Liebe ist eine Schwäche von abgemeldet (Shulla) ================================================================================ Kapitel 7: Und wenn ich egoistisch bin, dieses eine Mal? -------------------------------------------------------- Morgen haben immer etwas Angenehmes an sich. Etwas angenehm Warmes. Wenn man zuerst nur blinzelt, noch gar nicht wirklich wach ist, dann befindet man sich genau in der Phase, wo es am schönsten ist. Man nimmt noch nicht wirklich alles wahr, und doch spürt man schon, dass man nicht mehr in einem Traum fest hängt. In dem Augenblick, wo ich die Augen aufschlage und feststelle, dass die Sonne bereits durchs Fenster scheint, fühle ich mich immer so wohl, wie sonst zu keiner Zeit. Am liebsten würde ich dann noch etwas so bleiben, aber wahrscheinlich, wenn solche Momenten lange dauern würden, würde ich sie nicht mehr zu schätzen wissen. Als ich an diesem Morgen die Augen aufschlug und mich schlaftrunken zur Seite rollte, traf mich fast der Schlag. Mit einem spitzen Schrei drehte ich mich zurück und knallte auf den Boden. "Autsch" Halbtot - zumindest fühlte es sich so an - lag ich auf der Tatami und bewegte mich ein paar Sekunden nicht, um zu warten, dass der stechende Schmerz in meinem Kopf aufhören würde. "Yuuichi..? Lebst du noch..?", kam eine Stimme von oben. Der Grund meiner Bruchlandung vom Bett. "Ja.. alles klar hier unten..", ächzte ich hoch und dachte mir dabei genau das Gegenteil. Als das Pochen sich etwas beruhigt hatte, rappelte ich mich hoch und lugte über die Bettkante. Kaito.. Kaito..? Kaito.. Für meine Versuche, mein schlechtes Gewissen über die Geschehnisse des Vortags, zu besänftigen, wurde ich mit erneutem Schädelweh belohnt. Dieser Morgen hatte wohl auch gar kein Flair. "Hey.." Ich zwang mich zu einem Lächeln. Sein Retourlächeln war viel strahlender als meines und wahrscheinlich auch mehr vom Herzen kommend. Irgendwie versetzte mir das einen Stich. "Hast du Hunger?" Gekonnt überspielte ich mein seltsames Gefühl, ihn als erste Person am Morgen zu sehen. Er schüttelte den Kopf, blieb kurz still, nickte dann. Ich zog meine Augenbraue hoch. "Okay.. du hast also Hunger.." So drehte ich mich um und schlich in die Küche, um was zu essen zu suchen. Nach einem mehr als kargen Frühstück - ich war nicht gerade der Hausmann-Typ, der immer einen vollen Kühlschrank hatte - stand Kaito auf und schaute mich etwas unschlüssig an. Ich saß noch immer am Tisch und hatte gerade meine Kaffeetasse in der Hand. "Dann.." Er machte eine Pause. Wohl um seine Worte noch einmal zu überdenken. "..geh ich jetzt mal.." Sein Blick wurde noch etwas unschlüssiger, so als passte, das was er sprach so gar nicht zu dem, was er dachte. Mein Blick heftete sich an ihn. Jetzt war wahrscheinlich der Moment, wo ich sagen musste: "Nein, bleib doch" Also sagte ich genau das. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Strahlen aus, als hätte Gott verkündet, alle Menschen dürften ins Paradies, ganz egal, wie viel Sünden sie begangen hätten. Es machte mir Angst. Wie konnten meine simplen drei Worte, die ich mehr aus innerer Eingebung, als aus voller Überzeugung von mir gab, solch eine Wirkung auf Kaito haben? Wirklich beängstigend, wie sich die Machtverhältnisse verschoben, wenn man Liebe zu ließ. Wie schwach man eigentlich wurde. Und andere nannten das Stärke. Ich fragte mich, auf welchem Planeten diese Idioten wohl lebten. Er setzte sich wieder, schaute mir beim Trinken zu. Irgendwie musste ich ab seinem Gesicht grinsen. Er hatte wirklich etwas Süßes an sich, zugegebenermaßen. "Was schlägst du vor? Was sollen wir heute dann tun?" Ich lächelte für ihn. "Wir.." Kaitos Blick wanderte aus dem Fenster. Es regnete noch immer. Die Tropfen trafen schwer die Glasscheibe und hinterließen ein dumpfes Geräusch. Sie versetzten einen in eine unwirkliche Stimmung. Unwillkürlich musste ich