Nichts außer Dunkelheit
Es war nun schon eine halbe Ewigkeit her, dass er durch den Torbogen gefallen war. Er erinnerte sich nur noch an dieses schwarze Tor – und an nichts was davor gewesen war.
Das einzige was er kannte war tiefe Schwärze. Er hatte keine Identität, keine Erinnerungen. Sein Kopf war leer. Er wusste nicht einmal mehr, wie seine eigenes Gesicht aussah oder die seiner Eltern. Alles war in der Dunkelheit entschwunden.
Unermüdlich plagte er sich damit seinen Kopf nach Erinnerungsfetzen abzusuchen. Doch da war nichts, nichts als Dunkelheit.
Das einzige was er wusste war, dass er sich in einem fensterlosen Raum ohne Türen und Fenster befand.
Einmal täglich (jedenfalls nahm er an, dass es einmal täglich war) apparierte ein Hauself in die finstere Zelle und brachte ihm eine Schüssel kalte Kürbissuppe einen Kanten Brot und etwas schales Wasser. Er zählte die Tage nach diesem einzigen Kontakt zur Außenwelt. Laut dieser Rechnung war er nun schon über ein Jahr hier.
Doch heute war irgendetwas anders als sonst. Der Hauself erschien nicht. Er wartete nun schon so lange auf ihn, dass er vor Erschöpfung mit röhrendem Magen einschlief.
Jemand weckte ihn unsanft, indem er ihm in die Seite trat.
„Steh endlich auf, du Hund!“
Verwirrt und benommen ließ er sich von dem Fremden auf die Beine ziehen. Er wurde grob am Arm gepackt und ein ziehen hinter seinem Bauchnabel verriet ihm, dass sie apparierten.
An ihrem Ziel war es hell. Er hatte so lange kein Licht mehr gesehen, dass er für ein paar Minuten die Augen fest zukneifen musste. Sobald er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte und die Augen wieder öffnen konnte, zog der andere ihn ungeduldig weiter. Sie befanden sich in einem hohen, tunnelartigen Gang ohne Fenster, der von großen Pechfackeln erleuchtet wurde. Sein Begleiter führte ihn zielstrebig den Gang hinunter auf eine noch in einiger Ferne liegende, schwere Eichentür zu.
„Komm schon, Black! Du willst mir doch nicht weiß machen, dass die dreizehn Monate Kellerverlies mehr ausmachen als 12 Jahre Askaban?“
Der Mann neben ihm grinste spöttisch. Er hatte lange, dunkle, schmierige Haare und einen großen Zinken im Gesicht. Man fühlte sich bei seinem Anblick unwillkürlich an eine Fledermaus erinnert.
„Black?“ Er schaute ihn fragend an.
Der Mann neben ihm begann irre zu lachen. „Du willst mir doch nicht wirklich erzählen, dass du dich nicht an deinen Namen erinnern kannst? Wirklich, das ist zu köstlich! Für wie blöd hältst du mich eigentlich, Freundchen? Du willst mich willst mich wohl auf den Arm nehmen!“
CRUCIO
Ein brennender Schmerz erfasste seinen Körper. Er warf sich auf den Boden und krümmte sich vor Qual. Bilder blitzten vor seinen Augen auf.
Ein großer Saal mit Vitrinen in denen Gehirne aufbewahrt wurden... ein Junge mit strubbeligem Haar... James... nein... Harry...
Zwei weitere Namen tauchten aus der Dunkelheit auf. Der eine war sein eigener, der andere jedoch...
Der Schmerz ebbt ab. Wankend kam er auf die Beine. „Danke, das war mir eine große Hilfe. Hast du noch mehr solcher Späße auf Lager?“, bemerkte er trocken.
Ein hämisches Grinsen breitete sich über das Gesicht seines Peinigers aus.
„Die Haare sind dir ja im Kerker scheinbar nicht von den Zähnen gefault. Das ist gut... sehr gut sogar. Da wird der dunkle Lord bestimmt noch seine Freude an dir haben, Black!“
„Also bin ich...“, er zögerte „... Sirius Black?“
Der andere nickte wortlos.
Ja, Sirius... Sirius Black. Er war sich sicher den Klang dieses Namens schon viele Male gehört zu haben. „Und... wo sind wir hier?“, fragte Sirius und blickte sich ratlos um.
„Das geht dich einen Scheißdreck an, Blutsverräter!“, gab der Schwarzhaarige gelassen zurück. Er wirkte nun wieder ganz gefasst. Von der irren Fledermaus von vorhin war nichts mehr zu bemerken. Doch obwohl den anderen eine Mauer aus Arroganz umgab, hatte Sirius den dringenden Verdacht, dass der andere sich köstlich über seine Hilflosigkeit amüsierte.
Sie waren nun vor der massiven Holztür angekommen. Sein Begleiter stieß die Tür auf, führte Sirius hinein und ließ sie hinter ihnen mit einem lauten Knall ins Schloss fallen.
Sie standen in einem riesigen, düsteren Saal. Die einzigen Fackeln waren rund um einen thronartigen Sessel aufgestellt und zauberten so ein beunruhigendes Schattenspiel an die Wände. In dem Sessel saß ein hagerer, großer Mann mit einem kahlen Schädel, roten Schlitzaugen und Schlangennüstern anstelle einer Nase. „Ah! Severus“, zischte er.
