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Nicht aus Stein

Der Kardinal und das Mädchen
von

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Gerüchte

Kapitel XVI: Gerüchte
 

Die Tage im neuen Palais vergingen wie im Fluge. Es reichte gerade einmal, um im Dorf die neuen Möbel für das Kinderzimmer zu bestellen. Richelieu verfluchte schon im Voraus Paris und gab immer wieder bekannt, dass er nicht dorthin zurück wolle.
 

Am letzten Abend saß Richelieu im Kaminzimmer. Marie schlief schon seit gut zwei Stunden tief und fest. Für sie waren die letzten Tage anstrengend gewesen. Auch wenn sie und Richelieu im Dorf immer und immer wieder eine Pause machten, so war sie am Abend fertig mit sich und der Welt. Richelieu schonte sie seit zwei Tage, was sie zum Demonstrieren bracht, doch ihn nicht erweichen konnte. Es war besser für sie. Die Schwangerschaft wurde immer anstrengender für sie. Und Richelieu wollte kein unnötiges Risiko eingehen, wollte nicht Gefahr laufen, seine Marie und sein ungeborenes Kind zu verlieren.

Nun saß er vor dem lodernden Kamin und starrte ins Feuer. Er konnte einfach nicht einschlafen. So sehr er sich auch bemühte. Ein innere Stimme sagte ihm, dass es in Paris nicht mit rechten Dingen zu ging. Das irgendetwas gewaltig schief lief. Er wusste nicht, was es sein könnte. Doch es war beunruhigend genug, dass er mit Marie gar nicht mehr zurückkehren wollte. Er ließ einen Kammerdiener nach Rochefort rufen.
 

„Eminenz, Ihr habt nach mir rufen lassen?“, Rochefort verneigte sich tiefer als es sein Rücken eigentlich erlaubt hätte.

„Hab ich Euch geweckt?“

„Nein, Eure Eminenz. Ich habe noch nicht sonderlich tief geschlafen.“

„Wisst Ihr Neuigkeiten aus Paris?“

„Nein, Eminenz.“

„Keine Aufstände, keine Unruhen, keine heimlichen Versammlungen?“ Richelieu schaute Rochefort fragend an.

„Nein, Eminenz. Alles ist ruhig.“

„Danke. Ihr könnt wieder schlafen gehen.“

Rochefort verneigte sich und ging rückwärts aus dem Zimmer.
 

**********************************************
 

Es war sechs Uhr morgens als Marie aufwachte. Allein. Richelieu lag nicht neben ihr. Unruhig stieg sie aus dem Bett und zog sich ihren Morgenrock über. Eine Ahnung ließ sie ins Kaminzimmer gehen, wo sie ihren Geliebten auch fand. Er starrte vor sich hin in die nur noch glühende Asche. Er schien sie gar nicht zu registrieren, denn er zuckte erschrocken zusammen, als er ihre Hände auf seinen Schultern spürte. Er rieb sich die Augen, starrte aber weiter ins Feuer, selbst als sich Marie vor ihn hockte und ihre Arme auf seinen Schoß legte.

Sie spürte, dass seine Laune nicht die beste war.

„Wie spät ist es?“

„Die Glocken im Dorf schlugen gerade eben sechs.“, antwortete Marie zaghaft.

„Hmm.“

Marie kannte ihren Richelieu lang genug. Doch jetzt wurde sie aus ihm nicht schlau. Doch solange er ihr nichts sagen würde, nichts sagen wollte, würde sie auch nicht fragen. Einen unnötigen Streit wollte sie nicht riskieren.

„Hast du schon alles zusammen gepackt?“, er fragte sie ganz belanglos.

„Ja.“

„Ich auch. Geh noch einmal ins Bett. Es ist noch früh. Und ihr zwei braucht euren Schlaf.“

„Ich kann aber nicht mehr schlafen.“, erwiderte Marie.

„Geh trotzdem. Mit großer Sicherheit schläfst du noch einmal ein.“, Richelieu versuchte sie anzulächeln. Doch das Lächeln was er zustande brachte, war nicht von einem einzigen Gefühl geprägt.

