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Stadt der Engel

Schatten und Licht, Band 1
von

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Ein eisiger Entschluss

Kleine Wolken aus heißer Atemluft stiegen vor Hitomis Augen zum eisig blauen Himmel hinauf. Sie lag zugedeckt auf einer Bank. Mehrere Gewänder und eine dicke Robe schützten sie vor der Kälte. Zu den beiden Verbänden um ihre Füße herum war noch ein dritter über ihrer rechten Gesichtshälfte dazugekommen. Nur das Auge war noch zusehen. So wie Hitomi dort lag, tat sie Merle leid. Natürlich trug Hitomi den Verband im Gesicht nur, damit man sie nicht erkennen konnte, doch spiegelte er in Merles Augen das wieder, was die Seele dieser sonst so starken Frau am dringendsten benötigte.

Heilung.

Ihr niedergeschlagener Gemütszustand ließ die Aura schwach und unregelmäßig flackern, was Merle schier zur Verzweiflung trieb. Sie überlegte krampfhaft, was sie jetzt tun oder vielmehr sagen sollte. Immer wieder legte sie sich Worte zurecht und verwarf diese dann als entweder hohl oder sinnlos. Backpfeifen verteilen wollte sie auch nicht. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dieses Mal würde es nichts nützen. Noch einmal begann sie Wort an Wort zu Reihen und wieder kam nichts Vernünftiges dabei raus. Merle wollte ihr schon vorschlagen, sie zurück in die Villa zu tragen, da sprach Hitomi sie zögernd an.

„Merle, dir hat Van doch einige Fähigkeiten der Atlanter beigebracht. Was kannst du alles?“

Ein weiteres Mal scheiterte das Katzenmädchen beim Ordnen ihrer Gedanken.

„Nun, dass ich Lichtsäulen herbeirufen kann, hast du ja schon gesehen.“, wich sie ein allumfassenden Antwort aus.

„Könntest du mich nach Hause schicken?“, fragte Hitomi hoffnungsvoll, doch sie schüttelte den Kopf.

„Ich habe dich nicht ohne Grund nach Farnelia gebracht. Ich will nicht, dass du gehst.“

„Warum?“, fragte Hitomi verzweifelt. „Alles, was ich im Moment tue, ist mich zu verstecken. Ich bin ein Belastung für Farnelia und stehe Van nur im Weg. Er hat mich darum gebeten zurückzukehren!“

„Er lügt.“, verkündete Merle und ließ daran keinen Zweifel. „Van braucht dich mehr, als er es sich eingestehen will. Es passt mir zwar nicht, aber nur du hältst ihn noch aufrecht. Im Moment bist du ein Risiko, aber ohne dich wird er zusammenbrechen, früher oder später. Dann wird Farnelia nicht einmal mehr einen König haben.“

„Wenn es so wäre, wenn wir immer noch nahe stehen, müsste ich seine Präsens immer und überall spüren können. Ich konnte ihn nicht einmal mehr wahrnehmen, als er direkt vor mir stand!“, hielt Hitomi dagegen. Merle lachte bitter.

„Das hat einen ganz anderen Grund.“

„Und der wäre?“

„Seit wann kannst du Van auf diese Weise wahrnehmen?“

Hitomi brauchte einen Augenblick zum Nachdenken.

„Seit der Schlacht von Rampant. Ich spürte deutlich seine Freude während dem Kampf und sein Vergnügen am Töten. Ich weiß nicht wieso, aber von da an konnte ich seine Präsenz in mir fühlen, sogar als ich auf der Erde war.“

„Wie fühlte er sich an?“

Wieder brauchte sie einen Moment.

„Wie eine Flamme, die in meinem Herzen brannte. Je näher ich ihm war, desto wärmer wurde sie. Manchmal schickte er mir auch ein Zeichen. Ich wusste ganz genau, dass er an mich dachte.“

„Du sagtest, dass du seine Gefühle während der Schlacht spüren konntest. Kam das noch mal vor?“

„Ja, zum Beispiel spürte ich seine Trauer um Folkens Tod.“

„Wie fühlte sich das an?“

„Die Flamme war größer als je zuvor, obwohl er sehr weit weg war. Aber sie fühlte sich kalt an und flackerte heftig.“

Merle lächelte zufrieden, was Hitomi sehr verunsicherte.

„Was ist?“, wollte sie wissen.

