Zum Inhalt der Seite

Der Glasgarten

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Sei still … ich weiß … ich weiß …

~ Sei still … ich weiß … ich weiß … ~
 


 

Aya sah sich um und bemerkte, dass sie im Innenhof des Konekos standen. Nicht weit laufen brauchten. Und wer weiß, vielleicht war das ja auch das Beste gewesen. Sonst hätte er sich vielleicht noch umgedreht und wäre gegangen aus lauter Widerwillen, sich dieser Konfrontation zu stellen.

Was angesichts des in der Hintertür stehenden Kens aber nicht zur Diskussion stand, der Schuldig in Grund und Boden starrte. Der ihn sprachlos anstarrte. Und zum ersten Mal war es Aya egal, dass Weiß ihn mit Schuldig sah. Zum ersten Mal konnte er völlig frei darüber hinweg sehen.
 

Er stieg langsam aus und kam auf Ken zu, dessen Blick sich immer noch völlig gebannt auf Schuldig gerichtet hatte.

„Komm mit ins Haus“, sagte er sanft und fasste Ken am Oberarm. Erlangte nun endlich dessen Aufmerksamkeit.

„Aber…“

„Keine Widerrede.“ Aya warf einen Blick zurück auf Schuldig, fragte den anderen Mann stumm, was dieser nun machen würde.
 

Schuldig hatte sich währenddessen an den Frontflügel seines Wagens gelehnt und zog gerade sein Zigarettenetui hervor um sich eine der ordentlich in Reih und Glied gelegten Glimmstängel anzuzünden.

Er würde warten, bis Ran seine Sache erledigt hatte.

Genüsslich inhalierte er den blauen Dunst und sah Ran fragend an. Was so viel wie: was stehst du noch hier, nun geh schon rein, zu sagen hatte. Er lächelte aufmunternd.
 

Aya nickte kurz und nahm den anderen Weiß mit hinein. Durfte sich kurz danach einem ganzen Schwall an haltlosen, besorgten Fragen stellen, dem er kaum zu gewachsen sein schien. Warum war er mit Schuldig hier? Was machte er in dem Auto des Schwarz? Hatte dieser ihn entführt? Wo war er gewesen? Aya KONNTE sie nicht beantworten, auch wenn er keinen Grund hatte, ihnen noch etwas zu verheimlichen. Vielleicht nur den, dass sie ihn vielleicht verstoßen würden… doch es brachte nichts, sie anzulügen.
 

„Ken bitte… lass uns später darüber reden“, fuhr er endlich dazwischen und brachte den Anderen zum Schweigen. Endlich. Das Letzte, was er momentan wollte, war, sich unnötigen Fragen zu stellen, die ihn nur noch mehr belasteten.
 

Ken klappte den Mund wieder zu, verschränkte abweisend die Arme und lehnte sich an den Türrahmen. Das war ihm nicht geheuer.
 

Omi stand auf der Treppe. Schon als er den Wagen in der Einfahrt zum Hof hörte, war er heruntergeeilt, hatte es aber nicht weiter geschafft. Er konnte nicht weiter gehen.

Was würde Aya sagen? Wie ging es ihm? Würde er wieder gehen? Warum hatte er sie...ihn allein gelassen?

Abwartend stand er da, eine Hand noch immer am Geländer und wartete, bis er Aya im Flur hörte. Ken stellte Fragen, die er auch gerne stellen wollte, die ihn beschäftigten, nicht mehr losließen.

"Aya", flüsterte er, seine Stimme zu einem Krächzen verkommen.

Was sollte er sagen? Er senkte den Blick etwas, neigte leicht den Kopf. "Es tut mir leid...", sagte er, wollte Aya zeigen, dass er mit ihm fühlte und dass er bei ihnen zuhause war, sie mit ihm trauerten.

Aber durch seine Abwesenheit...wie konnten sie ihm dass den zeigen? Er war nicht da.
 

Ayas Blick ruckte von Ken zu Omi, der mit seinen einfachen Worten das erreichte, was er in den letzten Minuten vermeiden wollte.

Dass all das, was Aya betraf, was er versucht hatte von sich zu schieben, über ihn hereinbrach und ihn ein weiteres Mal unter sich begrub. Dass sich Bilder unter seinen Schmerz mischten, die er bisher nicht wahrgenommen hatte. Wie sie dort lag…kalt. Ohne Anschluss an die Geräte. Für ihn verloren.

Tränen stahlen sich in Ayas Augen, seine Lippen bebten unmerklich, als er dort stand, die Schultern hängend. Verzweifelt wie in der ersten Minute.
 

Doch nicht nur das beeinflusste seine Trauer. Er hatte Omi und Ken enttäuscht…jeden von ihnen. Das sah er in ihrer Gestik, in ihren Gesichtern. Es tat ihm leid... so leid…
 

Ken zog die Brauen leicht zusammen, das Gesicht drückte Mitgefühl aus und sein trauriger Blick lag auf Omi, der sich in Ayas Arme gerettet hatte. Omi weinte.

Wir verlieren alles. Alles bricht auseinander, dachte Ken und ging in die Küche, setzte Teewasser auf.

Mit ihrem Tod bricht alles entzwei.

Frustriert und niedergeschlagen stand er in der Anrichte.
 

Omi hatte die Tränen in den Augen desjenigen gesehen, den er für stark und unbeirrbar unerschütterlich hielt, und hatte das Gefühl dessen Verzweiflung in sich aufnehmen zu müssen. Es war alles so schrecklich.

Wie war das alles nur geschehen? Er hielt sich an Aya fest, umarmte den Mann, der für ihn seine Familie war.
 

Aya presste Omi an sich, verschluckte den weinenden Jungen beinahe in seiner Umarmung. Er wusste, dass er für ihn da sein musste…auch für Ken, für ganz Weiß. Er wusste es einfach. Er konnte sie nicht alleine lassen… niemals. Auch wenn er die nächste Zeit nicht im Koneko sein würde, so würde er sie nicht im Stich lassen.

„Es ist gut…Omi…ich bin ja da…ich werde euch alles erklären…“, wisperte er und strich dem zitternden Jungen über den Schopf, wiegte ihn lange einfach hin und her um ihn zu beruhigen....um seine eigenen Tränen wieder zurück zu zwingen. Er hatte genug geweint…und würde es in der heutigen Nacht noch genug tun.
 

„Komm…wir setzen uns…“, murmelte er und zog Omi sanft mit sich in die Küche. Er wusste, dass es den Jungen mehr erschrecken als beruhigen würde, doch Aya wollte ihn einfach nicht alleine sitzen lassen. Wollte den Kontakt noch nicht lösen. Er legte seinen Mantel ab und setzte sich auf einen der Stühle…zog Omi auf seinen Schoß. Es war früher selten genug vorgekommen, dass er einen von ihnen berührte, doch diese Tradition wollte er in genau diesem Augenblick nicht fortsetzen. Er wollte sie nicht entzweien.
 

Ken hatte ihnen den Rücken zugedreht, machte ihnen Tee, Ayas Lieblingstee, stellte ihn vor die beiden auf den Tisch.

"Wollt ihr alleine reden?", fragte er, den flackernden Blick auf Aya gerichtet, völlig ruhig gesprochene Worte, doch die Tasse zitterte, bevor er es bemerkte und sie schnell abstellte.

Aya hielt sie zusammen und ...war es auch Aya der sie wieder auseinander brechen ließ?

Wut und auch Verzweiflung mischten sich in die Gefühle von Trauer und Mitgefühl, derer er nicht wirklich habhaft werden konnte.

Ja, schon einmal hatte er sie verlassen und sie wären draufgegangen. Waren sie denn so verdammt abhängig von diesem Mann?

Wie in Zeitlupe nahm er seine Hand wieder zurück. Nein, keine Zeitlupe...es war die verschwommene Sicht, Tränen, die ihn das glauben ließen.

Er fühlte sich wie betäubt. Was sind wir für dich?, fragte er Aya in seinen Gedanken, doch er schwieg, wie so oft.
 

Omi schmiegte sich an Aya.

"Geht's dir gut? Ist der Kerl draußen?", fragte er drucksend, traute sich nicht wirklich, nicht dass Schuldig in seinem Kopf herumwühlte und ihn auseinander nahm.

"Schnüffelt er wieder in unseren Köpfen herum?"

Ihm war alles zuviel. Er fühlte sich ausgeliefert, diesen Hundesöhnen ausgeliefert und Aya hatten sie an sie verloren.
 

„Nein Ken…setz dich. Ich möchte mit euch beiden reden….“, murmelte Aya und deutete mit schmerzlich zusammengezogenen Lippen auf den nahen Stuhl. Er schloss die Augen, umfasste die Hüfte des auf ihm sitzenden Jungen etwas stärker. Wollte ihm Mut zusprechen.

