gesehen.

"Ich glaube, ich weiß es", meinte sie und wandte den Blick zur Felswand hinter dem Plateau. "Ich kann dich zu ihr bringen, Aztic... aber ich glaube, sie möchte im Moment nicht gestört werden."

Überrascht legte der Angesprochene die Stirn in Falten. "Ich weiß, dass ihr beide gut befreundet seid, Curse", sagte er langsam, "aber wenn sie es dir berichtet hat, warum dann nicht auch mir? Und ich bin für sie verantwortlich. Das bin ich einer Freundin schuldig."

"Warum sie es dir nicht verraten hat, kann ich mir zwar denken, aber sie hat ihre Gründe" meinte Curse. "Und wenn sie nicht will, dass du es erfährst, dann werde ich ihr nicht in den Rücken fallen. Sie ist die Einzige, die das Recht hat, dir davon zu erzählen. Und glaub mir, sie kann ganz gut auf sich selbst aufpassen."

"Aber wo ist sie?", fragte Aztic nach.
 

Am östlichsten Ende des Plateaus führte ein schmaler Weg, gerade breit genug, dass ein einzelner Igel sicher dort entlang gehen konnte, an den Berghängen entlang auf einen kleinen Ausläufer des Plateaus. Diese kleinere Plattform war nahezu kreisförmig und hatte etwa einen Durchmesser von drei Schritten. Einige kleinere Felsen lagen auf ihr, die sich vermutlich irgendwann einmal von weiter oben gelöst hatten und auf dem Plateau liegengeblieben waren.

Auf einem dieser Steine saß eine junge Echidna und blickte nach Osten, dorthin, wo sich die Sonne langsam über die Bergausläufer in der Ferne schob und nach und nach die unendlich scheinende, grasbewachsene Prärie beschien. Ihre Kleidung war aus dem gleichen Stoff wie die Kleidung des Echidnas im Dorf, und sie war auf die gleiche Weise verziert. Sie war unbewaffnet, und auch wenn sie in den letzten Jahren stark gewachsen und sicherlich erfahrener geworden war, war ihr doch immer noch anzumerken, dass sie keine Kriegerin war. Dafür waren ihre violetten Augen einfach zu scheu, und sie war viel zu sehr in ihre Gedanken versunken, um zu bemerken, was um sie herum vorging.

Im Morgenwind wogte das Gras hin und her, und auch wenn das Gras nicht höher wuchs als etwa auf Kniehöhe, war doch eine wiegende Bewegung klar erkennbar, wie die Ringe, die auf einem See entstanden, wenn man einen kleinen Stein hineinwarf.

Die Echidna schwieg und ließ ihren Gedanken freien Lauf.

Ihre Schwester war oftmals noch früher aufgestanden als sie heute, einfach nur, um sich den Sonnenaufgang anzusehen, an ihrem Lieblingsplatz, am Kristallsee. Sie hatte am Ufer gestanden und nach Osten geblickt, ohne sich zu rühren, und einfach nur den Eindruck der Sonne, die sich langsam über den Horizont erhob, langsam die Gegend zu erhellen begann und sich im klaren Wasser des Sees spiegelte, auf sich wirken lassen.

Ihre Schwester war immer sehr ruhig gewesen, selbst für ein Mädchen. Sie hatte nie viele Worte gemacht, sondern meistens Taten sprechen lassen - eine Verhaltensweise, die sie als angehende Kriegerin vermutlich schon am Anfang ihrer Ausbildung gelernt hatte.

Und Talent hatte sie zweifellos gehabt. Sie hatte gesehen, wie ihre Schwester noch drei Tage vor ihrer Abreise ihren Meister im Zweikampf besiegt hatte, nach fast zehn Jahren Ausbildung, und noch am Tag vor ihrer Abreise ein Kampfturnier gewonnen hatte, bei dem von ihren Kämpfen nur der gegen Aztic spannend und ergebnisoffen gewesen war.

Am Tag vor der Nacht, die alles verändert hatte.

"Wo bist du jetzt, Selina?", fragte sie leise und seufzte. "Was hast du getan, seit du fliehen musstest? Was tust du im Moment?"

"Denk nicht zu viel über deine Schwester nach", hörte sie hinter sich jemanden sagen, und als sie sich umdrehte, erkannte sie Curse, die dicht hinter ihr stehen geblieben war und ebenfalls zur aufgehenden Sonne hinüberblickte. "Auf diese Fragen wirst du keine Antwort erhalten... nicht, bis du sie getroffen und persönlich gefragt hast."

"Das ist ja das Problem", meinte Malinche und blickte wieder zur aufgehenden Sonne hinüber. "Ich fürchte, ich werde sie nie wieder sehen... nie wieder mit ihr reden können... schließlich bin ich die Verlobte des Prinzen, und da kann ich mich nicht einfach so aus der Stadt schleichen, um mit einer gesuchten Mörderin zu sprechen. Und in die Stadt kann sie auch nicht kommen - das wäre blanker Selbstmord. Und mich besuchen...?" Malinche schüttelte traurig den Kopf. "Eure Ältesten haben doch verfügt, dass keine Echidna außer unserer Gruppe in euer Gebiet kommen dürfen, solange die Verhandlungen noch laufen, und jeden Echidna zu töten, der sich nicht daran hält. Entweder weiß sie davon und wird nicht kommen - oder sie wusste es nicht... und in diesem Fall ist sie vermutlich schon tot. Sie müsste auf jeden Fall auf Igel gestoßen sein, weil sie sich auf dieser Ebene nicht auskennt - und die hätten den Befehl eurer Ältesten befolgt und sie getötet."

"Warum denkst du überhaupt so viel an deine Schwester?", fragte Curse und kam näher, um sich neben sie zu setzen. "Du weißt doch, dass das nichts an dem, was geschehen ist, ändern wird. Und es wird dir auch nicht dabei helfen, sie wiederzusehen."

"Ich kann nun einmal nicht beeinflussen, an was ich denke", gab die Echidna zurück und lächelte traurig. "Selina hat mir eine ganze Menge bedeutet... und ich mache mir einfach Sorgen um sie. Es ist gut möglich, dass sie zufällig von ein paar Echidna gefangen genommen wird, oder dass sie den Winter nicht übersteht... und in diesem Fall würde ich nicht einmal erfahren, was aus ihr geworden ist. Und das nur, weil sie mich gegen diese Gestalten verteidigt hat..."

Eine einzelne Träne rollte aus ihrem Auge über ihr Gesicht, die sie schnell wegwischte. "Ich vermisse sie einfach", sagte sie leise.

Curse legte ihr tröstend einen Arm um die Schulter, sagte aber nichts, während sie zusammen mit ihrer Freundin nach Osten blickte, wo die Sonne sich langsam über den Horizont erhob und ihr Licht nach und nach wärmer wurde.

Malinche wusste nicht, wie lange sie mit Curse da gesessen hatte, als sie plötzlich Schritte hinter sich hörte und sich umdrehte, weg von der Sonne, die mittlerweile fast vollständig aufgegangen war. "Wie lange wollt ihr beide denn noch da sitzen?", fragte der Neuankömmling, ein grüner Igel mit tiefblauen Augen und einer ruhigen, aber nicht unfreundlichen Stimme, der eine Hose und eine Jacke aus dunklem Leder trug, die als Zeichen seines Ranges kunstvoll mit Zierfäden und Lederstreifen an den Nähten verziert waren. "Die Verhandlungen sollen gleich weitergehen."

Malinche seufzte. "Ihr habt Recht... wir haben viel nachzuholen. Die Gespräche ziehen sich jetzt schon viel zu lange hin."

"Wenn mein Vater krank wird, kurz bevor ihr hier eintrefft, und diese Krankheit ihn jetzt schon seit drei Jahren plagt", meinte Curse und stand auf, "dann braucht uns das nicht zu wundern, denke ich. Auf jeden Fall", und an dieser Stelle warf sie dem Neuankömmling einen scharfen Blick zu, "hat sie genug Zeit, um in Ruhe der Sonne beim Aufgehen zuzusehen, Joshua."

" Dein Vater William sieht das aber anders", meinte Joshua nur und warf Curse einen geradezu unheimlich kalten Blick zu, sodass selbst die Echidna einen Moment lang fröstelte, bevor der Igel lächelnd zu ihr hinüberblickte. "Ich wollte Euch nicht ungebührlich hetzen, aber Ihr seid nun einmal die Führerin der Verhandlungen im Namen der Echidna, und ich hielt es für nötig, Euch Bescheid zu sagen. William sagt, es gehe ihm gut genug, um die Gespräche heute wenigstens ein wenig weiterzuführen. Ihr solltet ihn nicht warten lassen. Er ist krank, und als oberster Häuptling der Igel bittet er Euch, so schnell wie möglich zu ihm zu kommen, damit die Verhandlungen weitergehen können."

Malinche nickte. "Ja, Ihr habt Recht", murmelte sie leise, aber bevor sie sich vollends von der Sonne abwandte, warf sie noch einen Blick zum Horizont, genau ins Sonnenlicht.

Selina hatte sich immer gern den Sonnenaufgang angesehen... sie hatte immer gesagt, dass sie sich in diesem Augenblick immer ganz ruhig gefühlt habe...

Vielleicht hatte sie diese Gewohnheit ja beibehalten...

Malinche seufzte leise, während sie sich wieder umdrehte und Joshua und Curse auf dem Weg ins Dorf begleitete. Wie sehr wünschte sie sich, jetzt, in diesem Moment, einfach kehrt machen zu können, einfach zurück an diesen Platz gehen und die Ruhe des Sonnenaufgangs genießen zu können...

Ganz so, wie es Selina immer getan hatte, wenn sie Lust darauf gehabt hatte...
 

Die kleine Gruppe betrat die große Halle im Zentrum des Dorfes. In der Halle befanden sich bereits alle anderen Echidna und die meisten Igel, die mit der Verhandlung etwas zu tun hatten, und saßen auf ihren Plätzen am Tisch, an dessen Kopfende der Häuptling der Igel Platz nehmen sollte.

Malinche nahm ihren Platz ein, den Platz zur Rechten des freien Stuhls, in der Reihe der Echidna. Es waren insgesamt zehn Echidna im Raum, fünf persönliche Wachen und fünf Unterhändler, und abgesehen vom Häuptling sah es bei den Igeln genauso aus.

"Wenigstens geht es endlich weiter", murmelte Aztic, ihr persönlicher Wächter, der hinter ihr stand, ihr leise zu und grinste.

"Meint Ihr das wirklich?", fragte der Echidna, der zu ihrer Rechten saß. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir diesen Frieden in absehbarer Zeit schließen werden."

"Was macht Euch da so sicher?", fragte Malinche zurück. "In den bisherigen Gesprächen hatte ich den Eindruck, dass sie wirklich am Frieden interessiert sind."

"Ihr habt sie nicht abseits der Besprechungen erlebt", gab der Echidna zurück und schüttelte verächtlich den Kopf. "Sie behandeln uns wie Luft - aber das dürfte Euch ja nicht auffallen, so sehr, wie Ihr Euch in die Einsamkeit zurückzieht. Ihr habt in den drei Jahren, die wir hier sind, kaum ein Wort mit einem von uns gewechselt. Kennt Ihr überhaupt meinen Namen, geschweige denn die Namen von ihnen?"

"Euren Namen?", fragte Malinche zurück und musste sich eingestehen, dass sie ihn nicht kannte. "Nein, aber ich kenne die Namen von einigen Igeln, und diese kenne ich auch persönlich recht gut. Und sie scheinen wirklich ernsthaft am Frieden interessiert zu sein." Sie lächelte verschmitzt. "Vielleicht behandeln sie Euch wie Luft, weil Ihr sie auch nicht beachtet und Euch nur bei den anderen von uns aufhaltet, meint Ihr nicht?"

Verwirrt blickte ihr Gegenüber sie an, aber bevor er etwas erwidern konnte, schwang die Eingangstür auf, und William, der Häuptling der Igel, betrat die Halle.

Obwohl er erst wenig über vierzig Jahre alt war, so musste sich der Igel doch bereits auf einen Stock stützen, und er zitterte pausenlos, während er langsam um den Tisch herum zu seinem angestammten Platz ging. Seine einstmals grünen Stacheln waren bereits fast durchgehend grau und hatten ihren gesamten Glanz verloren. Ganz anders seine braunen Augen, die glänzten wie bei einem Fieberkranken, aber hinter dem Glanz wirkten auch sie geradezu unheimlich alt und müde. Die lange Krankheit hatte ihn ausgezehrt, und normalerweise hätte niemand in diesem Gerippe eines Igels ihren obersten Häuptling vermutet - allerdings beseitigte der lange Mantel aus reich verziertem Leder jeden möglichen Zweifel an seinem Rang.

Als er sich setzen wollte, zitterte seine Hand um seine Gehhilfe so stark, dass sie vermutlich um- und er hingefallen wäre, wenn nicht Curse schnell von ihrem Platz zu seiner Rechten aufgestanden wäre und ihn gestützt hätte.

"Vielleicht solltest du dich besser wieder hinlegen, Vater", mahnte Joshua, der direkt neben dem Häuptling saß, mit leiser Stimme in der Sprache der Igel, sodass es von den Gesandten, die anders als ihre Wächter diese Sprache recht gut beherrschten, nur Malinche hören konnte. "Es wird den Gesprächen nicht helfen, wenn du hier zusammenbrichst."

