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Der Glasgarten

von

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Armer, kleiner Yuki

Armer, kleiner Yuki
 


 


 

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Tokyo
 

Die nächsten Tage nach Nagis Gefangennahme war er unfähig sich alleine vom Bett zu erheben. Er befand sich in einem Raum mit Tageslichtsimulation. Zu Anfang war dieser Raum sehr karg. Nach und nach jedoch sammelten sich Gegenstände darin die ihm einen gemütlichen Charakter verliehen. Wer diese Gegenstände hier platziert hatte wusste er nicht. Er hörte lediglich geflüsterte Worte, manchmal drang ein geflüstertes Streitgespräch über die Notwendigkeit diese Dinge hier zu platzieren an seine Ohren, doch er war zu müde um seine Augen zu öffnen. An einem Tag war es ein Strauß aus Blumen, der auf dem kleinen Tisch stand, dann eine bunte Tagesdecke die über ihn gebreitet worden war. Selbst ein bequem aussehender Sessel hatte den Hocker ersetzt der neben dem Tisch stand. Das Angenehmste jedoch war die Musik die von Zeit zu Zeit zu hören war. Sie brachte ihn zum weinen, obwohl er es nicht wollte. Doch jedes Mal wenn die Tränen aus ihm herausströmten fühlte er sich noch müder und erschöpfter als zuvor.

Zeit hatte keine Bedeutung mehr. In manchen Momenten wenn er seine Augen einen Spalt weit öffnete und durch den Schleier seiner Wimpern Bilder erkannte tröstete ihn das und er konnte wieder weiter schlafen. Manchmal sah er Wüstenbilder, dann wieder Laubwälder und Berglandschaften.

Diese tröstlichen Momente scheinbarer Ruhe und Zufriedenheit vergingen und Gedanken über Schuld und Verlust lösten sie ab. Sobald er länger wach war drängte sich ihm seine Schuld auf und ließ ihn nicht mehr los, so vermied er längere Wachphasen und gab dem Gefühl der Müdigkeit bereitwillig nach. Doch in seinen Träumen holten ihn diese Gefühle wieder ein in Form von wirren Bildern und Szenen. Sie vermischten sich mit klaren Erinnerungen und düsteren Aussichten was seine Zukunft betraf. Es gab Momente in denen er nicht mehr wusste ob er seine gegenwärtige Realität noch wahrnehmen konnte, oder ob das was er gerade erlebte nur ein Brei aus alldem war was er bisher erlebt hatte.

Jeden Tag kam ein anderer Judge der ihm bei seinen täglichen Verrichtungen half. Nur halbherzig ließ er sie an sich heran. Immer wenn sie ihn aus seiner Traumwelt rissen wehrte er sich – jedoch vergeblich. Er konnte nicht einmal alleine auf die Toilette gehen. Zu viel war gebrochen, zu viel musste heilen und er hatte kaum Kraft den Arm selbst zu heben. Jeden zweiten Tag kam dieser Alexandré zu ihm. Nagi verstand, dass er ihn heilte und dass es seine Fähigkeiten waren die dies bei ihm bewirkten.

War das der gleiche De la Croix den Schuldig beschrieben hatte? Dieser schlangengleiche, betörende Teufel, der Schuldig zur dunklen Seite verführt hatte? Er konnte nichts davon in diesem Mann finden. Er wirkte eher in sich gekehrt und wortkarg. Und ein bisschen unzufrieden.

Irgendwann konnte Nagi nicht mehr schlafen, irgendwann konnte er nicht mehr liegen und das war der Zeitpunkt in dem er nicht mehr zum Aufstehen gezwungen werden musste.

Nagi hatte von den Judges Kleidung bekommen: ein weißes langärmliges Oberteil mit hohem enganliegenden Kragen - um seinen Hals weiter warm zu halten, wie Mia ihm gesagt hatte und eine weiche fließende Hose, in derselben Farbe. Warum diese Farbe, hatte er Mia gefragt, da er nur sie in seine Gedanken lassen wollte. Die anderen Judges wagten sich aufgrund eines Schildes das Mia über ihn hielt nicht vor.

‚Weil Whisper es für angemessen hält.’

‚Wer ist Whisper?’

‚Eine Judge. Sie kümmert sich um unsere Kleidung. Sie kann gut mit Nadeln umgehen.’

Nagi lag auf der Seite und sein müder Kopf ruhte auf seinem Arm. Er hob seine Lider und sah zu Mia auf.

‚Sie näht damit nicht nur, denke ich.’

‚Am Liebsten näht sie, aber die Nadeln können auch für andere Dinge benutzt werden.’

‚Nadeln. Effektiv und effizient. Aber warum musste es diese Farbe sein?’ Das Gewebe war fast durchsichtig, aus dünner Wolle aber es fühlte sich sehr angenehm auf seiner Haut an und wärmte ihn.

‚Um deine Unschuld und deine Verletzlichkeit hervorzuheben.’

Nagi sah sie irritiert an.

‚Haben Sie ihr etwas erzählt?’

‚Nein. Sie sorgt sich um dich.’

‚Sie sorgt sich um einen Gefangenen?’

‚Ja. Das tut sie. Du musst dich später meiner Gerichtsbarkeit beugen und ich werde über dich richten. Solange du nicht vollständig genesen bist wäre das Urteil moralisch nicht vertretbar.’

‚Ich soll gesund werden damit ihr mich töten könnt?’

Nagi lächelte zynisch.

‚Weshalb töten?’

‚Nun, deshalb ist Rosenkreuz doch hier, um Schwarz zu töten.’

‚Nein. Das ist nicht der eigentliche Auftrag. Und wir sind nicht Rosenkreuz. Wir sind das goldene Kreuz, wir unterstehen dem Rat direkt. Unser Auftrag lautet Rosenkreuz bei der Jagd nach Schwarz zu überwachen und Zuwiderhandlungen unserer Gesetze zu ahnden oder ihnen vorzubeugen. Der Rat möchte Schwarz lebend.’

Die Türverriegelung klickte und die Hydraulik öffnete die Tür. De la Croix erschien im Türrahmen. Mia erhob sich und verließ seine Gefängniszelle - wenn auch luxuriös eingerichtet war es nichts anderes. Er brauchte im Moment auch nichts anderes als diesen Mann der dort im Türrahmen stand denn er nahm ihm die Schmerzen indem er ihn Stück für Stück wieder zusammensetzte.

Und dass obwohl er es unter eigenen Schmerzen tat. Nagi hatte bemerkt, dass es nicht einfach für den Mann war ihn zu heilen. Warum machte er es dann?

Er hatte heute ein Shirt übergestreift und wirkte müde und ausgelaugt, die Uniform trug er nicht mehr. Seine Beine steckten in schwarzen Lederhosen und seine Füße waren nackt. Er wischte sich über das Gesicht und Nagi erkannte, dass er mit seinen Gedanken woanders war.

Ihm selbst ging es heute nicht ganz so schlecht, vielleicht konnten sie eine Pause einlegen?

Der Mann wirkte einschüchternd auf ihn, an manchen Tagen durchbohrten die zweifarbigen Iriden einen Teil in ihm der noch sehr fragil war.

Nagi konnte sich gut vorstellen, dass Schuldig und er nicht nur Schüler und Lehrer gewesen waren, sondern zumindest eine sexuelle Beziehung gehabt hatten.

Schuldig hatte diesen schillernden, eindrucksvollen Mann sicher sehr anziehend gefunden.
 

Der Mann betrachtete ihn lange und je länger er dort an der Tür stand und Nagi anblickte desto unbehaglicher fühlte sich Nagi, vor allem in Anbetracht der Gedanken die er gerade gedacht hatte. Nagi lag auf der Seite, einen Arm unter seinen Kopf angewinkelt, der andere lag vor seine Brust gebettet. Er begegnete dem Blick arglos, dennoch fühlte er sich durchleuchtet.