„Schuldig ist draußen…ja. Aber er hält mir nur die Kritikeragenten vom Hals, die das Haus bespitzeln…sie sollen nicht sehen, dass ich hier bin und mit euch rede. Er wird nichts tun…er wird mir nur helfen, die Formalitäten für…ihre Beerdigung zu regeln. Nichts weiter. Ich weiß, dass das…nicht glaubwürdig klingt…doch es ist so. Ich war seit ihrem …Tod bei ihm.“
 

Ken setzte sich zögernd. Er hatte das Gefühl, ja jetzt erst wo er Aya sah, dass es ihm zuviel war, dass er seine Ruhe wollte, aber sich für sie verantwortlich fühlte. Sich zwang hier vorbei zu sehen.

Aber war er ihnen das nicht schuldig? Als Freund.

Ken brachte ein vages, ehrliches aber trauriges Lächeln zustande.
 

"Hat er dir aufgelauert? Wie bist du zu ihm gekommen?", fragte Omi, die Nähe und den Schutz genießend. Wie hatte er Aya vermisst, als Person. "Warum bist du nicht zu uns gekommen?"
 

"Weil er Abstand brauchte, nicht wahr?", fragte Ken zaghaft. Die braunen, leicht verwüsteten Haare fielen ihm fedrig ins Gesicht. Wache blaue Augen lagen auf Aya. Wie oft hatte dieser Mann ihn schon beschützt?

Sehr oft.
 

„Ich weiß nicht, wie ich zu ihm gekommen bin. Ich weiß nur noch, dass ich in seinem Bett wieder zu mir gekommen bin. Ich habe…das Krankenhaus verlassen und bin vermutlich nur gelaufen…“ Ayas Stimme verlor sich, verebbte schließlich zu einem minimalen Flüstern. Das war noch zu frisch, er wollte sich nicht daran erinnern…er wollte es nicht.

„Vermutlich wollte ich schon unterbewusst nicht hierhin zurück, weil Kritiker noch immer ein Auge auf mich haben. Sie hätten mich gezwungen, weiter zu töten und das ist das Letzte, was ich in diesem Moment will. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder töten werde…ich weiß es nicht.“ So…jetzt war es raus. Jetzt hatte er die schreckliche Wahrheit ausgesprochen.
 

Ken schwieg, nickte zustimmend. Ja. Soweit hergeholt war das nicht. Welchen Grund sollte Aya jetzt noch haben, dieses Leben zu führen?

Er würde sie allein lassen.

Kens Blick verlor sich auf Omi.
 

"Ja, sie stehen draußen und warten, dass du kommst", sagte Omi als hätte er die Worte nicht gehört, die Aya gesagt hatte, doch er hatte, richtete sich wieder etwas auf, die Hände noch in den weichen Pullover gekrallt.

"Wirst du uns verlassen?" Er glaubte nicht, wollte nicht glauben, dass Aya gehen würde, nie wieder zurückkehren würde. Wäre er dann hier? Wäre er nicht wie schon einmal sang- und klanglos gegangen?

Oder hatten sie in der Zwischenzeit schon zu viel aufgebaut?
 

„Schuldig hat sie abgelenkt“, entgegnete Aya. „Sie sehen mich hier nicht…wissen nicht, dass ich da bin. Ich…werde euch nicht verlassen, aber ich werde nicht mehr für Kritiker kämpfen. Das kann ich nicht…in der nächsten Zeit überhaupt nicht mehr.“ Er schüttelte sacht mit dem Kopf. „Aber ich möchte auch nicht, dass ihr unter Kritiker zu leiden habt.“
 

Das beruhigte Omi wirklich. Aber es machte ihm auch Angst.

"Kann ich verstehen", murmelte er.

"Was sollen wir sonst tun, Aya? Wir haben Kritiker gewisse Verpflichtungen, die wir eingegangen sind."
 

Ken atmete tief aus.

"Versteh mich nicht falsch Aya... wir können nicht alle zu Schwarz gehen. Du bist ...dort...aus welchen Gründen auch immer sicher. Aber wir müssen noch spuren, sonst servieren sie uns ab. Wir haben uns dafür vor langem entschieden."

"Bist du mit ihm zusammen?", platzte er heraus, ohne groß darüber nachzudenken. Der Gedanke war ihm gerade gekommen und er hielt die Möglichkeit durchaus für logisch.

Warum sollte Schuldig ihn sonst aufgenommen haben, nachdem...

"...Entschuldige...", sagte er gleich und sah etwas betreten aus "...er war nur voller Blut und...du hattest ihn ordentlich erwischt...es wäre nur logisch wenn naja ...wenn er mehr für dich...", verstummte er und schluckte nervös.
 

„Ich…habe mir bisher noch keine Gedanken gemacht, wie es weitergehen soll, doch ich will nicht euch nicht im Stich lassen. Keinen von euch“, erwiderte Aya nach einer längeren Schweigepause. „Es wird einen Weg geben und ich werde ihn finden.“ Ja…er konnte jetzt noch nicht aufgeben...er musste für sein Team kämpfen. Dafür, dass sie ebenso wie er die Chance erhielten, sich von Kritiker zu lösen.

Aya brauchte einen weiteren Moment, um die Frage des ihm gegenübersitzenden Jungen zu beantworten.
 

„Nein…wir haben nichts miteinander.“ Auch wenn er Schuldig für ein paar Tage paradoxerweise näher als jedem anderen gewesen war. „Es ist durchaus möglich, dass da noch etwas Weiteres ist, das ihn mir helfen lässt. Ich bin nicht dumm genug, um seine Anspielungen nicht zu bemerken…aber…diejenige…“ Aya verstummte. Diejenige, die er geliebt hatte, war vor nicht mal ganz zwei Tagen gestorben. Das wollte er sagen, brachte es jedoch nicht über seine Lippen.
 

Omi hatte bei der Frage von Ken aufgehorcht. Es machte ihm Sorgen, aber er fühlte sich dennoch nicht mehr ganz so haltlos und doch etwas zuversichtlicher als noch vor einigen Stunden, ja selbst vor einer Stunde.

"Wenn er auf dich steht..." Skeptisch hob er die Braue, die Stimme schon wieder gefestigter.

"....is das nicht schwierig dann, wenn du bei ihm bist? Wie ist er so?"

Omi konnte es sich nicht vorstellen, wie Aya...Schuldig überhaupt ohne sein Schwert in Armlänge auf sich ranlassen konnte. Fragend blickte er Aya an. Das dessen Schwester gestorben war und er trauerte rutschte etwas in den Hintergrund ob dieser Absurdität.
 

Aya zuckte mit den Schultern und sah den Jungen von der Seite her an. Er hätte nie gedacht, dass Omi trotz seiner schmächtigen Gestalt doch soviel wog, wie ihm nun seiner Oberschenkel meldeten. Doch das machte nichts…dafür schätzte er den Kontakt zu dem Jüngeren zu sehr.

„Wie er ist? Ein Mensch. Er ist nicht aufdringlich oder darauf versessen, mich ins Bett zu zerren. Hätte er das gewollt – gegen meinen Willen – so hätte er schon genug Gelegenheiten gehabt. Aber bisher ist noch gar nichts geschehen. Manchmal scheint es…“, ein kurzes, bitteres Lächeln huschte über Ayas Züge, „als wäre ich der Böse…so wie ich ihn ein paar Mal erwischt habe.“
 

Omi zog seine Nase kraus und machte große Augen.

"Das ist ehrlich schwer zu glauben."

Aber er hörte auch heraus, dass sich Aya nicht in Gefahr begab, sich auch nicht bewusst in Gefahr begeben würde. Sie hatten sich Gedanken darum gemacht, dass sich ihr Anführer umbringen würde. So hatten sie Aya eingeschätzt.

Aber sie hatten sich getäuscht.

Noch einmal umarmte Omi Aya.

"Können wir dich irgendwie erreichen?"
 

„Ja…es ist schwer zu glauben…das habe ich nie bestritten. Ich wollte es am Anfang auch nicht glauben…geschweige denn verstehen…“ Aya überlegte einen Moment. Ja, wie konnten sie ihn am Besten erreichen? Das Handy würde er hier lassen, um Kritiker nicht auf seine Spur zu bringen. Ebenso wie es außer Frage stand, dass Schuldig seine Telefonnummer hier ließ. Was Aya mit einem Male mit brachialer Gewalt verdeutlichte, was das zu bedeuten hatte. Er würde…die nächste Zeit mit Schuldig verbringen. Nicht bei seinem Team, bei Schuldig.

Doch der Teil, der anhand dieses Wissens aufschreien sollte, blieb still, fügte sich stumm der Trauer.
 

