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Tödliche Schönheit

von

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Nur wenig später saß Temaru unter seinen geliebten Sternen und blickte irritiert in die unendliche Schwärze über ihm. Wenigstens bestand nun keine Notwendigkeit mehr dazu, sich hinauszuschleichen, dennoch war er froh, dass er niemandem auf seinem Weg nach draußen begegnet war.

Natürlich hatte er sich noch an Fujime rangehängt und versucht, weitere Auskünfte von ihm zu bekommen, aber dieser sperrte sich gegen jede Frage und weigerte sich zu sagen, wer Yumi war und warum sie bei ihm blieb.

Er erwähnte nur, dass er sie aufgenommen hatte und sie ihm sehr viel bedeute.

Sinnierend dachte der junge Japaner zurück.

Warum hatte er noch mal geglaubt, dass Yumi die Tochter von Fujime wäre?

Ach ja, die alte Sae hatte ja erzählt, dass sie mit ihrem Vater auf dem Feld lebte. Aber der Teil war wohl ein Dorf Gerücht.

Und wenn er es sich recht überlegte...

Er hatte Yumi vor Fujime nie als seine Tochter bezeichnet, sondern war schlicht von falschen Vorraussetzungen ausgegangen.

Aber Yumi gegenüber habe ich es erwähnt, fiel ihm ein.

An de Morgen nach seiner Ankunft hatte er sie gefragt, wo ihr Vater sei. Und sie hatte zuerst gar nichts erwidert, sondern ihn nur angeschaut. Und dann hatte sie auch nicht das Missverständnis klargestellt, sondern ihn einfach zu Fujime geschickt.

Natürlich hatte es ihn verwundert, doch er verstand ja zu der Zeit ihr ganzes Wesen nicht und hatte es einfach ignoriert. Und später hatte er es damit begründet, dass sie nun mal so war.

Und wenn er jetzt so darüber nachdachte, dann war es eigentlich ganz offensichtlich gewesen.

Yumi sprach von dem Schwertschmied immer als Fujime, sie hatte ihn nicht einmal Vater oder Daddy genannt.

Und auch Fujime hatte sie zwar vertraut und herzlich, allerdings nicht väterlich behandelt.

Und er hatte es mal wieder übersehen!

Seufzend vergrub er sein Kinn in seinen Knien, die er vor seinem Körper angewinkelt mit beiden Armen umschlossen hielt.

Aber seltsam war es dennoch, das Yumi ihn bei seiner Ankunft nicht aufgeklärt hatte.

Vielleicht sollte er sie mal darauf ansprechen?!

Aber er wusste selbst, dass das sinnlos war.

Wenigstens war sie beim Abendbrot wieder gut gelaunt. Na ja, zumindest so gut gelaunt, wie sie eben wurde.

Scheinbar hatte sie wirklich nur die Sorge um ihren Was-auch-immer Fujime so aggressiv reagieren lassen.

Aus der Bemerkung Fujimes schloss er allerdings, dass dies nicht immer so gewesen sein konnte.

Vielleicht hat er sie ja gefunden und aufgenommen?, vermutete Temaru still. Aber dann verwarf er den Gedanken gleich wieder.

Yumi konnte frühestens als Kleinkind zu ihm gekommen sein, das würde erklären, was Temaru vermutete: Das ein schreckliches Ereignis oder einfach mangelhafte Zuwendung verhindert hatte, dass sie Umgänglichkeit lernte. Er hatte sich ja schon früher gewundert, wie dies sein konnte, war doch Fujime ein liebenswerter und herzensguter Mensch!

Das Leben konnte ja sooo kompliziert sein!

Resignierend beugte sich Temaru nach vorne und zupfte im Vorbeigehen ein wenig Gras aus.

Nachdenklich beäugte er das helle Grün.

Das Gras hier war sehr saftig und wirkte alles in allem sehr wohlgepflegt. Aber inzwischen hatte er selbst ja schon Fujime beim arbeiten beobachten und unterstützen können, daher war ihm durchaus vertraut, dass die Natur hier sehr sorgfältig behandelt wurde, auch eigentlich „unwichtige“ Sachen wie Gras und die Bäume.

Vor allem der Kirschblütenbaum in der Mitte des Feldes. Sowohl Yumi als auch Fujime schienen sehr an dem Baum der Legende zu hängen.

