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Stadt der Engel

Schatten und Licht, Band 1
von

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Ein echter Köder

Der Mond der Illusionen stand hoch über den Dächern Farnelias. Sein Licht reichte bis in die hintersten Gassen hinein und tauchte sie in ein mattes Grau. Merle saß allein in einen der tiefen Schatten der Gassen und regte schweigend sich über die sternklare Nacht auf. Sonst freute sie sich immer über den imposanten Anblick des Mondes am hell strahlenden Sternenhimmel. Sie empfand ihn als majestätisch und würdevoll, so wie er auf Gaia herabblickte. Heute aber mochte sie ihn nicht, denn sein Licht störte ihre Arbeit. Nur in der Dunkelheit konnte man ungestört die Aufgaben erledigen, die nun schon seit zwei Jahren auf ihren noch wachsenden Schultern lasteten.

In Gedanken versunken strich Merle über ihre pechschwarze Kleidung. Sie trug einen hautengen Anzug zusammen mit festen Stiefeln und einer Weste, die hinten und vorne offen war. Daran befand sich hinten ein verstecktes Magazin mit Wurfmesser und vorne Mehrzweckwerkzeuge in zahlreichen Taschen. Außerdem waren zwei Dolche an ihren Oberschenkel befestigt, einer an jeder Seite. Ihre Dolche...

Merles Hand verharrte, als sie über die kalte Klinge ihres rechten Dolches glitt. Ein kleiner Schrecken fuhr ihr durch die Glieder. Sie hatte die Dolche schon einmal benutzen müssen. Eigentlich war das schon ziemlich oft der Fall gewesen, seitdem die königliche Leibwache unter ihrem Kommando vor zwei Jahren gegründet worden war. Vor ihrem ersten Opfer war sie weinend zusammengebrochen, doch inzwischen war es ganz leicht. In dieser Nacht würde wohl oder übel wieder Blut fließen müssen, obwohl Merle lieber Gefangene anstelle eines Leichenberges haben wollte. Aus Leichen konnte man schließlich nicht heraus pressen, wie es den Kopfgeldjägern aus Astoria immer wieder gelang ihre Waffen nach Farnelia zu schmuggeln.

Sie war davon überzeugt, dass ein Weg aus und in die Stadt führte, von dem niemand außer den Schmugglern wusste. Da am Stadttor umfangreiche Kontrollen mit wechselnden Mannschaften durchgeführt wurden, schied diese Möglichkeit von vorneherein aus. Übrig blieb eigentlich nur noch der Pfad über die Berge, der bei einer Flucht der Bevölkerung genutzt wird, doch auch der wurde überwacht. Um diesen neuen Weg ausfindig zu machen, hatte Merle den Söldnern schon viele Köder vor die Füße geworfen. Zaibacher Technologie, angebliche Geheimdokumente, doch nichts von alledem hatte Farnelia je verlassen. Es war, als würden sich die Kopfgeldjäger sich nur für eines interessierten. Einen Kopf.

Aus der intensiven, aber erfolglosen Suche dieser Freizeitermittler im Umfeld Vans ergaben sich zwei Folgerungen. Die Zielperson musste etwas mit ihm zu tun haben und nicht mehr hier sein. Das ließ für Merle nur den einen Schluss zu. Hitomi war das Ziel. Sie war der Grund für all die Übergriffe auf das Königshaus de Farnel in den letzten drei Jahren. Sie war der Grund, warum Merle in den letzten Jahren soviel um die Ohren hatte.

Jetzt lag Hitomi in der neu gebauten Markthalle, also am denkbar unsichersten Ort in ganz Farnelia. Merle zuckte mit den Schultern. Hitomi war ihr für die kürzliche Rettung sowieso noch einen Gefallen schuldig. Außerdem ließ die bisherige Vorgehensweise der Kopfgeldjäger mit dem Zaibacher Guymelef darauf schließen, dass Hitomi nur lebendig etwas wert war. Sie war also nicht in Gefahr.

Von ihrer Position aus konnte Merle durch die Schatten beschützt den Eingang der Halle beobachten, doch das war nicht alles. Sie griff zu ihrem Funkgerät, eine technische Neuerung, welche die Zwangsoffenlegung der Zaibacher Technologien mit sich gebracht hatte. Ohne diese Dinger wäre der Einsatz überhaupt nicht möglich gewesen.

„Siri, erbitte Meldung.“

Keine Antwort.

„Siri, du bist überfällig. Was ist los?“

„Äh, Entschuldigung, Kommandant. Ich war kurzzeitig durch einen Patienten abgelenkt worden.“

Merle seufzte. Siri war zwar nur ein paar Monate jünger als sie selbst, doch manchmal kam es ihr so vor, als würden Jahrhunderte zwischen ihnen liegen.

„Du sollst auf Hitomi aufpassen. Lass die Drecksarbeit jemand anders machen!“

„Aber es doch sowieso zu wenig Personal hier. Außerdem soll ich mich meiner Umgebung anpassen. Das habt ihr selbst gesagt.“

„Willst du mir etwa widersprechen? Tu, was ich sage!“, setzte Merle an.

