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The Last Leader - Der Kampf um Einigkeit

von

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Abschnitt 1

Der Wind hatte sich gedreht. Doch dies war nicht die einzige Veränderung, die ich bemerkte, die mich beunruhigte und zur Vorsicht aufrief.

Viele Zyklen waren seit der Schlacht zu Varisc vergangen und längst belebten meine Nachkommen meine Heimatstadt. Aus allen Himmelsrichtungen pilgerten die freien Bürger Nameks in Vaidurs Stadt und brachten ihre Lebensart, Tatkraft, aber auch ihre Probleme mit. Meine Politik der Gleichheit wurde in Cheranko, der zentralen Ansiedlung, dem Ursprung alle Städte, misstrauisch beäugt. Fortes Boten waren nach dem Kampf zu den Siedlungen aufgebrochen um Variscs Bruch mit der Tradition zu verbreiten. Reven schloss sich meiner Idee als Verbündeter an, so wie Lauron ganz im Süden und Ystak im Nordosten. Die Fürsten von Sojis im Südosten, Devar im Osten und Cherankos Dreigestirn hielten an der Tradition fest.

Nun zog über Namek ein Sturm auf. Es war keine Revolution, nein, ein Sturm, der sich in der Atmosphäre zusammenbraute.
 

Der „Wille des Drachen“ hatte mich sanft altern und mich mein Augenlicht behalten lassen. Der „Wille des Drachen“, ja, so nannten sie meine Klinge, die ich mit Hilfe der Seelen meiner Brüder erschuf und den Krieg beendete. Zu viele hatten diese Welt verlassen. Der Verlust schmerzte noch immer wie meine alten Narben, die mir bis zu meinem Ende bleiben mochten.
 

Cherankos Führung bestand aus drei Brüdern eines Vaters. Zwei von ihnen waren Priester, der Dritte stand als Krieger seinen Brüdern vor. Die Sippe betrachtete Varisc als Sündenpfuhl und dessen Fürsten als Revolutionär, als anmaßenden Hochstapler. Sie luden mich nicht ein, als dort die neue Generation das Licht der Welt erblickte.
 

Sie verfolgten störrisch den uralten Weg, der seit vielen Tausend Zyklen festgelegt war. Sie bestanden auf die engstirnige Vergangenheit und verschlossen ihre Augen vor unserer Gegenwart und meiner Vision von der Zukunft.

Der Fürst von Devar war alt und gebrechlich, Sojis’ Anführer war bei seiner Ernennung nur halb so alt wie ich. Die Entscheidungen dort fällten andere Mächtige aus dem Hintergrund. Diese Hintermänner stammten zweifellos aus dem Fürstentum von Cheranko. Sie intrigierten gegen meine Alliierten und erhielten damit die Patt-Situation aufrecht.
 

Doch war es nicht an der Zeit die Bürger zu befreien?
 

Die Bequemlichkeit – auch Unfähigkeit – der Fürsten lähmte die Entschlossenheit der östlichen Städte. Verwunderlich schien die liberale Einstellung des Fürsten von Ystak zum Umbruch im System. Auch dort gab es Unruhen, die zu einem ähnlichen Ergebnis wie in Varisc führten. Drei Viertel der Bevölkerung wurden mit unvorstellbarer Gewalt ausgelöscht. Viele der Überlebenden reisten mit ihrer Habe nach Varisc um der Fessel durch die Tradition zu entfliehen. Ich ließ sie gewähren und wurde im Gegenzug von ihnen ins Vertrauen gezogen.
 

Die gesamte Führungsklasse von Ystak wurde im Aufschrei der Bevölkerung dahingemetzelt und fortan regierte dort ein gewählter Anführer über die Stadt, die sich wieder erneuerte, aber nicht in dem Maße wie sich Varisc nach dem Krieg regenerierte und sogar über seine alten Grenzen wuchs.

Er hatte Probleme die Bevölkerung von zweihundert am Leben zu erhalten und am Abwandern zu hindern. Seuchen waren die Folge. Niemand war da, der die Toten begrub, sie segnete und ihr Andenken erhielt.

Ystaks Existenz hing von dem Fürsten ab, der hoffnungslos überfordert schien und sein Heil im Umbruch des Systems suchte.
 

Diese Stadt konnte alsbald untergehen.

Dessen war nicht nur ich mir bewusst, sondern auch Forte und Laurons Fürst. Doch unsere Hilfe wurde zurückgewiesen von denen, die viele Grenzen kontrollierten. Über See, Luft und Land gab es keinen Weg nach Ystak durchzudringen so sehr wir mit Rastors Hilfe versuchten Verhandlungen zu führen.

Rastor war Laurons Fürst und ein großer Befürworter meiner Idee. Dennoch wurde er von Cherankos Führung akzeptiert. Varisc und auch Reven wurden verstoßen.
 

Vater, was hättest du getan?
 

Was hätte Arcus unternommen?
 

Sie waren tot. Sie konnten uns nicht mehr helfen.
 

Mein ältester Sohn war nun einundfünfzig Zyklen alt und ich erlaubte ihm all die Freiheiten, die mir in meiner Jugendzeit versagt waren. Er sollte seinen eigenen Weg wählen. Er konnte mir nachfolgen und Priester werden wie es das alte Protokoll verlangte oder Forte nachfolgen, denn mein Ältester war mit dem Blut der Krieger geboren worden. Nox war ein Heißsporn, der sich jede Spitze gegen mich sehr zu Herzen nahm. Sein Herz schlug seit seinem Schlupf für seine Heimatstadt, die er bis zum letzten Blutstropfen verteidigen wollte.
 

Aber konnte ich ihm jemals mein Schwert und die Verantwortung über die Stadt übertragen?
 

Eines Tages würde ich es. Sein gutes Herz war mir offensichtlich. Fortes ältester Sohn Dur hatte den Weg zum Priester eingeschlagen und auch in ihn setzte ich große Hoffnungen.
 

Revens Bündnis mit Varisc war stark. Doch würde es stark genug sein um gegen Cherankos Ablehnung standzuhalten?
 

Ich hatte kein Recht an der edlen Gesinnung Fortes und Rastors zu zweifeln.

Fortes Zuneigung zu mir war über jeden noch so tiefen Zweifel und jede erdenkliche Intrige erhaben. Viele Male noch suchten wir die Vereinigung miteinander und fanden darin die Erfüllung unserer tiefsten Sehnsüchte. Aber ebenso oft wandten wir unsere Häupter gen Osten, sorgenvoll und rastlos, als erwarteten wir Flammenzungen aus der Hauptstadt aufsteigen zu sehen. Wir wünschten ihnen Einsicht für ihren Starrsinn aber nicht den Tod.
 

In Cheranko hatte sich eine Untergrundbewegung entwickelt, die gegen die Anführer rebellierte. Doch mit den verstärkten Wachposten konnte ihr Vorhaben unter keinen Umständen erfolgreich sein.
 

Einmischen? – Nein.

Der Konflikt würde Krieg zwischen den Verfechtern meiner Idee und den Traditionalisten hervorrufen. Es würden nur noch mehr Männer sterben.
 

Ich suchte nach einem Ausweg im Gespräch mit Forte und Rastor, Nox und Dur. Gemeinsam saßen wir im Ratssaal von Variscs Stadthalle. Meister Crescendo war es nicht möglich der Unterredung beizuwohnen. Sein hohes Alter machte sich nun allmählich bemerkbar und so zog er es vor im Heim der Weisen von den Ergebnissen unterrichtet zu werden.

Forte saß neben mir am Kopfende des Tisches, forschend in die Runde blickend um letztlich an meinen Zügen hängen zu bleiben. Ich aber hing der Vergangenheit nach.

„Vater, an was denkt Ihr?“, fragte Nox und holte mich aus der farblosen Welt meiner Erinnerungen zurück. Eine Antwort fiel mir schwer. „Grämt Euch nicht, liebster Freund“, sagte Forte. Ich seufzte.
 

Die Spannung füllte den Raum bis er zu bersten drohte.

„Nun hört, Chrys, lasst uns Truppen nach Cheranko entsenden! Ihr wisst, wie unvernünftig die Triade handelt!“, fauchte Rastor und schlug mit der Faust auf den Tisch.
 

Diese Unterredung dauerte schon viel zu lange und alle warteten auf ein Ergebnis. Sie erwarteten es von mir.

„Nein“, sagte ich bedächtig. Rastor blickte mich zornig an. „Was ist falsch daran? Sie verstehen nur die Sprache der scharfen Klingen! Die Fürsten gründen ihre Macht darauf!“ Er kam auf mich zu und funkelte mich böse an. „Tretet von meinem Vater zurück!“, knurrte Nox und legte Hand an den Griff seines Schwertes. Forte hielt den jungen Krieger auf Abstand. Ich bedachte meinen Sohn mit einem sanften Blick, der ihn beruhigte.

„Ich fürchte den Kampf mit Cherankos Truppen nicht, glaubt mir. Doch ist mir bewusst, welche Folgen entstehen, wenn der Krieg ausbricht“, sprach ausgerechnet Forte meine Gedanken aus. „Fürst Rastor, eine Delegation soll entsandt werden und keine Armee. Ich selbst werde nach Cheranko reisen“, beschloss ich mit fester Stimme. „Chrys, ich werde mit Euch gehen. Ihr, Fürst Rastor, entscheidet selbst, ob Ihr uns begleiten wollt“, sagte Forte, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und legte mir seine Hände auf die Schultern.

Nox schnaubte. Er wollte reisen und mir den Weg ersparen. Doch sein Temperament überstieg sein diplomatisches Geschick. Ich vertraute ihm, aber die Verhandlungen lagen bei mir in sichereren Händen, denn dem Jungen fehlte es noch an Erfahrung.

„Keine Sorge, Nox. Ich werde deinen Vater beschützen“, lächelte Forte. Dur sah seinen Vater an. „Tut nichts Unüberlegtes, mein Vater. Euer Leben ist ebenso bedeutsam wie das des Fürsten von Varisc“, sagte er demütig. „Deinem Vater wird nichts geschehen, Dur. Unser Gefolge wird Augen und Ohren für unsere Sicherheit offen halten“, entgegnete ich und sah zu Forte auf. Er nickte und strich mir über meine bloße Schulter. „Fürst Rastor, wählt Eure Eskorte weise. In drei Tagen brechen wir nach Cheranko auf“, beschloss Forte das Krisengespräch.
 

Den Jungen sah ich an, dass sie im Geheimen etwas planten. „Nox und Dur, folgt mir zum Heim der Weisen. Meister Crescendo muss von der Entscheidung erfahren“, sagte ich und stand vom Tisch auf.

Forte und Rastor kümmerten sich um die Gefolgschaft, während die Jungen mir zum Heim der Weisen folgten. Ich wollte ihre Pläne im Keim ersticken. Würden sie nicht auf mich hören, konnte ihnen mein alter Lehrmeister zu Vernunft verhelfen.
 

Sie warfen sich verstohlene Blicke zu.

Ich befürchtete, Dur würde Nox nicht besänftigen können.
 

Sie waren Brüder. Nicht im Geiste, nicht in ihrer namekianischen Abstammung. Sie stammten aus meiner ersten Vereinigung mit Forte. In ihnen floss das Blut aus Varisc und Reven. Sie waren Brüder, doch sie wussten es nicht.

Crescendo wusste es. Er war einer der Überlebenden des Krieges zu Varisc, der nun einundfünfzig Zyklen zurücklag. Die Kinder – meine Brüder – waren längst erwachsen und hatten ihre eigenen Familien gegründet. Sie blieben in der Stadt und bald darauf bevölkerten neunhundertachtundsiebzig Bewohner den geschichtsträchtigen Ort. Täglich wurden es mehr. Sie wollten Sicherheit und sie sollten von mir nicht enttäuscht werden. Ich würde sie nicht im Stich lassen. Der „Wille des Drachen“ war mit mir und meinen Anhängern.
 

Vor dem Tor des Heims der Weisen wandte ich mich den Jungen zu.

„Nox, ich vertraue dir die Stadt an bis ich zurückkehre. Höre Meister Crescendo zu. Du wirst seine Erfahrung brauchen können. Dies ist unsere Stadt und du wirst sie verteidigen“, sagte ich zu ihm. Nox zögerte. „Erweise dich dem Fürstentum von Varisc als würdig. Beweise mir, dass du eines Tages als mein Nachfolger umsichtig regieren kannst.“ Nox nickte. Aber unter der Oberfläche brodelte es. Ich wollte ihn nicht zur Untätigkeit verdammen, doch seine ungestüme Art war in dieser Situation fehl am Platze. „Dur, möchtest du nach Reven zurückkehren um deinen Vater zu vertreten?“ –„Nein, mein Fürst“, sagte Dur schüchtern. Er blickte zu Boden als erwartete er einen Tadel von mir. „Sprich, Dur und fürchte mich nicht. Du darfst deinem eigenen Weg folgen, wenn du es wünschst.“ Er verneigte sich vor mir. „Zeig auch du Mut, Sohn des Forte, Kind aus Revens Mauern, das du ein Wunder bist.“

Er glaubte an seinen Vater, aber sein Vertrauen in sich selbst wollte durch die Zeit gefestigt werden.
 

Wir betraten den Saal, in dem sich das Licht in der Mitte konzentrierte. Dort schwebte Crescendo meditierend in den Sonnenstrahlen.

„Chrys, tretet näher. Berichtet mir von Eurer Unterredung“, sagte er heiser, löste sich aus seiner Pose und kam langsam auf mich und meine jungen Begleiter zu. Nun verneigte ich mich und die Jungen taten es mir gleich.

„Die alliierten Fürsten und ich reisen mit einem Gefolge nach Cheranko. Für Ystaks Volk bleibt nicht viel Zeit und der Himmel verfinstert sich weiter.“ –„Ihr habt Recht, mein Fürst. Nehmt Euch vor dem verschlagenen Dreigestirn in Acht. Ihr wisst am besten wie viel von Eurem Verhandlungsgeschick abhängt.“ –„Meister, lehrt meine Begleiter und beratet sie während meiner Abwesenheit.“ –„Wie Ihr wünscht, Chrys. Eure Kinder lernen was immer sie erfahren möchten. Wann brecht Ihr auf?“ –„In drei Tagen ziehen wir dorthin. Nox und Dur werden hier bei Euch bleiben und die Stadt mit Eurer Hilfe behüten.“
 

Ich spürte das Unbehagen der Jungen durch die Luft. Doch es war mehr Dur als Nox, der sich vor der Unabhängigkeit ängstigte. Ich sah in seine blauen Augen und verstand. Er musste schnell an Vertrauen gewinnen, sonst stünde Reven ein schwacher Fürst bevor und ich hätte mit meinem Blut dazu beigetragen.

„Habt ein wachsames Auge auf sie. Am besten lasst Ihr sie die Stadt nicht verlassen. Ich spüre, dass sie uns nachfolgen wollen“, sagte ich hinter der Hand zu Crescendo. Ich hoffte, dass er Dur die Entscheidungen überließ und ihm beibrachte, dass er sich nicht hinter seinem Vater zu verstecken brauchte.
 

In drei Tagen konnten sie sich als würdig erweisen.
 

„Ich muss euch vor meiner Reise etwas gestehen…“, setzte ich in Gedanken schon an, verwarf es jedoch augenblicklich wieder. Nun, es war nicht der richtige Zeitpunkt ihnen ihre Abstammung zu erklären.

Doch würde dieser Tag jemals kommen?
 

Nicht einmal ich wusste den Namen von Vaters Gefährten und ich dachte, ich hätte nicht das Recht besessen ihn danach zu fragen. Die Kinder aus meinen Vereinigungen sollten davon erfahren, dass Forte es war und dass sein Blut durch ihre Adern floss. Sie sollten die Einigkeit von Varisc und Reven verstehen.

Kein Krieg durfte die Allianz jemals entzweien. Dieses Band war enger als es ein territorialer Zusammenschluss sein konnte, der bald unausweichlich werden würde, denn beide Städte expandierten unaufhaltsam.
 

„Vater, lasst mich mit Euch reiten!“, forderte Nox. Dur verzog keine Miene. „Nein“, antwortete ich und verschränkte die Arme vor meiner Brust. „Ich dulde keine Widerworte von dir. Dein Platz ist hier in Varisc, wo du sicher bist. Sei nicht töricht und gehorche mir!“, donnerte ich. Dur zuckte ängstlich zusammen. Diese Standpauke gebührte nicht ihm, sondern Nox, dessen Augen sich zu Schlitzen verengten vor Wut.
 

Mir war als hätte ich dieselbe Situation vor ewiger Zeit schon einmal erlebt. Ja. Ich erinnerte mich. Ich hatte mich vor unsagbar vielen Zyklen in den Stallungen versteckt um die jungen Num beim Schlupf zu beobachten. Ich wollte mit den Wachen reiten und wilde Num fangen. Vater durchschaute mein Vorhaben und ließ mich zurückbringen. Er fürchtete, mein Leben wäre in Gefahr und befahl mir die Stadtgrenzen unter keinen Umständen zu verlassen. Doch ich gehorchte nicht und wäre in der Nähe der Kerberafelder beinahe ertrunken. Vater sprach zwei Wochen nicht ein Wort mit mir, sah mich nicht einmal an. Damals war es die größte Qual für mich und sie war es noch.

Dies wollte ich Nox ersparen, in dem ich ihn Crescendo unterstellte. Für diesen Moment beugte er sich meinem Befehl. Ich selbst würde vor Gram zu Grunde gehen, wenn meinem Ältesten etwas zustieße.

Nox blickte mich böse an. „Ihr versteht gar nichts!“, fauchte er und wandte mir seinen Rücken zu. Ich verstand nur zu gut. Er wollte mir beweise welche Fähigkeiten er sich angeeignet hatte und sie auch einzusetzen wusste.
 

Ich seufzte schwer. Nicht zum ersten Mal während dieser Krisenzeit.
 

„Mein Fürst, ich gebe Euch einen Beutel mit getrockneter Kerbera für Eure Reise. Die Zeiten sind unsicher und man stellt Euch nach“, sagte Crescendo und ging um die Medizin aus seinen Gemächern zu holen.

Dur trat an Nox heran und flüsterte ihm etwas zu. In meinem tiefsten Inneren fühlte ich, dass sie meine Befehle missachten würden.

Meister Crescendo kehrte mit dem Medizinbeutel zu uns zurück und überreichte ihn mir. „Ich bete für Euch, dass Ihr es nicht brauchen werdet, Chrys“, sagte er. Ich verneigte mich abermals und verließ die Halle der Weisen ohne meine Begleiter. Ich wollte Forte von meinem Verdacht berichten. Nox war verärgert und würde und würde nun alle Hebel in Bewegung setzen um der Delegation nach Cheranko nachzufolgen. So blieb mir nichts anderes übrig als auf Crescendo und Dur zu vertrauen. Dur, ja. Ich konnte nur hoffen. Es wäre der falsche Zeitpunkt seinen Mut unter Beweis zu stellen.
 

