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Jäger der Finsternis

von

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Kapitel 10

Kapitel 10
 

Die Abenddämmerung legte sich langsam über die Stadt, nur das letzte Rot zog noch knapp über den Horizont. Die Lichter würden noch die ganze Nacht hindurch brennen, sie erloschen niemals. Der Himmel hatte seine tiefe Schwärze seit langer, unbeschreiblich langer Zeit verloren. Der schlanke Mann stand mit einem Glas Rotwein in der Hand vor dem großen Fenster seines Büros und blickte mit müden Augen hinaus. Er kannte die Wahrheit über den Himmel und die Nacht. Die Zeit hatte sich geändert, sie hatte die Gesellschaft geändert. Als er noch jung war, Jahrhunderte zuvor, war solch ein Licht stets ein alles verzehrendes Feuer, Menschen schrien und rannten durch die Straßen. Heute war es das Gleiche, er konnte sie aus der Innenstadt her hören. Menschen, die schrien, grölten, sie amüsierten sich. Es hatte sich nur ein einziger wahrer Fakt geändert, nur ein einziger. Sie hatten keine Angst mehr.
 

„Früher war sie tief schwarz. Erinnerst du dich noch?“ Er nahm einen Schluck aus dem Glas und betrachtete die kleinen roten Tropfen, die an der gläsernen Wand nieder rannen. „Früher habe ich immer Angst gehabt und jede Nacht zu dir gebetet.“ Seine goldenen Augen huschten zurück zu dem letzten Streifen Rot am Himmel und er hob das Glas mit einer schnellen Bewegung an, sodass der Inhalt beinahe über den Rand geschwappt wäre. Plötzlich tauchte alles ein in einen blutroten Strudel, in dem sich kleine Luftblasen wie tanzende Blütenblätter in einem unbeschreiblichen Reigen im wilden Frühlingswind tummelten. Er spürte die Erinnerung in sich auftauchen, als das letzte Mal sein Blick von solcher Farbe getrübt gewesen war. „Sag mir, mein alter Freund, warum hast du mir nie geantwortet? Ich habe dich in größter Not angefleht. Ich habe dir mein Leben schenken wollen, meine Mutter hat es getan...“ Deine Nacht ist nicht mehr schwarz! Dachte er in seiner unbestimmten Art. Heute waren sie durcheinander, heute fiel es ihm so schwer, sie zu ordnen. „Sag mir, Gott, wer bist du in deinem Stolz, der du so viele Missgeburten auf die Erde geschickt hast, um sie auszuplündern und sich gegenseitig auszuschlachten.“
 

Die Lichter der Nacht brannten in seinen Augen, als er das Glas wieder sinken ließ. Er hatte einmal Redfort gegenüber gesagt, dass der Verlust der Schwärze mit den Gefühlen der Menschen und ihrer Moral konträr liefe. Je heller die Nacht wurde, desto finsterer sah es in den Herzen der Menschen aus. Der Priester hatte nicht gelacht, er hatte einfach nur da gesessen, ihn aus seinen tiefen Augen angeblickt und lange geschwiegen. Bis seine raue Stimme plötzlich durch den Raum hallte und sich in den hohen Deckengewölben brach. „Ja, du hast Recht!“ Mehr hatte er nicht geantwortet, doch in seinem Blick lang so viel mehr. Es war ein Wissen, wie er es seit Jahrhunderten nicht mehr bei einem Menschen gesehen hatte. Der Priester war nicht einfach nur ein Gläubiger, nein, er war wie ein schwarze Engel, der in Gottes Namen zur Erde gestürzt war und sein weißes Federkleid gegen einen pechschwarzen Mantel getauscht hatte. Warum mussten diese Menschen immer von Vampirwesen wie ihm verdorben werden? Luzifer selbst war sein Richter gewesen und hatte ihm jede weiße Feder einzeln heraus gerupft. Er konnte sich noch sehr gut an diese Nacht erinnern. Es war nur eine einzige Nacht gewesen. Alles hatte so harmlos angefangen. Er strich durch die Nacht auf der Suche nach Beschäftigung und plötzlich stand der junge Mann vor ihm. Seine Augen brannten lichterloh wie Feuer und sein kräftiger Leib glühte vor innerer Wärme. Niemand hätte ihn in diesem Augenblick noch halten können. Das silberne Kreuz um den Hals des Mannes ließ ihn nicht zögern und mit einem charmanten Lächeln deutete er eine leichte Verbeugung an. „Einen schönen guten Abend wünsche ich, mein Herr.“ Dies waren die ersten Worte, die er an Redfort richtete und es waren noch so viele in dieser Nacht gefolgt. Er hatte dem Jungen die Hölle auf Erden gezeigt und ihm mit aller Macht die Seele aus dem Leib gerissen.
 