„Nein, dass tu ich sicherlich nicht.“, Marie stand auf.

Richelieu schaute sie an. Er hatte nicht gerade Lust dazu, sich mit ihr zu streiten. Seinen Nerven waren einfach zu dünn gerade dafür.

„Warum sollte ich auch. Müde bin ich nicht. Ich nicht, und unser Kind auch nicht.“

„Du gehst auch nicht, wenn ich dich darum bitte?“

„Nein.“, sie schüttelte grinsend den Kopf.

„Marie, bitte, ich hab jetzt nicht die Nerven für solche kindischen Wortgefechte mit dir.“

Marie dachte, sie höre nicht recht.

„Bitte was? Kann ich denn etwas dafür, wenn du nicht schlafen kannst?“, sie giftete ihn an.

„Nein, aber dann musst du mich auch nicht noch nerven, wenn du siehst, dass ich es nicht kann, oder?“

Marie trat auf ihn zu, funkelte ihn böse an:

„Mach doch, was du willst. Dann geh ich eben wieder ins Bett. Dann geht dein Kind eben wieder ins Bett. Aber glaube ja nicht, dass du mich heute noch einmal ansprechen brauchst.“

Sie fuhr herum und flüchtete aus dem Zimmer.

Richelieu wollte sie aufhalten. Doch sie war zu flink und er zu müde.

„Verdammt!“, er fluchte laut genug. Marie hatte es sicherlich gehört. Er wusste, dass er sie mit höchster Sicherheit verletzt hatte, etwas, was er nie wieder tun wollte. Er hasste sich gerade selbst dafür. Und sie konnte nichts dafür. Er musste sich irgendwie bei ihr entschuldigen. Nur wie? Aufs Geradewohl ging er ihr nach. Doch im Schlafgemach fand er sie nicht. Erst im nächsten Zimmer, dem Kinderzimmer.

Marie stand am Fenster und starrte die Eisblumen an. Sie bemerkte nicht, wie er ins Zimmer kam und so sprach sie noch immer mit sich selbst:

„Wie kann es möglich sein, dass er, nur weil er schlechte Laune hat, mich so erniedrigt? Er hat doch keine Ahnung, wie es um mich bestellt war in den letzten Monaten. Ich habe mir Tag und Nacht Sorgen gemacht, und nun sitzt er wieder so da und zerbricht sich den Kopf. Da ist es doch wohl klar, dass ich mir Sorgen mache. Wieder einmal. Es ist doch wohl klar, dass ich mir um ihn Sorgen mache. Aber anscheinend will es Monsieur nicht verstehen. Warum…“

„Ich schätze es, dass du dir Sorgen um mich machst.“

Marie fuhr herum und sah Richelieu im Türrahmen stehen. Sie ließ ihm einen eisigen Blick zu kommen und schaute wieder aus dem Fenster. Der Blick tat seine Wirkung, denn Richelieu wusste nicht mehr, ob er noch näher an sie heran treten sollte. Der Türrahmen bot in jenem Moment mehr Sicherheit.

„Ich schätze es wirklich. Nur im Moment habe ich das Gefühl, dass es in Paris nicht mit rechten Dingen zu geht. Und Rochefort konnte mir nichts genaueres sagen. Verzeih mir, dass ich eben so kalt zu dir war. Du weißt, dass du mir alles bedeutest. Das du und unser Kind, dass ihr beide das wichtigste auf der Welt seid. Was auch immer kommen mag. Ich will euch beide nie verlieren. Und das eben, meine Reaktion eben war sehr dumm.“, er trat nun doch aus dem Türrahmen hinaus und ging langsam auf seinen geliebten Engel zu. Doch Marie rührte sich nicht. Sie schien es glatt zu ignorieren, dass er sich gerade ehrlich bei ihr entschuldigt hatte.

Als Richelieu sie erreicht hatte, legte er sanft seine Hände auf ihre Schulter und ihren Bauch. Doch sie rührte sich noch immer nicht.

