Zum Inhalt der Seite



Trennungsschmerz!

Autor:  Laton
Plötzlich war er da, der Trennungsschmerz.

Es war nicht der Augenblick, wo mir klar wurde, dass ich meinen Wagen im neuen Job nicht mehr brauchen würde. Da war es eher Freude, dass ich nicht noch mehr Geld hineinstecken würde. Es war auch nicht der Augenblick, als der Händler den Kopf schüttelte und meinte, dass ich eher Geld mitbringen müsste, sprich: Der Wagen verschrottet werden würde. Nein, so richtig spürte ich ihn, als mir der Händler erzählte, dass bei der Theatervorstellung 11 Opel Kadett gebraucht werden würden... um sie am Ende zu zerstören. *autsch* Da saß irgendwie. Da war er plötzlich, ein leichtes Zucken in meinem Herzen. Mein Auto? Einfach zerstören?

Erinnerst du dich noch an all die Jahre, die wir zusammen verbracht haben? Du warst mein zweiter Wagen. Mein erster war ein mausgrauer Polo. Irgendwie war das eine Tarnfarbe, wenn man bedenkt, wie oft da jemand reingefahren ist, obwohl ich wirklich nie schuld hatte! Er hatte wohl ein schlechtes Charma, doch auch von ihm trennte ich mit ein wenig Wehmut. Endlich wollte ich ihn nach dem Crash mal richtig reparieren und dann war es doch tatsächlich ein wirtschaftlicher Totalschaden. Schade um ihn.

Aber bei dir wurde so vieles anders. Du hattest schon zwei Lautsprecher! (Der Mono-Lautsprecher in der Mittelkonsole war ja doch immer etwas seltsam gewesen. ;-)) Und sogar geregelten Katalysator und ABS und sogar eine nachgerüstete Wegfahrsperre! Für eine arme Studentin warst du das absolute Optimum, was ich mir von dem Geld, was die Versicherung mir von meinem letzten Crash mit meinem Polo auszahlte, leisten konnte: Ein roter Opel Kadett E, Baujahr 1991. Meine Schwester erzählte mir, dass schon im Monat danach der Astra hergestellt wurde. Du warst also ein richtig ausgereiftes Serienmodell. Und das hat man wirklich gemerkt!

Durch dick und dünn hast du mich begleitet. Du warst kein Stadtfahrzeug. Nein, du warst schon immer auf der Autobahn beheimatet. Auch deine beiden Vorbesitzer nutzten dich nur für lange Strecken, so wie du auch mir ein treuer Begleiter warst. Fast 100.000 Kilometer sind es am Ende wohl gewesen. Fast die Hälfte aller Kilometer, die du gesehen hast, haben wir zusammen verbraucht. Und mit 190.000 Kilometer mit dem ersten Motor bist du ein strahlendes Beispiel dafür, was ein guter Opel-Motor alles zu leisten vermag. Nicht jeder Benziner hält so lange durch, bei weitem nicht!

Und stolz war ich auch auf dich. Wie ich gelernt habe, aus dir die beste Leistung bei möglichst geringem Verbrauch herauszukitzeln, war nicht nur eine Herausforderung, sondern es hat auch viel Freude bereitet. Unser persönlicher Rekord liegt bei 5,4 Liter auf 100 km! Welches Auto verbraucht denn heute schon so wenig? Manchmal frage ich mich, was die Autoindustrie in den letzten 13 Jahren alles gemacht hat.

Und erinnerst du dich noch daran, was wir alles zusammen erlebt haben? Das Pferd auf der Autobahn?! Das war wirklich der Schreck meines Lebens. Und zwar nicht das Pferd, sondern der Gedanke an den Wagen hinter mir, der mir fast auf der Stoßstange klebte, als ich wegen meinem Vordermann eine Vollbremsung machen musste. Damals dachte ich schon, dass es uns beide erwischen würde, aber zum Glück war die rechte Spur noch frei. Das wäre sonst wirklich unschön geworden!

Oder erinnerst du dich an die ganzen Tage mit Schnee und Eis? Am Anfang, als ich dich gerade kennenlernte, da testete ich mal, wie das ist, wenn man mit dir auf einer geschlossenen Schneedecke bremst. Herrje, da habe ich echt Augen gemacht, wie lang plötzlich der Bremsweg wird! Und an dem einen Tag, wo ich nicht merkte, dass es glatt war und ich in der Kurve plötzlich Richtung parkender Autos getragen wurde. Oh, oh, das ging auch gerade noch mal gut.