Verärgert wischte er den Gedanken fort. Er wollte nicht länger in diesen Erinnerungen schweben. Sie behinderten ihn doch nur. Sein Blick viel aus dem Fenster und er suchte verzweifelt nach einer Ablenkung. Langsam drehte er sich um und ging zu seinem Schreibtisch zurück. Er setze sich in den großen Ebenholzstuhl und griff nach der Zeitung, die er gestern achtlos dort hin geworfen hatte. Als Schlagzeile prangte riesig das Bild eines mit Öl verschmierten Kormorans auf dem Papier und er überflog den Titel. >Ist nun ein großes Tiersterben zu befürchten? Was wird der Konzern BP als nächstes versuchen?<
 

Er schüttelte nur den Kopf. Da zeigte sich doch die „Überlegenheit“ dieser Rasse. Er musste ganz ehrlich gestehen, ihm gefiel die Zeit am besten, in der er ohne Strom und Öl gelebt hatte. In seiner menschlichen Kindheit war er von Nonnen in einem alten Bergkloster aufgezogen worden. Sie hatten dort mit der Natur soweit im Einklang gelebt, wie es für sie möglich war. Doch heute gab es das nicht mehr. Heute brauchte es Heizungen und Fernsehen, ohne Internet und Pc ging die Welt unter und sollte einmal das Auto in der Reparatur sein, konnte man nur noch über diese schlechten Öffentlichen Verkehrsmittel schimpfen. Wenn die wüssten, wie er damals zum Dorf herunter gestiegen war, um seine erste große Liebe zu entjungfern. Das allein war ein Tagesmarsch und er kam erst spät in der Nacht zu ihr, obwohl er im Morgengrauen begonnen hatte. Schlechte Öffentliche Verkehrsmittel, das war ja zum Lachen.
 

Der Mensch war doch nur noch ein verwöhnten Kind in den heutigen Industriestaaten. Er schmiss die Zeitung zurück und sein Blick viel auf einen kleinen Artikel auf der Rückseite. Es ging um die Bildzeitung. Seufzend leerte er sein Glas und griff nach der Flasche. Dieses Mal schenkte er sich den Stil und setzte sie gleich an. In wenigen Zügen hatte er die gesamte Flasche geleert und mit einem traurigen Blick wurde ihm erneut bewusst, dass es längst nicht mehr reichte, um in diesen tranceähnlichen Zustand des Betrunkenseins zu fallen. Er wünschte sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher als ein Mensch zu sein, sich hemmungslos zu betrinken und zu vergessen, was für bestialische Monster diese morbide und verrottende Gesellschaft formten. Er wusste nicht, was schlimmer war. Seit Jahrhunderten mit anzusehen, das der Schwachsinn dieser Rasse zunahm oder zu begreifen, das er sich dem nicht entziehen konnte. Er studierte sie, wie andere Armeisen, sezierte und manipulierte sie. Wäre er doch nur nicht so lange schon allein. Wo war sie eigentlich? Eine seltsame Art von Einsamkeit und Sehnsucht überkam ihn. Diese Art, die er sonst nur in ihrer Nähe spürte. „Du bist hier, nicht wahr?“ Seine Stimme war tief und belegt.
 

„Ja.“ Leise trat sie aus dem Schatten heraus. Erst ein paar Herzschläge lang stand sie in diesem Raum und lauschte seinen Gedanken. Sie waren heute so offen und verloren zu gleich. Er war gesättigt von den Jahrhunderten und dem Wissen, das er in all der Zeit gesammelt hatte. Sie sah seine sonst so aufrechte Gestalt in sich gesunken auf dem Stuhl sitzen und spürte genau, wie das Feuer seiner goldenen Augen flackerte. „Ich hätte nicht erwartet, dich so wieder zu finden, mein Freund. Was ist aus dir geworden? Ich dachte, du würdest immer der Luzifer sein, der du warst!“ Ihr blutrotes Kleid streifte den Boden, ihre schwarzen langen Haare wippten leicht bei jeder Bewegung. „Bruder, was ist mit dir?“ Ihre grünen Augen blickten ihn fragend an und sie kannte nur eine Art, ihn aus diesem Loch wieder zu befreien. Doch heute schien er sich viel tiefer zurückgezogen zu haben als jemals zuvor. Was war nur geschehen? „Sprich mit mir.“ Sie raffte ihren Rock zusammen und setzte sich breitbeinig auf seinen Schoß. Ihre Hände griffen nach seinem Gesicht und zogen es nah an das ihre. „Welche Qual hat dich so tief in die Finsternis gestürzt?“
 