„Nimmst du meine Entschuldigung nicht an?“

Marie sah ihn an. Sie besaß einen Blick, den er nicht deuten konnte.

„Ich habe mitbekommen, dass dich etwas sehr in Gedanken versinken ließ, aber ich habe nicht gefragt. Ich konnte mir denken, dass du es mir sowieso nicht sagen würdest. Also ließ ich es eben bleiben. Aber deswegen brauchst du mich nicht so zu behandeln, als wäre ich noch ein Kind. Ich weiß, dass ich jünger bin als du. Doch ich denke, dass es um meine Lebenserfahrungen besser bestellt ist als um deine. Oder bezweifelst du das? Ich liebe dich und ich achte dich. Denn du bist mein Mann. Ich will dich nicht verlieren. Doch ich sehe es nicht ein, mich von dir wie ein Kind behandeln zu lassen, dass sowieso nichts von der Welt da draußen versteht.“

Marie redete in einem ruhigen Ton mit ihm, doch Richelieu ahnte und spürte, dass es unter ihrer Oberfläche gerade mächtig am Brodeln war. Und sie hatte recht. Er hatte sie wirklich behandelt wie ein Kind. Vom Aussehen hatte sie noch so manch kindliches an sich, aber vom Verstand her nicht. Er musste selbst zugeben, dass er eben das des Öfteren vergaß. Zum Leidwesen seiner geliebten Frau.

Richelieu beugte sich zu ihr herunter und gab ihr einen sanften aber bestimmten Kuss auf die Stirn. Ein Zeichen dass er sie verstand.

„Ich weiß, dass du die Welt verstehst. Dein Verstand ist scharfsinniger als der von so manchem königlichem Berater. Und dafür schätze und liebe ich dich.“

Marie senkte den Blick:

„Ja, deine Reaktion und dein Verhalten eben war wirklich sehr dumm. Kein Zweifel. Wie ein sturer kleiner Junge dem man seine Geburtstagsgeschenke nicht verraten hat.“

Richelieu hob ihr Kinn an.

„Hey, du grinst ja.“

„Über so ein Verhalten von dir kann man auch nur lachen.“, lachte Marie ihm jetzt entgegen. Sie nahm seine Hand und Richelieu ließ sich bereitwillig mit ins Schlafgemach und ins Bett ziehen. Zärtlich bettete Marie seinen Kopf auf ihre Brust.

„Schlaf noch ein wenig.“, beruhigend strich Marie Richelieu seinen blonden Strähnen aus dem Gesicht, „Du brauchst wieder viel Kraft, wenn wir zurück in Paris sind. Ich werde über deinen Schlaf wachen. Ich und unser kleiner Schatz. Wir werden dich vor schlimmen Träumen bewachen. Schlaf ruhig und sicher.“

Ihre Worte hatten für Richelieu eine beruhigende und schläfrige Wirkung. So sehr er sich auch gegen den Schlaf wehren wollte, ihre süße Stimme, ihre Streicheleinheiten und ihr ruhiger Herzschlag ließen es nicht zu. Langsam fielen ihm die Augen zu. Wie aus der Ferne hörte er nur noch Maries Stimme, wie sie ein Schlaflied sang. So süß, so angenehm, so magisch.
 

*******************************************
 

Die Kutsche war nur noch wenige Meilen von Paris entfernt. Im trüben Licht konnte man schon ein wenig die Stadtmauer erkennen.

Marie hatte ihren Kopf an die Schultern Richelieus gelehnt. Solange wie er geschlafen hatte, war sie wach gewesen und hatte einen Gedichtband gelesen. Doch kaum hatten sie Mirabelle und das Dorf hinter sich gelassen, überkam sie die Müdigkeit. Allerdings hielt das Schaukeln der Kutsche sie vom Schlafen ab. So sah sie mit halboffenen Augen hinaus und streichelte gedankenverloren über ihren Bauch.

