Hello!Project Online von JAKOzZ ================================================================================ Kapitel 14: Die Angst zu versagen --------------------------------- Der harte Aufprall der beiden Kontrahenten hinterließ eine starke Druckwelle, die durch die gesamte Trainingshalle schoss. Für einen kurzen Moment verharrten Reina und Kaede, sich intensiv anblickend, in der Luft. Dann holte die Ältere mit einem gezielten Handkantenschlag aus und traf ihre Partnerin direkt in die Seite. Diese spürte die grausamen Schmerzen aufflammen, während sie hart auf dem Boden aufschlug. Doch sofort fing Reina sich, bremste mit Händen und Füßen ihren Sturz ab und raste erneut auf Kaede zu. Die Kurzhaarige hatte mit solch einer brachialen Taktik gerechnet. Sie analysierte in Sekundenbruchteilen Reinas Angriffsmuster und blockte sowohl die darauffolgenden Schläge als auch den überraschenden Kick gegen ihre Wade. Instinktiv sprang die Jüngere fluchtartig nach hinten, als Kaede zu einer weiteren machtvollen Bewegung ansetzte. Keinen Moment zu spät schepperte eine Windhose in horizontaler Linie zwischen beiden Seiten entlang und hinterließ einen schwarzen, linienförmigen Abdruck auf dem Boden. Reina atmete erleichtert aus. Hätte sie diese Energiewelle getroffen, wäre der Kampf bereits vorbei. Kaedi machte eindeutig ernst. Das junge Mädchen konnte nicht umhin, als ihre Gegnerin zu bewundern. Es war also nur gerecht, wenn auch Reina alles in den Ring warf. Mit ernster Miene sammelte sie ihre innerlichen Kräfte. Nun zeigte sich, ob sie den Übungen von Frau Goto gerecht wurde. Ein entsetzliches Krachen schallte durch den Raum. Reina blieb schlagartig die Luft weg. Kaedes Faust hatte sich urplötzlich in den Magen der jungen Kenshuusei gerammt. Mit solch einem Tempo hatte sie keinesfalls gerechnet. Reina brach zuckend zusammen und krümmte sich ächzend auf dem Boden. Kaede blickte emotionslos zu ihr hinunter. „Dachtest du tatsächlich, du kannst mit deinen Geist-Tricks gegen mich ankommen? Jahr für Jahr sehe ich Generationen von Kenshuusei, die nach mir kamen, den Gruppierungen beitreten. Jahr für Jahr muss ich mich damit abfinden, dass ich nicht gut genug bin. Einfach, weil ich nicht die Balance halte zwischen Körper und diesem vermaledeiten Geist. Egal wie viel ich trainiere…“ Reina bemühte sich unter Schmerzen aufzustehen. Kaede sprach wie in Rage: „Und jetzt kommst du. Gerade mal für kurze Zeit hier und spielst dich auf, als wärst du etwas Besonderes.“ Die Ältere griff wütend nach dem Kragen von Reinas Shirt und hob sie in die Luft, während sie brüllte: „Dein Lachen wird dir irgendwann vergehen. Die Regeln hier lauten: Überleben oder Sterben! So ein Naivling wie du es bist, kann hier gar nicht bestehen… darf nicht bestehen…“ Die Dunkelhaarige starrte sie erneut aufmerksam an, während sie sich im Griff ihrer Peinigerin befand. Kein Wort kam über ihre Lippen. Das brachte Kaede nur noch mehr zur Weißglut. „Nun sag endlich etwas! Irgendetwas! Wehr dich! WEHR DICH!“ Sie schleuderte Reina auf den Boden. Diese rutschte schlitternd über diesen, machte diesmal aber keine Anstalten zu bremsen. Als sie schließlich von allein stoppte, richtete sie sich langsam auf. Ihre Augen waren im Dunkel ihrer Haare verschwunden. Auch kein Lächeln war zu erkennen. Stattdessen war die Lippe aufgeplatzt und Schürfwunden zierten ihr Gesicht und ihre Arme. Plötzlich ging sie in die gleiche Haltung wie schon zuvor, als Kaede sie niederstreckte. Sie breitete ihre Hände aus und sammelte ihren Geist. Kaede riss hasserfüllt die Augen auf. „Sagte ich nicht, dass du solche billigen Tricks nicht bei mir probieren brauchst?