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Der Glasgarten

von

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no doubt

No doubt
 


 


 

Es roch nach frischem Regen und Schuldig hob seine Nase in den Wind. Er und Ran standen auf einer kleinen Anhöhe und sie betrachteten mit düsteren Mienen und gemischten Gefühlen die Vorbereitungen für das Bestattungsritual von Yohji und Jei. Ran hatte darum gebeten einen Spaziergang machen zu dürfen und Schuldig überwachte diesen Vorgang. Wirklich darum gebeten hatte er nicht, er war einfach nach draußen gegangen...

„Gehen wir zurück“, sagte Schuldig nach einer Weile.

„Ich will noch nicht.“

„Schon klar, aber du zitterst und du hast viel Blut verloren. Du musst dich ausruhen oder willst du heute Abend nicht dabei sein und lieber halb bewusstlos im Bett liegen?“

Ran sah finster zu ihm hinüber und Schuldig zuckte darüber lediglich nonchalant mit den Schultern. „Deine Wahl. Ich will dich nicht drängen, ich warte einfach bis dein Körper dir mitteilt, dass dein übliches stures Verhalten momentan unangebracht ist“, sagte er freundlich lächelnd.
 

Schuldig ließ Ran zwar die Wahl aber tatsächlich war es keine wirkliche Option vor allen Kawamoris umzufallen. Diese Blöße würde er sich nicht geben. Vor Schuldig ja, vor anderen nein.

„Gut“, lenkte Ran bissig ein. Schuldig hatte ja Recht aber es war immer noch schwierig das zugeben zu müssen.

„Ich ruhe mich eine Stunde aus und dann kommen wir wieder.“

„Sie schichten das Holz auf.“

„Ich möchte dabei sein“, beharrte Ran düster.

„Lass uns reingehen. Firan hat etwas zu Essen gebracht.“

Ran richtete seinen Blick auf das Gästehaus wo gerade die Tür zufiel.

„Suppe...“, brummte Ran. Schuldig half ihm unauffällig die Stufen hinunter und sie gingen langsam die paar Meter zum Gästehaus zurück. Im Haus wartete Firan auf sie und packte den Korb aus den er mit all den Dingen gefüllt hatte die Ran jetzt essen sollte. Ihm graute es.

Wie er so dastand und auf den Korb blickte fing plötzlich der Raum an zu schwanken, ihm wurde schlecht und dann kippte alles zur Seite. Oh zum Teufel...
 

Schuldig griff nach Ran und ließ ihn vorsichtig nach unten gleiten bevor er ihn rasch auf die Arme nahm und ihn in den hinteren Teil brachte um ihn auf das Sofa abzulegen. Er war blass und ein dünner Schweißfilm hatte sich auf seine Haut gelegt. Schuldig bettete seine Beine etwas erhöht.

„Ich hole Sasuke“, beeilte sich Firan und rannte zur Tür.

„Warte, Firan.“

Firan hielt inne. „Nicht? Aber...“ Firan kam wieder ein paar Schritte zurück. Er wirkte ängstlich und besorgt.

„Er wollte unbedingt zusehen und hat sich übernommen, nichts Neues und sicher geht es ihm gleich wieder besser“, sagte Schuldig.

Firan nickte, schien aber nicht ganz überzeugt. Schuldig öffnete Rans Jacke und schob seinen Pullover samt Unterhemd nach oben. Der Verband war verschwitzt aber die Naht sah in Ordnung aus.

„Kannst du mir neues Verbandszeug von oben bringen?“

„Ja, natürlich!“ Firan eilte die Stufen hinauf ins obere Stockwerk.

Währenddessen konzentrierte sich Schuldig und drang in Rans Gedankenwelt ein. Er war wieder vor dieser hohen Mauer angekommen und befolgte die Instruktionen die er von seinem mysteriösen Helfer bekommen hatte. Er ließ sich in Rans Gedanken treiben. ‚Ran?’

Rans Präsenz schien in weiter Ferne zu sein, sein Bewusstsein war in tieferen Schichten vorhanden und er konnte ihn spüren.

Schuldig fühlte die Erleichterung in sich wachsen und um dieses Gefühl nicht auf Ran zu übertragen verließ er Rans Gedankenwelt schnell wieder. Der schnelle Austritt ließ ihn keuchen und ein heftiger Schmerz explodierte hinter seinen Schläfen.
 

Als Firan mit einer Schüssel Wasser, Handtüchern, Waschlappen und Verbandszeug wieder kam, versuchte sich Ran aufzusetzen und Schuldig lag auf dem Boden. Er bewegte sich nicht.

„Gabriel!“ Firan stellte alles auf dem Tisch vor dem Sofa ab und kniete sich neben Gabriel. Er rüttelte ihn sanft und sah dann besorgt zu Ran, dessen Augen sich weiteten. „Was...?“

Firan stand auf und rannte aus dem Haus. Er lief schnell den Verbindungsgang entlang und ins Haupthaus zum Doktor. Er riss die Tür zum Büro auf und unterbrach ein Gespräch welches der Arzt mit seiner Herrin zu führen schien.

„Verzeihung... “, bat er aufgeregt.

„Was ist passiert, Firan?“, fragte Sakura und erhob sich.

„Er liegt einfach da und wacht nicht auf... und Ran geht es schlecht... ich bin nur kurz Handtücher holen gegangen. Ich war nicht lange weg...“

„Für uns hin.“ Sasuke nickte Sakura zu und sie folgte Firan, während der Doktor in das angrenzende Zimmer ging.

Firan rannte zurück und Sakura eilte etwas langsamer nach. Sie kontrollierte die Schilde der beiden und erkannte, dass sie intakt waren. Also keine allzu große Katastrophe...
 

Ran hatte sich unterdessen von der Couch gequält und saß neben Schuldig. Er fühlte seinen Puls. Dann blickte er auf als er Geräusche an der Tür hörte und Firan hindurchkrachte gefolgt von Sakura... seiner Großmutter.

Firan blieb im Hintergrund und sah zu wie Sakura ihre Hand an Gabriels Hinterkopf legte. Sie schloss die Augen.

„Er ist...“, sie öffnete die Augen wieder und sah Ran an.

„... schwach.“

„Schwach?“, krächzte Ran. Er fühlte sich miserabel und wenn irgendjemand das Wort schwach als Beschreibung für einen Zustand indem sich Schuldig befand verwendete dann... wurde ihm erneut übel.

