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Der Glasgarten

von

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Krake & Klette

~ Krake & Klette ~
 


 


 

o~
 

Noch bevor Aya gänzlich wach war, räkelte er sich genüsslich auf der weichen, warmen Liegestatt. Sonne kitzelte seine Nase und er nieste im Halbschlaf.

Oder war es etwas anderes? Er schniefte leise und rollte sich zur Seite, robbte mit geschlossenen Augen zum Bettrand, wo er die Papiertaschentücher deponiert hatte. Er griff sich eines und schnäuzte leise, wurde alleine schon durch die Anstrengung gänzlich wach. Tatsächlich, die Sonne schien durch die heruntergelassenen Rollos. Aya folgte einem der hellen Wege und drehte sich wieder zu dem noch schlafenden, leise schnorchelnden Telepathen. Ein vorwitziger Strahl hatte sich auf ihr Bett gewagt und fixierte nun einen Punkt auf Schuldigs noch schlafendem Gesicht.
 

Aya runzelte die Stirn. War das nur Einbildung oder hatte der andere Mann am Kiefer tatsächlich einen dunklen Flecken?

Er beugte sich näher zu Schuldig und stellte fest, dass es tatsächlich ein Hämatom war, frisch genug, um von gestern zu sein. Aya atmete tief ein. Crawford. Dieser Bastard. Also doch…er hatte Schuldig für das geschlagen, was er verbrochen hatte.

Wirklich ein Wunder, dass dich dein Team nicht schon längst verlassen hat, du Arschloch, richtete er in Gedanken an das Orakel und erhob sich lautlos. Schmerz durchzog seinen Hintern und er verzog das Gesicht. Nein, davon hatte er erstmal genug. Nicht so schnell wieder.

Er ging ins Bad und ließ sich Badewasser ein, nieste noch einmal.

Fröstelnd stieg Aya schließlich in die hochgefüllte, mit Badezusatz versetzte Wanne und tauchte unter um sich der stille Unterwasserwelt und seinen Gedanken zu widmen.
 

Nur träge öffneten sich Schuldigs Lider und seine Augen riskierten einen Blick in die helle Welt. Er murmelte etwas von wegen „Viel zu hell“ und verkroch sich erneut unter der Decke. Allerdings nicht lange, höchstens zehn Minuten, dauerte diese Maßnahme, als er feststellte, dass er nun hellwach war. Frustriert schob er die Decke von sich und machte sich auf in die Küche um der Kaffeemaschine ein Tässchen dunklen Gebräus zu entreißen. Während diese vor sich hin arbeitete, machte er sich auf ins Badezimmer, lugte vorsichtig hinein, nur um von einem Schaumberg begrüßt zu werden. „Ran?“
 

Es war etwas, das ihn aus seiner Ruhe locken wollte, das spürte Aya instinktiv, doch es war keine Gefahr, das konnten ihm seine Instinkte schon verraten. Es war etwas Anderes, etwas Wichtiges.

Aya tauchte langsam auf und holte tief Luft. Anscheinend war er doch länger, als er sich dessen bewusst gewesen war, unter Wasser geblieben.
 

Und siehe da, Schuldig hatte seinen Schopf durch die Tür gesteckt und sah ihn an. Aya lächelte. „Guten Morgen. Habe ich dich geweckt, Langschläfer?“
 

„Morgen“, lächelte Schuldig und verzog daraufhin das Gesicht vor Schmerz. Er hatte seinen malträtierten Kiefer vergessen.

„Von wegen Langschläfer…“, murmelte er „…du hast noch gar keine Schwimmhäute, so lange kann ich also nicht nach dir aufgewacht sein!“

Die Tür vollends öffnend trat er ins Bad und beäugte den schillernd farbenfrohen Schmerzpol im Spiegel, bevor er sich die Zahnbürste griff und sich vorsichtig die Zähne putzte.
 

Aya tauchte die untere Gesichtshälfte auf Schuldigs Worte hin ins Wasser und blubberte, versuchte so der These des anderen Mannes zu widersprechen, bevor er sich einem anderen Problem widmete. Er streckte sich empor und überstreckte seinen Kopf, um sich den hinter ihm stehenden Mann kopfüber zu betrachten. Er wusste, wie sehr so ein Kinnhaken auch im Nachhinein schmerzen konnte und genau dieses Gefühl hatte er gerade in Schuldigs Augen gesehen.

„Warum hat Crawford dich geschlagen?“, fragte er geradeheraus und drehte sich in der Wanne um, sodass er den anderen Mann normal anschauen konnte.
 

Ran wirkte verspielt auf ihn, wenn er im Wasser planschte, es veranlasste Schuldig zu einem Lächeln, den dadurch ausgelösten dumpfen Schmerz in seinem Kiefer in Kauf nehmend.

Er drehte sich um und lehnte sich an den Rand des Waschbeckens. „Ich hatte keinen Bock auf den nächsten Auftrag. Zwei Wochen Shanghai. Ich hab ihm wohl einiges an den Kopf geknallt was er mich mal kann, deshalb war er wohl etwas sauer. Vermutlich auch wegen der Geschichte mit Kritiker, aber das hatte ihn weniger gestresst, eher die Tatsache, dass ich gemault hab“, zuckte Schuldig mit den Schultern und nahm sich einen Haargummi von der Ablage um sein Haar in Ordnung zu bringen.
 

„Zwei Wochen?“ Aya runzelte die Stirn. Schon wieder, wo doch der letzte Auftrag noch nicht lange her war.

„Wieso musst du so oft weg?“, fragte er mit Unverständnis. „Das war doch vorher nicht so. Ausgerechnet jetzt. Und zwei Wochen…“ Er würde also ganze zwei Wochen auf Schuldig warten müssen, hoffen, bangen, dass der andere Mann wiederkam. Aya wurde schlecht bei dem Gedanken, dass er eben das in keinerlei Art und Weise beeinflussen konnte.
 

Schuldig zog seine Hose aus und näherte sich der Wanne, warf das dunkle Stück Stoff auf die Bank. „Das war der Grund, warum ich ebenfalls ausgeflippt bin, genau wie du verstehe ich es nicht. Er sagt, dass es jetzt noch ein Grund mehr gibt, warum es besser sei, unsere Aktivitäten in Tokyo einzuschränken. Schließlich haben Kritiker ein Auge auf ihn geworfen.“

Zu Ran in die Wanne steigend, seufzte er wohlig, als die Wärme seine Glieder umwogte.

„Wir hatten nach dem Fall von SZ eine Phase, wo wir unsere Aufträge nur im Ausland tätigten. Zum Teil, um euch aus dem Weg zu gehen, nur nach und nach nahmen wir wieder hier Jobs an. So abwegig ist das also nicht, dass wir nach Shanghai gehen“, seufzte er und legte den Kopf in den Nacken, blickte missmutig an die Decke.

Er hatte Brad einen Dreckskerl genannt, der es nicht ertragen konnte, dass Schuldig nicht mehr auf ihn angewiesen war…deshalb hatte dieser ihm eine verpasst. Doch das sagte er nicht.
 

„Wird das jetzt immer so gehen? Eine Woche hier, zwei Wochen oder länger weg? Wird es darauf hinauslaufen?“, fragte Aya mit einem Schmerz in der Stimme, der nicht von ungefähr kam. Denn obwohl er jetzt frei war, die Wohnung zu verlassen, so musste er doch immer noch tatenlos mitansehen, dass Schuldig ging. Was auch immer ein Problem für ihn bleiben würde. Er zog missmutig ein Bein an und stützte seinen Arm darauf, sein Kinn auf die Hand bettend. „Oder werdet ihr irgendwann ganz auswandern?“
 

Schuldig ließ sich ins Wasser gleiten, bis nur noch seine Augen aus dem Wasser blickten, seine Beine umwanden Ran und stupsten ihn in seine Richtung. Er tauchte wieder etwas auf und wischte sich über das Gesicht, nässte sein Haar.

„Wir sind nicht abgehauen, als wir ganz unten waren, warum sollten wir jetzt abhauen? Ich liebe diese Stadt, ich brauche diese vielen Gedanken, Brad mag die Atmosphäre, die Möglichkeiten, Jei und Nagi bleiben bei uns, vor allem Nagi fühlte sich in der Fremde nicht sehr wohl, er ist geradezu schreckhaft in anderer Umgebung. Nein, ich werde hier nicht weggehen, nur müssen wir Aufträge annehmen, die uns Kohle bringen. Und Brad kümmert sich darum. Glaubst du, es hat andere Gründe?“
 

„Ja, das glaube ich“, erwiderte Aya ehrlich. „Crawford hasst mich, er hat etwas gegen unsere Verbindung. Und er empfindet etwas für dich. Natürlich macht er das mit Absicht, er kann es nicht ertragen, dass du glücklich bist…ohne ihn.“

Er schüttelte den Kopf, kam Schuldig noch etwas näher und platzierte sich auf dem Schoß des anderen Mannes.