Unterhalb der Klippe, auf der die Stadthalle thronte, sammelte sich eine kleine Gruppe Krieger aus Varisc und wie ich erkannte auch Soldaten aus Reven. Auch Forte war unter den Versammelten, doch als er mich sah, stieg er zu mir auf. „Was bedrückt Euch, liebster Freund?“, fragte er, als er neben mir gelandet war. „Ich fürchte um unsere Söhne, Forte“, sagte ich und blickte gen Himmel, wo sich in weiter Ferne finstere Wolken zusammenzogen und Unheil für Namek verkündeten. „Ein Fluch muss auf der Jugend liegen“, seufzte ich. Forte stopfte seine Pfeife mit Ajisakraut und entzündete es. „Auch ich habe meinem Vater Kummer bereitet. Beruhigt Euer Herz und vergebt ihnen“, sagte Forte und reichte mir die Pfeife.

Der Rauch des Ajisakrauts zog sanft in meine Lungen. Obwohl es verbrannte, war der Rauch kalt. Der süßliche Geschmack beruhigte mein Gemüt.

Ich gab Forte seine Pfeife zurück und rang mich zu einem dünnen Lächeln durch. Er hatte Recht in allem was er sagte. Vielleicht litt ich mehr darunter als er.

Nox wollte mir helfen um jeden Preis, so wie ich meinem Vater zu einer größeren Herde zu verhelfen versuchte. Aber die Situation war nun sehr viel gefährlicher und Hunderte konnten dabei ihre Leben einbüßen. Ich würde meine Entscheidung nicht rückgängig machen, beschloss ich.

Forte bot mir seine Pfeife wieder an, aber ich lehnte ab.

Ein Zug klärte mein Bewusstsein. Ein Weiterer würde jedoch einen Schleier über jede Erkenntnis legen.

Forte lächelte benebelt. „Ihr wollt wirklich nicht noch einen Zug?“, fragte er. „Ihr amüsiert mich. Wie könnt Ihr an Eure Pfeife denken, wenn in der Ferne die Welt untergeht?“ –„Cherankos Fürsten werden uns nicht standhalten und das wisst Ihr auch. Gebt Euch einen Stoß und befreit Euren Geist von der Last.“ Ich nahm seine Pfeife und der süßliche Rauch erfüllte abermals meine Lungen. Es zerstreute meine Furcht, doch etwas Unsicherheit blieb in mir zurück. Nach dem dritten Zug folgte Forte mir in meine Gemächer.

Mein Schädel brummte und in meinen Eingeweiden rumorte es. Es war nicht das Gefühl, das mich überkam, wenn sich ein neues Leben seinen Weg in die Welt bahnte. Nein. Die Ajisapfeife war auch nicht schuld. Sie versetzte zwar in einen Rausch, jedoch verursachte sie mir nie Übelkeit.

Forte betrachtete mich besorgt, als ich auf mein Lager sank. Mir war als würde ich alles um mich herum doppelt sehen und mein Atem ging schwer. „Forte, helft mir!“, keuchte ich und verlor mein Bewusstsein.

Abschnitt 2

„Vater, ich bitte Euch, lebt! Verlasst uns nicht!“, weinte eine Stimme neben meinem Lager. „Warte, Nox. Du weißt nicht, ob er dich hören kann. Sein Fieber ist sehr hoch,“ sagte eine heisere Stimme.

Ich riss meine Augen auf und schnappte nach Luft. Nur Forte wachte an meinem Lager. Cre-scendo und Nox waren verschwunden und draußen vor dem Fenster verschwand der einst strahlende Himmel hinter einem unheilvollen Wolkenschleier. Was ist mit mir geschehen?“, fragte ich geschwächt. „Ein Fieber brachte Euch zu Fall, liebster Freund. Wir haben einen Tag der Vorbereitung eingebüßt. Keiner vermochte auch nur wenige Schritte zu gehen ohne Sorge um Euch zu verspüren“, sagte er sanft und nahm meine rechte Hand. Sie war kalt und Fortes Griff schmerzte. „Ich werde Euch nicht zurücklassen, Chrys. Ich werde veranlassen, dass un-sere Abreise verschoben wird.“ –„Nein. Ich werde mit Euch reisen, Forte. Es steht mehr als mein eigenes Leben auf dem Spiel“, hustete ich. „Diese Entscheidung trefft allein Ihr. Gebt auf Euch Acht. Ich werde an Euerer Seite stehen, was auch immer uns in Cheranko begegnen wird. Doch gebt nicht Euer Leben. Ihr seit in meinem Herzen, wie Ihr wisst“, sprach er, deck-te mich zu und wechselte den feuchten Umschlag auf meiner Stirn. „Bitte, schickt nach Nox und lasst in der Stadt von meiner Genesung berichten. Der Zeitplan darf nicht wanken. Wir dürfen keine Schwäche zeigen.“ Meine Stimme verlor an Kraft. Ich wollte, dass er blieb. For-te durfte mich nicht allein lassen.
 

Schmerz durchzuckte meinen Leib. Ich legte meine Hände auf meine Brust und fühlte mein Herz kräftig schlagen. Ich würde nach Cheranko reisen und die Revolution auf Namek voran treiben können.

Forte kehrte mit Nox und Crescendo an mein Lager zurück.

„Vater, Euch geht es gut!“, rief Nox und fiel mir um den Hals. „Langsam, Nox. Dein Vater braucht noch Ruhe. Fieber kann ich ihm nicht nehmen“, sagte Crescendo und lächelte mich wohlwollend an. Forte richtete mich auf und blieb neben mir sitzen. „Mir geht es gut, mein Sohn. Ich bin noch etwas schwach, aber das wird sich bald geben.“ Meine Stimme kehrte zu mir zurück. Crescendo fühlte meine Stirn. “Eure Temperatur ist merkbar gesunken. Ihr könnt bald wieder aufstehen. Euer Körper ist stärker als Ihr wusstet, mein Fürst“, erklärte er. Die Augen von Forte und Nox leuchteten erleichtert.

So stark, wie er sagte, konnte ich nicht sein. Schwäche belagerte meine Glieder, doch durfte ich den Jungen nicht dazu ermutigen nach Cheranko zu reisen. Crescendo wusste, dass ich so dachte uns so handeln würde. Deshalb half er mir Nox etwas vorzugaukeln. Auch Forte spiel-te seine Rolle glaubhaft. Die Stadtbewohner, Nox und Rastor mussten nicht von meinem wah-ren Zustand wissen.

Das Fieber fiel zwar, aber die Krankheit war noch nicht ausgestanden. Sie stammte von den Flüchtlingen aus Ystak. Dort grassierte die To’ori und raffte Mann um Mann dahin. Nur die Kräftigsten überlebten. Zu denen – das wusste ich – gehörte ich nicht. Noch konnte sich nie-mand bei mir anstecken. Bis dorthin würde mir noch eine Woche bleiben. Nun war die Reise nach Cheranko nicht mehr nur politischer Natur, nein, es ging nun auch um meine Existenz.
 

Cheranko war über einer Quelle erbaut worden, deren heißes Wasser aus Nameks Grundge-stein sprudelnd die einzige war, die To’ori zu heilen vermochte.
 

Mein Körper ächzte unter der Anstrengung wach zu bleiben. „Wenn ich aus Cheranko zu-rückkehre, werde ich etwas für dich schmieden“, hustete ich in meine Hand. „Danke für alles, mein Vater. Eure Heimkehr ist mir wichtiger als irgendetwas sonst auf Namek“, sagte er als ahnte er unsere Posse und meinen Untergang. Ich glaubte zu hören, dass er meinen Tod als unausweichlich empfand. „Nox, gehorche Meister Crescendo. Mir liegt viel daran, dass Va-risc Frei und die Stadt bleibt, die sie ist. Ich werde nicht lange fort sein.“

Ich hoffte darauf. Würden sie mir den Weg zur Quelle verwehren, konnte niemand mehr et-was für mich tun. Elendig verreckten sie, die Opfer der To’ori und ich mit ihnen. Doch noch war Zeit und unsere Num würden uns im Eiltempo nach Cheranko tragen.
 

Ich hustete abermals. „Lasst uns gehen, Nox und Forte. Mein Fürst verdient nun Schlaf“, mahnte Meister Crescendo zum Aufbruch. „Nein. Bleibt in meiner Nähe, Forte“, bat ich leise und hielt ihn am Arm. „Wie Ihr wünscht, Chrys. Ich will über Euren Schlaf wachen“, lächelte er und brachte mich zu liegen.

Nox und Crescendo verließen meine Gemächer.

„Euer Sohn fürchtet um Euer Leben. Er ist ein edler, junger Herr“, sagte Forte sanft. „Nox ist auch Euer Blut, liebster Freund“, lächelte ich erschöpft. „Das ist mir wohl bewusst und auch Dur ist gut geraten.“ –„Ihr müsst ihm mehr Freiheit geben, aber das sage ich Euch nicht zum ersten Mal. Er hat Angst vor der Welt und was um ihn herum geschieht. Er ist sehr klug, doch fehlt ihm der Mut und die Entschlusskraft.“ –„Ihr habt Recht. Dur schlägt sehr nach Euch. Ich würde Eure besonnene Art sehr vermissen, Chrys, mein liebster Freund.“

Forte zog mir die Decke bis auf die Brust und legte mir einen feuchten Umschlag auf meine Stirn. Ich lächelte benommen und schlief ein. Für Minuten, für einige Stunden. Ich wusste es nicht.

„Bringt ihn direkt nach Eurer Ankunft zur Quelle. Ihr wisst nicht, auf welche Hindernisse Ihr unterwegs trefft. Der direkte Pfad ist überflutet und das Wetter könnte Euch überrumpeln. Die finsteren Wolken künden von Regen, Forte und mein Fürst darf nicht frieren.“ –„Ich verstehe. Wir werden eine Straße weiter südlich einschlagen um ihn sicher nach Cheranko zu bringen. Sein Leben ist mir wichtiger als mein eigenes. Ohne Chrys wird sich Namek nicht zum Guten verändern. Ihr, Meister, wisst, wie ich für ihn empfinde.“ –„Ich lege das Leben meines Fürs-ten in Eure Hände, Forte. Ihr seit sein Gefährte.“

Lange hörte ich ihnen zu bis der traumlose Schlaf wieder über mich hereinbrach.
 

Am anderen Tag wurde ich geweckt. „Wacht auf, Chrys. Bitte, kommt zu Euch.“ Forte richte-te mich auch und langsam öffnete ich meine Augen. „Dank Euch, Forte“, krächzte ich. Es war sehr mühsam auf meine Beinen zu stehen und in meiner Brust brannte es wie Flammen. Aber ich musste mich beherrschen um die Stadtbevölkerung nicht aus dem Gleichgewicht zu brin-gen.

Ich legte meine Stiefel und meinen Mantel an und stieg die Rampe von meinen Gemächern hinunter in die Halle. Forte folgte mir und beobachtete jeden Schritt, den ich tat. Sollte ich fallen – was in meiner Lage wohl unvermeidbar war – würde er mich festhalten. Einen Schritt vor dem Weg verlor ich meine Balance, obwohl ich mich schon sicher auf dem Boden wähn-te. Forte griff mich und hielt mich an meiner linken Schulter. Ich knurrte unter seinem festen Griff auf, denn die alte Narbe schien dem Druck nicht gewachsen. „Entschuldigt. Ich wollte Euch keine Schmerzen zufügen“, sagte Forte leise na meinem rechten Ohr. Ich atmete erleich-tert aus und setzte meinen Gang hinaus auf die Klippe fort. Ohne weitere Missgeschicke ge-langten wir hinunter zu unseren Num. Otea wandte seinen großen Kopf nach mir um und schnatterte fröhlich. Auch Istur, Fortes treues Reittier, zwitscherte aufgeregt.
 

Mein Tier ließ mich aufsitzen.
 

Rastors Num war noch jung und trug den Namen Jamil. Er war übermütig und scharrte unter seinem Reiter mit den Hufen, warf den Kopf zurück und rieb seine Pfoten aneinander.
 

Meine und Fortes Garde waren behände zu Num, aber Rastors Männer taten sich schwer mit ihren geschwinden Begleitern. Im Inselreich von Lauron gab es keine Reittiere. Aber sie wür-den sich bald daran gewöhnen schnellen Schrittes über die Ebenen zu reisen.
 

Otea blieb mein Zustand nicht verborgen und als sich der Trupp aufmachte, trabte er langsam an um mich nicht abzuwerfen. „Fürst von Varisc, gehorcht Euer Tier nicht?“, fragte Rastor links von mir. „In Eurem Tempo werden wir Cheranko frühestens im nächsten Zyklus errei-chen. Wollt Ihr das?“ –„Mal halblang, Rastor. Wie ich sehe, habt Ihr doch mehr Probleme“, entgegnete Forte rechts von mir und warf mir einen besorgten Blick zu.

Ich presste meine Schenkel so gut ich konnte gegen Oteas Flanken um ihn anzutreiben. „Es geht mir gut, mein treuer Freund. Reite schnell damit ich leben kann“, flüsterte ich und zog am Zügel zum Zeichen für die anderen Reisegeschwindigkeit anzuschlagen.
 

Otea sprengte davon und sie hatten Schwierigkeiten aufzuschließen bis sich ihre Tiere an das Tempo gewöhnt hatten. Istur und Forte schlossen zuerst zu mir auf. Wir waren weit voraus geeilt um unsere Stärke zu demonstrieren, was sich nun rächte. Schweiß rann meine Stirn hinunter, mein Druck gegen Oteas Flanken wurde schwächer. Ich klammerte mich mit meiner rechten Hand an den Sattelknauf. „Chrys, übertreibt es nicht. Bald erreichen wir die Über-schwemmungswiesen. Dort werden wir rasten für ein paar Stunden.“ Forte betrachtete mich. Ich biss mir auf die Lippe und gab Otea wieder Druck. Nun schlossen sich auch Rastor und die Garde uns wieder an. „Ihr habt mir bewiesen, welch Kraft in Eurem Num steckt, Fürst Chrys. Vergebt mir“, schnaufte Rastor. Der etwas beleibte Fürst von Lauron hatte Jamil letzt-lich doch unter Kontrolle bekommen. „Num sind Herdentiere. Sie folgen ihrem Leittier auch in Geschwindigkeit“, lächelte ich und kratzte Otea anerkennend am Hals.

Er war nun Herdenführer und alle anderen Num in den Variscs Stallungen mussten sich ihm unterordnen. Jamil aber sah seinem Leithengst angriffslustig in die Augen. Otea war konse-quenter als ich und schnappte nach dem Maul seines Gegners. Er hatte dem Jüngeren gedroht und gewonnen.

Ich selbst hatte die Rangordnung in Varisc aufgelöst. Ich konnte mein Gegenüber nicht weg-beißen. Sie wollten mich als gewählten Fürsten und nicht als Alleinherrscher.

Jamil senkte seinen schildbesetzten Schädel und Otea beantwortete diese Geste mit hocherha-benem Zwitschern.

Dann setzten wir den Weg fort zu den Wiesen, die seit einem Zyklus unter Wasser standen. Doch hatte Forte nicht eine Straße weiter südlich einschlagen wollen?
 

Kein Num durchquerte gern Gewässer, die tiefer waren als Hüfthöhe. Sie bevorzugten die Ebenen, die Waldgrenzen. Das Meer hatte das Tal geflutet, das wir durchqueren mussten. Die Tiere waren zu schwer beladen um es zu wagen. Wir konnten fliegen, doch würden wir unsere treuen Freunde zurücklassen müssen. Forte würde mein Leben nicht auf diese Weise gefähr-den wollen. Jeder Flug kostete mich unnötig Kraft. Auch davon hatte ihm Crescendo berich-tet.

Nun lenkte ich den Trupp nach Süden um keine Zeit mehr zu verlieren. Die südliche Straße war sicher befestigt. Entlang des Tales würden wir ungefähr einen Tag verlieren. Forte verstand den Plan, den ich verfolgte.
 

Hatte er etwa gewusst, dass ich zuhörte?

Ja. Ja, er wusste davon. Bisher gab er mir freie Entscheidungsgewalt. Wie lange konnte ich den Schein noch aufrecht erhalten?

Abschnitt 3

Meine Arme fühlten sich taub an, als ich in der Ferne den Pfad sehen konnte. Atmen fiel mir immer schwerer. Ich zog am Zügel und brachte Otea auf der Kuppe eines Hügels zum Stehen. Mühsam stieg ich aus dem Sattel. „Wir raten hier!“, befahl ich heiser und ging auf die Knie um frei zu atmen, doch es nutzte mir nicht. Die Luft war heiß und feucht und drückte mich zu Boden. „Errichtet das Lager im Schatten des Waldes!“, ergänzte Forte meinen Befehl. Er kam zu mir und half mir vom nassen Graß auf meine Füße.

„Ihr seht müde aus, Chrys. Ruht Euch aus.“ –„Das will ich tun aber ich kann nicht atmen, Forte." Aus meinem Hals kam nur mehr ein Röcheln. „Haltet durch“, sagte er und schleppte mich zu einem Baum. Dort legte er mich ab und schlug kräftig gegen meine Brust. Ich brachte einen tiefen Atemzug zustande, der in einem Hustenanfall gipfelte. Forte seufzte erleichtert. „Ich werde nicht ohne Euch Cheranko erreichen und auch nicht verlassen. Bleibt bei mir“, sagte er und sah mich an. Der Husten wollte bald meinen Brustkasten zerreißen. In nicht allzu ferner Zukunft würde ich Blut spucken und mich vor Schmerzen krümmen. Fortes Schläge für sich wären schon gründe genug vor Schmerzen zu brüllen und doch hatte er mich dadurch vor dem ersticken bewahrt. „Entschuldigt für meine Grobheit. Beinahe wäret Ihr umgekommen.“ – „Ich danke Euch, Forte. Doch schlagt mich nicht zu fest, sonst vergehe ich an Eurer Kraft.“ Der Hustenanfall ging vorüber.

Ich stemmte mich auf meine Beine und blickte mich um. „Wie lange wird diese Reise dau-ern, liebster Freund?“, fragte ich, als der Wind sich in meinem Mantel fing. „In Eurem tempo und ohne Zwischenfälle nicht länger als weitere drei Tage. Aber Ihr werdet den Ritt so nicht mehr lange fortsetzen können. Euer Körper wird von Stunde zu Stunde schwächer“, sagte Forte bedrückt, stellte sich zu mir und gemeinsam überblickten wir die weite Ebene, die noch vor uns lag.

Drei Tage würde die schwüle Luft noch auf Gesundheit und Gemüt lasten, wenn… ja, wenn wir unsere Reisegeschwindigkeit aufrecht erhalten konnten.
 

Unterdessen hatte unsere Garde einen Lagerplatz errichtet. Rastor saß mit seinen Leuten auf einem gefallenen Baumstamm und rauchte Pfeife, während sich die anderen sich um die Num bemühten.

„Ihr seht sehr blass aus, Fürst von Varisc“, bemerkte er, als wir vorübergingen. „Es ist nichts vorgefallen was Eurer Aufmerksamkeit gebührt“, schnappte Forte.

Lange wollte ich an diesem Ort nicht verweilen. Auf der Rückreise würden wir diesen Platz wieder aufsuchen. Der „Wille des Drachen“ hing schwer an meiner linken Schulter und ich betete dafür meine Klinge umsonst bei mir zu tragen. Meine Mitstreiter waren wesentlich besser gepanzert als ich. Bei einem Ansturm würde mir nur die Flucht bleiben, die in meiner Verfassung bald ein Ende finden würde.
 