Richelieu las in einem italienischen Theologiebuch über Hexenprozesse. Er wusste, dass seinem Engel das Thema zuwider war, also erzählte er ihr gar nicht erst, worum es im Buch ging. Maries Meinung nach, waren Hexen nur Erfindungen von egoistischen und machthungrigen Männern, die sich in ihrer Position gefährdet sahen. Richelieu vermied das Thema peinlichst. Seine Nerven beruhigten sich langsam. Der Schlaf unter Maries Obhut hatte ihm gut getan. In einer guten Stunde würde er Rochefort in Paris ausschicken, um Informationen zu sammeln. Ganz war das flaue Gefühl in Richelieus Magen dann doch noch nicht verschwunden.

Er legte das Buch beiseite und schaute zu seinem Engel hinab. Sie hatte die Augen geschlossen, doch er war sich nicht sicher, ob sie auch wirklich schlief. Wenn ja, würde es doch noch recht langweilig sein auf die letzten Meilen. Rochefort saß beim Kutscher oben auf dem Bock. Michelle, Madame Curée und die Frau von Alexandre mit den Kindern fuhren in der zweiten Kutsche, die Alexandre lenkte und hinter ihnen fuhr. Richelieu seufzte.
 

„Was hast du? Grübelst du schon wieder?“

„Du bist wach?“, Richelieu schaute erstaunt zu seinem Engel hinab.

„Ja, ich döse nur ab und an ein wenig. Doch das Rucken der Kutsche lässt einen nicht wirklich schlafen.“

Marie richtete sich auf und sah ihren Mann an.

„Was schaust du so?“

„Ich will mich dir nur noch einmal genau einprägen, bevor dich der König wieder voll in Beschlag nimmt und du wieder erst mitten in der Nacht heim kommst.“, sie küsste ihn zärtlich.

„Ich will versuchen, dass ich mich loseisen kann von ihm. Immerhin will ich jede Minute mit euch beiden verbringen. Und sicher gehen, dass ich auch bei dir sein kann, wenn es da jemanden drängt, auf die Welt zu kommen. Die Geburt von meinem ersten Spross will ich auf keinen Fall verpassen.“

„Ja, beim zweiten und dritten ist es ja dann auch nicht mehr so spannend, nicht wahr?“, Marie grinste ihn an.

„Ganz genau.“, grinste Richelieu zurück.
 

Die Kutsche zuckelte durch die Vororte von Paris und das Gefühl in Richelieus Bauch wurde wieder stärker. Doch er ließ es sich nicht anmerken. Auch dann noch nicht, als sie das Stadttor passierten und nun durch die engen Gassen Paris’ fuhren. Unauffällig beobachtete Richelieu die Menschen auf der Straße und an eine Kreuzung, wo sie kurz hielten, versuchte er einige Worte aufzuschnappen. Doch es gab nichts auffälliges in ihren Gesprächsthemen. Es war der übliche Klatsch und Tratsch von Paris. Das der König von seinen Ministern kontrolliert wird, dass es immer noch keinen Nachwuchs gab, dass der alte Kardinal senil wurde und ein neuer her musste.

„Wir sind da.“

Maries Worte rissen ihn aus seinem Lauschangriff. Er hatte kaum noch auf die Umgebung geachtet und auch nicht mitbekommen, wie schnell sie am Palais waren. Rochefort hatte bereits die Tür geöffnet, Richelieu stieg aus, reichte Marie seine Hand und sie folgte ihm.

Michelle hüpfte vergnügt aus der zweiten Kutsche. Marie wusste, dass Michelle lieber in der Stadt war. Das Landleben war ihr zu langweilig, wie sie mehrmals in den letzten Tagen Marie unter die Nase rieb. Ihr folgte Madame Curée und Alexandres Frau mit den Kindern. Michelle lief voller Freude neben Marie her und schwärmte davon, wieder in Paris zu sein. Marie hörte ihr zu, doch sie bemerkte, dass Richelieu ihr nicht folgte. Er stand zusammen mit Rochefort noch bei der Kutsche, während die ersten Diener schon herbei eilten, um das Gepäck hinauf zu tragen.

„Warte einen Moment Michelle.“

Die Genannte nickte und bleib stehen, während ihre Herrin zu ihrem Mann ging.