„Es gibt auch Aufträge innerhalb Japans, die ihr annehmen könntet. Es muss nicht gleich so weit sein. Was kommt denn als nächstes? Amerika? Australien? Europa?“
 

Entspannt legte Schuldig den Kopf in den Nacken und sah zu Ran hoch. „Ja, das stimmt“, seufzte er und taxierte Rans Gesicht. „Du meinst, er dreht langsam durch?“, meinte er langsam. Er war ja selbst schuld…

„Ich hab ihn gestern gereizt“, gab er zu und schloss die Augen für Momente des Nachdenkens. Crawford empfand etwas für ihn. Warum konnte er sich mit diesem Gedanken so schlecht anfreunden… Es machte alles so kompliziert.

Und dazu noch der Verdacht, dass ihm selbst auch etwas an dem Amerikaner lag. Nur was genau…?
 

„Was hast du denn getan?“, fragte Aya nach, konnte sich schon vorstellen, dass weder Schuldig noch Crawford an sich hatten halten können. Er strich Schuldig durch die nassen Haare, fuhr hauchzart über das lädierte Kinn. Irgendwann würde er nicht mehr tolerieren, was Crawford tat und sagte. Irgendwann würde auch seine Selbstbeherrschung platzen.
 

„Ach…“, meinte Schuldig und genoss die Berührungen. „…ich habe ihn einen Dreckskerl genannt, der es nicht erträgt, dass er nun nicht mehr seine Hand über mich halten kann. Ich war wütend, weil ich weg muss und daher wohl ungerecht. Er und ich wussten in diesem Moment dass ich Recht hatte, aber ich wusste vorher schon, dass er sich das nicht bieten lassen würde, genau wie er wusste, dass ich es wusste. Ich hätte es nicht sagen sollen, aber nach dem, was du vermutest…dass ich was für ihn empfinde, wollte ich seine Reaktion testen“, sagte er etwas kleinlaut und verzog den Mund bedauernd, was ihn zu einem schmerzempfindlichen Zischen veranlasste.
 

„Freche Schnauze, wie immer“, lachte Aya und hauchte einen leichten Kuss auf die Stirn des vom Kriege gezeichneten Telepathen. „Lass dich von ihm nicht unterkriegen, so wie es euer Jüngster tut.“ Er seufzte. „Anscheinend hat es ihn wirklich erwischt. Er kann sich vorstellen, was mit Omi anzufangen. Es ist ihm ernst, aber er hat Angst davor. Weißt du da Abhilfe?“
 

Schuldigs Gesicht verdüsterte sich etwas. „Das alte Problem“, nickte er. „Nagi lässt sich nicht unterkriegen, Ran. Er hängt sehr an Brad. Das kann ihm keiner nehmen. Auch Omi nicht.“

Er hatte schon bemerkt, dass es für Nagi nicht einfach war, vor allem eine Entscheidung zu treffen unter all den Problemen, unter denen er litt.
 

„Omi will ihm seinen Amerikaner auch nicht nehmen, das ist nicht das Problem. Die Frage ist eher, ob Crawford ihn gehen lassen kann und will, zumindest soweit, dass er es akzeptieren würde, wenn die beiden sich nähern. Und das ist es, was ich bezweifle.“ Aya setzte sich etwas zurück. „Was hat Crawford gegen Weiß, Schuldig?“
 

„Nichts“, erstaunte es Schuldig. „Es ist Kritiker, was ihm Sorgen macht. Je mehr wir mit euch ‚verkehren’, wie er sich ausdrückt, desto höher ist die Gefahr der Entdeckung und der Tötung durch andere Gruppen, wie zum Beispiel Kritiker. Nicht nur Kritiker sind hinter uns her, Ran, auch andere Gruppen, die Wind von uns bekommen haben, legen Wert darauf uns auszuschalten. Er kann nicht alles sehen, was uns bedroht, deshalb will er, dass wir uns schützen und die Augen offen halten. Wenn wir bis über beide Ohren mit poppen beschäftigt sind und vor lauter rosa Wolken nichts anderes sehen, könnte uns das unter die Erde befördern. Er hat nicht unbedingt etwas gegen euch persönlich, es ist das was ihr verkörpert – Gefahr für uns.“
 

Das brachte Aya zum Grübeln. „Er hat Recht, du bist bis über beide Ohren mit Poppen beschäftigt, aber dass du deswegen unaufmerksam wirst, kann man nicht sagen. Außerdem wärst du das dann auch, wenn er mit dir schläft.

Die Gefahr, dass euch jemand aufspürt, ist immer gegeben. Ihr könnt Sicherheitsvorkehrungen treffen, ja. Aber ein Restrisiko bleibt immer. Mit oder ohne Sex. Es sei denn, ihr würdet euer Geld mit anderen Dingen verdienen.“

Er nieste wieder, verfluchte seine schwache Konstitution. Sein Kopf fühlte sich nämlich schon an, als würde sich da etwas Ernsteres anbahnen.
 

Schuldig musste grinsen, da Ran einen überraschten Gesichtsausdruck hatte, als ihn der Niesanfall überfiel. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ...wir miteinander ins Bett hüpfen, wenn ich ehrlich bin. Auch wenn er damals bei Kitamura dabei war, oder gerade deshalb. Ich verstehe nicht, warum er sich nicht schon früher an mich ran gemacht hat, schließlich hätte ich ganz bestimmt nicht nein gesagt.“ Er legte den Kopf zur Seite, als er eine Bewegung im Augenwinkel sah. Banshee stromerte neugierig ins Bad.

„Klar ist die Gefahr immer da, aber je näher wir euch kommen, desto höher ist die offensichtliche Gefahr. Schwierigkeiten im Bezug auf Interessenkonflikte entstehen, wie er sich ausgedrückt hat. Er meinte, dass ihr Probleme bekommen könntet, was eure Loyalität anbetrifft.“
 

„Wir?“, fragte Aya nach. „Du meinst, der Rest von Weiß. Ich bin zu keiner Loyalität verpflichtet und das weiß er. Das einzige Problem, das ich habe, ist…“, Aya zögerte für einen Moment, bevor er das Thema anschnitt, was er schon einmal kurz angesprochen hatte. Nur ganz kurz, bevor sie wilden, ungestümen Sex hatten. „…eure Art zu töten. Es genügt ein kurzer Streich und sie sind tot. Warum spielt ihr unnötig mit euren Opfern?“

Er sah ebenso zur Seite und lockte die Kleine nach ein paar Momenten, nahm sie auf, als sie nah genug bei ihm war.

„Willst du auch baden, Banshee?“, fragte er leise und hielt sie zwischen sie beide, sah zu, wie ihre kleinen Tatzen neugierig die Wasseroberfläche erkundeten und sie leise miaute, ihre Verwirrung kund tat.
 

Schweigen breitete sich wie eine dunkle Wolke zwischen ihnen aus. Er konnte diese Frage nicht beantworten. Er wollte es nicht.

Genugtuung, ein Ventil, Unterhaltung, er konnte es nicht begründen, denn es überfiel ihn wie ein Rausch, ein Trip, als wäre es eine Droge, die durch ihn wusch, wenn er tötete.

Sein Blick wandte sich zu Banshee, der das Wasser nicht geheuer war. „Jetzt bist du zu keiner Loyalität mehr verpflichtet, aber du warst es…und es hätte mich beinahe von Schwarz entfernt. Er fürchtet wohl erneut ein Desaster wie bei uns beiden.“
 

„Ich war wegen meiner Schwester verpflichtet, doch Omi hat niemanden, für den er sorgen muss. Er ist so gesehen frei, einfach unterzutauchen und Weiß zu verlassen“, erwiderte Aya und setzte Banshee auf dem breiten Rand der Wanne ab, ließ sie ihren Weg zu Schuldig erklettern. Sie war die Reinheit, so kam es Aya jedenfalls vor. Die Unschuld in ihrem dunklen Gesprächsthema.

Und wie unschuldig sie mit den roten Zotteln spielte, die so vorwitzig über den Rand hinweg standen.
 

„Wenn er es tun würde, wäre er keine Gefahr mehr für Nagi. Wir sind alle mit unseren Fähigkeiten tief verwurzelt, wir können nicht einfach so aufhören damit. Es würde uns…verrückter machen, als wir schon sind wenn wir versuchten es zu unterbinden.“

Nagi litt nach außen hin am Meisten unter der Telekinese und ihren Folgen. Dass Crawford und Jei große Probleme mit ihren Fähigkeiten hatten, war zwar nachvollziehbar und Schuldig sah es auch an kleinen Dingen, aber sie äußerten es nicht. Er dagegen…war nicht umsonst seit seiner frühen Jugend in diversen Kliniken gewesen.
 

„Was zu unterbinden, Schuldig? Das Töten?“, fragte Aya nach. „Gibt es denn nicht die Möglichkeit, eure Kräfte anders einzusetzen? Warum so?“ Wenn er ehrlich war, fragte er sich das schon, seit sie sich zum ersten Mal getroffen hatten. Jemand wie Schwarz, denen alle Möglichkeiten offen standen…wie konnte so jemand sich aufs Töten festlegen?
 

Unruhe breitete sich in Schuldig aus, als diese Fragen auf ihn niederfuhren. Er setzte sich auf, weil er das Gefühl hatte, dass er weg musste. Aus dieser Nähe, von diesen Fragen, von diesen guten Absichten weg musste.

„Mir wird hier zu warm, ich glaube ich werde mich abtrocknen“, lächelte er ausweichend und machte Anstalten sich zu erheben, zumindest wollte er signalisieren, dass er aufstehen wollte, doch noch ließ ihn Ran nicht.
 