an eine kleine Spieluhr denken, die ich einmal besessen hatte. Sie war eine ungeschmückte, winzige Dose gewesen, die mir meine Mutter eines Tages geschenkt hatte. Ich hatte noch genau die Melodie im Kopf, die jetzt in meinem Bewusstsein erklang. Für einen Moment schloss ich die Augen. Warum sie mir gerade jetzt einfiel? "..könnten uns einen Film ansehen..?" Ich nickte fast sofort. Das war eine ziemlich weise Entscheidung, ich hatte nicht die geringste Lust, das Haus zu verlassen. Ein prüfender Blick auf die Uhr seinerseits. Ich linste ihm nach. Es war schon Zwölf Uhr. Wow, hatten wir so lange geschlafen? Ich blinzelte. War ja schon Zeit, Mittag zu essen. Aber eigentlich hatte ich keinen Hunger. "Sollen wir einen ausleihen gehen? Eine Videothek ist mal praktischerweise ums Eck" Er lachte kurz und bejahte dann. So stand ich also auf und ging mich anziehen, in Boxershorts und Gummistiefel würde ich wahrscheinlich ein ziemlich skurriles Bild abgeben. Der Gedanke daran amüsierte mich. Boxershorts und Gummistiefel. Was für eine Kombination. "Kaaaaiii-kun!!" Meine Stimme hallte durch den viel zu grell erleuchteten Videoverleihladen. Mit zwei DVDs in der Hand schlurfte ich (übrigens doch mit Gummistiefeln - ich hatte nicht anders gekonnt) in die Richtung, in der ich Kaito vermutete. Da die Auswahl riesig war, hatten wir uns geteilt. "Haii?", kam es dumpf aus einem komplett anderen Eck. (Mein Hörvermögen war wohl nur beim Drums spielen gut). Ich kehrtwendete und stiefelte in seine Richtung. "Wie findest du die?" Fragend streckte ich ihm einen Horrorfilm und eine Komödie unter die Nase. Mit prüfendem Blick las er die Beschreibung, schüttelte dann den Kopf. "Ich will einen Liebesfilm" Dabei grinste er; ich wusste, worauf er anzuspielen versuchte; ich hasste Liebesfilme. Sie waren viel zu unreal und gaben eine Welt wieder, die nur aus alles eitel Sonnenschein bestand. Natürlich waren Filme nie realistisch, aber Liebesfilme erschienen mir ganz besonders weltfremd. Ich klappte meinen Mund auf, machte ihn dann wieder zu. Irgendwie war ich heute scheinbar nachgiebig. Sehr nachgiebig. Mit "Titanic" verließen wir den Store. Ich, eher angepisst, er grinsend. Kaito steckte die DVD in den Player und nahm die Fernbedienung vom Fernseher. Ich hatte mich bereits in eine Decke gekuschelt und meine Beine fest an den Körper geschlungen, während ich ihn beobachtete. Er setzte sich sodann neben mich und schaltete ein. Den Blick nicht abwendend starrte er auf den Kasten, über den jetzt erst Vorschau flimmerte. Irgendetwas daran gab mir zu denken. Dann erkannte ich, was es war. Ich lüftete meine Decke und kroch an ihn heran, legte ihm die Überlage über die Beine. Er drehte sich zu mir, lächelte etwas schüchtern. Ich lächelte einfach zurück. Genau in diesem Moment hätte ich ihn gerne umarmt, weil der Zeitpunkt mir aus unerklärlichen Gründen für richtig erschien, aber ich behielt meine Hände stumm bei mir. Den Augenblick nicht nutzend, begann ich mich auf den Film zu konzentrieren und wenigstens zu versuchen, dieser sicherlich auch sehr weltfremden Geschichte zu folgen. Es war gar nicht so übel. Zumindest die Aufmachung und die Art, wie er anfing, waren echt nicht schlecht. Meine Spannung wuchs somit ein bisschen. Was ja auch nicht schwer war, wenn man von Null ausging. Es war in der Mitte des Films, als er seinen Arm um mich legte. Zuerst war ich ab der plötzlichen Bewegung erschrocken, aber dann, nachdem ich die Situation einen Moment überdacht hatte, schmiegte ich mich an seine Seite und legte meine rechte Hand an seine Brust. Ich konnte seinen Herzschlag spüren, wie er, etwas aus dem Takt geraten, schlug. Ob er wohl so lange gebraucht hatte, um sich diesen Schritt zu trauen? Oder hatte er davor einfach nicht gewollt? Wie dem auch sei; ich richtete meinen Blick wieder auf den Fernseher. Fühlte mich jedoch ab seiner