Mit einem tiefen Atemzug setzte sich der Mann in Bewegung und kam zu ihm. Nagi fühlte sich noch nicht bereit dazu eine Abwehrhaltung einzunehmen. Es schien als wäre er immer noch zu betäubt um irgendetwas zu fühlen. Er lag Stunden einfach nur so da und ließ sich treiben. Keine Lösungsstrategien, keine Gefühlsanalysen, kein Wille zur Veränderung seiner Situation, kein Aufbegehren über die Umstände, kein gar nichts. Warum war das so?

Hässliche Gedanken zogen an ihm vorbei, sie sollten ihn stören aber sie brachten nur erneut eine Art Lähmung hervor, die ihn fest im Griff hielt.

Es war als wäre er in Watte gepackt worden. Hatte Mia mit ihm etwas gemacht? Oder dieser Mann hier?

Der Mann zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu ihm ans Bett. Ein angenehmer Geruch drang in Nagis Nase. Nach Früchten, nach Kräutern, nach Leder und etwas Herbem, welches er nicht einordnen konnte. Er mochte den Geruch. Vermutlich verband er den Geruch mit dem Gefühl von Hilfe, von Schutz und von Unversehrtheit.

„Dein Name ist Yuki, wie dein Vater mir berichtete.“ Zum ersten Mal sprach er über ein anderes Thema als seine Gesundheit. War das ein Verhör?

Nagi nickte. Yuki war in Ordnung, damit konnte er leben. Er stellte fest, dass sein Gehör noch nicht richtig funktionierte.

„Deinem Vater, deinem Bruder und deinem Cousin geht es gut. Sie werden gut behandelt.“

Nagi nickte. Er wollte weder über... über seinen Verrat sprechen, noch über Brad, Schuldig, Jei oder Omi. Wo waren sie alle? Er schluckte angestrengt um die aufkommenden Gefühle im Keim zu ersticken.

Er hatte sie verraten und er wollte dass alles aufhörte, dass diese Gefühle aufhörten ihn zu manipulieren und zu quälen. Er wollte nicht mehr da sein. Er würde... er wäre am Liebsten nur Yuki.

Nie mehr Telekinese. Nie mehr ein Monster. Er schloss die Augen, die Scham in ihm über sein Vergehen brannte so furchtbar grell und heiß in ihm. Er wollte niemandem dabei in die Augen sehen müssen. Fühlte sich so Verzweiflung an?

Schattenhaft nur erinnerte er sich an ähnliche Gefühle, an eine Scham die ihn biss und quälte. Er hatte gedacht diese Zeit überdauert zu haben, sie überlebt zu haben. Aber sie hatte ihn eingeholt und gnadenlos zertrümmert. Er hatte sie gesehen, diese eisblauen Augen. Sie hatten ihn erneut zermalmt.

„Leg dich bitte auf den Rücken. Ich möchte dich untersuchen um die Fortschritte zu begutachten.“

Nagi öffnete die Augen und sah in das ruhige Gesicht welches ihn musterte.

Er stützte sich mit dem Unterarm etwas auf und brach sogleich damit ein. Ein dumpfer Schmerz zog hinauf in seinen Oberarm und seine Finger. Er keuchte. Das war der Arm, den der Mann gestern erst gerichtet hatte. Panisch sah er auf die schmerzende Stelle.

Eine große Hand trat in sein Sichtfeld und legte sich beschützend darauf. „Alles in Ordnung, es schmerzt nur bei Belastung. Ich helfe dir.“

Der Mann drehte Nagi auf den Rücken, ordnete behutsam die Gliedmaßen neben seinen Körper. Das war merkwürdig. Wann hatte er je zugelassen, dass ihm jemand so nahe gekommen war um ihn ungehindert und ohne Kontrolle darüber anzufassen? Jetzt war es egal, denn er hatte nicht die Macht sich zu wehren.

Er war machtlos, der Kontrolle beraubt. Plötzlich frei davon.

Ein seltsames Gefühl. Es ängstigte ihn auf merkwürdige Art und Weise. Während Nagi diesem Gefühl nachging und versuchte es für sich zu ergründen begann der Mann von Nagis Stirn ausgehend über seinen Körper zu streichen. Es lag nichts Unangenehmes oder Ungebührliches in dieser Berührung. An Nagis Ohr verweilte er einen Moment. „Das Trommelfell ist noch nicht in Ordnung.“

Dann strich er weiter über seinen Hals bis zu seiner Kehle. „Die Strukturen heilen gut, du solltest die nächsten zwei Wochen trotzdem noch nicht sprechen.“

Nagi erwiderte den forschenden Blick mit einem folgsamen Nicken.

„Wie sieht es mit der Mechanik aus? Bereitet dir der Schluckvorgang Mühe?“

Nagi schüttelte den Kopf.

„Hast du Hunger?“

Nagi zögerte, wich dem Blick für einen Wimpernschlag aus. Dann schüttelte er den Kopf. Wenn er nichts aß würde er dann sterben? Wäre das der Ausweg?

„Ich möchte dennoch dass du isst. Du weißt sicher selbst, dass du zu wenig Gewicht für deine Größe hast.“

Nagi nickte.

„Das ist kein neues Problem?“

Nagi schüttelte den Kopf.

„Das könnte die Heilung hinauszögern. Dein Körper verbraucht bei diesem Prozess viel Energie. Ich beschleunige nur einige der ohnehin laufenden Prozesse in deinem Körper. Verstehst du was ich meine? Es ist nicht so, dass ich etwas Neues erschaffe, dein Körper heilt sich selbst mit meiner Hilfe. Deshalb brauchst du viel Energie damit ich damit arbeiten kann. Du musst Nahrung zu dir nehmen sonst sind deine Energiespeicher leer und der Heilungsprozess stagniert.“

Nagi nickte.

Die Hand fuhr über seinen Brustkorb, unterhalb der letzten Rippen auf der linken Seite verhielt er. „Die Rippen sind nur angebrochen, das heilt ohne eine Manipulation meinerseits, die Milz darunter hatte einen Riss, das muss ich weiter beobachten, aber die Heilungsrate liegt in einem guten Bereich. Besser als erwartet.“ Er runzelte die Stirn als würde ihn das irritieren, sagte aber nichts dazu. Nagi kam der Gedanke, dass es ihn vielleicht als PSI entlarven würde wenn seine schnelleren Selbstheilungskräfte auffallen würden. De la Croix sagte aber nichts diesbezüglich und Nagi versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

De la Croixs Hand strich weiter bis sie in seinem Schritt angekommen war. Dort verharrte sie. Nagi wusste, dass es ihm sehr peinlich hätte sein müssen aber er fühlte rein gar nichts. Es war ein bisschen so wie damals als Thomas Straud mit ihm Dinge angestellt hatte die ihn verängstigt hatten. Er fühlte sich von sich selbst losgelöst, entfernt. Jemand hatte ihn aus sich selbst entfernt.

„Er hat dir einige Male mit dem Stiefel zugesetzt. Hast du hier Schmerzen?“

Nagi nickte minimal.

„Ich beschleunige die Resorption, es kann etwas warm werden. Scham ist nicht nötig.“

Nagi schloss die Augen und spürte nach einigen Minuten die wohlige Wärme, die jedoch nicht in Erregung umschlug. Die Befürchtung, dass etwas in diese Richtung eintreten könnte nahm er aus einer gewissen inneren Distanz heraus wahr. Nagi schlief darüber ein. Als er aufwachte war er wieder alleine. Erst übermorgen würde der Mann wiederkommen.

Es war ein merkwürdiges Gefühl wenn er daran dachte, dass er diesen Moment herbeisehnte. Er fühlte sich sicher und beschützt wenn der Mann in seine Nähe kam. Auch und vor allem weil er sich danach sehnte beschützt zu werden. Diese Erkenntnis trieb ihn die Tränen in die Augen. Wo war Brad? Wieso hatte er Nagi im Stich gelassen? Warum musste das alles so sein?