"Vielleicht nicht", erwiderte der Igel mit schwacher, aber dennoch entschlossener Stimme. "Aber wie lange soll ich mich denn noch von dieser Krankheit ans Bett fesseln lassen? Davon gehen die Verhandlungen auch nicht weiter."

"Und wenn du zu früh aufstehst, riskierst du nur einen Rückfall", erwiderte Joshua, klang allerdings auffallend gleichgültig, als er das sagte. "Das wird auch nicht weiterhelfen."

"Es wird schon gehen", versicherte William, und obwohl seine Stimme immer noch recht schwach war, war doch klar, dass er die Konferenz nicht abbrechen würde. "Hol mir nur bitte noch etwas zu trinken", sagte er noch zu dem Igel, der direkt hinter ihm stand und wie alle Wachen der Igel gekleidet und bewaffnet war - ein langes Schwert und ein kurzes Messer, die an einem Ledergürtel hingen, der eine einfache Stoffhose hielt. Der Igel drehte sich auch postwendend um und verschwand durch eine kleine Tür in der Wand hinter dem Häuptling.

Über Joshuas Gesicht zog ein leichter Schatten, wie Malinche auffiel.

Da stimmte doch etwas nicht... wenn er sich wirklich Sorgen machte, warum hatte er dann eben, als er seinen Vater auf die Rückfallgefahr angesprochen hatte, so gleichgültig geklungen, und ihn gegenüber Curse betont als "ihren" Vater bezeichnet?

Aber wenn er sich keine Sorgen machte... warum war dann dieser flüchtige Schatten über sein Gesicht gezogen? Sie musste sich irren - es war niemandem gleichgültig, wenn sein Vater krank war.

"Seid Ihr euch sicher, dass Ihr das durchstehen könnt?", fragte Malinche William, aber der nickte nur und drehte sich um, als die Tür hinter ihm zufiel. Der Wächter war zurück und trug in den Händen einen tönernen Becher, der bis an den Rand mit Wasser gefüllt sein musste. Der kranke Igel nahm den Becher mit zitternden Fingern entgegen und nickte dem jungen Wächter dankbar zu, bevor er zum Trinken ansetzte.

Urplötzlich sprang Joshua auf die Füße und schlug seinem Vater den Becher mit einer raschen, kraftvollen Handbewegung aus der Hand. Er flog aus den schwachen Händen des Häuptlings einige Meter weit durch den Raum und zerbrach klirrend auf dem festgestampften Erdboden. Joshua ignorierte die verwirrten Blicke der Anwesenden, ging zu der Stelle hinüber, wo der Becher zerbrochen war, bückte sich und hob ein kleines, hellblaues Blatt auf, das er eingehend betrachtete, bevor er den jungen Wächter mit einer knappen Geste seiner zitternden Hand zu sich winkte. Und der junge Igel gehorchte mit einem Blick voller Gleichgültigkeit.

"Dieses Blatt", zischte Joshua, und seine Stimme, die kälter und drohender klang, als Malinche sie jemals zuvor gehört hatte, ließ zusammen mit seinen Augen, in denen kalter Zorn zu sehen war, jeden im Raum zittern, "du weißt, woher es kommt. Diese Blätter sind giftig, und wenn man sie in Wasser legt, sind sie der perfekte Weg, um es zu vergiften." Einen kurzen Moment schien ein irres Feuer in seinen Augen zu flackern, bevor sie wieder normal zornig und erregt aussahen. "Wer hat es dir gegeben?", fauchte er. "Wer wollte, dass mein Vater stirbt?"

Der junge Wächter antwortete nicht. Regungslos erwiderte er den wütenden Blick Joshuas, und in seinen Augen war nicht das geringste Gefühl zu erkennen.

Der Häuptlingssohn sah zu seinem Vater hinüber, der in seinem Stuhl zusammengesunken war. Diese Aufregung war offensichtlich zu viel gewesen für den kranken Häuptling, und er hatte das Bewusstsein verloren, aber Curse, die neben ihm stand und den Puls gefühlt hatte, nickte Joshua beruhigend zu. William lebte noch.

Der grüne Igel wies auf zwei Igelwächter im Raum. "Ihr zwei bringt meinen Vater zurück in sein Haus", befahl er. "Ihr beiden" - dabei sah er zu den anderen zwei Igelwachen hinüber - "bewacht unseren Giftmörder hier. Sobald ich sicher weiß, dass meinem Vater nichts passiert ist, will ich mit ihm reden."

Gedankenschnell flog die Hand des gefangenen Wächters zu seinem Schwert, gedankenschnell hatte er es gezogen, und fast ebenso schnell stürmte er auf den bewusstlosen Häuptling los. Die beiden Wachen, die ihn in sein Zelt schaffen sollten, waren noch nicht nahe genug beim Häuptling, um eingreifen zu können. Sie waren erst halb um den Tisch herumgegangen und konnten nur zuschauen.

Ohne einen Laut von sich zu geben, hob der Verräter das Schwert und schlug zu.

Höchstens zwei Fingerbreit über Williams Kopf traf es auf ein anderes Schwert.

Über dem metallischen Klirren wandte der Verräter überrascht den Kopf und blickte denjenigen an, der seinen Angriff vereitelt hatte.

Das genügte für Aztic, um das Schwert des Igels mit einer kurzen Anstrengung nach oben zu drücken und so die Gefahr für William ein wenig zu mindern.

Dann plötzlich sprang der Verräter einen Schritt zurück, bevor er mit einem einhändigen Hieb seines Schwertes horizontal nach Aztics Hals schlug.

Aztic parierte auch diesen Schlag problemlos und drückte dabei die Waffe seines Gegners nach außen, sodass für einen kurzen Moment seine Deckung offen war. Mit einem raschen, kräftigen Fausthieb mitten ins Gesicht dicht unter das linke Auge brachte er seinen Gegner dazu, zurückzutaumeln, und für einen Moment konnte er sich nicht verteidigen.

Ein weiterer blitzschneller und dennoch präziser Hieb Aztics folgte. Das Schwert schnitt durch die Muskeln, die Knochen und das Fleisch des Handgelenks der Hand, in der der Igel sein Schwert hielt, und mit einem ekelerregenden Geräusch fiel die Hand mitsamt der Waffe zu Boden.

Der Igel erstarrte mitten in der Bewegung, als seine Hand vom Arm getrennt wurde, und blickte Aztic an. Seine Augen waren leer, wie von einem Toten. Keinerlei Regung war zu erkennen, obwohl er doch schmerzlich spüren musste, dass sein rechter Arm nur noch in einem Stumpf endete.

Und keinerlei Regung war zu erkennen, als er in einer schnellen, fließenden Bewegung mit der linken Hand das kurze Messer aus seinem Gürtel zog und sich in den Hals stieß.

Erst als er jetzt in den Knien einknickte, war wieder eine Gefühlsregung in seinen Augen zu erkennen. Und es war nicht Schmerz oder Häme, weil sein Tod Spuren verwischen würde - es war Überraschung. Aus seinen Augen sprach reine Überraschung, so als wisse er gar nicht, wie er in die Halle gekommen war und wie er diese tödlichen Wunden erhalten hatte.

Das war das letzte, was Malinche von ihm sah, bevor er mit dem Gesicht voran auf dem Boden aufschlug und sich nicht mehr bewegte.

Sie hörte, dass Joshua irgendetwas zu Aztic sagte, aber sie verstand nichts genaues von dem, was gesprochen wurde. Unter dem toten Wächter bildete sich eine Blutlache, sowohl aus der klaffenden Wunde am Hals als auch aus dem Armstumpf. Der Geruch des Blutes war ganz nahe... er war ganz in ihrer Nähe... und er kam immer näher...

Und dann, plötzlich, wurde ihr schwindelig. Sie merkte, dass sie zu Boden stürzte, und es wurde schwarz um sie herum. Ganz plötzlich sah sie nichts mehr um sich herum, hörte nur noch entferntes Waffengeklirr, kleine Platschgeräusche, als wenn jemand in eine Pfütze getreten sei - und es stank fürchterlich nach Blut um sie herum. Sie merkte, dass sich ihre Hände um den Griff eines Schwertes klammerten und dass sie in der Ecke eines dunklen Zimmers kauerte, während hinter der Wand neben ihr Waffengeklirr und dumpfe Geräusche, als wenn eine Waffe durch Haut, Fleisch und Knochen schnitt, erklangen. Sie zitterte... sie bekam keine Luft, weil ihr der Gestank des Blutes den Atem nahm... ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals... dann plötzlich herrschte Stille...

Und dann stand sie auf einmal im vom Fackellicht erhellten Thronsaal der Echidna dicht neben ihrem Verlobten und hörte seinen Vater, den König, sprechen... "Die Strafe für Mord ist der Tod." Sie wusste, was folgen würde, und wollte sich die Ohren zuhalten, aber die Worte schienen direkt aus ihrem Kopf zu kommen... "Und weil du besonders rücksichtslos gemordet hast, wirst du nicht einfach so sterben."

Sie schrie auf, um die Worte zu übertönen, die folgen würden - und dann kehrte die Dunkelheit zurück.

Sie hörte, wie eine Tür aufgerissen wurde, und irgendjemand hielt eine Fackel in den dunklen Raum, sodass sie sich umsehen konnte. Sie lag auf einem Strohsack mit einer Hülle aus Leder unter einer Felldecke und merkte, dass sie schwitzte. Der Schweiß lief in Strömen über ihr Gesicht, ihr war fürchterlich heiß, und nach dem Brennen ihrer Augen zu urteilen, musste sie geweint haben.

Erst als die Person mit der Fackel den Raum betrat, konnte Malinche sie erkennen.

Curse zog leise die Tür zu, kam zu ihr hinüber und legte ihr eine Hand auf die Stirn. "Wie fühlst du dich?", fragte sie besorgt.

"Es ging mir schon besser", meinte Malinche und brachte ein schwaches Lächeln zustande. "Was ist passiert?"

Langsam ließ Curse sich neben ihr nieder und legte die Fackel vorsichtig in sicherer Entfernung vom Strohsack auf den festgetretenen Erdboden. "Du bist zusammengebrochen", sagte sie leise, "ganz plötzlich. Du warst den ganzen Tag bewusstlos und hast die ganze Zeit gezittert, geschwitzt und geweint... wie jemand, der furchtbare Angst hat." Curse blickte auf einen Strohhalm, der aus einer Naht des Sackes hervorschaute, und schwieg einige Augenblicke lang. "Was hast du geträumt?", fragte sie leise, und sie klang ernsthaft besorgt. "Was hast du geträumt, das dir so viel Angst gemacht hat?"

Malinche fühlte einen dicken Kloß im Hals, als sie antwortete, und musste die Worte förmlich hervorpressen. "Ich... ich saß in dem dunklen Raum... den ich und Selina uns früher geteilt haben... es war dunkel... ich hatte eine Waffe in der Hand... und... und es stank fürchterlich nach Blut... und von nebenan waren Waffengeräusche zu hören... Und... und im nächsten Moment... stand ich im Thronsaal... und hörte... und hörte das Urteil... vom König... hörte, wie er Selina zum Tode verurteilte..." Sie hob den Kopf und blickte Curse mit einer Mischung aus Hilflosigkeit, Trauer und Verzweiflung an. "Es waren die beiden schlimmsten Momente meines Lebens... die Ungewissheit, ob Selina den Kampf gegen die anderen Schemen überleben würde... und der Moment, in dem sie zum Tode verurteilt wurde... auf die grausamste Art, die wir kennen... für etwas, das sie nicht getan hat..." Eine Träne lief ihr übers Gesicht, und sie senkte den Blick wieder. "Von Zeit zu Zeit träume ich davon... und diese Nächte sind es, in denen ich stundenlang hier am Fenster stehe und den Mond betrachte, weil ich Angst davor habe, zu schlafen... So wie jetzt... jetzt, wo mich diese Bilder wieder heimgesucht haben..." Sie wandte den Kopf hinüber zu ihrer Freundin, die immer noch auf den Strohhalm hinabblickte und wirklich besorgt und traurig aussah.

"Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte die Igelin mit leiser Stimme.

Malinche rückte so dicht an Curse heran, wie sie konnte, und schloss die Augen. "Lass mich nicht allein", flüsterte sie tonlos. "Die Einsamkeit hier wäre sonst zuviel für mich, nach dem, was heute passiert ist... und außer dir habe ich niemanden..."

Langsam legte Curse der Echidna einen Arm um die Schulter und nickte. "Wie du willst... aber es stimmt nicht, dass du außer mir niemanden hast." Aber mehr sagte sie nicht, und Malinche fragte auch nicht weiter nach, als sie neben ihrer Freundin sitzen blieb, mit geschlossenen Augen, und langsam das Gefühl der Einsamkeit verschwand... langsam verschwand die Angst vor der Nacht, vor dem Schlaf, vor den Alpträumen.

Es dauerte nicht lange, und beide waren eingeschlafen, so, wie sie aneinander gelehnt gesessen hatten, und Malinche lächelte leicht, während sie schlief.

'Blitzmesser'

Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel, über den zerklüfteten, felsigen Hügeln westlich der Hauptstadt. Kein bisschen Wind wehte über die Hügelhänge oder durch die Blätter der kleinen Waldgruppen, die versprengt an den Hängen der Berge, dicht an den steilen Felswänden oder am Boden der Täler zwischen den Hügeln standen. Es herrschte eine geradezu unheimliche Stille unter dem dichten Blätterdach, im stark gedämpften Licht der Nachmittagssonne, und die Luft war unangenehm schwer und stickig.

