Werte von _Supernaturalist_ ================================================================================ Kapitel 18: Zwischen Königin und Hexe ------------------------------------- Ausstaffiert, wie eine Königin. In aller Vollkommenheit – ein Kleid so schön, mutmaßlich  teuer, wie es nur die Reichsten tragen würden. In einem schönen Weinrot, mit floraler Spitze für Arme, Dekolleté und Rücken. Einem schmalen Band für die Taille, besetzt mit winzigen Diamanten. So lang, dass es auch die passenden Schuhe verdeckt. Einer Schleppe für hinten.   Extra für dieses Kleid haben Hänsel und Gretchen ihre Nägel noch einmal bearbeitet, passend rot lackiert und sogar mit funkelnden Steinen besetzt. Auch sie sind echt und nicht von minderem Wert, wie Namis geschultes Auge feststellt. So, wie sie auch den Wert der Ringe an ihren Fingern und der schweren Kette, leicht bestimmen kann.    Viel zu teuer…, sagt ihr das Gewissen und hält den schweren, blutroten Rubin wiegend in ihren Händen und weiß, dass sie selten ein edleres Schmuckstück gesehen hat.   Auch in ihrer doch recht langen Laufbahn als Diebin…   Ja… er wiegt ebenso viel, wie die zarte, glänzende Tiara auf ihrem Kopf. Zumindest wirkt es so für die junge Frau, weiß sie doch, dass dies alles nur ein Teil ihrer eigenen Maske ist, die sie als Puzzleteil in Sanjis Leben trägt. Im Auftrag der Prinzessin, seiner Schwester. Tja… und für die ist sie auch nur eine Figur auf ihrem privaten Schachspiel der Macht. Und so, wie es für die junge Frau wirkt, soll sie die Königin mimen, bereit von Reiju gezogen zu werden, um den König – den eigenen Vater – Schachmatt zu setzen, damit dieser den blonden Prinzen freiwillig gehen lässt.   Oder… ist doch Sanji der König, den es hier zu schlagen gilt, damit sie frei kommen kann?    Gewiss… diese kleine Geschichte, die Reiju ihr aufgetischt hat, gab ihr nur noch mehr Fragen als Antworten, doch zumindest auch wertvolle Informationen, die sie selbst für ihre eigene Show verwenden kann. Damit sie Sanji vollends um den Finger wickelt… Und dann muss sie doch nur noch hoffen, dass die schöne Prinzessin die Wahrheit gesagt hat und ihr Versprechen einhält…   Ja dann – vielleicht – ist auch sie frei…   Bei allen Göttern… wo ist sie da nur reingeraten?!   Seufzend lässt Nami das schwere Juwel wieder hinunter zu ihrer Brust fallen, wo es schimmernd thront und sie blickt hinüber zum Spiegel.   Zu gern würde sie sich an ihrem Anblick erfreuen. Doch angesichts dem dunklen Mal auf ihrer Kehle – ein klarer Abdruck von Sanjis Hand – mahnend, über dem blinkenden Eisenband, wird ihr nur wieder ganz schwindelig zumute und ihr Herz beginnt einmal mehr zu rasen.   Es schmerzt, als sie schwer schluckt. Es brennt auf der Haut, wenn sie es berührt. Es ist da, eine furchtbare Erinnerung daran, dass die Abgründe des blonden Prinzen doch viel tiefer sind, als doch stets angenommen hat.   Viel tiefer… und dunkler…   Ihr ist bewusst, dass sie dieses Spiel, was sie mit ihm begonnen hat, fortführen muss. Damit er nun keinen Verdacht schöpft und damit sie diesem Albtraum entkommen kann. Doch gerade in diesem Moment scheint sie zu merken, dass sie vielleicht nicht so stark ist, wie sie zu Beginn von sich selbst angenommen hat. Auch wenn nach wie vor dieses eine Thema ihr auf dem Herzen brennt – der Grund, warum sie überhaupt, ohne Aufforderung, in sein Zimmer gegangen ist.   Natürlich – sie weiß, dass sie mit Sanji zu sprechen hat, doch glaubt sie auch, dass sie sich selten so vor diesen jungen Mann gefürchtet hat, wie an diesem Tag.   Nami weiß nicht einmal mehr, wie sie jetzt auf den jungen Prinzen reagieren soll und dieser Gedanke, zusammen mit ihrer immensen Angst, lässt sie einmal mehr an diesem Tag schluchzen.   Gerade, als der große Zeiger der Uhr auf die Zwölf wandert.   