Er lag da und starrte vor sich hin, gedankenlos bis die Tür erneut aufging und ihm sein Essen von dem großen Mann gebracht wurde, der sich als Bolder vorgestellt hatte. Er war stets mürrisch und trug einen verkniffenen Gesichtsausdruck zur Schau. Trotzdem half er Nagi in seinen Handlungen umsichtig. Seine riesigen Hände berührten ihn sanft und respektvoll. Ein merkwürdiger Kontrast.
 

So vergingen die Tage, nur dadurch erkenntlich, dass die Simulation an der Wand wechselte.
 


 

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Schuldig war unterdessen mit Sakura und Sano am Haus angekommen. Die Fenster waren gerichtet worden. Sylvia und ihr Team hatten ganze Arbeit geleistet. Es roch nach frischer Farbe und neuen Materialien. Einige der Vorhänge, die Eve gekauft hatte waren gegen ähnliche ausgetauscht worden.

Es sah aus als wäre nie etwas geschehen.

Sakura und Sano sahen sich im Haus um während Schuldig ins Poolhaus trat. Die Stelle an der Kudou gelehnt hatte lag nun unschuldig da und nichts ließ mehr darauf schließen, dass hier gekämpft worden war, oder, dass Jei und der Blonde hier tot gelegen hatten. Das Wasser im Pool war getauscht worden.

Er öffnete die Tür in die kühle Nachtluft hinaus und sah sich um. Rein gar nichts mehr erinnerte an den Kampf. Drei Tage reichten offenbar aus um Spuren dieser Art aus der Welt zu löschen.

Schuldig nahm sich einen Moment und versuchte festzustellen was er fühlte. Doch da war sehr wenig über das er Trauer empfand. Er hoffte, dass dies der Einfluss der beiden Kawamoris war.

Er ging wieder nach drinnen. Auf dem Tisch in der Küche fand er einen Umschlag. Der Stempel von Sylvias ‚Firma’ prangte darauf. Er öffnete ihn und entnahm den Brief.

‚Wir haben uns um ihre Katze gekümmert.’

Er sah sich um. Banshees Fressnapf war halb leer gefressen, das Futter sah frisch aus. Sylvias Männer vermutlich.

Schuldig begann das Haus abzusuchen und fand sie tatsächlich in ihrem Bett. Banshee hatte sich der Länge nach ausgestreckt und lag faul auf Rans Kissen.

„Das war einfach“, sagte Schuldig und stieß einen erleichterten Seufzer aus.

„Banshee“, lockte er und ging zu ihr, sie hob ihren Kopf und kam auf alle Viere um sich ausgiebig zu strecken, dann fasste sie ihn genau in ihre hübschen Augen. „Ja, ich weiß, ich bin nicht Ran...“, meinte Schuldig beschwichtigend. Bei den Diskrepanzen die sie beide, in der Vergangenheit gehabt hatten kam sie dennoch sofort zu ihm. Sie sprang vom Bett und schlich ihm um die Beine. „Ah ja? Und du willst was genau?“, fragte er lächelnd. Keine Ahnung warum aber es war sehr tröstlich sie an sich zu spüren. Er nahm sie hoch und schmuste etwas mit ihr bis Sakura im Türrahmen erschien.

„Eine halbwüchsige Katze?“, fragte sie und die Verwunderung war deutlich zu hören.

„Ja. Rans beste Freundin. Darf ich vorstellen: Banshee.“

„Wer hat ihr diesen Namen gegeben?“

„Weiß ich nicht, aber er passt geradezu erschreckend perfekt“, sagte Schuldig und ging an Sakura vorbei um nach unten zu gelangen.

„Und es ist sicher Zufall, dass sie rot ist und grüne Augen hat“, sagte Sakura ironisch. „Purer Zufall“, behauptete Schuldig und lächelte unschuldig.

Er packte Banshee in ihre Transportbox und übergab sie Sano, der sie in den Wagen brachte.

Dann ging er hinunter in den Keller und öffnete die verborgene Wand um in den Raum dahinter zu gelangen. Er sah sich um und fand Ran und seine Tasche mit Kleidung und anderen Dingen, die sie vielleicht oder auch mit Sicherheit brauchen würden. Dann suchte er nach dem verflixten Bären und fand ihn bei Brads Sachen, die er hier hinunter gepackt hatte. Er nahm ihn an sich und stopfte ihn in die Tasche mit den Dingen die er mitnehmen wollte. Die hintere Ladefläche des SUVs war gut gefüllt als sie fertig waren und sie sich auf den Rückweg machten. Sakura und Sano waren tatsächlich nur als Begleitschutz mitgefahren, insgeheim hatte er gedacht, dass Sakura noch andere Dinge zu erledigen hatte, aber dem war nicht so.

Es wurde bereits hell als sie durch die Stadt fuhren. Die Schäden waren bei Licht betrachtet grauenvoll. Wer hatte ihre Stadt derart angegriffen? Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Clan dahintersteckte.

Die Sonne drang kaum durch die schmutzig wirkenden Wolkenbänke, sie wirkte krank und blass. Sakura und Sano fuhren vor ihm und er sah zu dem Ort an dem Asamis Hochhaus einst gestanden hatte.

Schuldig blickte auf sein Smartphone in der Halterung. „Anruf Akihito.“

Das Freizeichen war lange zu hören. Schuldig kniff die Augen zusammen, denn es kotzte ihn gelinde gesagt an, dass er seine Fähigkeiten in der Nähe der beiden Kawamoris nicht einsetzen konnte. Unklug wäre es allemal.

Dann nahm endlich jemand ab.

„Ja?“

Das war nicht Akihito.

„Woher haben Sie diese Nummer?“, fragte der Mann mit unterkühlter Stimme am Ende der Leitung und Schuldig runzelte die Stirn. War das Asami? Den Mann konnte so schnell wohl nichts umbringen.

„Wo ist Akihito?“, fragte Schuldig langsam. Ihm graute es vor der Antwort.

„Wer will das wissen?“

Schuldig verzog den Mund genervt.

„Schuldig.“

Keine Antwort.

Er wusste ja, dass die Ankündigung so großen Unheils stets Sprachlosigkeit hervorrufen konnte...

„Nun reden Sie schon, Asami. War er im Gebäude?“, fragte Schuldig weit ernster als er vorgehabt hatte, aber er sorgte sich um den Kleinen.

„Sind Sie und Ihresgleichen dafür verantwortlich?“, wollte Asami wissen und die Kälte in seiner Stimme erinnerte Schuldig an Brad. Er schmunzelte über den Gedanken wie ähnlich sich die beiden waren.

„Wir nicht. Meinesgleichen schon.“

„Was wollen Sie damit sagen...“, fing Asami an, doch Schuldig unterbrach ihn unwirsch.

„Was ist mit Akihito?“

Erst sagte Asami nichts, dann schien er es sich anders zu überlegen.

„Er ist verletzt, zudem hat ihn ein gemeinsamer „Freund“ entführt. Sie haben nicht zufällig etwas damit zu tun? Wenn ja...“

„Wow, mal langsam. Er wurde schon wieder entführt? Stellt sich bei Ihnen da nicht eine gewisse Routine ein?“, fragte Schuldig entgegen seiner Worte eher wütend denn amüsiert.

„Nein... aber das sollte es wohl“, stimmte Asami zu und Schuldig hörte ein Seufzen. Huch eine total menschliche Lautäußerung. Unbewusst vermutlich.

„Also wer von unseren „gemeinsamen Freunden“ hat so großes Interesse an einem verletzten ... neugieren Fotografen, der Ihnen gehört?“

„Die Spinne hat ihn“, sagte Asami und Schuldig fuhr an den Rand der Straße und stieg in die Eisen. „Wer hat ihn? Die Spinne?“

War das nicht Asugawas Alias? Einer von seinen Vielen.