Vielleicht glaubten sie ja an die Legende, oder sie hatten einfach eine Vorliebe für Kirschblütenbäume.

Denn nicht nur, dass in näherer Umgebung sonst kein anderer Baum dieser Art anzutreffen war, sondern war jeder Baum doch etwas ganz einzigartiges, wie Temaru ja selbst schon am eigenen Leibe erfahren durfte.

Nicht das die beiden jemals etwas in der Richtung hätten verlauten lassen.

Aber Temaru hatte durchaus bemerkt, wie verträumt Fujime wurde, wenn es darum ging und auch Yumi schien bei diesem Thema verhältnismäßig stark aufzutauen.

Abwesend zerkrümelte Temaru die letzten Reste des ausgerupften Grases. Wenn er sich das recht überlegte... Nachts hatte er den Kirschblütenbaum noch nie betrachtet.

Tagsüber ging er zwar täglich hin und verlor sich stetig in dessen Reinheit, Mystik und all den anderen Eindrücken, die regelmäßig auf ihn einstürmten, so dass er täglich Mühe hatte, sich nicht allein von dem Anblick bannen zu lassen, aber nachts...

Allein bei dem Gedanken wurde Temaru schon ganz aufgeregt. Und warum auch nicht?!

Wach war er schon und so aufgewühlt wie er war, würde er so bald auch nicht einschlafen. Yumi und Fujime schliefen und er würde niemanden stören, da er eh schon aus dem Haus war und wenig Lärm machte.

Und kaum war der Gedanke zu Ende gedacht, stand er auf und war bereits auf dem Weg zum Feld und dem sich darauf befindlichen Wunderwerk der Natur.

Und viel zu viel Zeit verging, bis endlich die gewaltige Krone sichtbar wurde.

Erwartungsgemäß verschlug es Temaru den Atem. Der Kirschblütenbaum sah ja schon bei Tag unglaublich aus, aber bei Nacht erst...

Er schien richtiggehend zu leuchten. Die Blätter strahlen in die Nacht und ihr Schein wurde nur von dem milden rosa Ton abgeschwächt.

Der Baum schien ein Leuchtturm im Meer der Dunkelheit!

Fasziniert schritt Temaru weiter auf den Baum zu und gerade als er begann Einzelheiten zu erkennen, nahm er eine leichte Bewegung war.

In der ersten Schrecksekunde blieb er einfach stehen , dann erwachte seine wochenlang antrainierte Vorsicht wieder und er schlug einen Bogen zu dem nahegelegenen Wald, um sich so näher anzuschleichen.

Als er dann endlich nahe genug war, um den fremden Besucher zu erkennen, atmete er erleichtert auf.

Yumi!

Keine Sekunde später jedoch spannte sich sein Körper wieder an. Was machte sie wohl zu dieser nächtlichen Stunde an jenem Ort?!

Er könnte jetzt ja einfach zu ihr gehen, aber er wusste nicht, wie sie wohl auf seine unvorhergesehene Anwesenheit reagieren würde und zudem... wenn sie gewollt hätte, dass er und vielleicht auch Fujime davon erfuhren, würde sie doch nicht des Nachts machen, was immer sie vorhatte, oder nicht?!

Also lieber erst mal verdeckt bleiben. Später konnte er sich immer noch zeigen.

Neugierig, wie er nun mal war, lehnte er sich zwischen den Bäumen nach vorne und registrierte interessiert jede ihrer Handlungen.

Langsam, würdevoll und irgendwie feierlich schritt sie auf den Baum zu. In dem fahlen Licht, dass die Blüten ausstrahlten, wurde ihr Gesicht in ein sanftes weiß getaucht und schien auf den Rest des Körpers überzugehen, so dass sie genauso strahlte, wie der Kirschbaum selbst.

Es war ein Anblick für die Götter und Temaru ertappte sich, dass er den Atem anhielt, damit dieser nicht diesen perfekten Moment zerstörte und ihn verriet.

Immer weiter näherte sich Yumi dem Kirschbaum und – wie es Temaru schien – immer intensiver wurde auch das Leuchten, das von den beiden ausging.

Der Abstand verringerte sich... noch wenige Meter... schließlich stand sie direkt davor und streckte gerade die Hand aus, den Baum zu berühren, da...