„Warum ist er... schwach?“

„Hat er telepathischen Kontakt zu dir aufgenommen oder zu jemand anderen?“, fragte sie.

Ran sah sie ratlos an. „Ja... vorhin. Mir wurde schwindlig. Ich denke ich habe mich übernommen. Und ... ich bin umgekippt... denke ich. Er sah zu Firan und dieser nickte.

Dann habe ich gespürt wie Schuldig mich gedanklich kontaktierte. Er war besorgt und dann war er plötzlich weg.“

Sakura seufzte. „Dieser Idiot“, schimpfte sie nachsichtig. Ran runzelte finster die Stirn und sah auf Schuldig hinab. „Was hat er angestellt?“

Sakura lachte herzlich auf und Ran sah von Schuldigs Gesicht in ihres. Auch Firan schien der Heiterkeitsausbruch misstrauisch zu machen.

„Nichts. Er war besorgt um dich, so vermute ich und hat wohl gedacht er vergewissert sich, dass du nicht schon wieder fällst. Er hatte Angst und dieses Gefühl hat ihn dazu getrieben deinen Schild zu überwinden und nachzusehen, ob es dir gut geht. Was dazu führte, dass er sich verausgabt hat und dann ist er mit Sicherheit zu schnell zurückgekehrt und hatte einen Blackout. Dabei ist er auf den Boden geknallt. Und hat jetzt eine hübsche Beule und Kopfschmerzen wenn er aufwacht. Geschieht ihm Recht“, setzte sie ihrer Bestandsaufnahme ein Ende.

Ran hob an Einspruch einzulegen, nur weil jemand Schuldig verunglimpfte. Dieses Recht hatte er allein und sonst niemand.

Bevor er sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte hob Sakura ihre Hand.

„Er hat sich übernommen, da gibt es keine Rechtfertigung. Er hat sich gedacht – wenn er es einmal schafft bewusst deine Schranken zu überwinden geht das jederzeit wieder. Nur... er ist nach deiner Rettung viel zu schwach. Er hat kaum Energie um seinen eigenen Schild zu füllen und wäre Angriffen hilflos ausgeliefert. Er ist ein Idiot. Basta.“

Sie erhob sich und dann traf Sasuke ein. Sakura winkte ab und der Arzt entspannte sich etwas. Zusammen hoben sie Schuldig auf das Sofa. Ran wurde auf einen Sessel in der Nähe quartiert. Er sah sich nach Firan um.

Dieser begann damit Wasser für Tee aufzusetzen und Ran beobachtete diesen Aktionismus mit Sorge. Firans Hände zitterten. Sie hatten dem Jungen Angst gemacht.

„Aber da ist er nicht der Einzige“, hob dann Sakura an und Ran sah mit neutraler Miene zu ihr hinüber. Wenn sie jetzt ihn damit meinte... dann...

„Du bist nicht gemeint, Ran...“

Er erlaubte keinem Muskel in seinem Gesicht eine Regung.

„Sein Vater. Er hat dir sicher etwas darüber erzählt?“

Ran nickte einmal.

Sie sah zu Schuldig hinüber und beide sahen zu wie Sasuke ihn untersuchte.

„Sabin machte in der Vergangenheit viel unnützes Zeug und einen ganze Wagenladung an Unsinn - wenn man ihn nicht daran hinderte und er war findig dabei.“

„Er war besorgt“, verteidigte Ran Schuldig.

Sie lachte freudlos auf. „Tja, das war Sabin auch stets.“

Sie lümmelte sich in den Sessel, die Beine breit, die Arme hinter die Lehnen gepackt. Wie alt war sie? Zwölf? Das brachte Ran aus dem eisigen Konzept und er runzelte die Stirn. Das passte nicht in sein Bild von einer erhabenen Großmutter, Anführerin der Kawamoris einem altehrwürdigen Clan, die Kritiker ins Leben gerufen hatte – wie Schuldig erzählt hatte – und die seine Schwester und ihn im Stich gelassen hatte. Die von seiner Mutter einen abgetrennten Kopf in den Garten gestellt bekommen hatte.

Sie schwiegen eine Weile.

„Er ist kein Idiot“, stellte Ran noch einmal klar.

Sie sah ihn lange an. „Natürlich ist er das. Das sind alle Soulwhisperer. Diese Eigenschaft gehört sozusagen zur Standardausführung“, sagte sie ironisch und seufzte.

Ran korrigierte seine Sitzposition und ließ sich von Firan einen Tee reichen. Er trank automatisch und war tatsächlich überrascht, dass der Tee nicht ganz so schlecht schmeckte wie erwartet.

„Wie ist das gemeint?“ Ran konnte in ihren Worten nichts Witziges heraushören.

„Ihre Grundveranlagung ist, dass sie viel zu freundlich und vertrauensselig sind, um überhaupt überleben zu können. Sie können in der Regel keiner Fliege was zu Leide tun.“

Ran hob eine Augenbraue und sah zu Schuldig hinüber.

„In der Regel“, echote Ran. Das hörte sich an als wären ihr noch mehr Soulwhisperer begegnet...

„Tja. Bei ihm ist da wohl was schief gelaufen“, stimmte Sakura nachdenklich zu.

„Er ist gut wie er ist“, hielt Ran dagegen.

Sie nahm von Firan eine Tasse Tee entgegen und bedeutete diesem sich zu setzen.

Firan schien unsicher zu sein.

„Firan du darfst das hören, es gibt keine Geheimnisse in diesem Haus, wenn wir dich aufgenommen haben.“

Firan zögerte zunächst, setzte sich schließlich und nahm seine Tasse zu sich. Sakura sah zu Schuldig hinüber und dann zurück zu Ran. „Er ist gut wie er ist, und auch wieder nicht. Noch nicht.“

„Und sein Vater?“

„Da gibt es einen entscheidenden Unterschied. Sabin hat nie gelernt mit negativen Gefühlen umzugehen. Wenn sie ihn überraschen dann kann er sich nicht kontrollieren. Er kann damit nichts anfangen. Sie überrollen ihn.“

„Und was tut er dann?“

„Er wird zornig und denkt nicht mehr klar.“

„Und wenn er zornig wird...“

„...dann ist niemand vor ihm sicher.“

„Ist er deshalb eingesperrt?“

„Nein und Ja. Es ist kompliziert.“

„Ist es das nicht immer? Kompliziert?“

Sie schwieg und erhob sich dann.

„Wir verschieben die Bestattung auf morgen.“

„Warum? Wegen mir?“, fragte er mit Bitterkeit in der Stimme.