Bewegung irgendwie sonderbar wohl. Vielleicht weil es für mich nicht an der Tagesordnung stand, so etwas zu erleben. Jack rannte gerade mit Rose davon, sie kamen durch den Maschinenraum und erreichten den "Autoraum". Zumindest fiel mir kein besseres Wort dafür ein. Sie verschwanden in einem der Autos und was folgte, war eine Sexszene. Warum mich das peinlich berührte, war mir nicht klar. Ich wusste nur, dass ich wegsah und meine Topfpflanze im Eck interessiert musterte. Kaito schien das bemerkt zu haben, denn er fragte mich, was los sei. "Nichts, nichts. Ich habe mich nur gerade gefragt, ob ich meinen Gummibaum heute schon gegossen habe" Ein Grinsen kam von ihm. "Achja.. und das fällt dir gerade jetzt ein? Wo die beste Szene des Films kommt?" Ich wurde rot, was ihm auch nicht verborgen blieb. Aufgrund des Schamgefühls senkte ich einfach mal meinen Blick und versuchte, an nichts zu denken. "Du bist süß" Mit zwei Fingern hob er mein Kinn an und küsste mich. Aus heiterem Himmel. Während im Hintergrund Jack keuchte. Es war das erste Mal, dass wir uns küssten. Ich genoss es in vollen Zügen, ließ meine Zunge von seiner liebkosen und dachte daran, dass er mich liebte. Ein bisschen Glück überkam mich und ich legte zaghaft meine Arme um seinen Hals. Dabei fühlte ich sein Haar an meinen Händen. Es war wirklich weich. Kaitos ganzer Körper war von einer angenehmen Wärme, die mich anzog. Und so kuschelte ich mich noch etwas mehr in seine Arme und ließ mich einfach dahintreiben. Als wir uns voneinander trennten, mussten wohl einige Minuten vergangen sein, während des Kusses hatte ich jedes Zeitgefühl verloren. Ob das ein Zeichen war, dass er der Richtige war? Dass er es schaffte, dass ich meinen Kopf ausschaltete? Wir widmeten uns wieder dem Film, Kaitos Finger meinen Arm entlang streichelnd. Langsam aber sicher fand ich "Titanic" immer interessanter. Angespannt biss ich auf meiner Unterlippe herum, während ich hoffte, dass die beiden Hauptdarsteller nicht sterben würden. "Doch so spannend?" Kaito lachte leise neben mir. Ich gab es widerwillig mit einem Nicken zu. Schließlich wurde es dramatischer; als Jack starb, spürte ich, wie sich Tränen in meinen Augenwinkeln sammelten. Ich kämpfte verbissen dagegen an, schluckte sie hinunter, weil ich mich schämte, offen zuzugeben, dass ich derart mitlitt als Mann. Trotzdem zog mich Kaito an sich und murmelte mir leise ins Ohr: "Es ist nur ein Film.." Das musste er mir doch nicht sagen! Wer belehrte denn die anderen immer? Seine Umarmung machte es nur noch schlimmer; ich begann zu weinen. Mittlerweile wohl weniger wegen dem, was wir anschauten, sondern einfach, weil ich mich elendig fühlte. So, als würde der ganze Kummer der Welt in mir stecken. Ich hatte mich in der Zwischenzeit bereits vom Fernseher abgewandt und klammerte mich nun an ihn, während meine Tränen nicht aufhörten, über meine Wange zu fließen. Zitternd dachte ich an all die Ungerechtigkeiten, die mir widerfahren waren, an all den Schmerz, der sich über die Zeit in mir aufgestaut hatte. Der Film hatte ein imaginäres Ventil an mir geöffnet, aus dem jetzt alles herausströmte, unaufhaltsam. Er sprach all die Zeit, während ich weinte, kein Wort. Streichelte mir nur über den Rücken und versuchte, mir Wärme zu geben. Er wollte gar nicht, dass ich aufhörte; vielleicht wusste Kaito, dass es so besser war. Nachdem ich einige Minuten so zugebracht hatte, in dem miserablen Zustand, wurde es allmählich besser. Merklich versiegten meine Tränen und schlussendlich blieb nur mein bebender Körper zurück. Ich öffnete meine Augen nicht, ich hatte mich noch nie wohler in irgendwelchen Armen gefühlt. Also verharrte ich noch für eine Weile, während ich seinen Atem an meinem Ohr wieder wahrnahm. Trotz alledem schlich sich langsam aber doch eine gewisse Reue in mein Bewusstsein. Wie hatte ich es zulassen können, dass ich ihm