Ein leises Knacken ertönte, als die Echidna ihre Hand um einen Fingerbreit nach vorne schob, und sofort erstarrte sie in ihrer Bewegung und spähte zu der Bergkatze hinüber, die sich gerade über den Kadaver eines Rehs hermachte. Das Tier hatte den Kopf angehoben, als sie das Knacken wahrgenommen hatte, und blickte sich jetzt um, während seine Ohren hin- und herzuckten.

Selina wagte nicht einmal zu atmen, während sie die Bergkatze beobachtete. Diese Tiere waren flink, stark und blitzschnell, ihre Krallen und Fangzähne waren scharf und spitz, und sie fraßen ausnahmslos alles, was aus Fleisch war oder danach aussah. Sie waren die gefürchtetsten Raubtiere der Wildnis um Echidnapolis.

Und ihr Fell war sehr kostbar. Das Fell einer jeden Bergkatze war weich und bequem, und es wärmte vorzüglich, wenn der Winter wieder einmal besonders hart zuschlug. Das Fell dieses Exemplars glänzte sogar noch im Dämmerlicht des Waldes und schien wirklich außergewöhnlich dicht zu sein. Ganz sicher würde es einen sehr wertvollen Pelzmantel abgeben.

Wenn sie das Tier erst einmal erlegt hatten.

Die Bergkatze senkte mit einem leisen Knurren ihre Schnauze wieder in den Kadaver und fraß weiter. Sie hatte sie nicht gehört.

Es war ihr Glück, dass sie den Wind von vorne hatte, dachte Selina, während sie sich einige Fingerbreit weiter auf das Tier zu bewegte. Durch das Gestrüpp, das zwischen ihnen wuchs und durch das sie im Moment hindurchkroch, war sie vor ihren Blicken geschützt, und die Windrichtung gab ihr einen weiteren Vorteil.

Wie in Zeitlupe schob sich die Echidna Fingerbreit um Fingerbreit nach vorne, bis sie schließlich nur noch das hohe Gras davor bewahren konnte, entdeckt zu werden, wenn die Bergkatze zufällig in ihre Richtung blickte – aber im Moment war sie mit Fressen beschäftigt, und weil Selina kein Geräusch verursachte, etwas, das sie in den letzten drei Jahren hatte lernen müssen, konnte ihr Ziel sie auch nicht hören. Das Tier konnte unmöglich wissen, dass sie da war.

Selina war keine fünf Schritte mehr von der Katze entfernt, als sie sich blitzartig aufrichtete. Die Bergkatze zuckte zusammen, wandte den Kopf in ihre Richtung und starrte sie für einige wenige Sekundenbruchteile an. Lange genug für Selina, um diese letzten fünf Schritte mit einigen schnellen Sprüngen zu überwinden, unterwegs eins ihrer Messer zu ziehen und der Bergkatze in den Hals zu stoßen.

Die Bergkatze hatte sich nicht bewegt, seit sie Selina geschockt angestarrt hatte. Und auch jetzt bewegte sie sich nicht, als sie mit einem leisen, gurgelnden Winseln in den Beinen einknickte und zu Boden fiel.

Routinemäßig riss Selina ein Büschel des Grases aus, das in der Wärme des kommenden Sommers schon jetzt fast vertrocknet war, obwohl der Frühling noch nicht vorbei war, und säuberte ihr Messer vom Blut ihrer Beute, so gut sie konnte, während zwischen den Bäumen zwei weitere Echidna hervorkamen. Sie sahen einander so ähnlich, von Statur, Größe, Stachel- und Augenfarbe, ja selbst von der Gangart, dass sie nur Zwillinge sein konnten. Einer von ihnen trug einen Speer und hatte eine auffällige Narbe quer über sein linkes Auge, während der andere Klingen an seinem Handgelenk befestigt hatte und sie so als Verlängerung seiner Arme nutzte.

„Es war doch vereinbart, dass du uns das Tier zutreibst“, knurrte der Echidna mit der Narbe, offensichtlich enttäuscht darüber, dass er nur hatte zusehen können.

Selina zuckte nur mit den Schultern. „Ich wollte wenigstens meinen Spaß haben, wenn ihr schon das Fell mitnehmt“, meinte sie mit einem entschuldigenden Grinsen.

„Als ob du nicht schon genug von uns profitieren würdest“, meinte der zweite, während er sich zu ihrer Beute hinunterbeugte. „Du kriegst das Fleisch und die Krallen, wir kriegen nur das Fell.“

„Ohne mich könntet ihr dafür euren Pelzhandel vergessen“, konterte Selina mit einem überlegenen Lächeln. „Ihr würdet euch hier draußen, abseits der Stadt, hoffnungslos verirren. Oder wollt ihr lieber allein versuchen, nach Echidnapolis zurückzufinden, Zachery?“

Damit war ganz offensichtlich der Echidna ohne die Narbe gemeint, denn der schüttelte nur mürrisch den Kopf. „Ich hasse es, wenn du Recht hast, Blitzmesser“, knurrte er und musste dann doch wieder lächeln. „Lass uns nur nächstes Mal auch noch was übrig. Zuschauen ist langweilig.“

„Ich werds mir überlegen“, meinte Selina und setzte einen angestrengt nachdenklichen Gesichtsausdruck auf, bei dem die beiden anderen grinsen mussten. „Immerhin überlasst ihr mir ja freundlicherweise immer die Krallen und die Zähne“ – dabei wies sie beiläufig mit einer Hand auf eine Kette aus Krallen und Zähnen von erlegten Tieren und auf die Nähte ihrer Kleidung, die auch mittlerweile dicht an dicht mit dieser Art von Trophäen bestückt waren – „und ein bisschen was von dem, was in der Stadt passiert, erfahre ich ja auch noch... da könnte ich mir schon mal überlegen, euch nächstes Mal noch mal ran zu lassen, denke ich.“

Ohne noch weiter zu zögern, bückten sich die drei Echidna nach der Bergkatze und zerlegten sie mit sicheren, routinemäßigen Schnitten. Nach kurzer Zeit hatte Selina die Krallen, Zähne und die besten Fleischstücke für sich in einem Deckenbündel beiseite geschafft und sah den beiden Brüdern zu, wie sie das Fell nun ebenfalls zu einem Bündel zusammenrollten und zusammenbanden.

„Genug für heute“, meinte der Echidna mit der Narbe, nachdem er einen Blick zur untergehenden Sonne geworfen hatte, die den Himmel bereits rot zu färben begann.

Selina zog missbilligend die Stirn in Falten. „Wenn wir uns ranhalten, schaffen wir noch ein Fell, Keiyari“, meinte sie, nachdem sie ebenfalls einen Blick auf den Sonnenstand geworfen hatte.

„Und dann müssen wir durch die Dunkelheit zu deiner Höhle zurück“, meinte Keiyari und schüttelte nur den Kopf. „Das können wir uns sparen. Für heute reicht es, finde ich. Morgen haben wir auch noch Zeit.“

Die Echidna zuckte nur mit den Schultern. „Wenn du meinst“, meinte sie gleichgültig. „Ich verliere dadurch kein Fell.“ Mit diesen Worten lud sie sich ihr Deckenbündel auf die Schulter, warf einen letzten prüfenden Blick zur Sonne, überlegte kurz und schlug dann sicheren Schritts den Weg in Richtung Nordwesten ein. Dieser Weg, da war sie sich ganz sicher, würde sie und ihre Begleiter direkt zu der Höhle führen, in der sie sich in den letzten drei Jahren ein gewisses Zuhause geschaffen hatte.

In den drei Jahren, seit ihrer Flucht vor der Hinrichtung für ein Verbrechen, dass sie nicht begangen hatte...

Selina seufzte leise, kaum hörbar, und die Zwillinge hinter ihr hatten es auch nicht gehört. Die drei Jahre hatten sie stärker und schneller gemacht, obwohl sie noch weiter abgemagert war. Niemand hätte, bei ihrer verdreckten und unzählige Male geflickten Kleidung, bei ihrer wirklich mageren Figur, bei der man längst die Rippen zählen konnte, überhaupt bei ihrer kompletten äußeren Erscheinung, die wirklich ziemlich heruntergekommen und ungepflegt war, in ihr die Schwester der Verlobten des Prinzen vermutet.

Was wohl Malinche jetzt tat... Sie hatte sich bisher nicht getraut, die Zwillinge zu fragen, aus Angst, zu viel über sich zu verraten. Dieser grüne Igel mit diesen seltsamen Augen, dem sie nur ganz knapp entkommen war, musste immer noch hinter ihr her sein, und ein zweites Mal würde sie ihm sicher nicht entkommen.

Sie verstand nicht einmal völlig, wie ihre erste Flucht vor ihm passiert war. Irgendeine Macht hatte sie vor seinem dritten Angriff beschützt und danach schnell und doch sanft die Klippe hinunterbefördert, weg von ihm. Noch einmal würde sie ihm auf diese Weise nicht entkommen können.

Sie fragte sich immer noch, was genau damals eigentlich passiert war. Hector war der einzige gewesen, der neben ihr und dem Igel auf dem Plateau gewesen war, aber Malinche hatte ihr immer wieder gesagt, er sei ein ganz gewöhnlicher Echidna – was bei dem Prinzen alles andere als selbstverständlich schien. Wenn Hector tatsächlich irgendwelche besonderen Fähigkeiten gehabt hätte, dann hätte Malinche, neugierig wie sie war, zweifellos davon wissen müssen. Abgesehen davon – wenn Hector tatsächlich solche Fähigkeiten gehabt hätte, dann hätte er sie sicherlich anders genutzt, als sie so heimlich aus dem Palast zu schmuggeln, nachdem er das Todesurteil nicht hatte verhindern können – oder wollen.

Früher hätte sie allein bei dem Gedanken an Magie oder etwas ähnliches nur mit dem Kopf geschüttelt. Das war Stoff aus den Geschichten, die ihre Mutter ihr als kleines Kind erzählt hatte, aber der Gedanke, dass Magie immer noch existieren sollte, war schlicht und einfach absurd gewesen. Bis zu dem Morgen, an dem dieser seltsame Igel Huascar getötet hatte, ohne ihn überhaupt zu berühren. Sie konnte und wollte einfach immer noch nicht glauben, dass Magie doch zu existieren schien – und gleichzeitig merkte sie, wie sie sich immer wieder fragte, wer noch alles Fähigkeiten haben mochte, von denen sie nichts wusste.

Fähigkeiten, an die sie nie wirklich geglaubt hatte, die sie immer als Unsinn abgetan hatte...

Selina verkniff sich einen leisen, nachdenklichen Seufzer und sah sich um. Sie hatten bereits den Großteil der Strecke zu ihrer Höhle zurückgelegt. Vor ihnen war der Wald ein wenig lichter, wie sie wusste, und auf der anderen Seite dieser Stelle, an der die Bäume etwas dünner standen, erhob sich hinter einem weiteren kurzen Waldstück eine der vielen Felswände der Gegend. Eine Straße führte an dieser kleinen Lichtung vorbei, und von oben, von der Felswand aus, hatte sie schon oft Karawanen belauscht, wenn sie nachts halt machten, von Zeit zu Zeit hatte sie es sogar gewagt, sich unter die Reisenden zu mischen.

Sie blieb stehen und hob die Hand, um die Zwillinge zu warnen, die ebenfalls stehen blieben. Und nach einigen Sekunden drangen tatsächlich entfernte Stimmen zu ihnen herüber.

„Eine Karawane“, flüsterte Selina tonlos, während sie zwischen Freude und Angst schwang. Es war ein Risiko, sicher, schließlich war sie immer noch eine verurteilte Mörderin, aber sie stellte fest, dass sie sich wünschte, zumindest den Abend bei der Karawane zu verbringen.

„Gehen wir doch hin“, meinte Zachery nach kurzem Nachdenken. „Wir sind Pelzjäger und suchen Gesellschaft, vor denen sie keine Angst zu haben brauchen.“

Die Diskussion, die keine war, war damit entschieden.

Als die drei auf der Lichtung ankamen, sahen sie, dass es sich tatsächlich um eine größere Karawane handelte. Sie bestand aus bestimmt zwanzig Wagen, die alle von jeweils zwei Eseln gezogen wurden und bis obenhin mit den verschiedensten Waren beladen waren, die von Bögen aus schwarzem Holz über Zähne, Krallen und Felle verschiedener wilder Tiere bis zu kostbar verzierten Vasen aus rotbraun gebranntem Ton reichten.

Die Karawanenbegleiter, die gerade damit beschäftigt waren, die Esel zu versorgen, drehten sich zu ihnen herum, als sie näher kamen, und legten die Hand an die Schwerter, die man hier draußen immer griffbereit haben musste.. Es war eine notwendige Vorsichtsmaßnahme, wie Selina wohl wusste, aber sie blieb stehen und hob eine Hand zum Gruß. „Die werdet ihr nicht brauchen“, meinte sie. „Wir sind ehrliche Pelzjäger.“

Die arbeitenden Echidna beäugten sie und die Zwillinge kurz, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit zu wandten, während aus dem Hintergrund ein anderer Echidna zu ihnen kam. Anders als die Begleiter der Karawane trug er keine Waffe, und wo sie zweckmäßige, einfache Kleidung, die meist schon recht abgetragen war, trugen, waren seine Kleider aus recht frischem Stoff, der zwar ungefärbt war, aber bei weitem nicht so heruntergekommen aussah wie bei seinen Begleitern.