„Hey, haltet gefälligst Funkstille! Ihr blockierte die Frequenz.“

Es gab nur eine Person in Merles Team, die so mit ihr reden durfte.

„Verstanden.“, antwortete Merle auf den Tadel von Gesgan. Er war ein ehemaliger Spion der Zaibacher. Vor zwei Jahren war er Merles erster Auftrag gewesen, doch anstatt ihn an Astoria auszuliefern, wurde der Vorfall vertuscht und man behielt den Spion samt Ausrüstung in Farnelia. Wenn es nach Erfahrung und Führungsqualitäten ginge, wäre er der Anführer der königlichen Leibwache, doch Merle hatte wenigstens erreicht, ihn als Berater in ihr Team aufnehmen zu dürfen. Der größte Teil ihrer Ausbildung und der ihrer Einheit ging auf ihn zurück. Doch da er nie aufgrund seines Status als Gefangener aktiv an einen Einsatz teilnehmen durfte, hatte Merle ihn für Koordination sämtlicher Einsätze eingesetzt, während sie vor kurzem erst die Leitung vor Ort übernommen hatte. Vorher hatte Gesgan ihr davon abgeraten im Feld zu Befehle zu geben und sie war seinem Rat gefolgt. Bis jetzt hat er ihr Vertrauen noch nie missbraucht und sie immer richtig geleitet.

Außer Siri und Gesgan waren noch zwei Soldaten und ein Taschendieb in ihrem Team. Der Taschendieb hatte sich bei der Beschaffung von Information, dem Beschatten von Zielpersonen und der Kontaktaufnahme zu nichtoffiziellen Kreisen als sehr nützlich erwiesen, doch er machte den Job nur um der Hinrichtung zu entgehen. Bei Gesgan war das zwar anfangs auch der Fall gewesen, doch inzwischen war sich Merle bei ihm nicht mehr sicher. Bei Siri und den Soldaten indes musste sie sich in der Beziehung keine Sorgen machen. Sie zeichneten sich durch eine tiefe Loyalität zu Farnelia aus.

Trotzdem hatte sich Merle bei dem Mädchen am meisten gesträubt sie mitzunehmen. Sie war bei ihrer Aufnahme in die königliche Leibwache erst dreizehn Jahre alt gewesen. Da war sie noch zusammen mit ihrer Mutter für die medizinische Versorgung in den Einsätzen zuständig und meist im Hintergrund tätig. Doch inzwischen hatte sie gelernt mit schmalen und leichten Schwertern umzugehen und ihre Mutter hatte sich nicht mehr bereit erklärt, die Leibwache bei ihren Einsätzen zu begleiten, weswegen eine stärkere Einbindung Siris in die Einheit unumgänglich geworden war. Sie war bei jedem Einsatz an vorderster Front dabei, was Merle viele Sorgen bereitete.

Plötzlich knackte ihr Funkgerät.

„Ein Pferdekarren hält auf die Halle zu. Alle Mann in Alarmbereitschaft!“, befahl Gesgan. Merle hockte sich hin. Wenn das ein Fehlalarm war, wäre es schon der neunte an diesem Abend, doch das war Merle egal. Das brachte ihre Arbeit nun mal mit sich. Lange Observierungen, die gelegentlich durch hektische Augenblicke unterbrochen wurden, in denen man hellwach sein musste, egal, wie lange der Tag für einen schon gewesen war.

Doch dieses Mal war es kein Fehlalarm. Mit überraschender Heftigkeit spürte Merle das Aufflackern von Hitomis Aura. Die Wellen der Gedanken, die von Hitomis Bewusstsein ausgingen, wurden immer stärker und häufiger.

„Aufgepasst, Leute!“, befahl Merle durch ihr Funkgerät den anderen. Schnell band sie ein schwarzes Tuch über ihren Kopf zusammen und verdeckte die unter Gesichtshälfte mit einem anderen Tuch. Schweigend und vermummt beobachtete sie, wie vier Männer die Halle betraten. Wenn Siri ihren Job gutgemacht hatte, würden sie das Gebäude auch wieder verlassen können, ohne dass sie vom medizinischen Personal aufgehalten wurden. Merle spürte wie Hitomis Aura schlagartig schwächer wurde. Plötzlich wurde auch ihr schwarz vor Augen, doch sie brachte ihre mentalen Schilde rechtzeitig in Stellung, so dass der Kontakt zu Hitomi abbrach. Erst als Merle sah, wie die Männer aus der Halle kamen und einen vollen Getreidesack auf die Ladefläche des Karren verluden, wagte sie den erneuten Aufbau der Verbindung. Eine Lokalisierung von ihr ergab, dass sie tatsächlich im Getreidesack auf dem Pferdewagen lag.

„Bitte um Bestätigung.“, fragte Gesgan bei Merle an. „Ist die Zielperson auf dem Karren?“

„Bestätige. Die Zielperson ist in dem Sack. Freigabe zur Verfolgung der Zielperson.“, informierte sie ihn.