Ich kaute nun schon auf meinem zweiten Kanten getrockneter Kerbera herum um nicht auf der Stelle wieder in den Fieberschlaf zu gleiten, was unser Unterfangen noch erschweren könnte. Forte bot mir etwas frische Frucht an, doch och lehnte ab. So widerlich die Medizin auch schmeckte, beharrte ich doch darauf. So, hoffte ich, könnte ich meinen Verfall aufhalten, ihn wenigstens verlangsamen.

Meine Brüder, die mit mir reisten, teilten die Früchte unter uns auf und befestigten einige als Wegzehrung an den Sätteln der Tiere, während diese ihrerseits Futter für die nächste Etappe der Reise aufnahmen.

„Wir müssen weiter“, sagte ich tonlos und schritt hinunter ins Tal hinab zu Otea, der an einer überreifen Frucht fraß. Er zwitscherte und kam auf mich zu, leckte mir über mein schweiß-nasses Gesicht. „Bring mich nach Cheranko, mein alter Freund. Hilf mir. Ich kann dir keinen Druck geben. Ich fühle mich ausgelaugt“, flüsterte ich. Er stupste mich freundlich mit seinem Maul an.

Den kraftstrotzenden Num machte die Wärme und Feuchtigkeit nichts aus.

Istur scharrte mit seinen Hufen, als Forte hinter mir erschien. „Was tut Ihr? Seid nicht unver-nünftig und handelt auf eigene Faust. Ich erkenne Euch kaum wieder in Eurer Ungeduld. Das Risiko ist zu groß für Euch alleine. Geht nicht. Ich fürchte, ich würde Euch niemals wiederse-hen“, sprach er und sah mir in meine Augen. „Euer goldener Blick bedeutet Freiheit für Na-mek. Viele wären ohne Euch längst nicht mehr am Leben und Ystak, Devar und Sojis hätten keine Chance auf Rettung. Cheranko gehört auch dazu. Sie mögen zwar engstirnig sein, doch verdienen sie Euer Licht.“

Ich nickte. „Ich gebe nicht auf, liebster Freund, aber meine Zeit läuft ab. Ihr erkennt meine Furcht in meinen Augen.“
 

Forte verlor keine Zeit.

„Wir brechen auf!“, befahl er harsch und blickte grimmig in die Runde. „Fürst von Reven, warum so plötzlich? Erklärt es mir. Warum ist Euch an so schnellem Aufbruch gelegen?“ –„In Ystak sterben stündlich mehr und mehr Männer. Ist dies für Euch nicht genug?“ Rastor wuchtete sich von seinem Baumstamm hoch und sah Forte forschend an. „Wenn Ihr ihm nicht gehorcht, dann folgt wenigstens meinen Worten“, entgegnete ich. „Was ist der wahre Grund für diese Pilgerfahrt? Erklärt es mir damit ich Euch verstehen kann“, forderte Rastor.

Ich wünschte, ich müsste ihm nicht ein Wort offenbaren.

„Fürst von Lauron, ich bin sehr krank. Die To’ori hat mich ereilt…“ Er ließ mich nicht aus-sprechen, wich vor mir zurück: „Kommt mir nicht näher! Ich will noch viele Zyklen leben. Weicht von mir! Führt Euren aussichtslosen Weg alleine fort! Kaum ein Mann kann die To’ori überleben und Ihr gehört gewiss nicht zu den Überlebenden!“ Die blanke Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Forte packte ihn am Kragen.

„Wie sprecht Ihr mit dem Fürsten von Varisc?! Ihr seid nichts weiter als ein erbärmlicher Feigling! Nun könnt Ihr nicht mehr zurückkehren ohne Euren eigenen Clan zu gefährden! Wir werden mit ihm gehen oder sterben! Habt Ihr mich verstanden?!“, zischte Forte zor4nig und ließ von Rastor ab, als ich ihm meine Hand auf die linke Schulter legte. „Noch könnt Ihr Euch nicht bei mir anstecken. Ich habe noch fünf Tage bis ich mich zurückziehen muss. Dies ist der Grund für meine Eile. Verzeiht. Ich habe Euch nicht eingeweiht.“ –„Ihr hofft auf Heilung in Cherankos Quellen, nicht wahr?!“ –„Ja. Doch Ystaks Freiheit ist der eigentliche Grund. Vor drei Tagen brachte mich das Fieber zu Fall. In einer Woche wähle ich meinen eigenen Tod um die Städte nicht zu gefährden.“

Forte starrte mich ungläubig an. „Das lasse ich nicht zu, Chrys. Wir werden alle Cheranko erreichen und die Quelle gemeinsam betreten. Ich werde niemanden auf Nameks Ebenen zu-rücklassen“, sagte er ernst. „Ich habe keine andere Wahl als Euch zu folgen. Ich bete, dass diese Reise nicht als Leichenzug einkehrt“, sagte Rastor matt und nickte.
 

Wir bestiegen wieder unsere Tiere.

Inzwischen fror ich, aber ich würde bis zu nächsten Rast durchhalten. Otea galoppierte an und beinahe wäre ich aus dem Sattel gerutscht, doch mit aller Kraft gelang es mir mich am Zügel und am Sattelknauf aufrecht zu halten.

Die anderen Num folgten ihrem Anführer der Reihe nach über die eilig gezimmerte Brücke., die unter den Hufschlägen erbebte. Auf der anderen Seite graste eine kleine Herde und als Otea vorbei jagte, folgten sie uns nach bis wir ihr Revier wieder verließen. Ich wollte die Schönheit dieser Tiere bald wiedersehen. Bald… wenn ich gesund und die Städte frei waren.
 

Die Stimmung unter uns war sehr angespannt und ich glaubte, Rastors Loyalität schwanken zu sehen. Fortes Würgegriff hatte ihm zugesetzt und so würde er zwar nicht auf mich, jedoch aber auf seinen Peiniger horchen.

Ich klapperte mit meinen Zähnen und zog mit der linken Hand meinen wehenden Mantel an mich heran. Forte ritt zwischen Rastor und mir. „Schafft Ihr es noch bis zur nächsten Rast, Chrys? Meister Crescendo wies mich an Euch warm zu halten, wenn Ihr friert.“ –„Es ist nur der Gegenwind, liebster Freund“, entgegnete ich und trieb Otea an. Mir war kalt, aber ich würde durchhalten.

Ich wollte bis zum letzten Tropfen Blut in meinen Adern kämpfen um meine Ziele zu errei-chen. Die freien und die unterdrückten Bürger Nameks vertrauten auf mein Verhandlungsge-schick.

Otea sprang über ein Rinnsal und meine Gedanken kehrten in die Wirklichkeit zurück. Unsere Pläne würden scheitern, wenn sich Rastor gegen mich stellen würde oder die Seite wechselte. Der Stern dieser Reise würde sinken und bald verlöschen.
 

Ohne Umwege erreichten wir nach einem weiteren halben Tag die Klippen Kurm. Dort war der Wind weniger stark.

Diesen und noch fünf weitere Lagerplätze würden wir errichten bis wir Cherankos Stadtgren-ze überschritten.

Die Sturmfront über uns verdichtete sich zu einer undurchdringlichen Wolkenwand. Es wurde am Boden merklich kühler und leichter Regen setzte ein. Jenseits der Bergkämme peitschte der Wind das Meer auf und ließ es in Gischtwolken gegen das Ufer schlagen. Nach einer Ru-hezeit würden wir die schützenden Klippen passieren und uns dem schneidenden Wind aus-setzen müssen.

Unsere Garde nahm den Num ihre Sättel ab und brachten die Vorräte in das trockene Wäld-chen, wo wir Schutz vor dem Regen gesucht hatten. Unter den niedrigen, blauen Wipfeln bau-ten sie einen Unterstand, wo wir ein wenig schlafen sollten und auch dieses Mal träumte ich in Fortes Armen von der Vergangenheit.
 

Vor 18000 Zyklen regierten die Gemaphim in Cheranko. Sie waren der Ursprung von allem. So erzählte es mir mein Vater, als ich erst wenige Zyklen alt war. Auch Vaidur gehörte zu ihnen. Doch ihr Wissen ging vor langer Zeit in einem Krieg verloren. Sie starben um ihre freien Familien zu beschützen. Ihre Macht, so erzählte man sich, wurde in den Drachenkugeln für alle Zeit versiegelt bis sie Nameks Volk wieder dienen würden. Jeder Clan in jeder Stadt besaß nun eine Kugel. Sie hielten die Kräfte im Gleichgewicht. Seit damals behielten die Städte ihre Angelegenheiten in den eigenen Mauern und lösten ihre Probleme auf ihre eigene Weise, ohne das sich jemals andere einmischten. Die Drachenkugeln gaben den Bürgern Mut, denn ein Gemaphim wachte über sie. Aber niemand wusste, wie man die allmächtigen Kugeln und ihre Geister aufrief. Keiner kannte den Schlüssel, obwohl es viele Generationen versuch-ten.

So wurde die Legende der Gemaphim beinahe vergessen.
 

„Chrys, wacht auf. Die Schauer sind vorüber“, flüsterte Forte und als ich erwachte, lag wieder die drückende Feuchte des Vortages in der Luft.

„Ihr spracht im Schlaf von den Gemaphim, liebster Freund. Ihr erinnert Euch an diese alte Geschichte und das stimmt mich froh. Auch ich weiß noch davon“, lächelte er. „Glaubt Ihr daran, Forte?“, fragte ich und setzte mich auf. „Mein Vater glaubte an etwas, das in den Dra-chenkugeln schlummern soll und ich sollte den Geistern meiner Ahnen im Gebet Respekt zollen um Revens Volk zu behüten.“ –„Werden sie eines Tages zurückkehren?“ –„Wischt den Traum aus Eurem Gedächtnis. Sie waren immer schon nicht mehr als ein Mythos. Der Schlüssel wurde nie gefunden und wird bis in alle Ewigkeit verschollen bleiben.“ Ich aber wollte daran glauben, musste mich an etwas festhalten.

Nirgendwo auf Namek fand sich mehr ein Beweis für die Existenz der Gemaphim. In keiner Stadt und auch nicht im Ursprung kannte man den Verbleib des Schlüssels.
 

Wir stärkten uns mit Kerberafrüchten und setzten unsere Reise fort. Mein Fieber hatte sich eingependelt. Mein Körper kämpfte gegen den Schleim in meiner Lunge an.

Ich fragte mich worüber Forte nachdachte, als wir den Schutz der nahen Klippen verließen und an der flachen Küste entlang der Straße nach Cheranko folgten. In weiter Ferne zuckten Blitze über das Firmament.

Ich trieb Otea weiter an.
 

Der Schlüssel allein würde dem Sturm in all seiner Zerstörungskraft Einhalt gebieten können.

Abschnitt 4

„Was erzählt man sich über Euch?! Ihr glaubt noch an die Gemaphim?! Kein Schlüpfling verschwendet auch nur einen Gedanken darauf. Was seid Ihr bloß für ein Fürst, der noch diese alte Mär im Herzen trägt?!“, spottete Rastor und unter schallendem Gelächter ließ er sich zur Garde zurückfallen.

„Sagt mir, liebster Freund, wie er davon erfahren konnte:“ –„Nach ein paar Zügen Ajisakraut sitzt meine Zunge locker. Entschuldigt, Chrys. Ich war unachtsam. Verzeiht mir“, sagte Forte beschämt und ließ sich ebenfalls zurückfallen.
 

Rastor war ein Plappermaul.
 

Ich würde Forte verzeihen. Es war seine Art bei einer guten Pfeife und Gesellschaft über Din-ge zu sprechen, die ihm auf der Seele lagen. Offenbar ließ die Geschichte der Gemaphim auch von ihm nicht mehr ab.

Was, wenn sie mitten unter uns waren? Was, wenn einer den Schlüssel kannte?
 

Ich verzog angewidert mein Gesicht, als ich mir vorstellte, dass Rastor davon wusste und ihn benutzen würde. Dennoch hoffte ich, dass Forte seinen Zorn zügelte und Laurons Fürsten nichts antat.

Ich zwang den Trupp eine Rast auszulassen. An diesem Tag wechselte ich kein Wort mehr mit Rastor, Forte oder den anderen. So erreichten wir mit einem halben Tag Vorsprung ein freies Dorf, wo wir zu ruhen gedachten.

Die Dorfbewohner umringten uns, priesen uns als die Befreier. Mir war nicht wohl dabei. Etwas feindseliges war zu spüren. Forte erkannte es auch, aber Rastor ging darauf ein mit ihnen zu feiern.

Als wir an der langen Tafel versammelt waren, füllte das Dorfoberhaupt unsere Kelche mit dem starken Gebräu aus Ajisablüten. Ich lehnte meinen und Fortes ab. Wir würden unsere Wegzehrung bevorzugen. Auf eine List wollten wir nicht hereinfallen.

„Seid nicht dumm und lehnt die Gastfreundlichkeit der Leute nicht ab“, sagte Rastor und nahm einen großen Schluck.
 

Wie die Blätter versetzten auch die Blüten in einen Rausch.

Ich schüttelte nur meinen Kopf. Für solche Ausschweife konnte er teuer bezahlen. Wir alle hätten die Folgen zu tragen.

Danach wurde eine Pfeife gereicht. Ich sah Forte grimmig an und er gab sie an den Über-nächsten weiter. Nach ein paar Kelchen sang Rastor mit den Dorfbewohnern bis er auf seinem Platz einschlief. Ich schämte mich für dieses Saufgelage.
 

Die Dorfbewohner flüsterten untereinander.

Ich behielt Recht mit meinem Gefühl, denn sie hatten uns betäuben wollen um uns zu berau-ben. Forte zog seinen Zweihänder um sein Leben, meines, Rastors und unsere Garde zu ver-teidigen. „Ihr Heuchler! Wer hat euch befohlen?“, fauchte er. „Man zahlt uns gut für den Tod der Widerspenstigen, Fürst von Reven“, sagte der Anführer und beförderte eine Schriftrolle zu Tage. „Was versprach man euch? Sprecht! Warum wollt ihr uns verraten?“, fragte ich und schloss meine Rechte um den Griff meines Schwertes. Ich würde es nicht ohne weiteres ein-setzen können. Ich wollte das Siegel unberührt lassen, die Klinge nicht für niedere Zwecke missbrauchen.
 

Sie kamen uns bedrohlich nahe.

„Fürst von Reven, lasst Euer Schwert fallen oder Euer Begleiter stirbt hier!“, donnerte der Anführer und hielt Rastor seinen Dolch an die Kehle. Forte ließ seine Klinge zu Boden sin-ken.

Wir wurden in einer Ecke des Raumes zusammengedrängt.

„Haltet euch von mir fern oder ich töte mich selbst!“, knurrte ich und stellte mich vor Forte, zog Norat – meine Sei – aus dem Gürtel an meinem rechten Bein und hielt mir die mittlere Zinke an meine Schlagader. „Ha! Der Fürst von Varisc richtet sich selbst?! Wie überaus pas-send!“, höhnte der Anführer. „Ein Tropfen meines Blutes weiht euch dem Tode! Die To’ori wird auch über euch kommen. Lasst uns ziehen oder ihr werdet qualvoll sterben!“ Ich ritzte meine Haut und die Männer öffneten einen Weg zum Ausgang. Rastors Garde trug ihn hin-aus, meine und Fortes Leute folgten. Forte hob sein Schwert vom Boden auf und ich wandte mich dem Anführer zu. Ich sah Todesangst in den Gesichtern aller. Ich ging auf ihn zu und blickte ihm in seine vor Furcht geweiteten Augen. „Ihr habt Glück, dass ich gnädig mit euch bin“, hauchte ich und funkelte ihn zornig an. „Geht! Verlasst mein Dorf! Ihr… Ihr seit beses-sen!“, flehte er jämmerlich. Ich ging hinaus ohne ihn ein letztes Mal anzusehen. Forte deckte mir den Rücken, bereit, jeden Angreifer mit seiner mächtigen Klinge mit einem Streich nie-derzustrecken.

Unsere Num standen bereit uns aus der Gefahr zu tragen. Ein Blick zurück offenbarte, dass sie uns nicht folgten auf der Flucht.

Ich schlug ein hohes Tempo an. Auf den weiten Ebenen wären wir weit weg jeder Zivilisation kaum für Attentäter auszumachen.
 

Wir hatten den halben Tag wieder eingebüßt.

Rastor war ein Narr auf so einen plumpen Versuch hereinzufallen. Aber ich wollte es ihm nicht vorhalten. Sein schmerzender Schädel würde ihm Strafe genug sein.
 

Nahe eines kleinen Waldes endete der wilde Ritt. Otea schnaufte erschöpft. Die Num hätten ihre Ruhe in dem Dorf bekommen müssen. Sie würden nun sechs Stunden nichts weiter tun als fressen und schlafen.

Wir verloren wertvolle Zeit.

„Forte, haltet mich zurück!“, fauchte ich, als sie den Eingeschlafenen ins Gras setzten und gegen einen Baum lehnten. Ich wollte ihn würgen und um meine Gnade flehen lassen. „Tut ihm nichts, liebster Freund. Wegen Euch ist Rastor überhaupt noch am Leben. So wie wir alle hier. Eure List hat uns gerettet“, sagte Forte sanft und legte seine Arme um mich zum ersten Mal außerhalb meiner Gemächer.
 

Ja, meine List war erfolgreich gewesen. Forte wusste, dass bis zur Ansteckung noch einige Tage vergehen mussten. Ich konnte Rastor nichts zu Leide tun, aber seine Dankbarkeit würde ich gut zu nutzen wissen.
 

Neuerlich fühlte ich die Schwäche in meinen Beinen. Der abrupte Aufbruch hatte mein Blut in Wallung gebracht. Nun, wo die Wirkung nachließ, verkehrte es sich ins Gegenteil. So kam es, dass mir in Fortes Armen meine Sinne schwanden. Wieder befanden wir uns auf der Flucht vor Cherankos Ungemach. Die Hälfte der Strecke hatten wir bereits zurückgelegt und mehr Gefahr lauerte noch auf uns.

Mit dieser Sorge wälzte ich mich im traumlosen Schlaf hin und her bis Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach fielen, mich weckten. Die Hitze der vergangenen Tage hatte sich in eine angenehme Kühle verwandelt.

Oder war dies nur die Ruhe vor dem Sturm?
 

Forte saß lächelnd neben mir, als ich meine Augen aufschlug. „Ich hoffe, es geht Euch besser als Rastor, liebster Freund. Euer aufgeregter Schlaf beunruhigte mich, doch nun seid Ihr wie-der bei Bewusstsein“, sagte er sanft und half mir auf. Ich nickte und sah umher. Es musste noch sehr früh gewesen sein, denn die Nebelschwaden wanden sich um unsere Beine wie ein feines Grabtuch.

Niemand wagte ein Wort zu sprechen, auch nicht Rastor, der mich nicht einmal eines Blickes würdigte. Tonlos verzehrten wir einen Teil unserer Vorräte und saßen auf. Wir kamen nur langsam voran. Forte links von mir seufzte schwer. „Was habt Ihr, liebster Freund?“, brach ich die Stille. „Ich vermisse das frohe Kindergeschrei aus der Heimat und unsere Begleiter fühlen ebenso. Sie haben ihre Familien verlassen um uns zu beschützen“, antwortete er. Sie würden für ihre Fürsten in den Tod gehen, doch ich wollte es nicht zulassen. Ich vermisste sie auch, meine Kinder, meine Brüder, die Onkel und Uronkel. Mein schweres Herz hinderte uns am Fortkommen.