„Ihr seid wohl der Anführer der Karawane“, meinte Zachery, nachdem er sich ihn angesehen hatte.

„Das bin ich“, bestätigte der Angesprochene. „Mein Name ist Mescalero. Darf ich eure Namen erfahren?“

„Warum nicht?“, meinte Selina, obwohl es diese Frage gewesen war, die sie im Stillen gefürchtet hatte. Ihr richtiger Name konnte sie entlarven, konnte Mescalero vielleicht verraten, wer sie war und warum sie nicht in der Stadt lebte, aber Decknamen wirkten nie vertrauenerweckend. „Vielleicht kennt ihr meine Begleiter ja. Zachery und Kaiyeri“ – auf beide deutete sie mit einer kurzen Handbewegung – „sind Pelzhändler aus Echidnapolis, und mich könnt ihr Blitzmesser nennen.“

Mescalero nickte jeweils einmal kurz, als sie die Zwillinge vorstellte, aber sie selbst sah er genau so an, wie sie es befürchtet hatte – mit einem Blick voller Misstrauen. „Habt Ihr etwas zu verbergen, dass Ihr euch einen Decknamen gebt?“, fragte er und versuchte zwar, möglichst neutral zu klingen, was ihm aber nicht ganz gelang.

Selina schüttelte den Kopf. „Nichts, was ich getan hätte“, sagte sie. „Ihr wisst doch, was bei jungen Kriegern üblich ist, die meinen, auf normalem Weg nichts mehr lernen zu können, oder?“

Mescalero nickte. „Sie gehen in die Wildnis“, sagte er, „aber ich habe noch nie davon gehört, dass sie ihren wahren Namen geheim halten wollen.“

„Eine Vorsichtsmaßnahme“, meinte Selina mit einem entschuldigenden Lächeln. „Sagen wir, jemand aus einer reichen Familie wagt sich in die Wildnis. Die Wildnis ist ein sehr gefährlicher Ort, nicht nur wegen den wilden Tieren und der Tatsache, dass man sich selbst mit allem versorgen muss, was man braucht, sondern auch wegen Räuberbanden, die sich hier draußen herumtreiben und jeden angreifen, der nach einem lohnenden Ziel aussieht. Wenn also jemand in die Wildnis geht und offen zugibt, aus einer reichen Familie zu stammen, wird er vor Räubern nicht mehr sicher sein, die ihn als Geisel benutzen wollen, um jede Menge Geld zu erpressen. Dass wir uns hier draußen Decknamen geben, soll eben verhindern, dass unsere Familien für unsere Sicherheit aufkommen müssen, versteht ihr?“

„Ja, das verstehe ich“, antwortete Mescalero nach kurzem Zögern. „Aber auch Räuber geben sich Decknamen. Welche Sicherheit habe ich, dass ich euch vertrauen kann?“

„Ihr habt unsere Namen“, antwortete Zachery, trat einen Schritt vor und legte ein Pelzbündel vor sich auf den Boden. „Ich und mein Bruder sind Pelzjäger aus der Stadt.“

„Mag ja sein“, gab Mescalero zurück, „aber es gibt viele Pelzjäger in der Stadt. Warum gebt ihr euch mit jemandem ab, der in der Wildnis lebt, wenn ihr auf der Jagd seid?“

Kaiyeri grinste verächtlich. „Und das fragt ein Karawanenführer?“, fragte er genau so verächtlich, wie er aussah. „Ihr solltet am besten wissen, wie gefährlich es ist, sich hier draußen zu verirren und wie leicht eben das Leuten passiert, die sich nur auf den Straßen auskennen. Ohne Blitzmesser hätten wir uns schon mehrfach hoffnungslos verlaufen.“

Mescalero schien immer noch nicht so recht überzeugt. „Und was kriegt Ihr dafür?“, fragte er Selina direkt.

Selina zuckte mit den Schultern. „Vieles“, antwortete sie, „auch wenn Ihr das vielleicht nicht als so wichtig anseht. Ich habe ihre Gesellschaft, ich erfahre durch sie, was in Echidnapolis passiert, und ich darf einen Teil der Trophäen“ – dabei wies sie mit einer Hand auf die Nähte ihrer Kleidung – „behalten. Es kann manchmal ziemlich einsam hier draußen sein, und man erfährt auch nichts aus der Stadt, müsst Ihr wissen.“

Mescalero schwieg einige Sekunden lang. Offensichtlich dachte er immer noch darüber nach, ob er ihnen vertrauen konnte, aber dann nickte er. „Ihr wirkt auf mich nicht wie Lügner“, sagte er, um dann fast entschuldigend hinzuzufügen: „Ihr wisst doch auch, dass man hier draußen niemandem blind vertrauen sollte.“

Zachery lud sich das Pelzbündel wieder auf die Schulter und nickte. „Schon klar. Seid Ihr zufällig auf dem Rückweg nach Echidnapolis?“

Selina hörte beim folgenden Gespräch zwischen Zachery und Mescalero nur halb zu und musste sich beherrschen, um nicht laut aufzuatmen. Trotz ihres Decknamens würde sie noch den Abend in Gesellschaft verbringen dürfen... und vielleicht würde sie auch endlich etwas neues über ihre Schwester und die Verhandlungen mit den Igeln erfahren, wenn sie es nur schaffte, unauffällig danach zu fragen.
 

Die Dämmerung war kurz. Zu dieser Jahreszeit war das nichts außergewöhnliches, und die Begleiter der Karawane waren darauf eingestellt. Es war für sie eine Arbeit von nicht einmal einer halben Stunde, die sie dazu bereits begonnen hatten, als Selina mit den beiden Pelzjägern zu ihnen gestoßen war, um die Zugesel zu versorgen, die Wagen mit dünnen Lederhäuten abzudecken – beides war mehr Arbeit, als es zunächst schien, da die Karawane ungewöhnlich groß war – und die Wachen für die Nacht einzuteilen. Es war noch nicht einmal ein Stern am Himmel zu erkennen, als die Vorbereitungen für die Nacht abgeschlossen waren.

Ein Feuer wurde nicht gemacht. Selina wusste nur zu gut, wie gefährlich es war, hier draußen nachts ein Feuer anzuzünden. Es zog Raubtiere und Räuber an wie ein Kadaver die Fliegen und verschaffte der Karawane mehr Aufmerksamkeit, als ihr lieb sein konnte.

Die anderen Echidnas saßen in Gruppen von drei oder vier zusammen, aber Mescalero war zu Selina und den Zwillingen gekommen, in den Schatten eines Wagens, nachdem er sich vergewissert hatte, dass alle Wagen abgedeckt und alle Tiere versorgt waren.

„Was führt Euch gerade in diese Gegend?“, fragte er, während er sich setzte. „Sie liegt doch ziemlich abseits von Echidnapolis. Von hier aus habt ihr einen weiten Weg zurück mit Euren Fellen.“

„Aber hier haben wir auch unsere Ruhe“, antwortete Kaiyeri, während er die Spitze seiner Waffe prüfend betrachtete, aber anscheinend nichts fand und sie daher neben sich auf den Boden legte. „Um die Hauptstadt herum jagen viel zu viele Jäger. Da findet man kaum noch Tiere. Hier draußen müssen wir zwar weiter zurück, aber wir haben eine gute Führerin, die uns auch abseits der Straße zurück in die Stadt bringen kann.“

Mescalero warf Selina einen respektvollen Blick zu. „Dann müsst Ihr Euch in der Gegend gut auskennen“, meinte er und konnte einen Hauch von Bewunderung nicht verbergen.

„In drei Jahren lernt man sie kennen“, meinte Selina und steckte das Messer weg, das sie prüfend betrachtet hatte, ganz wie Kaiyeri, bevor es dazu zu dunkel war. Dieses Messer hatte heute wieder eine Bergkatze getötet. In den letzten Jahren hatte es oft getötet, fast immer wilde Tiere, gelegentlich auch zu aufdringliche Räuber, die sie wegen ihrer Jugend als leichtes Opfer eingeschätzt hatten, ein einziges Mal, vor ihrer Verbannung, auch geisterähnliche Wesen... und in Huascars Händen sicherlich ebenfalls unzählige Male. Und trotzdem war immer noch nicht das geringste bisschen Rost auf der Klinge, keine einzige Scharte, nicht einmal ein Ansatz von einer Scharte, und die Schneiden waren zwar in den letzten Jahren kein einziges Mal geschliffen worden, aber Selina brauchte sie nur anzusehen, um zu sehen, dass sie nichts von ihrer Schärfe verloren hatten. Sie waren immer noch in dem gleichen Zustand wie vor drei Jahren, als sie sie erhalten hatte.

Mescalero nickte langsam. „Drei Jahre sind eine lange Zeit“, meinte er. „Warum habt ihr überhaupt Echidnapolis verlassen? Und warum seid ihr immer noch nicht zurück? So lange wie Ihr bleiben junge Krieger doch normalerweise nicht in der Wildnis.“

Selina zuckte nur mit den Schultern. Solche Fragen hörte sie regelmäßig, wenn sie bei einer Karawane lagerte und sich als Kriegerin in der Wildnis ausgab, und für solche Fragen hatte sie eine Antwort, die wirklich immer passte, nicht zu viel verriet und dabei noch nicht einmal gelogen war. „Ich habe in der Stadt nichts, das mich dort hält. Je nachdem, was ich dort als Kriegerin machen würde, müsste ich den ganzen Tag irgendwelche Aufgaben erledigen, die mich nicht interessieren. Ich müsste früh aufstehen, lange aufbleiben, und müsste mich mit dem wenigen, das ich für meinen Sold auf dem Markt kaufen kann, zufrieden geben. Das, was mir Spaß macht, das Kämpfen, mit diesen Waffen“ – dabei deutete sie mit einer Handbewegung auf ihre Messer – „das käme dort zu kurz.“

„Mit anderen Worten“, ergänzte Mescalero mit einem ernsten Gesichtsausdruck, der nicht zu seinen Worten passen wollte, „Ihr wollt euren eigenen Kopf durchsetzen.“

Selina hätte beinahe laut aufgelacht, verkniff es sich aber. So laute Geräusche konnten sie sich hier draußen nicht erlauben. „Wenn Ihr das so sagen wollt“, meinte sie grinsend. „Ich hänge einfach an meiner persönlichen Freiheit. Und die will ich nicht wegen irgendwelchen Regeln aufgeben, nach denen ich mich in der Stadt richten muss.“

„Dafür schwebt Ihr hier draußen ständig in Gefahr“, meinte Mescalero und konnte eine gewisse Verwunderung in seiner Stimme nicht verbergen. „Jederzeit könnte Euch ein Räuber in der Nacht im Schlaf töten, Ihr könntet auf der Jagd sterben… Ich verstehe nicht, wie Euch Freiheit wichtiger sein kann als euer Leben. In der Stadt seid ihr vielleicht nicht ganz so frei, aber dafür lebt Ihr in Sicherheit.“

„Und langweile mich zu Tode“, erwiderte sie und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie sah, dass der Händler sie noch weniger verstand als vorher. „Es ist doch gerade die Gefahr, die das Leben hier draußen so besonders macht. Ihr habt Recht, jede Sekunde könnte hier draußen meine letzte sein, aber deswegen bin ich ja hier und nicht in der Stadt. Hier gibt es noch Herausforderungen. In Echidnapolis würde ich mich nur langweilen.“

Der Händler zuckte mit den Schultern. „Mir kann es ja egal sein… aber was, wenn Ihr einmal zurück wollt in die Stadt? Ihr habt doch dann nichts, abgesehen von Euren Waffen und Eurem Können, und zum Überleben wird das nicht reichen.“

„Vielleicht doch“, erwiderte Selina mit einem traurigen Lächeln.

Zurückkehren… das würde sie niemals können...

„Die Armee würde mich vermutlich mit offenen Armen empfangen, und diese Felle“ – dabei wies sie auf den Packen Felle, die sie mit Zachery und Kaiyeri gesammelt hatte – „dürften fast soviel wert sein wie die ganzen Waren, die ihr hier dabei habt. Ihr wisst doch, wie verrückt die Reichen nach solchen Pelzen sind.“

„Ja, das weiß ich“, meinte Mescalero, und ein vielsagendes Grinsen legte sich auf sein Gesicht. „Aber wenn ihr wüsstet, welche Kostbarkeiten ich hier habe, dann – “

Er führte den Satz nicht zu Ende.
 

Die Nacht war schnell gekommen. Es war wirklich noch nicht lange her, dass die Karawane bereitgemacht worden war, um die Nacht an eben dieser Stelle zu verbringen, und dass im letzten Tageslicht noch kein Stern am Himmel zu sehen gewesen war. Mittlerweile, nur kurze Zeit später, war der Himmel schwarz und erleuchtet von vielen Sternen, und der runde, leuchtende, volle Mond war bereits aufgegangen und tauchte alles in sein silbernes Licht.