Sirius blickte zu seinem Begleiter hinüber, der ganz offensichtlich angesprochen war, da sich niemand sonst im Saal befand.
„Mein Lord“, grüßte die Fledermaus. „Ich bringe euch wie befohlen Sirius Black!“
Der als ‚Lord’ bezeichnete nickte nur knapp.
„Kann ich jetzt gehen, mein Lord?“, Severus blickte sich unbehaglich um.
Der dunkle Lord schüttelte ungehalten den Kopf. „Nein, kannst du nicht. Ich benötige noch deine Dienste, Snape!“
Der Glatzkopf schlenkerte mit seinem Zauberstab und irgendwo hinter der Tür auf der anderen Seite des Saales läutete eine Glocke.
Innerhalb der nächsten paar Sekunden apparierte mit einigem Krach eine Gruppe von Leuten ganz in schwarz vor den Sessel. Es raschelte als sich alle gleichzeitig bemühten ihre Umhänge zu ordnen und sich dabei auf die Füße traten.
„Aua! Nott, du stehst auf meinem Fuß!“
„Klappe, Bella!“
„McNair, pass doch mit deiner Sense auf!“
Ein Hagel Flüche folgte.
„RUHE!!!“ Der Stimme des dunklen Lords folgte Totenstille. Nach einigen weiteren hektischen Rangeleien (diesmal jedoch ohne Geschrei) ordnete sich die Menge. Alle sanken vor dem Sessel in die Knie oder verbeugten sich grüßend.
„Wer von euch ist Schuld an diesem Klamauk?“, fragte der dunkle Lord in einem unheimlich gelassenem Tonfall.
Die Gruppe teilte sich und gab den Blick auf einen hässlichen, kleinen Mann frei. Er kauerte am Boden und hielt sich mit einer silbernen Hand den Kopf. Er kam Sirius wage bekannt vor.
Alle Neuankömmlinge zeigten auf den am Boden liegenden und riefen wie aus einem Mund: „Er war’s!“
Die roten Augen glühten als der dunkle Lord aufstand. „Wurmschwanz!“, seine Stimme war gefährlich leise. „Was hast du jetzt schon wieder angestellt?“
Der kleine Mann zuckte beim Klang der Stimme zusammen als hätte man ihn geschlagen. Er krümmte sich ängstlich wimmernd am Boden. „Nichts, Herr!“, kam undeutlich ein quiekendes Gestammel aus seinem Mund.
„Lügner!“, zischte der skelettartige Mann und alle anderen im Raum schienen ebenfalls dieser Meinung zu sein.
CRUCIO
Eine solche Folterung schien hier alltägliches Geschehen zu sein, denn als alle Anwesenden sich abreagiert hatten, wandte sich der dunkle Lord Sirius zu, als wäre nichts gewesen.
„Tja, Black, was machen wir jetzt mit dir?“, der dunkle Lord kratzte sich am Kopf. „Habt ihr irgendwelche Vorschläge, meine Lieben?“, fragte er in die Runde.
„Bring ihn um!“
„Ich will ihn vorher martern!“
„Ich will ihn am Galgen baumeln sehen!“
„Lasst ihn verrotten!“
„Ich will ihn köpfen!“
Der dunkle Lord schnitt seiner Meute mit einer Handbewegung das Wort ab. „Danke, das reicht! Weißt du Black, ich hätte tatsächlich nicht übel Lust dich genau so qualvoll hinzurichten wie deinen törichten Bruder.“
Die Menge applaudierte, auch wenn einige sichtlich enttäuscht waren.
„Lasst mich ihn für euch töten, mein Lord!“, kreischte eine holwangige Frau mit dichtem, langem schwarzen Haar.
„Sei still, Bella! Wenn hier jemand jemandem ins Wort fallen darf, dann ICH!“ ,keifte der Lord.
Bella nickte eifrig. Sie wirkte wie eine zu ehrgeizige Schülerin, die ihrem Lehrer mit zu viel Eifer auf die Nerven fällt.
„Snape, komm her!“
Sirius Eskorte löste sich aus dem Schatten einer Nische in die er sich verkrochen hatte und trottete gleichgültig vor den Thron. „Ja, mein Lord?“
„Erinnerst du dich daran, dass ich sagte, ich müsste dich bestrafen, weil du Draco gegen meinen ausdrücklichen Befehl bei seinem Auftrag geholfen hast?“
„Ja, mein Lord.“ Snape standen jetzt Schweißperlen auf der Stirn, auch wenn er sonst gelassen wirkte.
„Ich habe deine Strafe beschlossen! Du wirst Sirius Black zu dir nehmen. Mach mit ihm was du willst, aber ich will ihn in drei Monaten gesund und mit komplettem Gedächtnis wiederhaben. Dann entscheide ich entgültig, was mit ihm geschehen soll.“
Snape schluckte schwer. Er war drauf und dran gegen seine Strafe zu protestieren, da setzte der dunkle Lord erneut zu sprechen an.
„Und jetzt alle RAUS hier! Die Sitzung ist beendet. Ich brauche etwas Zeit für mich.“
Mit diesen Worten schmiss er seine versammelte Anhängerschafft samt Sirius hinaus, ausgenommen allerdings Bella, die er noch etwas erledigen sollte.