„Yumi, Liebes“
 

Fujime war wie aus dem Nichts aufgetaucht und ertappt zog sie ihre Hand zurück, kurz bevor sie den Baum berühren konnte. Temaru lies zischend die angehaltene Luft entweichen. Mit dieser Störung hätte er als letztes gerechnet.

„Ja, Fujime?“ Sie drehte sich um und lächelte ihn scheinbar etwas gezwungen an.

„Oh, tut mir leid“, entschuldigte er sich auch sofort, als ihm klar wurde, was sie wohl vorgehabt hatte, „ich wollte dich eigentlich nicht stören. Es gab da nur ein paar Sachen, die mir durch den Kopf gingen und die ich mit dir bereden wollte und wenn ich gewartet hätte, bis du fertig wärst, na ja, du weißt ja“, erklärte er und sogar Yumi schien seine letzten Worte einzusehen.

„Na schön. Worum geht’s denn?“, erkundigte sie sich, offensichtlich noch etwas durch den Wind.

„Was war denn heute Mittag los? Ich meine, das waren doch nur so ein paar Räuber, nichts, womit ich nicht fertig geworden wäre.“

„Ach so. Du hast Recht, ich muss mich entschuldigen. Ich habe mich euch gegenüber unmöglich benommen.“

„Schon gut“, winkte Fujime ab, „mich interessiert viel eher, warum du dich so hast gehen lassen.“

„Es ist ja nicht so, dass ich dir nicht vertraue oder so, natürlich weiß ich, dass du stark bist“, führte Yumi aus, „und ich mache mir auch Sorgen um dich“ - dieser Satz schien sie ordentlich Überwindung zu kosten. Sie war wohl nicht gewohnt, jemandem ihre Gefühle mitzuteilen – „aber ich war irgendwie... irritiert. Ich war etwas aufgewühlt und habe mich deshalb vergessen.“

„Aufgewühlt?!“, fragte Fujime besorgt nach, „wegen Temaru-kun vielleicht?!“

„Nein, eigentlich nicht wegen ihm“, antwortete sie gleichgültig.

„Autsch, der saß“, dachte Temaru in seinem Versteck, welcher der Unterhaltung gespannt folgte, auch wenn er nicht mal die Hälfte von dem Gesagten verstand.

Doch da redete Yumi schon weiter.

„Es war wegen etwas, was er gefragt hatte. Er wollte von mir wissen, ob ich meine Aufgabe im Leben gefunden habe. Und ich habe ja gesagt! Ich kenne doch meinen Platz und mein Schicksal, nicht wahr?“, blickte sie Fujime leicht hilflos an. Doch noch bevor der etwas erwidern konnte, fuhr sie schon fort.

„Ich weiß, was ich machen soll, aber... warum? Was bringt es mir?! Ich weiß eigentlich nicht mal wer ich bin, wenn ich es recht bedenke, ich..“

Doch da hatte Fujime die irritierte Yumi schon in den Arm genommen. Sie versteifte sich und wollte fliehen, doch nach einer Weile beruhigte sie sich halbwegs und schien die zärtliche Zuwendung schon fast zu genießen.

„Liebes Kind, so durcheinander habe ich dich ja noch nie erlebt“, sprach Fujime beruhigend.

„Ich bin kein Kind“, antwortete sie kalt, aber dennoch war ein kläglicher Unterton hinaus zu hören.

„Ich bin nur verwirrt. Ich habe bislang nie an dem gezweifelt, was ist. Nie in Frage gestellt, was ich tue, aber... ich kann keine Antwort finden!“

„Na und? Dir macht es doch nichts, dass du „du“ bist, oder nicht?“ – sie schüttelte leicht den Kopf – „Na, siehst du. Es könnte auch ein Zeichen dafür sein, dass auf einmal deine Gefühle überlaufen. Du hattest noch nie so viel menschlichen Kontakt wie jetzt. Seit du zu mir kamst hast du dich aus allem herausgehalten. Und deine Aufgabe ist gut. Den Sinn dahinter, musst du für dich alleine finden!“

„Danke Fujime“, erwiderte sie emotionslos, wieder ganz die Alte

„Immer wieder gerne“, gab er herzlich zurück, sich nicht daran störend, dass sie wieder abweisend war.