Die goldenen Augen flackerten wirklich. Er schob sie abwehrend ein Stück von sich fort und lehnte sich zurück. „Meine Seele ist längst tot! Ich bin nichts weiter als ein Vampir.“ Er schloss die Augen und sie erkannte, wie sich rotes Blut in den Augenwinkeln sammelte. „Ich habe vor einiger Zeit einen kleinen Welpen zu mir aufgenommen. Er hat keinerlei Ahnung, was es heißt, ein Vampir zu sein. Er ist mit seinem Verstand seit Jahrzehnten immer noch dabei, sich an seine Seele zu klammern. Unser Meister hatte sie uns nach wenigen Wochen ausgetrieben. Wir zwei führen ganze Schlachten, weil wir eine unstillbare Mordlust haben. Erst wenn wir über einem pechschwarzen Meer aus bis zur Unendlichkeit entstellten vampirischen Leichen stehen, spüren wir die Erleichterung. Kein Funken Menschlichkeit steckt in mir. Egal wie ich es auch vortäuschen mag. Angelina ist mehr ein Haustier für mich, als ein Mensch. Ich liebe sie, wie ein Herrchen sein Hündchen liebt! Und wenn dieses Tier einmal ungehorsam wird oder ich ihm überdrüssig, breche ich ihm das Genick.“
 

Die Schwarzhaarige blickte aus ihren grünen Augen fragend zu ihm herab. Sie verstand nicht so recht, was er ihr da erzählte. Ihre Hände lagen auf seinen Hüften und ihr Kopf legte sich schräg. Die blutroten Lippen verzogen sich zu einem Ausdruck des Unfriedens und so fragte sie mit einfühlsamer Stimme. „Was nun ist dein Problem, wenn du keine Menschlichkeit mehr hast? Warum leidest du dann so?“
 

Ein Stöhnen entkam Luzifer. „Warum?“ Er stieß sie mit einer einzigen Bewegung von sich und hörte nicht ihren erschreckten Schrei, als sie den Schreibtisch schmerzhaft in ihrem Rücken spürte. Er erhob sich mit einer neuen gewalttätigen Energie. „Warum fragst du mich?“ Er riss dabei die Arme in die Höhe und klagte sie mit seinem Blick wütend an. Immer lauter wurde seine Stimme, als er die nächsten Worte eher rief als sagte. „Weil mein Verstand arbeitet! Weil er Tag und Nacht arbeitet, jede Minute, jede Sekunde, jeden toten Herzschlag lag!“ Er ging mit festen, schnellen Schritten durch den Raum. „Ich sehe seit Jahrhunderten wie sich die menschliche Rasse zu Grunde richtet und ich kann diesem Wahnsinn nicht entkommen! Ich bin geboren in einem Bad aus Blut und wuchs in göttlicher Hand auf. Alles was wir brauchten, hatten wir. Und nun! Sieh dir diese Aßfresser an! Sie sind nichts weiter als dreckige Ausbeuter eines Planeten, der ihnen nicht gehört. Sie brennen das Gras der Steppen ab und begreifen nicht, dass nichts weiter als kahle Erde bleibt. Sie reißen die Wälder ab und erkennen nicht, dass sie sich die Luft zum Atmen nehmen. Sie brechen mit allen Gesetzten und erkennen nicht, wie schnell ihnen der Boden unter den Füßen vom Meer geraubt wird und sie ersaufen wie kleine Katzen.“ Er schlug mit beiden Händen auf die massive Schreibtischplatte, sodass einiges davon herabfiel.
 

Alexandra blickte ihn nur aus ihren tiefen Augen an und schwieg. Ihr rotes Kleid glitzerte im Licht, das durch die Fenster fiel, wie ein aus blutigen Tropfen bestehender Wasserfall. Sie hatte sich an den Schreibtisch gelehnt, stützte sich mit den Armen rückwärts ab und legte nun den Kopf in den Nacken. Ihre schwarzen Haare lagen wie eine Wellenflut auf dem dunklen Holz.