Es ist 9 Uhr…   Nein…, dieses Mal hat es keinen Befehl gegeben, dass sie genau zu dieser Zeit bei ihm zu sein hat. Es war eine Bitte, nicht viel mehr, als ein Flehen, bevor sie aus seinem Zimmer geflohen war.   Wahrscheinlich könnte sie hier bleiben, sich einfach aufs Bett legen und schlafen – so erschöpft fühlt sie sich gerade – aber dann würde er gewiss kommen. Zu ihr, in dieses Zimmer, um sie zu sich zu holen.   … oder schlimmer…   Wie absurd es doch scheint – am Morgen meinte sie doch noch, dass der junge Mann ihr nichts anhaben würde. Dass er es ihr versprochen hat und sie war so naiv gewesen, um es ihm auch noch zu glauben! Wobei die Zeit davor fast… unbekümmert war – war es für sie nur Sex gewesen, der ihr Leben ein wenig am Bord dieses Schiffes erleichtert hat. Das Leben mit ihm…   Nie hätte sie gedacht, dass sein inneres Biest so grausam sein könnte – auch wenn sie schon unzählige Facetten davon gesehen hat… Sie wäre wesentlich glücklicher, hätte sie diese nackte Wut nicht miterleben müssen.    Gewiss… ihre Neugier und ihre eigene Dummheit haben sie dazu verführt. Einfach das Zimmer des blonden Prinzen zu betreten und ein wenig gibt sie sich selbst dafür die Schuld, was da beinahe passiert ist…    Ein letztes Mal seufzt sie und schüttelt ihren Kopf, um dann all ihren Mut zusammen zu nehmen, der da irgendwo in ihren Knochen verblieben ist. Sie steht auf, wankt und zittert, bevor sie wie in Zeitlupe hinüber zur Tür geht, ihr eigenes Zimmer verlässt.   Wie immer ist der Korridor zwischen ihren beiden Räumen hell und grell erleuchtet. Fühlt sich zudem mit jedem Schritt kälter an, umso näher sie der gegenüberliegenden Tür tritt.   Dass sie es überhaupt schafft, an ebendieser zu klopfen, grenzt für sie schon fast an einem Wunder.   Doch ihre Stimme zu erheben, um seinen Namen zu rufen, dass misslingt ihr vollkommen.   Nein…, das braucht sie auch nicht, denn schon hört sie, dass seine Schritte zur Tür eilen und er sie in wenigen Augenblicken aufgerissen hat.   „Du bist hier…“, flüstert er, überrascht, sie vor sich stehen zu haben. Sofort zucken seine Hände auch, um nach ihr zu greifen, doch sie weicht zurück.   Er erstarrt. Sein Blick fällt auf die Male – erst jenes am Gelenk ihrer zum Schutz erhobenen Hand, dann mit geschocktem Blick zu dem an ihrem Hals. Er schüttelt seinen Kopf, als wolle er aus diesem Albtraum erwachen, doch als er sie wieder ansieht, muss er feststellen, dass seine Abdrücke nicht verschwunden sind und ihn noch für eine lange Zeit heimsuchen werden.    Doch der junge Mann entscheidet sich vorerst dazu, sein Vergehen nicht zu kommentieren.    Und so lässt er seine Hände wieder fallen, öffnet die Tür weiter, sodass sie an ihm vorbei in das Zimmer gehen kann, dass vor wenigen Stunden noch so zerstört war.   Jetzt aber kann man von den Schäden nichts mehr erahnen, würden doch die zertrümmerten Möbel doch durch Neue ersetzt. Mit einem ganz neuen, etwas antikerem Stil liegt nun Sanjis Zimmer vor ihr in neuer Pracht und so, wie es hier um sie herum riecht, scheint man sogar die Wände gleich mit gestrichen zu haben…   Abgesehen von neuer Farbe und Möbeln, riecht es hier auch nach Rauch… Qualm – der einer Zigarette, die erst vor wenigen Minuten ausgedrückt wurde.   Nami versucht sich dadurch nicht beirren zu lassen, geht sie doch hastig hinüber zum neuen, kleineren und nun runden Esstisch und setzt sich – so schnell es ihr ausladenden Kleid eben zulässt - auf einen der beiden Stühle. So, dass sie das neue Himmelbett zwar nicht sehen kann, den jungen Mann vor ihr dafür perfekt im Blick hat. Schließlich hat es doch etwas recht Unbehagliches, ihm den Rücken zukehren.   Nun ist sie es also, die ihn mit Argusaugen beobachtet, während er mit beschämt gesenkten Kopf die Tür schließt und für einige Augenblicke dann noch dort stehen bleibt. Wahrscheinlich selbst nachdenkt, wie er mit dieser Situation umgehen soll.   