„Anderes Thema“, beschloss er und blickte sie geradeheraus an.

„Was sagst du zu unserem jungen Gast?“

„Ich habe dir das schon vor langer Zeit gesagt. Ich mag ihn.“

„Oho?!“, fragte er mit einem mehr als eindeutigen Augenaufschlag.

„Nicht so“, entgegnete sie leicht genervt – kam der schon wieder damit an? – „Ich mag ihn... so. Er hat viele gute Eigenschaften“

„Das stimmt. Ich mag ihn auch sehr. Vielleicht...“ überlegte er versonnen.

„Ja. Vielleicht“, antwortete Yumi hart, die genau zu wissen schien, was Fujime meinte.

„Lass dich nicht von persönlicher Sympathie leiten“

Daraufhin herrschte kurzes Schweigen, bis Fujime Yumi schließlich seufzend das Zeichen zum Aufbruch gab.

„Oder... willst du noch beenden, was du angefangen hast?“, erkundigte er sich noch fürsorglich bei ihr.

„Nein, jetzt nicht mehr“

Und damit machten sie sich langsam auf den Weg zurück zum Haus.

Für Temaru ebenfalls das Zeichen zum Aufbruch. Schließlich mussten die beiden nicht unbedingt erfahren, dass er hier Mäuschen gespielt hatte. Also rannte er, so schnell es seine steifen Glieder erlaubten, zu dem kleinen Häuschen zurück.

Schnell entledigte er sich seiner Kleider und kroch in sein Bett. Wann Yumi und Fujime dann schließlich zurückkehrten, bekam er nicht mehr mit. Sein Körper forderte seinen Tribut und mit einem letzten müdem Gähnen schlief er schließlich ein.
 

Den ganzen nächsten Tag verbrachte Temaru mit seinen Gedanken. Das, was er am letzten Abend mehr oder weniger zufällig mitbekommen hatte, musste er erst einmal verarbeiten.

Yumi und Fujime gegenüber hatte er nichts davon erzählt, dass er Zeuge ihres nächtlichen Stelldicheins geworden war.

Auch die beiden hatten es mit keinem Wort erwähnt und gingen mit solch zwingender Normalität an die Sache heran, dass Temaru der Gedanke beschlich, solche Treffen könnten schon des öfteren stattgefunden haben.

„Daher wusste Yumi vermutlich auch von meinen nächtlichen Ausflügen“, dachte Temaru bitter, „Sie hat mich gesehen, wie ich draußen herum saß. Und ich hab mich für super unauffällig gehalten, dass ich mich immer so leise hinausgeschlichen habe. Phf, die schlagen mich wirklich um Längen“

„Temaru“, ertönte plötzlich eine kräftige Stimme vom gegenüberliegenden Ende des Tisches.

Er hob seinen Blick und schaute direkt in das besorgt gefurchte Gesicht von Fujime.

„Alles okay?“, erkundigte sich sein Gegenüber sachte

„Warum sollte es nicht?“, antwortete Temaru trotzig.

„Du bist heute so abwesend und redest fast gar nicht. Wirst du krank?“

„Nein, vielen Dank, mir geht es gut“

Das klang vielleicht etwas steif, war aber wenigstens noch höflich formuliert. Und Temaru lagen wirklich noch ganz andere Sachen auf der Zunge.

Dabei konnte er von sich selbst eigentlich nicht behaupten, dass er wütend war. Ja, er wüsste nicht mal, weshalb er wütend sein sollte. Aber all die Rätsel und Fragen, die ihn schon seit seiner Ankunft plagten, wirbelten in seinem Kopf umher und drängten nach draußen um Antworten zu fordern.

Er brauchte wirklich eine ruhige Minute.

Oder wahlweise irgendetwas, was ihn ablenkte.

Und als ob ein Gott seine Gebete erhört hätte, kam ihm eine glückliche Fügung zugute.

„Ich wollte heute mal etwas anderes als Feldarbeit mit dir machen“, warf der Schwertschmied plötzlich in die Runde.

Vielleicht hatte der alte Mann ja auch seine Gedanken gelesen?! Temaru würde das jedenfalls kaum mehr überraschen.

Doch fast gegen seinen Willen wurde er neugierig.