„Es ist nicht zu warm hier, Schuldig. Du weichst mir aus“, erklärte Aya klar und offen. Er dachte nicht daran, den anderen Mann einfach so entkommen zu lassen. Nicht jetzt, jetzt, wo er ihm schon zweimal ausgewichen war auf diese Frage.

„Sag mir, was macht es dir so schwer, mir diese Frage zu beantworten, Schuldig?“, fragte er sanft, getragen. Er wich jedoch nicht von der Stelle, gab Schuldig keinen Raum um sich zu erheben.
 

Als würde Banshee die Stimmungsveränderung spüren können sprang sie vom Wannenrand und tapste aus dem Bad. Schuldig blickte ihr nach. Langsam wandte er den ernsten Blick zu Ran zurück. „Lass mich gehen, Ran.“ Er fühlte sich in die Ecke gedrängt, unter diesem Blick, der sein Innerstes sehen wollte. „Was willst du hören?“, fragte er angespannt, mit der Spur von Trotz. Er ahnte, worauf das hinaus lief.
 

„Ich möchte die Wahrheit hören“, erwiderte Aya sanft und strich sanft über die feuchte Haut des Telepathen, strich ihm über die gesunde Wange. „Ich will und werde nicht über dich urteilen, Schuldig. Ich möchte einfach nur, dass du mir den Grund nennst.“
 

„Und was bringt dir das dann? Glaubst du, es tut dir gut, wenn ich dir sage, dass ich es brauche? Meinst du das?“, blaffte er und presste die Lippen zusammen, sah Ran anklagend dabei an.
 

„Ja, das meine ich. Ich möchte wissen, woran ich bin, nicht mit Verdrängung oder einer galanten Lüge leben, Schuldig. Ich habe dir schon gesagt, was ich für dich empfinde und wie tief diese Gefühle gehen. Das heißt, ich kann mit allem an dir leben. Ich möchte nur den Grund wissen. Warum willst du es mir nicht sagen?“ Aya hielt diesem Blick ausdruckslos, jedoch stark stand und setzte sich ein Stück zurück. Ja, Schuldig konnte aufstehen, wenn er wollte, doch er würde das nicht gut finden. Würde nicht gut finden, wenn der andere Mann jetzt vor ihm floh.
 

Für eine Flucht war es zu spät, erkannte Schuldig und scheute den Blick gerade jetzt in die wissenden Augen.

„Ich kann dir den Grund nicht nennen… weil ich ihn nicht weiß. Es macht mir Spaß zu töten, in manchen Einsätzen. Es verschafft mir Genugtuung, irgendetwas in mir braucht es.“

Sein Blick kehrte zu Ran zurück und er verzog das Gesicht zu einer starren Maske der Beherrschung. Die Angst vor der Ablehnung, vor diesem Thema war nur in seinen Augen sichtbar.
 

Doch er konnte in Ayas Augen, in seinem gesamten Gesicht nur Offenheit und Zuneigung lesen. Nichts anderes und schon gar keine Ablehnung.

„Was ist, wenn du nicht töten würdest? Hast du das über einen längeren Zeitraum schon mal getan?“, fragte er schließlich.
 

„Seit Kitamura nicht“, sagte Schuldig widerstrebend. „Seit ich in diesem Job bin“, sagte er und lachte freudlos auf, sah Ran mit einem Blick an, der diesem sagen sollte, dass er hier mit einem Teufel saß, doch der Mund war zynisch verzogen.

„Es war das Einzige, was ich konnte, worin ich gut war und bin. Alles andere war sinnlos für einen ohne Ausbildung, ohne Erziehung, ohne Schuldbildung. Ich bin gut darin.“
 

„Du sagst das, als wäre das die einzige Lösung, Schuldig. Doch dir steht die ganze Welt offen. Gerade dir. Du kannst alles nachholen, was du willst. Schulbildung, Ausbildung, Studium, was auch immer. Und die Erziehung übernehme ich, wenn es da überhaupt noch etwas zu erziehen gibt. Du bist gut so, wie du bist. Ich habe dich so kennen gelernt und bin immer noch bei dir. Ich würde doch mal sagen, dass das nicht von ungefähr kommt, oder?“ Aya hob abwartend seine Augenbraue und suchte ein weiteres Mal Kontakt zu Schuldig, ungeachtet dessen Gesichtsausdrucks.
 

„Du meinst ich ficke gut? Dumm fickt gut“, lachte Schuldig triefend vor Zynismus, ließ sich frustriert nach hinten gleiten, entspannte seinen Körper wieder etwas. „Das hört sich alles leicht an, aber es bringt nicht diese Erlösung, diese Spannung, diesen Thrill mit sich“, wurde er wieder ernster. Er wusste wirklich nicht, was er machen sollte ohne dieses Spiel des Tötens.
 

Manchmal…genau jetzt in diesem Moment, konnte Aya durchaus verstehen, warum Crawford Schuldig eine reingehauen hatte. Er verspürte ähnliche Gelüste, eben weil der Telepath sich selbst so abwertete.

„Brauchst du diesen Thrill denn so dringend?“, fragte er, nachdem er sich innerlich wieder beruhigt hatte, nachdem er Schuldig in die Augen sehen konnte ohne ihn würgen zu wollen.
 

Schuldigs Blick flackerte für Wimpernschläge, bevor ein trauriges Lächeln auf dem Gesicht erschien. „Hör auf mich das zu fragen, sonst erzähle ich dir wieder Dinge, damit du mich hasst. Dinge, damit ich den Hass in deinen Augen sehen kann, damit ich ein Anrecht darauf habe, mich gut zu fühlen wenn ich sie töte.“

Er schwieg und fuhr dann tonlos fort, seine Augen jedoch blitzten interessiert. „Es ist der Moment, in dem sie still werden. Keine Gedanken mehr. Nichts mehr. Stille. Stille, die ich nur in diesem Moment höre. Nur dann, wenn ich noch in ihrem Kopf bin und sie verstummen.“
 

Aya schwieg.

Er wusste ehrlich gesagt nicht, was er darauf antworten sollte. Ihm war schon immer bewusst gewesen, dass Schuldig es liebte zu töten. Doch wie tief diese Sucht ging, wurde ihm erst jetzt wirklich richtig bewusst. Wie körperlich das Verlangen nach dieser Stille war, die Schuldig doch sonst nicht vergönnt war…

Er grübelte über die Worte nach, während sein Verstand versuchte, die Ausmaße dessen zu erfassen und daran scheiterte. Er fand einfach keine Lösung, keinen Weg, wie er sie beide da auf einen Pfad bringen konnte, der über das simple Verstehen hinausging.

Auch wenn er es Schuldig nachempfinden konnte, natürlich, dafür war er zu lange Zeit ebenso Killer gewesen, so konnte er damit nicht konform gehen. Er musste diese Seite des anderen Mannes ausblenden. Eben weil ihm die andere Seite, der unschuldige Junge, sehr viel bedeutete.
 

Schuldig lächelte bitter und stand dann auf, das Schweigen sagte in diesem Moment viel mehr als Worte es hier je vermocht hätten. Ran hatte es geradezu herausgefordert, dass dies geschehen war.

Sich abtrocknend, warf er noch einen stillen Blick zu Ran bevor er nackt wie er war das Bad verließ um sich bequeme Kleidung anzuziehen.

Er fühlte sich leer und taub nach diesem Gespräch und so zog es ihn zunächst in die Küche um sich einen Kaffee zu holen. Der Duft nach frisch gemahlenen Bohnen durchzog noch die Wohnung, als er sich in die Kissenecke zurückzog und in den Himmel hinausblickte.
 

Aya ließ sich noch mehr Zeit als nötig um wieder aus dem Bad zu treten. Er war noch lange Zeit im Wasser geblieben und hatte über einige Dinge nachgedacht, bis er sich auch erhoben hatte und nach der üblichen Prozedur des Abtrocknens so wie Gott ihn geschaffen hatte, das Bad verließ. Schweigend ging er zum Kleiderschrank, wo er sich einige, warme Sachen herausnahm und sich schließlich Schuhe überstreifte.

Er warf einen schweigenden Blick zu Schuldig, der sich auf den Kissenberg zurückgezogen hatte und seufzte leise. Banshee war bei ihm, da konnte ja nichts passieren.

„Ich bin draußen…fahre ein wenig durch die Gegend“, sagte er ins stille Apartment und verließ Schuldigs Wohnung.
 

Er hatte die Worte gehört und genickt. Vielleicht sollte auch er etwas entspannen, etwas gegen dieses dumpfe Gefühl in sich tun, es mundtot machen.

Den Kaffee ließ er auf den Boden stehen und er grübelte, während er bereits zielstrebig in die Küche ging um sich ein Beruhigungsmittel zu holen. Es würde ihn etwas müde machen, aber nicht länger als zwei, drei Stunden. Er wollte nicht, dass Ran ihn schlafend vorfand.

Nur ein wenig Stille brauchte er jetzt. Banshee folgte ihm neugierig, als er den ‚stillen Raum’ anstrebte. Doch er verscheuchte sie sanft bevor er den Raum betrat, das Licht löschte und sich eine der Tabletten aus dem Döschen nahm und sich in eine der Ecken verzog. Wie lange war er nicht mehr hier drin gewesen?