Trotzdem schafft er es doch ein kleines, wenn auch vorsichtige Lächeln auf seine Lippen zu zwingen, bevor er mit schweren Schritten zu ihr gesellt, um sich ihr gegenüber zu setzen.   „Es bedeutet mir Etwas, dass du rüber gekommen bist… Ich hätte verstanden, wenn du mich nicht sehen willst.“ Sein Blick fällt auf den Abdruck, den an ihrer Kehle, von dem er gleich wieder die Augen abwendet. „Ich hätte definitiv nicht die Eier gehabt…“   „Ich hatte keine andere Wahl, nicht? Du hast gleich die… Putzkolonne auf mich gehetzt, die mich baden sollten und massieren und mit Lotionen einschmieren. Und mich in schöne Kleider packen und frisieren. Sanji – wir beide wissen, dass ich nicht dumm bin! Du hast alles genau so hingebogen, damit ich keine andere Wahl, als zu kommen, hatte…“   Er nickt, zaghaft, blickt zu ihrer Hand, die sie unachtsam auf den Tisch gelegt hat und greift nach dieser, bevor sie ihm diese entreißen kann.   Bei dieser Berührung beginnt das Herz eben wieder zu beben und das Atmen wird panisch – so sehr, dass er sie auf der Stelle wieder loslässt. Hastig versteckt sie beide Hände nun unter ihrem Tisch, damit er so etwas nicht noch einmal wagen kann.   Bedauerlicherweise ist sie es nun, die beschämt den Blick von ihm abwendet, während Tränen sich in ihren Augen sammeln.   „Na?“, entkommt es ihr schnippischer, als sie eigentlich wollte, „Soll ich jetzt in deine Arme kommen?“   Er seufzt.   „Ich verstehe deine Wut. Und dass du mich abweist. Ich meine – was da fast geschehen wäre, ist vollkommen unverzeihlich! Kaum zu glauben, dass so etwas für meine Brüder wahrscheinlich… normal ist… Und… ich weiß auch, dass nichts, was ich dir sagen werde, auch nur annähernd einer Entschuldigung gleichkommt. Aber… Ach Nami… was machst du mit mir?!“   „Erkläre es mir!“, verlangt sie, fauchend und mit brennenden Augen, „Damit ich weiß und verstehe, was du mit mir machst!“   Sie blickt ihn an, schnaubend und ihre Hände, unter dem Tisch, zu Fäusten geballt.   Er nickt, eifrig.   „Natürlich, natürlich! Darf ich dir zu vor noch sagen, dass deine sonstige, göttliche Schönheit, durch-”   „Nein!“.   Wieder seufzt er, ein leises Glucksen entkommt seiner Kehle.    „Du machst es mir wirklich nicht einfach, richtig? Gut – ich habe nichts anderes verdient… Mein Namilein… aber ganz egal, was ich jetzt sage und was du glaubst von mir zu wissen: Das… dieses Monster, wie du es nennen wirst, das bin nicht ich. Es ist… das ist nur Etwas, was ich eigentlich ganz tief in mir drin abgeschlossen und versperrt habe. Dass ich wieder so… ausflippe, dass ist mir schon ewig nicht mehr passiert.“   Das hat sie auch schon gehört – von Reiju, aber so recht will sie diesen Worten nicht glauben.    „Du bist so ausgeflippt, weil ich einfach dein Zimmer betreten habe?“    „Was?! Nein! Du warst einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort… Zu einer ziemlich beschissenen Zeit, um genau zu sein. Ich habe doch schließlich nichts vor dir zu verheimlichen! Ach weißt du – komm einfach immer hier her, wenn es dir danach beliebt! Ohne Aufforderung, ohne Klopfen! Zum Zeitung lesen, um die sehr geräumige Badewanne zu nutzen, oder um einfach in meiner Nähe zu sein! Sei mein Gast~“   Das breite und zuversichtlich Lächeln, was sich mit jedem Wort mehr und mehr auf seinen Lippen aufgebaut hat, verschwindet schlagartig und das kurze, intensive Leuchten in seinen Augen erlischt wieder.    „Nur nicht… wenn ich von einem Schlachtfeld wiederkomme… Dann solltest du am besten in deinem Zimmer bleiben, bis ich dich hole. Mich um jeden Preis meiden. Und… bedauerlicherweise wird das in der nächsten Zeit noch öfter der Fall sein, da wir geradewegs auf ein Gebiet zu steuern, das Vater mit allen Mitteln erobern will…“   „Dann…“, wispert sie, als sie zu verstehen beginnt, dass der Vorfall wohl doch nicht ihre Schuld war, unterbricht sich aber schnell selbst, als sie Sanjis gequälten Blick sieht und beißt sich auf die Zunge.   