„Was denn?“

„Ich dachte mir“, verkündete der Japaner theatralisch, „du würdest vielleicht gerne die Kunst des Schwertes erlernen“

Wow, damit hätte er jetzt aber nicht gerechnet. Temaru riss die Augen auf und ersann eine geistreiche, witzige und angemessene Antwort.

„Hä?“, kam heraus.

„Die Schwertkunst“, holte der andere aus, „ist eine der ältesten existenten Waffenformen. Heute steht sie in ihrer Blüte und wir haben mehr Samurai denn je. Ich selbst bin nicht nur Schwertschmied, sondern auch des Kämpfens mächtig. Ich würde dir gerne zum Dank für deine tatkräftige Hilfe auf dem Felde meine bescheidenen Dienste als dein Lehrmeister anbieten, soweit es meine Fähigkeiten erlauben“

„Was er damit sagen will“, unterbrach Yumi erbarmungslos, „hast du Lust zu lernen, wie man mit einem Schwert kämpft?“

„Genau das wollte ich damit sagen“, lächelte Fujime sie an.

„Was meinst du, Liebes?“

Für diese Bezeichnung erntete er einen bösen Blick, doch er ließ sich davon nicht abschrecken.

„Warum eigentlich nicht?!“, grummelte sie schließlich und ließ sich auf ihrem Platz zurücksinken.

Dann, wie auf Kommando, wandten sich beide Köpfe Temaru zu. Dieser schrumpfte erst mal noch ein Stück und dachte nach.

Yumi hatte recht: Warum eigentlich nicht?!

Es würde ihn voll all den Mysterien ablenken und er wollte schon immer mal ein Schwert schwingen.

Schaden konnte es ihm auf keinem Fall, solange er sich keinen Fuß abhakte. „Und wenn ich mit einer Axt umgehen kann, werde ich ein Schwert wohl auch noch hinkriegen“, machte er sich selbst Mut.

Schon wesentlich begeisterter, als kurz zuvor nickte er zum Zeichen seines Einverständnisses und nicht weniger begeistert ergriff der Alte seine Hand und schüttelte sie enthusiastisch.

„Klasse“, rief er, „du wirst sehen, es wird dir gefallen. Du bist bestimmt gut. Ganz sicher.“

Und schon stand er auf und wie ein kleiner Junge eilte er zur Tür und schleppte sein überrumpeltes Opfer einfach mit.

Kurz vor der Tür machte er jedoch noch einmal Halt und drehte sich ruckartig um, so dass es Temaru fast von den Füßen riss.

„Gomen ne, Yumi. Räumst du das hier bitte fertig auf?“

Und noch ehe sie zuende nicken konnte, war er auch schon verschwunden, mit Temaru im Schlepptau.
 

„Ähm, Fujime – San?“, wagte Temaru dann endlich einzuwenden, als sie in der Schmiede standen und Fujime gerade zwei hölzerne Schwerter aus einer der umstehenden Kisten hervorkramte.

„Ja?“

Nur mühsam richtete Fujime sein Augenmerk auf den verwirrten (aber nichts desto trotz erfolgreich von seinen Sorgen abgelenkten) Jungen, der da in seiner Schmiede stand.

„Was ist, wenn ich kein Talent habe? Oder...“

„Ach, papperlapapp“, wurde ihm das Wort abgeschnitten. „Du hast Talent, ich weiß es. Ich sehe es! Und damit basta! Wenn ich sage, es ist so, dann ist es so!“, begründete er sein Wissen.

„Aha“, murmelte Temaru irritiert ob dieser merkwürdigen Logik. Aber so aufgedreht, wie der andere im Moment war, hatte es wohl keinen Sinn zu diskutieren.

Normalerweise war Fujime zwar locker und witzig, aber dennoch sehr beherrscht. Jetzt hingegen schien er fast außer sich vor Freude.

Ungeduldig drückte er Temaru sein Schwert aus Holz in die Hand. Der raue Holzgriff fühlte sich irgendwie komisch und seltsam ungewohnt an in seiner Hand. Und dennoch spürte Temaru sein Herz einen Takt schneller schlagen, obwohl es sich bei diesem Modell nur um die billige Imitation eines Schwertes handelte.

