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die Dornenkönigin

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Meine Sicht von Dornröschen

Aaron Teupe

FSP2a
 

Die Dornenkönigin
 


 

Langsam und nur mehr als schleppend bahnte sich der schwere und bis oben hin beladene Ochsenkarren seinen Weg durch die schlammige und die seit vielen Jahren von der Natur zugewucherten Waldstrasse, die sich wie eine Schneise durchs Dickicht des großen Waldes zog. Der alte Mann, der auf dem Kutschbock saß, hielt die Zügel sehr locker, da die Ochsen mittlerweile den Weg durch die langen Jahre kannten und nur noch ihrem eigenen Trott folgten. Sichtlich entspannt hielt der Greis auf dem Kutscherbock seinen Mittagsschlaf ab.

Sein wesentlich jüngerer und einzelner Enkel, ein Knabe von gerade einmal 10 Jahren, lief neben dem Karren her und spielte mit einem langen Weidenstock, indem er die Büsche am Wegesrand als „Gefährliche Soldaten“ ansah und diese mit seinem Stock malträtierte.

Doch mitten im kindlichen Spiel hielt er plötzlich inne. Seine Aufmerksamkeit wurde auf eine alte Burgruine gelenkt, die hoch oben auf einem Berg weit hinter den Wäldern stand und langsam der Zeit und der Natur Platz zu machen schien. Doch war etwas an dieser Ruine….komisch. So sehr auch die Mauern zerstört und zugewuchert waren, so stand inmitten dieser Ruine ein alter Turm, der durch seine majestätischen Größe sogar noch in weiter Ferne zu erkennen sein müsste und sicherlich auch noch zu erkennen war. Und genau dieser Turm, der eigentlich den umherliegenden Ruinen in Sachen Alter und Zustand bis aufs Haar gleichen sollte, war vollkommen unberührt durch die Natur, denn er sah aus, als wäre er grade dort gebaut worden.

„Großvater…“ fragte der kleine Junge sichtlich neugierig „ ...was ist das für ein Turm dort drüben auf dem Hügel?“ Der Alte, durch die Frage des Jungen aus dem Schlaf erwacht, sah verträumt in die Richtung, die sein Enkel ihm mit dem Stock zeigte. „Oh, das…“ begann der Großvater und eine gewisse Spur von Trauer legte sich in seine alte, knorrige Stimme. „Das ist der alte Turm der Dornenkönigin. Niemand nähert sich diesem Turm auch nur auf hundert Schritte! Man erzählt sich, dass dort das Böse haust und bis in alle Ewigkeit dort eingeschlossen bleibt. Der Turm ist verflucht, mein Sohn, und dort ist auch wahrlich kein Ort für kleine Kinder!“ mahnte der alte Mann ernst.

Aber der Junge war von der typischen kindlichen Neugier gepackt und fragte weiter. „Du, Großvater???“ „Ja, mein Junge?“ „Wer ist denn die Dornenkönigin?“

Schwer seufzend zogen die faltigen Hände an den Zügeln, sodass der mit Heu beladene Ochsenkarren stehen blieb. Die Ochsen nutzten natürlich diese Pause sofort, um sich an den Gräsern und Sträuchern am Wegesrand satt zu fressen. Ohne sichtliche Mühe hob der Großvater den kleinen Enkel auf seinen Schoß und blickte hinauf zum Turm. „Nun, es ist eine alte und sehr traurige Geschichte, die kein gutes Ende genommen hat.“ Sprach der alte Mann und wollte damit das Gespräch beenden, aber der kleine Junge ließ nicht locker. „Bitte, Großvater! Bitte erzähl sie mir, ich möchte die Geschichte hören, bitte!“ Leicht lächelnd beugte sich der Großvater zum Jungen und stupste ihn mit seinem Zeigefinger die Nasenspitze an. „In Ordnung. Aber ich habe dich gewarnt.“ Der Alte lehnte sich nach hinten, blickte hinauf zum Himmel und begann zu erzählen. „..Das ist die Geschichte der Dornenkönigin...“
 

„Es lebte vor vielen Jahren in diesem Land eine wunderschöne Prinzessin, die von jedem nur Dornröschen genannt wurde…“

„Großvater, etwa DAS Dornröschen?“ unterbrach ihn der Enkel. „Ja, aber es ist nicht diese Geschichte. Meine spielt schon ein paar Jahre später, nachdem der Prinz Dornröschen erweckte.“ Erwiderte der Großvater.
 