„Es ist mein Verstand, der mich in den Wahnsinn treibt. Ich versuche es zu verstehen. Ich suche einen Sinn dahinter. Alles auf dieser Welt hat einen Sinn, selbst wir elenden Blutsauger! Nur dieses...“ Es war nur noch ein lautes Brüllen zu hören und er packte den Tisch an beiden Seiten. Mit einem empörten Quietschen, spürte die Schwarzhaarige ihren Halt weichen und im nächsten Herzschlag krachte der massive Holztisch gegen die nächste Wand. Das Bild darüber stürzte ab, die Kommode ein Stück weiter links wurde eingerissen und splitterte. Verwundert zog sie eine feine Augenbraue in die Höhe. „Du bist sehr unausgeglichen, Bruder!“ Ihre Stimme war leicht monoton und sie setzte sich ungerührt auf den nun frei stehenden Stuhl, der den Anschlag unberührt überlebt hatte.
 

Seine goldenen Augen funkelten sie mit einem fassungslosen Blick an. Sie war einfach eine gefühlskalte Hure! Sie überschlug die Beine in einem eleganten Schwung, der rote Stoff wallte einmal auf und legte sich dann wieder über den weichen Unterrock. Er konnte das angeregte Lächeln auf ihren Lippen sehen. Mit einer langsamen Bewegung ging er auf sie zu. „Sonst habe ich dir diese Gedanken aus dem Leib gevögelt, Luzifer, aber heute bist du wie einer von diesem besessenen, geisteskranken Abschaum, der sich Vampir nennt. Komm her und hör mir zu!“ Sie hob die Hand und griff nach der seinen. Mit einem starken Ruck brachte sie ihn aus dem Gleichgewicht und er landete stolpern auf dem Boden vor ihr. Sie beugte sich leicht zu ihm vor und umschlang wieder sein Gesicht mit ihren Händen.
 

„Diese Menschen sind nur Abschaum! Sie leben nicht mit den Gesetzten dieser Welt zusammen. Ihr Verstand ist nicht ausgebildet, verkrüppelt, so wie ihre Seele. Sie sind praktisch die unvollkommene Vorstufe des eigentlichen Menschen. Wir Vampire sind eine Art evolutionärer Weiterentwicklung. Aber der Mensch an sich ist nur ein verkrüppeltes Wesen, unfähig, dumm und zurück geblieben! Du kannst dir keine Gedanken über den Sinn machen, weil sie nicht im Stande sind, ihrer Lebensform einen Sinn zu geben! Sie werden geboren und sie sterben. Dazwischen zerstören sie nur. Mehr nicht. Das ist der Mensch! So war er schon immer! Erinnere dich! So war er schon immer!“
 

Luzifer hatte seine Augen geschlossen und lauschte nur der melodischen Stimme seiner Geliebten. Sie war seine Seelenschwester und wahrhaft das einzige Wesen auf dieser gottverlassenen Welt, dass er liebte!

Sie waren zusammen aus Blut und Angst entstanden. Ihre Geburt war zur selben Stunde und ihr Meister hatte ihnen das Herz aus der Brust gerissen, bevor sie wussten, was sie nun waren. Sie beide waren durch die Hölle gegangen, ihre „Ausbildung“ war ein ewiger Pfad des Hasses und der Unterwerfung gewesen. Ihr Meister hatte gewusst, wie er ihr Potenzial am besten hatte zur vollen Blüte treiben können. Die Narben, die seine Seele zeichneten, hätten jeden Menschen in ein geistloses, lebensunfähiges Wesen verwandelt. Diese Stimme würde er niemals vergessen. Niemals die Nacht seiner Freiheit. Diese eine Nacht, in der die Stimme seiner Schwester ebenso melodisch und verführerisch seinen Verstand vernebelt hatte. Sie wiegelte ihn gegen seinen eigenen Meister auf und an seiner Seite zerfleischte sie den toten Leib des Vampires. Sie hatte ihm einen Scheiterhaufen gebaut, ihn mit ihren eigenen Klauen zerfetzt und auf Pfählen aufgespießt verbrennen lassen. Ihr kaltes Lachen suchte ihn manchmal mitten am Tage tief in seinem Sarg heim und ließ ihn wie ein kleines Kind vor Angst erstarren.
 

„Luzifer, Geliebter, der Sinn des Menschen liegt darin, diese Welt zu Grunde zu richten. Schon von Beginn an haben sie sich nur für ihr eigenes Überleben interessiert. Erinnere dich an deine menschliche Geburt. Erinnere dich an all die Geschichten. Warum bist gerade du in einem katholischen Bergkloster von Nonnen aufgezogen worden?“ Ihre Stimme trug all das Leid der vergangenen Tage wieder zurück in sein Bewusstsein. Sie ließ ihn absichtlich leiden.

