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Stadt der Engel

Schatten und Licht, Band 1
von

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Versuchung

Durch die schmalen Schlitze ihrer schweren Augenlieder schlug Merle reine Finsternis entgegen. Sie spürte schon gar nicht mehr die Kälte des nackten Steinbodens, den Druck der Fesseln an ihren Handgelenken, den Schmerz ihrer überlasteten Schulter. Alles, was sie wahrnahm, war dieses beständige Summen in ihrem Kopf. Sie konnte nicht schlafen, an nichts mehr denken. Ihre Gedanken zogen zu schnell an ihr vorbei, als dass sie auch nur einen hätte fassen können. Wie viel Zeit war vergangen? Stunden? Tage? Jahre? Sie wusste es nicht. Alles, was sie wusste…was sie fühlte, war der Durst in ihrer Kehle, die Kraftlosigkeit in ihren Beinen, die Leere in ihrem Herzen. Es gab niemanden. Niemand, der es spüren konnte. Niemand, der ihr zu Hilfe eilen würde. Niemand, der sich auch nur einen Gedanken um ihr Befinden machte. Sie war allein.
 

„Merle!“, schrie Hitomi aufgeregt, nachdem sie schlagartig aus ihrem tiefen Schlaf erwacht war. Erschöpft und schwer atmend fasste sich Hitomi an ihre Stirn. Sie spürte noch immer, wie ihre Gefährtin litt, wie Einsamkeit sie zu brechen drohte. Ihr Schmerz schnürte Hitomi die Kehle zu.

„Guten Morgen, Fräulein. Hattet ihr angenehme Nächte?“, fragte eine ihr wohlbekannte Stimme. Verwundert fixierte sie das Mädchen neben ihrem Bett.

„Siri? Wo bin ich?“

„Nun, Fräulein, ihr seid noch immer im Tempel der Fortuna. Eigentlich solltet ihr dieses Zimmer wieder erkennen. Angeblich habt ihr schon einmal hier geschlafen.“

„Aber…“

Es verschlug ihr für einen Moment die Sprache, als es ihr wieder einfiel, was geschehen war, bevor sie das letzte Mal das Bewusstsein verloren hatte. Eigentlich müsste sie sich in den Händen des Feindes befinden, wer auch immer dieser Feind war. Hatte Siri sie befreit?

„Was machst du hier?“, fragte sie verwirrt.

„Ich passe auf euch auf, so wie es von Anfang meine Aufgabe war.“, erklärte Siri.

„Wo ist Merle?“

„Im Verließ. Ein passender Ort für einen Verräterin wie sie.“

„Verräterin? Aber…“

Hitomi richtete ihren Oberkörper auf und sah sich unschlüssig im Zimmer um. Plötzlich viel ihr der stämmige Mann am Eingang des Zimmers auf.

„Was macht er hier?“, fragte sie.

„Oh, er sollte euch eigentlich in Empfang nehmen, Fräulein. Ich muss mich für seine ungehobelte Art entschuldigen.“, antwortete Siri.

„Siri, wir wollten uns doch duzen.“, sagte Hitomi unsicher.

„Ihr, Fräulein, wolltet, dass wir uns duzen. Damals folgte ich eurem Wunsch, doch das ist jetzt vorbei.“, widersprach Siri lächelnd und entblößte dabei ihre Zähne. Hitomi erschrak. Zwar erkannte sie das Mädchen wieder, welches vor ihr stand, doch dieses kalte Lächeln und die spitzen Eckzähne waren ihr neu. Siri war doch nicht etwa ein… Schnell verdrängte Hitomi den Gedanken. Vampire gibt es nicht und hat es auch nie gegeben. Sie waren nur eine Legende, erfunden von irgendwelchen europäischen Spinnern. Was aber war dann mit Siri geschehen?

„Ich möchte Merle sehen.“, verlangte Hitomi.

„Wieso? Was kümmerte euch noch diese Verräterin? Sie war es doch, die euch entführte.“, erkundigte sich Siri.

„Aber das tat sie doch nur, um mich zu beschützen!“

„Vor was denn? Euch droht auf Gaia keinerlei Gefahr.“

„Auf meinen Kopf ist eine Belohnung ausgesetzt.“, erwiderte Hitomi entrüstet.

„Ein Kopfgeld? So einen Unsinn hat man euch erzählt?“, lachte Siri.

„Es ist wahr. Als ich hier ankam, wurde ich zwei Mal von Kopfgeldjägern verschleppt.“

„Deren Auftrag es war, euch zu beschützen.“

„Vor wem?“, fragte Hitomi fassungslos.