„Ja, in der Tat. Wegen dir. Es ist wichtig, dass du dabei bist.“

„Ich bin auch heute Abend dabei.“

„Ja. Vielleicht zehn Minuten. Du brauchst noch Zeit.“

„Ich bin bereit.“

„Mit Sicherheit“, sagte sie ernst und ging zur Tür. Ran sah ihr nicht nach.

„Aber du musst noch viel lernen. Und deinen Körper zu vernachlässigen, ihn geradezu zu unterjochen um deinen Willen durchzusetzen bringt dich nicht ans Ziel.“

„Und was bringt mich ans Ziel?“

„Zu gehorchen.“

„Etwa... meiner Großmutter?“

Sie stoppte an der Tür und stöhnte ungehalten auf. „Oh... noch ein Idiot.“

Ran biss die Zähne zusammen um nichts Wütendes zu sagen.

Dann war sie plötzlich hinter ihm und er musste zugeben: er hatte sie nicht kommen gehört.

„Ran. Du musst dir selbst gehorchen. Hör auf deinen Körper. Du leidest an chronischem Energiemangel. Ein Ungleichgewicht ist fatal.“

„Für mich?“

„Ja im Prinzip für alle Menschen, aber insbesondere für uns.“

„Für so etwas wie mich?“

„Für alle PSI. Und ja für uns insbesondere.“

„Was ist an uns anders?“

„Darüber reden wir wenn du genesen bist. Nach der Bestattung?“

Ran nickte. Was sollte er sonst tun? Sie würde ihm ohnehin nichts verraten wenn sie nicht bereit dazu war.

Er hörte wie die Tür ins Schloss fiel und ärgerte sich über seine relativ höfliche Konversation die er gerade mit der Frau geführt hatte, die ihn sein Leben lang ignoriert hatte. Die alle... im Stich gelassen hatte. Wie sollte er sich ihr gegenüber verhalten?

Er wusste es nicht. Sollte er verärgert sein? Das war er. Sollte er sie anschreien? Das konnte er nicht. Einerseits wollte er es, andererseits war sie die Einzige, die ihm viele Fragen beantworten konnte und sie stellte eine Verbindung zu seiner Familie dar.

Ran spürte wie ein Rinnsal Schweiß auf seiner Haut am Bauch entlanglief. Ein unangenehmes Gefühl. Seine Kleidung fühlte sich feucht an.

Er sah zu Schuldig hinüber und wollte sich erheben.

„Ich sehe nach ihm“, hielt ihn Firan mit besorgter Stimme ab, erhob sich rasch, stellte seine Tasse ab und war bei Schuldig. Ran hatte Firan über seine Grübelei fast vergessen. Er sah zu wie Firan es Schuldig bequemer machte und legte seinen Kopf in den Nacken um seine Augen kurz ruhen zu lassen. Ran hasste es Schuldig in diesem wehrlosen Zustand zu sehen.

„Es geht ihm gut“, hörte er Firan.

„Ja“, sagte Ran, ließ seine Augen aber geschlossen. Er schlief zwar nicht ein aber er ruhte sich aus und hörte zu wie Firan ging und dann etwas später wieder ins Haus kam.
 

Er musste eingeschlafen sein, denn er wurde von einem Geräusch geweckt. Sein Nacken schmerzte als er ihn aus der unbequemen Haltung löste und sich umsehen wollte. Vorsichtig massierte er sich die schmerzende Stelle und wandte dann den Kopf etwas schmerzfreier. Bis auf ein warmes Licht in der angrenzenden Küche war es dunkel. Die Couch war leer.

Er blinzelte und versuchte sofort aufzustehen. Ein dumpfer Schmerz in seiner Seite ließ ihn aufstöhnen, dennoch stand er auf. Er konnte sich kaum gerade aufrichten. Behutsam drehte er sich um und atmete bewusst ruhig ein und aus. Schuldig kam gerade die Treppe herunter und erst als Ran Erleichterung erfasste wurde ihm klar wie angespannt er aufgrund der Tatsache gewesen war, dass Schuldig nicht da war.

„Wo ist Firan?“, fragte er um seine Gefühle zu kaschieren.

Ran hielt sich an der Rücklehne des Sofas aufrecht, ihm war zwar nicht schwindlig aber er fühlte sich beschissen. Schuldig sah dagegen etwas besser aus. Überhaupt sah Schuldig robuster aus als noch zuvor. Er kam zu ihm und bot sich als Stütze an was Ran nur widerwillig annehmen konnte. Vermutlich kam jetzt auch noch eine Zurechtweisung über seinen Zustand. Schuldig zog ihn an sich und Ran spürte wie er sich selbst dabei entspannte und er sich etwas besser aufrichten konnte.

„Was hältst du davon wenn Firan hier einzieht?“

Ran legte seinen Kopf auf Schuldigs Schulter ab. Das war gut. Und Schuldig schimpfte nicht mit ihm, das war sogar noch besser.

„Warum nicht? Hat er nicht ein Zimmer? Möchte er das überhaupt?“

„Ich dachte wir könnten ihn besser kennenlernen und er uns. Er spricht gerade mit Sakura darüber.“

„Bleiben wir denn solange um von ‚einziehen’ zu sprechen?“, nuschelte Ran mit halb geschlossenen Augen in Schuldigs Schulter hinein.

„Wäre es nicht sinnvoll hier zu bleiben? Wir können im Moment nicht zurück und wir haben keinen Plan was vor sich geht oder...“

„... was mit uns los ist“, beendete Ran den Satz. Er hörte wie Schuldig seufzte, danach spürte er einen sanften Druck auf seinen Haaren. Schuldig küsste ihn. Eine sanfte Geste, die Ran melancholisch werden ließ. „Ich bin schwach und weinerlich und...“, fing er an sich in Selbstmitleid zu suhlen.

„Oh ja, das bist du...“, bestätigte Schuldig was Ran knurren ließ. Er hob augenblicklich seinen Kopf und sah Schuldig tadelnd an. „Schau mich nicht so an! Du bist schwach... und ich gedenke diese Schwäche aufs Schamloseste auszunutzen um meinem Ruf als Bösewicht gerecht zu werden!“, verkündete Schuldig mit einem dreisten Lächeln auf den Lippen.

„Ruf als Bösewicht?“

Schuldig nickte gewichtig.

„Den hast du verloren. Wer soll dir das noch abkaufen?“

„Daran bist nur du schuld!“ Schuldig zog ein schmollendes Gesicht.