Seine Gedanken kreisten um diesen Aspekt, bis er in einen Halbdämmer gefallen war und ihm das Döschen aus der Hand glitt. Es tat ihm gut, obwohl er erst aufgestanden war, hatte er das Gefühl gehabt, dass dieses Gespräch ihn sehr viel seiner Kräfte gekostet hatte.
 

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Es hatte gut getan, wirklich sehr gut, aus freien Stücken die Wohnung zu verlassen. Ohne auf Schuldig angewiesen sein zu müssen, ohne immer mit der Angst im Nacken, dass Kritiker ihn an der nächsten Ecke abfingen.

Natürlich, er war noch immer vorsichtig. Er rechnete immer noch halb damit, dass sie ihm auflauerten. Doch es war nicht mehr dieses bedrückende Gefühl des gefangen Seins, das ihn in den letzten Wochen so fertig gemacht hatte.

So war er auch um einiges ruhiger, als er die Wohnung betrat und ihm Stille antwortete. dämmrige Stille, die nur durch ein leises, im nahes Mauzen unterbrochen wurde.

Er sah hinunter und bemerkte Banshee, die aufmerksamkeitsheischend um seine Beine strich. Leise lachend nahm er sie auf und ging mit ihr in die Küche, Ausschau nach ihrem zweiten Herrchen haltend, doch anscheinend hatte auch Schuldig die Wohnung verlassen, wenngleich sein Wagen noch unten stand.

Aya grübelte ein paar Momente über diese Tatsache und nahm sich eine der angebrochenen Saftflaschen aus dem Kühlschrank.
 

Eine derjenigen, die er in mühevoller Kleinstarbeit in der Wohnung zusammensuchte, nachdem sie Schuldig angebrochen und in Hamsterverstecke gebracht hatte. Aber er fand sie alle! Wirklich alle! Was man von der Schokolade nicht behaupten konnte. Leider. Die fand er nur, wenn er sich auf sie setzte.

Ein sanftes Lächeln umspielte Ayas Lippen. Anscheinend musste er sich erst diese kleinen, alltäglichen Dinge vor Augen halten, damit er das bittere Gefühl in seinen Gedanken loswurde.
 

Er setzte Banshee auf das Fensterbrett, von der sie zwei Sekunden später wieder heruntersprang und ihn vom Boden her anmaunzte. Aya runzelte die Stirn. „Was ist, was willst du mir sagen, Kleine?“, lockte er sanft und sie rannte auf ihren kleinen, noch etwas ungelenken Tapsen in den offenen Wohnraum hinein. Aya lachte leise. Banshee wollte also spielen. Seufzend stellte er die Flasche ab und folgte ihr, sah, dass sie vor dem stillen Raum wartete und ihn rief.

Aya folgte ihr und öffnete noch im Dunkeln die Tür. „Na, magst du auch etwas Stille schnuppern?“, fragte er leise und betätigte den Lichtschalter, warf lächelnd einen Blick in den Raum hinein.
 

Das Lächeln erstarrte. Aya auch.
 

Das Erste, was er sah, war das Pillendöschen, das verwaist auf dem gepolsterten Boden lag. Das Zweite, was er wahrnahm, war Schuldig. Schuldig, wie er in einer Ecke kauerte, völlig leblos, den Kopf wie tot auf der Schulter ruhend.

„Nein…“
 

Das Nächste, was er wahrnahm, war er selbst, wie er neben Schuldig auf dem Boden kniete und den anderen Mann rüttelte. Wie er mit zitternden Fingern nach dem Puls des anderen Mannes haschte.

„Schuldig…Schuldig verdammt!“, zischte er, ängstlich und wütend. „Verdammt, mach keinen Scheiß, tu mir das nicht an! Schuldig.“ Verdammt, wieso hatte er bloß die Wohnung verlassen? Wieso war er nicht hier geblieben? Bei Schuldig…um zu verhindern, dass…dass es noch einmal geschah, wie bei Aya…wie bei allem…

Völlig neben sich stehend griff er zu dem Döschen und starrte darauf. Beruhigungsmittel. Nein…
 


 

Sanfter Schlaf hatte ihn in seine Arme gezogen, als die Ruhe ihn überwältigt hatte. Doch jetzt riss etwas an ihm und erschrocken öffnete er die Augen, er war noch müde, noch immer zog der Schlaf an ihm wie Blei, welches ihn in tiefes Wasser zerren wollte. „…Ran…?“ Er kniff die Lider zusammen, da es viel zu hell war.

„Bist du schon wieder hier? So …früh?“, fragte Schuldig verwirrt nach und wischte sich übers Gesicht um wach zu werden. „Ich dachte du würdest erst später zurückkommen?“

„Was ist los?“ Erst jetzt, da er Ran genauer in Augenschein nahm erkannte er dessen besorgte …fast schon verzerrte Miene.
 

Aya starrte, erstarrte, als sich Schuldig regte. Als er aufwachte und sich NICHT mit einer Überdosis an Beruhigungsmitteln…

Der rothaarige Mann atmete tief,zittrig ein. Schock durchwusch ihn in großen, verschwenderischen Wellen und ließ ihn beben. Ließ ihn außer sich vor Angst, kurz aufgeflammter Verzweiflung und Wut nach dem Kragen des Pullovers greifen, den Schuldig am Leibe trug. Er riss den anderen Mann daran hoch, halb zu sich, Feuchtigkeit in den Augen, die er da überhaupt nicht haben wollte.

„Warum tust du das?“, schrie er ohne Halt und ruckte an dem gefangenen Shirt. „Warum tust du mir das an?“
 

„Was…“, brachte Schuldig erschrocken über die Intensität des Gefühlsausbruches lediglich hervor. Was meinte Ran? Seine Hände hatten schnell nach oben zu Rans Unterarmen gegriffen, hielten ihn fest. Tränen schwammen in dem vor Verzweiflung angefüllten Blick, der Schuldig entsetzte. Dieses Gefühl setzte sich in ihm fest und wurde auf seinem Gesicht sichtbar.

„Was ist denn?“, wusste er noch immer nicht den Grund für diese Situation. Er wollte Ruhe haben…er hatte Tabletten genom….

„Ran!“, schrie er in plötzlicher Erkenntnis. „Alles ist gut, Ran. Es tut mir leid…bitte, verzeih mir…“, schüttelte er den Kopf, als wollte er mit dieser Geste den Verdacht des Suizides aus Rans Kopf verdrängen. „So war das nicht, ich wollte nur abschalten…Ran…“

Sein Atem ging schneller und er blickte eindringlich ins Gesicht des anderen Mannes, der ihm so aufgelöst schien.
 

Ayas Lippen zitterten, er selbst tat es, seine Finger immer noch rettungssuchend um den Anker des Stoffes geschlungen. Als die verräterischen Tränen zu fallen begannen, senkte er den Kopf, ließ dichte Haarsträhnen sein Gesicht verbergen. Er saß hier und weinte lautlos. Er hatte gedacht…er hatte für einen Moment gedacht, dass Schuldig versucht hatte sich umzubringen…wegen IHM. Aya presste seine Lider eisern aufeinander. Nein. Er hätte das nicht durchgestanden.
 

„Nein“, flüsterte Schuldig heiser. „Nein, Ran…nicht wegen mir…nicht“, wischte er hilflos und mit zitternden Händen Rans Tränen weg, die diesem über die Wangen liefen.

„Ich würde so etwas nicht machen, hörst du? Dafür bin ich zu sehr in dich vernarrt, dafür will ich dich nicht aufgeben, dafür…nein, Ran…hör auf…wie könnte ich dich alleine lassen?“ Er wiederholte sich und seine Stimme wankte etwas, brach vor lauter Hast.
 

Leise, schluchzende Geräusche entrangen sich Aya. Er wagte es nicht hochzusehen, wagte nicht, Schuldig anzusehen.

„Ich habe gedacht, du hättest dich…nur weil ich gegangen wäre…ich habe gedacht, dass ich dich verloren hätte…ich habe die Pillen gesehen…wie du dort lagst…ich…“ Seine Stimme versagte ihm, war zum Ende hin immer gepresster geworden. „Es tut mir leid…es tut mir leid…ich wollte nicht gehen. Nicht schon wieder…“
 

Das was er mit seiner unüberlegten Tat angerichtet hatte schmerzte ihn ebenso, wie Ran es schmerzte. „Dir muss nichts leid tun, gar nichts“, sagte Schuldig, die Stimme schwer vor Sorge. „Ich bin derjenige, der Mist gebaut hat, ja? Ich habe nicht nachgedacht, ich hätte es nicht tun sollen, ich habe nicht an dich gedacht! Siehst du? Ich bin egoistisch und unüberlegt.“

Er hielt Ran fest, blickte ihn voller Angst, dass dieser von ihm gehen könnte, an, versuchte herauszufinden wie er ihn beruhigen konnte. „Ich mach es nie wieder, hörst du? Nie wieder. Wenn du gehst…ich würde überall hinkommen und dich versuchen zurückzuholen…weißt du noch? Ich bin wie eine Klette…und du bist mein Krake? Ran…“, sagte er leise, schluckte den Kloß im Hals hinunter.
 