„Vor dem König von Farnelia und seiner Leibgarde.“, sagte Siri und ging zum Fenster des Zimmers.

„Vor Van? Aber warum?“

„Er wollte verhindern, dass ihr meinen Meister trefft.“, führte Siri aus.

„Ich wurde von einem Zaibacher Guymelef gefangen genommen und man hat mich geschlagen, betäubt und bedroht. Sieht so eine Rettungsaktion aus?“, beschwerte sich Hitomi.

„Nun, die Kopfgeldjäger haben den Auftrag wohl selbst nicht richtig verstanden oder ihn bewusst geändert. So etwas kommt bei denen des Öfteren vor. Der Guymelef indes stammt aus dem von Astoria beschlagnahmten Inventar der Zaibacher. Diese Guymelefs sind die offizielle Ausrüstung der Kopfgeldjäger, die unter meinem Meister dienen.“

„Wer ist dein Meister?“

„Ihr kennt ihn, Fräulein.“, sagte Siri und kam wieder auf Hitomis Bett zu. „Ihr habt ihn schon einmal getroffen.“

„Wo? Wann?“, erkundigte sich Hitomi. Anstatt zu antworten nickte Siri dem stämmigen Mann zu, woraufhin dieser zurücktrat und damit den Eingang zum Zimmer freimachte. Herein trat ein aristokratisch gekleideter Mann mit langen, blonden Haar.

„Ihr?“, platzte es aus Hitomi heraus. Der Mann lächelte sie auf die Art und Weise an, wie es Hitomi schon bei vielen Diplomaten und Politkern gesehen hatte. Auch Siri machte dem Neuankömmling Platz und stellte sich an das Kopfende von Hitomis Bett.

„Siri, willst du uns nicht einander vorstellen?“, fragte der Mann und blieb vor Hitomis Bett stehen.

„Fräulein, vor euch steht Baron Trias, persönlicher Berater von König Aston von Astoria. Meister, darf ich euch vorstellen, Fräulein Hitomi vom Mond der Illusionen.“

Ohne Vorwarnung ergriff der Baron Hitomis Hand und gab ihr einen Handkuss.

„Das ist so üblich in unseren Kreisen, wertes Fräulein.“, erklärte er sich, doch sie zog geschockt ihre Hand zurück.

„Wir sind uns einmal begegnet…bei dem Bankett.“, erinnerte sie sich.

„Ich fühle mich geehrt, dass dieser kurze Augenkontakt euch im Gedächtnis blieb.“, bestätigte der Baron.

„Was wollt ihr von mir?“, fragte Hitomi betont sachlich.

„Warum so feindselig?“, erkundigte der Baron.

„Ihr seid schließlich für alle Entführungen verantwortlich, die ich erdulden musste.“, warf sie ihm vor.

„Das ist nicht richtig. Die überaus brutale Freiheitsberaubung von König Vans Schoßkatze war gewiss nicht in meinem Sinne.“, verteidigte sich Trias.

„Die vorherigen Versuche waren auch nicht gerade angenehm.“

„Ich muss mich in der Tat für das Benehmen meiner Bediensteten entschuldigen. Dennoch solltet ihr verstehen, Fräulein, dass alles sehr schnell gehen musste. Die Häscher König Vans waren euch…“

„Was wollt ihr von mir?!“, wiederholte sich Hitomi. Trias sah Hitomi einen Augenblick lang nachdenklich an und setzte sich dann zur ihr auf das Bett.

„Ich will, dass ihr euch euren tiefsten Herzenswunsch erfüllt.“

„Und der wäre?“, fragte Hitomi skeptisch.

„Frieden.“, antwortete Trias schlicht und atmete dann tief an. „Das ist es doch, was ihr euch wünscht. Ihr ertragt es nicht zu sehen, wie ein Mensch einen anderen das Leben nimmt. Dennoch geht das Töten weiter, auf Gaia und auf eurer Welt, und ihr könnt es nicht aufhalten. Das muss euch doch frustrieren.“

Hitomi wollte etwas erwidern, doch sie konnte nicht.

„Wisst ihr, wann es zu Gewalt und Aggressionen kommt?“, fragte Trias.

„Vans…Jemand sagte mir, dass sich überlappende Gedanken dafür der Grund sind.“

„So ist es. Wenn sich die Gedanken zweier Menschen überlappen und sich somit ihre Interessen kreuzen, kommt es zu Spannungen. Manchmal und nur mit viel Mühe kann man diese Knoten aus Interessen entwirren und zu einer friedlichen Lösung kommen. Doch die Überlappungen der Milliarden von Menschen zu entwirren, ist schier unmöglich. Kein Computer, und sei er noch so schnell, könnte dieses Problem lösen.“

„Woher wisst ihr, was ein Computer ist?“, wundert sich Hitomi, doch Trias fuhr unbeirrbar fort.