Damals war es ja auch, wo ich dir aus Versehen deine erste und einzige Beule eingebraucht habe. Ich muss mich auch heute noch wirklich dafür entschuldigen! Ich hätte wirklich schwören können, dass da nichts war. Diesen blöden, 10 cm hohen Betonpoller auf deiner rechten Seite hatte ich wirklich total vergessen. Tut mir wirklich leid! Das tat mir in dem Augenblick, als es knirschte bestimmt fast genauso weh wie dir, und was habe ich erst über meine Dummheit geflucht. *seufz*

Oder das eine Mal, als ich in die Halbgarage abends einfahren wollte und nicht merkte, dass die Stellfläche nicht ganz oben war. Rumms! Und schon warst du kurz aufgeschlagen. Und was habe ich mich über meinen Nachbarn geärgert! Warum fährt der überhaupt die Rampe hoch, wenn er es nicht ganz macht?! Naja, seitdem habe ich lieber immer geguckt, aber danach ist es natürlich auch nie wieder vorgekommen. Dass du dir richtig dabei weh getan hast, ist mir erst viel später aufgefallen. Naja, zum Glück bist du ja recht stabil gebaut, und so schlimm sieht es doch nicht aus. War es doch nicht, oder?

Oh ja, da kommen lauter alte Erinnerungen hoch. Wie ich mit dir souverän später Eis und Schnee gemeistert habe. Die eine Fahrt in dem kleinen Schneesturm über 250 km werde ich wirklich nie vergessen! Wir zusammen auf der Autobahn und kaum noch einer außer uns. Die anderen waren ja wohl anscheinend alle beim Albaufstieg liegen geblieben. Wir beide waren so schlau, vorm Stau die Ausfahrt zu nehmen und uns über die Landstraße auf die Hochebene zu tasten. Mann, das war ein Erlebnis! Schneeverwehungen, soweit das Auge reichte. Eine Straße, die man kaum noch erahnen konnte. Und wären nicht noch vor und hinter uns Autos gewesen, die vor sich hinschlichen, ich hätte mir wirklich Sorgen gemacht, dass wir beide überhaupt noch irgendwie ankommen und nicht irgendwo im Schnee liegengeblieben wären.

Ich kann mich noch erinnern, wie meine Schwester damals meinte, dass ich jetzt mit dem größeren, schnelleren Wagen jetzt auch das Rasen anfangen würde wie alle anderen auch. Sie ist ja immer sehr zügig mit dir gefahren. Aber wir beide, wir haben gezeigt, dass es auch anders geht. Ich habe dich nie wirklich zurückgehalten, nein, das war es nicht. Aber Rasen um des Rasens willen wollte ich auch nicht mit dir. Warum soll man nicht auch zügig auf der rechten Spur unterwegs sein? Die anderen, die unbedingt schneller fahren wollen, um es mal höflich auszudrücken, was die häufig nicht waren, die sollten ruhig ihr Ding fahren. Mir war das gleich. Ich habe die immer lieber vorbeigelassen, um dann erst herauszuscheren. Seit dem Erlebnis mit dem Pferd hatte ich beschlossen, dass wir beide uns für diesen Stress und das Risiko zu schade sind. Und wirklich lohnen tut es sich sowieso nicht. So viel Zeit gewinnt man gar nicht, aber die wenigsten registrieren das anscheinend bewusst.

Dabei fällt mir ein: Ist es nicht seltsam, dass ich so viel über dich schreibe? Dass ich meinen Trennungsschmerz hier niederschreibe? Von Berufs wegen und auch weil es viel praktischer ist, bevorzuge ich doch eigentlich Bus und Bahn. Eigentlich ist es doch so, dass ich dich kaum gebraucht habe. Es war halt nur praktisch, weil ich in Autobahn-Nähe wohnte und mein Freund auch. Wäre ich in der Stadt gewesen, hätte ich mich vielleicht viel eher von dir getrennt. Aber seien wir ehrlich: Auch wenn das Auto nicht immer die optimale Lösung, die schlechtest ist sie auch nicht immer. Ja, vielleicht haben mich die Jahre mit dir gelehrt, dass man jede Situation, in der man dich benutzen könnte, genau abwägen muss. Welche Alternativen gibt es? Und warum wähle ich die eine und warum nicht die andere? Würde alle Menschen mit deinesgleichen so umgehen, hättest du und die deinen es vielleicht viel einfacher. Autofahren sollte man nicht mit dem Herzen, sondern mit dem Verstand! Oder sollte ich sagen, nicht nur mit dem Herzen?