„Sicher“, sagte Ran gelangweilt und hob eine Augenbraue.

„Du...“, fing Schuldig an Ran schlimme Dinge anzudrohen als die Tür aufging und er sich samt Ran umdrehte, was diesen dazu brachte sich an ihm festzuklammern. Er war definitiv nicht fit. Seine Beine kamen kaum mit.

„Firan!“, begrüßte Schuldig ihn.

„Geht es euch gut?“ Firan trug den Korb den er dabei hatte zum Tisch und stellte ihn ab.

Ran löste sich von Schuldig und ging verhältnismäßig aufrecht zum Tisch um sich zu setzen. Fehlte noch, dass Firan ihn für schwach hielt. Dass Schuldig ihm den Stuhl herausgezogen und ihn unter seinen Hintern geschoben hatte ignorierte er gekonnt.

„Hat Sakura zugestimmt?“, fragte Schuldig und stellte Ran ein Glas mit Wasser hin.

Ran stürzte es hinunter und stellte es ab. Er hatte nicht bemerkt wie durstig er war. Bis er von Firan zurück zum Glas sah war es wieder voll. Er war wirklich noch neben der Spur. Hatte er es überhaupt ausgetrunken? Er sah fragend zu Schuldig.

„Ja, das hat sie. Sie sagte, dass es eine gute Idee wäre.“

Firan sah aber nicht danach aus als würde er dem zustimmen wollen oder können.

„Du findest das nicht?“, fragte Schuldig wie nebenbei und half Firan die Lebensmittel auszupacken. Irgendetwas stimmte nicht. Firan behielt etwas für sich und Schuldig ahnte was dies war. Nur war es nicht an ihm etwas zu sagen.

„Doch...“, beeilte sich Firan.

„Aber?“, hakte Ran nach.

„Ich... will nicht stören.“

„Du störst nicht“, sagte Ran. „Ich finde es eine gute Idee und du gehörst eher zu uns als zu... denen“, sagte Ran und hob die Hand um zu verdeutlichen, dass er alle Kawamoris hier vor Ort damit meinte.

„Aber ihr kennt mich doch gar nicht. Ich könnte ein Spion sein. Wieso habt ihr dieses Vertrauen in mich?“

Ran sah Schuldig fragend an, dieser lachte jedoch lediglich und irritierte Firan damit umso mehr.

„Ich habe deine Gedanken gelesen und fand nichts was darauf schließen ließ.“

„Ja... aber... wenn es etwas ist das nicht offensichtlich ist? Wenn Somi etwas mit mir gemacht hat... oder Beltrami und ich nicht weiß was es ist und... sie hier herkommen und euch finden?“

„Glaubst du nicht, dass Sakura oder ich es entdeckt hätten?“

Firan sah sie beide an und nickte dann. Er sah nach kurzem Überlegen überzeugter aus.

„Woran hast du gerade gedacht?“, fragte Ran.

„An sie. An Mia. Sie hätte dieses Etwas entdeckt. Sie ist sehr stark.“

„Und sie ist wer genau?“

„Eine Judge. Sie hat mich befreit und hierher bringen lassen. Sie hätte bestimmt etwas entdeckt, wenn es so gewesen wäre.“

„Eine Judge?“, fragte Ran.

„Spezialagenten wenn du so willst, die für den Rat die Abläufe überwachen, damit alles sauber abläuft. Querschläger werden eliminiert. Dafür brauchen sie keine Extraerlaubnis. Sie bekommen einen Auftrag – ein Mandat – und haben einen großen Handlungsspielraum“, erklärte Schuldig.

„Woher weißt du das?“, fragte Ran.

„Sakura.“

„Warum hat diese Mia dich befreit?“, fragte Ran und Schuldig räusperte sich verhalten. Ran sah zu ihm und Schuldig hob fragend eine Augenbraue. Ran zuckte unauffällig mit den Schultern. Es war kein richtiges Verhör, aber nahe dran.

„Ich weiß es nicht. Das ist das was mir Sorgen bereitet.“

„Wenn sie dich markiert hat kann es sein dass diese Mia jetzt weiß wo du dich aufhältst und bei wem“, gab Schuldig zu bedenken.

„Aber... Judge Mia würde mir kein Leid zufügen.“

„Das vielleicht nicht, aber sie hat einen Auftrag und sie ist mit Sicherheit nicht allein gekommen“, sagte Schuldig.

„Nein. Der Großteil der Judges ist hier.“

„Wie viele sind das?“, fragte Ran.

„Alexandre de la Croix, sein persönlicher Agent Mistral, Bolder, Kimera, Viper, Whisper, Jasper, Grid“, zählte Firan auf. „... und noch zwei andere die ich nicht kenne. Ihre persönliche Entourage nicht mitgezählt. Vielleicht sind noch andere mitgekommen, aber das weiß ich nicht.“

„Sie haben eine... Entourage?“, fragte Schuldig und wollte seine Missbilligung kaum verbergen.

„Ja. Ihr Trakt ist so gebaut, dass sie autark agieren können. Sie beziehen ihre Nahrungsmittel autark, ebenso haben sie einen eigenen Eingang und Fuhrpark.“

„Damit sie nicht Gefahr laufen... was... vergiftet zu werden?“, fragte Ran mit Erstaunen in der Stimme.

„Sie sind angreifbar in vielen Punkten, das sollte ausgeschlossen sein. Judge De la Croix sorgt für alles damit sie sich nicht mit alltäglichen Dingen herumplagen müssen.“

„Judge De la Croix“, sagte Schuldig mit düsterer Stimme und Ran sah zu ihm auf.

„Und diese Judges könnten auf dem Weg hierher sein?“, fragte Ran.

„Nur falls diese Mia ihn markiert hat“, meinte Schuldig nachdenklich.

„Das hat sie“, erkannte Firan und blickte sie beide erschrocken an. „Ich...ich habe ihr... ein Fehlverhalten gemeldet und sie sagte sie markiert mich als Ermahnung und...“ Er schien völlig aufgelöst zu sein.

„Ganz ruhig“, sagte Schuldig und ging zu ihm hinüber. „Hast du Sakura davon erzählt?“

„Ja... ich glaube...?“, sagte Firan und sah verwundert von Ran zu Schuldig.

„Und was hat sie gesagt?“, fragte Ran.

„Sie sagte... dass es keine Rolle spiele.“ Firan hob die Schultern ratlos und ließ sie ebenso ratlos wieder sinken.