“ Erneut nahm sie Tempo auf und sauste mit der Faust voran in Richtung Reina. Diese öffnete entschlossen die Augen und konzentrierte den Fluss des Lichts in ihrem Inneren auf ihre Gelenke. Schlagartig wendete sich das Blatt. Durch eine gekonnte Zirkulation mit den Armen gelang es Reina, den brutalen Schlag von Kaede auszuhebeln. Im zeitgleichen Moment drehte sie sich rückwärts um die eigene Achse und wirbelte mit ihrem Fuß um sich herum, sodass dieser die Kontrahentin konsequent durch die Luft fegte. Sofort sprang Reina hinterher und ließ ihren Ellbogen gegen Kaedes Rippen knallen. Diese röchelte schockiert und schmetterte eine Sekunde später auf dem Boden auf. Doch es war noch nicht zu Ende. Schnellstmöglich folgte ihr die Jüngere, welche einen letzten Schlag in Richtung Erde ansetzte. Kaede reagierte blitzschnell. Durch den wuchtvollen Abstoß mit ihren Armen rollte sie sich weg. Kurz danach prallte Reina auf den Boden. Ohne zu zögern richteten sie beide ihre Blicke auf den anderen und gingen erneut in Stellung. Kaede bemerkte leicht amüsiert: „Nimmst du das alles also endlich ernst?“ Bei diesem Kommentar musste Reina unwillkürlich grinsen, auch wenn ihre Augen voller Entschlossenheit funkelten. „Ich nehme das Ganze ernst seit ich hier bin.“ Schwer atmend fragte Kaede verwirrt: „Und warum spielst du dann immer das naive Dummchen?“ Auch die Jüngere hatte mit den Auswirkungen des Geschehens zu kämpfen. Trotzdem gelang ihr eine ehrlich fröhliche Antwort: „Ich spiele niemandem etwas vor. Ich glaube einfach nur daran, dass jeder Mensch das Lächeln, das ich ihm schenke, verdient hat. Du kannst mich naiv oder dumm nennen wie du willst. Am Ende des Tages weiß ich, dass ich glücklich mit mir bin. Bist du das mit dir auch, Kaedi?“ Der Herzschlag der Älteren setzte für einen Moment aus. Ihre Miene zerfiel. Der kurze Augenblick, wo sie über die Frage nachdachte, reichte aus, um sie gänzlich zu verunsichern. Die Türen zur Trainingshalle öffneten sich. Die anderen Kenshuusei traten einer nach dem anderen ein und sahen das Spektakel mit offenen Mündern vor sich. Reina hatte keine Zeit verloren und sprintete nun auf die komplett zerstörte Kaede zu. Als das junge Mädchen mit den dunklen, schulterlangen Haaren zum entscheidenden Schlag ausholte, besann sich ihre Kameradin und setzte in eine arg defensive Haltung an. Kaedis Handflächen summten und begannen rot zu schimmern. Reinas Faust hingegen knisterte förmlich und ein bläulich grelles Licht umgab sie. Der Aufschlag war monumental. Starke Windböen sausten auf die Zuschauer zu, die Mühe hatten, sich irgendwo oder aneinander festzuhalten. Welle um Welle wurde vom Zentrum des Geschehens abgestoßen. Bis beide Kontrahenten schließlich in entgegengesetzte Richtungen geschleudert wurden und mit den Rücken gegen die steinernen Wände prallten. Als die beiden reglos am Boden liegen blieben, rannten die anderen Kenshuusei panisch zu den Kämpferinnen. Shiori schrie entsetzt: „Reina! Reina! Was ist hier los? Was macht ihr hier? Das ist doch viel zu gefährlich!“ Schnell drehten sie ihr Generationsmitglied, sodass diese mit dem Gesicht nach oben lag. Reinas Augen zuckten. Schwerfällig öffnete sie diese und blickte in vertraute Gesichter. Sofort zeigte sich das wohlbekannte Lächeln. „Hey, ihr! Ich habe gar nicht mitbekommen, dass ihr schon da seid.