„Nachdem der Prinz Dornröschen aus dem hundertjährigen Schlaf erweckt hatte, heiratete das Dornröschen seinen Retter und beide lebten glücklich, zusammen mit ihrem Vater, dem König, und ihrer Mutter, der Königin, in diesem Schloss dort oben, welches damals noch von Leben erfüllt war. Auch wurde zur Hochzeit ein berauschendes Fest gefeiert, was mehrere Tage andauerte.

Doch dieses Glück hielt nicht lange an: Der König starb nach einigen Jahren an seinem hohen Alter und nach zwei weiteren Jahren folgte ihm seine Gemahlin ins Jenseits. Das Volk trauerte um seine zwei gütigen Herrscher und beide wurden nahe dem Schloss beigesetzt, mit einem großen Steinblock, worauf die Namen und ihre guten Taten eingeschlagen wurden und uns so ewig an sie erinnern sollten.

Dornröschen, mittlerweile zu einer wunderschönen Frau herangewachsen, wurde nach der Beerdigung zur neuen Königin gekrönt, auf das sie ihr Volk genauso weise und gerecht beherrschen sollte, wie damals ihr Vater zu Lebzeiten. Doch das war nicht das einzige, was sich im Schloss verändert hatte. Dornröschen trauerte immer noch um ihren verstorbenen Vater und ihr sonst so liebreizendes Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Selbst ihre beiden Kinder, die sie ihrem Prinzen geboren hatte, vermochten ihre Trauer nicht zu besänftigen. Auch der Prinz konnte alles Erdenkliche versuchen, aber das Lächeln in ihrem Gesicht erstarb und sie zeigte nie wieder Freude, Glück, oder sonstiges...“
 

Ein lautes Seufzen unterbrach den Großvater in der Erzählung erneut „Das ist ja wirklich traurig.“ meinte der Enkel tief berührt. „Das ist ja noch nicht alles...“ erwiderte der alte Mann „Es kommt ja noch viel schlimmer!“ Die Augen des Enkels wurden größer „Noch Schlimmer? Wie denn das?“ „Nun, ich könnte dir die Geschichte zu Ende erzählen, wenn du mich nicht ständig unterbrechen würdest!“ Der alte Mann lächelte und fuhr mit seiner Hand durch die Haare des Jungen. “Entschuldige!“ lachte der Kleine und schwieg wieder.
 

„Wie ich schon sagte, Dornröschen wurde eine verbitterte Person, die man einfach nicht mehr zum Lachen bringen konnte. Doch das wahre Unglück ereignete sich während eines Maskenballs, den der Prinz zu Ehren seiner Frau gab. Es waren sämtliche Könige der Nachbarländer anwesend und sie alle hatten von Dornröschens Schönheit gehört. Sie waren aber neidisch auf den Prinzen, als sie sahen, wie schön die frisch gekrönte Königin wirklich war. Und so kam es, dass ein königlicher Gast sich die Kühnheit nahm und Dornröschen aufs Tiefste beleidigte. Er sagte ihr, sie solle ihre Schönheit und ihr Wissen nicht für ihren Gemahl wegwerfen, sondern sich anderweitig verheiraten. Dornröschens Zorn war unermesslich. Sie warf jeden Herrscher aus ihrem Schloss und forderte Vergeltung für diese ihr zugefügte Schmach. Angefangen bei dem König, der sich diese Dreistigkeit erlaubt hatte.

Und so führte die neue Königin ihr Volk in den allerersten Krieg. Aber die Untertanen waren mit diesem Entschluss einverstanden, denn man hatte schließlich ihr Dornröschen zutiefst gedemütigt und es verlangte dem Volk förmlich nach Vergeltung. Nach langer Zeit des Kampfes und des Krieges besiegte Dornröschens Armee das feindliche Heer, der König rief seinerseits die bedingungslose Kapitulation aus und bat für seine Äußerung um Vergebung. Doch damit war Dornröschen nicht zufrieden. Sie ließ den König öffentlich enthaupten, seinen Körper verbrennen und ihre Armee brannte das feindliche Schloss mitsamt den dort anwesenden Bewohnern nieder. Noch von weitem hallten die quälenden Sterbensschreie der Verbrennenden durch das Land. Die Bürger, die dieses Massaker überlebten, wurden versklavt, oder fristeten ihr Dasein im Gefängnis. Manche wurden wiederum zur Abschreckung vor eventuellen Aufständen und ohne Benennung von Gründen ebenfalls hingerichtet und ihre Häupter zierten von da an die Wehrgänge der Schlossmauern Dornröschens.