„Ich…“, begann Aya, als ihm eine Idee kam. Die er allerdings nicht alleine entscheiden konnte. Er stand auf und schob Omi sanft von sich. Schuldig könnte ihm bei diesem Problem helfen, wenn es so laufen würde, wie er es sich dachte.
 

o~
 

Yohji öffnete die Tür, blieb in Rahmen stehen und stand damit automatisch Schuldig gegenüber.

High noon.

Jetzt fehlten nur noch die Grasbüschel, die zwischen ihnen herumwirbelten.

Ein schlechter Film.

Ein sehr schlechter Film.
 

Yohji zündete sich eine Zigarette an, ging auf Schuldig frontal zu lächelte gekünstelt und lehnte sich frech an dessen Wagen.

‚Da drin is ziemlich feucht, was?', begrüßte Schuldig ihn, überging, dass der Blonde sich an seinen Wagen lehnte, sich diese Frechheit herausnahm. So standen sie nebeneinander und rauchten.

Ein schlechter Film.
 

„Besser als der Gestank hier draußen“, gab Youji ebenso ätzend zurück und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, betrachtete sich dabei die aufreizend auffällige Gestalt des Telepathen. Der Gute war wohl als Zuhälter unterwegs, um seine Jungs abzukassieren, so wie er aussah und was sein Wagen darstellte. Auch wenn Youji die Sportausführung der schwarzen Corvette wirklich nur loben konnte, so fragte er sich, wie diese wohl mit ein paar Kratzern seines Schlüsselbundes aussehen würde. Mit einem schönen Schriftzug Marke ‚Verpiss dich, du widerlicher Sack und halt dich von Aya fern. Er gehört zu uns’, Das wäre doch mal interessant zu sehen.
 

Schuldig schnippte die Zigarette in den Schnee, fixierte seinen abwesenden Blick darauf, während er fast schon zu liebenswürdig lächelte. Was bei ihm etwas bedrohlich wirken konnte.

"Ja, ich fände es auch sehr interessant, wie sich deine graue und weiße Gehirnmasse auf dem matschigen Asphalt verteilt. Fällt bestimmt kaum auf."

Er runzelte kurz die Stirn, da ein weiterer Kritikeragent im Anmarsch war, der wohl die Ablöse war. Schnell hatte er den zweiten Agenten unter seiner Kontrolle, hielt seine Fäden gespannt.
 

Youji lachte amüsiert. Da war doch tatsächlich jemand eitel und voller männlichem Ehrgeiz, sein bestes Stück in Form zu halten…vor allen Dingen ohne Kratzer. Er schlug die Beine übereinander und ließ seine Hand sanft über den Lack gleiten.

„Keine Sorge, Schwarz, bei schönen Autos werde selbst ich schwach…“ Wirklich ein nettes Stück, mit weit über 300 PS, wie er über den Daumen peilte. Ein Hengst, keine Vollblutstute, wie es Ayas Porsche in mondänem Weiß war. Wie er Aya wieder und wieder genüsslich unter die Nase gerieben hatte.

„Was willst du hier, Mastermind? Hast du nichts anderes zu tun, als Aya durch die Gegend zu chauffieren?“
 

Schuldig hob die Hand kurz. "Halt mal schnell den Rand, Balinese."

Er musste die Übergabe an die Zentrale von Kritiker türken und klinkte sich kurz in den Verstand des Agenten ein.

Nach wenigen Minuten hatte der Agent seine Meldung gemacht und noch kurz mit der Agentin am anderen Ende der Leitung geflirtet und alles war beim Alten.

"So ..wo waren wir?", wandte er kurz den Blick.

"Wenn du mich so fragst...nein eigentlich nicht. Oder doch. Später fahre ich noch zu meinen ‚anderen Jungs' und kassiere ab, aber da ich Aya noch chauffiere, habe ich das auf später verschoben. Er mag es nicht wenn er mit mir in diesen Etablissements gesehen wird", sagte er spöttisch und hob eine Braue.

Er hatte sehr wohl die Gedanken des Weiß gelesen.
 

"Hätte er herlaufen sollen?", fügte er ernster hinzu, entnahm seine dritte Zigarette.

"Wie man’s dreht und wendet, es kommt nichts als Scheiße heraus, meinst du nicht auch, Kudou?", fragte er ohne ein bestimmtes Thema anzuschlagen. Er bezog es auf das Leben an sich und auch auf die jetzige Situation. Mit einem klappenden Geräusch verschloss er das Etui wieder.
 

„Wem sagst du das?“, schnaubte Youji und trat seine eigene Zigarette auf dem Boden aus. Zog seine Packung hervor und steckte sich die nächste an. Verspürte Lust zu einem guten Schluck Alkohol. „Eines kann man dir ja noch zugute halten, Schwarz. Du hast verhindert, dass er von Kritiker auseinander genommen wird direkt nach dem Tod seiner Schwester.“ Sein Blick streifte in den dunklen Himmel. Was für ein beschissenes Weihnachten.
 

"Danke", sagte Schuldig trocken, schob sich die Zigarette mit den Zähnen in den linken Mundwinkel.

"Es war purer Zufall, wenn du so willst. Ich bin ihm nicht nachgelaufen, wollte die Sache dabei bewenden lassen." Er tippte sich mit den Fingern der rechten Hand kurz auf die Brust, deutete damit an, warum er es vermeiden wollte, den Kontakt zu Aya noch einmal zu suchen.

"Sie muss in der Zeit, in der wir kämpften, gestorben sein."

Er nahm einen tiefen Zug. "Bekomm jetzt nicht den falschen Eindruck." Er blickte warnend und mit einem dunklen Funkeln zu Yohji hinüber.

"Mir ist es so gesehen egal, was mit der Kleinen passiert ist. Ich versteh aber, warum er darunter leidet. Und das kann ich nicht ab. Ich will ihn nicht leiden sehen. Es widert mich an."

Er war eifersüchtig auf dieses Leid, das wollte er doch damit sagen, nicht?
 

Youji blinzelte nachdenklich. Während der Mission gestorben. Das war verflucht noch mal der schlechteste Zeitpunkt, den Ayas Schwester oder was auch immer für ihr Ableben zuständig war, sich hatte aussuchen können. Aber das hatte er auch vorher gewusst.

„Wir hatten die Nachricht vom Krankenhaus auf dem Anrufbeantworter“, erinnerte er sich an den Abend. „Aya ist hingefahren und danach nicht mehr wiedergekommen, bis mir dann ein Vögelchen gezwitschert hat, wo er untergekommen ist.“

Sein Blick kehrte zurück zu dem anderen Mann, nahm nur nebenbei die weißen Rauchwolken wahr, die er durch sein Atmen in die Luft paffte.

„Wenn du ihn nicht leiden sehen willst, bist du bei ihm an der falschen Stelle“, sagte er schließlich. „Er wird lange nicht drüber hinwegkommen, dass sie trotz allem, was er getan hat, gestorben ist. Das kann Jahre bei ihm dauern.“
 

Schuldig lachte verhalten.

"Tja, auch ich krieg nicht immer das was ich will." Er wandte das Gesicht zu Yohji.

"Oder hast du im Leben das bekommen was du gewollt hast?" Er lächelte hintergründig, doch nicht spöttisch.

"Wenn wir’s kriegen, dann doch meist so, wie wir es nicht wollten."
 

Youji zog kunstvoll eine seiner Augenbraue in die Höhe. „Klar habe ich alles bekommen was ich wollte. Traumjob, nette Arbeitskollegen, interessantes Themengebiet…großzügige Arbeitgeber…Frau und Kinder nicht zu vergessen.“ Er lachte ebenso. „Keiner von uns bekommt das, was er will, das ist der Nachteil an unserem Beruf. Sieh dir Aya an…wollte er seine Schwester retten und dich dafür abmurksen und was hat er? Genau das Gegenteil. Auch wenn es ihm mit dem Töten nicht wirklich ernst war…er stand seit seiner Entführung nicht mehr hundertprozentig hinter der Sache.“
 

"Nicht wirklich ernst?"

Schuldig rang sich ein düsteres Lächeln ab.

"Dafür hat er aber ganze Arbeit geleistet. Wann macht er ernst? Wenn er mir die Kugel nicht an der Schläfe vorbeischießt, sondern zwei Zentimeter weiter rechts zielt? Oder wenn er anstatt mir seine Klinge über die Brust zu ziehen, einen sauberen Stich durchs Herz verpasst?"

Er spitzte die Lippen, blies den Rauch aus.

"Wie gesagt, ich will ihn nicht leiden sehen. Verzweiflung ist etwas Grausames. Der Grund für diese Verzweiflung, es wäre eine Leichtigkeit gewesen, ihn zu entfernen. Ich hätte das nicht mehr lange mitangesehen. Wie hätten wir aus dieser Situation herauskommen sollen, Kudou, wie?"