“ Ihre Kameradinnen prusteten vor Erleichterung. Rin brach beinahe in Tränen aus. „Wieso kämpft ihr gegeneinander? Wir sind doch ein Team? Ihr dürft euch nicht verletzen.“ Reina richtete sich langsam auf und legte lachend die Hand auf den Kopf der Jüngsten. „Wir haben nur zusammen trainiert. Das hat echt viel Spaß gemacht.“ Zweifelnd blickte die 26. Generation auf die Frohnatur. Dann richteten sie ihre Aufmerksamkeit in Richtung Kaede. Diese war ebenfalls bereits aufgestanden und klopfte sich den Dreck von der Kleidung. Icchan, Kurumi und Hikaru waren bei ihr und redeten auf sie ein. „Was ist denn bitte HIER los?“ Frau Mitsubachi hatte soeben die Szenerie betreten. Für sie musste das Ganze eindeutig seltsam aussehen. Zwei verschrammte, blutende Schüler, um die sich jeweils ein Halbkreis von Kenshuusei gebildet hatte. Bevor sie sich jedoch ein endgültiges Bild hätte machen können, war es ausgerechnet Kaede, die zu ihr trat und sich verbeugte. „Es tut mir leid, Frau Mitsubachi. Mir geht es heute ganz und gar nicht gut. Dürfte ich dieses Training aussetzen?“ Die Lehrerin runzelte die Stirn vor Verwirrung. „Aussetzen? Du, Kaga?“ Die Angesprochene nickte und verblieb in der Verbeugung. „Ja! Ich bitte sie dringlich darum, mich auf mein Zimmer gehen zu lassen.“ Frau Mitsubachi wusste zuerst nichts darauf zu erwidern. Normalerweise war es ein No-Go die Trainingseinheiten zu schwänzen. Allerdings wusste sie auch, dass Kaga Kaede weitaus mehr und intensiver ihre Übungen praktizierte, als alle anderen Kenshuusei zusammen. Unwirsch nickte sie. „Na gut. Dieses eine Mal. Das sollte aber nicht noch einmal vorkommen, Kaga. Hast du mich verstanden?“ Kaede bedankte sich ehrlich: „Ja, das habe ich verstanden. Ich danke Ihnen.“ Und sofort nahm sie ihre Sachen und floh regelrecht aus der Halle. Frau Mitsubachi, noch immer leicht irritiert, klatschte in die Hände. „Wir haben viel zu tun heute. Zieht euch also um. Wir beginnen in fünf Minuten.“ Obwohl Reina bereits ihre Trainingsklamotten trug, begleitete sie die anderen Kenshuusei zu dem Platz an der Wand mit den Taschen. Ayano platzte mit einem Mal heraus: „Nun erzähl schon, Reina. Was ist da zwischen euch vorgefallen?“ Die Angesprochene schüttelte lächelnd den Kopf. „Wir wollten sehen, wer die bessere ist.“ Kurumi antwortete schnippisch: „Ich glaube, Kaedi hat einen Narren an dir gefressen. So offenherzig war sie schon lange nicht mehr.“ Reina blickte sie verwundert an. „Sie hat mich ziemlich wüst beschimpft. Sie meinte, dass ich sie und die Kenshuusei überhaupt nicht kenne, da ich erst zwei Monate hier bin.“ Ruru legte ihr von hinten die Hand auf die Schulter und sprach entschuldigend: „Was das betrifft, musst du etwas Rücksicht nehmen. Kaedi ist seit fast vier Jahren Teil der Kenshuusei. Fast alle ihre Generationsmitglieder sind bereits Teil von Gruppierungen. Und so viele von später aufgenommenen Kenshuusei sind ebenfalls vor ihr an der Reihe gewesen. Ich denke, dass dieser Frust jeden Tag auf ihr lastet. Genauso übrigens wie es wohl bei unserer Icchan der Fall ist, oder?“ Der besorgte Blick des großen Mädchens traf die Anführerin der Kenshuusei, die dem Gespräch still gefolgt war. Leicht schluckend antwortete sie: „Kaedi und ich sind die letzten unserer Generation. Und wir befinden uns schon so lange im Therapieprogramm, dass wir jede Woche mit dem Schlimmsten rechnen. Im Grunde warten wir nur noch auf die Botschaft, dass uns der Observer aus dem Projekt wirft. Für euch alle besteht so viel Hoffnung. Und ich bin fest davon überzeugt, dass ihr es in eine Gruppierung schafft. Doch wenn man, wie wir, das vierte Jahr in den Kenshuusei überschreitet, dann sollte man sich darüber Gedanken machen, was man wem noch alles mitteilen möchte, bevor endgültig der Stecker gezogen wird.