Doch dieser schon einfache Sieg machte die junge Königin übermütig, ja fast schon besessen. Trotz der Einwände ihres Gemahls beschloss Dornröschen, einen weiteren Feldzug gegen einen der Nachbarkönige zu führen, da dieser sie angeblich ebenfalls beleidigt hatte. Ihr Gemahl war gegen diesen seiner Meinung nach überflüssigen Rachefeldzug, doch die Bürger des Landes vertrauten der Königin weiterhin, und so wurde das andere Königreich angegriffen und ihre Armee siegte erneut. Doch ließ Dornröschen dieses Mal niemanden mehr am Leben. Ihre Soldaten töteten jeden einzelnen Bewohner, egal ob Kind, Frau, Bettler, oder kränklicher Greis. Jeder wurde getötet, und es wurde geplündert und verbrannt, was nicht Niet und Nagelfest war. Ruhmreich kehrte die Königin in ihr Land zurück, aber das Volk war entsetzt, als man hörte, was ihre geliebte Königin im Nachbarland angerichtet hatte. Dornröschen hingegen verteidigte ihre Tat damit, dass wenn sie dem Feind nicht zuvorkäme, sie selber so ein Schicksal zu erleiden hätten…“
 

„Aber Großvater…“ meldete sich der Enkel erneut zu Wort. „Wieso wurde denn Dornröschen so böse? Niemand wird doch so schlimm, dass man gleich ein ganzes Land vernichtet!“ Der Großvater zuckte mit den Schultern.

„Niemand weiß so genau, warum Dornröschen so böse wurde. Aber man erzählt sich, dass die weisen Frauen, die damals Dornröschen mit ihrer guten Magie gesegnet hatten, innerhalb der hundert Jahre des Schlafens starben. Und dementsprechend ist die gute Magie erloschen und hat sich zur bösen Magie verändert. War Dornröschen vorher her unschuldig und rein, so wurde sie mit der Zeit grausam und machtgierig. Das einzigste, was von den guten Wünschen übrig blieb, war die atemberaubende Schönheit, aber alles andere wurde durch den Tod der Frauen im wahrsten Sinne des Wortes vergiftet.“ Der alte Mann sah während der Erklärung sehr ernst aus und eine kleine Träne der Trauer bahnte sich einen Weg durch das von der Zeit gezeichnete Gesicht des Mannes. „Aber ich bin noch nicht fertig…“
 

„Mit der Zeit bekamen selbst ihre Untertanen diese Veränderung am eigenen Leib zu Spüren, ja sogar ihr treuer Gemahl und selbst ihre beiden eigenen Kinder wurden von ihrer Bosheit nicht verschont. Nachdem Dornröschen Ihren zweiten Feldzug siegreich hinter sich gebracht hatte, ließ sie neue Gesetze niederschreiben und verkünden: Jedes noch so kleine Vergehen, wie der Diebstahl eines Brotes, wurde als Hochverrat angesehen und endete mit dem Tod. Auch ließ sie die Steuern so gewaltig erhöhen, dass bald eine Hungersnot die nächste jagte.

Die Untertanen litten sehr unter ihrer Königin, die sich auch bald nicht mehr Dornröschen nennen wollte. Sie ließ den Untertanen verkünden, dass Dornröschen damals zusammen mit ihren Eltern gestorben sei und sie mit sofortiger Wirkung nur noch „Die Dornenkönigin“ genannt werden dürfe, andernfalls würde es ebenso als Hochverrat gelten und mit dem Tode gesühnt werden.

Dunkel war die Zeit ihrer Herrschaft. Fast jeden Tag gab es öffentliche Enthauptungen, Verbrennungen oder andere schlimme Dinge, die sich die Dornenkönigin zur Strafe ausdachte. Förmlich die ganze Luft stank jeden Tag nach Asche und nach verbranntem Fleisch. Auch hörte man noch in weiter Ferne die trauernden Schreie der Menschen, die ihre Angehörigen verloren.