„Vater, gebt mir einen Rat. Ich brauche Eure Hilfe. Wir haben den Mut und den Glauben ver-loren“, flehte ich in Gedanken, aber ich bekam kein Zeichen. Nicht direkt. Ob ich schon im Fieber fantasierte, wusste ich nicht, doch als sich der Wind drehte, meinte ich verbranntes Holz zu riechen. Ich hoffte, dass dort niemand zu Schaden kam.

„Lass mich sehen was dort geschieht“, flüsterte ich Otea zu, der seine Schritte augenblicklich in die Richtung lenkte, aus der ich den Rauch wahrnahm. Ohne lange zu zögern folgten mir die Gardisten, denn auch ihnen war es nicht entgangen. „Chrys, wo wollt Ihr hin?“, rief Forte mir nach. „Riecht Ihr es denn nicht? Ich kann Feuer riechen... und den Tod.“ Forte hielt seine Nase in den Wind und jagte mir auf Istur behände hinterher. „Ihr habt Recht. Lasst uns sehen, ob nicht längst alles verloren ist“, gab er hinzu. Inzwischen konnte ich das Feuer sehen, wie es aus dem Wald dem Himmel entgegenzüngelte. Dort musste es eine Siedlung geben und viel-leicht waren sie noch am Leben.

Otea scheute, als er einem brennenden Baum ausweichen sollte und warf mich ab. Der Wald und das Dorf in dessen Herzen war in Flammen aufgegangen. „Wären wir nur eher hier ange-kommen, hätten wir helfen können“, dachte ich bitter und blickte konzentriert umher, begann die Brände mit meiner Energie auszublasen.
 

Jemand schrie.

Dort war tatsächlich noch Leben übriggeblieben, auch wenn die Aura, die ich fühlte, nur noch sehr schwach war.

„Chrys, wo seid Ihr?“, rief Forte, der mich im dichten Rauch aus den Augen verloren hatte und mit Rastor und der Garde auf der Such nach mir war. Sie mussten ihre Num vor dem um-gestürzten Baum zurücklassen um zu mir zu gelangen. „Forte, folgt meiner Aura!“, hustete ich und feuerte gebündelte Energie in die Richtung ab, aus der ich den Überlebenden spürte.
 

„Vater, bleibt bei mir! Vater, bitte… tut es nicht!“, schrie ein Junge verzweifelt und wurde durch eine Öffnung in meinen gelöschten Weg geschleudert bevor das Haus zusammenbrach.
 

Der Rauch nahm mir die Sicht und die Luft zum Atmen, doch ich wollte ihn um jeden Preis vor dem Tode bewahren. Als ich den Jungen erreichte, stürzte hinter mir ein weiterer Baum zu Boden. Der Kleine hielt einen Schlüpfling im Arm, der erst wenige Tage alt sein konnte. Er selbst hatte erst seinen achtzehnten Lebenszyklus vollendet. Ich würde sie beide nicht mehr lange beschützen können, denn die Dämpfe griffen meine Lungen an und verschlimmerten die To’ori, die auf meine Schwäche wartete um aus der Sperre, die ich mit getrockneter Kerbera errichtet hatte, auszubrechen. Mir war der Rückweg genommen und auch vorwärts führte kein Weg. „Forte, helft mir!“, brüllte ich so laut es mir noch möglich war. Unter gewaltigem Getö-se zersplitterte der Baumstamm hinter mir zu einem Regen aus Glutstücken.
 

Sie hatten uns endlich gefunden.

„Bringt die Kinder von hier“, befahl ich einem meiner Brüder bevor mir der Rauch meine Kehle zuschnürte.
 

„Trinkt etwas Wasser, liebster Freund“, sagte Forte, als ich wieder erwachte. Mein Blick und mein Geist waren noch von den Dämpfen getrübt, aber trotzdem wollte ich wissen, ob die beiden Kinder überlebt hatten. Der Ältere hatte den Schlüpfling mit seinem Körper beschützt. Doch der Neugeborene war in den Flammen erstickt. Nun saß der arme Junge abseits der Gruppe und weinte bittere Tränen. Er hatte seine ganze Familie bei diesem Inferno verloren. Wir würden keine Wahl haben als ihn fortzubringen von dem Grab, das einst sein Zuhause gewesen war. Ich raffte mich auf um ihm Mut zuzusprechen. „Wie lautet dein Name, mein Junge?“, fragte ich ihn, als ich mich behutsam näherte. „Mein Name… Mein Name ist Ameth, mein Herr. Bitte lasst mich am Leben. Ich verrate Euch nicht. Ich bin doch ganz allein“, sagte er schüchtern ohne seinen Blick von seinem toten Geschwister abzuwenden. Der Schlüpfling hatte noch nicht einmal einen Namen bevor er umkam. „Hab keine Furcht. Wir reisen nach Cheranko und ich wünsche, dass du mit uns gehst“, sagte ich sanft und kniete vor Ameth nie-der. Er schniefte und blickte in meine Augen. „Wer seid Ihr?“, fragte er leise. „Man nennt mich Chrys. Mehr brauchst du nicht zu wissen. Vertrau mir und meinem Gefolge.“ –„Ich kenne Euren Namen. Mein Vater sprach ohne Unterlass von dem Wunder, dass Namek ver-ändert und dem Mann, den sie alle Chrys nennen. Ich vertraue Euch. Euer Licht scheint so hell“, sprach Ameth und streckte seine linke Hand nach meinem Gesicht aus. Ich begriff, dass er vom Licht des Feuers noch geblendet war.

„Lass mich deinen Bruder begraben. Dein Vater hätte es so gewollt“, sagte ich und schenkte ihm ein wohlwollendes Lächeln.

Sein Vater stammte aus Varisc. Ich erkannte es sofort an seinen Ameths Ohren. Sie alle waren wegen ihrer Abstammung hingeschlachtet worden und doch wollte man in Wirklichkeit nur, dass ich mein Leben aushauchte.

Die letzten Flammen erstarben in den ausgebrannten Häusern. Ich hob eine Mulde aus, bettete den Leichnam des Schlüpflings hinein und begrub ihn. Ich spendete meinen Segen über das ganze Dorf, das nun zu Asche verbrannt reglos da lag. Männer und Kinder meines Clans star-ben für eine Mission mit ungewissem Ausgang.

Ich weinte nicht die Tränen eines Anführers, sondern die Tränen eines Vaters. „Weint nicht, mein Herr. Ihr kanntet uns doch gar nicht“, sagte Ameth und auch von seinen Wangen rannen Tränen, die im verbrannten Boden versickerten. Ich antwortete nicht, stand auf und bohrte einen Ast, an den ich bunte Bänder gebunden hatte, in die Erde neben das Grab von Ameths jüngstem Bruder. Auch an diesen Ort wollte ich zurückkehren.

„Wir müssen unseren Weg fortsetzen, liebster Freund“, sagte Forte betroffen. „Ihr habt Recht. Lasst uns aufbrechen. Komm mit mir, Ameth. Ich werde dir die Stadt des Ursprungs zeigen, auf dass du die Hoffnung in den Frieden und das Leben wiederfindest und eines Tages wirst du hierher zurückkehren mit den deinen“, sprach ich sanft und ging auf Forte zu. Ameth wandte seinen Blick ein letztes Mal den Trümmern seiner Heimat zu. „Mein Vater log nicht, als er von Euch sprach. Ihr seid wahrlich gütig, mein Herr.“ Er verneigte sich vor mir.
 

„Fürst von Varisc, was fällt Euch ein Ballast aufzunehmen?!“, brüllte Rastor. Er kam auf mich zu und zog mich am Kragen auf seine Augenhöhe. „Wie viele wollt Ihr noch vernich-ten?! Ihr vergesst Euren Zustand. Unsere Zeit verrinnt. Wenn Ihr Euch nicht richtet, werde ich es für Euch übernehmen. Ist es das was Ihr wollt?!“, zischte er zornig. „Euer Herz ist kalt, Rastor. Ich werde den Jungen nicht seinem Schicksal überlassen. Vergesst nicht, dass auch Ihr mir Euer Leben verdankt“, entgegnete ich und riss mich los. Rastor schnaubte verächtlich. Ameth sah mich aus seinen purpurnen Augen traurig an. „Bleib in meiner Nähe mein Junge. Ich lasse dich nicht zurück.“ Ich hob Ameth auf und trug ihn an Rastor vorbei zu Otea.
 

„Hab keine Furcht vor dem großen Tier. Er ist ein guter Freund. Unsere Num werden uns sicher nach Cheranko tragen.“ Der Kleine strich Otea ohne Scheu über dessen Maul. „Vaters Num heißt Lim“, sagte er glücklich. „Lim, komm zu mir!“ Aus dem Unterholz trabte ein alter Numhengst, dessen Hörner mit Ringen behängt waren. Mir war als würde Otea Lim kennen, denn er zwitscherte und senkte vor dem Alttier seinen Schädel. Nun wusste ich auch, dass Ameths Vater einer meiner Onkel gewesen war. „Kannst du ihn reiten?“, fragte ich. Ameth lächelte und nickte. „Ich habe bei Lim im Stall geschlafen, wenn ich traurig war und Vater sagte, es wäre gut. Er ist ein gutes Tier!“ –„Ja. Das ist er ganz gewiss“, antwortete ich und stieg in Oteas Sattel. „Ich möchte dich mit nach Varisc nehmen, mein Junge. Dorthin, wo dein Vater geboren ist und dort wirst du nie mehr alleine sein.“
 

Doch war es gut dem Jungen solche Hoffnungen zu machen?

Abschnitt 5

Wir hatten einen weiteren halben Tag verloren und die To‛ori setzte mir weiter zu. Auch jetzt setzte Forte alles daran mich die Führung behalten zu lassen, aber ich spürte die Schwäche meine Barriere überwinden.

Ich zwang die Gruppe in hartem Galopp der Küstenlinie zu folgen. Ameth führte den Num seines Vaters sicher und erhöhte das Tempo bis an die Grenzen des alten Hengstes.

Ich hatte mir zu wenig Zeit zum Verschnaufen gelassen, nachdem ich den Kleinen aus den Flammen gerettet hatte. Meine Lunge schmerzte als wollte sie meinen Brustkasten auseinan-derreißen, mich und die Hoffnung auf Freiheit aus der Geschichte tilgen. Ich schmeckte den metallischen Geschmack meine Blutes, als ich hustete um mir Erleichterung zu verschaffen. „Forte, es ist an Euch uns an unseren Bestimmungsort zu führen. Ich habe große Schmerzen“, keuchte ich und Forte übernahm Oteas Zügel. Wir wurden langsamer. „Chrys, haltet noch etwas durch. Morgen um diese Zeit könnt Ihr die weißen Mauern von Cheranko sehen. Gebt nicht auf, liebster Freund.“ Er sah in meine Augen, die ganz glasig waren vom Fieber. Ich krampfte meine Hände um Oteas Sattelknauf und überließ Forte die Spitze. Ich war zu schwach geworden. Mit unserem Glück würden wir die Stadt niemals erreichen.

Rastor hielt großen Abstand zu mir, denn nun hatte er Grund dazu. In Gedanken verfluchte ich seine störrische Art. Ameths Familie wäre noch am Leben, wenn… Ja, ein Rausch nicht gar so verlockend gewesen wäre. Ich warf ihm vernichtende Blicke zu.

Der Wind, der uns nun entgegenschlug, war kalt und feucht. Die Gewitterwolken über uns rumorten bedrohlich, dass mir bald das Blut in meinen Adern erstarrte. Der Sturm streckte seine Arme über ganz Namek aus.
 

Nein, nicht Rastor war schuldig.
 

Ich war es.

Sie waren meinetwegen gestorben und es würden noch mehr Männer ihre Leben geben.
 

„Forte, gebt mir Oteas Zügel zurück und kehrt um. Ich will Euch den Gefahren nicht ausset-zen“, knurrte ich mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Sprecht nicht so, Chrys. Ihr seid nicht mehr bei Sinnen. Die To‛ori verschleiert Euren Geist. Wäret Ihr bei klarem Verstand, würdet Ihr einen anderen Weg finden als Euch zu opfern.“ Seine Stimme klang bitter.
 

Hatte ich mich etwa schon aufgegeben?
 

Wir waren schon so weit gekommen, hatten schon zu viel erreicht um nun an dieser Stelle auf Nameks weiten Ebenen uns und unsere Hoffnungen zu begraben. Ich sollte leben und meinen Weg fortsetzen, wohin er mich auch führen wollte.

Forte trieb die Gruppe unerbittlich einen Hang hinauf, wo er zu rasten gedachte. „Seht nur, liebster Freund. Seht Ihr dort Cherankos Türme? In der Quelle werde ich Euch von der To‛ori heilen“, sagte er sanft und half mir von Oteas Rücken herunter.

Im waldumsäumten Tal zu unseren Füßen lag der Ursprung aller Städte, aller Legenden und der alten Ordnung. Mein Vater hatte mir von dieser Stadt erzählt, doch so friedlich und majes-tätisch, dominant und bedrohlich zugleich hatte ich sie mir nicht in meinen wildesten Jugend-fantasien auszumalen gewagt. Auch Forte und die anderen hatten noch nie diese Pracht er-blickt. Rastor zeigte keine Gemütsregung, obwohl er bestimmt ebenso beeindruckt war wie wir. Er fürchtete meinen Zorn und seinen Tod.

Die Garde errichtete einen Lagerplatz, wo Forte mir etwas Wasser einflößte. Schwer atmend schlief ich ein.

„Ihr, Chrys, Fürst von Varisc, Ciastos Sohn, in dessen Adern Vaidurs Blut strömt, lebt. Lebt, denn Ihr dient mit Leib und Seele Polunga, dessen Willen Ihr erfüllen werdet“, sprach eine Stimme in meinem finsteren Traum immer wieder bis ich aufwachte.

Während ich schlief, merkte ich nicht wie sich meine rechte Hand um den Griff meines Schwertes geschlossen hatte. Die Kraft, die ich damals erhalten hatte, war in mich übergegan-gen, aber heute fühlte ich sie nicht mehr. Ich war meinem Ende sehr nahe gekommen.
 

Forte lag neben mir und betrachtete mich. „Ich dachte, Euer Licht sei im Schlaf erloschen. So sehr fürchtete ich um Euer Leben, dass ich selbst keinen Schlaf finden kann“, flüsterte er und strich mir über meine linke Wange. „Ich danke Euch. Eure Nähe gibt mir Zuversicht“, hauch-te ich und richtete mich mühsam zum Sitzen auf.

„Ich befehle Euch, ihn hier zurückzulassen!“, forderte Rastor und hielt mir seine Klinge an meine Kehle. Forte zog im Aufstehen seinen Zweihänder und fuhr seinem Gegner damit in die Parade, drängte ihn weg von mir. „Solche Niedertracht schlummert in Euch?! Ich ahnte es schon, als wir den Brand löschten. Ihr seid vergiftet von der Furcht, Ihr könntet Euch anste-cken! In Wirklichkeit ängstigt Ihr Euch doch vor der Freiheit!“, fauchte Forte und holte mit seinem Schwert aus. „Forte, nicht!“, schrie ich und stellte mich dazwischen, hielt sein Schwert mit beiden Händen auf, als es herunter sauste. Aber das war ein Fehler. Rastors Kurzschwert durchbohrte meine rechte Flanke. „Damit habt Ihr Euren Tod besiegelt!“, brüllte Forte und fing mich auf. Er hatte nicht unrecht. Jeder Tropfen meines Blutes verströmte die todbringende To‛ori und nun klebte es an Rastors Schwert. Mein Gefährte heilte meine Wun-de, die sich vollständig schließen ließ. Ich hatte Glück, dass die Klinge nicht vergiftet gewe-sen war.

„Schlagt mir meinen Kopf von meinen Schultern, wenn Ihr mich töten wollt“, keuchte ich und drohte ihm mit meinen Blicken. Rastor hatte sich mit meinem Blut besudelt und fiel auf seine Knie. „Ich flehe um mein Leben hier auf meinen Knien, Fürst von Varisc.“ –„Wer hat Euch befohlen? Ihr trachtet seit Beginn dieser Reise nach meinem Leben.“ –„Man offenbarte sich mir nicht. Ich fand eine Schrift bei meinen Vorräten. Sie trug kein Siegel.“ –„Ich sehe noch den Alliierten in Euch, dem der Frieden alles ist, auch wenn Euer Frieden in der Erneuerung der alten Ordnung liegt.“ –„Eure Güte nach diesem Vorfall beschämt mich. Ihr rettetet mein Leben ein zweites Mal. Doch nun, anstatt Euch zu töten, will ich Euer Leben mit dem meinen beschützen. Ich erkenne etwas in Euch, dass ich verloren glaubte.“ –„Steht auf. Wir müssen die Quellen von Cheranko erreichen. Dies hat obere Priorität bevor wir Verhandlungen führen können. Aber ich werde Euch weiterhin im Auge behalten.“

Forte besah grimmig seine Hände. Mein Blut hatte seine Finger benetzt. Er tat mir unsäglich Leid. „Reinigt Euch. Reinigt Euch beide, sonst werdet ihr die gleichen Qualen erleiden wie ich“, bat ich eilig.

In einer ausgespülten Mulde zwischen den Felsen entkleideten wir uns um ein Bad zu neh-men. Forte tauchte hinunter zum grund des Tümpels um seinen erhitzten Leib und seinen Geist zu reinigen. Ich stand bis zu meinen Hüften im Wasser und wusch mein getrocknetes Blut ab. „Euer Körper ist so geschunden und trotzdem wagtet Ihr diese Reise. Eure Narben zeugen von großem Mut“, sagte Rastor, der gerüstet am Ufer kniete und sein Schwert reinigte. „Es war ein Attentat“, sagte ich tonlos. „Euer Stich wird keine Narbe hinterlassen, also habe ich das Glück auf meiner Seite.“ Ich spürte Spannung in der Luft, als ich Rastor meinen Rü-cken zuwandte um nach Forte Ausschau zu halten. „Warum habt Ihr Euren Körper und Eure Zuneigung dem Fürsten von Reven geschenkt? Warum?“, fragte Rastor und stapfte durch das seichte Uferwasser auf mich zu. „Was wollt Ihr von mir?“, fragte ich, als ich ihn sah. Forte tauchte aus den Tiefen wieder auf. „Ihr legt keine Hand an ihn!“, knurrte er. Mir war als woll-te Rastor mich erwerben wie ein Stück Vieh. „Für was haltet Ihr mich? Ich entscheide nach meinem freien Willen und danach wie mein Herz mich leitet.“ –„Nicht einmal, wenn ich Euch meine Vermutung offenbare , wo der Schlüssel sich aufhält?“ –„Nein. Auf Eure Vermutungen gebe ich nichts. Wir werden ihn finden oder den Sturm erdulden und alle beschützen, die un-seres Schutzes bedürfen“, antwortete ich kalt und tat einen Schritt auf Forte zu.