meine Gefühle offenbarte? Wie hatte ich gegen meine eigene Regel, niemals wieder vor anderen zu weinen, verstoßen können? Wie war das passiert? Wie konnte ich ihn bloß mit so etwas belasten.. Abgesehen davon, dass ich meine eigenen Vorsätze verletzt hatte, hielt er mich jetzt sicher für einen Psycho. Das war ja auch ziemlich naheliegend. Nachdem ich mich wie eine Heulsuse aufgeführt hatte.. Mit nun plötzlich heftigem Unwohlsein löste ich meine Arme von ihm und zog sie an mich selbst zurück, schlang sie um meinen eigenen Körper. Ich blickte Kaito nicht an, als ich sehr leise "Es tut mir leid" flüsterte. "Es ist okay.." Eine sanfte Berührung an meiner Wange. "Es macht mir nichts aus.. Du kannst von mir aus immer weinen, wenn du es nötig hast" Ich schluckte. Das klang nett. Wenn ich ehrlich war, klang es mehr nach einem Traum und nicht nach Realität, dass er das sagte. Alle anderen Worte wären logischer gewesen. Immerhin war...ja was immerhin? Warum versuchte ich eigentlich krampfhaft, seinen Worten die Bedeutung zu nehmen? Er hatte mir bis jetzt nur Gutes getan, seit er da war und trotzdem stand ich bei jedem meiner Schritte vor neuen Zweifeln. "Ich mach's nicht wieder", murmelte ich zur Antwort. Und nahm mir dabei fest vor, das auch zu tun. Bumm. Bumm. Bubumm. Bubumm. Mein Herzschlag. Wie lustig, dass es immer noch schlägt. Mein Herz. Was treibt eigentlich ein Herz an? Warum schlägt es immerzu? Irgendwann fängt es an und steht erst still, wenn wir sterben. Ob es aufhört zu schlagen, wenn man es sich sehr wünscht? Es heißt doch, Wünsche werden irgendwann wahr..? Ich lag auf dem Bett. Alleine. Kaito war eine Stunde nach meinem Ausbruch gegangen. Wir haben den Film nicht zu Ende gesehen. Mein Blick wanderte zum Fenster. Es regnete noch immer. Im Unterschied zu mir hörte Gott nicht auf, zu weinen. Seine Tränen begossen noch immer die Welt. Tokyo war ein Tränenmeer.. Um was er wohl trauerte? Um die vielen seiner Geschöpfe, die nicht glücklich werden konnten? Ich fühlte mich ein bisschen schuldig. Meine Gedanken ordnen. Meine Gefühle ordnen? Beides. Wo sollte ich bloß anfangen? Ich war der Überzeugung gewesen, dass ich Nagi liebte. In seiner Gegenwart schlug mein Herz wie wild, ich wusste nicht mehr, was sagen, war mir sicher, dass er jedes Wort falsch interpretieren würde. All seine Aussagen legte ich auf die Goldwaage und hoffte, dass er alles in die Richtung "Ich liebe dich auch" meinte. Dabei waren diese Gefühle jede einzelne Sekunde von meiner Resignation, meinem Realismus, der mir vor Augen hielt, dass ich von roten Weißwürsten träumte, begleitet. Meine innere Zerissenheit war schier unerträglich, wenn ich mit ihm zusammen war. Dieses Dilemma vollzog sich jedoch auch im Falle Kaito. Nur auf einer anderen Ebene. Hier stand ich jedes Mal zwischen meinem schlechten Gewissen, meiner nichtvorhandenen Liebe für ihn und meinem so dringlichen Bedürfnis danach, geliebt zu werden. Wie konnte ich Zuneigung einfach entwickeln? Wie brachte ich es dazu? Und was war, wenn sie es nicht tat? Ich wollte Kaito nicht etwas vormachen, wünschte mir, dass Nagi mit mir zusammen war und sehnte mich zu alledem noch nach Berührung und Nähe. Dass das nicht vereinbar war, war mich auch schmerzlich bewusst. Alles arbeitete in Richtung eines Entschlusses hin. Den Entschluss, mich für Nagi oder Kaito zu entscheiden. Ich wählte Kaito. ~~+~~ [Anmerkungen]: wow, ich habe so viele Kommentare bekommen Das ist echt unglaublich! Als ich sie heute alle gelesen habe, war ich richtig erschrocken, dass ich euch anscheinend so berühre. Ich hoffe, ich halte mich weiterhin gut! In diesem Kapitel mag ich Yuus Gedanken sehr gerne. Sie haben etwas leicht Sarkastisches ^^ Im Moment bange ich wirklich darum, dass ich Yuuichis Welt richtig weiter führen werde. Was auch immer "richtig" heißt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)