Wurde man ihr als Verbrecher vorgeführt, hörte sie sich die Missetat nur halbherzig an und ließ den Übeltäter sofort öffentlich hinrichten. Damit die Untertanen nicht auf den Gedanken kamen zu rebellieren oder gar Aufstände anzuzetteln, ließ sie selbst Spione anheuern, die die Bürger überwachten und beginnende Aufstände und Widerstandsgruppen erfolgreich im Keim erstickten.

Der Prinz jedoch bekam von alledem nichts mit. Er war zu sehr damit beschäftigt, die beiden Kinder zu erziehen und überließ der Dornenkönigin das Regieren. Aber wieso bekam er nichts von den Untaten der Königin mit, wirst du dich sicher fragen?

Ja, im Schloss behielt die boshafte Dornenkönigin eine Maskerade aufrecht, die ihresgleichen suchte. Ihr Gemahl rief sie immer noch beim alten Namen Dornröschen und sie selbst spielte innerhalb des Schlosses das unschuldige, gerechte und liebreizende Mädchen, welches allerdings sehr mit dem Regieren beschäftigt war und kaum Zeit für ihren Gemahl und für die Kinder hatte. Auch gaukelte sie ihrem Gemahl eine schlimme Seuche vor, die außerhalb der Schlossmauern tobte. Er und ihre Kinder seien im Schloss aber sicher, dürften auf unbestimmte Zeit jedoch niemals das Schloss verlassen. Den Dienern jedoch war jegliches Sprechen untersagt, da sie immer noch zwischenzeitlich in die Stadt kamen und so das dort tobende Unheil miterleben mussten. Auch wenn die Diener versucht hätten, den König auf die Situation außerhalb der Schlossmauern aufmerksam zu machen, waren im Schloss selbst unzählige Spione stationiert, die das sofort herausfinden und entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten würden. Deswegen drang nichts von außen in das schwer bewachte Schloss hinein, sodass die Dornenkönigin ihr Volk weiter aufs schwerste unterjochen konnte.

So wuchsen ihre Kinder abgeschottet von der Außenwelt auf und ihr Gemahl vertraute der Dornenkönigin blind und glaubte jede ihrer Lügen, die sie ihm jeden Tag aufs Neue auftischte. So wurden im Schatten der Schlossmauern aus den beiden Kleinkindern jeweils ein stattliches Mädchen und ein kräftiger Bursche, die der ganze Stolz des Prinzen und der Königin waren.

Doch begnügte sich die Dornenkönigen in den vielen Jahren ihrer Herrschaft schon lange nicht mehr mit ihrem Ehemann und sie betrog ihn immer wieder, wenn sich auch nur die kleinste Gelegenheit bot. Sei es mit einem Diener, ja, sogar der Koch wurde zu einem ihrer vielen Geliebten.

Doch dann nahm das Unheil erneut seinen Lauf: Als der Prinz grade nicht in Reichweite war, vergnügte sie sich wieder einmal im eigenen Schlafzimmer mit einem ihrer unzähligen Geliebten, doch wurde sie dieses mal von ihren Kindern in einer sehr eindeutigen Position beobachtet.

Die Dornenkönigin hatte Angst, dass ihre eigenen Kinder sie an den Prinzen verraten würden und fürchtete seine Reaktion. Ihre Macht um keinen Preis der Welt verlieren wollend, trieb sie ihre eigenen Kinder in den Tod, indem sie ihnen Hochverrat vorwarf. Die Kinder wurden in den finstersten Kerker des Schlosses gesperrt und solange gefoltert und misshandelt, bis sie unter gar fürchterlichen Schmerzen ein falsches Geständnis ablegten. Denn die Königin dachte sich, dass wenn man einen menschlichen Körper nur lange genug unsagbaren Schmerzen aussetzte, er singen würde wie ein Vögelchen und das nach einer Melodie, die der Dornenkönigin gefallen würde…“
 

„Wie gemein!!!“ rief der kleine Enkel aufgebracht dazwischen und haute mit seiner kleinen Faust auf den Kutschbock. „Und das nur, weil sie Angst hatte, endlich erwischt zu werden!“ Sein Großvater nickte verstehend und nutzte diese Pause, um erstmal ein wenig Luft zu holen und nahm ein paar Schlucke aus einem kleinen Trinkschlauch, den er neben sich liegen hatte. Die Ochsen indessen kauten langsam und im Takt weiter an dem frischen Wiesengras, was am Wegesrand wuchs und sie förmlich zum Fressen einlud.
 