Ein lauter Ruf übertönte sämtliche Gespräche, die sich in der aufziehenden Nacht im Lager ergeben hatten, zerriss die Stille über den leisen Gesprächen und führte dazu, dass wirklich jeder der Anwesenden unverzüglich zu den Waffen griff, aufsprang und dorthin eilte, wo der Ruf herkam –

„Haltet den Dieb!“
 

Selina und ihre Gefährten folgten der allgemeinen Aufregung nicht. Sie hatten zwar ebenso schnell zu den Waffen gegriffen, verschwendeten aber keine Sekunde daran, dem Ruf zu folgen. Jeder von ihnen sprang mit einem Satz auf den nächststehenden Wagen und sah sich um. Der Ruf war von nicht weit weg gekommen, und im Mondlicht konnte Selina sehen, wer gerufen hatte – ein junger Begleiter der Karawane, die Hand an der Waffe, der jetzt ziellos in der Dunkelheit herumspähte und offensichtlich keine Spur mehr vom Dieb hatte.

Selina schüttelte verächtlich den Kopf. Der Fremde musste jetzt einfach wissen, dass er entdeckt worden war, und in der Zeit, die sie alle damit verbrachten, sich zu beraten, konnte er, selbst wenn diese Zeit nur einige Minuten betrug, schnell ins Dunkel der Nacht verschwinden.

Weit konnte er – noch! – nicht sein.

Und tatsächlich entdeckte sie, als sie ihren Blick über das Lager schweifen ließ, einen dunklen Schatten, der sich von der Stelle wegbewegte, wo der Diebstahl passiert sein musste.

„Ihr bleibt hier bei der Karawane“, sagte sie leise zu ihren Gefährten. Die beiden würden sich nur verlaufen und sie behindern – und wenn jemand den Dieb fangen konnte, dann war sie das. Sie kannte sich in der Gegend aus und würde ihre Freunde nötigenfalls mit verbundenen Augen wieder finden, wenn sie den Dieb gestellt hatte.

Sie sprang auf der anderen Seite vom Wagen hinunter und huschte, so schnell sie konnte, aber gleichzeitig völlig geräuschlos, in die Richtung, in die der dunkle Schatten gelaufen war.

Der Dieb in der Nacht

Als Zachery und Kaiyeri an den Ort kamen, von dem aus der Ruf gekommen war, konnten sie nur den Kopf schütteln. Sie standen mitten im Zentrum des Lagers, und um sie herum standen die größten und am schwersten beladenen Wagen der Karawane. Und es sah aus, als wären auf dem kleinen Fleckchen Freiraum, das hier vorhanden war – ein kleiner kreisförmiger Platz, etwa vier Schritt im Durchmesser – das ganze Lager versammelt. Es war unmöglich, näher heran zu kommen.

Mescalero knirschte wütend mit den Zähnen. „Jetzt müssen wir die ganze Ladung dieser Wagen hier durchsuchen, bevor wir wissen, was genau gestohlen worden ist. Diese Diebe…“

„…sind wesentlich geschickter als alle Eure Leute zusammen“, fuhr Kaiyeri mit ungewöhnlichem Ernst fort.

Mescaleros Blick war hart wie Stein, als er seinem Gegenüber in die Augen blickte. „Wollt Ihr mir etwa sagen, dass uns diese Diebe ausgetrickst haben?“, fragte er. „Nie im Leben. Meine Leute sind allesamt erfahren, wenn es darum geht, eine Karawane zu schützen.“

„Anscheinend hattet ihr es noch nie mit Dieben zu tun“, konterte Kaiyeri, der sich nicht im allermindesten von Mescaleros Blick beeindrucken ließ. „Ich glaube Euch gern, dass eure Leute erfahrene Kämpfer sind, aber das bin ich auch. Und auch wenn ich nur in ganz wenigen Fällen mit Dieben zu tun hatte – die Fehler, die Eure Leute hier begangen haben, müssten auch Euch sofort auffallen.“

Die Wut verschwand aus Mescaleros Blick und ließ nur Verwirrung zurück. „Bis jetzt haben sich noch keine Diebe bei Nacht heimlich herangeschlichen“, räumte er ein. „Aber was meint Ihr mit Fehlern, die wir begangen haben sollen?“

„Das sollte doch offensichtlich sein“, ertönte Zacherys Stimme hinter einem nahen Wagen, bevor er mit einem Gesichtsausdruck zwischen Enttäuschung und Zorn hinter dem Wagen hervorkam. „Ich habe mich ein wenig umgesehen. Eure Leute waren so eifrig, dem Dieb mitzuteilen, dass er entdeckt worden ist. Diesen Ruf hat man sicher noch in Echidnapolis gehört… und in ihrem ebenso lobenswerten Eifer, so vorhersehbar zu bleiben wie nur möglich, sind sie natürlich auf den Ruf alle hierher gerannt, haben dabei mit Sicherheit vorhandene Fußspuren, die der Dieb im Gras und im Boden hinterlassen haben muss, zertreten und dem Dieb eine einmalig einfache Gelegenheit gegeben, aus dem Lager zu entkommen“, meinte er mit einer Stimme, die seinen Gesichtsausdruck hervorragend unterstützte. „Der Dieb ist garantiert nicht mehr im Lager.“

„Dann müssen wir ihn suchen“, meinte Mescalero, aber auch hierauf schüttelten die Zwillinge fast simultan ihre Köpfe.

„Etwas falscheres könntet Ihr nicht machen“, meinte Kaiyeri. „Wenn der Dieb Komplizen hat und Eure Leute ausschwärmen und versuchen, ihn zu finden, lasst Ihr die Karawane ungeschützt zurück.“

„Abgesehen davon“, warf Zachery ein und blickte demonstrativ hinauf zum Mond, der rund und voll am Himmel über ihnen stand, „zweifle ich daran, dass sich Eure Leute oder Ihr selbst in dieser Gegend wirklich auskennen. Ihr würdet Euch hoffnungslos verlaufen. Bei diesem Licht könnt Ihr keine fünf Meter weit sehen, wenn Ihr nicht wirklich darin geübt seid, in der Nacht umherzustreifen – und noch dazu befindet Ihr euch in einer Gegend, die Ihr nicht kennt. Ihr würdet Euch hoffnungslos verlaufen und den Dieb niemals finden.“

„Ihr klingt so, als könntet Ihr es besser“, entgegnete Mescalero, aber es klang keineswegs vorwurfs-, sondern eher hoffnungsvoll. „Wollt Ihr nicht nach dem Dieb suchen?“

„Wir nicht“, meinte Kaiyeri mit einem seltsamen Lächeln. „Das überlassen wir lieber jemandem, der sich hier besser auskennt.“

Erst jetzt schien Mescalero aufzufallen, dass jemand fehlte – aber bevor er danach fragen konnte, fuhr ihm Zachery dazwischen. „Ja, sie ist hinter dem Dieb her“, antwortete er auf die Frage, die Mescalero auf der Zunge gelegen haben musste. „Blitzmesser kennt sich hier aus wie niemand sonst. Wenn sie es nicht schafft, ihn zu stellen, dann schafft es niemand. Ihr solltet Euch darum kümmern, das Chaos hier im Lager in den Griff zu bekommen, und ihr solltet feststellen, was gestohlen wurde. Und“, fügte er hinzu, „bevor Ihr es vergesst: Stellt Wachen auf. Für den Fall, dass der Dieb wirklich Komplizen hat.“
 

Selina war schon oft mitten in der Nacht unterwegs gewesen. Schon oft hatte sie Jagd gemacht auf nachtaktive Tiere. Sie waren scheu und tagsüber nicht anzutreffen, aber manche Katzenarten mit besonders wertvollen Pelzen oder auch mit besonders viel Fleisch auf den Rippen waren eben nachtaktiv. Außerdem liebte sie es einfach, in der Nacht unter dem Sternenhimmel im fahlen Mondlicht durch die Wildnis zu streifen. Es war einfach ein tolles Gefühl, in diesen unendlichen Himmel hinauf zu blicken, hinauf zu den Sternen, Muster zwischen ihnen zu ziehen und zu entdecken, oder einfach inmitten dieser Stille und der Dunkelheit überhaupt unterwegs zu sein und vom Tag vertraute Stellen bei Nacht zu entdecken, bei Nacht an den Felswänden herumzuklettern, die sie längst in- und auswendig kannte, bei Nacht zum See zu gehen, wo sie sich tagsüber nicht hinwagen konnte oder im Dunkeln über die unwegsamsten Stellen die Gegend zu erkunden, die bei Nacht vollkommen unbekannt sein konnte.

Nichts davon war auch nur entfernt mit dem vergleichbar, was sie in dieser Nacht aufbieten musste.

Schon nach wenigen Metern wurde ihr klar, dass der Dieb mindestens so geübt war wie sie selbst. Sie musste sich anstrengen, um an ihm dranzubleiben, ohne ein Geräusch zu verursachen – eine Kunst, die ihr Gegner meisterlich zu verstehen schien. Wenn sie nicht seinen fahlen Schatten vor Augen gehabt hätte, auch wenn dieser Schatten bloß eine schwache Silhouette war, hätte sie niemals vermutet, dass sich jemand in ihrer Nähe befunden hätte. Der Schatten vor ihr rannte über die felsigen Wiesen, sprang mit wenigen Sätzen ganze Felstreppen hinauf, huschte zwischen Bäumen und Büschen hindurch, und die ganze Zeit hörte sie ihn nicht einmal atmen.

Sie konnte nicht einmal darauf achten, wohin sie liefen, weil sie sonst ihr Ziel aus den Augen verloren hätte. Vielleicht nur für eine Sekunde würde sie den Blick von ihm nehmen müssen, aber sie wusste genau, dass sie ihn im Dunkeln niemals wieder finden würde.

Auch so musste sie schon scharf aufpassen. Es konnte jederzeit passieren, dass sie ein unnötiges Geräusch verursachte – oder dass der Schatten wusste, dass er verfolgt wurde, und ihr eine Falle stellte, um sie zu überwältigen.
 

Sie waren sehr schnell sehr weit abseits der Straße gekommen. Nach wenigen Schritten hinter der Lagergrenze hatte der Unbekannte mit wenigen Schritten einige günstig liegende Felsen genutzt, um eine Felswand hinaufzukommen, und war fast hinter der Kante der Felswand verschwunden, als Selina auf der Höhe ankam und ihn gerade so noch weiterhuschen sah. Oben an der Felswand stand ein dünner Wald, der wenige Schritte hinter der Kante begann, und dort war er hineingehuscht.

Selina blieb nichts anderes übrig, als das Tempo zu verschärfen, um ihr Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, und es kam, wie es kommen musste – sie trat auf einen trockenen Zweig.

Wie vom Blitz getroffen blieb der Schemen stehen. Es war kein lautes Geräusch gewesen – der Ast war nur klein gewesen, und der Schatten war einige Schritte voraus, aber er hatte es trotzdem gehört.

Selina hatte das gerade erst begriffen, als sie sah, wie eine Hand ihres Gegners zum Gürtel fuhr, und reflexartig sprang sie beiseite und rollte sich auf dem Waldboden ab. Es war ihr Glück, dass sie ihr Gewicht soweit verteilen konnte, dass nichts zu Bruch ging und sie so jedes Geräusch vermeiden konnte. Als sie wieder auf den Beinen war, blickte sie zwischen den Baumstämmen hinüber zu ihrem Ziel. Der Schemen starrte in die Dunkelheit hinein, dorthin, wo sie eben noch gewesen war, aber weil er nichts entdecken konnte, wandte er sich schließlich um und lief weiter.

Selina unterdrückte einen Fluch, als sie die Verfolgung aufnahm und ein scharfes Brennen an der Wange spürte. Dieser Fremde hatte wirklich mit einem Wurfpfeil oder etwas ähnlichem nach ihr geworfen – und hätte sie auch noch fast getroffen.

Und das in dieser Dunkelheit und im Wald, wo die Blätter der Bäume das Auge sehr leicht täuschen konnten und Feinde vorgaukelten, wo keine waren, und wirkliche Gegner verbargen.
 

„Was soll das heißen, es wurde nichts gestohlen?“

Der Echidna, der Mescalero die Nachricht überbracht hatte, zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Irgendetwas muss verschwunden sein. Ich habe selbst gesehen, dass der Dieb irgendetwas in der Hand hatte. Aber von unseren Waren, die wir in der letzten Stadt gekauft haben, fehlt nichts. Alles ist da, sämtliche Decken, Krüge, Felle, sogar die Waffen aus den Schmieden bei den Minen sind alle noch da.“

Mescalero hätte sich freuen können, sah aber eher sehr nachdenklich aus. „Das ergibt doch keinen Sinn“, meinte er langsam. „Kein Dieb schleicht sich in ein bewachtes Lager, ohne etwas zu stehlen.“

„Vielleicht hat er etwas gestohlen, das Ihr nicht vermissen würdet“, warf Kaiyeri ein. „Ich glaube Euch gern, dass ihr Listen darüber führt, was ihr transportiert, aber vielleicht gibt es Dinge, die ihr nicht auf diesen Listen stehen habt.“

Mit einer Handbewegung gab Mescalero dem Echidna von der Karawane ein Zeichen, der sich daraufhin umdrehte und sich wieder zu den anderen Echidna bei den Wagen gesellte. „Es gibt da tatsächlich etwas“, meinte der Karawanenführer leise. „Ich sollte es geheim halten… aber vor einigen Tagen hat ein Echidna mit einem großen Rubin eine Nacht bei uns verbracht und mir diesen Stein anvertraut. Er sagte, ich solle den Kristall zum König bringen. Es klang nicht allzu schwierig, also habe ich zugestimmt, und er hat uns am nächsten Morgen wieder verlassen.“

„Und diesen Kristall habt Ihr nicht auf Eure Listen gesetzt, weil es eben geheim war“, vollendete Zachery. „Ihr solltet lieber ganz schnell nachschauen gehen, ob der Stein noch da ist.“

„Das ist nicht nötig.“

Die Stimme war vom Wagen hinter Mescalero gekommen. Fast gleichzeitig fuhren alle Blicke auf dne Unbekannten und wanderten alle Hände an die Waffen.

