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Tote kehren nicht zurück

Ein Traum und was machen daraus machen kann - ja, das hab ich wirklich geträumt!
von

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Isanami

Habt ihr jemals erlebt, was der Krieg Menschen antun kann? Nein? Ich schon. Der Krieg hat mir meine Familie genommen. Und lange Zeit wusste ich nicht einmal, wie meine Mutter aussieht. Weil ich sie nie kannte. Mein Vater lebt zwar noch, er hat mich aufgezogen. Aber obwohl er unverletzt aus dem Krieg zurück kam und ich nun wirklich an fast jede erdenkliche Kriegsverletzung gewöhnt bin - die Kämpfe sind jetzt schon fast dreizehn Jahre eingestellt, aber es laufen noch immer viele Verletzte herum - ,hatte ich immer das Gefühl, nie einen Menschen getroffen zu haben, der so grausam verstümmelt wurde wie er. Es ist, als ob ihm ein Stück seiner Seele fehlt.
 

Yugi hat mir erzählt, dass er zum Teil schon immer so war. So verschlossen, so abweisend, so... kalt. Nicht, dass er mich nicht liebt, nein, das tut er. Ich weiß es. Schließlich bin ich seine Tochter. Aber er läuft herum wie ein lebender Toter. Das ist mein Ernst. Obwohl er sich nicht über Lebensmittelmangel zu beklagen braucht - schließlich kann er sich mit seinem Geld beinahe ALLES besorgen - wirkt er ausgezehrt. Wie ich schon sagte. Als ob ihm seine Seele fehlt. Zu Yugi sollte ich noch etwas sagen. Er ist mein Taufpate. Ich glaube, das muss die Entscheidung meiner Mutter gewesen sein, Dad kann ihn nicht besonders gut leiden - was eigentlich noch eine Untertreibung ist. Ich kenne nicht ein Mal den Namen meiner Mutter, aber ich weiß, dass sie mit Yugi befreundet war. Irgendwann einmal habe ich einen Blick auf das Foto von ihr werfen können, das Dad so sorgfältig in seinem Nachttisch verschlossen hält, ganz so, als hätte er Angst, dass ihn die Vergangenheit wieder einholt. Das ist jetzt schon ein paar Jahre her. Natürlich war ich damals noch klein, und Anfangs dachte ich wirklich, dass sie eine Prinzessin war. Inzwischen ist mir aufgegangen, dass sie für einen Kostümball verkleidet gewesen sein muss, was sie in meinen Augen aber nicht weniger schön macht. Wenn Dad immer noch so viel an sie denkt, muss sie wirklich etwas Besonderes gewesen sein, wo er doch jede - und damit meine ich wirklich JEDE - Frau in Domino haben könnte.

Vielleicht, fällt mir gerade ein, vielleicht war das Bild auch ihr Hochzeitsfoto. Ist das nicht verrückt? Ich weiß nicht ein Mal, ob meine eigenen Eltern verheiratet waren. Und Auskunft will mir auch keiner geben... ich weiß inzwischen eine Menge über sie, ich glaube, Yugi ist erleichtert, wenn er über sie reden kann. Aber solche grundlegenden Daten wie ihren Namen, ihr Alter und ob sie mit Dad verheiratet war, will mir keiner verraten. HAben sie denn alle Angst, ihren Geist heraufzubeschwören?
 

Möglicherweise ließen sich Informationen über sie in ihrem alten Zimmer finden. Da hinein zu kommen, dürfte allerdings schwierig werden. Dieses Zimmer ist ein weiteres Rätsel, das meine Herkunft verschleiert. Es ist immer abgeschlossen, mit Ausnahme der paar Stunden am Abend, die Dad dort verbringt. Er sagt mir nie, wohin er geht, oder schiebt vor, arbeiten zu müssen, aber ich weiß genau, dass er es nicht tut. Ein Mal bin ich ihm nachgeschlichen, und durch den Türspalt konnte ich sehen, dass das Zimmer immer noch bewohnt aussah. Alles war noch da, sogar das Buch, in dem sie gelesen haben muss, lag noch auf dem Tisch. Egal, was sie uns im Biounterricht erzählen - Dads Herz sitzt nicht in seinem Körper. Er hat es in diesem Zimmer eingeschlossen, aus Angst, jemandem zu zeigen, wie verletzlich er ist. Den Schlüssel dafür trägt er um den Hals.
 