„Wegen des Schildes?“, fragte Schuldig in Richtung Ran.

„Was fragst du mich?“

„So muss es sein“, pflichtete Firan bei und schien in Gedanken zu sein.

Ran hob nur zweifelnd eine Braue in Richtung Schuldig, dieser neigte minimal den Kopf. Ein Zeichen, dass auch er diese Begründung anzweifelte, aber sie ohnehin im Augenblick nichts unternehmen konnten. Ohne andere Gründe. Firan im Auge zu behalten war jedoch eine gute Maßnahme.

Und das ganz ohne Telepathie. Ran lächelte, verbarg es aber rasch indem er zu dem Glas Wasser griff und einen Schluck trank.
 

Wenig später kochten Schuldig und Firan ihnen etwas zu Abend und Ran war froh, dass er etwas anderes als Suppe essen durfte. Und er freute sich auf eine Dusche. Und ein Bett. Ein Bett mit Schuldig darin. Nackt am Besten. Er hatte das Bedürfnis nach Nähe, aber zuvor...

„Firan... begleitest du mich nach dem Essen zu Yohji und Jei?“

„Heute noch?“ Firan wandte sich zu ihm um.

„Ja. Ich möchte heute noch zu Yohji.“

„Ich begleite dich.“ Firan nickte. Schuldig schwieg dazu. Weder Firan noch Schuldig ließen eine Bemerkung über seine Wunden fallen – oder die Tatsache, dass er kaum aufrecht stehen konnte.
 

Nach dem Essen begleitete Firan Ran hinüber ins Haupthaus und von dort gingen sie in ein Nebengebäude. Räucherstäbchen waren angezündet worden und Yohji und Jeis tote Körper lagen in ihre weißen Kokons gewickelt da. Die Gesichter lagen frei und waren nur von einem Tuch bedeckt. Ran wollte noch einmal in das Gesicht seines Freundes sehen. Noch ein einziges Mal. Er legte das Gesicht frei und setzte sich auf die Fersen zurück.

Sie sahen definitiv nicht mehr gut aus. Sie waren schon länger tot, das war deutlich zu sehen und es... war tatsächlich Yohji. Es gab keinen Zweifel mehr.

Ran blieb eine Zeit lang dort.
 

Sie gingen wieder als Ran fühlte wie er müde wurde. Es hatte keinen Sinn mehr. Yohji war gegangen.
 

Schuldig war nicht mitgekommen, was Ran verwundert hatte. Hatte er ihn überhaupt gefragt ob ihn der... der Tod der... beiden belastete? Ob er trauerte, wenigstens um Jei?

Ran bekam Gewissensbisse und als sie im Gästehaus angekommen waren saß Schuldig nicht am Tisch. War er oben?

„Gute Nacht, Ran“, sagte Firan. „Bis morgen.“

Ran quälte sich die Stufen hoch, löschte unterwegs noch die Lichter und betrat ihr Zimmer. Schuldig lag zwar im Bett schlief aber noch nicht und er hatte das Nachtlicht angelassen. Ran ging die paar Schritte zum Bett, bevor er sich mühsam hinsetzte. Sein Bauch fühlte sich wie ein einziges hartes Brett an. Er hörte wie es hinter ihm raschelte, dann verließ Schuldig ohne ein Wort das Zimmer und Ran sah ihm mit ungutem Gefühl nach. Warum ging er jetzt? War er wütend?

Hatte er etwas falsch gemacht? Hätte er ihn fragen sollen ob er mit wollte? Hätte er anstatt Firan Schuldig fragen sollen...

Dann kam Schuldig zurück und Ran sah ihn fragend an. Er reichte ihm ein Glas Wasser und zwei Tabletten. „Nimm die hier.“

„Nein, es geht...“

„Die sind winzig, Ran. Du nimmst die Dinger oder ich verhau dir den Hintern. Mir egal wie das aussieht. Böser Mann verhaut verletzten Mann den Arsch.“

Ran zog ein grimmiges Gesicht und starrte die Tabletten an.

„Möchtest du wirklich, dass ich nachhelfe?“, fragte Schuldig und lächelte aufmerksam.

Rans Augenbrauen wanderten nach unten. Seine Mundwinkel ebenso.

Er griff sich die zwei Tabletten und schluckte sie mit Wasser hinunter. Danach legte er sich aufs Bett und blieb in der gekrümmten Seitenlage liegen. Er schloss die Augen und lauschte auf Schuldigs Tun. Dieser legte sich auf die andere Seite des Bettes. „Wie spät ist es?“, fragte Ran.

„Kurz nach neun.“

„Ich... wolltest du mit?“

„Nein. Ich war schon bei ihnen.“

Sie schwiegen und irgendwann bemerkte Ran, dass er sich bequemer hinlegen und besser atmen konnte. „Ich muss duschen“, sagte er und rappelte sich wieder auf. Er sah auf seine Stiefel hinunter und fragte sich wie er nach unten kommen sollte, um sie auszuziehen. Der Gedanke zu duschen schien plötzlich nicht mehr so verlockend.

Er hielt sich die Seite und schnürte mit einer Hand den Stiefel auf bis Schuldig ihm zu Hilfe kam. Dann sah er ihn an und in diesem Blick erkannte Ran so viel von dem was unausgesprochen über diesem Abend lag. Dass sie froh waren, überlebt zu haben und dass sie zusammen in relativer Sicherheit waren. Schuldig kam näher und berührte seine Lippen. Ran hatte nicht bemerkt, wie kühl seine eigenen waren als die warmen von Schuldig Kontakt aufnahmen. Er schloss die Augen und ließ sich umarmen. Die Tränen ignorierte er. Schuldig durfte sie sehen.
 

„Wir haben keine Badewanne hier...“, sagte Schuldig und löste sich von ihm.

„Badeverbot vom Arzt verordnet“, erwiderte Ran an Schuldigs Wange geschmiegt.

„Duschen geht aber.“ Schuldig lehnte ihn etwas nach hinten um ihn ansehen zu können.

„Da ist eine Folie über dem Verband. Sasuke hat daran gedacht“, sagte Schuldig.

Ran nickte und half Schuldig dabei sich auszuziehen. Schlussendlich saß er nackt auf dem Bett und sah zu wie Schuldig sich seiner eigenen Kleidung entledigte.
 

Unter dem warmen Wasser lehnte sich Ran an Schuldig an und für einen Moment entspannte er sich völlig.

„Hast du schon Nachrichten gesehen?“, fragte Ran leise.