„Was du fühlst, ist eine Fähigkeit des Drachenvolkes, die Van neu entdeckt hat.“

„Was für eine Fähigkeit?“

„Direkt nach deiner Rückkehr zum Mond der Illusionen, geriet der Wiederaufbau von Farnelia ins Stocken. Van hatte alle Hände voll zu tun, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Dennoch nahm er sich jeden Tag drei Stunden Zeit, in denen er meditierte. Eure Trennung hatte ihn ganz schön mitgenommen, also suchte er einen Weg sie zu überwinden.“

„Wie?“, wunderte sich Hitomi.

„Er wollte bei dir sein.“, offenbarte ihr Merle und legte dabei viel Gewicht in ihre Worte. „Er wollte wissen, was du fühlst. Deine Präsenz zu spüren, so wie du es getan hast, reichte ihm nicht und so entdeckte er die Aura der Seelen.“

„Die Aura der Seele?“

„Jedes Wesen mit einem Bewusstsein gibt zu jeder Zeit ein bisschen Energie durch seine Gefühle in Form von Gedankenenergie ab. Wir tauchen praktisch in einem Meer von Gedankenenergie und die Wellen in diesem Meer können wir spüren. Die meisten Menschen können jedoch nur unbewusst die Gefühle von anderen wahrnehmen, die ihnen sehr nahe stehen und gerade besonders heftig reagieren. Aber mit dem richtigen Training kann jeder dieses Meer um sich herum fühlen und die Eindrücke bewusst verarbeiten.“

„Das ist ja alles gut und schön, aber warum kann Vans Aura nicht mehr spüren?“, fragte Hitomi ungeduldig.

„Weil er sich abschottet. Van legt eine Hülle auf seine Haut, die seine eigene Gedankenenergie stoppt.“

„Weißt du, wie das geht?“

„Natürlich.“, brüstete sich Merle.

„Zeig es mir!“, verlangte Hitomi eifrig.

„Warum willst du das wissen?“, äußerte sich das Katzenmädchen besorgt.

„Weil ich nicht will, dass du oder Van meine Gedanken ließt wie ein offenes Buch. Niemand darf das.“

Merle biss sich auf die Lippen. Die Aura ihrer Freundin war für sie die beste Quelle an Wissen über ihren Gemütszustand und ihrer Gesundheit. Sie durfte dieses Mittel nicht aus der Hand geben.

„Man kann deine Gedanken nicht lesen, nur deinen Gemütszustand.“, versuchte sie die aufgebrachte Frau zu beruhigen.

„Das ist schlimm genug!“

„Ich kann es dir nicht beibringen.“

„Und warum nicht?“, hakte Hitomi nach.

„Weil dir das Wissen dafür fehlt.“, behauptete die Leibwächterin und wollte es dabei belassen, doch Hitomi gab sich damit nicht zufrieden.

„Dann sag mir, was ich dafür wissen muss!“, forderte sie.

„Hast du geringste Ahnung, was passiert, wenn du es kannst?“, fuhr Merle sie an. „Deine Präsenz ist lebensnotwendig für Van. Zu fühlen, was du fühlst, ist wie Atmen für ihn. Das einzige, was ihn in den letzten Jahren Mut gemacht, war deine Gegenwart.“

„Also spioniert er mich aus und verschließt sich mir gegenüber!“, konterte Hitomi wütend. „Warum will er mich denn nicht an seiner Seite haben, wenn ich ihm so wichtig bin?“

„In Farnelia bist du in Gefahr und er kann dich nicht beschützen, ohne sein Volk zu gefährden. Er wusste, du würdest kommen, wenn du wüsstest, wie es schlecht es ihm geht.“, verteidigte Merle ihn mit ganzem Herzen. „Also hat er sich abgeschottet und dir zugesehen. Ja, er ist ein Idiot, der nur an die Sicherheit von anderen denkt und deshalb falsche Entscheidungen trifft. Aber er ist ein liebenswerter Idiot.“

„Warum hast du mich dann hierher gebracht?“, fragte Hitomi verwirrt. „Er will mich doch gar nicht hier haben!“

„Er liebt dich!“, antwortete Merle schonungslos. Hitomi erstarrte. Unter der Decke fuhr ihre Hand zu dem Anhänger ihrer Großmutter. Selbst durch die dicken Stoffe hindurch spürte sie die Wärme, die von ihm ausging. Oder bildete sie sich dieses mollige Gefühl nur ein? Das Mädchen fuhr fort: „Und er braucht deine Liebe! Du musst auf ihn acht geben! Mich lässt er nicht mehr. Ich werde dich beschützen, während du ihn vor sich selbst schützt. Denk darüber nach! Du weißt ja, wie du mich erreichen kannst, wenn du wieder rein willst.“

Merle ging und ließ Hitomi im Chaos ihrer Emotionen allein.