Schuldig reckte sich, schlang den Mantel enger um sich.

"Wir mieden euch die letzten Monate. Und dann DAS. Ihr wurdet auf uns angesetzt. Wie sollte er sich entziehen? Er hatte nur die Chance mich zu töten, aber er ist daran fast verzweifelt. Und ich lasse mich nicht töten, nicht so einfach. Obwohl ich einräumen muss, dass er nah dran war. Sehr nah. Wie ...frage ich dich...lautete hier die Lösung dieses Problems?"
 

Youji schnippte die übrig bleibende Asche von seiner Zigarette. „Jetzt stell dich mal nicht so an. Du lebst noch, bist frei und kannst machen, was du willst. Das da“, er deutete auf die beiden Verletzungen „sind ganz normale Dinge, die eben passieren, wenn man sich im Kampf gegenüber steht. Wir haben uns früher noch derber geschlagen, da war das gegen gar nichts. Außerdem HAT er sich verschätzt. Sowohl mit der Schusswaffe als auch mit seinem Katana…das er, wie du weißt, im Schlaf beherrscht.

Die Lösung des Problems?“
 

Youji schnaubte. „Frag euer Orakel, der wird die Lösung kennen. Auch wenn es logisch scheint…seine Schwester ist tot, er nicht mehr erpressbar und frei. Was er daraus macht, liegt in seinen Händen. Er muss nicht mehr verzweifeln, weil er zwischen zwei Dingen aufgerieben wird, die ihn fertig machen. Er muss dich nicht mehr an Kritikers Wissenschaftler abliefern. Nicht mehr töten. Er hat den Hauptpreis gewonnen…auch wenn der Gegenpreis zu hoch war.“
 

"Findest du... dass der Gegenpreis zu hoch war?", fragte er leise.

Schuldig wusste, dass Rans Schwester nicht wieder zu Bewusstsein gekommen wäre, nicht wenn kein Wunder geschehen wäre. Sie hatten sie damals entführt und Schuldig hatte keinerlei Verbindung zur Außenwelt finden können, keine geistige Regung.

Er behielt es für sich. Was brachte es schon, das jetzt auszusprechen?
 

Ein bitteres Lächeln umspielte die Lippen des blonden Weiß. „Er hat sich von Kritiker ködern lassen für sie. Hat für sie gemordet, hat alles für sie getan. Er hat sie abgöttisch geliebt. Was glaubst du, wie groß der Abgrund ist, den er jetzt hinunterstürzt? Ich habe Fotos von ihm gesehen…von DAMALS, als er noch nicht wusste, wo man einem anderen Menschen am Besten das Katana in den Leib treibt, damit er schnellstmöglich stirbt. Ausgelassen, freundlich, immer mit seiner Schwester unterwegs. Nennst du das einen niedrigen Preis?“ Er zündete sich die nächste Zigarette an.
 

Es tat weh. Das zu hören tat weh.

Kurz huschte ein weicher Ausdruck über Schuldigs Gesicht, als er sich dessen bewusst war, änderte er dies und verschloss sich wieder vor dem anderen.

"Ich kenne ihn nur so. Ein solches Bild habe ich von ihm nie gesehen", gab er zu, die Stimme kalt, abweisend, um das Bild von ihm von vorhin auszumerzen, egal was der Schnüffler gesehen haben mochte.

Doch seine Augen konnten nicht schauspielern als er sagte: "Teile von diesem Mann, den du beschreibst kenne ich. Ich weiß wie er ist ...wie verletzlich er ist ...ohne dass ich ihm in den Kopf geschaut habe."

Seine Stimme war ruhig, barg aber eine gewisse Schärfe, die den Worten die Sanftheit nahm. Er wollte sie kaschieren, denn er wollte nicht, dass Yohji den falschen Eindruck von ihm hatte. Einen schwachen Eindruck.
 

Youji legte aufmerksam seinen Kopf schief, betrachtete den Schwarz aus einem anderen Blickwinkel. Er war zu lange Privatdetektiv gewesen, um jetzt nicht jedes einzelne Detail aufzusaugen, das sich ihm hier bot. Mastermind in menschlich, was für eine bemerkenswerte Erkenntnis. Vor allen Dingen eine, gegen die er sich jahrelang gewehrt hatte.
 

„Meinst du, ich kann mir das nicht denken? Du hast ihn vermutlich in dem Moment erlebt, in dem er am Schwächsten war und du das leichteste Spiel mit ihm gehabt hättest. Schließlich war er bei dir und nicht bei uns, als er vom Tod seiner Schwester erfahren hat. Noch etwas, das ich dir zugute halten muss. Scheinbar hat ihm diese erste Hilfe gut getan. Und wer weiß, vielleicht gewinnst du ja irgendwann den Einblick in seine Gedanken. Und damit auch auf den Jungen, der er mal war.“
 

"Ich hab nicht viel gemacht. Eigentlich war es nichts."

Er wollte nicht mehr darüber sprechen, das Thema machte ihn nervös, unsicher werden, wühlte etwas in ihm auf.

"Ich bin mir nicht sicher...", grinste er in altbekannter Manier, einen Teil seiner bösen Seite zeigend ... "ob dieser Junge mich auch sehen will."

War das wirklich seine Angst? Nein.

Er wischte alles beiseite, starrte für Sekunden in die grünen Augen, bevor er sich abwandte, stoisch auf die Tür blickte und hoffte Aya würde bald herauskommen.
 

Auch Youji sagte nichts, sondern starrte auf die Tür. Es war kalt…arschkalt und er hatte nicht länger vor, hier draußen zu bleiben. Er stieß sich vom Wagen ab, setzte sich müßig in Bewegung und schloss die Tür auf und betrat das erholsam warme Haus. Ließ die Tür jedoch offen. Nicht ganz als deutliche Einladung für den Telepathen, aber er knallte ihm auch die Tür nicht vor der Nase zu.
 

Schuldig beobachtete dies mit gelassenem Blick.

Er würde diese Geste zu schätzen wissen, aber er wollte nicht in dieses Haus. Dieses Haus hatte mit Sicherheit Erinnerungen. Von welchen er die eine oder andere hervorgerufen hatte.

Nein.

Da drinnen würde ihm das Ganze zu viel werden. Schon jetzt engte es ihn ein, schnürte ihm die Luft ab und er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Das war nicht seine Welt.

Abrupt drehte er sich um.

Hass kroch in ihm hervor, legte sich um seine Kehle. Seine Handschuhe knirschten, als das Leder sich spannte und er die rechte Faust ballte.
 

o~
 

Aya trat in den Hinterhof hinaus, maß den Telepathen, wie er verspannt und einsam dort bei seinem Wagen stand. Er räusperte sich leise.

„Schuldig…“
 

Schnell wandte der Angesprochene das Gesicht Ran zu, versuchte sich zu fassen.

Sicher würden sie gleich fahren und er konnte sich zurückziehen, zur Ruhe kommen, weder Vorwürfe, anklagende Blicke oder durchschauende Schnüffler ertragen müssen. Selbstgerecht.

Hör auf damit! herrschte ihn etwas in ihm an.

"Ja?" Seine Stimme erinnerte ihn in seinen Ohren an brechendes Eis. Crawford hatte Recht, es brachte ihn noch um, wenn er länger mit ihnen verkehrte, wenn er ihre Gedanken, ihre Worte aufnahm und darüber nachdachte.
 

Aya sah, dass da etwas war, das ihm in den vergangenen Augenblicken entgangen war. Er sah Schuldigs Unwohlsein, nahm es sehr wohl durch sein eigenes wahr. Langsam, so vorsichtig wie möglich trat er an den anderen Mann heran und lehnte sich neben diesen an den kalten Wagen. Warum war Schuldig nicht hereingekommen, wenn schon die Tür offen gestanden hatte? Weil sie in der Überzahl waren? Das konnte doch nicht sein…

„Omi hat gefragt, wie er mich erreichen kann“, legte er schließlich ruhig und ohne jede Frage die Informationen dar. Stellte ein Problem zur Diskussion, dessen Lösung nicht allein ihm oblag.
 

Fahrig wischte sich Schuldig eine seitlich umrahmende Strähne aus dem Gesicht, die sich vor seine Augen verirrt hatte, als er sich zu schnell zu Ran gedreht hatte.

"Ich...ja...." Seine Augen huschten zu der ruhigen Gestalt, saugten die Ruhe in sich auf, die sein aufgewühltes Inneres benötigte.

"Wenn es ihnen nichts macht, wenn du es willst, dann ist das kein Problem", bot er an.

Warum kam er sich jetzt nur so ausgeliefert vor?

"Können wir bald fahren? Du brauchst deine Sachen noch, oder?", fragte er deshalb vorsichtig.
 