„Was ist los? Warum kommst du nicht mit rein? Es ist kalt hier draußen und du holst dir noch eine Erkältung.“

Marie legte ihr Hand sanft auf Richelieus Unterarm, er erwiderte die Geste seines Engels mit einem Kuss auf ihre Stirn.

„Ich bin gleich bei dir. Geh doch bitte schon hinein. Denke an unseren kleinen Engel. Lass uns nichts riskieren.“, liebevoll strich er ihr über den Bauch. Marie quittierte es mit einem Nicken und folgte Michelle die Stufen hinauf.
 

Richelieu wartete, bis Marie im Palais war, dann beugte er sich zu Rochefort, während er langsam eine Handschuhe abstreifte.

„Nun mein lieber Rochefort. Ich habe gewisse Aufträge für Euch.“

Rochefort machte einen seiner nicht rückenschonenden Diener:

„Ich erwarte Ihre Befehle, Eure Eminenz.“

„Ihr habt sicher Kontakte. Kontakte, von denen ich nichts wissen will, wohlgemerkt.“; Richelieu schaute Rochefort nicht an, sein Blick schweifte aufmerksam durch die angrenzenden Straßen und Gassen. Vielleicht konnte er ja schon selbst etwas auffälliges ausmachen.

„“Rochefort! Ihr werdet diese Kontakte aufsuchen. Lasst Euch alle Informationen bezüglich Paris geben. Ich will alles wissen, alles, was in den letzten Tagen meiner Abwesenheit hier vorgefallen ist. Egal ob es wichtig ist oder nicht. Ich muss wissen, was in den letzten Tagen in Paris vorgefallen ist. Habt Ihr Euch alles gemerkt?“

Rochefort spürte den durchdringenden Blick seines Herrn auf sich ruhen:

„Ja, Eure Eminenz. Ich werde es so ausführen wie Ihr wünscht. Darf ich fragen, wozu Eure Eminenz all die Informationen brauchen?“

„Ich mache mir Sorgen um die Sicherheit meiner Frau und meines ungeborenen Kindes. Irgendetwas stimmt nicht. Das spüre ich. Also fragt nicht weiter, sondern macht Euch auf den Weg.“

Richelieu warf Rochefort einen Lederbeutel zu. Er sollte sich bei seiner Informationssuche damit zu helfen wissen. Rochefort bemühte sich noch einmal zu einem Diener, um kurz darauf ein herbeigeführtes Pferd zu besteigen und davon ritt.
 

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Marie packte zusammen mit Michelle ihre Kleider aus, als Richelieu in das Gemach trat und sich auf einem Sessel niederließ. Gedankenverloren spielte er mit einem Gedichtband, dass Marie von Sophie Christin geschenkt bekommen hatte. Still beobachtete er seinen Engel. Auf keinen Fall dürfte er zulassen, dass ihr was passiert. Das wäre sein Ende. Da war er sich ganz sicher. Natürlich würde Rochefort mit Informationen zurückkommen. Die Frage war bloß: Würde die Informationen für ihn von Nutzen sein?!

Michelle nahm Marie jedes Kleid ab, was sie ihr reichte. Sie hatte ihrer Herrin streng verboten, sich zu bücken. Nicht in ihrem Zustand! Marie war es recht, so konnte sie ihren geliebten Mann still beobachten. Er war schon wieder in Gedanken versunken. Seit zwei Tagen sah sie ihn nur noch die Stirn runzeln. Jedes Mal hatte sie das Gefühl, sie würde ihn aus wichtigen Gedankengängen reißen, wenn sie ihn ansprach. Warum wollte er ihr nur nichts sagen?

Marie bat Michelle, sie alleine zu lassen. Die junge Dienerin verstand, nickte lächelnd und verließ leise den Raum, nicht ohne noch die Tür zu schließen.

Marie ging hinüber zu ihrem Liebsten, setzte sich zu seinen Füßen und legte ihren Kopf auf seine Knie. Stille legte sich über den Raum. Marie ertrug es kaum. Sie versuchte sich zusammenzureißen, um nicht laut los zu schreien. Sie war verzweifelt, noch nie hatte sie Richelieu so erlebt wie in jenem Moment.
 