„Im Grunde ist der Mensch ein Egoist und demzufolge auch böse. Jeder hasst im Grunde seines Herzens alle anderen Menschen. Nur die Vermittlung von Werten durch das erdachte Konstrukt Gesellschaft und die Beschneidung von Freiheiten macht ein Zusammenleben der Menschen auf engsten Raum überhaupt möglich. Dies war schon immer so und wird auch immer so sein.“

„Das stimmt nicht! Nicht alle Menschen sind so! Wie könnt ihr es überhaupt wagen, dies zu behaupten?“, fuhr sie ihn an.

„Selbst ihr, mein liebes Fräulein, seid nicht anders. Ihr hasst die Menschen von Farnelia, weil sie euch eure Liebe versperren. Ihr hasst die Menschen von Gaia und der Erde, weil deren Leid euch leiden lässt.“

Wieder konnte sie nichts erwidern.

„Ja, ich habe Recht. Ihr Leid, ihre Wut und ihre Angst bombardieren eure Aura und lassen euch keinen Augenblick ruhig schlafen. Seitdem ihr die Stimmen aller Menschen hören könnt, sehnt ihr euch danach, dass sie verstummen.“, drang Trias auf Hitomi ein. Tränen sammelten sich in ihren Augen.

„Ihr selbst könnt euch diesen Wunsch erfüllen. Ihr selbst habt die Gabe das Schicksal aller zu bestimmen. Nur ihr könnt den Krieg heraufbeschwören. Den einen Krieg, der alle Menschen vernichtet und somit euch und der Welt ewigen Frieden bringt.“

„Hört auf!“, flehte sie und hielt sich die Ohren zu, doch es nützte nichts. Trias Stimme kam jetzt direkt aus ihren Gedanken und verstärkte die Schreie der leidenden Menschen in ihrem Unterbewusstsein.

„Ihr könnt alles Leid beenden!“, redete Trias auf sie ein. „Selbst Van, der euch verstoßen…“

„Hört auf!“, schrie Hitomi aus vollem Leib. Völlig unvermittelt und ohne erkennbaren Grund flog Trias von Hitomis Bettkante runter und krachte gegen die gegenüberliegende Wand des Zimmers. Siri reagierte sofort. Mit ihrer rechten Hand strich sie über Hitomis Stirn, woraufhin sie sofort einschlief. Mühsam rappelte sich Trias auf.

„Sie wird sich uns nicht anschließen.“, verkündete er. „Die Menschen haben sie zu sehr mit ihren Illusionen vergiftet.“

„Was machen wir mit ihr?“, erkundigte sich der Mann.

„Benutzt sie als Köder für Van! Fügt ihr großmögliche Schmerzen zu! Dann wird er kommen.“

„Das können wir doch auch mit Merle machen. Es gibt vielleicht noch eine Chance Hitomi zu überzeugen.“, wandte Siri ein.

„Nein! Sie hat Angst, ihrem wirklichen Ich zu begegnen. Sie ist schwach. Für uns hat sie keinen Nutzen. Außerdem hat sich dieser Van mit einer Blockade umgeben, die ihn unempfindlich gegenüber Schmerzen anderer macht. Das Katzenweib steht ihm nicht nah genug, um diesen Schutzwall niederzureißen. Nur dieses Mädchen hier kann es schaffen.“

Trias wandte sich an Siri.

„Du musst ihr seelischen Schmerz zufügen. Alles andere wird Van nicht mitkriegen. Sie muss aus dem Abgrund ihres Herzens schreien. Schaffst du das?“

Siri blickte konzentriert auf Hitomi und nickte schließlich.

„Ihr Gedächtnis hat mir ein Paar Möglichkeiten offenbart. Das wird kein Problem sein.“

„Gut, wenn dieser Möchtegernkönig hier auftaucht, schafft ihr ihn runter ins Labor. Ich sehe ihn mir an, wenn ich wiederkomme.“

„Was ist mit dem Katzenmädchen?“, fragte der glatzköpfige Mann.

„Spiel mit ihr, solange du willst! Hauptsache sie entkommt nicht. Keines der Mädchen wird gebissen! Beide würden der mentalen Viruskomponente widerstehen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Doena
2010-11-28T16:55:21+00:00 28.11.2010 17:55
aua Hitomi tut mir jetzt schon leid
Van soll sie retten und alle platt machen

ich wusste doch das man diesem trias nicht trauen kann..... ar...loch -.-


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