Noch immer sah ich blanke Angst in Rastors Augen. Er war verzweifelt und der Versuch mich Forte abspenstig zu machen, war ein untrügliches Zeichen dafür. Eine erneute Annähe-rung würde Forte nicht zulassen. Er würde Rastor töten, dessen war ich mir sicher. „Bewehrt Euch auf der letzten Etappe oder Ihr seid des Todes. Ob ich Euch selbst töten soll oder Euch der To’ori überlasse, entscheidet Ihr für Euch.“ In seiner Handfläche glomm eine kleine Ener-giekugel. Diese Warnung würde seine letzte sein.

Wir verließen den Ort der Auseinandersetzung und kleideten uns neu. Forte legte seine Panze-rung wieder an, seinen mächtigen Zweihänder in der Scheide an seinem Gürtel hängend.

Ich überlegte.

Was glaubte Rastor zu wissen, was mir und meinem Gefährten verborgen blieb? Was glaubte er in mir erkannt zu haben?
 

Der Abstieg vom Bergkamm war steil und raubte uns noch mehr Zeit. Ein falscher Schritt konnte Num und Reiter zu Tode stürzen. Ich saß vor Forte auf Isturs Rücken und er hielt O-teas Zügel, führte ihn über den schmalen Pfad. Ameths alter Num fürchtete den Weg. Lims Augen hatten während all den durchlebten Zyklen an Sehkraft verloren. Nur sehr langsam setzte er einen Fuß vor den anderen und hielt die anderen, die hinter ihm gingen, auf. Starker Regen hatte eingesetzt und verwandelte unsere Strecke in ein schlammiges, gefahrvolles Un-terfangen. Lim schnaufte und überquerte mit letzter Kraft festes Gestein zum Fuß des Hügels. Ameth sah mich traurig an, als er wieder aufsaß. „Gib ihm Trost. Lim ist schon sehr alt und bald wird er sterben. Er war dir und deinem Vater ein treuer Freund, doch es ist bald Zeit für ihn in seiner Herde sein Leben auszuhauchen“, beantwortete ich seine Blicke. „Ihr könnt es fühlen, nicht wahr?! Armer, alter Lim“, schniefte Ameth. „Er vermisst deinen Vater, dem er seinen Namen verdankt. Als sie damals Varisc verließen, war er so alt wie Otea heute. Glaub mir, er hatte ein langes und gutes Leben.“

In meinem Inneren fand sich ein Teil von mir, der auch den alten Num nicht aufgeben wollte. So bald würde er diese Welt nicht verlassen. Lim war alt, aber gesund. Ich würde ihm einen Platz in Variscs Stallungen bis es für ihn zuende gehen wollte. „Noch wird dein Freund mit dir reisen, Ameth“, lächelte ich sanft. „Dank Euch, gütiger Herr, leben wir noch“, entgegnete er und kratzte Lim am Hals. Forte seufze. „Wenn Ihr so redet, denke ich, Ihr wolltet die ganze Welt in Eure Arme schließen. Euretwegen werde ich ganz weich“, sagte er leise an meinem linken Ohr. Ich ahnte worauf hinaus er damit wollte. „euch ist bewusst, dass das weder Zeit noch Ort für solch eine Tat ist , liebster Freund“, wehrte ich ab. Ich fühlte mich seiner Leiden-schaft nicht gewachsen, denn es fiel mir schwer meine Augen geöffnet zu halten.

Durch den Schlamm war es schwierig voranzureiten. Keiner dieser Num hatte jemals zuvor einen solchen Schauer erlebt. Wenn es bei diesem Schauer blieb, würden wir in einigen Stun-den in Cheranko einkehren können. An den schlimmsten Ausgang mochte ich keinen einzigen Gedanken verschwenden. Noch immer stand unsere Mission auf Messers Schneide. Sie konn-ten uns den Zutritt verweigern und uns hinrichten lassen, alle Rebellen wieder in die Fesseln der Tradition zwingen.

Die schweren Tropfen durchnässten all unsere Kleider. Forte schnappte nach Luft. Das Fieber hatte von ihm Besitz ergriffen, aber er blieb standhaft und führte den Trupp über die schlam-mige Straße auf unser Ziel zu. Unsere Ankunft war in Cheranko sicher nicht unbemerkt geblieben, zumal sich selten ein Num in diese Gegend begab. So ungern wie Num Gewässer durchquerten, genau so ungern überquerten sie die Gebirgskämme nach Zentralnamek hinein. Nun war es an der Zeit wieder Otea zu besteigen um meine Schwäche vor Cherankos Dreige-stirn zu verbergen. Sie durften uns bei unserer Ankunft um keinen Preis aufhalten, sonst wür-den auch sie und die anderen Stadtbewohner mit der To’ori angesteckt.
 

Zum letzten Mal spornte ich mein Tier an, dass über den aufgeweichten Boden sicher auf Cherankos Stadttor zugaloppierte.

Unter unseren Gardisten gab es keine Erkrankten, doch als wir ihnen davon berichteten, schienen sie nicht im geringsten überrascht. Sie wussten es seit unserer Abreise. Ich glaubte, dass Rastor und die seinen die Einzigen waren, die es damals nicht erfahren hatten.
 

Doch hätte er sein falsches Spiel dann nicht ausdauernder gegen mich gespielt? Wäre ich dann längst nicht mehr am Leben?
 

Kalt lief mir ein Schauer meinen Rücken hinunter. Ich würde mich in Cherankos Mauern noch mehr in Acht nehmen müssen. Hinter jeder Kehre und in jeder dunklen Ecke konnten Auftragsmörder auf uns lauern.

„Bleibt dicht zusammen, wenn ihr das Tor durchquert!“, befahl Forte. Die Wachtposten kreuzten ihre Lanzen. „wer seid ihr?! Nennt uns eure Namen! Was ist euer Begehr in der Stadt des Ursprungs?!“, fauchte einer von ihnen. Wir nahmen unsere durchnässten Kapuzen ab. „Lasst uns ein nach Cheranko!“, knurrte Forte und zeigte mit einem Handstreich, dass um Zutritt für uns ersuchte. Einer erhob seine Lanze gegen Oteas Kopf, der dem Fremden sehr nahe kam. „Bändigt Euer Tier!“, brüllte dieser, aber als er mich ansah, verstummte er und wich ängstlich zurück, verneigte sich vor mir. „Ihr erkennt mich wohl, Soldat. Wir begehren Quartier in eurer Stadt“, entgegnete ich. „Kehrt nur ein, mein Herr. Ihr werdet in unserer Stadthalle erwartet“, sagte er demütig und ließ uns durch das große Tor die Stadt betreten, die selbst im fahlen Licht der Wolken strahlte wie ein kostbares Kleinod. Es war die Stadt des Ursprungs, die Stadt der Gemaphim und ich fühlte eine seltsame Vertrautheit an diesem Ort.

Abschnitt 6

Das Bad lag nahe an der pompösen Stadthalle.

„Forte und Rastor, kommt mit mir. Wir werden uns nun von der Geißel der To’ori befreien“, sagte ich und stieg von Oteas Rücken, führte mein gutes Tier am Zügel zum Badehaus. Laufen tat mir nicht gut. Der Schwindel übermannte mich, doch Forte hielt mich fest. „Ihr werdet keinen Schritt mehr gehen, liebster Freund. Ich werde Euch zum Bad tragen“, flüsterte er und hob mich auf. Ich widersprach ihm nicht. Seine Hände zitterten und sein ganzer Körper drohte unter meinem Gewicht zu zerfallen. Auch Rastor schnaufte schwer, als wir uns zum Tor des Badehauses begaben. Niemand bewachte den Eingang. Ich befürchtete eine Falle. Noch mal würde ich mich nicht hinters Licht führen lassen. Hinter den Säulen konnten sie auf uns warten und uns hinterrücks erdolchen. Doch nirgendwo fand sich auch nur ein fremdes Augenpaar.

Forte setzte mich auf eine Bank, die dort stand und legte seine schwere Panzerung ab. Rastor quälte sich unter dem Gewicht seiner Rüstung. Es war ein stechender Schmerz, der mich in meinem Herzen traf. Der Husten, der darauf folgte, ließ mich Blut spucken und aus Angst vor meinem Tod wimmern.

Wie konnte ein Bad in Cherankos Quelle verhindern, dass ich starb? Nicht konnte meine fortgeschrittene To’ori heilen. Doch was hatte ich noch zu verlieren? Meine Begleiter hatten sich ohnehin schon angesteckt.

„Forte, tötet mich“, keuchte ich. Die letzten Schritte zum Wasser würde ich nicht mehr gehen können. „Niemals!“, donnerte Forte und packte mich an meinen Armen. „Ihr werdet nicht sterben, liebster Freund. Ich gebe Euch nicht auf“, sagte er sanfter und ich sah Tränen in seinen Augen. Er zerriss meine Kleider, die vom Regen durchtränkt nicht mehr zu gebrauchen waren. Sein Griff schmerzte an meinen Arm und noch bevor ich etwas entgegnen konnte, trug er mich zum Einstieg des Beckens, wo er sich auszog. „Ich lasse Euch nicht sterben“, flüsterte er und schwebte mit mir über die Mitte des dunstigen Bades. Dort verlor er die Kraft in der Luft zu stehen und wir tauchten ein in das warme, sprudelnde Quellwasser.
 

„Ihr seid zu Eurem Ursprung zurückgekehrt. Empfangt nun das Licht, das seit aller Zeit in Euch glimmt, Chrys, der Ihr Vaidurs Blut in Euch tragt“, erklang es in meinem Kopf, als uns die Stille des Wassers umfing, uns vollkommen umschloss.

Ich fühlte mich leicht, so leicht als wäre meine Seele meinem Körper entstiegen. Kein Leid folterte mich noch. Forte legte seine Arme um mich. Tiefe Wärme stieg in mir auf und konzentrierte sich in meiner Brust. Nichts von alldem was geschehen war, war ein Traum, aus dem ich erwachen sollte.
 

„Der Herr der Träume wacht über Euren Weg, Ihr, der Ihr den Schlüssel mit Euch tragt“, sprach die Stimme.
 

Fortes Beinschläge trugen uns zur Oberfläche zurück, denn seine Luft wurde ihm knapp.
 

Ob er auch etwas von dieser Stimme vernommen hatte? – Ich würde ihn nicht danach fragen.
 

„Seid Ihr wohlauf, liebster Freund?“, fragte er und schnappte nach Luft. Der Schleier, der meine Sicht vernebelte, hatte sich von mir gelöst genau wie die Last auf meiner Brust. Ich tat einen tiefen Atemzug und anstatt ihm zu antworten, umarmte ich ihn.
 

Eine Macht hatte diese Quelle vor vielen Tausend Zyklen gesegnet. Waren es die Gemaphim mit ihrer legendären Kraft, die mich gesunden ließen? Gab es tatsächlich etwas verborgenes in mir? War es das was Rastor bemerkt hatte, dass, was Ameth entdeckt hatte, als er mich zum ersten Mal sah?
 

Wir schwammen in seichteres Wasser bis zu unseren Hüften. Dort konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und küsste ihn. Einen Moment wollten wir dem Instinkt nachgeben. Für diese kurze Zeit wähnte ich mich im See von Variscs Gärten. Aber etwas war seltsam. Zu mühelos hatten wir uns Zutritt verschaffen können. Vieles war mir in der Offenbarung der Stimme von der Wirklichkeit entgangen. Auch Rastor hatte sich in der heilenden Quelle von Cheranko von der To’ori befreit, doch nun war er verschwunden genau wie unsere Klingen, die sich nicht mehr dort befanden, wo wir sie abgelegt hatten.
 

Man hatte uns bestohlen.
 

„Wie konntet Ihr diesem Heuchler bloß vertrauen?!“, knurrte Forte, denn in seinen Augen hatte Rastor nun sein Leben verspielt. Ich war mir sicher, dass Laurons Fürst frei von Schuld war. „Ihr seid zu gutmütig mit diesem Scharlatan! Er hat sein Leben verwirkt und uns wieder verraten!“ –„Nein. Dies ist eine Friedensmission. Ihr werdet in der Stadt des Ursprungs kein Blutbad anrichten. Man könnte Euch festnehmen und hinrichten lassen und das, liebster Freund, werde ich unter keinen Umständen zulassen. Beruhigt Euch. Es wird sich alles aufklären“, übte ich mich in Beschwichtigung, obwohl ich in meinem Inneren durchaus gewillt war Fortes Zorn zu befreien. Aber dann würden wir das Ende dieses Tages nicht mehr erleben.

Wir kleideten uns neu und verließen das Badehaus. Unsere Garde und unsere Num waren auch verschwunden. „Gütiger Herr, sie haben alle mitgenommen!“, rief Ameth, der sich hinter einer Säule versteckt und unbemerkt alles mitangesehen hatte. Er gab sein Versteck auf und kam auf mich zu. Er blutete am Kopf. „was ist hier geschehen, mein Junge? Lass mich deine Wunde sehen“, fragte ich und kniete mich vor Ameth hin, schloss den Schnitt, der ihm beigebracht worden war. „Nach einem kurzen Scharmützel haben sich die Gardisten und den Dicken haben sie in Ketten gelegt. Unsere Num haben sie davon geführt“, antwortete er.
 

Rastor war also noch am Leben und er war es nicht, der unsere Klingen gestohlen hatte.
 

„Ameth, wo haben sie unsere Num hingebracht?“, fragte Forte. Der Kleine zeigte wortlos zur Stadthalle von Cheranko. „Wir müssen sie befreien. Alle, auch Rastor“, beschloss ich und machte mich zum großen Tor der Stadthalle auf.
 

Sie würden versuchen das Siegel meines Schwertes zu brechen. Meister Crescendo hatte den „Willen des Drachen“ mit einem starken Siegel an meinen Geist gebunden. Wer den wahren Wert des Lebens erkannt und mit aller Kraft für diejenigen einstand, die ihm am Herzen lagen, war würdig die wahre Macht des Schwertes freizusetzen. Für die, die es begehrten, blieb es nicht mehr als eine gewöhnlich Waffe, geschmiedet um zu töten, um die Freien zu unterdrücken.
 

„Ameth, komm mit mir. Hier draußen bist du nicht in Sicherheit. Forte, nun können wir nicht mehr umkehren.“ –„Ja, aber ich werde mit Euch gehen. Ich vertaue Euch aus der Tiefe meines Herzens.“ Ich nahm Ameth auf meinen Arm. „Ich sehe Euer Licht. Es scheint so hell und klar“, lächelte der Junge. Forte nickte dazu.
 

Was war in dem Bad mit mir geschehen, dass die Kraft, die ich damals erhalten hatte wieder für mich zu spüren war? Ich trug meine Klinge nicht bei mir und doch fühlte ich wie die Energie mich neuerlich durchströmte.

Meine Schritte waren leicht, als ich die Stufen hinauf zum bewachten Tor von Cherankos Stadthalle stieg. Furcht und Zweifel waren Mut und Entschlossenheit gewichen. Die unseren waren in Gefangenschaft geraten, unsere Waffen waren uns gestohlen und viele Unschuldige waren ermordet worden.

Ich wollte mich nun den Intriganten, Heuchlern und Mördern entgegenstellen. Ich wollte ihnen zeigen wie viel Macht Variscs Fürst besaß, mit oder ohne seine Klinge. Ich wollte zurückholen was uns gehörte und die befreien, die sich nach der Freiheit sehnten.

Das alles wollte ich tun, doch durfte ich Cherankos Dreigestirn nicht unterschätzen. Hier liefen alle Intrigen zusammen, die schuldig an der Lähmung für die östlichen Städte waren.
 

Warum nur war aus der verehrten Hauptstadt solch ein dekadenter Pfuhl geworden?

Nun, der Wohlstand war hier mehr gewachsen als in allen anderen Städten. Einst war Cheranko eine Stadt des Handels, wo Güter aus ganz Namek umgeschlagen wurden. Die Wegzölle waren hoch und bald konnten nur die tüchtigsten Händler ihren Status festigen.

Es war eine der alten befestigten Handelsstraßen, auf der wir an diesen Ort gelangt waren. Die Straßen aus den alten Tagen waren nun zumeist schon verfallen. Aus dem Inselreich Lauron stammten sie, die, die noch stetigen Handel mit Cheranko trieben.
 

War Rastor ein Spion in unseren Reihen gewesen? – Ich mochte nicht so recht daran glauben. Laurons Bevölkerung war befreit worden und doch unterstützte der Fürst die Unterdrücker. Eher glaubte ich an Habsucht und Machtgier. Rastors Absichten waren sicher nicht schlecht gewesen, als er sich uns anschloss.
 

Was hatte man ihm geboten damit er seine Verbündeten auslieferte? – In Variscs Mauern war er stets aufrichtig zu mir und Forte gewesen.
 

Sollte er Recht behalten, dass den Fürsten von Cheranko nur mit Waffengewalt beizukommen war?

Aus der Stadt der Gemaphim quoll die Sünde und vergiftete die Gemüter ihrer Bewohner.
 

Die Wachen versperrten uns den Weg in die Stadthalle. „Weicht augenblicklich beiseite!“, fauchte ich. „Meine Fürsten geben Euch den Weg nicht frei!“, antwortete die Wache. „Erkennst du mich nicht?“ –„Nein, mein Herr. Euer Gesicht habe ich noch nie zuvor gesehen.“
 

Ich verstand die Welt nicht mehr. Man erwartete uns doch.
 

„Zahlt oder geht!“, rief die Wache von der anderen Seite des Torbogens. „Erklärt mir für was ich euch bezahlen soll“, wollte Forte erfahren. „Ihr wisst es nicht?“ –„Was für eine Sprache spreche ich wohl, dass du meine Frage nicht verstehst?!“, fauchte er und packte den Wachtposten am Kragen. „Lasst mich frei, mein Herr. Ketzer, mein Herr, sollen hingerichtet werden.“ –„Ach, sagst du mir auch wer oder muss ich dich würgen?!“ –„Die Fürsten der Freien Städte, mein Herr und nun lasst mich gehen bevor ich ersticke“, keuchte er und Forte setzte ihn wieder ab.
 

Wie sollten sie jemanden hinrichten, dem sie gar nicht habhaft geworden waren?
 

Wie sahen die Männer aus, die ihr festgenommen habt? Sagt es mir, oder mein Begleiter wird euch anstelle der Freien Fürsten richten“, drohte ich. „Ich sah ihre Gesichter nicht, doch kamen sie aus freien Stücken hierher. Sie trugen lange Mäntel mit Kapuzen. Sie waren es. Ich bin mir ganz sicher, denn sie trugen die Klingen der Fürsten. Preiset unser Dreigestirn. Sie haben den „Willen des Drachen“ erhalten.“

Ich hatte genug gehört. Mein Gefühl hatte sich bewahrheitet. Die Jungen waren uns gefolgt und sollten nun an unserer Stelle getötet werden.

„Geht mir aus den Augen!“, knurrte ich und betrat die Halle. Die Wachen waren zu schwach um uns daran zu hindern.

Der lange Gang, dem wir folgten, mündete in den großen Versammlungssaal. Cherankos Bevölkerung hatte sich um einen Platz in der Mitte versammelt und oberhalb davon thronte das Dreigestirn auf dem hohen Treppenabsatz. Sie, die drei Fürsten von Cheranko – Sorbus, Panax und Koll – saßen auf ihren mächtigen Stühlen und auf dem mittigen ruhte die Drachenkugel mit den sieben Sternen.