„Ich habe nachgeforscht. Es war aller Wahrscheinlichkeit derselbe Mann der Akihito und Sie in meinem Namen aus Fei Longs Griff befreite.“

„Ja...“, fing Schuldig nachdenklich an. „...ich weiß.“

„Sie klingen nicht überzeugt.“

Schuldig sah wie Sakura und Sano sein Zurückbleiben bemerkten und umdrehten.

„Ich frage mich gerade warum diese Spinne... gerade ihr Netz auf diese Art webt.“

Welches verrückte, planlose Ding drehte Asugawa schon wieder?

„Ich nehme nicht an, dass es eine Lösegeldforderung oder irgendeine andere Forderung gegeben hat?“

„Sie nehmen richtig an. Lediglich ein Zettel mit einer Botschaft und einem dahingekritzelten Konterfei einer lachenden Spinne. Ich habe mich darüber informiert. Die „Spinne“ treibt ihr Unwesen überall. Was will sie ausgerechnet von Akihito oder mir?“

„Keine Ahnung. Sie arbeitet im Auftrag nehme ich an.“ Eine Ahnung hatte er wirklich nicht, aber das Ziel der Spinne kannte er: Crawford. Und so harmlos er Asugawa eingeschätzt hatte so falsch lag er vielleicht. Sakura sah in ihm etwas anderes als Schuldig oder Brad. Was hatte er vor?

„Was stand in der Botschaft?“

„Ich leihe mir Akihito aus, Sie bekommen ihn wieder wenn ich habe was ich will. Einen schönen Tag.“

„Das klingt nicht sonderlich aufschlussreich für mich.“

„Für mich ebenfalls nicht.“

„Wie hat er es geschafft an ihren Männern vorbeizukommen? Oder haben Sie entgegen meiner Annahme Akihitos Überwachung minimiert?“

„Wir wissen es noch nicht. Die Überwachungskameras haben nichts aufgezeichnet, aber ich fürchte Akihito hat sich entgegen meiner... Empfehlung aus der sicheren Umgebung entfernt um seiner Profession nachzugehen. Er äußerte reges Interesse an den Vorfällen und seinen Missfallen über die verhängte Ausgangssperre. Ich vermute er hat sich davongeschlichen und die Spinne nutzte diesen Umstand für ihre Pläne.“

„Hmm... oder die Spinne lockte ihn mit Informationen von Ihnen weg.“

„Auch eine Möglichkeit. Wir haben momentan noch andere Probleme um die wir uns kümmern müssen.“

„Die da wären?“

„Einige unserer Männer wurden von Mitgliedern der Sakurakawas nach dem Chaos welches sich an die Explosionen anschloss angegriffen.“

„Sie nutzen die Situation aus.“

„Wer hat mich angegriffen? War es der Clan?“, kam Asami zum Thema zurück. Schuldig beobachtete wie Sakura von ihrem Motorrad stieg und zu ihm kam.

„Meinesgleichen, wie Sie bereits sagten. Sie waren nicht das primäre Ziel“, meinte Schuldig mit abwesender Stimme.

Warum tat Asugawa das?

„Wer dann?“

„Wir. Schwarz.“

„Wo ist Ihr Boss?“

„Entführt.“

„Von wem?“

„Meinesgleichen, Asami.“

„Eine Jagd?“

„Ein Krieg.“

„In meiner Stadt?“

Schuldig rollte mit den Augen.

„Sicher. Es ist auch meine Stadt.“

Schuldig öffnete die Tür und stieg aus.

„Es ist ein Orden, Asami. Sie nennen sich Rosenkreuz und sie haben den Clan vor langer Zeit infiltriert. Erinnern Sie sich an unser erstes Treffen, wir warnten Sie genau davor. Nur wussten wir damals noch nicht wer uns im Visier hat.“

„Warum gerieten Sie in dieses Visier?“

„Angeblich geht es dem Clan darum Japan vor Invasoren zu schützen“, sagte Schuldig.

„Fanatiker sind eine gute Ausgangsposition. Um jedoch was zu tun?“

„Uns zu jagen?“

„Und deshalb sprengen sie Gebäude in die Luft und töten eine Vielzahl von Menschen?“

„Das wissen wir noch nicht. Ich persönlich vermute ein Ablenkungsmanöver oder die Vernichtung von Kritikeragenten.“

„Kritiker. Das Thema hatten wir bereits. Ich kann nicht sagen, dass ich es bedauerlich finde.“

„Ich verstehe Ihre Beweggründe, allerdings muss ich sagen, dass wir Kritiker brauchen. Falls noch welche von ihnen übrig sind, was ich bezweifle.“

„Sie verbünden sich mit Kritiker?“

Schuldig schwieg.

„In gewisser Weise taten Sie das bereits vor ein paar Monaten“, bemerkte Asami.

Schuldig lachte. „Sie meinen Abyssinian?“

„Ja.“

„Keiner möchte, dass Telepathen, Telekineten und andere Menschen mit ähnlicher Begabung durch die Straßen ziehen und Chaos verbreiten.“

„Das heißt sie könnten jeden der Clans infiltriert haben?“

„Ja. Auch ihren, Ryuichi.“

„Was kann sie aufhalten? Wie soll ich das feststellen?“

„Momentan kann sie keiner aufhalten. Ich selbst bin von der Bildfläche verschwunden, es sind zu viele. Feststellen können Sie es nicht, derjenige, der übernommen wurde kann sich gegen die geistige Übernahme nicht wehren. Verhalten Sie sich normal und versuchen Sie dem ganzen irgendwie aus dem Weg zu gehen um die Verluste gering zu halten.“

„Dieser Orden will nur Schwarz?“, fragte Asami.

„So sieht es aus.“

Asami lächelte, Schuldig konnte es hören. Er verzog den Mund bedauernd.

„Ich erinnere mich an unser letztes Treffen. Sagen sie nicht, falls Schwarz nicht mehr existiere, würde diesen „Feinden“ nichts mehr im Weg stehen weder eine Regierung noch eine Organisation.

Und jetzt? Was macht Sie so begehrenswert, Mr. Schuldig?“

Schuldig lächelte geschmeichelt und wollte seine Vorzüge gegenüber Asami anpreisen als dieser ihn unterbrach.

„Für den Orden, Mr. Schuldig“, brachte Asami Schuldig wieder auf Kurs.

„Ein Hellseher im Team ist immer ein Gewinn. Crawford hatte nicht vor diese Macht an eine Organisation allein abzugeben. Deshalb war es für alle Beteiligten in der Vergangenheit besser uns in Ruhe zu lassen.“

„Als wir uns vor einigen Monaten trafen hatte diese kleine Jagd auf sie begonnen, sie endete mit der Zerstörung und dem Tod vieler Menschen.“

„Ich fürchte, dass dies noch nicht das Ende ist...“, sagte Schuldig nachdenklich.
 


 

Anderenorts...
 

Die Lagerhalle war perfekt für sein Anliegen und es lief alles wie am Schnürchen. Zum ersten Mal seit Langem wie er zugeben musste. In ein paar Stunden würde der erste Höhepunkt seines Plans starten und er war wirklich guter Dinge... wenn nicht...

Ja, wenn nicht dieses ewige Gejammer im Hintergrund wäre.

Er stellte das Glas Wasser ab, das er dem Ärgernis gerade bringen wollte und sah auf. Er fasste den jungen Mann ins Auge der sich zu besagtem Ärgernis entwickelt hatte. Er musste ihn noch vorbereiten und das würde ein hartes Stück Arbeit werden.

Das Gejammer verstummte augenblicklich und seine kleine Beute stillte die unnützen Versuche sich zu befreien.

„Wer sind Sie?“

Schon wieder diese Leier?