„…Wie ich schon sagte, wurde den beiden Königskinder durch schlimmste Folter ein falsches Geständnis entlockt, sodass die Dornenkönigin sie am nächsten Tag öffentlich und unter den Augen der Untertanen verbrennen konnte. Natürlich hatte der Prinz von dieser Sache gehört und flehte seine Gemahlin an, ihre Kinder zu verschonen. Doch das Herz der Dornenkönigin war durch die lange Zeit so schwarz geworden, dass sie sich nicht erweichen ließ und ihren Gemahl mit der Begründung, er sei durch den Tod seiner Kinder verrückt geworden, ebenfalls in den Kerker sperrte. Denn sie fürchtete, dass er ihre Seitensprünge irgendwann aufdecken und ihr etwas antun würde. Denn schließlich konnte der König ebenfalls das Heer befehligen und sie hätte nicht die geringste Chance. Also musste eine List her, wie sie diesmal ihren eigenen Gemahl aus der Welt schaffen könnte. Der Geist der Dornenkönigin ersann viele Möglichkeiten, ihren Gemahl zu Strecke zu bringen, wie zum Beispiel Gift im Essen, oder gar die einfache Meuchelei in der Nacht.

Doch kam ihr ein alter Diener zuvor, der schon lange im Dienste des Königshauses stand. Er befreite den Prinzen, weil er es einfach nicht mehr ertragen konnte, so leben zu müssen. Ja, ihm gelang sogar das Kunststück, den Prinzen aus dem streng bewachten Schloss zu führen, da dieser Geheimgänge kannte, die nicht mal der Dornenkönigin geläufig waren.

Als der alte Diener seinen Herrn durch die Strassen der Stadt geleitete, sah der Prinz zum ersten Mal das volle Ausmaß der blutigen Herrschaft seiner Gemahlin.

Überall standen alte, teilweise noch brennende Scheiterhaufen am Wegesrand, wo noch die verkohlten Leichname der armen Seelen angekettet waren, die dort ihren Tod fanden. An anderer Stelle hatte das alte Schafott seinen Platz, wo sich die Raben noch um die blutigen Überreste stritten, die an dem riesigen Henkerbeil klebten. Tiefe Bestürzung machte sich im Prinzen breit, als er all diese abscheulichen Gräueltaten seiner Gemahlin sah, hatte er doch in seinen Erinnerungen nur das gute, liebreizende Dornröschen gesehen, die immer nur Rechtes tat. Auch eröffnete ihm sein alter Diener, dass die Dornenkönigin ihn sehr häufig betrog und dass aus diesem Grunde seine einzigen Kinder sterben mussten, weil sie die Königin dabei gesehen hatten.

Der Prinz hörte sich alles aufmerksam an. Doch je mehr er hörte, umso zorniger wurde er. Noch im selben Moment schwor er Vergeltung für seine toten Kinder. Der alte Diener versteckte den Prinzen bei dem örtlichen Bürgermeister, doch würde dieses Versteck nur von kurzer Dauer sein, da schon am nächsten Tag die Flucht des Prinzen bemerkt werden müsste. Von Vergeltungsdurst getrieben, wollte der Prinz die Gunst der Stunde nutzen und die Dornenkönigin noch in derselben Nacht zu Fall bringen. Er hielt den Bürgermeister an, ein paar ehrenhafte und beherzte Männer zu finden, die mit ihm dieses Kunststück wagen wollten. Der Bürgermeister tat, wie ihm geheißen und schickte seinen Stellvertreter los, um eben diese Männer zu suchen. Die Suche dauerte auch nicht lange, denn das ganze Volk des Landes war erpicht darauf, die böse Dornenkönigin zu stürzen und ihre blutige Herrschaft zu beenden.

Zusammen mit den Männern ließ sich der Prinz im Schutze der Nacht vom alten Diener durch die Geheimgänge zurück ins Schloss führen. Der Diener führte den Prinzen und die Männer direkt ins Schlafzimmer der Königin. Dort nahmen sie gemeinsam die Königin gefangen und knebelten sie sofort, damit sie nicht um Hilfe rufen konnte.