Was sie gerade noch sagen wollte, vergisst sie schnell und Stille fällt über die Beiden, wie ein ungemütlicher Schleier.   Für einige Minuten sitzen sie so – Sanji der bedrückt auf irgendeine unbestimmte Stelle auf den Tisch sieht und Nami, die äußerst nervös mit ihren Hände im weichen Stoff ihres Kleides spielt.   Sie hat nicht den Mut, ihn wieder darauf anzusprechen – dieses Mal nicht, weil sie sich vor dem Ausbruch der Bestie fürchtet. Nein… sie sieht, wie sehr es ihn beschämt und bedrückt.   So ist er es, der dann schnell wieder seine Stimme erhebt, zaghaft zu Beginn, aber doch mit wertvoller Ehrlichkeit:   „Ich glaube, dass der Grund für diesen Ausraster war, dass Ichiji es geschafft hat, mich zum…“ Wieder dieses lange, sehnende Seufzen und endlich blickt er wieder zu ihr auf. Er ist es, der seine Hand nun auf die Mitte des Tisches legt, so gedreht, dass sie seine Handfläche sehen kann. Es ist eine stille Einladung dafür, dass sie nun seine Hand nimmt.   Eine Einladung, die sie nur mit äußerster Widerwilligkeit annimmt, indem sie ihre linke Hand zu dieser streckt und zitternd in seine legt.   Schließlich hängt doch das dieses schwere Beil von Reijus Versprechen über ihren Kopf.   Ihren Teil wird sie wohl nur dazu beitragen, wenn die junge Frau auch den ihren einhält – und dazu gehört es nun einmal, dass sie weiterhin – irgendwie – ihre Show für ihn abzieht.   Und wenn er genau jetzt ihre Nähe braucht, so muss sie ihm zumindest das geben, zu dem sie aktuell noch fähig ist.   Ihre kleine Geste verfehlt auch nicht die Wirkung, denn sofort beginnt er aufrichtig zu lächeln, als ihre warme Hand seine viel zu eisigen Fingern spürt und er greift nach ihr, sodass sie ihm diese auch nicht mehr entziehen kann.   „Was hat er gemacht, Sanji?“   „Ich habe eine ganze Reihe unschuldiger Männer getötet. Einer war bestimmt nicht älter als 15… Ich war wie im Blutrausch und das nur, weil Ichiji meinte, dass er Vater erzählen würde, dass ich Gefühle, wie ‚Mitleid‘ besitze…“ So, wie er dieses Wort ausspricht, muss es etwas unglaublich Widerwärtiges in den Augen der Vinsmokefamilie sein. Vielleicht eine so abscheuliche Eigenschaft, die den jungen Mann zum Monster wandeln konnte… „Sie waren auf einem kleine Boot. Nicht viel mehr, als das eines Fischers. Sie wollten gewiss Hilfe von einer benachbarten Insel holen. Ich weiß es nicht… Ich habe ihnen nicht einmal eine Chance gelassen, sich zu erklären… Für sie ging es auch ganz schnell“.   Fast war sie es, die Worte des Mitleids an ihn gewandt hätte, so bitterelend, wie er sie an blickt. Doch schnell ließ sie von dieser Idee ab – weiß sie doch nicht, welchen Effekt es auf ihn haben könnte.   Stattdessen fragt sie etwas, was ihr nichtsdestotrotz auf dem Herzen brennt:   „Ist denn Töten für dich überhaupt so schlimm?“ ihre Worte klingen plumper, als sie es eigentlich vorhatte und sie gesteht sich diese kleine Taktlosigkeit schnell selbst mit geröteten Wangen ein, als Sanji eine seiner gekringelten Augenbrauen erhebt. Hastig räuspert sie sich daher und beginnt sich zu erklären: „Ich glaube kaum, dass es dir doch so große Schwierigkeiten bereitet ein Leben zu nehmen. Schließlich stammt du doch aus einer Familie, wo Krieg, Menschenhandel und die ständige Zwangsprostitution von jungen Frauen doch vollkommen normal ist und anscheinend auch im königlichen Protokoll steht. Ich will jetzt auch keine Diskussion über die menschliche Psycho, oder darüber, wie ähnlich wir uns doch in kriminellen Belangen sind, lostreten. Ich muss einfach ehrlich zugeben, dass ich dich nicht verstehe…“   Und das ist auch die Wahrheit.   Sie ist es doch, die den jungen Prinzen nun wochenlang schon beobachtet und studiert, um ihn Schritte – gar Seemeilen – voraus zu sein, nur um heute am eigenen Leibe festzustellen, dass sie weiter abgeschlagen war, als sie jemals zugeben würde…   Sie atmet langsam aus und schüttelt den Kopf, als er ihr noch immer nicht geantwortet hat.   „Was ich damit meine: Worin liegt der Unterschied zwischen dem Töten von mehreren Männern auf dem Schlachtfeld und einem einzigen Fischmenschen?“   Er nickt, scheint er ihren Standpunkt nun endlich vollkommen zu verstehen.   „Die einen waren unschuldig“, sagt er, ruhig. „Der andere ein widerliche Schwerverbrecher, der es nicht anders verdient hat. Das eine Übel macht mich zum Kriegsverbrecher, das andere gibt mir ein Gefühl der Genugtuung.“   „Das nennt man Selbstjustiz, Sanji. Du bist kein Richter…“   Sanji schüttelt den Kopf, die Augenbrauen ziehen sich während des Denkens zusammen. Ja, ihm passen ihre Worte nicht, doch er hindert sich selbst daran, diese auszusprechen. Wahrscheinlich hat er das Gefühl, ihrem Argument dann nicht mit Respekt zu begegnen – etwas, was er doch vor gar nicht allzu langer Zeit versprochen hatte.   Als er also die Stimme wieder erhebt, wechselt er schnell und eloquent das Thema und es scheint dieses Mal etwas zu sein, das ihm auf der Zunge liegt:   „Warum hast du dich nicht gewehrt? Du hast meinen Befehl befolgt. Du hast dich… vor mich gekniet und… hättest du wirklich zugelassen, dass ich dich vergewaltige? Du weißt – aus Angst nachzugeben, macht Sex nicht einvernehmlich. Vielleicht für meine Brüder, aber nicht für mich… “   „Das ist es ja… ich hatte Angst. Angst, dass du es noch schlimmer für mich machst, wenn ich mich nur irgendwie wehre. Etwas sage. Ich habe einfach gehofft, dass du an dein Versprechen denkst… Außerdem weiß ich doch, wie es damals unter Arlong war. Zweimal habe ich mich während seiner Wutausbrüche ihm in den Weg gestellt und meine Meinung geäußert und zweimal habe ich eine Ohrfeige bekommen, die noch eine Woche später schmerzte... Danach habe ich nie wieder seinen Zorn auf mich gezogen.“   „Oh Nami…“, flüstert er und will die Hand, die er noch hält zu seinen Lippen ziehen. Sie entreißt ihm diese aber schnell, panisch, noch bevor er sie aufhalten kann.   „Denke nur nicht, dass ich mich in nächster Zeit dazu bringen kann, mit dir ins Bett zu steigen. Allein schon, dass ich hier in diesem Raum sein muss, ist gerade für mich eine gewisse Qual…“   „Oh…“, entkommt es ihm und er senkt schon fast hölzern den Blick, der kurz zu ihrem Hals gehuscht ist. „Wir können auch gern rüber in dein Zimmer gehen und dort essen, wenn-“   „Nein!“, unterbricht sie ihn schnell „Es geht nicht um den Raum… es geht um… um dich… und es wieder einige Zeit brauchen, bis ich wieder anders von dir denke. E-es tut mir Leid…“   Sanji versteht sie. Das sagt ihr sein Nicken. Sein sehnender Blick. Wie er wieder mit seinen Händen nach ihren sucht, aber kurz vor der erlösenden Berührung sich selbst zurückhält.   „Ich gebe dir Zeit. So viel du willst. Ich… ich… Geschenke! Was kann ich dir schönes kaufen? Oder… wie wäre es, wenn ich dich beim nächsten Landgang mit nehme? Oder-“   Sie hört ihm nicht zu. Ihre Gedanke triften von selbst zu dem eeinzigWahren, was sie von ihm je verlangen würde:   Ihre Freiheit.   Und zu gern hätte sie diese kleine Bitte ausgesprochen.   Doch sie glaubt kaum, dass sie ihn schon so weit um ihre Finger gewickelt hat – nicht nach dem, was heute passiert ist. Denn… wenn sie ginge, so hätte sie ihn doch nun mitzunehmen.   Sie wollte gar nicht wissen, wen Reiju dann alles auf sie hetzen würde, wenn er hier bleiben würde. Oder schlimmer – wie Reiju selbst ihr den Tod anreichern würde.    „Zeit…“, wisperte sie daher, auch wenn große, teure Geschenke etwas sehr Schönes waren. Doch sie wusste, dass diese nur ihr etwas bedeuten würden. Ihm vielleicht die Geste dahinter. Doch er sehnte sich mehr nach der Nähe ihres Körpers, als nach irgendeinem Lächeln.   „Nami…“, keucht er bedeutungsvoll und springt sogar aus seinem Stuhl auf, mit dem Vorhaben sie in seine Arme zu nehmen.   