„Niemand den du dir lange merken musst“, sagte er mit Ungeduld in der Stimme.

Der Junge ließ die Mundwinkel hängen.

„Sie können ja doch sprechen“, sagte er eine Spur zu giftig.

„Diesen kleinen Erfolg kannst du deinem endlosen Geplapper zuschreiben.“

„Was wollen Sie von mir?“

„Ich brauche nur deinen Körper und deinen Willen.“

Unsicherheit flackerte in den Augen die schon für sein Alter bei weitem zu viel gesehen hatten.

„Wofür?“

Finn ging näher und stützte seine behandschuhten Hände auf die Lehne des Sessels ab an den der Junge gefesselt war. Er wich unnützerweise etwas vor ihm zurück.

„Oh... nun keine Angst nichts was du nicht tun kannst. Du bist es schließlich gewohnt deine Beine breit zu machen, deinen Arsch hinzuhalten und um einen guten Fick zu betteln. Ich erwarte also nichts Unmögliches von dir.“

„Und dafür brauchen Sie mich?“, haspelte der Junge.

Finn lachte und richtete sich wieder auf. Er musste zugeben, dass der Kleine sich schnell gefangen hatte. „Sicher. Du bist begehrt. Es ist gefährlich sich mit Asami Ryuichi einzulassen, er hat Feinde und Neider.“

„Wer hat sie angeheuert?“

Finn lächelte ungesehen von dem Jungen denn sein Gesicht steckte noch unter einer Kapuze, das Licht in der Lagerhalle war zu spärlich und seine Kriegsbemalung offenbarte nur wenig von ihm.

„Der Hellseher.“

Der Junge verstummte und runzelte die Stirn. „Sie sind der Kerl der angeblich von Asami beauftragt Schuldig und mich aus China befreit hat.“

„Sehr aufmerksam, junger Mann“, lobte Finn. „Sie haben Schuldig als ihr Schoßhündchen bezeichnet.“

„Nun... das war vielleicht etwas zu hoch gegriffen. Ein ganz kleines Bisschen“, sagte Finn lächelnd.

„Was ist mit Schuldig? Der „Hellseher“ war dabei als sie zusammen mit... Abyssinian Asami besuchten. Oder ist das nur ein bescheuerter Alias für irgendeinen durchgeknallten Typen für den sie arbeiten? Eine weitere verrückte Gruppe in dieser verrückten Stadt.“

Finn seufzte. Langsam verstand Finn warum Asami den Jungen bei sich behielt. Er war hübsch, ja, aber er hatte auch einen scharfen Verstand.

„Kein Alias. Und ich habe keine Ahnung wo sich Schuldig aufhält.“

„Und was ist mit... mit dem... Katze... also mit dem Mann mit den langen roten Haaren, mit Abyssinian?“

„Leider kann ich darüber auch keine Auskunft geben“, heuchelte er Bedauern.

„Und was will der „Hellseher“ von mir? Was soll ich tun?“

„Das sagte ich bereits.“ Finn zog sein Messer und löste die Schlaufen die seine gebundenen Hände am Stuhl festhielten.

„Los, auf mit dir, wir müssen dich hübsch machen.“

Er zog den Jungen vom Stuhl und brachte ihn hinüber zu einer Kommode auf der Kleidung lag.

Er löste die Fesseln und zeigte mit dem Messer auf die Kommode. „Zieh das an. Er steht drauf.“

„Wer?“

„Wirst du noch früh genug erfahren.“

Wiederwillig begab sich Akihito in Richtung Tisch. „Soll das ein Witz sein? Das zieh ich nicht an!“

„Möchtest du, dass ich dir behilflich bin?“, fragte Finn freundlich und zog einen seiner Kurzdolche hervor. Akihitos Blick fiel darauf, ja wurde regelrecht davon gebannt.

„Mach schon.“

Akihito begann sich auszuziehen. „Die Frau die mir die Bilder gegeben hat und die Informationen hatte... arbeitet die mit Ihnen zusammen?“

„Sicher tut sie das“, gab Asugawa bereitwillig Auskunft. „Und der alte Mann?“

„Welcher alte Mann?“ Finn sah gespielt überrascht auf.

„Vergessen Sie`s“, erwiderte Akihito hitzig.

„Glaubst du denn der Hellseher hat nicht sein eigenes Netzwerk oder seine Leute und arbeitet allein?“

„Ich weiß nicht... seine Freunde... sie... Schuldig würde seinen Boss nicht im Stich lassen.“

„Und das weißt du... woher? Weil du Schuldig so gut kennst?“

Finn lächelte spöttisch.

„Oh... hoffst du er rettet dich? Oder dein geliebter Asami würde das tun?“

Akihito schwieg, er erkannte wohl eine rein rhetorische Frage wenn sie ihm über den Weg lief.

„Keiner wird komm...“

Etwas summte in seiner Tasche und Finn zog sein Telefon aus der Tasche. Akihito unterbrach das Auskleiden und sah ihn vom Boden her aus lauernd an während Asugawa das Gespräch annahm. „Mach keine idiotischen Sachen, Kleiner. Ich brauch dich zwar lebend aber verletzt reicht vollkommen aus.“

Akihito zog ein missmutiges Gesicht.

„Ja?“

„Wo bist du?“, fragte Schuldig und Finn musste schmunzeln. In den letzten Tagen hatte er einen Teil der Truppe tatsächlich vermisst. Sie verbanden ihn mit Brad.

„In der Stadt.“

„Ja, das war irgendwie klar“, sagte Schuldig und Finn hörte ein ungehaltenes Schnauben.

„Um was genau zu tun? Hast du eine Spur?“

„Dies und das... und ja ich habe eine Spur.“

„Du machst mich wahnsinnig, Asugawa!“, brüllte Schuldig unbeherrscht ins Telefon. „Warum?“, fragte Finn wesentlich gelassener und spürte bereits als er das Wort formuliert hatte, dass dies auch so ein Wort war um Schuldig weiter in den Wahnsinn zu treiben.

„Hat dieses „dies und das“ zufällig damit zu tun, dass du Akihito entführt hast? Und wenn Ja zu welchem verdammten Zweck?!“

Finn wedelte mit dem Dolch um Akihito weiter dazu zu animieren sich fertig umzuziehen.

„Das hat es tatsächlich und ich kann das jetzt nicht mit dir erörtern ich bin nämlich beschäftigt.“

„Mit was, verdammt?“

„Ich habe einen Plan!“, sagte Finn in feierlichem Tonfall.

„Du hast was?“, schrie Schuldig ihn missgelaunt an und Finn hielt übertrieben empfindlich das Telefon von seinem Ohr.

„Hör auf mich anzuschreien. Ich habe einen Plan!“, wiederholte er.

„Jeder hat einen Plan bis er auf die Fresse bekommt! Beinhaltet dein Plan etwaige Kollateralschäden?“

Finn stutzte. „Zitierst du gerade Mike Tyson?“

„Sicher. Und bei dir trifft dieses Zitat Haargenau zu. Deine Pläne...“

„Ah...“, unterbrach Finn als hätte er sich gerade daran erinnert den Herd angelassen zu haben. „...entschuldige mich bitte, sobald ich mehr weiß, bist du der Erste der es erfährt. Bye Bye.“

„As....“

Finn legte auf.

„Wer war das?“, fragte der neugierige Fotograf und Finn legte den Kopf schief. „Wirke ich auf dich, als wäre ich irgendwie umgänglich oder geduldig oder gar versucht Mitgefühl für deine Situation zu entwickeln?“, fragte er in einem ernsten Tonfall.

„Irgendwie... nein.“

„Nun, dann verstehen wir uns. Beeil dich.“

Als Akihito umgezogen war, was eine gefühlte Ewigkeit gedauert hatte, fesselte Finn ihn wieder an seinen Stuhl.

„Warte hier“, sagte er und ging dann. Akihito hörte wie er die Stufen in ein anderes Stockwerk ging. Er vermutete nach unten.