„Nein. Ich hab’s bisher vermieden. Es gibt viele Tote, Ran. Sehr viele.“

„Hast du das über das Radio?“

„Nein, von einigen Leuten hier aufgeschnappt. Die Bergungsarbeiten sind schwierig.“

Ran nickte. Dann schwiegen sie und ließen sich von warmem Wasser berieseln.

Schuldigs Hände fuhren über seinen Körper und seiften ihn ein. Genießend rieb Ran seine Nase an Schuldigs Schulter. Sein Gehirn war wie leer gefegt, kein einziger Gedanke wollte sich festsetzen und er war froh darum.

Lange blieben sie nicht dort. Wenig später lagen sie im Bett. Nackt wie es sich Ran gewünscht hatte und hielten sich im Arm. Schuldigs Hand streichelte über seinen unteren Rücken und manchmal auch über seinen Hintern. Rans Haare hatten sie nicht gewaschen, dazu hatte er sich nicht fit genug gefühlt. Sie würden dieses Problem morgen angehen. Trotz dem ihm Schuldig versichert hatte, dass seine Haare nach der Operation vom Blut befreit worden war, rieselten immer noch trockene dunkelrote Flocken aus ihnen heraus. Auf dem Kissen fand er trockenen dunkelroten Staub. „Schneid sie ab. Bitte“, flüsterte er an Schuldigs Haut. Dieser war vermutlich schon eingeschlafen wie sein ruhiger Atem bewies. Ran schlief geborgen in Schuldigs Umarmung ein.
 

Und wachte am nächsten Tag allein im Bett auf. Er hörte Geräusche von unten und legte sich auf den Rücken. Seine Hand ging automatisch an seine Seite. Der Verband schien trocken und in Ordnung zu sein. Vielleicht wurde er das ziepende Ding bald los?
 

Heute war es soweit. Yohjis Bestattung. Ran rief sich Yohjis Gesicht in Erinnerung und tat sich schwer damit dieses mit dem, im Nebengebäude in Einklang zu bringen. Das war nicht mehr Yohji. Es war nur eine verfallende Hülle.

Yohji war zu Asuka gegangen.

Noch während er versuchte Gefühle für diese Gedanken zu entwickeln – denn sie wollten nicht so einfach kommen - hörte er Schritte auf den Stufen. Wieso konnte er jetzt nicht weinen? Das hatte er doch die ganze Zeit getan? Warum jetzt nicht mehr?

Er wandte den Kopf zur Tür als diese sich lautlos aufschob. Schuldig stand im Türrahmen und sah ihn aufmerksam an. „Na, Langschläfer?“

„Wie spät ist es?“

„Elf Uhr durch.“

Ran kniff die Augen zusammen. „Seit wann bist du wach?“

Schuldig kam zu ihm und setzte sich auf die Kante des Bettes. „Seit zwei Stunden.“

„Warum hast du mich nicht geweckt?“

„Weil ich wollte, dass du dich ausruhst. Du willst doch sicher bei der Zeremonie fit sein?“

Ran nickte.

„Da Sakura die Bestattung auf heute verschoben hat bereiten sie das Holz für Yohji erst heute vor. Sollen wir uns das ansehen?“

Ran setzte sich mit einer Hand an der Flanke auf. Es ging schon besser.

Während Ran Schuldig dabei zusah wie er ihm etwas zum Anziehen aus dem Schrank holte versuchte er sein Durstgefühl in den Griff zu bekommen. Er hatte viel zu lange geschlafen. Und auch wenn die Schmerzen etwas besser schienen fühlte er sich wie gerädert. Besser als gestern war es dennoch.

„Schaffst du es allein?“

Ran nickte. „Ja.“

Schuldig verließ das Schlafzimmer und ging die Stufen wieder hinunter. Ran war gerade dabei aufzustehen um sich die Hose hochzuziehen als er zurückkam. Ein Glas Wasser und ... vermutlich irgendwelche Schmerzmittel in der anderen Hand haltend. Während Ran sich um ein langärmliges Shirt kümmerte und sich einen Pullover überziehen musste – laut seinem Krankenpfleger - kümmerte sich dieser um Socken und Stiefel. Danach starrte Ran in Verweigerungshaltung mit entsprechendem Gesichtsausdruck auf die Tabletten.

„Komm schon.“

Ran presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. „Nein.“

Ran sah hoch zu Schuldig. Nur um zu sehen wie auf dessen Gesicht ein Lächeln irrlichterte, das definitiv zu freundlich war.

„Gut. Dann wird Firan sicher sehr besorgt um dich sein und dich den ganzen Tag mitleidig ansehen. Wenn ich ihm dann erzähle, dass du die Tabletten nicht nehmen wolltest, weil du Schmerzen brauchst um dich besser zu fühlen wird er sicher große Augen bekommen.“

„Gib her“, knirschte Ran und steckte sich die zwei kleinen weißen Dinger in den Mund. Er griff unwirsch nach dem Wasser und stürzte alles hinunter. „Du bist so ein Arsch“, sagte er dann und hätte das leere Glas am Liebsten gegen die Wand geworfen. Er sah es an und überlegte noch als Schuldig es ihm wegnahm.

„Vergiss es, Blumenkind.“

Er stellte das Glas außerhalb seiner Reichweite hin und Ran beäugte es, während Schuldig ins Bad verschwand. Das Glas war die Mühe nicht wert sich jetzt dorthin zu quälen, außerdem war dieser impulsive Moment ohnehin vorbei.

Nach ein paar Minuten tauchte Schuldig wieder auf und Ran erhob sich um wieder ins Bad zu gehen. Seine Haare über dem Waschbecken zu waschen war heute eine Tortur, aber duschen wollte er nicht. Als sie damit durch waren und das Föhnen hinter sich gebracht hatten war Ran froh die Pillen genommen zu haben. Still saß er auf dem Bett und wartete erneut auf Schuldig.

Dieser kam mit einer Bürste aus dem Badezimmer zurück.

„Ich kann das selbst“, fühlte sich Ran dazu genötigt dies kund zu tun. Irgendwie hatte er jetzt schlechte Laune und wusste nicht genau warum.

„Sicher kannst du das. Willst du mir den ganzen Spaß nehmen?“

Schuldigs Stimme klang entrüstet und Ran fühlte sich plötzlich schlecht, weil er genau wusste, dass Schuldigs Antwort nur dazu diente ihm ein Lächeln zu entlocken und er selbst dies um jeden Preis verhindern wollte. Er wollte nicht Lächeln.