Der Unbekannte war ein Igel, dessen Stachelfarbe im Mondlicht nicht ganz eindeutig zu erkennen war. Man konnte nur vermuten, dass sie grün sein mussten, soweit man sie unter dem weiten Stoffumhang, den er um sich gelegt hatte, überhaupt erkennen konnte. An der Farbe seiner Augen konnte dagegen kein Zweifel bestehen – ihre Farbe war ein tiefes Dunkelblau, das fast schwarz sein mochte.

Wenn diese Augen in der Dunkelheit nicht geleuchtet hätten.
 

Hinter dem Wald lag ein kleiner Hügel, der flach anstieg, aber eben auch eine flache Kuppe hatte. Dort oben, wusste Selina, würde der Dieb ihr nicht entkommen können.

Das schien aber auch gar nicht in seiner Absicht zu liegen. Der Dieb blieb nämlich oben auf der Hügelkuppe stehen und warf einen Blick nach vorne. Anscheinend überlegte er, wo er hinmusste oder wie er am besten dorthin kommen würde, hielt aber auf diese Weise direkt im vollen Mondlicht an.

So sah Selina ihn zum ersten Mal etwas genauer. Es schien ein Igel zu sein – die Statur passte, und die Stacheln, die ihm so igeltypisch nach hinten abstanden, passten auch perfekt ins Bild. Lediglich eine Stachelsträhne, die nach vorne fiel und eins seiner Augen verdeckte, fiel auf den ersten Blick auf, und ein Tuch verdeckte seine Gesichtszüge, wie es viele Diebe gern taten.

Das Diebesgut, merkte Selina, hielt er immer noch in der Hand. Von ihrer Position aus sah es aus wie ein großer Edelstein. Im silbrigen Mondlicht funkelte er schwach, und dem schwachen rötlichen Glanz zu urteilen, den das Mondlicht mit sich nahm, wenn es aus dem Kristall herausstrahlte, musste es ein Rubin sein.

Und was für einer…

Die Hand des Igels konnte ihn nicht komplett umfassen. Ein Ende des Rubins schaute immer noch unten aus der Handfläche heraus. Dieser Stein musste fast unbezahlbar sein, wenn er wirklich so groß war, wie es schien, und wenn er so regelmäßig geschliffen war, wie die Spitze den Eindruck erweckte.

Da hatte der Igel aber ein absolutes Prachtstück erwischt…

Und genau diese Überlegungen waren es, die Selina die zwei Sekunden kosteten, in denen sie ihn vielleicht hätte erwischen können, wenn sie den Hügelhang hinauf gehuscht wäre und sich ihn gegriffen hätte. Stattdessen hatte sie einfach nur zu dem Dieb und diesem Stein hinaufgeblickt, erfüllt von einer seltsamen Faszination, wenn sie den Stein nur ansah, und ärgerte sich über sich selbst, als sie wieder loslief, um den Dieb nicht zu verlieren.
 

Es war ein geisterhafter Anblick. Der unbekannte Igel schien vollkommen aus dem Nichts gekommen zu sein. Rund um den Wagen waren diesmal wirklich keine Fußspuren zu sehen, es war kein Laut von ihm zu hören gewesen, und jeder im Lager hätte schwören wollen, dass er vor wenigen Sekunden tatsächlich noch nicht da gewesen war.

Das Leuchten seiner Augen verstärkte den Eindruck seines Gesichtsausdrucks noch. Sein Gesicht war eine einzige Maske des Zorns und der Wut, die schon bei seiner ersten Bemerkung unterdrückt herauszuhören gewesen war.

„Wo ist der Kristall?“, fragte er scharf.

Der Klang seiner Stimme ließ alle für einen Moment zusammenfahren. Seine Stimme klang genau so zornig, wie er es sein musste. In ihr schwang aber noch eine grausame Kälte mit, die fast greifbar war, eine unerträglich überhebliche Verachtung für die Echidna, und wohl auch für alles, was ihm irgendwie im Weg stand.

„Welcher Kristall?“, fragte Mescalero zurück.

Er wollte wohl mit seiner schnellen Antwort den Anschein von Kaltblütigkeit erwecken, aber seine Stimme zitterte ein wenig. Es war kaum wahrzunehmen, aber es reichte für den Igel.

„Der Kristall, den dir ein Echidna vor einigen Tagen gegeben hat und den du für ihn aufbewahren und zum König bringen solltest“, knurrte er. „Derselbe Kristall, von dem du gerade noch gesprochen hast. Derselbe Kristall, der jetzt nicht mehr da ist.“

Mescalero wich überrascht und wohl auch ein wenig verängstigt einen Schritt zurück, was ein kaltes, überhebliches Grinsen bei dem Igel hervorrief. „Ich wusste es doch. Du weißt, welchen Stein ich meine… und du weißt auch, dass er nicht mehr da ist. Er ist gestohlen worden, und du weißt das… und damit nutzt du mir nichts mehr.“

Urplötzlich kam ein steifer Wind auf, der den Umhang des Igels zur Seite bauschte und den Echidna einen Blick erlaubte auf die rechte Hand des Igels – und den großen Kristall in seiner Hand, der genauso geformt war wie der Rubin, der gestohlen worden war.

Und der, anders als der Rubin, urplötzlich ein gleißend helles, tiefblaues Licht abgab.
 

Selina wusste genau, was sie hinter dem Hügel erwartete, weswegen sie sich auch so beeilte, um den Hang hinauf zu kommen. Hinter diesem Hügel lag ein Geröllfeld, das sich über eine beträchtliche Fläche erstreckte. Große und kleine Steine lagen herum, und zwischen ihnen lagen tiefe Schluchten und stark ansteigende Hügel, die ohne Vorwarnung in eine steile Felswand übergingen.

Es war bei Tag schon schwer, sich zuverlässig in diesem Gebiet zurechtzufinden. Bei Nacht war es unmöglich, wenn man sich nicht auskannte. Und es war selbst bei Tag fast unmöglich, jemanden zu finden, den man suchte, auch wenn man sich in dem Gebiet auskannte. Bei Nacht nutzten die besten Ortskenntnisse nichts mehr.

Sie heftete sich an die Fersen des Diebes, höchstens vier Schritt hinter ihm, und versuchte, möglichst genau in seinen Fußstapfen zu bleiben. Sie durfte nicht lauter sein, als er selbst es war, und einen sichereren Weg gab es nicht, um das zu erreichen.

Sie folgte ihrem Gegner zwischen zwei Steinen hindurch, einen steilen Hügel hinauf, folgte ihm, als er auf halber Höhe abzweigte und über die kleinen Steine und den Sand am Hand hinweg lief und als er eine kleine Felsenstufe hinunter sprang, wobei sie den Aufprall möglichst leise gestaltete, indem sie sich abrollte.

Nicht leise genug.

Sie war gerade wieder auf die Beine gekommen, als sie sah, dass der Schemen vor ihr sich nach ihr umdrehte. So schnell sie konnte, aber diesmal immerhin erfolgreich darin, Geräusche zu vermeiden, huschte sie beiseite, hinter einen großen Stein. Im Mondlicht verschwand sie nahezu vollkommen in der Dunkelheit.

Ihr Gegner sah sich langsam um. In der Dunkelheit konnte er selbst kaum etwas sehen, und auch wenn er versuchte, so gut es ging, festzustellen, wo sein Verfolger hin war – er schaffte es nicht. Er konnte anscheinend nichts erkennen.

Selina huschte langsam und gebückt um den Stein herum und schlich sich von seiner Seite an den Dieb heran, Die Hälfte der Strecke hatte sie zurückgelegt, als er sich plötzlich umdrehte und weiterlief.

Anscheinend wollte er sie abschütteln, nicht bekämpfen. Sonst hätte er weiter versucht, sie zu finden – aber jetzt vertraute er auf seine Schnelligkeit, um sie abzuschütteln.

Und jetzt, wo er wusste, dass er verfolgt wurde, wo er ihren Aufprall absolut unzweifelhaft bemerkt hatte, da lief er tatsächlich, so schnell er konnte.

Bevor Selina überhaupt reagieren konnte, war er bereits hinter dem nächsten Felsen verschwunden.

Die Echidna knurrte leise und lief selbst los. Mit zwei Sprüngen war sie über den Felsen hinweg, landete sicher und spurtete los. Sie sah gerade noch, wie der Schemen hinter dem nächsten Felsen verschwand, und als sie ebenfalls um den Felsen herumgelaufen war, sah sie, wie er hinter dem nächsten großen Stein in Richtung des kleinen Wäldchens lief, das in diesem Bereich auch das einzige war, was tagsüber irgendwie grün aussah. Schon am Rand dieses Geröllfeldes war es selten, dass man auch nur eine kleine Pflanze entdecken konnte. Das musste der Wald um die kleine Quelle sein, die einen kleinen Bach hervorbrachte, der allerdings weg vom Geröllfeld floss und stattdessen der Umgegend Wasser brachte.

Von dem Felsen aus war es wirklich nicht mehr weit. Es konnten maximal zehn Schritte sein bis zu den ersten Bäumen. Es entsprach etwa der doppelten Distanz, die der Dieb durch seine schnelle Flucht erreicht hatte, und als Selina selbst den Stein erreicht hatte, war er dem Wald schon sehr nahe.

Selina hätte ihn wohl nicht erreicht und ihn wahrscheinlich verloren.
 

Genau in diesem Moment bremste der Dieb ab und blieb stehen. Die Echidna konnte sein Gesicht nicht sehen, aber seine Körperhaltung, das erschrockene Zurückweichen für ein oder zwei Schritte und der reflexartige, nervöse Griff nach den Wurfwaffen im Gürtel – all das sagte ihr ganz deutlich, dass ihr Ziel von irgendetwas sehr verwundert war.

Aber als sie sah, was der Igel gesehen hatte, zögerte sie keine Sekunde, hinter dem Felsbrocken in Deckung zu gehen. Zitternd vor Wut, aber auch vor Angst spähte sie nur ganz eng am Felsen vorbei, hinüber zu dem Dieb und dem anderen Igel…

Dem Igel mit den grünen Stacheln und diesen kranken, leuchtend blauen Augen…

Dem Igel, der sie zum Tode hatte verurteilen lassen, und der versucht hatte, sie selbst umzubringen, als das nicht gereicht hatte…

Ihre Gedanken rasten. Was machte der Kerl ausgerechnet hier in der Wildnis?

Was wollte er hier?

Wie kam er von seiner Heimat aus so schnell hierher? Er war irgendein hochrangiger Botschafter gewesen, aber die waren doch vor Jahren, kurz nach ihrer Flucht, abgezogen.

Sie verfluchte sich im Stillen, dass sie Malinche damals nie genauer über die Igel ausgefragt hatte. Sie hatte das nie interessiert, auch wenn ihr in diesem Moment klar wurde, wie Recht ihre Schwester gehabt hatte – dass Wissen über die Igel nur von Nutzen sein konnte.

Selbst wenn sie die Sprache der Igel gesprochen hätte, hätte sie doch nichts verstanden. Über die Distanz von mehreren Schritten, die sie voneinander trennte, hörte sie trotz Windstille und nahezu vollkommener Ruhe nur einzelne Wortfetzen, mit denen sie nichts anfangen konnte.

Sie konnte nur beobachten…

Sie konnte nur beobachten, wie der grüne Igel den anderen etwas fragte, mit seiner bekannten Stimme, die so kalt klang, so überheblich, so voller Verachtung, wie sie es von ihm kannte.

Wie der andere daraufhin noch mehr zurückwich und seine Antwort zwar wütend, aber auch ein wenig ängstlich klang. Ängstlich, obwohl er zumindest mit Wurfpfeilen bewaffnet, sein Gegenüber hingegen vollkommen unbewaffnet war… auch wenn Selina nicht dne geringsten Zweifel daran hatte, wer hier der stärkere war.

Wie der grüne Igel noch gelassener und damit noch überheblicher wirkte, als er seinerseits etwas sagte.

Und dann sah sie, wie der grüne Igel kurz den Kopf drehte und sie mit seinen leuchtenden Augen direkt ansah. Direkt, mitten in ihre Augen, mit genau dem überlegenen Gesichtsausdruck, den sie erwartet hätte.

Sofort, als sie seinen Blick auf sich spürte, als ihr Herz schneller zu schlagen begann, als die Angst vor ihm noch stärker wurde, warf sie sich hinter den Stein, aus seinem Sichtfeld heraus, vermied dabei jedes Geräusch und wartete auf ein Geräusch, das ihr sagen konnte, was der Igel machte.