„Ich bin völlig fertig!“

Überrascht schaute Marie Richelieu an.

„Was schaust du so, mein Engel?“, Richelieu sah ihren überraschten Gesichtsausdruck. „Geht es dir nicht gut? Willst du dich vielleicht lieber hinlegen?“

Marie schüttelte, mit leicht geöffnetem Mund, den Kopf und ihre dunklen Locken folgen um ihr hübsches Gesicht. Sie war nur perplex von seinem plötzlichen Ausspruch. Erst war er doch so tief in Gedanken gewesen und dann warf er so einen Satz in den Raum und schaute sie noch dabei an, als wäre er nie weit weg in seinen Gedanken gewesen. Manchmal wurde Marie aus ihrem Geliebten nicht schlau. So wie eben jetzt. Sie spürte seinen Lippen auf ihrer Stirn.

„Könntest du bitte aufhören, mich weiter so merkwürdig anzustarren. Das steht dir nicht.“

Marie konnte seinen Atem spüren.

„Ja, natürlich. Aber du hast mich gerade so überrascht.“, sagte sie kaum hörbar.

„Warum das denn?“

Richelieu schaute sie nun ebenfalls überrascht an.

„Erst warst du soweit in Gedanken und dann kam dieser Satz von dir.“

„Aha, aber das muss ich jetzt nicht wirklich verstehen, oder?“, er erhob sich und zog Marie mit hoch.

Marie schüttelte den Kopf:

„Nein, dass musst du nicht.“

„Wärst du mir sehr böse, wenn ich das Abendessen heute ausfallen lasse und gleich zu Bett gehe?“

„Fühlst du dich nicht wohl?“, Maries Blick war voll Sorgen. „Du hättest eben gleich mit hinein kommen sollen, anstatt noch mit Rochefort solange draußen in der Kälte zu stehen.“

„Solange stand ich gar nicht mit ihm draußen. Wenn ich eine Erkältung haben würde, die ich aber nicht habe, dann käme das höchstens von unseren langen Spaziergängen in Mirabelle.“, Richelieu lächelte. „Ich bin lediglich ein wenig müde.“

„Gut, dann werde ich später in der Küche zusammen mit Michelle und Madame Curée essen. Sofern es dir nichts ausmacht.“

Richelieu schüttelte den Kopf. Sanft presste er seine Lippen auf Maries, drückte sie kurz an sich, strich ihr über den Bauch und zog sich dann in das gemeinsame Schlafgemach zurück.

Marie ließ die restlichen Kleider liegen und zog sich zu Michelle in die Küche zurück.
 

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Die Glocken Notre Dames hatten drei Uhr geschlagen. Stille lag über dem Palais, als sich eine hagere Gestalt durch die Flure stahl. Leise öffnete sie eine verborgene Tür und schlüpfte hinein. Keiner bekam die Gestalt mit, die sich da durch die Geheimgänge schlich, um am Ende ins Schlafgemach des Bischofs zu gelangen.
 

Richelieu lag tief und fest schlafend quer über dem Bett. Auf seiner Brust ruhte der dunkle Lockenkopf Maries.

„Sie sind so glücklich!“, leise beugte sich die Gestalt hinunter zu Richelieu und stieß ihn vorsichtig an. Zur Antwort gab es ein Gemurmel und eine abwehrende Handbewegung. Noch einmal stieß der Besucher den Schlafenden vorsichtig an.

„Eminenz, ich bin es. Rochefort. Ich muss Euch sprechen!“

Langsam öffnete Richelieu seine Augen, doch in der Dunkelheit sah er nur wage Umrisse. Verschlafen rieb er sich die Augen.

„Rochefort, es ist mitten in der Nacht!“, flüsterte er so leise wie möglich. „Was tut Ihr um diese nachttrunken Zeit hier und vor allem in meinem Schlafgemach?“

„Ich habe Informationen für Euch, Eminenz!“

Vorsichtig richtete sich Richelieu auf. Mit einem Male war er schlagartig wach. Behutsame bettete er Maries Kopf auf ein Kissen, nicht ohne ein leises Knurren seines Engels als Antwort zu bekommen.