Auf einmal war alles wieder offen. Liebte Van sie wirklich noch? Konnte sie Merles Worten trauen? Unsicherheit fraß sich unbarmherzig durch ihre Gedanken. Nach allem was passiert war, konnte sie nicht glauben, dass sie Van immer noch etwas bedeutete. Sie war so oft in Gefahr gewesen, seitdem sie nach Gaia zurückgekehrt war. Nicht ein einziges Mal hatte er sie gerettet. Stets war nur Merle zur Stelle gewesen. Doch hieß das, dass Van sie nicht mehr liebte? Immerhin tobte gerade eine Seuche in Farnelia und er hatte mit Sicherheit viel zu tun. Entschuldigte dies sein Verhalten?

Nein, entschied Hitomi. Es gab keine Entschuldigung dafür, dass er ihr jeglichen Kontakt verwehrte und gleichzeitig aus ihrem Leben eine Realityshow machte. Es gab auch keine Entschuldigung dafür, dass er sie auf dem Mond der Illusionen hat schmoren lassen, allein und ohne ein Zeichen von ihm. Er hätte wenigstens anrufen können! Wie lange hatte sie auf ihn gewartet und die Erinnerung an ein Gefühl für wirkliche Lebenszeichen von ihm gehalten? Genauso wenig konnte sie es verzeihen, dass er sie kein einziges Mal beschützt hatte, seitdem nach Gaia zurückgekehrt war. Wenn er nicht mehr ihr Beschützer war, was dann? Es spielte für sie keine Rolle mehr, ob Van sie noch liebte. Einen Freund, der nur nahm und nichts gab, wollte sie nicht.

Plötzlich spürte sie etwas, was sie sich in den letzten Jahren nur eingebildet hatte.

„Van.“, flüsterte sie und hob ihren Kopf. Sie sah zum Fenster der Villa, von dem der kurze Kontakt gekommen war, doch sie sah niemanden. Hitomi zuckte mit der Schulter und sendete einen mentalen Ruf nach Merle aus. Ihr wurde kalt. Außerdem war es an der Zeit einen Weg zu finden, der sie nach Hause führte. Zu ihrem wirklichen Zuhause. Immerhin war sie noch immer eine Schülerin und musste dementsprechend zur Schule gehen. Mit Gaia war sie fertig.
 

Van lehnte sich verzweifelt an die Wand neben dem Fenster, durch das er eben noch Hitomi beobachtet hatte. Sein Bauch fühlte sich an, als hätte jemand ihn abgestochen. Seine Beine wollten sein Gewicht nicht mehr tragen und er sackte in sich zusammen. Auf den Boden kauernd fühlte er noch immer ihre Wut auf ihn. Sie brannte sich durch seine Adern und zerriss sein Herz. Schließlich wurde es unerträglich und er schloss die letzte Lücke in seinem Panzer. Eine Zeit lang blieb er einfach liegen. Dort, wo er sie einst in sich gespürt hatte, klaffte nun eine kalte Leere.

Eine Leere, mit er leben musste, wie ihm klar wurde. Sie hatte ihn abserviert. Jetzt war alles aus. Es gab keine Hoffnung mehr auf eine gemeinsame Zukunft. Langsam richtete er sich auf. Wenigstens, so sagte er sich, war er nun frei und bereit für eine politische Heirat. Er musste nicht mehr an eine Frau denken, die sowieso unerreichbar für ihn war. Er durfte es nicht mehr. Als König könne er jede haben! Was für ein kranker Scherz.

Mit schnellen Schritten ging er in sein Zimmer und wusch sich dort die Tränen aus dem Gesicht. Dann sah er sich zum zweiten Mal die wöchentlichen Berichte seiner Bezirksverwalter an. Er war so vertieft in seine Arbeit, dass er nicht merkte, wie Merle Hitomi hinter ihm in die Sternenkuppel trug.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Doena
2010-11-22T21:25:44+00:00 22.11.2010 22:25
nein Van darf einfach keine Politische HOchzeit in betracht ziehen -.-
er soll doch einfach mal mit hitomi reden


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