Aya musste lächeln…trotz allem. Musste an der Brust des anderen Mannes gelehnt über diese so naiven, jedoch seltsam beruhigenden Worte lächeln. Dennoch brauchte er lange Zeit um sich zu beruhigen. Lange Zeit konnte er nichts anderes tun, als an Schuldig zu lehnen, den Schock durch seinen Körper waschen zu lassen und sich zu beruhigen, sich zu versichern, dass es gut war, dass es nicht so war, wie er gedacht hatte und dass er nicht wieder vor der kompletten Leere stehen würde, nur weil er gegangen war und eine falsche Entscheidung getroffen hatte…oder machtlos gegen das Schicksal gewesen war, für das er gekämpft hatte.
 

Leises Maunzen löste ihn schließlich aus seiner Starre und einen Augenblick später schlugen sich scharfe, kleine Krallen in seinen Oberschenkel. Aya schniefte, sah langsam hoch und in die Augen des anderen Mannes.

„Nein…es war nicht deine Schuld. Ich hätte…nicht überreagieren sollen“, erwiderte er. „Ich habe nicht überlegt. Ich hätte nicht…“ Er schüttelte den Kopf, zog Banshee zu sich, die sich schnurrend an ihn schmiegte und sich zwischen sie drängte. Zwischen sie beide, als würde sie sie trösten oder mit ihnen eins sein wollen.
 

Schuldig spürte, wie die Müdigkeit durch die Tabletten gewirkt wieder mit voller Wucht zuschlug als diese Anspannung, diese Angst wieder etwas von ihm fiel. Er war noch immer aufgewühlt von der Verzweiflung und den Tränen wegen dieser Tat, die er begangen hatte. Rans Stimme hörte sich verletzt an, rau.

Aus einem Impuls heraus umarmte er Ran fester, verkroch sein Gesicht in dessen Halsbeuge. „Verzeih mir…ich wollte nicht…ich will nicht, dass es dir schlecht geht…“, wisperte er.
 

Erst jetzt brachte Aya auch wirklich die Kraft zusammen, Schuldig zu umarmen und den anderen Mann ebenso an sich zu ziehen. Banshee hangelte sich zwischen ihnen empor, bohrte ihre scharfen Krallen nun auch in Schuldigs Oberteil.

„Es ist okay…es ist in Ordnung“, murmelte Aya und strich sanft über den Rücken des Telepathen. „Mach dir keine Vorwürfe, nicht wegen mir. Lass es uns vergessen.“
 

„Ja…vergessen“, murmelte Schuldig und seufzte. Sein heißer Atem strich über Rans Halsbeuge. Er durfte nicht so sorglos sein, er musste endlich begreifen, dass sein Handeln nicht nur Auswirkung auf ihn hatte, sondern auch Ran belasten konnte.

„War’s denn schön draußen?“, spielte auf Rans neu gewonnene Freiheit an.
 

Aya nickte nach einiger Zeit. „Es war…befreiend“, erwiderte er, dankbar über die Ablenkung, dankbar über den Themenwechsel. Dafür war das Wiederkommen umso schrecklicher gewesen…das Erkennen.

Er verstummte, schwieg beschämt über sein Verhalten. Warum hatte er nicht nachgedacht? Nur, weil Schuldig den Eindruck gemacht hatte, dass er...sich davon gestohlen hatte?
 

„Ran… was denkst du?“

Schuldigs Stimme war leise. „Sag es mir…bitte.“

Er wollte nicht, dass dieser Augenblick für Ran zu stark im Gedächtnis blieb. Denn er hatte gezeigt, wie sehr Ran unter der Tatsache litt, niemanden zu haben, alleine zurück zu bleiben. Nicht zu wissen, wie er ihm helfen konnte, lastete plötzlich schwer auf Schuldig.
 

Aya erwiderte nichts, konnte es auch gar nicht. Stattdessen schwieg er solange, bis er die Gedanken, die in seinem Kopf schwirrten, in Worte fassen konnte, ohne dass sie missverständlich und falsch waren.

Nachdenklich rieb er seine Stirn an dem Pullover des anderen Mannes, genoss dessen Wärme und Nähe. Dessen Leben.
 

Und Schuldig begriff warum Ran dies tat, warum er nicht sprechen wollte. Er sagte nichts, ließ lediglich Banshee um sie herum rumoren, fühlte Rans angenehme Schwere auf sich, liebte dieses Gefühl des Körpers auf seinem.

„Ich hau nicht einfach ab, hörst du? So einfach kriegt man mich nicht aus dieser beschissenen Welt.“
 

„Ich hoffe es“, kamen geisterhaft auch Ayas Worte, genauso leise geflüstert wie Schuldigs es gewesen waren, als er sich mit seiner körperlichen Präsenz an der des anderen Mannes festklammerte, sie umhüllte. Vielleicht war es auch nur ein Gefühl, vielleicht Wunschdenken, das ihn derart fühlen ließ, verbildlichen ließ, was in ihm schwebte. Es war, als würden sie in Gedanken verbunden sein und deswegen leise sprechen…damit es die Außenwelt nicht mitbekam.
 

„Denk daran, Ran…ich verspreche es dir…leicht mach ich es keinem, der mich von dir trennen will.“

Er konnte nicht in die Zukunft blicken, deshalb wusste er nicht, wann er das Zeitliche segnen musste, aber er würde es nicht freiwillig tun.

„Denk daran…“
 

o~
 

„Omi ist verschossen…Omi ist verschossen…“, summte Youji leise, als er sich überschwänglich den Morgenkaffee einschüttete und das Gegrummel vom Tisch daraufhin geflissentlich überhörte.

„Na etwa nicht? Du und dein Dauergrinsen…ich weiß genau, was das zu bedeuten hat“, lachte er und Omi vergrub sich hinter der Morgenzeitung. „Lass mich raten, es ist derjenige, für den du den ‚Kuchen’ gebacken hast?“, lästerte Youji weiter und ließ sich das Wort Kuchen nur so auf der Zunge zergehen.

Siehe da, die gerade noch hoch erhobene Zeitung senkte sich empört. „Woher weißt du DAS denn bitteschön schon wieder?“

„Es hat mir ein Singvögelchen gezwitschert…“ Youji grinste dreist.

„Ich werd dem Singvögelchen den Hals umdrehen“, knurrte Omi.

„Uh…da wird die auf das Singvögelchen aufpassende Katze aber gar nicht erfreut von sein…“

„Die ist mir scheißegal…“

Youji winkte ab und lachte. „Soso…der Kleine von Schwarz also. Was findest du an dem? Stehst du auf Gerippe?“

Omi knurrte. „Ich wüsste nicht, was dich das anginge…“

„So Aya-like…du hast dir schon viel zu viel von unserem Vögelchen angenommen.“

„Hey, soll dir der Frauen- und Männerkenner numero uno ein paar Tipps geben, wie du an dein Herzblatt herankommst?“, schnurrte Youji und lehnte sich zu Omi, erhielt einen freundschaftlich-feindlichen Stoß mit dem Ellbogen in die Rippen.

„Weißt du was…wenn du absolut nicht weißt, wie du sein Herz erweichen kannst, stell dich hochoffiziell dem Vater vor. Nimm dir ein paar Blümchen mit, ein Strauß Rosen, eine Flasche Wein und ein paar gute Zigaretten für den Großen und spreche bei ihm vor. Halte ganz offiziell um seine Hand an…“

Omi sah auf, sah Youji direkt in die Augen und lächelte. „Hör auf zu trinken, Youji, du redest Müll. Als wenn ich bei Crawford um Nagis Hand anhalten würde…“

„Also doch der Junge…“

Der blonde Weiß rollte mit den Augen. „Er ist eben interessant. Außerdem hast du schon Aya gepoppt…skurriler kann’s auch nicht mehr werden.“

„Wer nicht frech, junger Mann, oder…“

„Jaja…nein, ich werde nicht zu Crawford gehen. Das ist eine beschissene Idee. Willst du, dass er mich fein säuberlich in Einzelteilen zurückschickt?“

„Feigling…“, schnurrte Youji und strubbelte Omi durch die Haare. „Ich sag’s dir…ich hab es ein paar Mal ausprobiert. Es wirkt Wunder.“ Er löste sich von dem Jüngeren und verschwand leise summend aus der Küche. Omi seufzte tief. Oh nein. Soweit war er noch nicht gesunken. Nur weil er den jungen Schwarz kennen lernen und ja, vielleicht auch mit ihm schlafen wollte, gleich bei Crawford vorzusprechen…nie!
 

o~
 

Das Rennen lief gut und Schuldig schaltete in der Werbepause auf einen anderen Kanal, als es an der Tür läutete. Überrascht blickte er auf und tastete den Besucher geistig ab. „Was…?“, entfuhr es ihm, als er zur Tür ging und öffnete.
 

Omi lächelte sein charmantestes Lächeln und sah zu Schuldig hoch. „Kann ich reinkommen? Ich habe da mal eine Frage…“
 

Mit den Augen rollend öffnete Schuldig die Tür vollends und trat übertrieben galant beiseite. „Was willst du?“, fragte er wenig gnädig und blickte sich Hilfe suchend nach Ran um. „Ran müsste gleich wieder hier sein, er ist unterwegs.“

Es war zum Haare raufen, jetzt lief die Bande hier schon ein und aus, wie es ihr beliebte. Mürrisch kehrte er zurück zu seiner Couch, nachdem er die Tür lautstark und voller Unmut geschlossen hatte und schaltete auf das Rennen um.
 