Die junge Frau weicht aber zurück, springt selbst auf und hält die Hände panisch erhoben, damit er ihr ja nicht zu nahe kommt.   Er versteht dieses Zeichen und tritt zurück.   „Gut… Zeit… die gebe ich dir, selbstverständlich…“ Verlegen streicht er sich durch das Haar, bevor wieder hastig andeutet, dass sie sich wieder setzen sollte. „Und jetzt lass uns erst einmal essen, bevor es kalt wird!“   Das Essen ist gut – natürlich, wie immer, auch wenn es dieses Mal eine ganz besondere Note hat. Gewiss doch. Dieses Abendessen sollte doch als ein Zeichen der Versöhnung zwischen ihnen dienen und der blonde Prinz wird den Köchen befohlen haben, dass diese ihr gesamtes Herzblut hineinlegen.   Nami muss bedauerlicherweise zugeben, dass ihnen das auch gelungen ist.   Dennoch ist die Stimmung zwischen ihnen noch immer gedrückt – auch nach dem Gespräch - ihr Gefühl ihm gegenüber noch so unendlich unbehaglich.   Ja… es wird seine Zeit brauchen, bis sie ihm wieder einiges mehr an Vertrauen schenkt.   Gerade als die junge Frau ihre Lippen mit einer Serviette abtupft, erhebt er das erste Mal, seitdem sie begonnen haben zu essen, seine Stimme wieder:   „Darf ich jetzt sagen, wie wundervoll du aussiehst?“, fragt er und für den Bruchteil einer Sekunde meint sie sein bekanntes, schelmisches Funkeln in den Augen entdeckt zu haben.    Sie seufzt aber nur, verdreht dann die Augen.    „Fein…, wenn es dich irgendwie glücklich macht…“   Sein Lächeln wird weiter, wandelt sich sogar fast in ein ausgewachsene Grinsen.    „Selbst die Sonne würde bei deiner Schönheit erblassen, Nami-Maus! Du hast das Antlitz eines Engels! Kö- Kaiserin, sogar! Das Kleid steht dir wirklich sehr und unbeschreiblich gut! Zu gerne…“ Sein Grinsen wird das erste Mal seit langem wieder lüstern und er lehnt sich ein wenig näher zu ihr. „Zu gern würde ich es dir vom Körper reißen und sehen, was du darunter trägst, in der Hoffnung, mit deiner strahlenden Nacktheit beglückt zu werden.“   Sie erstarrt und fährt bei seinen Worten zusammen, dunkle Erinnerungen daran, wie er sie ins Bett geschubst hat, kehren zu ihr zurück.    Auch er zuckt bei seinen eigenen Worten zusammen und lehnt sich hölzern in seinem Stuhl zurück, seine eigenen Augen nun geweitet.    „Tut mir Leid. Es ist anscheinend noch zu früh Witze darüber zu machen, wie gern ich mit dir vögeln würde, bis wir beide bewusstlos sind…“   „Ja. Und deine Wortwahl macht es auch nicht besser…“   „Tut mir leid. Macht der Gewohnheit. Ich muss mich erst einmal daran gewöhnen, dass wir in nächster Zeit keinen atemberaubend, guten- Ja gut, ich höre schon auf!“   Sie schnaubt verächtlich und verengt ihre Augen. Und zum Glück – sein Mund schnappt im nächsten Augenblick zu, noch bevor er sich weiter in die Misere reiten kann. Zumindest hat sie ihn, was das angeht, schon einmal gut im Griff.    „Es tut mir leid, dass es so sein muss Sanji. Eine Warnung, dass so etwas passieren kann, wäre doch zumindest angebracht gewesen.“   „Wie ich die charmant rüber bringen soll, musst du mir mal sagen. ‚Entschuldige, junges Fräulein, aber nach einem Kampf, an den Seiten meiner Brüder, kann es durchaus sein, dass meine Synapsen ein wenig durchbrennen, ich die Möbel in meinem Zimmer zu Kleinholz schlage und Sie dann versuche gegen Ihren Willen zu nehmen. Lassen Sie sich aber nicht beirren, ich bin trotzdem ein voll netter Kerl und zudem sehr gut im Bett‘“.    Dass sie über seine Worte und seine furchtbar verstellte Stimme grinsen muss, kann sie nicht verbergen, auch wenn sie den Kopf zur Seite dreht und ihre Lippen mit der Serviette verdeckt.    Wirklich… er ist schon ein riesiger Idiot und würde von seiner Art ganz wunderbar zu den Strohhüten pa-   Moment, was denkt sie da nur?! Dieses Monster ist niemand, mit dem sich ein Monkey D. Ruffy abgeben würde! Und welche Qualitäten würde er schon mitbringen? Jeder an Bort zeichnet sich durch seine ganz besondere Art aus. Was würde den jungen Prinzen so besonders und in Ruffys Augen wertvoll machen, sodass er diesen anheuert?   „Über was denkst du nach?“, murmelt er und nippt noch einmal an seinem Weinglas.    Erschrocken darüber, dass er es ist, der sie wieder einmal zu lesen versucht, wendet sie sich wieder zu ihm, lässt die Serviette langsam sinken.    Sie kann ihn unmöglich an ihren Gedanken teilhaben lassen, nicht? Vor allem nicht in Hinsicht darauf, dass diese Unterhaltung gefährlich nah an den Themen vorbeikommen könnte, die Reiju ihr, unter Androhung des Todes, anvertraut hat.    Doch… auf der anderen Seite könnte sie ihn womöglich aus der Reserve locken, damit er ihr genau das erzählt.    „Hast du dich nicht einmal gefragt, wie das Leben dort draußen ist? Entschuldige, dass ich mir anmaßen zu sagen, dass du… nun ja… nicht sonderlich glücklich über dein Leben hier erscheinst…“   Er presst die Lippen zu einer dünnen, fast weißen Linie aufeinander und schenkt ihr ein kleines, verärgertes Schnauben.    Wirklich…, sie muss eine empfindliche Ader getroffen haben und lehnt sich gleich aus Furcht zurück in ihrem Stuhl – aus Angst, er würde sie gleich wieder anspringen.    Doch noch bevor sie sich für ihre Worte entschuldigen kann, erhebt er die Stimme:   „Ich glaube kaum, dass du diejenige bist, mit der ich über solche Dinge sprechen sollte…“   Da er aber ihre Frage noch nicht abgelehnt hat, beginnt sie nun doch etwas nachzuhaken:   „Deine Brüder schikanieren dich. Schlagen dich. Und dein Vater nimmt von dir nur wenig Notiz. Reiju scheint mir da die einzige zu sein, die ein wenig… nett… zu dir ist.“   „Du bist ‚nett‘ zu mir“, flüstert sie mit so viel Wärme, wie sie nicht von ihm erwartet hätte. „Und was meine Familie denkt, ist mir vollkommen egal.“   „Ist es nicht. Sanji…, ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man mit Verachtung gestraft wird, obwohl man nur Gutes im Sinne hat. Du sagst immer, dass du mich kennst-“   „Inn- und auswendig~“, säuselt er sogar mit dem anzüglichen Wackeln seiner Augenbrauen, was sie einfach – so gut eben möglich – ignoriert.    „Wenn du mich also kennst, musst du doch wissen, dass ich in einer ähnlichen Situation war, wie du jetzt. Damals…, als Kokos mich keines Blickes gewürdigt hat, als ich für Arlong arbeitete. Ich kenne Verachtung. Diese… Art von Herabwürdigung. Und ich weiß, dass es nicht einfach ist, darüber mit einem Außenstehende zu sprechen… Und ich sehe, dass du dazu auch nicht bereit bist. Falls du aber einmal ein Ohr zum Zuhören brauchst...“ Sie legt die Serviette auf den Tisch und steht auf. „Du kennst den Weg in mein Zimmer… Sanji…, danke, dass du dich mir erklärt hast und ich hoffe, dass ich meine Ängste wieder in den Griff bekomme. Doch jetzt entschuldige mich – ich bin müde und würde mich gern schlafen legen. Gute Nacht…“   Beinahe ist sie ein wenig darüber verwundert, dass er ihr nicht ins Wort fällt. Keinen so altklugen Kommentar abgibt, wie es für ihn üblich ist. Er lässt sie ausreden und denkt vielleicht sogar über ihre Worte nach.   Da er auch nicht antwortet, beschließt sie, ihren Worten noch etwas Ausdruck zu verleihen und läuft mit gesenktem Blick an dem Tisch vorbei und hinüber zur Tür, hat sie sich doch eben noch so wortgewandt von ihm für die Nacht verabschiedet.    „Nami!“, ruft er sie, erst als sie bereits die Klinke in die Hand genommen hat und sie nach unten drückte.    Fast hätte sie gelächelt – ist ihr doch klar, dass er sie nicht so einfach gehen lassen wird.    Sie muss zugeben, dass sie ihn wohl doch ein wenig mehr in ihrem Spinnennetz verfangen hat, als sie noch vor einigen Stunden glaubte.    Trotzdem weiß sie, dass er noch nicht bereit ist, dass er mit ihr darüber spricht.    „Ich glaube nicht, dass ich mit dir darüber reden kann und ich denke auch nicht, dass ich es sollte…“   Sie wusste es! Trotzdem war der erste Schritt in die richtige Richtung gemacht, würde dieses Thema in Zukunft immer über ihren Köpfen wie eine dunkle Wolke schweben.    Es hieß also abwarten und in dieser Zeit müsste sie eben versuchen ihre Maske für ihn wieder aufzusetzen…    „Es tut mir leid – ich hätte nicht über so etwas mit dir sprechen dürfen… Keine Angst – ich weiß, wo mein Platz ist und meine Grenzen wollte ich auch nicht überschreiten.“   Sie hört sein Seufzen, hat sie sich doch noch immer nicht zu ihm umgedreht. Dann hört sie das Kratzen der Stuhlbeine und seine Schritte, die langsam wieder auf sie zu kommen.    Er steht hinter ihr und langsam dreht sie sich zu ihm um.    Sanji legt den Kopf schief und betrachtet sie stumm für einige Sekunden, bevor er vorsichtig eine ihrer Hände greift und diese zu seinen Lippen führt. Ihr wird eisigkalt dabei und schluckt schwer und mit Schmerzen, während ihr bei dieser Berührung wieder schwindelig wird.    Leider ist seine Nähe für sie noch absolut unerträglich…    Dennoch beißt sie die Zähne aufeinander, krallt sich mit der anderen Hand im üppigen Rock ihres Kleides fest, hoffend, dass sie nicht zu jeder Sekunde, die sie seine Haut spüren muss, gleich in Ohnmacht fällt.    Der junge Prinz scheint dies sogar zu bemerken und lässt schon gleich nach dem Handkuss ihre Hand fallen und weicht sogar einen winzigen Schritt zurück.    „Sie haben dich Hexe genannt, nicht? Die Hexe von Kokos… Verstehe mich nicht falsch, doch ich muss sagen, dass dies ein sehr treffender Name für dich ist. Du hast schließlich irgendeine Art an dir, die mich vollkommen verzaubert.“   „Romantische Worte für einen, der nichts von Gefühlen hält.“   Sanji muss über ihren Sarkasmus schmunzeln und zuckt verlegen mit den Schultern.    „Wenn Fakten für dich Romantik darstellen, scheinst du doch recht leicht zu erobern zu sein. Würde zumindest erklären, warum du vor fast drei Wochen in mein Zimmer gekommen bist, in voller Absicht zu verführen. Du scheinst ja meinem Charme sehr erlegen zu sein, nicht Nami-Maus?“   Fast schon ein wenig angewidert, aber zumindest tiefst genervt von seiner Aufwartung, verdreht sie ihre Augen, bevor sie sich erneut versucht umzudrehen, damit sie in ihr Zimmer gehen hat.    Das war jetzt genug Sanji für einen Tag für sie…    „Geh nicht!“, sagt er doch hastig wieder und sie merkt, dass er schnell einen Schritt an sie heran getreten ist, als er seine Hände sanft auf ihre Oberarme legt und er einen vorsichtigen Kuss in ihr Haar haucht. „Bitte… Heute war für uns beide schlimm und ich glaube kaum, dass einer von uns beiden in Ruhe schlafen kann… Zumindest… zumindest will ich dich bei mir haben!“   Erschrocken blickt sie über ihre Schulter und als der blonde Prinz ihre geschockt, weiten Augen sieht, beginnt er sich schnell zu erklären:   „Keine Sorge! Ich verlange nicht, dass wir Sex haben! Ich verlange nicht einmal, dass du in meinen Armen liegst – auch wenn mir das am Liebsten wäre… Das Bett ist groß genug für uns beide und wahrscheinlich noch zehn Personen mehr. Du liegst einfach in der einen Ecke, ich in der anderen und sind…“ Seine Stimme wird furchtbar leise, sodass sie ihn kaum noch verstehen kann, „… aber Hauptsache wir sind füreinander da…“   Irgendetwas Zerbrechliches schwingt in seiner Stimme mit. Etwas, dass ihr fast den Atem raubt und ihre Knie weich werden lässt.    Verdammt… er spricht noch von ihr als Hexe, dabei ist er es nun, der sie hier in voller Verzweiflung zu verzaubern versucht!    Und das auf eine so mitleiderregende, herzerweichende Art und Weise, dass sie geschlagen gebend nur ein kleines „Ja…“ flüstern kann.    Doch er ist zufrieden und lächelt bis über beide Ohren, bevor er sie sanft los schickt, damit sie sich fertig machen kann.    Er würde auf sie warten… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)