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Die letzten zehn Tage

von

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Von mir und anderen Katastrophen - überarbeitet

Schule. Für viele ist es einfach ein Ort wo man sich langweilt, manche freuen sich darauf. Wieder andere sehen in ihr einen Ort des Grauens. Und zu denen gehörte ich. Vielleicht gab es ja einen speziellen Grund dafür, vielleicht war es einfach nur alles zusammen. Klar war aber, dass ich nur noch zur Schule ging, weil Schulpflicht war.

Mit den Lehrern verstand ich mich ganz gut, auch wenn es welche unter ihnen gab, die ich nicht leiden konnte und die mich nicht leiden konnten. Die anderen Schüler, die in meiner Klasse saßen, hätte ich vielleicht irgendwann mal mögen können – wenn sie nicht ein Opferlamm gebraucht hätten. Leider war dem nicht so.
 

Unsere Klasse war die lauteste der ganzen Stufe, die Mädchen die intrigantesten, die Jungen die gewalttätigsten. Im Unterricht konnte man froh sein, wenn man überhaupt etwas verstand, und wenn es sein Nachbar war, der einem etwas sagen wollte. Tests mit einem Notendurchschnitt über 3,6 waren selten, Beschwerden bei der Rückgabe und Lehrergespräche an der Tagesordnung. Blaue Briefe hatte so ziemlich jeder der Klasse mal bekommen, wenn nicht sogar jedes Jahr mindestens einen. Meiner beschränkte sich auf Chemie, aber das lag am Fach. Ich hatte professionelle Nachhilfe bekommen, mein Lehrer gab sich mit mir besondere Mühe und ich durfte sogar Englisch schwänzen, um bei anderen Klassen in Chemie weiterzukommen. Es half nichts. Meine Noten in Englisch blieben gut, die in Chemie blieben schlecht.

Als wäre das noch nicht genug, als wären die schlechten Noten alle erst das kleinere Übel, gab es dann noch die Klassenbeste. Sie hatte, soweit ich weiß, noch nie einen blauen Brief, dafür umso mehr Elterngespräche und auch die Lehrer, die normaler Weise in jeder Situation einen kühlen Kopf bewahrten, konnten sich nach spätestens einem Jahr nicht mehr beherrschen und schrieen sie an. Sie selbst behauptete, sich einfach nur keine unfairen Noten und Kommentare gefallen zu lassen, ich war immer wieder der Meinung, sie könnte sich nicht unterordnen. Ihre Respektlosigkeit gegenüber sämtlichen Lehrern war nur noch durch ihre Arroganz zu übertreffen, mit der sie ihre Noten einkassierte. Gab es auch nur ein Fach, in dem ihre mündliche Note schlechter war als die eines anderen Schülers oder war sie schlechter als eine zwei, brach über ihr ihre wohlgeordnete schwarz-weiß-Welt zusammen. Dann kamen die bereits erwähnten Beschwerden, denen sich auch ihre Banknachbarn anschlossen, und wenn das nichts half, erbittert geführte Elterngespräche. Im Zeugnis eine Mitarbeitsnote schlechter als eins? Ein Weltuntergang. Einen Zeugnisdurchschnitt von schlechter als zwei? Das Ende für sie und aus ihrer Sicht wohl auch für den Rest des Universums. Ich denke, spätestens dem Tierarzt von nebenan war ihr Schicksal so ziemlich egal, ihr Tennislehrer wäre froh darum und ein Großteil ihrer Lehrer ebenfalls. Ganz abgesehen von mir, aber manchmal hatte ich das Gefühl, dass alle, denen es um sie Leid täte, zu ihrer Familie gehörten – oder zu ihrer Clique. Freunde waren das jedenfalls keine.

Dann war da noch dieser eine kleine Typ, der mit seinen dummen Sprüchen seine Körpergröße wohl komprimieren wollte. Er war intelligent, das will ich nicht abstreiten, aber er war einfach ein ... nun, "Bilderbuchmacho" trifft es nicht ganz. Er war durch und durch einfach nur arrogant, eingebildet, vielleicht unsicher und deswegen so ein mieser – der Ausdruck sei eurer Phantasie überlassen. Ich konnte ihn von der fünften Klasse an nicht leiden, und wenn ich ehrlich bin, er konnte nett sein. Vor allen Dingen dann, wenn er was wollte, wenn er etwas nicht wollte und du allein das verhindern konntest (was allerdings wieder auf das erste hinauslief) und wenn er gerade krank war. Dann war er so geschafft, dass er noch nicht mal mehr für seine Fiesheiten Energie hatte. Dafür reichte schon ein einziger kleiner Schnupfen, aber bis er den hatte, musste man schon wirklich Glück haben.

Ich weiß, ich erzähle so, als gehörte ich nicht dazu, aber so war es auch. Ich war in ihrer Klasse, ich saß zwischen ihnen an meinem Platz, ich schrieb ihre Arbeiten mit, aber ich war keiner von ihnen. Denn so wie diese beiden Beispiele waren alle Leute in meiner Klasse. Manche weniger schlimm, manche einfach nur Mitläufer. Und manche waren zu dumm, um überhaupt etwas von beidem zu sein. Die lachten dann mit, wenn es etwas zu lachen gab, auch wenn es nicht lustig war, aber hielten sich sonst aus allem raus. Es sei denn, es gab etwas, wo man lästern, ärgern, provozieren konnte. Und ich war da der perfekte Anlaufpunkt.