Manchmal frage ich mich, ob er da drinnen wohl weint. Ich halte es für möglich. Schließlich hat er auch geweint, als sie ihn mitgenommen haben. Das wenigstens hat mir Yugi erzählt. "Das war ein Tag, über den sich jedes Klatschblatt gefreut hätte, wenn sie damals nicht alle längst wegen Papiermangel Konkurs gegangen wären. Der Krieg hat auch ads geändert, vielleicht eins der wenigen Dinge, üer die man sich freuen konnte." Meinte er damals. "Es war an deiner Taufe. Dein Vater und ich waren die einzigen Männer auf der Feier, alle anderen waren bereits einberufen. Ich hatte ein gebrochenes Bein und dein Vater hat sich schlicht geweigert. Leider konnte ihn sein ganzes Geld nicht retten... mitten in unserem kleinen Fest sind sie hereingeplatzt und haben ihn mitgenommen." Wenn Yugi sprach, konnte ich solche Szenen immer lebhaft vor mir sehen. Besonders damals, als er von den Soldaten erzählte, die unsere Familie auseinander rissen... ich habe noch heute Albträume davon. "Ich habe deinen Vater nie weinen gesehen, bis auf dieses eine Mal. Er hatte dich im Arm, und deine Eltern hielten sich an einander fest... es hat ihnen nichts genützt. Zuerst hat man sie auseinander gerissen und dann dich aus seinem Arm. Lange war er ja nicht weg. Kaum ein paar Monate, und schon durfte er wieder nach Hause, weil das Kriegsende ohnehin abzusehen war. Aber da war deine Mutter schon weg... Und alles, was sie hinterlassen hat, warst du, in eine Decke gewickelt vor meiner Tür. Und eine Menge Erinnerungen. Keiner von uns hat je erfahren, was aus ihr geworden ist. Vielleicht wurde sie bei einem Bombenangriff getötet, vielleicht gefangen genommen und erschossen, vielleicht ist sie auch einfach nur verschollen und lebt noch. Das kann ich mir allerdings kaum vorstellen... sie hätte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um euch beide wieder zu sehen. Ich glaube, deine Eltern wussten damals schon, dass sie sich nicht wieder sehen würden."

Ja... das wussten sie wohl. Denn bis jetzt ist meine Mutter nicht wieder aufgetaucht, und vor Kurzem hat jemand die Meldung verbreitet, dass alle noch Vermissten offiziell für tot erklärt wurden. Was schert es auch die Regierung, was sie Dad damit angetan haben? Ich glaube, er hat immer noch in einem Winkel seines Bewusstseins gehofft, dass sie noch am Leben ist und eines Tages zu uns zurück kommt. Obwohl er sonst ja ein ausgesprochen rational veranlagter Mensch ist. Mums Tod konnte er nie verwinden.
 