Ihr roter Mund verzog sich zu einem liebevollen Lächeln die schwarzen fein geschnittenen Fingernägel fuhren leicht die Konturen seines Gesichtes nach und das Klingen der metallenen Ohrringe schien ihn in eine unheilvolle Trance zu ziehen. Sie hatte ihn wieder in ihrer Gewalt. Einer der grausamsten, unbeugsamsten und wohl stolzesten Vampire dieser Zeit gab sich einer Frau hin …

Er saß da, nein, er kniete vor ihr und wollte sie ihm den Kopf von den Schultern schlagen, er hätte sich nicht gewehrt. Seine goldenen Augen starrten sie stumpf an und schienen ohne Leben. Er begriff kaum etwas von dem, was hier geschah. Er sah nur noch sie, seine Schwester, seine Geliebte, seine einzige Hoffnung, seine Göttin, sein absolutes Alles!
 

Sie zog mit der linken Hand ein kleines silbernes Döschen aus den tiefen ihres Kleides und ließ es mit einem leisen Geräusch aufschnappen. „Mach den Mund auf, mein Kleiner.“ Säuselte sie, während sie mit zwei Fingern der rechten Hand etwas daraus hervor nahm. Er tat, wie sie ihm geheißen und mit einem einfühlsamen Blick legte sie ihm eine kleine weiße Tablette auf die Zunge. „Schlaf, schlaf den Schlaf der Ungerechten.“ Sie hob sein Kinn gerade soweit an, dass er von alleine Schlucken musste und ein seltsames Zucken brachte seine Hände zu einer ersten Regung. Die goldenen Augen färbten sich Sekunden schnell schwarz und weiteten sich Angsterfüllt.

„Wehre dich nicht dagegen. Das Gift wirkt viel zu schnell dafür. Du wirst gleich nichts mehr spüren.“ Sie setzte sich in ihrem Stuhl auf und betrachtete wie der Vampir vor ihr unter Schmerzen sein Gesicht verzog. Er versuchte sich langsam zu erheben, stürzte nach vorne und fiel direkt vor ihre schwarzen Schuhe. Ein lautloser Schrei löste sich von seinen Lippen und das Licht in seinen Augen erlosch. Mit einem letzten Zucken erschlaffte sein Körper und die Augenlider fielen ihm zu. Sie wartete noch einen Augenblick und lauschte in die Stille des Hauses. Es konnte doch jetzt nicht angehen, dass keiner hier war, oder?
 

„Lupin!“ Ihre Stimme hallte in unüberhörbaren Ton durch den Raum und flutete das ganze Stockwerk. Sie durchdrang das ganze Haus und weit ab von ihrem Zimmer tief unten in der Bibliothek schreckte ein „junger“ Vampir zusammen und seine Gesicht wurde noch etwas bleicher. Ohne noch weiter nachzudenken rannte er aus den Kellergewölben empor, die Treppen und Flure wie ein Irrer überwindend und stand mit einem Mal in der Tür von Luzifers Arbeitszimmer. Sein Blick fiel ungebremst auf die rot gekleidete Dame, zu dessen Füßen sein ehemaliger Lehrmeister lag. „Was...?“ keuchte er und wich vor ihr einen Schritt zurück. „Du?“ Ein Kurren überkam seine Kehle und das Funkeln seiner Augen zeigte seine Abscheu.

Doch sie wischte diese alles nur mit einer Handbewegung aus der Luft. „Hör auf, wie ein Straßenköter zu knurren. Immerhin gehorchst du noch annehmbar, wenn man nach dir pfeift.“ Ihre Worte hallten ihm höhnisch entgegen und sie erhob sich mit einer bereitwilligen Geste. „Nun mach dich endlich nützlich und bring ihn zu Bett!“ Lupin stand da und nun trat Verwirrung in jeden seiner Züge. Mit einem Seufzen schritt sie über den am Boden liegenden hinweg und ihre schwarzen Haare wippten leicht von einer zur anderen Seite. Ihre grünen Augen fixierten den jungen Mann in der Tür und sie blieb nur einen Meter vor ihm stehen. „Glaubst du wirklich, ich würde ihm etwas antun?“ Sie lachte wissend und mit einer sanften Handbewegung strich sie über seine Wange.
 

„Wenn wir einmal davon absehen, dass ihr beiden Königreiche gegeneinander in die Schlacht geführt und euch gegenseitig bis zur Unkenntlichkeit zerfleischt habt, dann gehe ich nicht davon aus.“ Er wich ihrer Berührung erst zu spät aus, das seltsame Gefühl ihrer eiskalten Hand auf seiner Haut ließ ihn schaudern. Ihr Lachen mochte zwar auf den ersten Blick freundlich klingen, aber das war sie ganz und gar nicht.