Die Ruhe, die Schuldig so dringend benötigte, strahlte Aya nun in beinahe vollkommener Weise aus. Er sah die Rastlosigkeit des Geistes vor ihm, die schiere Unsicherheit in direkter Nähe des Konekos. Und Aya konnte es nachfühlen…nur zu gut.

„Das Geld und die…Papiere hole ich gleich. Brauche ich sonst noch etwas?“, fragte er gemäßigt intoniert, auch wenn ihn selbst dieses Thema ebenso unsicher machte. „Und sie dürfen dich mental rufen, wenn es etwas…dringendes gibt?“
 

Schuldig schüttelte unsicher den Kopf. "Das funktioniert nicht."

Was sollte er denn noch alles offenbaren?

Ohne es zu bemerken sah er den anderen anklagend an, sein Kiefer arbeitete, die Muskulatur war deutlich zu sehen. "Ich muss sie kontaktieren, es funktioniert nicht, dass sie mich rufen."

Wieder gab er Aya etwas in die Hand, was dieser theoretisch Kritiker zuspielen konnte.

"Ich kann mich in einen von ihnen öfter einklinken und ihn fragen ob alles klar ist, aber das ist mühselig."

Er schüttelte noch immer leicht den Kopf. Versuchte, eine Lösung zu finden.

"Und wenn wir dir ein Handy kaufen?", fragte er wenig zuversichtlich, dass Aya darauf einging.
 

Der jedoch seinen Blick gesenkt hatte. Dem vorwurfsvollen Blick nicht standhalten konnte. Er wusste, worauf es sich bezog und ließ ihn sich ein weiteres Mal fragen, ob es wirklich richtig war, was er tat. Es schien ihm nicht richtig, auf einen anderen Menschen angewiesen zu sein und diesen auszunutzen. So wie er es jetzt tat…er kam sich schäbig dabei vor. Auch wenn Schuldig ihm gesagt hatte, dass er bleiben konnte.

Sein Blick glitt die Hausfassade empor, hinauf zu ihrem Badfenster. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl, dass er es nicht schaffte, dass alles zuviel für ihn war. Dass er sich einfach von Kritiker erledigen lassen sollte.

Doch das war egoistisches Denken, wie ihm in der nächsten Sekunde bewusst wurde. Das würde niemandem helfen…schon gar nicht seinen Freunden.

Aya wandte sich zur Seite, Schuldig zu. Ein Handy? Ein schmerzliches Lächeln glitt über seine Lippen. „Ich wusste nicht, dass sie dich nicht kontaktieren können…ein Handy wäre wohl das Richtige“, bestätigte er überraschend für sie beide.
 

Schuldig sog das Lächeln auf, wärmte sich an ihm.

Ihm entging die Bitterkeit darin, er sah nur das Lächeln, eine Rarität im Moment in der er sich in seine Vergangenheit versetzt fühlte, in der seine Fähigkeiten ausgebeutet wurden. Ran wollte nicht seine Fähigkeiten benutzen, er hatte es nur vorgeschlagen, kein Grund zu Panik.

Es war zum aus der Haut fahren, er fühlte sich hier gänzlich unwohl, musste sich wegen Ran zusammenreißen, dass er ruhig blieb, wollte ihn nicht erschrecken.

Tief einatmend löste er sich von seinem Wagen, der Mantel wurde etwas vom Wind erfasst, der auch seine Haarsträhnen vor sein Gesicht wehte.

"Sie beherrschen die Telepathie nicht. Sie können ihre Gedanken nicht lösen um sie zu einem Ziel zu schicken“, erklärte er sich und verzog die Lippen ein wenig zu einem Lächeln.

Sein Blick wich zur Tür, die noch offen stand. "Willst du noch Kleidung von dir mitnehmen? Oder kaufst du dir was neues?"

Was war mit seinem Wagen, würde der hier bleiben?, fragte sich Schuldig im Stillen.

Aber das war jetzt zweitrangig, vielleicht blieb Ran nur Tage bei ihm und würde dann wieder gehen, als wäre er nie bei ihm gewesen.

Würde das so sein?

Fragend sah er zu eben diesem hin, fand die Antwort jedoch nicht in den von Trauer durchzogenen Violett.
 

„Ich hole mir was von oben…“, nickte Aya und löste sich von dem kalten Wagen, strebte nach einem weiteren Blick auf den anderen Mann wieder auf das Haus zu. Auf die Treppe, die ihn nach oben in sein Zimmer tragen würde. Auch wenn ihm jeder Schritt schwerer fiel, jede Stufe scheinbar größer wurde. Seine Beine unwilliger, weiter zu gehen. Dennoch schaffte er es und betrat den heimischen Raum…seinen Raum, der für sein altes Leben stand.

Schweigend zog er eine Sporttasche unter dem Bett hervor und nahm einige Sachen aus seinem Schrank. Stoppte bei dem grob gestrickten, orangefarbigen Rollkragenpullover. Beinahe schon zärtlich strich er über die Textur und hängte ihn ab, legte ihn zu den anderen Sachen in die Tasche. Schloss seinen Schrank dann.
 

Wie lange würde er bei Schuldig bleiben? Wie lange würde er nicht mehr hierhin zurückgehen können? War es wirklich für immer? Waren es wirklich die letzten Augenblicke in einem Leben, das er umsonst geführt hatte? Aya ließ sich auf das Bett fallen, richtete seine Augen auf die Steppdecke. Er blinzelte. Sein Blick fiel auf seinen kleinen Beistelltisch. Auf Aya.
 

Zitternde Finger griffen nach einem der Bilder. Dem, das ihn in liebster Erinnerung war. Er holte es zu sich heran, strich durch das Glas über Ayas lachende Züge. Über ihre weichen, langen Haare. Seine Lippen bebten und seine Sicht verschwamm. Wieso war sie nicht mehr da? Was hatte er nur falsch gemacht, dass nun auch noch der letzte Mensch seiner Familie ihn zurückgelassen hatte? Aya schluchzte leise, erbebte selbst unter der Trauer, die ihn überwältigend überfiel. Er weinte zahllose Tränen, konnte nicht anders, als das Bild in seinen Händen zu halten und zu trauern. Zu weinen, zu schluchzen, zu zittern vor lauter Hilflosigkeit und Verzweiflung.
 

o~
 

Schuldig schritt ums Auto herum, die Kälte kroch ihm langsam in die Knochen und das trotz des schützenden Mantels. Ran war nun schon lange drin und er warf einen Blick auf seine Uhr. Zwanzig Minuten waren vergangen seit Ran ins Haus gegangen war. Leise Unruhe drängte ihn dazu es auch mit ungutem Gefühl zu erwägen ins Haus zu gehen.
 

Der Kritikeragent war auf seinem Posten und Schuldig hatte diese Angelegenheit unter seiner Kontrolle. Sich dessen ein letztes Mal versichernd, setzten sich seine Beine in Bewegung und er öffnete die Tür, trat in die stille Atmosphäre des Hauses ein.
 

Angenehme Wärme schlug ihm entgegen, doch er fühlte sich zu eingeengt von diesen kleinen, schmalen Fluren, von den durch Wände abgetrennten Räumen. Als wäre er hier lebendig begraben, zu klein dies alles, zu ...profan, irden, ihm fehlte hier der freie Raum, die Weite.
 

Dennoch roch es gut, Tee, und Räucherwerk, wie er vermutete. Seine Schritte trugen ihn zum Licht hin und er stand vor der Tür zur Küche. Dort standen sie alle...bis auf Ran. Er runzelte unmerklich die glatte Stirn, kniff die Augen minimal zusammen, weil er durch die Dunkelheit aus der er kam, den Lichteinfall der Küchenbeleuchtung auf seine Netzhaut schützen wollte.
 

"Ist er schon lange in seinem Zimmer?", fragte er in die schweigende Runde.
 

"Schon lange?"
 

Yohji runzelte die Stirn und ging auf ihn zu, an ihm vorbei und ihm voran die Treppe nach oben.
 

Schuldig nickte und folgte dem Mann, stieg die Stufen nach oben und sah bereits den Spalt Licht der aus der angelehnten Tür entwich.
 

Youji stockte an eben dieser Tür und warf einen Blick in das sanft erhellte Zimmer. Seine Augen weiteten sich, während er nicht mehr fähig war, auch nur einen Schritt nach vorne zu tun. Als stummer Beobachter schlug er die Hand vor den Mund, um jeglichen Laut zu ersticken, der eventuell seinen Lippen entkommen könnte.

Sein Blick verschwamm. Nein…nein…das, was er hier sah, war Trauer in Reinform. Das war Ran, wie er hinter der Fassade von Aya steckte, die unermüdlich für seine Schwester gekämpft hatte. Und diese Fassade war einem Spiegel gleich in tausend Scherben zersprungen, zeigte ihm nun den in sich zusammengesunkenen Mann, der auf seinem Bett saß, das Bild mit seiner Schwester anstarrte und verzweifelt Tränen vergoss.
 