„Verstanden. Einheiten eins, zwei und drei, verfolgen sie den Karren! Katzenpranke, beginnen sie mit dem langsamen Abstieg!“

Merle ließ ihr Funkgerät ein Mal zur Bestätigung klicken und setzte sich leise und vorsichtig in Bewegung. Immer darauf achtend möglichst lange in den Schatten zubleiben, schlich sie sich einen dunklen Weg entlang, der parallel zur Straße verlief, die der Karren gerade benutzte.

Da sie das ein-PS-starke Gefährt nur selten sehen konnte, verließ sie sich bei der Verfolgung weiterhin auf das schwache Glimmen von Hitomis Aura und auf die Fahrgeräusche des Karren. Die Fahrt endete vor einem Mietshaus direkt an der Stadtmauer. Langsam dämmerte es Merle, wie Hitomi aus Farnelia geschafft werden sollte. Zwei Männer trugen Hitomi die Kellertreppe hinunter, während die anderen beiden darauf achteten, dass ihnen niemand folgte. Sie konnten Merle in den Schatten der Gebäude jedoch nicht ausmachen. Schließlich gingen auch sie die Treppe hinunter und betraten das Haus.

Merle lief aus den Schatten heraus auf die Straße. Mit ihr tauchten auch zwei andere vermummte Gestalten auf, die jedoch mit geschulterten Schwertern bewaffnet waren. Schnell pressten sich alle drei an die Hauswand. Merle bedeutete den einen Soldaten ihres Teams die Stellung zuhalten, während der andere um die Hausecke auf seiner Seite schlich. Leise trat auch Merle um ihre Ecke herum und überprüfte ihre Seitenwand auf eventuelle Ausgänge, doch sie fand bis auf ein kleines Untergeschossfenster nichts. Mit einem kurzen Kommentar in ihr Funkgerät, bestätigte, dass ihre Seite sauber war. Was folgte, war die Information, dass die Kellertür auf der anderen Seite verschlossen war. Vorsichtig spähte Merle durch das Fenster.

Drinnen beobachtete sie, wie Hitomi auf eine Ladefläche gelegt wurde, die anscheinend mit einer Seilwinde bewegt werden konnte. Die Schienen, auf denen die Räder des Wagens standen, führten in einen Tunnel in Richtung der Stadtmauer. Merle war nicht wohl bei den Gedanken, aber sie konnte nicht auf die Verstärkung warten, die sich auf der Katzenpranke befand. Wenn Hitomi durch dieses Tunnel verschwand, würde man sie nie wieder finden.

„Angriff!“, befahl Merle leise und trat mit ihren Stiefeln das Fenster ein. Elegant glitt sie durch das nun offene Fenster hindurch und kam mit dem Knirschen von zertretenen Glassplittern auf. Vier Augenpaare sahen sie überrascht an. Merle ließ sich nicht lange bitten und stürmte vorwärts. Der Erste, der aus seinem Schock erwachte, stellt sich ihr mit erhobenem Schwert entgegen. Kraftvoll stieß er die Klinge auf Merles Brust zu. Doch die hatte bereits ihre Dolche in den Händen. Sie fing die Waffe ihres Gegners mit einer ihrer eigenen ab, preschte in ihn hinein und schlug ihn mit ihren Ellbogen gegen seine Schläfe bewusstlos. Inzwischen war von der Eingangstür nur noch Holzsplitter übrig und ihre zwei Teammitglieder fochten jeweils eigene Duelle aus. Der letzte Gegner stürmte mit gezücktem Schwert auf Merle zu. Er schlug nach ihr, doch sie drehte sich geschickt aus der Schwertbahn und trat mit dem Spann ihres Fußes gegen sein Kopf. Er brach stöhnend zusammen. Inzwischen hatte die Soldaten ebenfalls ihre Arbeit getan. Ihre Gegner schienen nicht in Lebensgefahr zu sein, wie Merle angenehm überrascht feststellte.

„Wartet auf die Katzenpranke! Die Gefangenen kommen in eine Zelle unter der Villa.“, befahl sie und befreite Hitomi aus ihrem Gefängnis. Sie war unversehrt, genau wie geplant. „Schafft sie ein Gästezimmer der Villa! Siri soll sie sich noch einmal ansehen.“ Die Soldaten bestätigten rasch die Anweisung. Daraufhin legte sich Merle auf die Tragefläche. „Steckt mich in den Getreidesack!“ Verdutzt starrten sie die Soldaten an. „Nun macht schon! Das ist ein Befehl.“ Zögerlich gehorchten ihr die beiden und schnürten den Sack fest zu. „Kurbelt mich an!“, sagte sie mit stumpfer Stimme. Daraufhin glitt Merle in die Dunkelheit des Tunnels.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Doena
2010-11-22T20:39:48+00:00 22.11.2010 21:39
wie gesagt jetzt verstehe ich ^^
bin mal gespannt wie es weiter geht


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