Ich wollte vor sie hintreten, doch Forte hielt mich zurück. „Nein. Bleibt bei mir. Beobachtet nur. Seht wie arrogant sie auf uns nieder blicken“, flüsterte er. „Ihr seid Verbrecher!“, rief Ameth und die Menge grölte zustimmend. Nur uns war bewusst, dass der Jung die Fürsten belangte und nicht die unschuldigen Verurteilten.

„Ameth, ich möchte dich um etwas bitten“ –„Was immer Ihr von mir verlangt, gütiger Herr.“ –„Suche die Garde und unsere Num. Ich vertraue dir. ‚Du kannst es schaffen, auch wenn es unmöglich erscheint.“ –„Ich danke Euch für Euer Vertrauen in mich. Ich will Euch nicht enttäuschen.“ Ich setzte den Jungen ab und sogleich bahnte er sich behände seinen Weg durch die Menge.
 

„Habt Ihr noch etwas vorzubringen bevor Ihr diese Welt verlasst?!“, donnerte Koll, Cherankos Kriegerfürst. „Varisc und Reven werden frei bleiben! Nach uns werden andere kommen um Euch zu stürzen!“, hörte ich eine vertraute Stimme, die dem Dreigestirn entgegen schlug.
 

Waren wir hierher gereist um Cherankos Fürsten zu stürzen? – Nein. Nein! Wir wollten verhandeln und suchten nicht die offene Schlacht.

Die Jungen hatten sich uns widersetzt, doch war es eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, dass sie statt uns ihre Köpfe für unsere Sache einbüßten.
 

Wie verblendet waren diese Männer, dass sie nicht erkannten wen sie vor sich hatten? Oder besser, wen sie nicht vor sich hatten. Diese Posse war nur allzu leicht durchschaubar. Nox und Dur hatten uns schützen wollen, aber es war ein Fehler gewesen hierher zu reisen.

„Folgt mir, Forte. Es ist Zeit dieses unselige Theater zu beenden“, flüsterte ich und drängte mich durch die Menge nach vorne in die erste Reihe.

Die Jungen waren an einen Pfahl gebunden und von Holzscheiten umgeben. Man wollte sie bei lebendigem Leibe vor den Augen der Anwesenden verbrennen.

„Ihr wagtet es, Euch von der Tradition abzuwenden und nun verlangt Ihr am Leben zu bleiben?! Wie vermessen von Euch!“, höhnte Koll und sah Nox grimmig ins Gesicht. „Ihr werdet uns niemals unterwerfen!“, knurrte Nox. „Ihr habt Euer Leben verwirkt“, sagte Koll trocken und flog hinauf zu seinem Thron. „Die Verräter sollen brennen!“, brüllte er und befahl den Soldaten das Holz zu entzünden.

„Was erlaubt Ihr Euch unschuldige Kinder zu opfern?! Sie sind es nicht, die Ihr strafen wollt!“, brüllte ich und warf meinen Mantel zu Boden. „Vater, helft uns!“, schrie Nox, denn die Flammen kamen ihm bereits bedrohlich nahe. „Gebt augenblicklich diese Jungen frei! Wir sind diejenigen die Ihr sucht!“, fiel Forte mit ein und preschte vor um dem verschlingenden Feuer Einhalt zu gebieten.

„Wer seid Ihr, dass Ihr es wagt die Hinrichtung zu stören?“, fragte Panax und trat die Treppe hinunter auf uns zu. „Beweist, dass Ihr die seid, die Ihr vorgebt zu sein“, forderte er und betrachtete mich forschend. „Seht mir in meine Augen und erkennt, dass ich der wahre Fürst von Varisc bin und mein Begleiter Forte, der Fürst von Reven, ist. Seid Ihr so rachsüchtig und blind, dass Ihr die Wahrheit überseht? Ich bitte Euch gebt die Jungen frei. Sie haben kein Recht hier zu sein.“ Er sah mich an und nickte. „Ihr seid derjenige, von dem Rastor sprach bevor wir ihn einsperrten, nicht wahr?! Gemaphim? Ihr? Noch im tiefsten Kerker und unter Folter wagt dieser Scharlatan uns zu verspotten.“ Panax lachte höhnisch, ging um mich herum, nahm meine Klinge zur Hand und zerrte an dessen Griff. Doch der „Wille des Drachen“ rührte sich nicht. „Was?! Euer Schwert widersetzt sich?! Pah! Eure Schmiedekunst ist nichts weiter als laue Luft! Es muss verrostet und verschlissen sein! Brüder, eilt mir zu Hilfe!“ Koll und Sorbus kamen die Treppe herunter und versuchten nun mit gemeinsamen Kräften meine Klinge aus ihrer Scheide zu ziehen bis es Koll mit großer Kraft gelang. Mein Schwert glänzte im tänzelnden Licht des Feuers. Fürst Panax, Ihr irrt Euch“, sprach ich gefasst. „Schweigt! Wo verbirgt sich dieses legendäre blaue Licht, das in jedem Dorf bewundert wird? Wo?! Ich befehle Euch, es vor unseren Augen zu rufen!“ Panax, den ich um drei Köpfe überragte, verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Nun, Fürst von Varisc, beweißt uns die Macht Eures Schwertes oder Ihr werdet wie Euere anderen Begleiter im Feuer sterben! Ihr habt die Wahl!“, polterte Koll und hielt mir mein Schwert an meine Kehle.
 

Was war dies schon für eine Wahl?!

„Versucht doch einmal, ob Ihr mich mit dem Schwert in Eurer Hand töten könnt“, entgegnete ich kühn. „Töte den Verräter, Bruder“, zischte Panax. Sorbus, der noch nicht ein Wort gesprochen hatte, schüttelte seinen Kopf.
 

Auf welcher Seite stand er?
 

Koll holte aus und schlug gegen meinen bloßen Hals. Nichts geschah bis auf eine kleine Wunde, die mir der Aufprall getan hatte. „Treibt keinen Schabernack mit uns! Was ist dies für eine Klinge, die es mir nicht erlaubt einen Verräter zu enthaupten?!“, fauchte Koll.
 

Der „Wille des Drachen“ war stumpf.

„Händigt uns das echte Schwert aus!“, befahl Panax. „Eine solche Klinge wie diese gehörte nicht in Eure Hände. Ein Siegel schützt es vor Eurer Gier“, antwortete ich. „Dann brauchen wir es nicht“, sagte Koll und ließ es zu Boden fallen. „Es ist nutzlos“, setzte Panax fort und stieg mit seinen Brüdern wieder die Treppe empor.

Forte mühte sich ohne seinen Zweihänder gegen die Soldaten, die ihn daran hindern wollten Nox und Dur zu befreien. Ich hob mein Schwert vom Boden auf und schob es zurück in seine Scheide.
 

„Es ist bald Zeit Euer Gesicht zu offenbaren“, sprach die Stimme zu mir.
 

Ich holte Fortes Schwert, das auf dem gleichen Tisch lag wie das meine und warf es ihm zu. Nun wichen die Soldaten in Respekt vor Forte zurück. Sie ahnten, dass sie es mit ihm nicht würden aufnehmen können.

„Vater, bitte! Ich flehe Euch an!“, kreischte Dur. Nox zerrte an den Fesseln, doch sie schienen sich noch fester zusammenzuziehen. Dann verlor Dur sein Bewusstsein. Wenn ich nichts unternahm, würden unsere Kinder verbrennen.

Im Nu war auch ich von Cherankos Soldaten umringt, während alle anderen vor der drohenden Gefahr flohen. „Warum lehnt ihr die Freiheit ab?“, fragte ich in die Runde. „Schweigt! Sprecht kein Wort mehr!“, brüllte Panax und befahl mich anzugreifen.

Ich wollte gar nicht entkommen. Was mich mehr als mein eigenes Ableben ängstigte war der Tod der Kinder.

Ich entfaltete meine Aura und meine Gegner wurden wie von unsichtbarer Hand gegen die Wände die Halle geworfen.
 

War dies meine Kraft? – Ja. Dies war jene Kraft, die ich in der Quelle erhalten hatte.
 

Aber hatte sie nicht immer schon tief in mir geschlummert?
 

Ich ging auf die Flammen zu und schritt hindurch. Es war heiß, aber die Feuerzungen verbrannten meine Haut nicht. Nun zerrte auch ich an den Fesseln, die sich aber dennoch nicht lösen ließen. Durs Kleider unterdessen hatten Feuer gefangen. „Nox, wieso hast deinen Bruder in Gefahr gebracht? Ich bin sehr enttäuscht von Euch“, sagte ich meinem Sohn ins Gesicht. „Dur ist mein Bruder? Wie kann es sein, Vater?“

Ich blies mit meiner Energie diesen unseligen Scheiterhaufen aus. „Siehst du dort den Fürsten von Reven? Sein Blut fließt durch deine Adern. Dur wurde zwar in Reven geboren, aber ein Teil von ihm stammt aus Varisc. Von mir. Ihr seid Brüder.“ Ich nahm meine Sei und durchtrennte die Fesseln, fing Dur auf und brachte ihn fort von den qualmenden Überresten der Hinrichtung. Nox sah Forte lange an ehe er mir folgte. „Beschütze deinen Bruder, Nox. Kehre nach Varisc zurück und nimm einen Freund von mir mit in die Heimat. Ich habe es ihm versprochen“, bat ich und eilte Forte zu Hilfe. Er hatte sich einen Schnitt an der rechten Schulter eingefangen, als er noch unbewaffnet kämpfte. Ich wischte seine Gegner mit einem Handstreich beiseite. „Chrys, was seid Ihr für ein Wesen?“, fragte er erstaunt, während ich seine Wunde heilte. „Gebt Eure Untertanen frei!“, brüllte ich und ließ die Halle in ihren Grundfesten erzittern.

Sorbus kam die Treppe herunter auf uns zu. „Glaubt Ihr an die Legende der Gemaphim, Fürst von Varisc? Ich sehe sie ist wahr.“ Seine Stimme war sanft, beinahe ätherisch. „Verzeiht meinen Brüdern. Ich habe Rastors Worten vertraut und er hatte Recht. Ihr seid es. Ich bitte Euch in aller Demut. Zeigt uns Euer Licht, wie es Varisc befreit hat.“ –„Versprecht meinen Begleitern freies Geleit. Ich möchte sie und unsere Kinder in Sicherheit wissen.“ –„Gewiss, Fürst von Varisc. Doch nun zeigt uns die Macht Eures Schwertes, denn auch uns ist der mächtige Sturm, der über uns wütet, bewusst. Ich glaube an Eure Kraft.“

Forte kam zu mir. „Tut es nicht, liebster Freund. Ihr wisst nicht, welchen Gedanken er folgt. Lasst Crescendos Siegel unberührt.“ –„Nein. Wenn es dem Frieden dient, würde ich selbst mein Leben hingeben“, antwortete ich ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Aber in einem hatte er Recht. Wir kannten Sorbus Absichten nicht.

„Fürst Sorbus, wie viel ist Euch an der Freiheit gelegen?“, fragte ich und sah ihm in seine Augen. Sie offenbarten mir sein ehrliches Herz.
 

Warum stand er seinem Clan nicht als alleiniger Fürst vor? Was war hier vorgefallen?
 

Sein Intellekt und seine Weitsicht waren meinen Talenten ebenbürtig.

„Euer weg war der richtige für Namek, doch meine Bemühungen Eurer Idee zu folgen, wurden von meinen Brüdern abgeschmettert. Ich musste mir diesen Aufruhr mit ansehen, obwohl mein Herz für Eure Sache schlägt.“

Ich sah argwöhnisch zu Koll und Panax hinauf.
 

Würden sie sich auf mich stürzen, wenn ich das Siegel löste? War nicht auch Sorbus’ Vertrauensseligkeit eine Falle, in die wir geraten sollten?

Abschnitt 7

„Um etwas bitte ich Euch noch. Bringt meine Gefolgschaft hier in den Saal. Sie haben auch ein Anrecht auf das Licht“, bat ich und legte Hand an den Griff meines Schwertes. Mit meinen Lippen formte ich die Worte: „Regotokare no Nameksei“. Ich wiederholte sie immer und immer wieder bis die Energie der Seelen aus der Schlacht zu Varisc erneut durch meine Adern strömen fühlte. Dies war die Formel, die Crescendo in die Scheide meiner Klinge geprägt hatte.

Forte ging hinüber zu Nox und nahm Dur in seine Arme. Zum erstem Mal sah ich Reue in Nox’ Augen. Er war sehr töricht gewesen und Dur – sein liebster Bruder – war durch diese Dummheit zu Schaden gekommen. „Es tut mir Leid“, wimmerte er. So war es nun einmal geschehen. Forte drückte Dur an seine Brust. „Wenn du mein Sohn wärest, hätte ich dich in deinen Gemächern einschließen lassen“, knurrte er mehr traurig als wütend. „Ich bin …“, schluchzte Nox und brach ab. „Forte er ist Euer Sohn. Dur lebt. Er ist schwach, aber bald werde ich ihm helfen.“

Der Junge hatte sein Schicksal in den Flammen zu sterben akzeptiert und sich nicht gewehrt. Der Rauch, den er eingeatmet hatte, konnte ihn töten.
 

Die Drachenkugel auf Kolls Thron erstrahlte wie die Kugel aus Varisc mit dem einen Stern, die Kugel, die über meine Heimatstadt wachte.

„Was ist das für eine Macht, die so viel stärker ist als alles was uns bekannt ist?“ fragte Panax und er und Koll kamen ungläubig zu uns herunter.
 

„Es ist die Macht eines wahren Fürsten. Die Macht der Gemaphim hat Namek nie verlassen!“
 

Als ich mich umdrehte, erkannte ich Rastor und die Garde, die an den Händen gefesselt herein geführt wurden. „Durchtrennt ihre Fesseln“, forderte ich. „Nein“, entgegnete Panax trocken. „Ihr erkennt einen Gemaphim nicht an? Was glaubt Ihr wie viel Kummer und Gefahr wir auf uns nahmen um hierher zu gelangen? Diesen Frevel, Fürst Panax, werde ich Euch nicht ver-geben!“, knurrte Forte, stand auf und ging auf ihn zu. Panax wich vor Fortes erhobener Faust zurück. „Lasst von ihm ab, liebster Freund. Er vertraut uns immer noch nicht“, sprach ich leise. Forte murmelte etwas, das ich nicht verstand. „Ihr sein zu nachgiebig, Fürst von Reven!“ fauchte Panax und zog einen Dolch. Gift glitzerte auf der Klinge, doch bevor ich ihn warnen konnte zog Panax ihm den Dolch durch sein Gesicht. Fortes Blut tropfte zu Boden.
 

Ich spürte Wut in mir. Die Kraft, die ich eben noch gefühlt hatte, schwand. Crescendos Siegel hinderte mich daran den Unwürdigen, der meinen Gefährten verletzt hatte, zu enthaupten. Der „Wille des Drachen“ stand für die Hoffnung und den Frieden, nicht für den Tod.
 

Forte brach zusammen.

Das stärkste Gift dieser Welt stammte aus den Eingeweiden eines kleinen Fisches, der so

selten war wie das Salz, das seit Tausenden Zyklen aus den Klippen von Devar gewonnen wurde.

Ich kniete mich zu Forte und gab ihm ein Stück getrockneter Kerbera zu kauen. Angewidert verzog er sein Gesicht. „Wie Ihr seht, bin ich darauf vorbereitet worden.“ –„Ihr irrt Euch, Fürst von Varisc. Revens Fürst wird nicht überleben und nun werde ich dieser Dynastie ein Ende bereiten“, schnarrte Panax und ging hinüber zu Nox und Dur. „Ein Stich wird euren Tod besiegeln und eure Clans werden verschwinden. Euch Fürst von Varisc, lasse ich zusehen wie Eure Familie untergeht. Dann zeigt Ihr Euer wahres Gesicht, wenn Ihr tatsächlich das Blut der legendären Clanführer in Euch tragt.“

Panax war dem Wahnsinn verfallen. Koll und Sorbus zuckten zurück, denn in den Augen ihres Bruders erkannten sie nichts weiter als Hass für uns. Selbst Koll, der stämmige Kriegerfürst, fürchtete die ungeheure Wut seines Bruders.

Nox wollte Dur beschützen und zog sein Katana, holte aus, doch verfehlte er seinen Angreifer. „Bleibt stehen!“, brüllte er mit Todesangst in seinen Augen. „Du wagst es mir befehlen zu wollen?! Du bist nur ein verzogenes Kind und d wagst du es mir zu drohen?!“ Panax schlug Nox mit seiner rechten Hand ins Gesicht, sodass mein Junge zu Boden stürzte. „Tretet von den Kindern zurück, Fürst Panax oder ich werde Euch töten!“, brüllte ich. „Ihr könnt mich nicht töten! Wie wollt Ihr es anstellen mit Eurem stumpfen Schwert?!“, lachte Panax und ritzte Nox ins Gesicht. Dann ging er an ihm vorbei zu Dur, der noch immer bewusstlos am Boden lag. Er würde sofort an der Vergiftung sterben, während die anderen noch eine Weile darunter leiden würden.

In lautem Krachen sprengte Rastor seine Ketten. „Legt Eure Hände nicht an diesen Jungen! Ihr sterbt ehe Ihr ihn erreichen könnt! Das schwöre ich!“, brüllte er und ging langsam und drohend auf Panax zu. „Rastor, Eure Schwüre sind nichts wert“, sagte Panax kalt, der sich schon über Dur beugte. „Hört Ihr mir nicht zu?! Eure Knechtschaft über mich ist nun beendet und Eure Befehle prallen an mir ab! Ihr habt mich benutzt, doch gibt es ein Licht, das weit heller strahlt als das Eure. Ich sollte den Gemaphim töten bevor er sich selbst erkannte. Wenn ich sterbe, gehört meine Seele ihm und dient dem Guten. Ich schwor, ihn mit meinem Leben zu beschützen. Dasselbe gebührt auch diesen Kindern.“ –„Euer Edelmut rührt mich zu Tränen. Ihr seid noch immer abhängig von mir. Das wart Ihr immer und nichts wird sich jemals daran ändern!“ –„Doch. Nun kann ich etwas bewirken. Ich kann Euch daran hindern die zu töten, die damals in Varisc meine Freunde geworden sind, wo ich das Licht zum ersten Mal sah.“ Rastor schlug Panax mit der Faust in dessen Bauch. Panax rutschte von der Wut des Schlages rücklings über den Boden.

„Was ist geschehen? Ich lebe noch“, fragte Dur benommen, als er in diesem Augenblick wieder zu Bewusstsein kam. „Lauf weg, Dur“, keuchte Nox. Als sich Rastor zu Dur umdrehte, versetzte ihm Panax einen Stich in seine Brust. „Lauf, Dur! Lauf! Du musst überleben“, schnaufte Rastor und sank in sich zusammen.
 

Ich stand nur da und sah dem unheilvollen Treiben zu, als wäre ich in Ketten gelegt.