„Ran…kann mir dabei glaube ich nicht viel helfen“, erwiderte Omi entgegen der offensichtlich schlechten Laune des Telepathen – seiner ersten Hürde - und stromerte durch die Wohnung zur Sitzecke. Dort fielen seine Augen auf ein kleines, rotes Fellbüschel, das ihn von Schuldigs Couch aus neugierig maß, aber ansonsten bei dem Telepathen blieb. Gott…wie niedlich. Omi grinste bis über beide Ohren. Wie gebannt kam er näher und streckte der Kleinen seine Hand entgegen, an die sie sich verspielt schmiegte und leise maunzte. Omi hatte das Gefühl, vor lauter Zucker zu zerfließen.

„Öhm…ja“, nahm er reichlich verspätet seinen eigentlichen Faden noch einmal auf. „Eigentlich wollte ich nur fragen, wo ich Nagi…und Crawford finden kann“, rückte er mit der Wahrheit heraus. Mit einem noch charmanteren Lächeln.
 

Zunächst wollte Schuldig lauthals lachen und den Kleinen sofort wieder vor die Tür setzen, als er in dessen Gedanken den Grund dafür las.

„Das klappt nie, Kleiner!“, setzte er an und seine Mundwinkel zuckten verdächtig. „Um ihn flach zu legen gehst du einen sehr steinigen Weg, da laufen sicher draußen genügend andere herum, die du leichter haben kannst…“, gab er zu bedenken. Denn er hatte einen Gedanken des Jungen aufgeschnappt, der genau in diese Richtung ging, weshalb dieser nun jedoch vor ihm stand, mit dem Plan Nagi Zuhause zu besuchen, war ihm noch schleierhaft. Ein verdächtig amüsiertes Lächeln spielte aber bereits um seine Lippen.
 

Omi schob schon fast trotzig sein Kinn vor. „Mich interessieren die, die ich leicht haben kann, nicht. Er ist interessant und ich möchte ihn kennen lernen“, grummelte er über Schuldigs Amüsement. „Mir ist das durchaus ernst…ansonsten würde ich wohl kaum deinen Spott auf mich nehmen wollen, oder? Ganz zu schweigen von dem, was Crawford mit mir machen wird, wenn ich da aufkreuze.“
 

„Stimmt, das wäre den Ausflug wert…zu sehen, was er mit dir macht“, lächelte Schuldig hinterlistig und stand bereits auf, den Fernseher ausmachend. Das Rennen war plötzlich nicht mehr so wichtig. Er nahm Banshee auf und schmiegte sie an sein Gesicht, lächelte leise ob des weichen Gefühls.

„Das wird bestimmt sehr interessant“, unheilte er und maß den Kleineren mit abschätzigem Blick. „Willst du gleich los?“
 

„Zum Picknick bin ich ganz bestimmt nicht gekommen. Ja, möchte ich“, erwiderte Omi höflich und maß die kleine Rote mit liebevollem Blick. Das war also die ominöse Mieze, die Schuldig Aya geschenkt hatte. Süßes Tier.

„Ich wette, du wirst dir nicht ein Detail entgegen lassen, habe ich Recht?“, lächelte er und hob bedeutungsschwanger eine Augenbraue.

„Nicht das Kleinste“, antwortete Schuldig mit eben dem gleichen Lächeln. „Sag leb wohl zu unserem Helden hier, Banshee“, flüsterte Schuldig Banshee zu, sodass Omi es noch hören konnte. „Trotz allem ist die Idee nicht schlecht, für diese Rotznasigkeit hast du dir immerhin noch einen letzten Wunsch bei Crawford verdient. Dumm nur, dass er so etwas nicht gewährt.“

Schuldig ließ Banshee auf den Boden und schlüpfte in seine Schuhe. Doch bevor er die Tür öffnete, drehte er sich noch mal um. „Ruf Ran an, sag ihm, was wir hier tun, sonst tötet er mich, dass ich dich mitschleppe. Er wird mir nie glauben, dass ich nicht auf diese hirnrissige Idee gekommen bin.“
 

Omi tat nach einigen Momenten genau das. Nahm sein Handy und wählte Rans Nummer und lauschte der Stimme des anderen Mannes, die sich nach einigem Klingeln auch meldete. Der junge Weiß schilderte sein Vorhaben und ebenso, dass er nun mit Schuldig auf dem Weg dorthin wäre. Aya nannte ihn lebensmüde und wünschte ihm lachend viel Glück, trug Schuldig durch ihn noch auf, dass er auf seinen Jungen aufpassen sollte. Damit der große, böse Amerikaner auch nichts Großes, Böses mit Omi anstellte. Omi stieg zu Schuldig in den Wagen und richtete dem Telepathen genau das aus.
 

Der Motor schnurrte und Schuldig fuhr aus der Garage, als er dem Jungen neben sich einen skeptischen Blick zuwarf, der ihm sagen sollte, dass er nicht glaubte, dass Ran ihm einen solchen Auftrag gegeben hatte. Dass es so war, war sicher wie das Amen in der Kirche, das hieß aber nicht, dass er sich nicht einen Spaß erlauben und den Jungen verunsichern konnte. „Schließ die Augen, wenn ich es dir sage, finde ich nur ein einziges wichtiges Detail, das du dir gemerkt hast, in deinem Oberstübchen, lösche ich es, ist das klar?“

„Und eines kann ich dir sagen, das weiß sogar Ran, und deshalb hätte er sich seine Worte sparen können, Kleiner. Ich habe Crawford überhaupt nichts zu sagen, er wird dich auseinander nehmen wie es ihm gefällt, oder eben nicht. Darauf habe ich keinerlei Einfluss.“

Wieder zierte ein hintergründiges Lächeln mit der Spur von köstlichem Amüsement Schuldigs Mimik. „Siehst du das hier“, er deutete auf die dunkel schimmernde Seite seines Kiefers.

„Und dabei gehöre ich zu denjenigen, die er noch mag!“, nickte er bekräftigend. „Was er wohl mit jemandem macht, den er nicht mag?“, fragte er scheinheilig und seufzte schwer.

Er hätte Schauspieler werden sollen…, grinste er in sich hinein.
 

Omi betrachtete sich den anderen Mann schweigend, hatte sich ihm voll zugewandt und folgte nun gehorsam dem Fingerzeig zum Kinnveilchen. Übles Teil, da hatte Crawford aber ordentlich zugelangt.

Er runzelte die Stirn, legte eine ängstliche Miene auf. "Er wird mich auseinander nehmen?", fragte Omi mit mühsam unterdrücktem Zittern in der Unterlippe. "Mich in Einzelteilen zu Weiß zurückschicken?" Er schaute noch einen Augenblick wie das arme Lämmchen, das Schuldig von ihm erwartete, bis er zu einem Grinsen zurückkehrte.
 

"Und selbst wenn er das tun sollte, das war es wert. Ich gehe nicht blauäugig in die Sache und erwarte, dass Crawford dem mit einem Lächeln zustimmt. Was ich von eurem Amerikaner bisher gesehen habe, reicht mir. Er ist ein Arschloch, wird es auch immer sein, das wird mich aber nicht davon abhalten, ihn wie den besten Vorgesetzten zu behandeln, wenn ich dafür bekomme, was ich will. Weißt du, das liebe, alte Takatoriblut…einmal ein Arschkriecher, immer ein Arschkriecher."

Omi lachte, lehnte sich im Sitz zurück und schnallte sich an.

"Und zu deinem hübschen Veilchen…das hat er dir wohl kaum umsonst verpasst.

Lass mich raten, du konntest deinen Mund ihm gegenüber nicht halten? Er mag sowas nicht, ich weiß."
 

Nein! Dieses Gör hätte Schauspieler sein können!

Schuldig befand dies nach einem prüfenden Blick in diese wirklich armen Augen, in die vom Leben gezeichnete Mimik und die wirklich arg hängenden, mitleiderregenden Mundwinkel.

„Mach mal halblang, Kleiner. Du weißt? Das heißt, du hast seine Technik des Mundstopfens schon erprobt? Sag nur, dass war der Blowjob, von dem du damals die Erinnerungen hattest?“, feixte er doch im gleichen Moment, als er es aussprach, fuhr seine eigene Erinnerung an derartige Maßregelungen und er schnaubte abfällig über sein eigenes verfluchtes Mundwerk. „Vergiss es, Kleiner. Lassen wir das Geplänkel“, sagte er leise, und sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an. „Ehrlich, warum machst du das? Und ich will es von dir hören, nicht lesen“, sagte er und fuhr auf die Schnellstraße.
 

Omi grübelte, nun wirklich ernst. Er hatte diesen Wechsel in Schuldig gesehen, doch er konnte sich keinen Reim darauf machen. Er seufzte leise, nickte schließlich.

„Ich finde ihn anziehend, faszinierend. Ich finde es faszinierend, den Menschen hinter dem Telekineten zu sehen und zu erkennen, dass er so ungefestigt ist, dass er weit unsicherer ist als unsereiner. Natürlich könnte ich sagen, dass er genau in mein Beuteschema passt, was männliche Vertreter der Spezies Mensch angeht, doch das wäre zu platt gesagt. Ich möchte ihn kennen lernen. Ganz kennen lernen. So wie du Ran kennen lernen wolltest.“ Omis Worte klangen neutral und letzten Endes waren sie das auch, aber hinter ihnen steckte mehr.