„So, jetzt komm mit nach draußen“, beschied ihn Fujime und entschwand ohne ein weiteres Wort.

Gespannt folgte Temaru ihm.

Draußen hielt sich Fujime dann auch nicht lange auf, sondern zeigte Temaru die richtige Haltung des Schwertes.

„Hier legst du den kleinen Finger hin, ja, genau so, etwa an das zweite drittel des Griffes. Die Hände noch etwas nach innen drehen... noch etwas... stopp, so ist` s gut. Sehr schön! Diesen Griff prägst du dir jetzt ein“

„Okay“, erwiderte Temaru leichthin und musterte genau wie er den Griff hielt, fest entschlossen, sich das Ganze zu merken.

„Hast du`s?“

„Ja“

„Gut, dann weiter. Siehst du dort diesen Pfahl aus der Erde ragen?“

Temaru`s Blick folgte der ausgestreckten Hand des Schwertschmiedes und in nicht allzu weiter Entfernung konnte er tatsächlich einen Pfahl ausmachen, aus dem fast waagrecht ein Ast ragte.

Stumm nickte er.

„Gut, ich möchte, dass du einen Schlag auf den waagrechten Teil des Holzes ausführst. Sieh mir jetzt genau zu“

Und damit stürmte er schon auf das wehrlose Holz zu und verpasste ihm einen gezielten Hieb.

Anschließend drehte er sich lächelnd zu seinem Schützling um.

„So“, meinte er, „gesehen?“

Unsicher nickte Temaru.

„Dann probier es!“, wurde er aufgefordert.

Darauf gab es nichts zu erwidern. Also stürmte er auf das Holz zu und versuchte, es genauso zu machen wie Fujime.

Er konnte sich zwar nicht selbst sehen, aber er vermutete, dass er ziemlich dämlich aussah.

„Nein, nicht so!“, rief Fujime auch schon kopfschüttelnd.

„Tut mir leid“, sagte Temaru kleinlaut.

„Kein Ding, war ja dein erster Schlag. In Zukunft musst du es so machen...“

Und schon war der alte Japaner mitten in seinen Erklärungen und Temaru konnte nur noch aufmerksam zuhören.

Sein erstes Training dauerte den ganzen Tag und die unbekannte Anstrengung schaffte ihn so sehr, dass er abends müde und geschafft in seinen Futon kroch, ohne auch nur einen Gedanken an irgendwelche Sterne oder Mythen zu verschwenden. Und kaum das er sein Kissen berührte, war er auch schon im Land der Träume.
 

Als er am nächsten Morgen erwachte, spürte er jeden einzelnen Muskel im Körper. Und sie versprachen ihm nicht gerade einen schönen Morgen. Temaru stöhnte leicht, als er seine schmerzenden Arme bewegte.

Das Training hatte ihn doch ganz schön beansprucht. Er selbst hielt sich allerdings nicht für das Naturtalent, wie Fujime. Das hatte dieser im Laufe des vergangenen Tages scheinbar dann auch eingesehen, denn er hatte seine Erwartungen merklich eingeschränkt.

Aber er schien weder böse, noch wirklich enttäuscht von Temaru zu sein. Scheinbar war er nur letzten Endes wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt, wofür Temaru von Herzen dankte, denn seine übersprudelnde Freunde war ihm direkt unheimlich geworden.

Langsam, darauf bedacht, keine zu hastigen Bewegungen zu machen, stand Temaru auf und begann sich in Zeitlupe anzuziehen.

Als er es endlich geschafft hatte, trat er auf den Flur und blieb erst einmal überrascht stehen.

Hell schien die Sonne in sein Gesicht und er blinzelte überrascht, das ungewohnte Strahlen vertreibend.

„Wie lange habe ich denn geschlafen?!“ Er runzelte die Stirn. Normalerweise war es nämlich noch dämmerig, wenn er aufwachte. Scheinbar hatte ihn das Training gestern noch mehr gefordert, als er erwartet hatte.

Sicherlich hatte auch die Tatsache, dass er sich nächtlich zur Beobachtung der Sterne hinausschlich und so nur noch zu wenig Schlaf kam, dazu beigetragen, dass er so lange geträumt hatte.

Immer noch nicht wirklich wach ging er in die Küche. Es saß niemand am Tisch, aber das war nicht überraschend.