Schuldig kümmerte sich um seine Haare und flocht sie nicht, wie von Ran erwartet. Stattdessen hörte er das Geräusch einer Schere wie sie durch seine Haare schnitt. Was?

„Keine Sorge, nur ein Stück unten, die sind viel zu lang mittlerweile.“

„Wie weit?“, fragte Ran hoffnungsvoll nach. Von wegen mittlerweile... noch vor ein paar Monaten musste er aufpassen, dass er sich nicht darauf setzte.

Schuldig deutete den letzten Rippenbogen an und Rans Augen wurden größer. Das war definitiv ein Fortschritt. Hatte Schuldig ihn doch gehört gestern Abend?

Es dauerte eine halbe Stunde bis Schuldig endlich fertig war und Ran vermied es in der Zwischenzeit zu nörgeln.

„Lass sie offen“, sagte Schuldig und Ran nickte. Er stand auf und ging ins Badezimmer um sich das Ganze im Spiegel anzusehen.

„Warum hast du sie abgeschnitten? Das waren gute zwanzig Zentimeter.“

Schuldig kam zu ihm und verstaute die Utensilien. Er sah auf. Hatte er gezögert?

„Überlegst du dir eine gute Antwort?“, fragte Ran ihn durch den Spiegel und Schuldig legte die Bürste ab, bevor er hinter ihn trat und sie sich im Spiegel ansahen.

„Sasuke meinte es wäre sinnvoll etwas Gewicht von der Kopfhaut zu nehmen. Es würde dir Schmerzen ersparen. Und ich dachte es würde dich aufmuntern.“

Ran wollte etwas sagen aber schloss den Mund wieder. Es hätte ihn bestimmt noch mehr aufgemuntert wenn sie komplett abgeschnitten worden wären. Aber hätte es das wirklich? Er wäre zufrieden gewesen. Das war richtig.

Firan kam ihnen entgegen als sie das Gästehaus verließen. Er hatte wieder einen Korb dabei.

„Es wundert mich, dass du nicht über seine Kochkünste gestern Abend geschimpft hast.“

„Er kocht gut“, erwiderte Ran beiläufig und seine Augen hatten den aufgeschichteten Holzaltar oder was das sein sollte erfasst. Sie gingen näher und nickten den Leuten zu die ihn aufschichteten. Der andere daneben war bereits gestern fertiggestellt worden. Die beiden Altäre waren mit einem großen Pavillon vor Regen geschützt worden. Obwohl sie heute Glück hatten mit dem Wetter. Es war kühl aber trocken.

Sie schwiegen lange Zeit und beobachteten lediglich die Vorbereitungen.
 

„Warum tust du das alles?“, fragte Ran dann und gab mit dieser Frage einem inneren Impuls nach. Er wusste nicht warum er das fragte aber es schien ihm in ihrer jetzigen Situation wichtig. Warum tat Schuldig so viel für ihn?

„Was meinst du?“ Ran sah zu Schuldig, der hielt den Blick unverwandt auf die Arbeiten gerichtet. Ran folgte diesem Blick. Sano half bei den Vorbereitungen.

Seit wann war er wieder hier? Er hatte von Schuldig erfahren, dass der Mann Sakuras rechte Hand war und spezielle Aufträge für sie erledigte.

„Von Anfang an... hast du mir geholfen. Immer wieder. Und du kannst es nicht lassen. Warum?“

Schuldig sagte erst nichts. Dann... „Ich liebe dich. Gibt’s da noch mehr zu sagen? Ich finde das fast alles schön zusammen. Und ich habe wirklich lange gebraucht um diese Worte auszusprechen“, sagte Schuldig und der Ernst in seiner Stimme ließ Ran aufhorchen. Er hätte jetzt eher eine ironische Antwort erwartet.

„Zweifelst du daran?“, fragte Schuldig dann und Ran hörte etwas aus dieser vertrauten Stimme heraus das ihn alarmierte.

„Nein.“

„Aber?“

Hielt Schuldig den Atem an? Was war mit ihm? Brachte ihn diese Frage so vollständig aus der Fassung?

„Ist es dieser Pakt den wir damals geschlossen haben?“, fragte Ran dann und fürchtete bereits die Antwort.

Schuldig drehte sich zu ihm um und fasste Ran an den Schultern um ihn zu sich zu drehen. Ran ließ sich drehen und sah ihn an.

„Dieser bescheuerte Pakt mit deinen Haaren?“

Ran nickte. „Ich weiß nicht...“, sagte er dann und er hörte seine eigene Hilflosigkeit zwischen den Worten heraus. Er spürte einen Kloß im Hals.

„Nein, Ran. Das ist völliger Blödsinn.“

„Kannst du dich noch an den Wortlaut erinnern?“

„Nein. Nicht wirklich. Außer ich suche danach. Brauchst du den genauen Wortlaut?“, fragte Schuldig unsicher.

„Nein...verdammt... ich...“, Ran wandte sich ab und ging ein paar Schritte auf dem Kies in Richtung Wald.

„Ich erinnere mich daran. Er geht mir nicht aus dem Kopf“, rief er nach hinten.

„Gut. Und was ist damit?“, erwiderte Schuldig in gleicher Lautstärke.

„Du würdest dich in Ketten begeben und dort bleiben wenn ich meine Haare nicht anrühre. So war es doch, oder?“ Er blieb stehen und drehte sich zu Schuldig um.

Dieser hob die Arme in einer Geste der Hilflosigkeit. Ran konnte sehen, dass Schuldig nicht wusste was in ihm vor sich ging.

„Sag mir was du meinst“, äußerte Schuldig seine Verwirrung.

„Was wenn es daran liegt, dass du dich so... verhältst wie du dich verhältst, weil ich meine Haare nicht schneide? Was....wenn...“

Schuldig starrte ihn ungläubig an. „Meinst du das ernst?“

Ran wusste nicht was er sagen sollte. Er drehte sich um und ging energischen Schrittes in Richtung Bäume. Es zog gewaltig in seiner Flanke und Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. „Vergiss es.“

Schuldig folgte ihm, hielt ihn aber weder auf, noch sagte er etwas. Was allein schon untypisch war. Ran wartete lediglich darauf, dass der Schlagabtausch begann.

Doch er kam nicht. Was jedoch kam war, dass er selbst langsamer wurde und irgendwann anhalten musste. Er stützte sich mit einer Hand an einen Baum ab und lehnte sich dann mit dem Rücken an diesen an. Schuldig stand vor ihm und sah ihn fast ängstlich an. Unsicherheit flackerte in den blaugrünen Augen.