Von dem, was Youji und Ran ihm erzählt hatten, konnte er sehr wohl eine gewisse Neugier von Schuldig an Ran erkennen - seit den frühen Anfängen…seit dem Zeitpunkt, an dem Ran nach ihrem kleinen Intermezzo im Keller verschwunden war.
 

Der Junge hielt wohl große Stück auf sein Faible für Ran, lächelte Schuldig breit. „So so…du hast mich also zum Vorbild genommen?“, lachte er warm auf und schüttelte den Kopf. Das war zu verrückt. „Dann sollte ich jetzt wohl Angst um Nagi haben, was?“

„Mach die Augen zu“, sagte er wie beiläufig, während er die kommende Ausfahrt nahm.

„Ich meine…“, kam er wieder zum Thema zurück… „wenn ich daran denke, dass ich in diesem verdammten Keller nur daran dachte, Ran gegen die Nächste Wand zu ficken…macht mir die Wahl deines Vorbildes schon etwas Sorgen.“
 

Omi hielt mit MÜHE seine Augen geschlossen. Alleine die Vorstellung…

„Manchmal frage ich mich, wer von euch beiden mehr kinky ist, Ran oder du. Nur um es nochmal zu rekapitulieren: Du denkst in diesem siffigen, ätzenden Loch nur daran, einen Mann zu vögeln, der dich in dem Moment nichts anderes als gehasst hat? Sicher, dass das nicht die Beruhigungsmittel waren?“, fragte er zweifelnd. „Aber ich bin froh, dass du’s nicht getan hast.“ Das war er wirklich…denn Ran hätte zu diesem Zeitpunkt keineswegs freiwillig zugestimmt, soviel war sicher. Und wie es dann gelaufen wäre…nein, er wollte es sich nicht ausmalen.

„Also ich finde, du bist ein gutes Vorbild“, grinste er blind. „Du lässt nicht locker, bleibst beharrlich am Ball und hast dazu noch unverschämtes Glück…was kann es Besseres geben?“
 

Dunkel amüsiertes Lachen vibrierte in Schuldigs Brustkorb heran und verließ seine Kehle. „Ich dachte zwar daran, hatte aber eher den Thrill im Blick als die wirkliche Absicht. Zwischendurch war ich sauer und … dann wollte ich ihn nicht mehr hergeben“, seufzend schloss er diese Episode seiner Erzählung und das Lachen verebbte langsam.

„Es liegt mir nicht anderen auf diese Art Schmerz zu bereiten“, sagte er nachdenklich und wechselte dann auch das Thema. „Unverschämtes Glück?“ Ja so konnte man es bezeichnen. So ein Glück, dass Rans Schwester das Zeitliche gesegnet hatte.

Leise lächelnd um seine Gedanken zu kaschieren zuckte er mit den Schultern. „Ran spielt da schon auch noch mit eine Rolle. Ebenso wie Nagi noch ein oder zwei Wörtchen mitzureden hat. Vor allem …ich gebe dir einen Tipp. Seine Zeichensprache hat es echt in sich!“, grinste er.
 

Omi erleichterte das Wissen. Er wusste nicht warum, doch nun schien es, als hätte er die verbindliche Bestätigung, dass Schuldig niemanden vergewaltigen würde. Es zerstörte den letzten leisen Zweifel, den Omi vielleicht noch gehabt haben mochte.

„So vernarrt und anhänglich habe ich Ran noch nie gesehen“, lächelte er. „Und vor allen Dingen nicht so sexgierig. Ich bin mir sicher, dass ihr es selbst da getrieben habt, als Nagi und ich in diesem…isolierten Raum waren. Ich hab es in Rans Augen gesehen! Und dass er dich so vehement unter seinen Fittichen hält…“ Das Lächeln wandelte sich in ein Grinsen, milderte sich dann jedoch wieder.

„Zeichensprache also…ist ja kein Wunder. Er redet ja nicht viel.“ Omi nickte. „Wie kommt das eigentlich? Ich meine…er ist doch mit dir aufgewachsen. Wird man da nicht zwangsläufig gesprächig?“
 

„Weshalb?“, fragte Schuldig interessiert nach und ließ den vorherigen Kommentar geflissentlich außen vor. Freches Rotzgör…

„Du meinst also wenn man mit einem Telepathen ‚aufwächst’, wird man gesprächiger? Oder meinst du nicht, dass man fauler, gleichgültiger wird, introvertierter?“
 

Omi grübelte nachdenklich. Natürlich hatte Schuldig Recht. Vor allen Dingen, wenn es um den naseweisen, sich nicht um Privatsphäre kümmernden Telepathen ging, den Omi von frühen Aufträgen her kannte. Schuldig war nicht zimperlich gewesen, was das Lesen ihrer Gedanken anging, ganz und gar nicht. Auch nicht, was das spottende Kommentieren anging, das sie alle erst nach einiger Zeit und psychologischer Unterstützung von Kritiker hatten ignorieren können...so gut es ging.

Doch hätte er als Telepath es anders gemacht? Omi wusste es nicht. Er vermutete, dass so eine Gabe einfach arrogant und überheblich machen musste.

Wie weit das alles aber eine Hülle, ein Selbstschutz war, vermochte Omi nicht zu sagen. Denn so wie sich Schuldig verhielt, seitdem er Ran um sich hatte, schien es komplett gegensätzlich zu dem Monster, das sie auf Aufträgen kennen und hassen gelernt hatten. Ein Mensch, mit Schwäche, Stärken, sanften Seiten…

"Ich denke, das ist wohl eher die wahrscheinlichere Variante", lächelte er schließlich. "Aber er sagt, was er sagen möchte, wenn man ihn ausreden lässt, das ist gut."
 

„Wenn man ihm Fragen stellt antwortet er meist, nur manchmal redet er derart kryptisch daher…“, überlegte Schuldig laut, jedoch mit einem liebevollen Unterton, denn er kannte Nagis Probleme, seine Abschottung und den Grund dafür. Selbst wenn er wütend oder ungehalten war erkannte man dies, denn dann übte er sich in einer gehobenen Sprache, die er mit vielen Fremdwörtern spickte. Ebenfalls um sich abzuheben, um für sich zu bleiben. Und seine geistige Reaktion auf andere Menschen und deren näheren physischen Kontakt war ebenfalls ein Problem, welches in die gleiche Kerbe schlug.
 

„Warum hast du keine Angst vor ihm?“, fragte Schuldig plötzlich aus einem Impuls heraus. Oder war es viel mehr so, dass der Junge keine Ahnung hatte, wie groß Nagis Kräfte tatsächlich waren?

Keiner von ihnen konnte das Ausmaß seiner Stärke wirklich begreifen. Versuchsreihen unter SZs Aufsicht hatten ein sehr hohes Potential an PSI ergeben, doch nur dadurch, dass sie sich von SZ distanziert hatten, konnten sie Nagi in etwas normalere Bahnen lenken. Er nahm sich nur als Werkzeug wahr und nicht als Individuum. Teils war es heute noch so, aber es war bei Weitem nicht mehr so ausgeprägt wie früher.
 

Ja…mit dieser Eigenschaft des jungen Japaners hatte er auch schon Bekanntschaft gemacht. Es war ein deutliches Zeichen, dass Nagi etwas auf die Nerven ging, ein sehr deutliches. Omi konnte sich noch gut an die Szene im Aufzug erinnern…oder beim Eislaufen…oder nachdem Nagi ihn nach dieser Mission aufgegriffen hatte...oder…

Mit einem Stirnrunzeln stellte der blonde junge Mann fest, dass er schon viel zu viel dieser Seite hatte zu spüren bekommen.

Doch dann brachte Schuldig ihn auf eine ganz andere Frage. Ja…warum hatte er keine Angst vor Nagi?

„Hm. Gute Frage. Warum habe ich keine Angst vor dir? Weil ich mich sicher fühle, da du…nun…mit Ran liiert bist. Sozusagen als Schwager in spe schon in den Weißschen Dunstkreis aufgenommen bist.

Er…ist ein ähnlicher Fall. Dadurch, dass er so schüchtern und so in sich zurückgezogen wirkt, fällt dieser ‚kalte Killer’-Aspekt weg. Denke ich. Außerdem sehe ich nach und nach mehr…Normales an ihm. Er mag Kuchen, er mag dich, er scheint sogar Ran nicht zu hassen. Er hat Schwächen, wie jeder andere Mensch auch. Außerdem…ist meine Angst nie wirklich groß gewesen. Ich wurde darauf trainiert, so etwas zu erwarten…mich nicht vor dem Tod zu fürchten. Das geht wohl nicht mehr raus.“ Er lächelte schräg.
 

Schuldigs schmales Lächeln entging Omi, der noch immer die Lider geschlossen hielt.

„Der Tod ist nicht das Schlimmste, was man zu fürchten hat“, sagte er fast schon philosophisch und gewährte somit einen kleinen Einblick in sein anderes Ich, welches bisher nur Ran vorbehalten war. Der Einblick in den Teil, der etwas …ja sehr viel aus den Begegnungen mit den Gedanken der Menschen gelernt hatte.
 