„Ich habe nichts weiter getan, als ihm ein starkes Gift zu geben. Er wird ein oder zwei Tage ruhig und traumlos schlafen und dann hoffentlich wieder bei Sinnen sein.“ Ihre Worte ließen ihn stutzen und er schob sich dicht an die Wand gedrückt in das Zimmer hinein. Ihm war so etwas auch schon aufgefallen. Luzifer schien in letzter Zeit sehr... unberechenbar zu sein.Wenn er an den vorletzten Beischlaf mit ihm dachte... Selten hatte er seinen ehemaligen Meister so leidenschaftlich und unkontrolliert erlebt. Noch immer spürte er in einigen Muskeln die Schmerzen. Gedankenverloren hing sein Blick an dem Schreibtisch, der außer einem kleinen Loch in der Wand, die Kommode zerlegt hatte. Er stand schief auf der einen Seite, die Schubladen und Türen waren offen und Blätter, Hefter, Stifte lagen verstreut herum. Er hatte zwar den Schlag gehört, aber ihn nur für eine schlechte Laune Luzifers gehalten. In solchen Situationen hielt man sich besser von ihm fern.

„Hoffen wir...“ Knurrte er zu ihr hinüber.
 

Lupin war ein wirklich lustiger Zeitgenosse. Er war so berechenbar. Seine heimliche Liebe zu seinem alten Meister hatte sich längst in eine bekannte Tatsache verwandelt. Dabei konnte er seine Eifersucht ihr gegenüber nicht wirklich kontrollieren. Sein Knurren und sein Hass waren für sie nichts weiter als niedlich. Immerhin war sie ihm um Klassen überlegen. „Ich würde dich nun endlich darum bitten, ihn rüber zu bringen. Seit wann lässt du dir so etwas nehmen?“ Er drehte ihr statt einer Antwort nur der Rücken zu und kniete sich neben den angeblich nur Schlafenden. Er hatte sich durch seine Lebenserfahrung zwar ein großes Wissen angeeignet, aber gegen die beiden war er nur ein dummes Kind. Sie würde ihn schon nicht umbringen. Während er Luzifer vorsichtig in die Höhe hiefte, begriff er erst etwas ganz anderes. Er hatte sie nicht einmal bemerkt. Sie war einfach so in dieses Haus spaziert und erst als sie ihn zu sich rief, erfuhr er von ihrer Anwesenheit. Welch ein verdammter Mist! Er biss sich wütend auf die Unterlippe und knurrte sie mit funkelnden Augen an.

Mit einem Lächeln hob die Angeklagte die Hände und säuselte zu ihm hinüber. „Nun, Lupin, irgendwann wirst du vielleicht auch einmal begreifen, dass ich keine Gefahr für dich bin. Ich habe dich immer an seiner Seite geduldet und ich kann mich an so manche Nacht erinnern, in der du dich sehr gerne zu uns ins Bett gelegt hast.“ Ein leises Lachen drang über ihre Lippen.
 


 

Es hatte nicht lange gedauert und Luzifer lag fest eingeschlagen in die zwei feinen Decken in seinem Bett. Die Vorhänge wurden leise von ihr zugezogen und Lupin saß auf der Matratze und schaute ihr dabei zu. „Du siehst sehr müde aus, Alexandra.“ Brach seine raue Stimme plötzlich die Stille. Sie hielt in einer Hand noch immer den letzten Teil des Vorhangs und schien durch den Spalt hinaus in den Garten zu sehen. „Ich habe euch beide viel zu lange allein gelassen.“ Seine violetten Augen schauten beobachtend auf ihren Rücken und die Schwarzen Haare. „Es waren einige Jahrzehnte.“ Antwortete er ruhig. Als sich die junge Frau mit einem Mal zu ihm umdrehte, schien sie um Jahre älter zu sein. Sie schritt mit schweren Bewegungen auf ihn zu und ließ sich neben ihn auf das Bett sinken. „Lupin, Wolf. Beschützer oder Wächter. Dein Name hat sehr viele Bedeutungen in unserer Kultur. Aber vor dem, was in den letzten Jahrzehnten geschehen zu sein scheint, denke ich, hättest du ihn nicht beschützen können.“ Ihre Stimme wurde mit jedem Wort ein bisschen müder und mit einem Mal sank sie leicht an ihn heran. Ihr Kopf sank auf seine Schulter und sie lächelte ihn aus traurigen Augen heraus an.