„Rettet Euch, liebster Freund“, stöhnte Forte und spuckte Blut. Doch ich konnte nicht. Dur hob Nox’ Schwert auf und schwang es ungelenk um Panax auf Abstand zu halten. „Seht nun her, Fürst von Varisc! Seht wie Eure Zukunft vor Euren Augen stirbt!“, brüllte Panax. Er ent-waffnete Du mit Leichtigkeit. „Ihr habt genug Schaden angerichtet, Bruder!“, knurrte Koll und packte Panax von hinten am Kragen, sodass er wild mit seinen Armen ruderte um freizu-kommen. Dennoch hielt er den Dolch fest umklammert. „Auch für Euch kenne ich kein Erbarmen, Koll! Ihr seid ein Verräter!“ Ich spürte, dass Koll Energie sammelte um seinem wahnsinnigen Bruder dessen Genick zu brechen. „Tötet Ihr sie, kann niemand diesen Sturm besiegen. Zügelt Eure Wut. Kommt zu Euch , Bruder“, sprach Koll leise aber bestimmt auf Panax ein. Dieser seufzte und stach doch zu. Diese Geschwindigkeit ängstigte mich. Koll knurrte und beendete den Spuk. Er hatte getan was nötig war. Er hatte seinem Bruder den Hals umgedreht, ihn getötet um uns zu retten.

In der unheimlichen Stille sah ich umher. So viel Leid. „Chrys, mir ist so unsagbar kalt“, hauchte Forte. Nox war vor Schmerzen ohnmächtig geworden. Rastor. Er hatte sein Leben für Dur geopfert. „Dies haben wir nicht gewollt“, schniefte Sorbus.
 

Nein. Keiner hatte dieses Ende gewollt.

„Mehr als zuvor brauchen wir Euer Licht, Fürst Chrys. Ihr könnt ihnen allen helfen. Das ist die Macht der legendären Gemaphim“, bat Sorbus demütig.

Nun erkannte ich was im Dreigestirn geschehen war. Panax hatte Koll und Sorbus gegenein-ander aufgewiegelt und dann den Kriegerfürst auf seine Seite gezogen.
 

Koll Nox und Forte waren dem Tode nahe. Aber was geschehen war, war nicht zu leugnen. Ich bemerkte wie eine Veränderung in den Köpfen der Fürsten vonstatten ging. „Ich gebe die Stadt des Ursprungs frei. Ihr seid ein Mann großer Taten, Fürst von Varisc. Die Clans zu befreien ist zwar ein Weg ins Ungewisse und doch ist es ein Weg der ins Licht führt. Ihr seid ein Licht, das heller strahlt als alles auf dieser Welt. Ich bin froh Euch vor meinem Tod einmal zu sehen, Euch, den Herrn über Varisc, Gemaphim, der Ihr seid“, keuchte Koll. Sorbus nickte. Wieder rief ich in Gedanken die Seelen, die in meinem Schwert vereint worden waren.
 

„Nehmt in freien Seelen in Euren Körper auf. Die Macht der Gemaphim soll in Euch erwa-chen“, sprach die Stimme.

Ich spürte die Seelen auf mich einströmen, spürte Ameths Familie und Rastor, die mir Mut zusprachen. Dann zog ich den „Willen des Drachen“ aus seiner Scheide. Geschmeidig glitt die schmale Klinge heraus. Blau glomm das ganze Schwert und tauchte die Halle in sein heilendes Licht. „Forte, nun werde ich Euch heilen“, sagte ich sanft, kniete neben ihm nieder und legte meine linke Hand auf seine verletzte Wange. Langsam verschwand der Schnitt, verlor das Gift seine Wirkung. Forte lächelte. „Ich habe Eure wahre Macht nicht erkannt. Verzeiht mir, liebster Freund“, flüsterte er. „Ich verzeihe Euch. Ich ahnte selbst nichts bis zum heutigen Tag. Ich bin aber immer noch derselbe.“ –„Ihr seid das Licht in meinem Herzen, Chrys“, lächelte er und setzte sich auf.

Ich ging zu Nox und Koll hinüber. „Auch du musst leben. Für mich, Dur, Forte und deine Brüder“, sprach ich leise zu Nox und auch seine Wunde schloss sich unter meiner Hand. Sor-bus hatte seinen Bruder in seine Arme genommen damit er frei atmen konnte. „Ich gebe Euch Eure Gesundheit zurück, Fürst Koll, auf dass Ihr Euer Versprechen wahr machen möget.“ Ich heilte ihn so wie ich es bei den anderen getan hatte.

„Gütiger Herr, ich habe unsere Num gefunden!“, rief Ameth, der in die Halle geeilt war. Langsam kam er auf mich zu, rieb sich die Augen als glaubte er Geister zu sehen. „Fürchtest du mich, Ameth?“, fragte ich leise. „Ich fürchte Euch nicht, gütiger Herr. Wie sollte ich Euer strahlendes Licht fürchten, das Euch Flügel verleiht?“, entgegnete der Junge mit Tränen in seinen Augen und lief mir in meine Arme. „Eure strahlenden Flügel aus Licht möchte ich niemals aus meinen Augen verlieren, liebster Freund“, sprach Forte und richtete sich auf. Nox befreite die Garde von ihren Fesseln. Sie hatten alles gesehen. Nun verneigten sie sich vor mir. Ich schob den „Willen des Drachen“ in seine Scheide zurück. Langsam verblasste das Licht und verschwand schließlich ganz. „Darf ich Eurem Wort vertrauen, Fürst Koll?“, fragte ich und stand auf. „Ich stehe zu meinem Wort mit allen Konsequenzen, Fürst von Varisc. Noch heute hebe ich die alte Ordnung für den Frieden auf Namek auf.“ –„Gilt dies auch für Sojis, Devar und Ystak? Denn Ystak war der wahre Anlass für diese Reise.“ Koll überlegte, doch Sorbus antwortete für ihn. „Gewiss. Ich lasse Boten zu den Grenzen schicken, die fortan für alle Zeit geöffnet bleiben mögen. Versteht aber, dass Sojis und Devar nie unter unserer Fuchtel standen. Wir halfen den Fürsten in ihrer Not. Seht, Jugend und hohes Alter sind keine sicheren Ratgeber. Wir sahen den Sturm und mussten handeln. Nun habe ich beschlossen dort Wahlen anzuordnen.“ –„Überstürzt Eure Entscheidung nicht, Fürst Sorbus. Solch wichtige Vorhaben dürft Ihr nicht übers Knie brechen. Lasst uns erst Cherankos Befreiung verkünden und Ystaks Bevölkerung helfen“, lächelte ich milde und gab ihm meine Hand.

Die Macht, die er in mir sah, hatte ihn ganz und gar überwältigt.
 

Draußen indessen schlug ein Blitz in einen der Wachtürme ein und setzte ihn in Brand. Selbst der Regenschauer vermocht nicht das brennende Gebäude zu löschen. Die Stadtbewohner begannen sofort den Brandherd zu bekämpfen.

„Dies ist nun das dritte Feuer in den letzten zehn Tagen. Der Sturm hat die Kraft die ganze Stadt zu vernichten und nun zieht er weiter gen Westen“, stöhnte Koll und erhob sich. „Ja, ich weiß, Bruder, aber nun steht der Gemaphim an unserer Seite und wird uns beschützen“, eiferte Sorbus. Ich seufzte.
 

War meine erwachte Kraft der Schlüssel um den Sturm zu bannen? Wie könnte ein einzelner Mann das Schicksal eines ganzen Planeten bestimmen?

Ich wusste nicht wie es mir gelingen sollte.

Abschnitt 8

Ameth stand neben mir und sah fragend zu mir auf. „Diese jungen Herren sind Nox und Dur. Sie werden dich und Lim nach Varisc bringen“, sagte ich zu ihm und sah die Jungen mit ernster Miene an. „Ich möchte ohne Euch nicht reisen, gütiger Herr. Verzeiht meinen Widerspruch“, entgegnete Ameth demütig. Nox und Dur nickten. Sie würden sich auch dieses Mal meinem Befehl widersetzen, denn sie ahnten ihre Väter immer noch in Gefahr.

Forte blickte Nox grimmig in dessen Augen. Nun gut. Nox, reite nach Ystak. Man wird deine Tatkraft dort brauchen können. In fünf Tagen kehrst du mit dem Fürsten hierher zurück. Es ist an der Zeit, dass sich die Clans gegen die Urgewalt der Natur verbünden. Dur, ich habe auch eine Aufgabe für dich. Wähle dir einen Gardisten als Begleiter und reise nach Varisc. Bitte Meister Crescendo um Rat. Eure Missionen sind von höchster Wichtigkeit. Seit euch dessen bewusst“, befahl Forte. „Ich werde Euch gehorchen, Vater!“, sprachen sie wie aus einem Mund.

Nox gehorchte Forte, aber nicht mir. „Was tat ich dir, mein Sohn, dass du mir nicht gehorchst?“, fragte ich. „Ich wusste, dass Ihr mir etwas verschwiegt, doch mich zu überrumpeln in solch schwarzem Augenblick … Lasst mich für ein paar Tage verschnaufen damit ich Euch wieder in Eure Augen sehen kann“, sagte er leise und ging hinaus zu den Num die vor der Halle warteten. „Ich wusste, dass Ihr mehr seid als mein Mentor“, lächelte Dur und ich nahm ihn in meine Arme. Ich wünschte mir Nox hätte dies noch gesehen bevor erging, doch diese Gelegenheit hatte ich vertan. „Ich vertraue dir, Dur. Du wirst diese wichtige Entscheidung aus eigenem Ermessen treffen“, sagte ich um ihn zu ermutigen. „Ich werde Meister Crescendo von Euch grüßen“, antwortete er, löste sich von mir und verließ den Saal.

„Gebt Nox etwas Zeit. Eure Nachricht traf ihn unvorbereitet“, sagte Forte. Würde Nox mir dann verzeihen? Ich hatte ihm die Wahrheit offenbart, die mir schon solange auf meiner Zunge lag. „Chrys, mit Verlaub, ich habe es ihnen lang vor unserer Abreise aus Varisc berichtet. Ihr wisst wie sehr die Jungen Euch bewundern. Vor allem Dur. Er glaubte mir von Anfang an, doch Nox wollte es aus Eurem Mund erfahren. Aber nicht heute wo wir beinahe alle umgekommen wären. Ihr habt ihn im Inneren sehr getroffen.“

Warum war es mir nicht möglich so ehrlich zu meinen Gefühlen und Gedanken zu stehen wie Forte es tat?

Die einundfünfzig Zyklen seit der Befreiung von Varisc hatten mich für meinen Clan sprechen lassen. Ich war mein Clan, war eins mit ihm geworden. Doch was war mit mir? Was war mit mir als Individuum?

Ich spürte große Unsicherheit. Ich hatte meine Familie, meinen Gefährten und meine Seele aufs Spiel gesetzt. Sie waren am Leben, doch war ein Teil von mir heute hier gestorben. Ich setzte mich auf die unterste Stufe der Treppe und versank in Gedanken. Meine neu erlangte Kraft zehrte mich aus.

Ich war nicht mit dieser Kraft geboren worden.

Oder doch? – Ich würde es herausfinden müssen um diesen zerstörerischen Zweifel, der an mir nagte, zerstreuen zu können.
 

Warum war ich erwählt worden? Wer hatte mich erwählt?

Ich sah wie die Drachenkugel aufleuchtete, als ich mein Schwert zog. Ich sah meine blauen Flügel aus Licht und spürte eine höhere Macht in mir.

War ich in diesem Moment ein anderer geworden? War ich dieser Macht mit all ihren Konsequenzen verfallen?
 

Mein Herz war umgeben von Kälte, obwohl alle um mich waren, die Freunde, meine Familie und der Mann, dem ich mein Herz geschenkt hatte. Ich kauerte auf der Treppenstufe und Tränen rannen über mein Gesicht.

Ich würde die brodelnde Kraft in mir versiegeln müssen, denn je mehr der Gemaphim in mir zu Tage trat umso weiter schien ich mich zu entfernen. Selbst meine tränen, die heiß über mein Gesicht strömten und zu Boden tropften, verbreiteten Energie.
 

„Eine starke und reine Seele kann von keiner Macht im Universum gebrochen werden“, sprach die Stimme wieder. Ich war nicht stark. Ich nicht.

„Eine reine Seele ist der Schlüssel um die Macht der Gemaphim zu beherrschen. Eure Ahnen sehen auf Euch herab und haben Euch als würdig erachtet. Nutzt die Kraft mit Bedacht, Gemaphim, der die Clans einst einen wird.“

Die Stimme war tief und sanft. Sie löste meine Zweifel auf, umfing mich mit aller Wärme und als ich wieder zu mir kam, hatte Forte mich in seine Arme genommen. „Ich fürchtete Euch in Euren Gedanken zu verlieren, liebster Freund. Bleibt bei mir und lasst uns gemeinsam entscheiden, Chrys“, sagte er leise. „Eine starke und reine Seele kann von keiner Macht im Universum gebrochen werden“, murmelte ich. „Nichts anderes möchte ich von Euch hören. Ihr seid stärker als es im ersten Moment scheint“, lächelte Forte und brachte mich zum Stehen.
 

Wem gehörte diese Stimme, die seit Tagen meine Schritte lenkte?

Nun schwieg sie. Immer, wenn ich nah daran war zu verzweifeln, ermutigte sie mich meinen Weg fortzusetzen.
 

„Forte, reitet nach Devar und berichtet. Bringt den Fürsten schnell hierher. Ich habe eine Vorahnung, die sich nicht bewahrheiten darf“, sprach ich und starrte stur geradeaus. „Offenbart mir Eure Ahnung, liebster Freund. Was wollt Ihr von Devars Fürstenhaus? Dort gibt es nichts was uns helfen kann den Sturm aufzuhalten.“ –„Ich werde es Euch erklären, wie allen anderen Fürsten, wenn sie hier eintreffen. Bringt um jeden Preis auch deren Drachenkugel mit hierher. Reitet schnell. Wir haben wenig Zeit bis der Sturm ganz Namek überzieht.“
 

Ich schickte auch die anderen Gardisten aus. Einer folgte Dur, ein anderer folgte Nox. Sie sollten die Fürsten nach Cheranko bringen. Am meisten bedrückte mich aber, dass Laurons Fürst nun tot war. Die freie Stadt stand nun ohne Führung da.

Rastors ältester Sohn war ein arger Tunichtgut. Zwar um einiges älter als Nox und Dur, aber nicht so gelehrig wie sie. Er war ein junger Krieger, der immer bekam was er sich wünschte. Wenig geschliffen für die Position, die er nun einnehmen und meistern musste.
 

Forte zögerte noch. „Ich kann Euch nicht alleine hier zurücklassen, liebster Freund. Ihr wisst nicht, ob Ihr noch lebt, wenn ich wieder hier einkehre“, wandte er ein. „Ich werde hier auf Euch warten. Ich bin nicht allein. Ameth ist doch bei mir.“ „Ich lächelte den Jungen an, der neben mir stand. Aber dies schien Forte zu wenig zu sein. „Fürst Sorbus, garantiert mir seine Sicherheit. Keiner darf Hand an ihn legen“, forderte er. „Niemand wird Variscs Fürsten etwas zu Leide tun“, antwortete Sorbus mit ätherischer Stimme.

Forte knirschte mit seinen Zähnen. Er fand es unangemessen mich an diesem Ort bleiben zu lassen. Er vertraute Cherankos Fürsten nicht. Ich hoffte, dass mit Panax’ Tod alles Schlechte aus diesen Mauern gewichen war, trotzdem blieb noch ein bisschen Ungewissheit zurück.
 

Forte ging widerwillig, aber er ging. So sehr er ihnen misstraute, so vertraute er mir doch umso mehr. Ich würde mir schon zu helfen wissen.

„Darf ich Euch Eure Gemächer zeigen? Bis zur Wiederkehr der Boten seid Ihr unser Gast“, säuselte Sorbus und ging voran.

Unauffällig suchte ich den Weg dorthin mit meinen Augen nach Fluchtwegen ab. Ich wollte nicht eingesperrt werden wie ein Tier, wollte nicht ausgestellt werden wie eine Kuriosität. „wohin führt Ihr uns?“, fragte ich. „Ich führe Euch zur Spitze der Stadthalle. Es ist das Gemach unseres Vaters.“ Ich blickte ihn verblüfft an. „Er sprach damals an seinem Totenlager den Wunsch aus, dass sie eines Tages dem Mann gehören sollten, dem die Allmacht innewohnt und den Schlüssel zu führen weiß. Wie Ihr seht, Fürst Chrys, ist die Geschichte der Gemaphim in diesen Räumen stets lebendig geblieben.“ Sorbus wurde traurig. „Oh, Panax, wärst du nur für und nicht gegen mich gewesen“, murmelte er und schüttelte sein Haupt.
 

Ja, es war tragisch.
 

„Keiner hat dort gelebt?“, fragte Ameth, der aufmerksam zugehört hatte. „Niemand, mein Junge, bis zum heutigen Tag. Seit nun mehr als zweihundertsechsundzwanzig Zyklen“, antwortete Sorbus und lächelte den wissbegierigen Jungen an meiner Seite an.
 

Aus einem Fenster sah ich hinaus. Nebelschwaden zogen sich zusammen und bedeckten die Ebenen bis zu dem Bergkamm, den wir früher an diesem Tag überquert hatten. Eine gespenstische Ruhe legte sich über das Land.

Der gewundene Gang in die Spitze schien kein Ende zu nehmen. Ich glaubte in der Ferne noch Forte wahrzunehmen auf seinem Weg nach Devar um meiner Vorahnung zu begegnen.
 

Nun blieb Sorbus vor einer Tür stehen, betätigte einen Schalter und führte uns hinein. Im Dach der Kuppel sendete ein großes Fenster die letzten spärlichen Sonnenstrahlen in den Raum. Ein breites Lager stand darin, einige Truhen mit den Habseligkeiten des alten Fürsten und an den Wänden prangten prunkvolle Klingen. Nirgendwo lag auch nur ein Staubkorn. „euch sei zur ganzen Stadt freier Zugang gewährt. Ihr dürft erfahren was immer ihr begehrt.“ –„Danke. Fürst Sorbus, es tut mir sehr leid um Euren Bruder. Ich werde das Erbe Eures Vaters in Ehren halten“, sprach ich leise und verneigte mich vor ihm. Dann ließ er Ameth und mich dort allein. Der Himmel öffnete erneut seine Schleusen und dicke Regentropfen prasselten auf die grüne Scheibe nieder und hüllte alles in Dunkelheit. „Gütiger Herr, es ist mir unheimlich hier“, sagte Ameth leise und blickte sich um. Auf einer der Truhen fand ich eine Tranlampe, die ich sogleich entzündete. Ihr schummeriges Licht spendete uns wenigstens etwas Trost. Ich betrachtete die Klingen an den Wänden, in denen sich das Licht brach. „Sieben Klingen den Gemaphim eigen war’. Sie allein der Schlüssel Namek zu befreien“, sang ich leise die Melodie einer uralten Weise. In meinem leisen Singsang schienen die gewaltigen Schwerter zu erklingen. „Eure Stimmer verzaubert mich, gütiger Herr, doch unheimlich ist, was um uns geschieht. Macht, dass es wieder aufhört. Ich fürchte mich“, wimmerte Ameth. Ich beendete die Strophe und die Klingen verstummten ebenso plötzlich wie sie eingesetzt hatten. „Ameth, fürchtest du mich?“, fragte ich tonlos. „Nein, mein Herr. Ich möchte von Euch und mit Euch lernen, wenn Ihr es mir erlaubt.“ Ich spürte, dass er dennoch etwas Furcht im Herzen trug. „Bin ich noch der, den du kanntest?“, fragte ich und schnallte meinen Schwertriemen von meiner Brust. „Ihr seid, wen ich sah, als ich Hilfe am nötigsten brauchte“, antwortete er. Ich legte meine Klinge ab und seufzte.
 