Doch wohin mit der bösen Dornenkönigin? Würde man sie Töten, könnte ihr toter Körper gefunden werden. Würde man sie in ein anderes Land schaffen, käme sie wieder und alles begänne von neuem. Also was sollten sie tun? Dem Prinzen fiel nur ein Gedanke ein: Man müsse sie irgendwo einsperren, wo man sie weder hören, noch finden konnte. Während er über eine Lösung nachdachte, fiel ihm der alte Turm ins Auge und sein Gesicht erhellte sich. Ja, dort würde sie niemand finden. Es war ein großer, alter Turm, ohne Fenster und durch viele Türen gesichert. Da nachts nur sehr wenige Wachen Patroullie gingen, war es ein Kinderspiel, die Königin durch das Schloss hinüber zum Turm zu transportieren. Gemeinsam mit den Freiwilligen schleppten sie die geknebelte Königin die langen, steilen Stufen hinauf, bis sie das oberste Turmzimmer erreichten.

Dort lösten sie die Stricke und stießen sie ins Zimmer hinein. Zornig harschte der Prinz seine Gemahlin an, dass sie nun bis in alle Ewigkeit die Gelegenheit bekam, darüber nachzudenken, was sie ihm und ihrem Volk angetan hatte. Dann sperrten sie das zeternde, Flüche ausspuckende und den Prinzen verwünschende Dornröschen ein, verriegelten sämtliche Türen, bis hinunter in den Hof. Dann gab der Prinz den Männern die Schlüssel zu den verriegelten Turmtüren und wies sie an, die Schlüssel in den tiefsten See zu werfen, damit man sie nie wieder finden und so die Dornenkönigin befreien konnte.

Der Prinz hingegen legte sich ins Bett der Dornenkönigin und am nächsten Morgen, als man ihn im Bett entdeckte, seine Gemahlin jedoch nicht, erzählte er den Dienern und Wachen, das die Dornenkönigin überstürzt verreisen musste, da man sie im Ausland benötige und er in der Zeit regieren solle. Da nichts gegen den Prinzen sprach und man ihm nichts beweisen konnte, glaubte man ihm. So nutzte der Prinz die Zeit und ließ alles wieder so herrichten, wie es zu den Tagen von Dornröschens Vater war.

Auch ließ er die Gefangenen aus den Kerkern befreien und entschädigen, die Scheiterhaufen und das alte Schafott wurden in Tausend Stücke geschlagen und verbrannt. Ihm gelang es sogar, einen neuen Friedenspakt mit den Nachbarländern zu verhandeln, sodass endlich wieder der Frieden im Land herrschte.

Doch auch diese Freude war nur von sehr kurzer Dauer. Nachdem alles wieder aufgebaut war, brach nach einigen Wochen des Nachts ein furchtbarer, unerklärlicher Feuerbrand in der Stadt aus und brannte alles nieder. Niemand wusste, woher dieses Feuer kam und alle Löschversuche, die unternommen wurden, scheiterten kläglich. Selbst das Schloss des Königs wurde Opfer der Flammen, ebenso wie der gute Herrscher selbst, als er versuchte, seine Diener und Untergebenen sicher aus dem Schloss zu bringen. Doch komischerweise überstand ein einziges Gebäude diesen Brand: Eben jener Turm, in der Mitte der Ruinen.

Stimmen wurden daraufhin laut, das der böse Geist der Dornenkönigin zurückgekehrt sei und diese Veränderung nicht hinnehmen wollte. Die Bürger, die das Feuer überlebten, packten ihr letztes Hab und Gut zusammen und verließen so schnell sie konnten diesen Ort des Grauens und des Todes, sodass die Ruinen dort oben einsam und nach Jahrhunderten noch Zeugnis darüber ablegen, was sich auf diesem Hügel einst, vor langer Zeit zugetragen hatte….“
 

„Und damit endet die Geschichte der Dornenkönigin.“ beendete der Großvater seine Geschichte und nahm noch einen Schluck aus dem Trinkschlauch. „Das war eine traurige Geschichte.“ meinte sein Enkel und seufzte. Der alte Mann lächelte. „Ja, aber sie lässt uns immer wieder daran denken, wie bösartig eine noch so gute Seele werden kann. Und sie mahnt uns davor, überheblich und Selbstsüchtig zu denken!“

Dann sah der alte Mann zum Himmel hinauf. „Es wird spät und dein Vater wartet auf das Heu, wir sollten nicht länger trödeln.“

Der Junge schwieg, als der alte Greis die Zügel wieder in die Hand nahm und dann laut mit der Zunge schnalzte. Die Ochsen kannten diesen Befehl, setzten sich langsam wieder in Bewegung und zogen den Heukarren durch die Waldstrasse.