Er hasste diese Frau und er liebte sie. Sie war der zweite Teil der Seele, die sein Leben verkörperte. Er war Gefangener in seiner Liebe zu Luzifer und diese Frau machte ihn glücklich. Natürlich wusste er, dass sie, nur allein weil sie eine Frau war, nicht seine Konkurrentin darstellte. Doch ebenso war die Gier danach, alleiniger Besitzer all der Liebe zu sein, so stark, dass er sie nicht dulden wollte. Nun legte sich seine kräftige Hand auf ihr zartes Gesicht und er küsste sie auf die Stirn. Wächter. Hallte es dumpf in seinem Kopf nach und er nickte.
 

Er lauschte auf die Geräusche des erwachenden Hauses, auf die Dienstboten, die in viel zu früher Stunde vor der Tür standen, die Stimmen der jungen Mädchen und der Männer, die nach dem ersten Frühstück mit ihrer Arbeit begannen. Das Licht fiel nicht in das Zimmer. Der morgen hinter den Gardinen musste von sehr heller, leuchtender Farbe sein, denn kaum eine schlechte Laune hielt sich lange hier. Sein Blick viel auf die beiden Schlafenden. Er konnte nicht sagen, was in drei Teufels Namen Alexandra die letzten Jahrzehnte getan hatte, doch sie schien all ihre Energie verbraucht zu haben. Sie hatte sich von ihm das rote Kleid öffnen lassen und als der Stoff zu Boden fiel, stand sie völlig nackt vor ihm. Mit einem dankbaren Lächeln schlüpfte sie aus den weichen Stoffschuhen und unter die Decke zu ihrem geliebten Bruder.

So weit er wusste, waren sie nicht genetisch verwandt, sondern nur gemeinsam als Vampire geboren worden. Es war irgendwo in Rumänien oder dem, was es damals gewesen war; vor ungefähr 1.250 Jahren. Der Vampir, der später ihr Meister wurde, hatte sie wohl zufällig in Luzifers Arme getrieben und bei dem Versuch, die junge Frau vor dem bösen Wesen zu beschützen, war er ihm auch zum Opfer gefallen. Wenn diese Nacht auch nur doppelt so schlimm war, wie seine Geburtsstunde, dann keimte wahrhaftig Mitleid in ihm auf. Damals gab es ganz andere Bräuche. Die beiden stammten aus noch finstereren Zeiten als er. Er wusste nur, dass sie ihren Meister einige Jahrzehnte nach Lupins Erschaffung umgebracht hatten. Oder war es davor? Nun ja, sie hatten ihren eigenen Meister auf grausame Weise umgebracht. Mehr wusste er nicht.
 

Seine Gedanken schweiften in die Nacht zurück, in der er den beiden zum ersten Mal begegnet war. Es war eine stürmische, dunkle Nacht in Frankreich. Oder dem, was einst einmal Frankreich werden sollte. Er wohnte in einem großen Dorf, irgendwo in diesem Niemandsland ca.1100 nach Christi Geburt. Draußen hörte er ein ungewöhnliches Geräusch. Das Schreien einer Frau. Er hatte nach einer Holzstange gegriffen und sich hinaus in die Nacht begeben. Er folgte dem Schreien gegen die mächtigen Winde, doch als er auf den kargen Ackerfeldern stand und der kalte Herbststurm an seinen Kleidern zerrte, verstummte es. Nur das Tosen des Windes bliebt übrig. Bis er ihn sah! Den Mann, den er nie wieder vergessen sollte. Er rief zu ihm hinüber, ob er auch die Frau gehört habe und sie suche. Der Mann verneinte mit tiefer Stimme. Er hob die Hand und deutete auf etwas, dass hinter dem jungen Mann zu stehen schien. Als er sich umdrehte, blickte er in das Gesicht einer totenbleichen Frau, halb nackt und mit Blut besudelt. Sie riss das Maul auf und scharfe Zähne, wie die eines Wolfes, traten hervor. Er schrie, riss den Stock empor und schlug zu. Während er zurück taumelte, stürzte er direkt in die Arme des Mannes, dessen tiefe Stimme eben noch gegen den starken Wind geklungen hatte.
 