„Natürlich nicht. Aber auch das kennen wir, oder nicht?“, fragte Omi und zuckte mit den Schultern. „Wir alle haben schon Dinge in unserem Leben erlebt, die uns beinahe haben verrückt werden lassen. Das erste Opfer zu töten, zum Beispiel.

Wann hast du angefangen?“, fragte er bitter nach. „Früh? Hast du es gemocht? Ich nicht, das kann ich dir sagen. Auch eines dieser Dinge, die man fürchtet.“
 

„Das war aber nicht deine größte Furcht…ebenso wie es jetzt nicht deine größte Furcht ist“, sagte Schuldig und blickte zu dem Jungen hinüber.

Er wusste, was der Junge verdrängte, was seine tiefsten Ängste waren, was ihn verrückt machen würde, welche Fäden er ziehen müsste um ihn in tiefste Verzweiflung zu treiben.

Schuldig wandte sich wieder dem aktuellen Straßenbild zu. Die Einfahrt tauchte in einigen Metern auf, als er dem Straßenverlauf folgte.

Er wunderte sich etwas, dass er keines der Gefühle in sich spürte, die ihn sonst bei der Feststellung Macht über andere zu haben, begleiteten.

Nichts war da. Nur das Wissen, dass er wusste, wie es in Omis Seelenleben aussah.

„Ich habe mit meiner Mutter begonnen“, sagte Schuldig lapidar und bog in die Einfahrt hinein. „Sehr früh könnte man somit sagen. Ich wurde geboren und ab da …war alles für die Katz“, lachte er leise.

„Du kannst die Augen öffnen“
 

Omi folgte diesem Satz und hatte keinen Moment später seine volle Aufmerksamkeit auf den Telepathen gerichtet. Zuerst…hatte er geglaubt, dass Schuldig seine eigene Mutter umgebracht hatte. Doch der darauf folgende Satz ließ ihn zweifeln.

„Wie ist sie gestorben?“, fragte er sanft, mit Vorsicht in der Stimme, so als würde er die Frage jeden Moment zurückziehen, wenn es das Armageddon bedeuten würde, dass er sie gestellt hatte. Vergessen waren seine eigenen Ängste. Nur zu gerne vergessen.
 

„Sicher kennst du meine Fähigkeit, andere in den Wahnsinn zu treiben. Nun das habe ich …sie in den Wahnsinn getrieben, an dem sie schlussendlich auch verstarb. Im Grunde genommen einer meiner leichtesten Übungen. Früh übt sich, wer ein Meister werden will“, lachte Schuldig und der Wagen stoppte vor dem großzügigen Eingang. Er lächelte ironisch und stieg aus.

Er sah schon, wie sich hinter dem Glas des Wohnraumes jemand rührte. Vermutlich Nagi, dem gerade das Herz stehen blieb.
 

Omi erwiderte nichts, musste immer noch die Worte des anderen Mannes verdauen. Zu hart schienen sie. Zu wahr. Was sie ja auch waren.

Es gibt immer einen Grund, hatte ihm Ran vor nicht allzu langer Zeit gesagt und genau das zeigte sich nun hier. Genau das war der Grund, warum Ran Schuldig verziehen hatte…alles verziehen hatte. Weil es einen Grund gab.

Seine Augen ruhten nachdenklich auf der Rückansicht des Telepathen, als er sich zu ihm begab und einen Blick auf das Haus wagte.
 

Groß.

Luxuriös.

Transparent.

Der Wahnsinn.
 

„Manchmal denke ich wirklich, die falsche Seite gewählt zu haben“, lachte er und steckte die Hände in die Hosentaschen.
 

Schuldig wartete bis Omi an seine Seite getreten war und blickte auf ihn hinab. Beide betrachteten sich so das Haus.

„Wenn du Crawford einlullst, kannst du dir ja ein kleines Lustschlösschen mit Nagi zusammen kaufen. Einen Fickpalast, der dem hier weit überlegen ist. Wenn du noch ficken kannst …dann…also ich meine …wenn du diese Mauern hier mit der holden Prinzessin verlassen kannst…zunächst musst du natürlich erst am Cerberus vorbei…“, sinnierte Schuldig und sein Blick schien in weite Ferne gerichtet. Er amüsierte sich wirklich prächtig.
 

Omi sah zu Schuldig hoch und hob zweifelnd eine Augenbraue. „Woran du immer denkst…Fickpalast. So nennt man das doch heutzutage nicht mehr. Liebeshöhle. Aber doch nicht Fickpalast. Was soll denn Crawford von mir denken, wenn ich ihn frage, ob ich Nagi in unseren Fickpalast entführen darf? Er hält mich doch gleich für einen Zuhälter, der Nagi in ein Bordell steckt!“ Omi grinste und schüttelte den Kopf. „Crawford wird mich also kastrieren…und das sagst du mir nicht vorher? Himmel…“
 

„Hab ich doch!“, meckerte Schuldig leicht verteidigend. „Jetzt ist vorher, wenn du wieder rauskommst…also falls … dann ist nachher“, klugscheißerte er und grinste wissend.

„Sprich…meine Warnung kommt auf alle Fälle rechtzeitig!“

Er setzte sich in Bewegung um den 18-jährigen Telekineten zu erlösen, der sicher fieberhaft nach einem Grund suchte weshalb Schuldig ausgerechnet Omi hier anschleppte.

Schuldig ließ sie ein und führte Omi an dem Wohnraum vorbei, um ihn gleich zu Brad zu bringen. Nagi stand mitten in dem freien Raum, schon wieder diesen hässlichen Pullover an und wirkte verwirrt.

„Was…macht er hier?“, richtete er leise an Schuldig, der stehen blieb.
 

„Ich bin hier, um bei Crawford um deine Hand anzuhalten und dich in aller Form auszuführen“, erwiderte Omi bierernst und mit nichts als der reinen Wahrheit in seinen Worten, auch wenn er sich genau ausmalen konnte, dass Nagi ihm kein einziges Wort glaubte. Er ließ seinen Blick über den Jungen gleiten und wollte ihn sofort…sofort mit sich nehmen und sich mit ihm in seinem heimischen Bett einkuscheln. Alleine dieser Pullover, so gänzlich unsteif und lässig.

‚Danke für deine ‚rechtzeitige Warnung’, zischelte er Schuldig in Gedanken zu. ‚Aber was beschwere ich mich, ich habe es mir so ausgesucht. Also auf in den Kampf. Wo ist der Höllenhund…Herr des Hauses?’
 

Nagi stand etwas verloren im Raum und hörte mit Unglauben was der andere ihm hier offenbarte. Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück, zog sich den Pullover versucht unauffällig wieder etwas gerader, weil er bereits wieder den leisen kühlen Zug an seiner Schulter fühlte.

„Bist du verrückt?“

Er blickte Schuldig an, schüttelte einmal den Kopf. Sein Mienenspiel wechselte von Unglauben zu Ausdruckslosigkeit. Er wollte dahinter sein schlechtes Gefühl verbergen, seine Angst und seine Sorge.

„Das ist absolut indiskutabel“, machte er erneut einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

„Natürlich ist es das“, bestätigte Omi aus seinem Standpunkt, aus seiner Sicht. Ja, er war verrückt, ja, er wusste, was er hier tat und nein, er konnte nicht sagen, wie Crawford darauf reagieren würde. Doch das würden sie gleich sehen.

‚Soll ich mir meinen Weg suchen, oder verrätst du mir, wo ich ihn finde?’, fragte er Schuldig und richtete seinen Blick für einen Moment auf ihn, bevor er einen Schritt näher an Nagi herantrat, diesen mit einem beruhigenden Lächeln maß.

„Du hast es selbst gesagt…du willst dich nicht entscheiden. Also…“
 

„Hier entlang“, sagte Schuldig und hob eine Braue in Richtung Nagi der dem Ganzen mit Chaos in seinen Gedanken antwortete.

„Aber…“, sagte er und die Maske der Ruhe fiel etwas von dem Telekineten ab.

Kurz huschte der Gedanke durch seinen Kopf, er könne den Blonden aufhalten…ihn nicht zu Brad gehen lassen. Mühelos wäre dies gegangen, und er hob bereits seine Rechte, als Schuldig ihn zurechtwies.

„Was bist du?“, zischte er abfällig und Nagi zuckte regelrecht zusammen.
 

Für einen Augenblick stand er nur da und starrte beide an. Omi wollte ihn kennen lernen …und dafür nahm er es in Kauf…

Er traute seinen Gedanken nicht, er schüttelte nur langsam den Kopf, zum Zeichen, dass es keine gute Idee des anderen war, ihn hier zu besuchen.
 

Omi sah das, ließ es jedoch unkommentiert. Er folgte Schuldigs Fingerzeig und ging nach oben. Auf der Treppe drehte er sich jedoch noch einmal um und lächelte Nagi beruhigend zu.

„Ich komme wieder, das verspreche ich dir“, unheilte er düster und fokussierte sich nun gänzlich auf das vor ihm liegende Ziel. Egal, was es ihn kosten würde, hier, in der Höhle des Löwen.
 


 


 

Diese und unsere anderen Geschichten findet ihr auch unter

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