All die Jahre habe ich mich immer für einen ganz objektiven Verkehrsteilnehmer gehalten, aber heute ist mir klar geworden, dass auch ich ein wenig anfällig für die Droge namens Auto bin. Nein, es wird keinen Nachfolger für dich geben. Jedenfalls nicht jetzt. Denn ganz bin ich nicht von meiner Einstellung abgerückt. Ich möchte dich objektiv sehen, weil ich glaube, dass ich dir damit gegenüber am fairsten bin. Ich trenne mich von dir, weil es dir beste Lösung ist. Wir wissen beide, dass du nicht mehr der aktuellste Stand der Technik bist. Wahrscheinlich würde in den nächsten Jahren sogar die Steuer erhöht werden, weil deine Abgastechnik nicht mehr dem neuesten Stand entspricht. Und so manches Mal merkte ich doch auch, dass deine Bremsen im Vergleich zum neuen Audi meines Freundes nicht ganz so gut greifen. Der technische Fortschritt lässt sich nicht verleugnen. Wir beide werden nicht jünger und manchmal muss man auch ehrlich zueinander sein.

Trotzdem danke ich dir für all die Jahre, die du mir zuverlässig gedient. Nur ein einziges Mal musste ich unterwegs den ADAC rufen, weil eine Sicherung deines ABS kaputt gegangen war, aber damals konnte ich ruhig weiter fahren. Und dass ich die gelben Engel zweimal holen musste, weil deine Batterie zu schwach war, war nicht deine Schuld, sondern meine. Ich hätte dich halt ein ganz klein wenig häufiger nutzen sollen. Nein, ich werde dich in guter Erinnerung behalten. Mein stolzer roter Opel Kadett. Naja, verwaschen rot mit ein paar rostroten Stellen, aber damit bist du ja nicht allein. ;-) Deine Geschwister leiden alle unter derselben Krankheit. Dafür hast du mich technisch nicht im Stich gelassen. Wer kann das schon von den ganzen neuen mit allem möglichen technischen Schnick-Schnack ausgestatteten Wagen immer behaupten?

Nur noch wenige Tage werden wir miteinander verbringen. Der Händler meinte, dass ich mir ruhig noch ein paar Tage Zeit lassen kann. Wenn es vorbei geht, dann wird es schnell sein. Ich muss dich nur abgeben, und das ist dieses gemeinsame Kapitel vorbei. Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass ich noch jemanden für dich gefunden hätte. Aber wer will schon heute noch ein 13 Jahre altes Auto haben? Wir sind in einer Zeit, in der nur die Jugend zählt. Hoffentlich werde ich mit 43 noch nicht zum alten Eisen gezählt, aber wahrscheinlich sollte ich mir darüber lieber keine allzu großen Illusionen machen.

Vielleicht, ja, vielleicht ist das Schicksal, das dir bevorsteht gar nicht so schlecht. Eine Theatervorstellung, bei der du in einem großen Schlußcrash dein Leben aushauchst? Ist das nicht besser, als irgendwo vor sich hin zu rosten oder einfach nur demontiert zu werden? Ist es nicht besser mit einem Knall, einem letzten großen Auftritt aus der Welt zu gehen? Einmal noch wirst du im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, nicht meiner als deine Fahrerin, aber ein großes Publikum, ich hoffe, ein sehr großes ist vielleicht Ersatz genug. Und wer weiß, vielleicht werde ich sogar ein Bild von dir und deinem letzten großen Auftritt in einer Zeitung finden. Ich würde es mir jedenfalls wünschen. Egal, wie du dann aussiehst, ich würde immer wissen, wie gut du mir gedient hast.

Lebe wohl, mein liebes Auto. Diese Woche oder auch die nächste werden sich unsere Wege endgültig trennen. Kein Leben danach mehr für dich, aber hoffentlich ein schöner Tod. Ich werde dich immer in guter Erinnerung behalten.


Zum Weblog