Yumi und Fujime waren nämlich genauso Frühaufsteher wie er. Höchst wahrscheinlich hatten sie bereits gegessen und ihm etwas übriggelassen. Tatsächlich fand er dann auch noch etwas Misosuppe in einer abgedeckten Holzschüssel vor und dankte Yumi im stillen, dass sie an ihn gedacht hatte. Er selbst besaß nämlich kein Talent zum kochen und zudem fühlte er sich immer sehr unwohl, wenn er in der Küche seiner Gastgeber herumwerkelte, obwohl Fujime ihm versichert hatte, er könne sich nach Herzenslust bedienen.

Anstandslos aß Temaru also sein Frühstück und genoss es einfach, die warmen Sonnenstrahlen, die durch das kleine Fenster auf der anderen Seite des Raumes fielen, auf seinem Gesicht zu spüren.

Während er sich also wohlig sonnte, bemerkte er nicht, das jemand hereinkam.

„Guten Morgen“, grüßte Yumi höflich.

„Hallo Yumi“, rief Temaru aufgeschreckt und wollte aufstehen.

Böser Fehler!

„Autsch“, zuckte er zusammen, als sich ihm seine geschundenen Muskeln mit aller zur Verfügung stehenden Macht in Erinnerung riefen.

Er hob seinen Kopf und begegnete Yumis Blick und... er könnte schwören, dass ihr Mundwinkel zuckte, so als wolle sie ein Lachen verbergen.

Misstrauisch beäugte er sie und als sie seinen Blick bemerkte, schwand das Anzeichen von Fröhlichkeit sofort, als wäre es nie da gewesen.

„Du hast lange geschlafen“, bemerkte sie nebenbei.

„Ja, ich glaube das hatte ich mal wieder nötig“

„Anstrengendes Training gehabt, gestern?“, erkundigte sie sich beiläufig, als würde es sie gar nicht interessieren.

Aber Temaru lies sich nicht täuschen. Er wusste, dass Yumi sich für jedes Thema, zu dem sie mehr als ein Wort verlor, brennend interessierte. Sie versuchte nur, es sich nicht anmerken zu lassen.

„Ja, schon“, erwiderte er langsam und abwartend.

„Was hältst du von der Schwertkunst?“

„Sie gefällt mir“, antwortete er ehrlich, „es macht Spaß, auch wenn es sehr anstrengend ist, wie mich mein Körper heute lehrt“

Wieder dieses Zucken und diesmal war sich Temaru sicher: sie hatte geschmunzelt.

Er freute sich, das sie endlich mal ein Gespräch anfing und sogar etwas mehr Gefühle zeigte, und wenn sie noch so klein waren.

„Fujime ist stark, oder?“, fügte er noch hinzu

„Oh ja“, rief sie erheitert, „er ist nicht nur ein wahrer Schwertschmied, sondern auch ein echter Schwertmeister. Natürlich ist er nicht so gut wie ein Samurai, oder so, aber er ist ein sehr guter und geduldiger Lehrer und sein Schwert kann tödlich sein“

„Oh, wow“, brachte er nur belämmert hervor.

„Das mit dem tödlich, meinst du das ernst?“, fragte er halb im Spaß.

„Sicher“ Sie sah ihn erstaunt an, als wäre es eine Selbstverständlichkeit für sie, das töten.

„Er hat schon mal jemanden getötet?“, entsetzte sich Temaru.

„Ja“, meinte sie, jetzt wieder in ihrer normalen Stimme.

Und noch bevor Temaru sich zurückhalten konnte, platzte er auch schon mit einer weiteren Frage heraus, die er sich besser verkniffen hätte. Und er wusste es.

„Und du auch?“, entfuhr es ihm. Doch gleich nachdem er es ausgesprochen hatte, bereute er es schon wieder. Doch da war es schon zu spät.

Yumis Gesicht verdunkelte sich. Ihre Augen schienen nun nicht mehr braun, sondern pechschwarz. Dunkle Schatten in ihrem Gesicht verliehen ihr etwas äußerst bedrohliches.

„Gomen nasai-“, setzte er an, doch sie presste nur die Lippen zusammen und bedeutete ihm zu schweigen.

Dann verließ sie das Zimmer.
 

-tbc-



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