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Das Meer der Stadt

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Das Meer der Stadt
 

Die Fußgängerzone war heute besonders voll...

Ein Montagmorgen, was war anderes zu erwarten.

Ich kämpfte mich durch die Menschenmassen. Sie kamen mir entgegen oder strömten mit in dieselbe Richtung. Er auch. Verfolgt er mich? Dieser Mann hing schon eine knappe viertel Stunde an meinen Versen. Ich konnte förmlich sein schweres Atmen im Nacken spüren.

Es wurde mir mit jeder Minute unbehaglicher. Die Menschen drängelten, wollten alle schneller vorankommen als möglich, er nicht.

Da plötzlich schoss eine Frau mit voller Einkaufstüte direkt hinter meinem Vordermann hervor. Keine Chance auszuweichen. Ich erwischte sie mit voller Wucht an der Schulter.

„Oh Gott, Verzeihung“, meinte ich, als ihr die Tüte mit den Einkäufen zu Boden fiel und einige Sachen auskippten. Sofort bückte ich mich und half ihr, alles wieder aufzusammeln. Ich zuckte kurz zusammen, als ich die Schuhe des Mannes sah, der mich schon die ganze Zeit scheinbar verfolgte. Warum geht er nicht weiter, dachte ich. Nun ja, vielleicht lag es daran, dass es keine Möglichkeit gab an mir vorbei zu kommen, da noch immer dichtes Gedrängel herrschte. Endlich hatten die Frau und ich wieder alle Lebensmittel vom Boden aufgehoben. Wir standen auf, ich entschuldigte mich noch dreimal und machte mich weiter auf den Weg zur Arbeit. Er war immer noch hinter mir. Ich spürte einen leichten Druck auf der Blase...

Ich würde vielleicht noch eine viertel Stunde bis zum Büro brauchen und dennoch entschloss ich mich, noch einmal am Rathaus stopp zu machen und die Keramikabteilung aufzusuchen.

Vielleicht würde der Mann dann endlich verschwinden...

Ich schaute nach links und rechts, dann überquerte ich die Straße. Noch ein paar Meter bis zum Rathaus. Endlich wagte ich es, mich einmal umzudrehen. Keiner da. Er war weg. War er jemals da gewesen? Ich betrat das Rathaus und verrichtete, was zu verrichten war. Dann ging ich zur Arbeit. Ich hatte doch sein Atmen gespürt...

Zehn Stunden Arbeit später war er schon wieder völlig vergessen. Ich verließ mein Büro und machte mich auf den Heimweg, erneut durch die Fußgängerzone, die nun längst nicht mehr so voll war wie am Morgen. Ich spürte die unpersönliche Kälte der anderen Leute. Sie erwiderten keinen meiner Blicke. Ich hörte leise Musik von irgendwo außerhalb der Fußgängerzone. Wohl eine Orgel. Sie klang in den Abend hinein und ich genoss ihr Spiel, schlenderte weiter.

Einige Zeit später betrat ich den ruhigen Teil meiner Stadt. Leise Glocken. Kamen wohl vom Friedhof. Ein paar Schritte und ich ging an seinem Zaun entlang. Da sah ich sie. Eine kleine Gruppe von Leuten, die an einem ausgehobenen Grab standen, neben dem auch der dazugehörige Sarg stand und drauf wartete begraben zu werden. Der Tod dieses Menschen schien so unbedeutend. An einem solchen Tag passiert so viel und keiner fragt nach Toten. Und schon war ich an dem Guckloch in der Hecke vorbei; wie alles an diesem Tag, bald vergessen. Mein Blick wanderte wieder nach vorne und da stand mein schlimmster Albtraum...

Ein Mann...DER Mann. Ich sah nicht ihn, nur seine Schuhe, DIESE Schuhe. Ich wollte nicht aufsehen, wollte diesem Menschen nicht in die Augen sehen, allen, aber nicht IHM.

Ich liebte meine Stadt. Wirklich. Selbst die Nachrichten mit der Horrormeldung, ein Serienmörder treibe sich hier rum, hätten mich nie von hier vertreiben können. Zumindest bis vor einer Sekunde nicht. Mittlerweile sah ich das ganz anders...

Und ich sah doch auf. Zu diesem Mann. Blonde Haare, kalte blaue Augen, schwarzer Kapuzenpulli, schwarze Baggies und diese fiese Narbe, die sich über sein linkes Auge und seine Nase zog. Wie sie es beschrieben hatten. Ganz genau so. Ich öffnete meinen Mund und wollte schreien, doch keinen Laut brachte ich heraus. Nicht einmal, als er seine Pistole zog und die Stille des Abends mit einem Schuss durchbrach. Mir wurde warm und ich spürte, wie es mir den Rücken und die Brust gleichzeitig herunterlief. Mein Blut. Von weitem hörte ich noch ganz leise das Orgelspiel und das Bild vom Sarg auf dem Friedhof erschien für den Bruchteil einer Sekunde ein letztes Mal vor meinen Augen...dann wurde alles kalt und schwarz.



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