Er wehrte sich nach allen Kräften, schlug und trat, biss und kratzte. Er wandte sich wie ein Fisch in einem Netz und versuchte zu entkommen. Irgendwann, als er mit Erde beschmiert in den Dreck gedrückt und hilflos kämpfend auf dem Boden lag, hielten die beiden inne. Der Mann, dessen Knie hart in seinem Rücken ruhte und ihn so kampfunfähig machte, fing an zu lachen. „Du scheinst nie aufzugeben.“ Mit diesen Worten ließen sie wieder von ihm ab und als er den Kopf hob, hörte er nur noch die tiefe Stimme rufen. „Ich werde dich hohlen, Stück für Stück, bis du von alleine um deinen Tod winselst.“

Als er im Morgengrauen zurück vor seiner Hütte stand, versuchte er erst gar keine Erklärung seiner Frau oder seinen Eltern gegenüber zu finden. Das Dorf begann zu munkeln und kaum einen Tag später lag ein totes Nutztier vor der Schwelle seines Hauses. Tag für Tag wurde es schlimmer. Der unbekannte tauchte immer wieder auf, doch nur in seiner Nähe. Er musste der Teufel sein, so stand es für alle fest, ein Dämon aus der Unterwelt. Die Gerüchte wurden schlimmer, bis... bis irgendwann sein Vater verschwunden war. Seine Mutter folgte nicht lange darauf. Als letzte war es seine Ehefrau, die er tot in seinem Bett wiederfand. Ihre Kehle war aufgerissen, Blut hatte die Stoffe gänzlich rot gefärbt. Er wollte zurück taumeln, aus dem Haus laufen, doch er konnte nicht, zwei starke Hände hatten sich auf seine Schultern gelegt und trieben ihn wieder zurück. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich hohlen komme!“
 

In dieser Nacht verlor er den Glauben an Gott und all seine himmlischen Kräfte. Der Mann, der um einiges Älter wirkte, mit seinen leuchtend goldenen Augen schien der Hölle persönlich entstiegen zu sein. Seine weißen Haare waren mit Blut getränkt, all seine Kleider zeugten von dem, was er mit der jungen Frau getan hatte. „Ich habe mich wirklich gut mit ihr amüsiert.“ Erst jetzt begriff das zukünftige Opfer, dass seine Ehefrau nicht nur tot, sondern auch nackt auf dem Bett lag. Erst jetzt wurde ihm der lüsterne Blick des Mannes bewusst, erkannte er die nur flüchtig angezogene Hose und das eben übergeworfene grobe Stoffhemd.

Ein Blick in diese Augen reichte und seine Stimme verzagte. Er konnte sich nicht gegen die bestimmenden Bewegungen des anderen wehren. Hilflos ließ er geschehen, was er nicht abwenden konnte.

Bis in den grauen Morgen hinein blieb der Vampir und ließ dann sein Opfer verloren zurück.
 

Erst nachdem er dem Wahnsinn nahe und auf der Flucht vor denen, die einst einmal Freunde gewesen waren, beinahe zu Tode gekommen war, tauchten die Vampire wieder auf. Ohne Gnade nahm sich der Vampir ein zweites Mal all das, was ihm gefiel, seine tiefe Stimme erzählte dabei fortwährend von dem, was er mit der toten Ehefrau seines Opfer getrieben hatte. Seine raue Stimme sprach davon, wie er ihn neben sie auf das noch blutfeuchte Bett gedrückt hatte, während er sich nahm, was ihm beliebte.

Est im Morgengrauen schenkte er ihm Erlösung. Grausame Erlösung. Er hatte ihm das blutige Handgelenk gegen die Lippen gedrückt und die Zähne des Unbekannten schlugen sich tief in seinen Hals. Immer und immer wieder hatte Lupin um seinen Tod gefleht. Immer und immer wieder in dieser Nacht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  ReinaDoreen
2022-02-03T15:11:47+00:00 03.02.2022 16:11
Magst du nicht doch noch weiter schreiben?
LG Reni
Von:  Florentina
2016-12-21T16:01:46+00:00 21.12.2016 17:01
Puhhhhh~
Was soll ich hier nur schreiben? XD
ich mag die Geschichte auch wenn du deine Leser noch ziemlich im Dunkeln tappen lässt.
Es ist mir nur sehr schwer gefallen der Geschichte zu folgen. Dein sehr malerischer Stil ist hier an vielen Stellen einfach zu viel so das ich kaum verstanden habe was jetzt überhaupt passiert? Wer wer ist und wo und überhaupt. Zum Schluss wurde es immer besser aber man merkt ganz stark die Entwicklung von der Ff zur deiner Aktuellen harry×draco Ff.
also dafür meinen tiefsten Respekt.
Ansonsten finde ich die Ff wirklich interessant. Vielleicht findest du irgendwann mal Zeit und Lust um sie zu ende zu schreiben.

Bg. FLORA


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