Einmal habe ich Yugi gefragt, wie sich meine Eltern kennen gelernt haben. Er musste einer Weile nachdenken, meinte aber dann: "Es muss zwei Jahre vor deiner Geburt gewesen sein. Ich kann dir nicht genau sagen, wann deine Mutter gemerkt hat, dass hinter seiner kalten Maske noch mehr steckt als er zugibt, jedenfalls war es vor uns Anderen. Sie war schon immer sehr sensibel veranlagt. Und sie kannten sich natürlich schon lange, durch unsere ganzen Turniere. Aber zusammen gekommen... ja, ich glaube, das sind sie erst an diesem Novembertag. War es der 5.? Vielleicht auch der 15., es spielt keine Rolle. Dein Vater wollte sich das Leben nehmen, womit keiner von uns gerechnet hätte. Aber sie hat es irgendwie gespürt - Gott weiß wie - und ist ihm nachgerannt. Bei dieser Gelegenheit müssen sie sich in einander verliebt haben. Danach war keine Rede mehr von Selbstmordversuchen. Sicher, sie haben in der Öffentlichkeit kaum mehr getan, als sich zu unterhalten, vielleicht gelegentlich einen flüchtigen Kuss auszutauschen. Seto ist nicht der Typ für solche Zärtlichkeitsbekundungen... Aber ihnen Beiden war anzumerken, dass sie am glücklichsten in der Gegenwart des anderen waren. Man konnte direkt das Gefühl bekommen, dass man nicht zwei, sondern nur einen Menschen vor sich hatte, wenn sie so vor einem standen." Bei dieser Gelegenheit hört ich zum ersten Mal die Geschichte von dem mannweiblichen Wesen: Die Griechen glaubten, dass am Anfang der Zeit alle Menschen vier Arme, vier Beine und zwei Köpfe hatten. Sie waren weder Mann noch Frau, sondern beides. Diese Wesen waren so mächtig, dass sie die Götter hätten stürzen können. Die Olympischen bekamen Angst und Zeus zerschlug die Menschen in zwei Teile: je einen Mann und eine Frau. Und seit dieser Zeit sucht jeder Mensch im Leben nach seiner zweiten Hälfte...

Yugi war schon immer fasziniert von Sagen und Mythen, aber dieser hatte es ihm wohl besonders angetan. Er lieferte für ihn den Beweis, dass in jedem Mythos ein wahrer Kern steckt. Denn, so erklärte er, meinen Eltern habe man angesehen, dass sie zwei Teile eines solchen Ganzen waren. Ich musste ihm wohl glauben, und wenn ich mir Dads miserablen Zustand ansah, das war wenigstens eine plausible Erklärung dafür. Wer verliert schon seine zweite Hälfte, ohne Schaden davon zu tragen?
 

Ich frage mich, warum ich ausgerechnet jetzt diese ganzen Erinnerungen wieder wach werden lasse. Vielleicht liegt es an dieser seltsamen Frau, die ich heute vor dem Schultor gesehen habe. Erst viel später ist mir eingefallen, an wen sie mich erinnert. Aber das kann natürlich nicht sein.
 

Eben hat es an der Haustür geklingelt. Oder besser, am Tor, denn unsere Villa besitzt ja sogar ein richtiges, schmiedeeisernes Tor, mit Überwachungskameras und allem Schnickschnack. Ich habe nie verstanden, warum das sein muss, aber anscheinend gehört das zu dem, was man unseren "Status" nennt. Es regnet, darum kann ich nicht genau erkennen, wer dort draußen steht. Eine Frau offensichtlich. Eben kam Dad und hat auch aus dem Fenster gesehen. Jetzt weiß ich also, wie es aussieht, wenn jemand "weiß wie eine Wand" wird... er sieht aus wie eine lebendig gewordenen Mumie.

Und diese Frau...

Ihre Harre sind verworren, ihre Kleider nass...

Der Regen fällt immer noch wie aus Kübeln vom Himmel...

Aber...

Eben konnte ich ihre Augen sehen.

Ich kenne sie, ich sehe sie ja jeden Morgen im Spiegel.

Ist das möglich?
 

Dad steht mittlerweile an der Tür. Der Regen ist ziemlich laut, und er hat nur im Flüsterton gesprochen... aber ich glaube, ich habe endlich den Namen meiner Mutter erfahren:
 

"Tea..."



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2006-02-21T05:59:42+00:00 21.02.2006 06:59
Ich kann mir Seto so traurig irgendwie kaum vorstellen, aber du hast ihn gut rübergebracht!
Überhaupt ist die ganze FF gut geschrieben!
Hoffentlich muss er bald nicht mehr so traurig weiter leben.
Ach ja, du hast vielleicht komische Träume!
Von: abgemeldet
2006-02-20T11:26:25+00:00 20.02.2006 12:26
Der Anfang ist ziemlich kompliziert.
Aber trotzdem ist es eine tolle Idee.


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