„Sehr witzig“, brummte Akihito und versuchte eine Schwachstelle in seiner Fesselung zu finden. Was ihm nicht gelang.

Er hörte drei Stimmen, die sich unterhielten. Eine Frau und zwei Männer. Dann kam jemand die Treppe wieder hinauf, während die anderen sich weiter unterhielten.

Der Typ war irre, das konnte er sagen. Schon allein aufgrund seiner abnormalen Bewegungen. Er trug ein Kostüm aus schwarzen und weißen Flicken. Glöckchen klingelten als er sich zu ihm hinbewegte und Akihito zurück wich... eine Harlekinmaske... eine venezianische Harlekinmaske kam ganz nah an sein Gesicht heran und die Augen waren in der Schwärze die ihn anblickte kaum zu erkennen. Es gab keine weiße Bindehaut, nur Schwärze? Waren das Kontaktlinsen? Oder ... war er wie Abyssinian? Etwas, das nicht der Norm entsprach?

Die Spitzen der schwarz-weißen Maske waren mit kleinen Glöckchen verziert. Die Maske des Harlekins lächelte ihn freundlich an. Er richtete sich wieder auf und verschränkte die Arme vor der Brust, nur um ihn scheinbar nachdenklich zu betrachten. Von unten hörte er einen ungeduldigen Ruf. „Nun mach schon, es geht los!“

Der Harlekin breitete die Arme aus und hielt die Handflächen nach oben, bedauernd schüttelte er den Kopf. Selbst pantomimisch war klar, dass er es wohl bedauerte. Ganz konnte ihm Akihito dieses gespielte Bedauern nicht abnehmen.

Der Harlekin löste die Fesseln, verbeugte sich und wies in Richtung Treppe. Verunsichert sah er zu ihm hin, doch lediglich schwarze Orben blickten ihn aus der lächelnden Maske an. Die Glöckchen blieben stumm.

Erst als sich Akihito in Bewegung setzte folgte ihm das zarte Klingeln. Er ging nach unten. Ein Van stand mit geöffneten Türen in der Halle und wartete offenbar darauf, dass er einstieg. Er sah sich um... vielleicht konnte er...

Dann packte ihn eine Hand im Nacken und er stillte den Versuch zu fliehen und bestieg den Van. Seine Hände wurden an eine Leiste aus Metall gefesselt. „Wo fahren wir hin?“

Der Harlekin antwortete nicht und verschloss die Tür mit einem endgültig klingenden Geräusch. Verdammt, was zum Teufel hatten diese Irren mit ihm vor?

Von seiner Tapferkeit war nicht mehr viel übrig nach dem Blick in diese bodenlosen schwarzen Tiefen. Er hatte Angst.
 


 

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Heute würde er sein Gefühl der Sicherheit verlieren, das wusste Nagi ganz genau. Angst, die gänzlich irrational daherkam hatte sich seiner bemächtigt. Lange hatte er sie nicht mehr gefühlt. Vielleicht als sie gedacht hatten, dass Schuldig in China getötet worden war.

Er konnte wieder laufen. Welches Datum sie hatten wusste er nicht, er wusste oft nicht einmal in welchen Zeiträumen er agierte. Manchmal dauerte es eine Ewigkeit bis er in der Dusche ankam und ob es abends oder morgens war interessierte ihn nicht sonderlich. Die Tageslichtsimulation war das Einzige das ihm einen gewissen Rhythmus anzeigte.

Dann wurde veranlasst, dass er in die anderen Zellen wechselte. Zu seiner „Familie“, wie es hieß. Er folgte dem riesigen Mann, den sie Bolder nannten durch den Komplex, über Fahrstühle in einen anderen. Hier war es düster und weit weniger komfortabel. Er nahm es hin wie er alles hinnahm ohne darüber nachzudenken. Es war als wäre sein Gehirn lahmgelegt worden. Er dachte zwar über einige Dinge nach aber sie beschäftigten ihn nicht wirklich. Sie glitten an ihm vorüber ohne dass er Gefühle dazu hatte oder sie ihn kümmerten. Wer war er jetzt?

War er noch Nagi Naoe? Oder etwas anderes. Etwas das keinen Namen mehr hatte.
 

Bolder führte ihn an drei Plexiglaszellen vorbei, die mit bläulichem Licht nur marginal ihre Insassen preisgaben. An der Vierten hielt er an und öffnete die Tür. In die Zellen war Bewegung gekommen, die Männer waren an die Scheiben getreten und verfolgten sein Ankommen. Nagi betrat die Zelle und zog sich an die hinterste Ecke zurück. Er setzte sich langsam hin, zog seine Beine an den Körper und legte die Stirn darauf. Seine Rippen schmerzten in dieser Haltung.

Er hörte Stimmen die aufgebracht schienen, die ruhigere stammte von Bolder.

„Es ist eine Anweisung von Alexandre de la Croix.“

„Er ist ein halbes Kind.“

„Er ist fast genesen.“

Nagi hörte nicht mehr zu, er kuschelte sich in seine Kleidung, die ihm tröstlich erschien, sie lag wunderbar weich auf seiner Haut an. Als Bolder gegangen war versuchten die Männer Nagi zum Sprechen zu bringen aber er wandte ihnen nur seinen gekrümmten Rücken zu und verbarg sein Gesicht. Er durfte nicht sprechen und wollte es auch nicht. Er wollte nie wieder sprechen. Seine Gedanken hatten Brad verraten, hatten seine Familie verraten. Er fühlte Tränen in sich, aber sie kamen nicht heraus.

Die Zeit verging und wurde nur abgewechselt von den Augenblicken in denen sie etwas zu Essen bekamen, regelmäßig wurde er herausgeführt und durfte auf die Toilette gehen.
 


 

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Alexandré ging gemessenen Schrittes durch den Komplex der Universität. Der Bericht an den Rat hatte ihm zugesetzt. Die Mitglieder waren nicht gerade begeistert von der Tatsache, dass Prodigy tot war. Einige brachten gar ihr Entsetzen über diesen Umstand zum Ausdruck. Alex fühlte mit ihnen. Laut dem Bericht von Straud konnten sie des Hellsehers ebenfalls nicht habhaft werden, er starb angeblich im Kugelhagel als er sich der Festnahme widersetzte. Alex hatte das nicht geglaubt. Sie waren zu dem Haus gefahren in dem sich Crawford aufgehalten hatte. Das Haus war verwüstet, Blut klebte an vielen Wänden, keine Leichen waren zu sehen, aber es war allen klar, dass hier Menschen gestorben waren. Mia sagte, dass sie Restspuren der verbliebenen Schwarzmitglieder erkennen konnte. Aber wo Schuldig und Berserk waren konnten sie nicht eruieren. Und vor allem wo Crawfords Leiche war erschloss sich ihnen nicht.

Die Regierung hatte den Notstand ausgerufen. Über der Stadt war der Ausnahmezustand verhängt worden und das Militär war überall in der Stadt anzutreffen. Einige Gebäude brannten immer noch und die Lösch- und Bergungsarbeiten waren in vollem Gange. Für Viele kam jede Hilfe zu spät.

Alex hatte den Verdacht, dass Straud sie in die Luft gesprengt hatte. Das Gebäude in dem die Kawamoris ihre kleine Untergrundklinik betrieben hatten war in sich zusammengefallen. Die Zahl der Toten stieg weiter und es waren schon über fünfzehntausend alleine in den ersten Tagen zu vermelden gewesen. Jemand hatte mehrere Gebäude in der ganzen Stadt mit Sprengstoff verdrahtet und sie in dieser schweren Unwetternacht hochgehen lassen. Aus anderen Städten war Ähnliches zu vermelden. Die Flüge waren komplett gestrichen und die Insel war von der Außenwelt abgeschnitten worden. Das ganze Land watete knöcheltief in Blut. Andere Länder hatten ihre Hilfen angeboten.