Automatisch drang Schuldig in die Gedanken des Blonden ein, noch bevor er ihn erreichte. Es war schlichte Gewohnheit, sofort über die Lage informiert werden zu wollen.

Doch er zog sich gleich zurück, als er in den Gedanken den Grund für dessen Blick und die dramatische Haltung las.

Schuldig stockte für einen Moment in seinem Gang bevor er an Yohji vorbei trat, mit unleserlicher Miene den Raum betrat, dann wie aus einem plötzlichen Impuls heraus auf Ran zuging, der sich an einem Bild festzuhalten schien, vor Schluchzern selbst am Luftholen zu scheitern schien. Es schien zerbrochen zu sein. Alles was Ran ausmachte, schien für Schuldig in diesem Moment in tausend Scherben und mehr zersplittert zu sein…
 

Schuldigs stiller Blick lag auf dem Mann, blickte auf ihn hinab und beobachtete ihn ohne Regung. Und doch liefen in seinem Inneren Prozesse ab, die eine ambivalente Neigung aufwiesen.

So wie er dastand, hätte er vor einem Opfer stehen können. Verachtung tropfte wie zähfließende, ätzende Säure hinab, jeden Augenblick die Ruger aus seinem Holster ziehen könnend um ihn zu erledigen. Sein dunkler Blick bohrte sich in die verletzliche, am Boden zerstörte Gestalt.

Etwas in ihm hasste es, ihn so zu sehen. Etwas in ihm ergötzte sich an diesem Anblick.
 

Es überwiegte jedoch der Teil, der ihn nun dazu veranlasste sich neben Ran zu setzen, ihn sanft an sich zu ziehen und festzuhalten. Sein Blick hatte sich verändert, war zur maskenhaften Neutralität verkommen.

Doch wie gut das tat, konnte er nicht beschreiben. Es war merkwürdig, denn auf eine Art war es schmerzhafter, ihm in seinem Leid näher zu sein und es zu fühlen, zu spüren wie der Körper zitterte. Und doch tat er etwas um es zu lindern. Er war nicht nur der Beobachter wie sonst, der Manipulator, der sich die Hände nicht schmutzig machte, er war hier nicht derjenige der mit den Gedanken spielte.

Sein Blick wurde weich, die Anspannung fiel von ihm ab und die Eiseskälte auf seinen Gesichtszügen schmolz im Wasser der Tränen, die Rans Wangen hinunterflossen.

Alles verstummte in ihm, nichts begehrte auf, nichts wühlte in ihm, alles schwieg.

Beruhigend fuhren seine Hände über den Rücken, den Arm, den er berührte, hielten wieder ein und ruhten.
 

Es war nicht nur ein Augenpaar, das Schuldig mehr als misstrauisch bei seinem Tun beobachtete und jederzeit bereit war, einzugreifen. Nicht nur ein Augenpaar, das sich nun vor Überraschung weitete angesichts dieser Szene.

Dort, wo Youji unfähig und geschockt zum Reagieren war, griff nun der Telepath des gegnerischen Teams ein und sorgte dafür, dass der rothaarige Weiß sich aus seiner verzweifelten Starre löste, die ihn befallen hatte. Dass seine rotgeränderten Lider blinzelten, versuchten, die Tränen zu stoppen.
 

Auch wenn Aya nichts sagte, so war es doch mehr als deutlich, dass er nichts, aber auch überhaupt gar nichts gegen diese Art von Trost und Zuversicht hatte. Dass er sich vielmehr ebenso an Schuldig lehnte, wie dieser an ihn. Dass seine freie Hand sich auf dessen Arm legte.

Youjis Brauen zogen sich schmerzerfüllt zusammen. Selbstvorwürfe keimten in ihm auf, dass es nicht er war, der Aya zu trösten vermochte, sondern dass es ausgerechnet der Telepath sein musste.
 

„Es geht schon“, drang eine ungewöhnlich leise Stimme an seine Ohren. Aya, der sich mit fahriger Hand die Tränen von den Wangen wischte, damit mehr als erfolglos war.
 

Wie neu die Situation für Schuldig doch war, verdrängte er selbst geflissentlich. Er kam sich vor als stände er unter Strom. Die Ruhe vorzugeben, die er plötzlich nicht mehr empfand, als er die Worte hörte, war nicht leicht und die Blicke die sich in ihn, seine Gestalt, das was er darstellte bohrten waren schlecht zu ertragen.

Er hatte nicht vor Ran loszulassen, doch er musste sich zusammenreißen um sie nicht mental anzugreifen, wie sie dort wie die Ölgötzen standen und den weinenden Mann angafften.

"Seid ihr fertig mit starren?", fragte er ruhig mit einer Spur Schärfe, die zwar nur als Färbung in den Worten lag, aber er wandte den Blick, zeigte was er davon hielt, dass sie sahen, wie Ran weinte, wie hilflos er sich an ihn lehnte. Wie schwach er war…
 

Genau dieser brachte Youji nun aus seiner eigenen Starre. Da, wo er geglaubt hatte, dass es besser war, sich ihrem Anführer nicht zu zeigen, musste ausgerechnet Schuldig ihn auf das Gegenteil stoßen. Youji schnaubte innerlich erbittert und trat ins Zimmer. Ging langsam vor Aya in die Knie und legte seine Hände auf die des Rotschopfes. Sah ihm in die dunklen, vor Schmerz überquellenden Augen. Er strich ihm sanft über die klamme Wange, wischte dort die Tränen fort.

„Aya…schau, wir sind da. Wir sind für dich da“, murmelte er sanft und sah mit einiger Erleichterung, dass dieser nickte. Dass sich zitternde, bleiche Hände um die seinen schlossen und sie drückten.

Auch wenn damit gar nichts gut war. Rein gar nichts. Es würde weitergehen, immer wieder, immer weiter. Das hier war nur der Anfang von Ayas Trauer. Sie war noch nicht einmal in Ansätzen überstanden.
 

Und auch wenn er sich vorgenommen hatte weiterhin bei Ran sitzen zu bleiben, so war ihm dies nun nicht mehr möglich, nicht mehr länger erträglich, seit der Blonde die Hände von diesem genommen hatte und weiterhin festhielt. Es war ihm zuwider, er wollte weg, wollte raus aus diesen Wänden, fort von diesen Menschen.

Er hatte genug gesehen, genug gehört. Genug von diesen anderen Gedankengängen, die seiner Lebenseinstellung zuwider waren.

Sanft doch bestimmt löste er sich, blickte Ran nicht an sondern stand auf, seine Hand strich über den Rücken, bis sie wie zufällig leicht mit den Fingerspitzen über den Nacken strich.

"Ich warte unten.“
 

Youji kümmerte sich nicht um die Worte des Schwarz. Aya war hier wichtig. Ihre Freundschaft, ihre Familie.

Er wartete solange, bis er wusste, dass der Telepath das Zimmer verlassen hatte, bevor er Ayas Aufmerksamkeit ein weiteres Mal auf sich zog. Vielmehr dieser seine eigene, als sich violette, rot umränderte Augen auf ihn richteten und ihn bewusst ansahen. Einen Blick auf das Foto seiner Schwester warfen und ihn wieder ansahen.
 

„Ich muss noch ins Krankenhaus…die Formalitäten regeln“, tönte eine völlig geschlagene Stimme an seinen Hörnerv und ließ ihn auf seine Fersen zurücksinken. Jetzt? Wieso nicht morgen? Wieso überließ es Aya nicht ihnen? Doch der blonde Mann glaubte die Antwort zu kennen…ja, das tat er wirklich. Aya musste diese Sachen erledigen, damit er sah, dass seine Schwester tot war. Damit er etwas zu tun hatte und nicht nutzlos war. Damit er – so paradox es auch schien – immer noch eine Verbindung zu ihr hatte.
 

Was sein würde, wenn diese Verbindung abbräche, das konnte und wollte Youji sich nicht ausmalen.
 

Er nickte leicht. „Soll ich dich dabei begleiten?“ Ein Kopfschütteln antwortete ihm, verdeutlichte Youji mehr als alles andere, dass Schuldig derjenige sein würde, dem diese Aufgabe auferlegt wurde.
 

„Ich…werde mich melden, wenn es wieder besser geht…“…das Leben. Nicht Aya selbst. Nein…wenn Ayas Leben wieder lief und er sich nicht von einem Moment zum nächsten entlang schleppte, immer in Gefahr, stehen zu bleiben und den Anschluss zu verpassen. Youji strich seinem Freund über die leuchtenden Haare.
 