“ Das war eine verheerende Nachricht für Reina. Ihr war überhaupt nicht bewusst gewesen, in welcher Drucksituation sich Kaedi und Icchan befanden. Ihnen war die Pistole an die Brust gesetzt. Wenn sie nicht bald einer Gruppierung beitraten, würde der Observer sie als untherapierbar einstufen und sich ihrer entledigen. So wie sie Goto Maki verstanden hatte, würde das keine guten Folgen im realen Leben nach sich ziehen. Auch die anderen Kenshuusei stimmte das Gesagte nicht gerade fröhlich. Reina selbst musste all das erst einmal verarbeiten. Besaß sie überhaupt das Recht, immer weiter voranzuschreiten? Durfte sie so schnell stärker werden, wenn es bedeutete, dass sie Kaedi und Icchan, die schon solange auf ihre Beförderung warteten, die Gruppierungsplätze wegnahm? Das war alles so ungerecht, dachte das junge Mädchen. Plötzlich bemerkte sie, wie ein bestimmtes Paar Augen sie finster anstarrte. Sofort wandte sie sich in eine der Ecken und stand Yuhane gegenüber. Die ehrgeizige Kenshuusei sprach mit leicht erregtem Ton: „Reina, das was da vorhin geschehen ist… Ihr habt nicht auf normalem Niveau gekämpft.“ Irritiert begannen die anderen Kenshuusei zu flüstern. Sie fragten sich, was Yuhane damit meinte. Reina hingegen biss sich verzweifelt auf die Unterlippe. Das bemerkte die Person, die ihr gegenüberstand, sofort. „Aha! Ich habe also richtig vermutet. Das waren nicht nur einfache Schläge. Du hast deinen Geist mit deinem Körper verbunden.“ Shiori fragte verwirrt: „J-Ja und? Was willst du denn damit sagen, Yuhane?“ Die Angesprochene wies mit dem Finger auf Reina und erwiderte kalt: „Sie besitzt mehr Wissen als wir. Doch das ist unmöglich, denn wir hatten alle denselben Unterricht. Also gehe ich davon aus, dass das etwas mit den Privatstunden bei Frau Goto zu tun hat, nicht wahr?“ Eifersüchtig starrte Yuhane zu ihrer Kameradin. Diese wiederum wusste überhaupt nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Schließlich entschied sie sich für die Wahrheit: „Ja, Frau Goto hat mir beigebracht, wie man die Kenntnis der Klarheit anwendet.“ Schnaufend vor Wut sagte Yuhane sofort: „Und wir sollen uns mit der Erklärung zufriedengeben, dass das noch nichts ist, was man als Kenshuusei lernen muss? Es scheint dir eindeutige Vorteile in der Entwicklung zu geben. Was soll das? Wieso dürfen wir diese Kunst nicht beigebracht bekommen?“ Reina hob verteidigend die Arme: „Ich habe mir das nicht ausgesucht. Ich musste…“ Doch sie wurde schlagartig von Frau Mitsubachi unterbrochen. Die Lehrerin rief alle zum Training. Yuhane sauste mit rauchendem Kopf an Reina vorbei, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen. Sie suchte Hilfe bei den anderen Kenshuusei, doch diese schienen ebenfalls äußerst verwirrt. Schnell gingen sie auf ihre Positionen, um über die Unterhaltung nachzudenken. Reina wusste nicht, wie sie das wieder gerade biegen konnte. Gingen sie etwa alle davon aus, dass sie bewusst ein heimliches Training absolviert hatte, um den anderen die Gruppierungsplätze wegzuschnappen? Das durften sie nicht denken. Reina wollte nicht, dass sie sie für solch eine hinterhältige Person hielten. „Yokoyama! Los jetzt! Position!“ Innerlich bebend schritt das junge Mädchen zu den anderen. Wie kam sie nur aus diesem Schlamassel wieder heraus? Hosted by Animexx e.V. 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