Ich wehrte mich nicht, ganz einfach, weil es eh keinen Sinn hatte. Ich beschwerte mich nicht, weil die Lehrer und meine Eltern gegen diese verzogenen Rotzbengel, Zicken und regelrechten Arschlöcher eh keine Chance hatten. Spätestens dann, wenn sie ihre Eltern zu Hilfe riefen. Und das war nicht gerade selten. Leider.
 

Es gab viele Tage, an denen ich einfach nur zu Hause saß und mich fragte, was ich noch in dieser beschissenen Welt zu tun hatte. Auch das war nicht selten, aber ich versuchte, es noch in Grenzen zu halten. Und wenn es doch einmal etwas zu oft wurde, schickten mich meine Eltern raus. Es ging ihnen noch nicht einmal darum, dass ich mich mit den Leuten in meiner Klasse verständigte, das hatten sie bereits aufgegeben. Aber wenn man seit vier Jahren nur noch ausgelacht, beschimpft und regelrecht gedemütigt wird, lernt man früher oder später, alleine zu sein. Es macht keinen Spaß, um Gottes Willen, aber mit einem gewissen Maß an Pessimismus, Sarkasmus und Ironie ließ es sich ganz gut verkraften. Zumindest verzweifelte ich nicht mehr in jeder Situation.

In der Zeit, wo ich nicht zu Hause saß, war ich entweder in der Bücherei, im Schreibwarenladen oder irgendwo in den Feldern um die Stadt herum. Stadt war eigentlich etwas übertrieben, aber immerhin war es eine "Kreisstadt", was so viel bedeutete wie: Es leben hier nicht genug Einwohner in den Dörfern der Umgebung, um eine andere Kreisstadt zu finden, und um eine richtige, richtige Stadt zu sein, sind es nicht genug Leute. Zur Ernennung zur Stadt reicht es gerade so aus.

Ich war mal wieder in der Bibliothek, als mir ein einzelnes Buch nahezu ins Sichtfeld spranng: "Die letzten zehn Tage". Ich schlug es interessiert auf. Während ich die Seiten überflog, stach mir schließlich eine einzelne Zeile entgegen:

"... Das erste Zeichen dafür, dass die letzten zehn Tage angebrochen sind, ist, wenn Katzen, Ratten oder andere intelligente Haustiere unruhig werden, weglaufen und nicht mehr wiederkommen oder anfangen, sich ungewöhnlich zu benehmen, also ohne ersichtlichen Grund fauchen, beißen oder Kannibalismus entwickeln..."

Der Satz ging noch ein ganzes Stück weiter. Ich blätterte um. Es ging um weitere Vorzeichen, um Menschen, die normaler Weise die Ruhe selbst waren, dann aber plötzlich Aggressionen entwickelten und vieles mehr. Gegen Schluss des Buches fand ich einen Satz, an den ich noch den ganzen Abend denken würde:

"Jeder Tag kann der letzte sein. Behalndeln Sie Ihre Umwelt und sich dementsprechend."
 

Zu Hause ging ich langsam in mein Zimmer, warf die Tasche mit den Büchern auf mein Bett und ging in die Küche, um die Katzen zu füttern. Leise rappelte ich mit der Futterdose. Auf Lo, Li und Ta, benannt nach dem Lied von Alizée, wirkte das wie en Zaubergeräusch. Sie kamen jedesmal, egal, wie laut oder leise die Dose rappelte und wo sie gerade waren.

Vor mich hin summend füllte ich Futter in die Schüsseln und wechselte das Wasser aus. Ich spürte bereits, wie etwas Weiches, Seidiges um meine Beine strich. Es war nicht mehr als Schleimerei, aber es half jedes Mal aufs Neue. Vorsichtig, um nicht zu stolpern, trug ich die Schüsseln zum Futterplatz in der Ecke. Dann stellte ich mich hin, um die drei zu streicheln, blieb aber mitten in der Bewegung wie angewurzelt stehen.

Li war weg.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2007-09-04T12:45:24+00:00 04.09.2007 14:45
ich bin auf die geschichte mittels des mary-sue-forums da gekommen, und bis jetzt bin ich total begeistert. ich finde bis jetzt ist der charakter auf keinen fall eine mary sue... hat viele zu viele fehler (schlechte chemie-note usw.)^^
auch ihre gedankengänge sind echt super (ist doch eine sie Ô,o?)
ich finde die geschichte bis jetzt echt spannend und mir gefällt vor allem auch dein schreibstil - der ist wirklich super. da ich selbst auch schon seit jahren begeistert geschichten schreibe, finde ich du bist für dein alter echt gut. ich werd mich in deinen fan-fics noch eine weile umschauen udn auch so den ein oder anderen kommentar dalassen.

gruß sayana.
Von: abgemeldet
2007-05-29T21:31:05+00:00 29.05.2007 23:31
woa, des is nich nur gut sondern au voll lustig!!!^^
besonders die gedankengänge von nel sind so geil!xD
mach weiter so!


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