„Es ist in Ordnung, wir stehen alle hinter dir. Und wenn du uns brauchst, sind wir da.“
 

Aya stand in ihrem kalten Innenhof, wirkte verloren, als er Schuldig in Augenschein nahm. Seine Tasche in der rechten Hand. Er hatte sich gefasst, so gut es ging und machte sich nun für das Schlimmste bereit, was ihm bevorstehen würde.

„Wir…können“, nickte er abwesend und legte seine Tasche auf den Rücksitz, stieg schließlich wieder zu Schuldig in den Wagen. Setzte sich schweigend auf den Beifahrersitz.
 

o~
 

Der Fernseher blubberte vor sich hin.

Schuldig stand im Badezimmer und begutachtete die Naht mit argwöhnisch zusammengezogenen Brauen. Würde wohl keine wulstige Narbe bleiben, hatte er richtig Glück gehabt, grübelte er mit einem zynischen Lächeln, welches verblasste, als er sich vom Spiegel abwandte. Er legte einen Klebeverband an und löschte das Licht.

Bis auf den Flachbildschirm war es dunkel in der Wohnung, die Lichter aus, die Tür zum stillen Raum nur angelehnt.
 

Er ging in die Küche, holte sich aus dem Kühlschrank ein Bier, setzte sich damit vor den Fernseher.

Wiederholt fiel sein Blick auf die angelehnte Tür, die fast geschlossen war. Seit zwei Stunden waren sie wieder in der Wohnung und seit fast genau dieser Zeit war Ran nun schon dort drinnen. Schuldig beobachtete akribisch die vergehende Zeit. Es war nicht gut, ständig dort drinnen zu sein, sich abzuschotten.

Schuldig nahm einen Schluck seines Bieres, klickte sich durch die Programme und blieb an einem Film hängen, den er noch nicht gesehen hatte. Es war fast schon halb elf abends.
 


 

In Schuldigs Zeitrechnung waren es weitere zwei Stunden, die vergingen, für Aya jedoch bedeutete diese Zeit nichts. Rein gar nichts. Beinahestille umhüllte ihn und seine Gedanken, ließ ihn forttreiben von der Realität…beinahe flüchten.

Alles vergessen, was tief in seine Seele eingedrungen war. Die Formalitäten…das Gespräch mit dem zuständigen Berater, mit dem Arzt, ein letztes Durchsehen der Krankenakte…all das hatte er hinter sich und es war nicht gut für ihn gewesen. Also floh er in Gedankenlosigkeit. In Erinnerungen an helle, fröhliche und unbeschwerte Tage.
 

Aya lehnte an den weichen Wänden, hatte sich in eine dunkle Ecke des Raumes gekauert.
 

Wieder fiel Schuldigs Augenmerk zur Tür, danach zur Uhr. Es war halb eins, als Schuldig die Fernbedienung achtlos neben sich warf und aufstand. Er näherte sich der Tür öffnete sie und blickte sich um.

Ohne Licht zu machen trat er in den Raum ein, fand den dunklen Schemen in der hintersten Ecke. Er näherte sich Ran, setzte sich vor ihn hin und berührte einen Arm. "Hey", sagte er sanft und leise.

"Ran...", sprach er ihn mild an. "Komm ins Bett, Blumenkind, hmm? Ist doch besser als hier zu sein", versuchte er die Aufmerksamkeit von Aya zu erlangen.

Es war fast ganz dunkel im Raum, da nur der laufende Fernseher draußen sein Licht hinein fallen ließ.
 

Blumenkind?

Ayas Augen richteten sich der Dunkelheit angepasst auf den anderen Mann, auf die aufmunternden Worte. Ein kurzes, trauriges Lächeln, das so schnell wieder verschwunden war, wie es sich gezeigt hatte. Doch…das Bett hörte sich gut an. Schlafen, Vergessen, kein Bewusstsein mehr, das die Gedanken auf irrwitzige Reisen schickte.

Aya tauchte gänzlich in den morastigen Sumpf der Realität zurück und streckte seine Beine langsam aus. Es schmerzte. Das Hiersein.

„Blumenkind?“, hakte er nach und suchte die Augen des Deutschen durch die minimal erhellte Dunkelheit hindurch. „Ich habe aber im Moment keine, die ich werfen könnte…“
 

Schuldig lachte leise.

"Ich weiß nicht, der Bonsai da draußen kommt einer Blume doch sehr nahe, oder? Aber bitte nicht …werfen…"

Seine Worte waren weich und sanft als er den Kopf leicht neigte, von unten her zu Aya blickte, das Gesicht dabei ganz im Schatten verborgen.

Er hielt die Hand offen hin. "Komm hauen wir uns hin, es war ein langer Tag"
 

Aya musste nun doch etwas länger lächeln. Den Bonsai werfen? Nach Schuldig?

Er schlug ein, ließ seinen Körper das Regiment übernehmen. Seinen Körper, der ihm sagte, dass der andere Mann Recht hatte.

„Wenn…man es genau nimmt, ist der Fukientee keine Blume, sondern eine Baumart“, erwiderte er schließlich mit einem erneuten, vorsichtigen Lächeln. Er ließ sich von Schuldig langsam in die Höhe ziehen und betrachtete sich den anderen Mann, wie sie hier standen. Friedlich sich gegenüber. Kein Vergleich zu noch nicht mal drei Tagen vorher.
 

Schuldig grinste schief. "Grünzeug is’ Grünzeug", murmelte er verlegen und ließ Ran wieder los, obwohl er ihn gerne etwas länger gehalten hätte. Er ging voraus, strich zuvor jedoch noch einmal den Arm entlang, um den Kontakt noch etwas zu halten. Es hätte zufällig ausgesehen, wenn er nicht genau gewusst hätte, dass es Absicht war.
 

Aya blieb einen Moment zurück und besah sich seinen Arm. Wie kam es, dass der andere Mann immer noch zu solch ungezwungenem Hautkontakt neigte? War es wirklich, wie Omi und Ken schon vermutet hatten? Waren das Anzeichen für etwas, das weiter ging, als Aya es bisher ahnte und hören wollte?
 

Er folgte Schuldig, folgte ihm bis ins Bett. War es Egoismus, dass er nicht alleine auf der Couch schlafen wollte, aus Angst vor den Alpträumen, die sicherlich kommen würden? Nutzte er den anderen Mann für seine Belange aus und dessen scheinbare Zuneigung?

Ja. Aya zog seine Decke ein Stückchen höher.

Es gab eine Frage, die all das klären würde. Nur eine einzige Frage. Doch sie zu stellen, würde ihm auch das Letzte zerstören, was ihn noch auf den Beinen hielt.
 


 

War es einfach, hier neben Ran zu liegen?, fragte sich Schuldig.
 

Hier zu liegen und ihn nicht anfassen zu können, als wäre der Mann in einer Blase gefangen und als nähme er das, was außerhalb dieser Blase passierte, nicht wahr... nein dies war nicht einfach.
 

Für Schuldig nicht.
 

So lag er zunächst eine Zeit lang wach, im Halbschlaf, sich der Atemzüge Rans bewusst, die er in seinem Unterbewusstsein registrierte. Hatte er die Befürchtung, Ran würde gehen?
 

Sobald er eine Bewegung wahrnahm war er wieder hellwach.
 

o~
 

Wachsein war kein schönes Gefühl.
 

Übelkeit dominierte seinen Magen, seine Lider waren tränenschwer und gereizt vom vielen Weinen. Der Knoten in seiner Brust war über die Stunden noch stärker geworden. Wie konnte es auch anders sein?

Geschlafen hatte Aya wenig, beinahe gar nicht. Wieder und wieder war er hoch geschreckt und hatte sich umgeschaut. Hatte gehofft, dass alles nur ein Traum war, der schließlich vorbei gehen würde. Doch das war es nicht, wie ihn in den schrecklichen Momenten danach bewusst wurde.
 

Nichts hiervon war ein Traum, alles Realität. Bittere, einsame, kalte Realität, ohne einen Schimmer an Besserung.
 

Aya wusste nicht, wie lange sein Blick schon auf der schlafenden, ihm zugewandten Form des Deutschen lag. Wach wie er war, hatte er sich stumm seinem Schicksal ergeben und die Zeit genutzt, diese vor ihm liegenden, ruhigen Züge zu studieren, die sich nur hin und wieder durch ein Runzeln oder ein angedeutetes Grinsen entstellten. Aya ließ das unwillkürlich lächeln. Selbst im Schlaf holte den Telepathen diese Geste ein.
 

Schon alleine um sich aus seinen abgrundtief dunklen Gedanken zu lösen, versuchte Aya zu ergründen, was der Deutsche an der Textur seines Haares so interessant fand. Überhaupt an der Berührung der Strähnen. Vorsichtig stahlen sich seine Finger vorwärts, leise genug, um den anderen Mann nicht zu wecken. Ebenso vorsichtig strichen sie über ein kleines Bündel dieser überraschend weichen Mähne. War das der Reiz? Das sanfte, federne Gefühl, welches sich von dort aus ausbreitete?
 