Dieses Geräusch sollte eher kommen, als ihr lieb sein konnte. Ein lauter, durchdringender Schmerzensschrei, der die nächtliche Stille urplötzlich und nachhaltig zerriss. Das Echo wurde von den dicht stehenden Bäumen und den kahlen Steinen gleichermaßen zurückgeworfen und erzeugte einen geisterhaften Nachhall, der Selina noch mehr als der eigentliche Schrei einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte.

Es half nichts… sie musste wissen, was der Igel tat. Sie musste wissen, was er mit dem Dieb anstellte, und was er tun würde, wenn er damit fertig war.

Langsam schob sie sich an die Kante des Steins und blickte, dicht am Gestein entlang, zu den beiden Igeln hinüber.

Der fremde Igel lag auf dem Boden, entweder bewusstlos… oder tot.

Und der grüne Igel stand neben ihm. Zur Abwechslung war sein Gesichtsausdruck nicht maßlos überheblich, sondern voller widerwilliger Anerkennung.

Ein letztes Mal wandte er den Kopf. Ein letztes Mal ruhten seine Augen direkt auf Selina, ein letztes Mal blickte er ihr direkt in die Augen, obwohl er doch unmöglich wissen konnte, dass sie da war. Ein letztes Mal, bevor er sich umdrehte und im Schatten unter dem Blätterdach verschwand. Und zwar wirklich verschwand. Er tauchte nicht langsam in das Dunkel des Walds ein – an einem bestimmten Punkt verschwand er einfach, und wo noch ein Lichtstrahl auf ihn hätte fallen müssen, fiel er auf den Boden. Es war, als hätte er sich einfach in Luft aufgelöst.

Als sei er einfach verschwunden. Als sei er niemals da gewesen. Nur der fremde Igel, der die Karawane angegriffen hatte, lag noch da und zeugte davon, dass eben noch jemand da gewesen war.

Kampf in der Dunkelheit

Es dauerte einige Sekunden, bis Selina sich dazu entschließen konnte, wieder aufzustehen und zu dem Igel hinüberzugehen, den der grüne Igel einfach zurück gelassen hatte. Sie zitterte, während sie zu ihm hinüber schlich, und wäre am liebsten sofort zu ihm hingelaufen, aber das konnte sie sich nicht erlauben. Es konnte sein, dass er Verbündete in der Nähe hatte, und denen wollte sie sich nicht so offen zu erkennen geben.

Auch wenn sie nicht so schlimm sein konnten wie dieser grüne Igel.

Er war es gewesen. Dieser andere Igel war ihr alter Bekannter gewesen. Und es musste einen Grund geben, warum er sich so sehr für diesen fremden Igel interessiert hatte… einen Grund, der ihn hier hinaus geführt hatte.

Nur konnte sie keinen solchen Grund finden, als sie den fremden Igel jetzt betrachtete.

Er sah aus wie jeder gewöhnliche Igel auch. Seine Stacheln waren, soweit sie das im Mondlicht erkennen konnte, silbrig-grau, auch wenn er etwa in ihrem Alter sein musste. Und auch sonst hatte er äußerlich viel mit ihr gemeinsam. Von seinem Wams, das vor Urzeiten einmal grün gewesen sein mochte, jetzt aber so grau war wie seine Stacheln, war nur noch ein etwas größerer Fetzen übrig, den er als Gesichtstuch benutzte, und der untere Teil, der ihm fast bis an die Knie reichte und an der Hüfte von einem abgewetzten Ledergürtel gehalten wurde. Seine Schuhe bestanden aus einigen alten Stofffetzen, die notdürftig zusammengeflickt und auf eine Schicht Leder genäht worden waren. Am Gürtel waren einige Halterungen für Wurfpfeile angebracht, die zum großen Teil auch noch gefüllt waren.

Das war alles, was sie an Bewaffnung an ihm erkennen konnte.

Sie konnte sich einen leisen, traurigen Seufzer nicht verkneifen. Er musste genau so ausgestoßen sein wie sie selbst…

Vorsichtig packte sie ihn bei den Schultern und drehte ihn auf den Rücken.

Auch auf der anderen Körperseite konnte sie an ihm nichts Ungewöhnliches feststellen, abgesehen von der Stachelsträhne, die nach vorne über sein rechtes Auge fiel. Es war selten, dass jemand so etwas trug. Es schränkte das Sichtfeld von dem Auge ungemein ein, und in der Wildnis konnte diese kleine Einschränkung den Tod bedeuten. Als sie die Stacheln jedoch beiseite schob, konnte sie nur ein weiteres geschlossenes Auge entdecken.

Selina zuckte mit den Schultern und ließ ihn langsam wieder auf den Boden zurücksinken. Jetzt konnte sie nur abwarten, bis er –

… aufwachte…
 

Der Igel hatte in dem Moment, in dem sie den Gedanken gehabt hatte, seine Augen geöffnet und sie mit einem leeren Blick angestarrt. Starr, ohne irgendeine Gefühlsregung, ja selbst ohne zu blinzeln, blickten die Augen des Igels genau in ihre Augen hinein.

Daran konnte es keinen Zweifel geben. Sie schienen genau so wie die Augen des grünen Igels bei einigen Gelegenheiten, bei denen sie ihn gesehen hatte. Das Auge, dass sie sehen konnte, leuchtete ebenfalls in dem Blauton, den sie schon kannte, aber vom anderen Auge konnte sie hinter dem Stachelvorhang nur einen schwachen Schein erkennen, der, anders als das andere Auge, rot zu sein schien.

Das war das letzte, was sie sah, bevor der Igel sie mit einem gezielten Faustschlag genau auf den Solarplexus überraschte.

Der Treffer presste ihr auf einen Schlag alle Luft aus der Lunge. Keuchend ließ sie den Igel fallen und taumelte einige Schritte zurück. Schwer atmend versuchte sie, wieder zu Atem zu kommen, konnte aber nur zusehen, wie der Igel seinen Aufprall mit einer Hand abfing und binnen nicht einmal einer Sekunde die Beine unter dem Körper hatte.

Mit der anderen Hand zog er währenddessen einen seiner Wurfpfeile aus dem Gürtel und schleuderte ihn zielsicher genau in die Richtung ihres Kopfes.

Trotz ihrer Atemlosigkeit konnte die Echidna sich mit einem gewagten Hechtsprung gerade noch in Sicherheit bringen, spürte aber am Luftzug, wie der Pfeil nur um Stachelbreite an ihrem Kopf vorbeipfiff – und schaffte es nicht, sich abzurollen. Sie war immer noch nicht wieder bei Atem und hatte ihren Körper noch nicht wieder ganz unter Kontrolle, und so rutschte sie bäuchlings über den steinigen Boden an der Waldgrenze, schürte sich an verschiedenen Stellen die Haut unter den Stacheln und auf den Handflächen wund und konnte einen Aufschrei gerade noch unterdrücken. Die kleinen Steinchen und der Sand brannten in den kleinen Wunden, und der aufgewirbelte Staub ließ sie husten, als sie ihn bei ihren verzweifelten Versuchen, mehr Luft zu bekommen, einatmete.

All das ignorierte sie, als sie sich notdürftig aufrappelte und die wenigen verbliebenen Schritte zu den ersten Bäumen stolperte. Erneut hörte sie einen Pfeil ganz nahe an sich vorbei pfeifen, der wahrscheinlich ihr rechtes Bein knapp verfehlt hatte, bevor sie wieder das Gleichgewicht verlor und hinter einem Baum unsanft auf dem Waldboden landete.
 

Hinter dem Baum gönnte Selina sich keine Pause, sondern kämpfte sich auf die Beine. Für einige Sekunden, während sie sich aufrappelte und anschließend dicht an den Baum presste, wagte sie es, tief durchzuatmen, und spürte, wie sie langsam wieder zu Atem kam. Den grauen Igel konnte sie sehen, wenn sie am Baum entlang aus dem Wald hinaus guckte. Er stand da wie angewurzelt, ohne sich zu bewegen, mit geschlossenen Augen, wie eine Statue…

Im nächsten Moment öffnete er seine Augen und fixierte Selinas Augen mit ihnen.

Die Echidna schaffte es gerade noch, zurückzuweichen, und spürte erneut einen Luftzug, als der Pfeil dicht an ihr vorbei pfiff… genau dort entlang, wo eben noch ihre Stirn gewesen war.

Sie verkniff sich ein Kopfschütteln und kämpfte die aufkommende Angst nieder. Das war doch nicht normal… dass jemand so unglaublich genau warf…

Und genau deswegen musste sie ihn im Auge behalten.

Langsam schob sie sich um den Baum herum und suchte nach ihrem Gegner, indem sie um die andere Seite des Baums aus dem Wald hinaus blickte.
 

Es war niemand mehr da.
 

Selina wandte den Blick auf ihre andere Seite und sah dadurch gerade noch rechtzeitig, wie ein grauer Schemen um den Baum herumhuschte. Einen Pfeil hatte ihr Gegner diesmal nicht werfen können. Dafür hätte er erst den Baum umgehen müssen, und wenn sie erst einmal im Wald verschwunden war, würde er sie mit seinen Pfeilen sowieso kaum noch treffen können. Das wusste sie, und er wusste es anscheinend auch. Statt eines Pfeils, den er wurfbereit hielt, hatte er sich nämlich jetzt jeweils drei Pfeile zwischen die Finger seiner Hände gesteckt, die er so als gefährliche Nahkampfwaffen nutzen konnte.

Sein erster Schlag verfehlte Selina nur, weil sie sich reflexartig duckte. Der Hieb traf die Baumrinde genau dort, wo ihre Augen gewesen waren, und die Pfeilspitzen schrammten über die Rinde – leider ohne sich hinein zu bohren.

Mit einem schnellen Stoß in seinen Bauch brachte die Echidna ein wenig Abstand zwischen sie beide und sprang selbst einige Schritte zurück und zur Seite, in Richtung des Waldes. Wenn sie dort hinein verschwinden konnte, hatte sie vielleicht eine bessere Chance, ihn zu überraschen.

Sie kam aber nicht allzu weit, geschweige denn dass sie sich erlauben konnte, ihre Messer zu ziehen. Der Igel ließ ihr keine Zeit dazu, sondern sprang direkt wieder auf sie los.

Der rechten Geraden nach ihrem Kopf konnte sie allerdings ausweichen, indem sie sich weit genug zur Seite beugte, um den Hieb an ihr vorbei gehen zu lassen. Mit einer Hand griff sie nach dem Handgelenk, drückte mit aller Kraft zu und zog die Hand quer zwischen ihn und sie. Seltsamerweise wehrte sich der Igel nicht besonders. Im Gegenteil, er hob hinter dem Arm die andere Faust, über den Arm, bereit zuzuschlagen.

Mit ihrer freien linken Hand verpasste Selina ihm einen Haken genau ins Gesicht, den der Igel nicht abwehren konnte, weil eine Hand nicht in Reichweite und die andere nicht frei war. Für einen kurzen Moment taumelte er, und in diesem kurzen Moment biss Selina ihn mit aller Kraft in den Handrücken der Hand, die sie im Griff hatte.
 

Zischend ließ ihr Gegner die Wurfpfeile der Hand fallen, als sich seine Hand unter dem Biss reflexartig öffnete. Das verhinderte aber nicht, dass er mit seiner linken Hand, ebenfalls bestückt mit drei Wurfpfeilen, zuschlug.

Den geraden Hieb genau in Richtung ihrer Augen konnte Selina gerade noch an ihrem Kopf vorbeilenken, indem sie den Arm des Igels mit ihrem eigenen Arm wegstieß, wie sie es früher lange und oft geübt hatte.

Genau diesen Moment, in dem sie sich darauf konzentrierte, seinen Angriff abzuwehren, nutzte ihr Gegner aber dafür, seine zweite Hand mit einem kräftigen Ruck aus ihrem Griff zu befreien. Sie war abgelenkt gewesen, und ihr Griff war daher nicht stark genug gewesen, um seine Hand festzuhalten.

Bevor sie sich noch darüber ärgern konnte, musste sie bereits einen Haken der rechten Hand abwehren, und in dem Moment zog er seinen bewaffneten Arm zurück und schlug erneut nach ihr, diesmal auf Bauchhöhe.

Gerade noch rechtzeitig bekam sie sein Handgelenk mit beiden Händen zu fassen, sodass sie den Schlag nur wenige Fingerbreit vor ihrem Körper abfing – und sich im nächsten Moment einen schmerzhaften Volltreffer durch einen rechten Haken genau an die Schläfe einfing. Die Echidna taumelte benommen einige Schritte zurück und spürte, wie der durchgezogene Schlag der anderen Faust sie knapp verfehlte, weil sie gerade schnell genug zurückgewankt war.

Sie wusste genau, dass der nächste Angriff von ihm sitzen würde.

Sie sah verschwommen, wie er bereits ausholte.
 

Es war ihr Glück, dass sie in ihrer zurücktaumelnden Bewegung über eine Baumwurzel stolperte, die hinter ihr auf einer kurzen Strecke aus dem Boden wuchs, gerade hoch genug, dass sie beim Zurückweichen an ihr hängen blieb. Sie stolperte noch einige Schritte zurück, bevor sie doch das Gleichgewicht verlor und unsanft auf ihrem Rücken landete.

Der Schlag des Igels war genau dorthin gegangen, wo vor Sekunden noch ihr Hals gewesen war. Jetzt stand er auf der anderen Seite der Baumwurzel und maß sie mit abschätzenden Blicken. Der Abstand war wegen ihrem Taumeln gerade groß genug, dass er sich nicht einfach auf sie stürzen konnte. Sie war zu weit unten, als dass er sie mit einem Hieb hätten treffen können, ohne sich zu bücken… und das würde ihn erneut Zeit kosten.