„Wartet im Arbeitszimmer auf mich!“

Rochefort tat seinen Diener und verließ in gebeugter Haltung rückwärtsgehend das Gemach. Richelieu indes gab seinem Engel einen sanften und liebevollen Kuss auf die Wange.

„Schlaf süß weiter, ich bin bald wieder bei dir.“

Vorsichtig deckte er sie zu und ebenso vorsichtig erhob er sich. Er griff nach seinem roten Morgenrock, streifte ihn sich über und verließ leise Marie.
 

Rochefort wartete schon im Arbeitszimmer. Es gab genügend Sitzmöglichkeiten, jedoch wollte und durfte er sich nicht setzen, ehe es ihm sein Herr erlaubte. Und eben jener betrat gerade den Raum.

„Was habt ihr herausgefunden?“

„Putschversuche, Eure Eminenz!“

Richelieu starrte etwas entgeistert seinen Diener an.

„Putschversuche?“, er sprach so langsam, als müsste er das Wort erst einmal neu lernen.. „Gegen wen und vor allem warum?“

„Gegen den Kardinal!“

„Gegen den Kardinal?!“, ein hohles Lachen umspielte Richelieus Satz, „Aus welchem Grund denn?“

„Angeblich passt dem König seine Meinung nicht mehr. Es ist wohl auch, weil der Kardinal sich auch immer noch gegen Euch stellt, Eminenz! Er behauptete, dass Ihr Euch die Verletzung selbst zugefügt hättet, und stellte Hauptmann Raoul als Lügner hin. Der König glaubte ihm jedoch nicht. Noch ist er im Amt. Aber aus diversen Reihen habe ich erfahren, dass der Kardinal wohl in den nächsten Tagen und Wochen abgesetzt werden soll.“

Richelieu ging unruhig wie ein wildes Tier im Käfig auf und ab.

„Steht schon jemand als Nachfolger für den Ersten Minister zur Debatte?“

„Nein, Eminenz. Es wird noch spekuliert. In den Wettbüros der Stadt setzt man auf Euch, den Bischof von Toulouse und einem Unbekannten aus dem Elsass.“

„Wie hoch sind die Wetten?“

„Man setzt auf den Bischof von Toulouse.“, brachte Rochefort zähneknirschend hervor und rechnete schon mit einem Wutausbruch seines Herrn.

„Sehr gut, ich bin also nicht wirklich im Gespräch. Dann wird es Zeit, das Netz auszuwerfen.“, lächelte Richelieu.

Er ging zu seinem Schreibpult und zog einen Ledersack heraus, den er Rochefort zuwarf.

„Schlaf Euch aus. Ihr habt gute Arbeit geleistet. Euer Lohn!“

Rochefort fing den Beutel und verneigte sich zutiefst ergeben, doch Richelieu hatte ihm schon den Rücken zugewandt und war auf dem Weg zurück zu Marie. Im Türrahmen drehte er sich noch einmal kurz um:

„Lasst Euch das nächste Mal ankündigen und überrascht mich nie wieder in meinem Schlafgemach.“

„Ja, Eure Eminenz!“

Richelieu verließ das Arbeitszimmer und auch Rochefort stahl sich durch einen Geheimgang hinaus.
 

Leise legte sich Richelieu zurück zu Marie und zog sie wieder an sich. Marie ließ einen wohligen Seufzer erklingen. Zärtlich strich ihr Richelieu über die Haare und küsste sie.

„Jetzt fängt etwas ganz Neues an, mein Engel!“

Mit den Vorstellungen seines neuen Lebens schlief er ein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Schu_Lida-san
2007-07-16T10:40:19+00:00 16.07.2007 12:40
Also...
ich hab es wie versprochen endlich gelesen...
und jetzt stellt sich mir die Frage:
Was in Gottesnamen hat Richelieu vor? Wie kommt er an den neuen Job?
aber auch: ist es ein Junge oder Mädchen???


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