„Dann habe ich Recht?“, fragte Ran und er spürte wie Tränen in seine Augen schossen über etwas das er nicht wirklich erfassen konnte. Er wusste nicht warum er jetzt diese Gefühle hatte und um was es eigentlich ging. Stellte er ihrer beider Gefühle in Frage? Warum tat er das jetzt?

„Nein. Hast du nicht. Und dieser Pakt war nur ein Spiel von mir. Das weißt du. Das hat nichts mit dir zu tun, oder meinen Spleen für lange Haare. Dass du dich daran gehalten hast war nur ein Spiel zwischen uns.“

Schuldig bückte sich und zog seitlich aus seinem Stiefel ein Messer hervor. Er kam auf Ran zu und hielt ihm das Messer hin. „Schneid sie ab.“

Ran sah auf das Messer und er schloss die Augen. In diesem Moment liefen ihm Tränen über die Wangen. „Nein. Nein... ich kann nicht.... Niemals... ich...“ Er schüttelte den Kopf.

„Was... wenn ich irgendwelche Fähigkeiten habe die genau das bewirken? Die genau das bewirken, dass du bei mir bleibst und dass du mich liebst... dass du so bist wie du bist... du warst früher anders. Was wenn ich das gemacht habe? Was...“

Schuldig ließ das Messer fallen, streckte seine Hand aus und zog Ran langsam an sich. „Du bist ja völlig von der Rolle, Ran. Das ist nicht passiert. Okay? Das ist nicht passiert. Ja du hast das bewirkt, aber auf andere Art als du meinst. Wir sollten mit Sakura reden und zwar gleich. Okay?“

Ran sagte nichts, er starrte an Schuldigs Arm vorbei das Messer auf dem Boden an.

„Warum willst du eigentlich diese bescheuerten Haare...“

Schuldig seufzte und minutenlang sagte er nichts.
 

„Sie machen dich sanfter. Dein Blick ist hart und manchmal so scharfkantig, dass er wohl Glas schneiden könnte wenn es ginge. Sie locken etwas in dir hervor das dich sanfter wirken lässt. So wie du im Inneren bist, Ran. Dein Äußeres hat sich dem was du getan hast angepasst. Du bist härter geworden. Nur dein Inneres nicht. Es kämpft verzweifelt darum intakt zu bleiben und das hat es geschafft. Aber ich liebe diese Mischung an dir und ich will nicht ohne sie sein. Deine Haare nicht abzuschneiden ärgert dich und das macht mir Spaß. Ich mag es wenn du grummelig bist, das weißt du. Oder?“

Ran nickte.

„Und du hast Spaß daran jede Gelegenheit zu ergreifen um grummelig zu sein. Oder?“

Wieder nickte Ran.

„Es ist nur ein Spiel zwischen uns. Nicht mehr.“

„Wenn das alles nicht passiert wäre dann... dann würden alle noch leben und... nichts von dem wäre...“

„Ran... warte mal... gibst du uns oder dir die Schuld daran, dass Kudou und Jei tot sind?“

„Ich...“, fing Ran an und verstummte dann. Was sollte er sagen? Ja, er gab sich die Schuld.

„Deiner Rechnung nach hast du mich in eine Beziehung gebunden und seither tue ich alles was du von mir willst, inklusive dich zu lieben, weil dich sonst niemand liebt und weil du dir jemand ausgesucht hast der ohnehin weit entfernt von diesem Ideal ist. Und dann hat das Böse begonnen und jetzt sind alle tot. Und du bist schuld.“

Ran stutzte und musste dann fast lachen. „Das klingt bescheuert.“

„Das hast du gesagt.“

Schuldig hob seinen Kopf etwas an sodass Ran ihn ansehen musste. „Also erst einmal habe ich diesen Pakt vorgeschlagen. Zweitens tue ich nicht alles was du willst. Und Drittens haben wir einen langen und beschwerlichen Weg hinter uns gebracht bis es soweit war zu sagen, dass wir einander vertrauen und uns lieben.“

Ran sah in diese grünen Augen und nickte vorsichtig.

„Lass uns zurück zu Firan gehen, er wartet sicher schon.“

Sie gingen gemächlich zurück und Ran beruhigte sich langsam aber er fühlte sich immer noch unsicher und vor allem... schwach. In jeglicher Hinsicht. Wo war seine Stärke hin? Hatte sie je existiert? War er nur in diesem Zeitraum bei Kritiker stark gewesen? Hatten ihn dieser Hass auf Takatori und Schwarz stark gemacht? Und dann... als Aya gestorben war... war seine Stärke plötzlich verschwunden gewesen. Als hätte es sie nie gegeben. Schuldig hatte ihm diese Stärke genommen.

Auf halber Strecke blieb er stehen und sah Schuldig an.
 

Wer war er jetzt?
 

Schuldig musste ihm wohl die erneuten Zweifel angesehen haben denn er schwieg.

„Ich habe ihn nicht retten können“, sagte Ran dann und Schuldig nahm seine Hand und zog ihn vorwärts. „Er wollte nicht gerettet werden. Keiner von beiden wollte das. Sie hatten die Möglichkeit und die Wahl zu uns zu kommen und haben sich anders entschieden. Jei hatte die Gefahr spätestens ein paar Häuser vorher erkannt und sie sind trotzdem weitergegangen.“

Ran sagte nichts mehr und ließ sich ins Haus ziehen. Dort wurde er genötigt etwas zu essen.

Schuldig verließ das Haus und Firan blieb bei ihm. Er sah ihn besorgt an, was Schuldig voraus gesehen hatte.

Kurz darauf kam er wieder und sie gingen zusammen mit Firan ins Haupthaus hinüber. Ran war in Gedanken vertieft und hörte kaum zu über was sie sprachen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KuroMikan
2017-07-04T18:12:32+00:00 04.07.2017 20:12
Hallö :)

omg ich war schon so lang nicht mehr auf mexx online ^^°

Wieder ein wundervolles kaptiel :3
ich finde die stelle mit rans haaren besonders klasse :) (unter anderem weil ich mich selbst gefragt habe an was es liegt XD)

Was ich an deiner fanfiction so sehr liebe, ist das alles stimmig ist... alles passt zusammen und ergibt sinn. Es entwickelt sich weiter und bleibt nie stehn. <3

lg Mikan


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