Zwei Flughäfen waren komplett in die Luft geflogen unter anderem Narita. Sie saßen hier fest, zumindest wenn sie nicht ein Flugzeug kapern wollten. Was nicht schwer war. De la Croix wusste, dass es hässlich werden würde, aber das war pures Chaos. Eine derart logistische und akribische Mission wäre vor Sicherheitspersonal niemals verborgen geblieben, es sei denn sie waren durch PSI manipuliert worden. Ein Hochhaus so präzise zu sprengen... wie konnte das passieren ohne dass es jemand bemerkte? Eine Vielzahl von Sprengsätzen hätten genau platziert werden müssen. Nach Alex Meinung mussten PSI dahinterstecken.

Als er Straud darauf angesprochen hatte wurde dieser wütend und behauptete, dass er diese Anschuldigungen nicht auf sich sitzen lassen würde und ob Alex ihm Verrat vorwerfen würde. Alex musste vor den Ratsmitgliedern zurückrudern, da er keinerlei Beweise für seinen Verdacht vorbringen konnte. Sie wiesen ihn an sich mit seinen Anschuldigungen zurückzuhalten und sich zu mäßigen. Die Nachricht, dass sowohl der Hellseher als auch der Telekinet bei ihrem Zugriff – den Somi verantworten musste – getötet worden waren ließ einige Mitglieder offen an der Mission zweifeln, was sehr unüblich war im Beisein von Straud und ihm. Schuldig und Berserk sollten noch in Gewahrsam genommen werden, Priorität hatte jedoch Schuldig. Wie immer war Straud wie aus dem Ei gepellt vor den Rat getreten. Makellos sein Auftreten, eloquent seine kleine Ansprache, die er an den Rat gerichtet hatte. Straud räumte tatsächlich Fehler ein und der Rat hatte ihn daraufhin abgezogen. Er solle sich zurückhalten und den Judges alles weitere überlassen. Dem stimmte Straud zu, was Alex verwunderte. Seit wann gab dieser Mann so einfach auf?

Alex zweifelte die Tatsache an, dass Bradley Crawford tot war und Straud seine Finger bei seinem Verschwinden nicht im Spiel hatte.
 

Während er die Besprechung mit den Ratsmitgliedern Revue passieren ließ und das Tor in ihren Trakt passierte wurde er von Stream gerufen.

‚Alex’

‚Ja.’

‚Die KI meldet zunehmenden Aufruhr in den unteren Zellen.’

‚Inwiefern?’

‚Der Arzt und seine Männer scheinen auf etwas aufmerksam machen zu wollen.’

‚Darum kann ich mich nicht kümmern. Schick Somis Männer dorthin.’

‚Ich verstehe.’

Alex wurde wütend. Was verstand Stream? Dass es ihn einen Dreck scherte was mit diesen Männern war? Er musste sich um andere Dinge kümmern.

Wütend ging er in ihren Aufenthaltsraum und ließ sich auf einen Sessel fallen. Er brütete vor sich hin. Sein anfänglicher Enthusiasmus hatte sich mit Prodigys Tod in Luft aufgelöst. Damit war er wieder bei Null angekommen. Was machte es jetzt noch für einen Sinn sich weiter um diesen Ratsauftrag zu kümmern?

Jetzt war noch der Hellseher verschwunden – unabhängig davon ob tot oder lebendig. Vom Punkt abgesehen, dass sich diese Mission zu einem Desaster auftürmte, dass sehr viele Menschen sterben mussten und sie immer noch keinen Überblick über die Situation und die verschiedenen Fraktionen hatten besorgte ihn mehr die Tatsache, dass Straud viel zu Handzahm gewesen war als es darum ging ihn abzuziehen. Was sollte er sich da noch groß Sorgen um irgendwelche Gefangenen machen?

Es kümmerte ihn nicht was mit diesen Männern passierte. Sie hätten sie ohnehin nicht mit hierher nehmen müssen. Sie ihrem Schicksal zu überlassen wäre durchaus effektiver gewesen.

„Ist es auch moralisch vertretbar einen Jungen in die Hände Strauds fallen zu lassen?“

Mia trat zu ihm.

„Ich bin nicht für ihn verantwortlich. Sie haben Straud abgezogen. Sobald die Flughäfen wieder in Betrieb sind zieht er ab. Wir haben das Problem mit Schuldig und Berserk übertragen bekommen. Und es ist dem Rat einerlei warum hier plötzlich Gebäude in die Luft gesprengt werden. Es interessiert sie nicht warum und es ist – ich zitiere: „nicht von Belang“ dass Menschen sterben mussten.“ Unmut regte sich in ihm. Er atmete tief ein und hob den Blick in Mias schwarze Augen. Sie war wütend.

„Ich verstehe deine innere Kapitulation, Alex. Ich verstehe deine Hoffnungslosigkeit, die du sicher fühlst. Aber es geht jetzt um Wichtigeres als dich. Es geht auch um Wichtigeres als deine Abneigung gegen Menschen ohne Fähigkeiten. Dieses Land ist der Schauplatz für einen Krieg geworden. Tausende Menschen sind tot. Viele liegen vielleicht noch unter Trümmern, andere wiederum sind ohne Strom. Weitere werden sterben, viele sind noch nicht gefunden worden. Sie sind zwischen die Fronten geraten und es werden noch viele ihr Leben lassen müssen um unseren Zwecken dienlich zu sein. Und wir sind schuld daran.“

„Ich weiß“, sagte er und atmete tief ein und aus. „Wir können momentan nichts tun. Kimera und Viper sind unterwegs und versuchen herauszufinden wie das passieren konnte, aber mein Befehl vom Rat lautet mich nicht darum zu kümmern“, sagte er müde. Dennoch hatte Mia Recht. Er hatte sich die letzten Tage zu sehr im Selbstmitleid gewälzt und war allen aus dem Weg gegangen so gut er konnte. Selbstverständlich hatte er sich um notwendige Entscheidungen gekümmert und sich um das weitere Vorgehen bemüht, doch er hatte es nicht mit der sonstigen Energie getan wie sonst. Vieles war ihm egal gewesen. Und er wusste warum.

„Es war von vornherein nicht klar gewesen, dass er mir helfen könnte oder wollte“, gab er zu.

„Hör auf nur an dich selbst zu denken“, sagte sie knurrend.

„Was schlägst du vor?“, fragte er.

Sie tarnten ihr noch intaktes System damit, dass sie es drosselten, sodass es von außen aussah als wären sie ebenfalls von den Ereignissen betroffen worden. Die Akademie war geschlossen, nur der hintere Teil wurde mit Energie versorgt. Die Zahl von Somis Männern hatte sich auf wundersame Weise dezimiert, mit der Information, dass sie auf der Suche nach Schuldig waren. Es waren vielleicht noch fünfzig Mann hier. Straud hatte Alex mitgeteilt, dass er seine Männer zurück in die Außenstelle nach Osaka abkommandieren würde. Der Abzug sollte schnell von Statten gehen. Warum verließ er so edelmütig seine neue glanzvolle Wirkungsstätte? Was hatte dieser Intrigant vor?

„Kümmere dich um das was du tun kannst...“, erwiderte Mia.
 


 

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Nagi wurde erneut aus der Zelle geholt, der Mann führte ihn jedoch nicht ins Badezimmer sondern aus dem Zellentrakt hinaus. Sie gingen durch einen Komplex an Menschen vorbei, denen Nagi keine Beachtung schenkte. Und dann wieder hinunter. Roher Fels lag unter seinen Händen als er die Wand an seiner Seite berührte um Halt zu finden, unter seinen Füßen war naturbelassener Stein. Die Gänge wurden schmaler. Vor einem Raum blieb der Mann stehen, er öffnete die Tür, dann wurde Nagi angewiesen hineinzugehen.