Aya probierte es noch einmal, legte seinen Kopf leicht schief. Das spärliche Licht der Schneeverhangenen, nachthellen Wolken tauchte die Züge des anderen Mannes wie auch seine eigene Hand in unwirklichen Schein. Es war, als schwebten sie in der Stille dieser verschneiten Nacht, so wie dicke, weiße Flocken außerhalb des Fensters tanzten. Ein rötlicher Schimmer lag über den gesamten Stadt, bedeckte den Himmel.

Leise hob er seine Hand, strich beinahe unmerklich über die Schläfe des Deutschen. Hatte er das nicht schon einmal getan? Ohne die jetzige, beinahe schon kindliche Neugier?

Er runzelte die Stirn, betrachtete die unschöne, verschorfte Linie dort. Er war es gewesen. Er hatte geschossen…völlig unnütz. Hatte sich aufreiben lassen zwischen den Fronten, zwischen seinem persönlichen Ehrgefühl und dem Zwang, den Kritiker ihm auferlegt hatte.
 

Seine Augenbrauen zogen sich schmerzlich zusammen. Als wenn das das Einzige wäre, das er getan hätte…
 

Ayas Blick wanderte tiefer, ebenso seine Hand. Strich in schweigender Trauer die Decke nach unten und entblößte einen überraschend bedeckenden Pyjama. Angesichts dessen, dass es der andere Mann sonst scheinbar vorzog, nackt zu schlafen, eine Tatsache, die Aya die Stirn runzeln ließ. War es…wegen der Katanawunde? Seine Hand schob sich leicht unter die offenen Ränder des Oberteils, zu leicht, um im Schlaf wahrgenommen zu werden. Sie gaben den Blick frei auf einen scheinbar professionell angelegten Verband.

Ayas Finger strichen leicht über diese Textur, als könnten sie sie dadurch lindern, als könnten sie ungeschehen machen, was geschehen war.
 

Die Süße des Halbschlafes hielt ihn fest in ihren Armen, träge glitt er dahin, sich sicher, dass der Morgen bald anbrechen würde und er noch etwas dösen konnte. Eine warme Berührung, erkannten seine Sinneszellen und alles in ihm richtete sich danach.

Schuldig drohte ein Schauer des Wohlbefindens zu durchlaufen, doch das hätte seine Wachheit verraten und so unterdrückte er ihn. Wie sanft diese Finger doch über seine Haut strichen.
 

Mit ziemlicher Sicherheit würde Ran die erkundenden Finger schnell zurückziehen, wenn er bemerkte, dass Schuldig wach war. Also ließ er sich wieder fallen, genoss, was ihm zuteil wurde, und versuchte sich zu beherrschen.

Dieser Augenblick war so kostbar, dass er Angst hatte, ihn zu vergeuden.

Hieß das nicht, dass Ran so etwas wie Zuneigung für ihn empfand? Er tat es freiwillig, berührte ihn, sanft, so zart, dass Schuldig glaubte, vergehen zu müssen. Doch er wusste, befürchtete, dass er nicht zu viel in diese Geste hinein interpretieren sollte… durfte.

Und plötzlich fuhren die gleichen Finger in elektrisierender Sanftheit hinunter über seine Brust, tasteten über die heilende, genähte Wunde.
 

War es das? War es Schuld, die diese tastenden Finger über seinen Körper führte?

Wenn es das war sollte es so nicht sein. Trauer befiel Schuldig und er spürte Bitterkeit in sich. Er war versucht, sich wegzudrehen so zu tun als würde er sich im Schlaf unabsichtlich weggedreht haben.

Doch etwas hielt ihn davon ab und stattdessen stahl sich seine Hand nach oben, umfasste Rans und legte sie auf seine Brust, hielt sie mit seiner bedeckt, als er die Augen öffnete.

Und in geheimnisvolles Violett blickte, das einen schmerzvollen Ausdruck innehatte. Oft waren diese Augen so undurchschaubar und doch jetzt konnte er sie lesen.

Er schwieg, sah ihn nur an, nahm jede Einzelheit in sich auf, als müsste er ihn zeichnen, ihn für sich in sein Inneres bannen. Hin und wieder senkten sich seine Lider um die Hornhaut zu befeuchten, doch er sprach nichts, wünschte sich lediglich diese Lippen berühren zu dürfen.
 

Aya war unwillkürlich zusammengefahren, als sich der schlafende Mann vor ihm als nicht halb so schlafend herausstellte, wie er es zu Anfang gedacht hatte. Das war…nicht gut. Wie würde…

Nein, die Frage brauchte sich Aya nicht zu stellen, besonders jetzt nicht, da seine Hand allzu warm daran gehindert wurde, ihre frevelhaften Taten aufzugeben und sich zurückzuziehen. Als ihn selbst in diesem Licht leuchtende, grüne Augen ansahen, die alles von ihm zu wissen schienen. Aber dem war nicht so, ganz und gar nicht. Oder? Sie sahen doch nur, was er nach außen hin projizierte.
 

Ayas Blick senkte sich auf ihrer beider Hände, die Verletzung, auf der sie lagen. Zeit, sich dafür zu entschuldigen. Ja…das war es und dennoch brachte er kein Wort über die Lippen, die sich in vergeblichen Bemühungen bewegten. Seine Stimmbänder wollten nicht herauslassen, was ihm durch den Kopf ging, wollten ihm nicht gehorchen. Vielleicht war es auch besser so. Seine Augen glitten wieder nach oben, in die schweigsamen Pendants, die ihn immer noch maßen und nicht freizugeben schienen.
 

Wie berauschend es doch war ihn kennen zu lernen, ihn zu studieren, dachte Schuldig während er Rans Hand in seiner an sich hielt. Er hätte sich ihm ganz leicht entziehen können, doch er blieb bei ihm, wie er auch schon die ganze Zeit über hier in dieser Wohnung geblieben war.

Schuldig verfolgte den Blick, wie er stet über seine Gestalt strich und wieder zu seinen Augen zurückkam. Wie die Lippen sich tonlos bewegten, nutzlos waren die Stimmbänder, wie es den Anschein hatte, versagten sie in der Hitze des Gefechtes, welches in Ran tobte. Er hatte sich sicherlich erschrocken, dass Schuldig nicht geschlafen hatte, dass er ihn erwischt hatte.
 

Mit der Linken hielt er die Hand und mit der Rechten trat er in den nahen Kreis um Ran ein, vorsichtig, bis er mit dem Zeigefinger zart die Lippen erreichte, die Linie, die beide Lippen bildeten mit dem Finger versiegelte. Er bedeutete somit ohne etwas zu sagen, dass Ran nichts zu sagen brauchte, er auch so verstünde.

Er nahm seine Hand wieder zurück, bettete sie vor sich.

Seine Gedanken tasteten sich vor, umhüllten die hohen Barrieren, die um Rans Geist lagen wie die Mauern der Bastille. Und ihm war es als erhaschte er ein Wispern, doch es war fern und kaum von ihm zu erfassen.
 

Ayas Lippen gaben ihr vergebliches Spiel auf, verstummten alleine schon anhand der Geste des Telepathen. Seine Gestalt entspannte sich nach wenigen Momenten, ebenso wie seine, immer noch menschlichem Hautkontakt ausgesetzte Hand. Die Finger, die sich nun bewegten, noch einmal über den Verband strichen, auf den Aya sein Augenmerk richtete. Es schien, als wollte er mit seiner einfachen Geste wenigstens einen Teil dieser Wunde lindern.

Schmerz und Trauer schoben sich in seine Züge, verhärteten nicht nur den bitteren Zug um seine Lippen, als er unwillkürlich daran dachte, was Schuldig ihm…vor längerer Zeit vorgeworfen hatte. Dass er doch für seine Schwester leben sollte. Und was war nun?
 


 


 


 


 

Vielen Dank fürs Lesen!

Fortsetzung folgt…
 

Coco & Gadreel



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  radikaldornroeschen
2018-07-11T12:09:54+00:00 11.07.2018 14:09
Ich schmelze immer noch.... boaaaaah, in mir schreit alles nach Knutschen!!
Zumindest im letzten Abschnitt dieses Kapitels...

Der Rest ist natürlich auch super geschrieben. Der Winter, die Kälte, alles passend zur Inneren Welt.
Schuldig geht ins Warme... ins Haus von Weiß... ein Symbol?
Ich lese gespannt weiter.
Von:  silvermoonstini
2007-05-07T23:31:10+00:00 08.05.2007 01:31
Das ist so schön geschrieben, ich hab fast angefangen zu weinen,weil ich das so schön fand!


Zurück