Es kostete ihn aber noch mehr Zeit, dass er nichts tat.

Die Echidna brauchte eine Sekunde, um wieder auf die Beine zu kommen. Eine Hand hatte sie dafür gebraucht, die andere Hand hatte ein Messer gezogen, und binnen eines Wimpernschlags hatte die andere Hand nachgezogen.

Bevor der Igel überhaupt begriffen hatte, was sie in den zwei Sekunden gemacht hatte, sprang sie hinter den Baum, der dicht neben ihr stand. Er hatte noch seine Wurfpfeile, und die konnten ihr noch gefährlich werden. Sie musste ihn überraschen, anders ging es nicht.

So leise und schnell wie möglich steckte sie ihre Messer wieder weg und sprang, stieß sich noch einmal vom Baumstamm ab, gewann so noch etwas an Höhe und konnte einen großen Ast dicht über ihr gerade so umgreifen. Es war für sie eine leichte Übung, sich auf den Ast in den Schutz der Blätter zu ziehen, wo sie nahezu unsichtbar war. Es hatte sie nur wenige Sekunden gekostet, und sie hatte das fast ohne Geräusch geschafft.

Aber nur fast…
 

Es dauerte kaum fünf Sekunden, bis der Igel unter dem Baum stand, dort, wo sie eben gewesen war, und sich nach ihr umsah. Er blickte nach links, nach rechts, um den Baum herum, zwischen die umgebenden Bäume, konnte aber keine Spur von seinem Ziel entdecken, selbst dann nicht, als er einige Schritte vom Baumstamm wegging.

Die Echidna handelte spontan. Er wusste nicht, wo sie war… und jetzt war sie bereits da, die Chance, ihn zu überraschen…

Der Baum war nicht allzu hoch. Selina hatte schon größere Höhen mit einem Sprung überwunden, und so ließ sie sich auch jetzt einfach fallen. Sie landete auf ihren Füßen, was ihren Gegner zwar dazu brachte, sich umzudrehen, aber sie war nahe an ihm dran.

Noch bevor der Igel wusste, wie ihm geschah, hatte sie ihn mit einem kräftigen Faustschlag an der Schläfe erwischt. Aber als er von ihr weg taumelte, gab es keine Wurzel, die ihn zu Fall gebracht hätte. Er blieb schwankend auf den Beinen, vollkommen orientierungslos für einen Moment.

Selina setzte nach, mit einem weiteren Faustschlag, der ihn erneut an der Schläfe traf. Benommen taumelte der Igel zur Seite, stolperte über seine eigenen Füße, fiel hin und machte keine Anstalten, wieder aufzustehen.
 

Die Echidna atmete tief durch, als sie zu ihm gegangen war und den Puls gefühlt hatte. Er lebte noch, aber fürs erste war er ruhig gestellt. Sie zog ihm seine Wurfpfeile zwischen den Fingern heraus und nahm ihm seine verbliebenen aus dem Gürtel, bevor sie auf einige Schritt Abstand ging und ihn nachdenklich betrachtete.

Warum hatte er sie so plötzlich angegriffen? Von einem Moment auf den anderen war er zu sich gekommen und hatte keine Sekunde verschwendet in seinen Versuchen, sie umzubringen… Warum?

Wegen des Kristalls, den er gestohlen hatte? Hatte er Angst gehabt, sie wollte ihn ihm wieder abnehmen?

Erst jetzt, bei diesem Gedanken, fiel ihr auf, dass er den Kristall nicht mehr bei sich hatte. Der Gürtel um seine Hüften hielt nur Wurfpfeile, keine größere Tasche, in der er einen Kristall hätte verstecken können. Die Hände hatte er frei gehabt, und die Reste seiner Kleidung sahen nicht so aus, als böten sie ihrerseits irgendwelche tragfähigen Taschen.

Selbst, als sie wieder näher zu ihm hinging und sich bückte, um sie sich genauer anzusehen, konnte sie nichts entdecken.

Dafür passierte etwas anderes…
 

„Steht auf.“

Die fremde Stimme schien in der Dunkelheit und der Stille im Wald seltsam nachzuhallen. Auch wenn der Sprecher nicht übermäßig laut gesprochen hatte, kam Selina seine Stimme doch so vor. Wahrscheinlich nur weil es sonst um sie herum so still war, dachte sie, als sie den Kopf hob und in die Richtung blickte, aus der die Stimme gekommen war.

Der Sprecher stand ungefähr auf Höhe der Baumgrenze. Vor der Dunkelheit dahinter, die wenigstens vom Mondlicht erhellt wurde, war von ihm nicht viel mehr zu erkennen als ein schattenhafter Umriss…

Der Umriss eines Echidnas.

Fast so dünn wie sie selbst, aber vermutlich genau so kräftig wie sie selbst… Ganz eindeutig lebte er wie sie selbst in der Wildnis. Über seine rechte Schulter ragte der Griff eines Schwertes, und am Gürtel seiner Hose konnte sie ein kurzes Messer erkennen.

Selina erhob sich und blickte den Echidna offen an. „Was wollt Ihr von mir?“, fragte sie. Er stand ganz bestimmt nicht zufällig dort. Dafür wirkte er viel zu zielstrebig.

Der Echidna erwiderte den Blick nicht, sondern musterte sie zunächst, so gut es ihm im Schatten des Waldes möglich war, bevor er seinerseits sprach. „Eine Antwort“, erwiderte er unverändert knapp. „Wer hat den Igel“ – dabei machte er eine kurze Kopfbewegung zum Bewusstlosen hin – „niedergeschlagen?“

Sicherheitshalber legte Selina eine Hand an den Griff eines Messers. „Ich“, sagte sie.

Der Echidna machte allerdings keine Anstalten, zu seinen Waffen zu greifen, als er antwortete. „Warum?“

Selina nahm wieder die Hand von ihrer Waffe. So eine Frage… worauf wollte er hinaus? „Weil er mich angegriffen hat.“

„Warum?“

Auf seine erneute Frage konnte Selina nur mit den Schultern zucken. „Keine Ahnung. Er war bewusstlos, kam zu sich und hat mich angegriffen, ohne Zeit zu verlieren.“

In den knappen, zielstrebigen Ton ihres Gegenübers mischte sich zum ersten Mal so etwas wie Verwunderung. „Wieso war er bewusstlos?“

„Das war jemand anders“, meinte Selina. „Ein grüner Igel mit blauen Augen.“

Einige Sekunden herrschte Stille, und Selina wollte schon selbst etwas fragen, als der Echidna auf einmal mit einigen schnellen Schritten auf sie zukam und sich nach dem bewusstlosen Igel bückte. „Kennt Ihr einen Ort, wo wir in Ruhe und ungestört reden können?“, fragte er, bevor er sich den Igel auf die Schultern lud.

Selina nickte langsam. „Meine Höhle“, antwortete sie, „nicht weit von hier. Aber warum – “

Der Echidna schüttelte den Kopf. „Nicht jetzt und nicht hier. Bringt mich zu Eurer Höhle. Dort können wir reden. Jetzt müssen wir erst einmal hier weg.“

„Dann sagt mir wenigstens Euren Namen“, gab Selina zurück, während sie an ihm vorbei zur Baumgrenze ging. „Ich will wissen, wen ich da zu mir führe.“

Der Echidna folgte ihr zur Waldgrenze und blieb neben ihr stehen. „Dann beeilt euch“, knurrte er. „Nennt mich Yucatan.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (25)
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Von:  Fenrion
2008-03-23T22:25:24+00:00 23.03.2008 23:25
QwQ...Wääh das muss weiter geschrieben werden...............
die geschichte is so toll
Von:  TKTsunami
2007-01-01T01:12:21+00:00 01.01.2007 02:12
Wieso hörst du jetzt auf? WEITERSCHRIBEN!!!!!!!!!!!!!!!!
Von:  Fenrion
2006-12-21T17:58:46+00:00 21.12.2006 18:58
UUuuuhhhhh XDD Ich weiß nicht wie aber du schaffst es immer wieder mich mit deinem Schreibstil zu verblüffen XD
Wenn man sich alles durchliest is man mitten in der geschichte 8D
Ich finds super ^^
Uii Ich will weiter lesen XD das is immer so spannend XDD.....
Ma wieder ein supi Kapitel *thumbs up*
Von:  Yuufa
2006-11-04T01:50:00+00:00 04.11.2006 02:50
Wow.... ich muss sagen, dieser grüne Igel macht mir Angst oÔ" Also ich find die FF wirklich gut... wie du alles beschreibst.... ich hab daran nichts auszusetzen ^^ Nur will ich weiterlesen *___* *gespannt desu*
Von:  Fenrion
2006-10-30T22:17:21+00:00 30.10.2006 23:17
Juuhuuuuu Ein neues Kapitel...und ich bleibe deiner FF immernoch treu x3....
Uuuuhhhh x3333 *hibbel* Das is so aufregend und cool 8DD
Ich bewundere deinen Schreibstil immerwieder ^___^=
Schnell weiter machen...Ich bin echt gespannt wie es weitergeht *,*...

Deine Psy ^,~
Von:  Geist
2006-08-06T15:41:18+00:00 06.08.2006 17:41
Stimmt.......ein paar Absätze würden nicht schaden.....es würde den Text leserlicher machen, außerdem schalten die Freischalter die Kapitel schneller frei wenn genügend Absätze drinnen sind damit sie die Kapitel nur kurz überfliegen müssen.
*gg*

Wenn du Probleme mit Rechtschreibfehlern hast (die habe ich auch) solltest du dir vielleicht einen Beta-Leser zulegen.
(*heimlich die hand heb* Ich steh frei *gg* ;3)

Also zum Kapitel selbst:
Klasse, endlich hat Selina ihre genialen Waffen *~))
Wurde auch Zeit, ihre Waffen sind doch ihre zwei wichtigsten Begleiter im restlichen Verlauf der Gesichte (und wie es sich in unserem RPG zeigt hab ich recht, sie braucht die Waffen *gg* und sie weiß auch gut damit um zu gehen)

Die Verschwörungstheorien von Huascar waren gut zu ‚Papier’ gebracht, und auch für den Leser nachvollziehbar (gerade bei solchen Dingen machen die meisten Läute viele Logikfehler die der Leser nicht nachvollziehen kann, aber das Problem haben wir hier nicht ^______))!!!!)


Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Selina und ihrem alten Herren fand ich auch recht spannend, sie ist richtig frech und lässt sich nichts gefallen, so ist es gut, das nenn ich eine richtige Kämpferin! *gg*
Und ihr Vater…ein richtiges %“&§$&)§“/ seine Vorstellungen von der richtige Tochter für ihn, püh….
Nyo, aber es gibt immer ein Schwarzes Schaf in der Familie *gg*
Btw. Deine Anspielung auf die Zeiten wo es noch üblich war das der Mann arbeitete, in den Krieg zog usw. und die Frau daheim blieb, fand ich recht passend ^_______))

Hehe, und die Reaktion ihres Vaters als sie ihm die Nachricht vermittelt hat das sie gehen würde, genial, einfach nur genial……


~Wüstenseele Sharie~
Von: abgemeldet
2006-06-11T01:09:15+00:00 11.06.2006 03:09
also, was ich ja sehr bewundere sind deine vielen detailierten beschreibungen! manchmal find ich sie allerdings auch ein bisschen zuviel, da wären andeutungen "literarischer". was mich ein bisschen gestört hat (na, das ist schon zuviel gesagt), war, dass du oft worte wiederholst, bzw eher namen. zb der igel machte das... in den nächsten sätzen wird der igel wieder erwähnt. da wäre ein simples ER oder eine umschreibung etc. toll. wir besonders gefallen hat, ist die viele action!
Von:  Kunoichi
2006-05-20T13:12:08+00:00 20.05.2006 15:12
Wieder mal spannend geschrieben, aber trotzdem viiiiel zu lang. @_@ Huascala tat mir leid... und was wird nur aus Selina? Ob sie die wahren Mörder findet? Fragen über Fragen... In schreiben hast auf jedenfall Talent! Mach weiter so! ;D
Von:  Kunoichi
2006-05-20T12:41:19+00:00 20.05.2006 14:41
Wow! Der Kampf ist sehr gut beschrieben! Bisher ist das das spannenste Kapitel! Ich frage mich, wie Selina sich aus dieser misslichen Lage befreien will, wenn sie den Wächter nicht töten kann. Man wird ihr sicherlich nicht glauben.*seufz* Ich bin gespannt was passiert! Aber schon grauenvoll... wie wird wohl ihre kleine Schwester reagieren, wenn sie das Blutbad und ihre Eltern sieht?
Ach, und ich kann es nochmal wiederholen: Mehr Absätze! xD
Von:  Kunoichi
2006-05-20T12:28:21+00:00 20.05.2006 14:28
Sehr schön und auch spannend geschrieben, muss ich sagen! ^^ Selina ist ja ganz schön frech zu ihrem Vater. *g* Aber er ist ja auch gemein zu ihr. Soll sie doch kämpfen, so viel sie will. Das mit den Männern kommt schon noch! O_o Nya... ansonsten fehlen wiedermal die Absätze. Mehr hab ich nicht zu meckern. ^.^


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