Es war dunkel, seine Augen gewöhnten sich nur langsam daran bis er erkannte, dass weit entfernt ein schwaches Licht zumindest Schatten hervorlockte.

„Wir beide wissen wer du, Nein was du bist. Die Frage ist warum du keine Energie mehr hast, mein kleiner Streuner.“

Die Stimme kannte er. Er begann zu zittern und wusste nicht warum. Würde er diesem Mann nie entkommen können? Und plötzlich wurden seine Augen nass.

Die Stimme kam näher und die Schatten spielten mit den Umrissen eines groß gewachsenen Mannes.

„De la Croix hat gute Arbeit geleistet und ich bin gespannt wie lange du deine Schreie vermeiden kannst...“

Nagi brach auf die Knie. Als die Hand in seine Haare griff und seinen Kopf in den Nacken zerrte starrte er in ein paar eisblaue Augen.
 


 

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Stream fühlte sich immer noch etwas daneben als er sich langsamer als sonst aus dem System ausgeklinkt hatte. Nach ein paar Minuten straffte er seine Gestalt und rutschte aus dem Sitz. Etwas schwindlig war ihm trotzdem. Er war erst wenige Augenblicke im System gewesen und hatte sich geistig noch nicht völlig diesem ergeben sodass er schneller als sonst in die Realität zurückfand.

Er rappelte sich auf, die kleinen Glöckchen in seinen Haaren klimperten aufgebracht.

Dann machte er sich auf um den Komplex zu verlassen. Er nahm seinen Patch mit und klinkte ihn ein, sodass er trotz Abwesenheit immer noch mit Miriam verbunden war.

Dass er drahtlos mit ihr verbunden war verschob etwas seine Wahrnehmung. Stream ging gemächlichen Schrittes in die unteren Bereiche. Überall gab es eine spärliche Beleuchtung, nur im Boden schimmerten Dioden und beleuchteten seinen Weg. Vor den Zellen erwartete ihn keine Wache. Er berührte das Pult und befand sich im System. Als wandelnder Generalschlüssel war es ihm ein Leichtes überall hineinzugelangen.

Er betrat die Zellen und die Männer die zuvor nutzlos auf das Plexiglas eingeschlagen hatten wandten sich ihm zu. Er trat in den Gang und blieb vor den drei Zellen stehen.

„Mein Name ist Stream. Sie scheinen aufgebracht zu sein. Was ist der Grund dafür?“, sagte er mit träger Stimme. Er wusste, dass es sich wohl merkwürdig anhören würde. Als würde er noch träumen und doch zu jemandem sprechen der wach war.

Sie schwiegen ihn an.

„Er ist einer von ihnen“, flüsterte der mittlere Mann. Stream legte den Kopf schief.

„Meine Herren, meine Zeit ist begrenzt. Es hat mich einige Mühe gekostet mich hier hinunter zu bewegen. Sie...“, er deutete auf die Kameras. „...zeigten offenkundige Besorgnis über irgendetwas.“

Sie schwiegen wieder.

„Zu welcher Fraktion gehörst du?“, fragte der Jüngste im Bund.

„Fraktion?“ Stream legte die Stirn in kleine Falten.

„Rosenkreuz?“, half der Älteste nach.

„Nein. Ich gehöre zum goldenen Kreuz. Meine Loyalität gilt Alexandre De la Croix und dem Rat.“

„Wird das hier aufgezeichnet?“, fragte der große Hüne.

„Ja, in der Regel schon. Es hilft mir alles im Auge zu behalten.“

Sie schwiegen wieder und versuchten wohl ihre Situation einzuschätzen.

„Ich bin in der Lage mich in Systeme einzuklinken, ich steuere und überwache die gesamte Anlage.“

„Warum bist du dann hier herunter gekommen?“

„Ihr saht aus als hättet ihr ein Problem. Nicht?“, fragte er irritiert.

Sie schwiegen wieder.

Einer Eingebung nach ließ Stream die Kameras auf eine Dauerschleife fahren, erhöhte die Lichtstufe ohne die Menschen aus seinem Blick zu lassen. Seine Augen waren wohl etwas heller geworden wie er an ihren misstrauischen Blicken erkennen konnte.

„Die Kameras sind aus.“

„Der Junge, der mit uns hier war ist verschwunden. Schon seit mehreren Stunden. Niemand hat ihn zurückgebracht, von wo auch immer. Wir wollten wissen was ihr mit ihm gemacht habt. Er ist noch ein halbes Kind und auf Schutz angewiesen. Ich dachte ihr wolltet ihn vor diesen Männern schützen!“

Vorwurf, Anklage und Besorgnis lagen in der Stimme des älteren Mannes.

Stream ging zur hinteren Zelle und berührte mit einer Hand das elektronische Schloss.

„Ein unautorisierter Zugriff“, er legte den Kopf schief. „Einer von Somis Männern, ohne Zugangsberechtigung.“ Dann erkannte er. „Mit Somis Zugangsberechtigung.“

Er ging wieder zurück und klinkte sich auf dem Weg zu den Männern in die Kameras und deren Speicher ein. „Eine Täuschung“, sagte er und die Männer verfolgten still seine Selbstgespräche. „Sie haben eine Schleife in mein System eingebracht.“ Irritiert sah er auf die Kamera. Somi konnte seine Maßnahmen aushebeln.

In Windeseile verfolgte er wohin der junge Mann gebracht worden war.

„Er geht, die Tür geht auf...“

Stream kehrte zur Zelle des Jungen zurück und kontaktierte erneut Alex.
 

Dieser war immer noch damit beschäftigt sich vor Mia zu rechtfertigen was ihm nicht wirklich gelingen wollte.

‚Alex’

‚Stream?’

‚Mich beunruhigt etwas. Ich... ich weiß du wünscht keine Störung, dennoch...’

War er schon so schlecht gelaunt, dass selbst Stream Angst davor hatte mit ihm zu sprechen? Er sah Mia seufzend an, diese hob nur fragend eine Braue.

‚Sag schon.’

‚Ich bin unten in den Zellen...’

‚Du bist wo?’ Alex kam auf die Beine und Mia schloss sich ihm lautlos an.

Als er unten ankam sah er den Blonden im Gang stehen und auf ihn warten. Er beachtete die Männer nicht.

‚Die Männer sind in Sorge um den Jungen.’

‚Welchen Jungen?’, fragte Alex im ersten Moment nicht wissend um wen es ging.

Er war zu sehr mit sich selbst und seinem Verlust beschäftigt gewesen, dass er den Jungen völlig vergessen hatte.

Er wandte sich an die Männer. Die erzählten ihm von ihren Beobachtungen.

Alex wurde es eiskalt, vor allem weil keine Befragung ohne die Judges stattfinden sollte. Firan kam ihm wieder in die Gedanken. Über Firans Bild schoben sich blaugraue matte Augen, die ihn lediglich ansahen ohne aufzubegehren, die willenlos schienen.

„Kannst du ihn finden?“, wandte er sich an Mia.

„Ja.“ Sie ging in seine Zelle, dort in eine Ecke, dann schloss sie für einen Moment die Augen und öffnete sie wieder. „Ich habe ihn. Zumindest eine Spur von ihm.“

Die Männer blieben zurück und Alex und Stream folgten Mia hinaus. Bevor Stream den Raum verließ versetzte er die Kameras in ihren Normalbetrieb und dimmte das Licht wieder etwas.

Sie folgten Mia zu einer Sicherheitstür die jedoch offen stand, Blut war an dem Türgriff zu erkennen.

Sie sahen sich um. „Dort drüben!“, wies Mia.

In einiger Entfernung waren blutige Schritte zu sehen, dann eine verschmierte Spur an der Wand die in den Versorgungstrakt führte.
 


 


 


 


 


 

Fortsetzung folgt...
 

Vielen Dank!
 


 

Gadreel



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