„Du, Großvater?“ fragte der Junge nach langem Schweigen. „Ja, mein Sohn?“ „Woher kennst du denn diese Geschichte? Wer hat sie dir erzählt?“ der Enkel sah zu dem alten Mann hinauf. Der Alte lächelte leicht und ließ sich mit der Antwort zeit, während er den Karren durch den Schlammigen Weg führte. „Oh, dass ist ganz einfach…“ begann der Großvater. „Erstens muss ich mich jedes Mal an das Märchen erinnern, wenn ich hier vorbeifahre und zweitens werde ich niemals diese schallende Ohrfeige vergessen, die mir damals dieser dicke Küchenchef verpasst hat….“



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Kommentare zu diesem Kapitel (9)

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Von:  Siva-Blanque
2008-11-11T23:19:19+00:00 12.11.2008 00:19
Eine sehr interessante Darstellung oder möglicherweise auch Weiterführung eines berühmten Märchens, das somit wohl zum Antimärchen wurde.
Deinen Schreibstil mag ich sehr. Ein wundervoller Ausdruck und viel Liebe zum Detail, ja das erwärmt mein Herz. Es liest sich sehr flüssig, sodass man nicht in stocken kommt. Auch die Sätze sind allgemein gut formuliert und nicht zu verschachtelt.
Was mir besonders gefällt ist deine bildhafte Schreibweise, sodass sich im Kopf tatsächlich ein kleiner Film abspielen kann.
Besonders mochte ich die Wortwechsel zwischen Enkel und Großvater, sie sind charakterlich sehr gut dargestellt und lassen einen unwillkürlich schmunzeln und dass der Greis am Ende der Küchenjunge war, löst beim Leser ein 'Oha'-Erlebnis aus und gerade dadurch bleibt einem eine Geschichte gut im Gedächtnis.
Fazit: Die Geschichte ist absolut gelungen und ich hoffe doch mal, dass dies auch dein/e Lehrer/in erkannt hat^^

lg Siva
Von:  CassiopeiaBlack
2008-01-29T20:39:01+00:00 29.01.2008 21:39
Das war echt toll..!
Wirklich, Zumal 'Dörnröschen' zu meinen lieblings Märchen gehören und ich muss sagen, dieser Anhang, der Gesichte echt schön war!

Und was den Opa angeht, so habe ich erst gedacht, er sei der Diener gewesen, der dem Prinzen geholfen hatte. Aber das er der Küchenjunge war, hat der Gesichte noch mal was melancolisch trauriges gegeben!

Es ist, auch eine sehr untypische darstellung, eines Märchenklassikers, aber sie hat alles, was man sich von einem guten Märchen bzw. Vortsetzung vorstellen kann.

Und was ich mich jetzt noch frage, was hast du für diese Hausaufgaben bekommen? Wenn ich dein Lehrer sein würde hätte ich Dir eine 2+ gegeb!

Aber da ich das ja nicht bin, meine Bewertung für diese FF
*1+ mit * und häckchen*
^^
LG
Edwards_Braut88
Von:  RallyVincento
2007-01-30T23:08:00+00:00 31.01.2007 00:08
Also ich habe es gelesen ^^ auch wenn es länger gedauert hat als ich eigentlich wollte.
Aber ich bin begeistert, die geschichte ist wirklich toll geworden und hat mich richtig gefesselt.

Du benutzt viele Stilmittel die die Geschichte anschaulicher machen, so bekommt man ein klares Bild vor Augen und man kann sich alles sehr gut vorstellen. Auch dein Schreibstil ist sehr schön, man kommt flüssig durch die Geschichte ohne das man sich langweilt oder das etwas endlos in die Länge gezogen wird.

Aber besodners schön finde ich, dass am Ende keine offenen Fragen für den leser übrig bleiben.
Einfach toll.
Ein großes Lob und ich hoffe du schreibst noch vieler solcher Geschichten. *knuff*

Lg Rally
Von: abgemeldet
2006-11-25T17:03:25+00:00 25.11.2006 18:03
Ersma ganz sachlich: gut geschrieben, gute rahmenhandlung, sehr kreativ

jetz emotional: ich lieeeebe böse märchen... soooo geil ^^
Von:  WhirlwindVio
2006-11-24T17:09:44+00:00 24.11.2006 18:09
Also ich finde diese Rahmenhandlung echt klasse. Wie dieser Ochsenkarren so langsam vor sich hin zuckelt kann man sich echt klasse vorstellen. Du unterstreichst diese gedehnte Stimmung mit langen, aber gut verständlichen Sätzen zu Anfang.
Seht stimmungsvoll auch Details wie das Fressen der Rinder, auf das du immer wieder zurückkommst, oder das Spiel des Jungen mit dem Stock.

Untypisch für ein Märche ist, finde ich, ein schlechtes Ende gar nicht. Ursprünglich waren es ja Geschichten mit einer Moral, man denke an Struwwelpeter oder diese Zündlerin, die am Ende das Haus und sich selbst abfackelte ( mir will gerade der Name nicht einfallen )...
Auch die Gebrüder Grimm haben zum Teil recht makabere Sachen ohne Happy End geschrieben. Die meisten sind nur heute nicht mehr so bekannt ;).

Wie Dornröschen von der Guten zur Bösen wurde hast du auch anschaulich dargestellt.
Die Fragen, die sich dem Leser stellen ( z.B. wie kam es dazu ) hast du integriert und im Text durch den Erzähler und seinen Enkel beantwortet.
Finde ich sehr gut ;).
Die beiden Rahmenfiguren sind vom Charakter her überhaupt sehr anschaulich, da finde ich die Dornenkönigin um einiges unnachvollziehbarer. Aber es ist ja auch nur ein Märchen ;).

Turm und der Fluch, der offensichtlich auf ihm lastet, sind schöne Stilmittel. Sie geben der Welt, in der es spielt, etwas Fantastisches ;).
Der Schluss ist auch super gelungen mit der lebhaften Erklärung des Großvaters, wie er an das Wissen um die berichteten Geschehnisse kommt. ^^

Zur Sprache:

"War Dornröschen vorher her unschuldig und rein(...) ( S. 2, erster Abschnitt )" - da ist ein 'her' zu viel ;).

"Das einzigste ( S. 2, selber Abschnitt, etwas weiter unten )"
Zum Einen wird es groß geschrieben ^^, zum anderen existiert das Wort 'Einzigste' nur umgangssprachlich. Richtig heißt es 'Das Einzige'.

Idee:

Dornröschen hat sich den Namen der Dornenkönigin ja selbst gegeben. Das drückt aus, dass ihr ihre Kaltherzigkeit sehr wohl bewusst ist und spaß macht. Wenn du das betonen willst, ist dieser Umstand gut gewählt.
Aber meistens geben sich Tyrannen ihre Beinamen ja nicht selbst und ich fände es auch sehr bezeichnend, wenn das Volk ihr von sich aus diesen neuen Namen, anstatt Dornröschen, gegeben hätte. ^^

Ich hoffe du kannst damit was anfangen ;).

Hochachtungsvoll,
_Shanna_
Von:  Silmarille
2006-11-24T15:18:35+00:00 24.11.2006 16:18
also das ist echt mal was neues und aufregendes. ich meine jeder kennt das märchen vom dornröschen aber mal zu erfahren, wie sich das jemand weiterspinnt ist echt genial. vor allem wie sich eine gute seele verändern und schwärzer als die nacht werden kann finde ich höchst interessant ist halt mal was anderes als das ewige "und sie lebten glücklich bis ans ende ihrer tage". ich finds cool
Von:  Terra-gamy
2006-11-24T14:15:23+00:00 24.11.2006 15:15
Endlich mal ein Märchen, dass nicht gut ausging und zeigt, dass die Guten nicht immer so gut in Wirklichkeit sind.
Von: abgemeldet
2006-11-24T14:08:19+00:00 24.11.2006 15:08
alsoooo... meine meinung kennst du ja schon (vor allem, weil ich es ja verbessern durfte ^^)
aber ich finds echt gut gelungen... aber das hab ich dir ja alles schon gesagt schatz :D
Von:  Arlarion
2006-11-24T13:42:06+00:00 24.11.2006 14:42
Die Story an sich ist nicht schlecht. zwar ist das ebtwas untypisch für ein Märchen wie ich finde, da die meisten gut ausgehen, aber dennoch klasse!

Dass der Großvater da mal dabei war hatte ich schon irgendwie geahnt, aber wusste es nicht. Ich hatte zwar gedacht,d ass er eienr der Kinder wäre, aber da die tod waren dann habe ich dran gezweifelt.
Nunja ich find sie klasse und großartige Fehler habe ich auch nicht entdeckt, die ich nennen könnte.


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