Forte war nicht bei mir. Er würde nun dort draußen im Regen lagern müssen. Ich vermisste seine Nähe.

Warum wollte ich, dass er ging?

Die Wege nach Osten bis zur Stadt Devar im Bergbaugestade waren alt und unsicher. Hätte ich mit ihm gehen sollen?

Wir hätten gemeinsam den Regen erduldet und die schlammigen Pfade überquert.
 

Was, wenn der „Wille des Drachen“ nicht der Schlüssel war?
 

Was, wenn ich nicht der Gemaphim war, an den sie glaubten und all ihre Hoffnung in ihn setzten?
 

Ich fühlte mich erbärmlich. Immer mehr Fragen stürmten auf mich ein. Ich musste mir meine Hilflosigkeit eingestehen.

„Ich möchte die Archive besuchen“, sagte ich und ließ Ameth im Raum zurück. Ich wollte Antworten auf all meine Fragen finden und wo sonst konnte ich sonst am besten antworten finden als in den Archiven in der Stadt des Ursprungs. „Wartet auf mich! Nehmt mich mit! Ich fürchte mich allein!“, rief Ameth und trug mir mein Schwert nach. „Verzeih. Ich wollte dich nicht zurücklassen, doch zweifle ich an mir. Ich zweifle an allem was mich ausmacht, mein Junge. Ich weiß nicht wer ich bin.“ Ich seufzte abermals und ging den Weg hinunter in die Halle. Ich legte meine Klinge wieder an und fand Sorbus vor, der einige Schriften unterschrieb. „Die Schwerter singen, Fürst Sorbus“, lächelte Ameth. „Fürst Chrys, erklärt es mir. Für diese Kunst schien mir Varisc bisher nicht bekannt zu sein. Habt Ihr in Sojis gelernt zu spielen?“
 

Sojis war die Stadt der Sänger und Gaukler, der Künstler und Musikanten. Dort lebten die Schwertsänger, die mit ihren Künsten den einfachen Leuten eine leichtere Zeit bescherten. Auch nach Varisc waren sie gereist und einige lebten sogar dort. Ich lauschte ihnen gerne, doch zu musizieren hatte ich nie gelernt.

Ich konnte mich mehr schlecht als recht an Melodien erinnern bis auf diese eine, die sich mir ins Gedächtnis gebrannt hatte. Kumin sang es mir immer vor, wenn ich als Schlüpfling traurig war. Ich vermisste meinen Onkel noch immer.

„Ihr versteht nicht ganz. Ich werde es Euch erklären. Eine Weise aus meinen Kindertagen, die ich sang, ließ die Schwerter der Ahnen erklingen.“ Ich fühlte mich mehr als unbehaglich es ihm zu berichten. Es war mehr als meine Fantasie, die mir einen Streich spielte. Ameth hatte auch gehört wie der Singsang meiner Stimme folgte. Sorbus zögerte nicht, holte die Drachenkugel vom mittigen Thron herunter und hielt sie mir hin. „Zeigt mir Eure Magie. Ich möchte an Euch glauben“, strahlte er und lief an uns vorbei die Rampe empor.
 

Würde es mir noch ein Mal gelingen oder war es nicht mehr als ein Zufall?
 

Wieder wünschte ich mir Forte an meine Seite zurück. Innerlich vermisste ich seine Art meine Ängste und Zweifel zu zerstreuen.
 

Langsam folgten wir Sorbus, der weit voraus geeilt war.

Ich trauerte um jede verlorene Seele. Ich trauerte um alle, sogar um Panax, der vor Stunden noch nach unseren Leben getrachtet hatte. Wir waren doch ein Volk, waren eins in unserem Blut.
 

Warum waren so viele gestorben? Unsere Mission zählte nun ungefähr fünfzig Opfer, die ohne Grund getötet worden waren. Doch. Einen Grund gab es sehr wohl. Die Macht der Gemaphim sollte nicht in mir erwachen und ich betete, dass alles nicht mehr war als ein Traum, aus dem es zu erwachen galt.
 

„Weint Ihr, gütiger Herr?“, fragte Ameth. Ja. Ich weinte um die vergangenen Seelen. Aber ich antwortete ihm nicht. Als wir den Raum wieder betraten, hatte Sorbus die Drachenkugel auf dem Arm und erwartete mich. Ich war so voller Trauer und Einsamkeit, dass ich vor den Schwertern der Ahnen auf meine Knie sank. Leise und mit Tränen in meinen Augen stimmte ich die erste Strophe des Liedes an und ebenso leise schienen die Klingen zu antworten. „Sieben Klingen den Gemaphim eigen war’. Sie allein der Schlüssel Namek zu befreien …“, wimmerte ich. Doch nun verstummten sie nicht. „Den Ahnen geweiht sei auf ewig diese Kraft“, flüsterte Sorbus. In Gedanken sah ich sie vor mir, jene, die gestorben waren. „Regotokare, meine Freunde. Im Tod wie im Leben sind wir eins“, hauchte ich und zog den „Willen des Drachen“ aus seiner Scheide. So schnitt ich mich dabei und mein Blut tropfte auf die blau glimmende Klinge, die stumpf war für jene, die mit Gewalt versuchten das Siegel zu brechen.
 

„Wahre Würde offenbart sich, wenn Euer Geist an Eure Fähigkeiten geknüpft ist. Euer Blut ist frei von Zorn. All dies haben wir an Euch festgestellt. Ihr seid Gemaphim und Euer Licht strahlt so hell wie keines zuvor“, sprach die Stimme wieder zu mir und mein Schwert erleuchtete den Raum. Das Licht schien durch das Fenster hinaus in die Dunkelheit des regenverhangenen Tages und gab mir wieder Hoffnung, brachte sie denen, die sie am Nötigsten brauchten, brachte sie auch zu Forte auf seinem Weg nach Devar. Sie schien mir in meinen Körper überzugehen wie damals als das Leiden meinen Leib verließ um meine Klinge zu formen. Ich wurde für einen Moment alles was Leben war. Es war genug mich die Gedanken jener spüren zu lassen, die in meinem Herzen waren. Ob sie wussten, dass ich in diesem Augenblick bei ihnen war?

„Seht Ihr die Flügel aus purer Energie, Fürst Sorbus?“, fragte ich leise als wäre meine Stimme aus meinem Körper entflohen. Die Drachenkugel in Sorbus’ Armen erstrahlte. „Ihr seid ein wahrer Gemaphim, Fürst Chrys. Es gibt keinen Zweifel mehr“, antwortete er. Seine Zweifel mochten sich verflüchtigt haben, doch meine blieben mir erhalten. Eines war mir bewusst geworden und stürzte mich in tiefe Trauer. Weit entfernt in Varisc lag Meister Crescendo im Sterben. Ich hatte seine Sorge um mich gespürt.

Abschnitt 9

Ich gab den „Willen des Drachen in seine Scheide zurück und das Licht verlosch. Schwäche befiel mich und ich glaubte schon an einen Rückfall in die To’ori. Mühsam stemmte ich mich vom Boden hoch und rang um Luft. „Gütiger Herr, was ist mit Euch?“, fragte Ameth und stützte mich. „Lass mich einen Augenblick verschnaufen. Ich verbrauche sehr viel Energie, wenn ich die Seelen anrufe.“ Ich lächelte erschöpft und nahm auf dem Lager Platz. „Soll ich Euch etwas bringen?“, fragte Ameth. „Gib mir ein Kerberablatt aus meinem Vorratsbeutel. Ich möchte niemandem hier zur Last fallen, indem ich Euch um etwas zu essen bitte, Fürst Sorbus.“ Ameth durchsuchte meinen Beutel, der auf dem Lager lad und gab mir schließlich eines der saftigen Blätter. „Ihr seid mein Gast. Ihr fallt mir nicht zur Last, Fürst von Varisc. Doch erklärt mir was Ihr da für eine Pflanze in Händen haltet. So etwas wächst nicht auf den Wiesen Zentralnameks.“

Ich seufzte und brach das Blatt in Hälften, hielt ihm die andere Hälfte hin und er nahm meine Einladung an. „Es ist unsere Wappenpflanze. Die Kerbera ist ein einheimisches Gewächs aus dem Norden. Probiert nur. Der Saft stillt den Durst für eine ganze Zeit. Die reifen Früchte füllen die Mägen der Bevölkerung von Varisc und Reven. Aus den getrockneten Früchten gewinnen wir eine Medizin gegen Vergiftungen aller Art.“

Ich biss ein Stück ab und drückte den Pflanzensaft an meinem Gaumen heraus. Der belebende Saft brachte meine Kräfte zurück. Sorbus tat es mir nach und blickte mich ob des Geschmacks aus großen Augen an. „Euer Gewächs scheint wahre Wunder zu bewirken. Wäret Ihr bereit, uns beizubringen wie man sie anbaut? Was begehrt Ihr aus Cheranko, dass Ihr bereit wäret Euer Wissen und Eure Güter mit uns zu teilen?“

Er war so voller Tatandrang nach Panax’ Tod, dass es mir beinahe Angst und Bange wurde. „Ruhig Blut. Ihr verlangt zu viel auf einmal“, wehrte ich ab und schweigend verzehrten wir die Blätter.

Plötzlich vernahmen wir das aufbrausende Jubeln der Stadtbewohner, die dort unten auf dem Versammlungsplatz Kolls Rede zur Befreiung gelauscht hatten und… Sie riefen nach mir. Gestärkt, doch noch immer im Zweifel traten wir die Rampe hinab zum großen Tor, wo Koll sich ehrfurchtsvoll vor mir verneigte, als ich mich vor die erwartungsfrohe Menge hinstellte.
 

In Reven hatten die Bürger dankend die neue Ordnung in Empfang genommen, doch es war erst der Tod eines ihrer Fürsten von Nöten gewesen, um die Bevölkerung aus ihrer Lethargie zu wecken.

„War das Euer Licht, Fürst von Varisc?“, fragte einer der Männer, die zu vorderst am Fuß der Treppe standen. „Ja. Es war mein Licht“, antwortete ich mit einem Nicken.
 

Ich fühlte mich wie ein gefangenes Tier. Ich wünschte mir, in der Heimat zu sein, dort, wo ich nicht von dieser Bestimmung verfolgt wurde. Ich wünschte mir, mit Forte auf seiner Reise zu sein. All das Elend, das ich gesehen hatte, ballte sich zu einer schwarzen Wolke in meinem Inneren zusammen. Genau wie die, die Nameks Himmel verfinsterte.

Der Begriff „Freiheit“ war weit gedehnt worden in all der langen Zeit und nun war es an Koll und Sorbus sie zugunsten von Cheranks Bewohnern auszulegen.

Regentropfen prasselten abermals nieder und alle waren gezwungen in ihre Behausungen zurückzukehren.

Der Schauer offenbarte die Trostlosigkeit, in der die Stadt versank. Die Herrlichkeit Cherankos schien durch das Unwetter weggewaschen worden zu sein.

Vier Tage vergingen ereignislos bis am fünften Tag Nox aus Ystak zurückkehrte und Ystaks Fürsten, dessen Gefolge und die Kugel mit den vier Sternen mitbrachte. Sie betraten die Quelle um daraufhin gestärkt in der Stadthalle auf mich zu treffen. Mentha, der Fürst von Ystak, der von der Bevölkerung erwählt worden war, stand mir nun zum ersten Mal gegenüber. Der Mann war etwa fünfzehn Zyklen älter als ich, doch seine ausgemergelte Gestalt ließ ihn sechzig Zyklen älter erscheinen.

„Im Namen meiner Heimatstadt danke ich Euch. Ystak wird wieder erstehen aus den Trümmern und der neuen Ordnung folgen.“ Er verneigte sich tief vor mir. „Dankt nicht mir, Fürst Mentha. Dankt Nox, meinem Sohn und dankt auch Forte, aber dankt nicht mir.“

Noch bevor jemand in der Runde etwas entgegnen konnte, erschallten die Muscheln der Wachposten. Dur kehrte von seiner Mission zurück. Obwohl er stolz sein sollte, dass er den Auftrag vollbracht hatte, war der Junge in seinem Herzen schwer getroffen worden. „Ich grüße Euch, mein Vater und auch dich, Nox, von ganz Varisc.“ Seine Stimme brach sich. Er hatte Tränen in den Augen. „Was geschah in der Heimat, Dur? Was fiel in der Heimat vor, dass du mir nun Tränen zeigst?“, fragte ich, doch insgeheim wusste ich schon was vorgefallen war. „Meister Crescendo… Er ist am Tag meiner Ankunft in Varisc gestorben. Nun will ich Euch ausrichten was er mir an seinem Lager mitgegeben hat. Mit Variscs Drachenkugel überbringe ich Euch seine Seele, die fortan immer mit Euch sein wird.“ Auch Nox war die Trauer nun anzusehen. Er spürte tiefe Schuld am Tod seines Lehrmeisters. „Das habe ich nicht gewollt, mein Vater. Ich habe zu ihm aufgesehen wie zu Euch und nun ist er fort. Verzeiht Ihr mir, dass ich Euch beleidigt habe?“ –„Nox, dich trifft keine Schuld. Seine Zeit war gekommen. Ich nehme alle Last auf mich, denn aus Sorge um mich ist er gestorben. Ich muss dich um Vergebung bitten für alles was ich dir tat.“ –„Ich verzeihe Euch, Vater“, sagte Nox schließlich leise und trocknete seine Wangen.

Während ich noch Buße tat, traf Sempas, der Fürst von Sojis und Reparo, Rastors Sohn und neuer Anführer von Lauron mit der Drei- und Fünfsternekugel in der Halle ein. Reven schickte einen berittenen Trupp aus fünf Mann, der dem Gardisten mit der Zweisternekugel sicheres Geleit gewährten. Eine der Drachenkugeln fehlte noch… und ihre Boten.

Abschnitt 10

Am Morgen hatte ich Ameth zu den Aussichtsposten entsandt. Ich wartete auf Fortes Rückkehr wie ein ungestümes Num-Fohlen. „Gütiger Herr! Gütiger Herr, von fern nähert sich ein Num!“, rief Ameth, als er in die Halle stürmte um Bericht zu erstatten. „War er beritten? Ameth, sag es mir“, fragte ich. „Nein, mein Herr. Er trägt gewiss einen Sattel, doch trifft er ohne Reiter ein.“ Niemals würde ein Num seinen Reiter verlassen. Es sein denn… Ja… Es sei denn, es wäre ihm befohlen worden. Die Muscheln der Wachposten ertönten, als das Tier sie überrannte. „Forte, was ist nur mit Euch geschehen?“, dachte ich und nagte nervös an meinem rechten Daumen. Ich lief hinaus auf den Platz und sah das große Tier auf mich zu eilen. Isturs grüne Augen blitzten auf, als er mich erkannte. Er schnarrte und hielt nur wenige Schritte von mir entfernt aus vollem Lauf an. „Istur, wieso bist du allein hierher zurückgekehrt?“ ,fragte ich aufgeregt. Istur scharrte mit seinen Hufen. „Wo ist Forte?“, fragte ich. Der Num schüttelte seinen mächtigen Schädel. „Bring mir Otea. Schnell, Ameth, beeile dich“, sprach ich zu dem Jungen, der mir gefolgt war. „Sofort, gütiger Herr!“, rief er und eilte davon. Ich rieb Istur über dessen Maul um ihn zu besänftigen. „Du wirst mich dorthin bringen wo Forte ist“, sagte ich bestimmt. Einige Minuten vergingen, in denen ich Istur nur forschend betrachtete. Er war nicht verletzt worden.

Forte musste noch am Leben sein nicht weit von hier. Vielleicht war er verwundet und konnte sich nicht selbst heilen. Ich würde aus Sorge um ihn vergehen.
 

Ameth brachte mir Otea. „Sag Nox und Dur, dass sie meiner Spur folgen sollen!“, rief ich, stieg in Oteas Sattel und sprengte davon ohne Ameths Antwort abzuwarten. „Schnell, Istur, bring mich zu Forte! Bring mich zu deinem Herrn!“, rief ich dem treuen Tier zu. Istur lief einen Bogen und Otea hastete ihm behände nach. Vorbei an Tümpeln und kleinen Wäldern folgte ich dem Weg bis zu einer Lichtung. Istur zwitscherte und fraß etwas von dem Gras, das dort wuchs. Aus der Dunkelheit des Waldes traten zwei Männer und eine Kreatur, die von den östlichen Stämmen als Reittiere genutzt wurden. Es war ein Shievo aus den Bergen nahe Devar. Er trug einige Narben von Streitigkeiten um die Vorherrschaft im Territorium. Forte stützte den Mann, dem das Tier gehorchte. Istur reckte sein Maul dem Himmel entgegen und zwitscherte, rieb seine Pfoten aneinander und lief auf seinen Herren zu. Er war überglücklich, nicht mehr von Forte getrennt zu sein und so fühlte auch ich. Aber noch hatten sie mich nicht bemerkt.

Otea scheute vor dem stämmigen Shievo, schlug nach dem kräftigen Tier. Der Shievo schnatterte und schüttelte seinen Schädel. Mit seinem großen Kiefer hätte er leicht Otea einen Arm abbeißen können.

„Fürst Ilos, haltet noch etwas durch. In einigen Stunden kann Euch geholfen werden“, sprach Forte zu seinem Begleiter, dem alten Fürsten Ilos aus der Bergbaustadt Devar. „Ich schaffe es nicht, Fürst von Reven. Nehmt die Kugel mit dem sechs Sternen mit Euch nach Cheranko, wo der Gemaphim auf Euch wartet.“ Ilos’ Aura war beinahe erloschen. Forte schüttelte den Kopf. „Nein. Ihr werdet das Licht des Gemaphim erblicken und gesunden.“

Ich stieg aus Oteas Sattel und ging auf beide zu… nein, ich rannte. Ich wollte ihnen mein Licht geben.

„Wer da?!“, fauchte Forte und zog seinen Zweihänder. Er würde alles und jeden töten, der seine Mission gefährden konnte. Ich gab einen Teil meiner Aura frei. Sie war ihm wohlbekannt und so senkte er seine Waffe. Von weitem sah ich Erleichterung in seinem Gesicht. „Ihr werdet leben, Fürst Ilos. Der Gemaphim hat uns gefunden.“ Hinter mir vernahm ich den Hufschlag zweier Num, die schnell näher kamen. Dur und Nox hatten mir Folge geleistet. „Forte, ich habe Euch vermisst“, schnaufte ich, als ich vor ihm zu stehen kam. „Ich dachte unentwegt an Euch, liebster Freund. Istur hat Euch also hierher geführt. Euer Licht begleitet mich und unablässig hat mein Herz nach Euch gerufen“, lächelte er. Nun war nicht die Zeit einander in die Arme zu schließen. Ilos blickte benommen zu mir auf und keuchte. „Ich sehe einen mutigen Mann, dem eine große Kraft innewohnt. Aus alter Zeit stammt diese Kraft.“ Er streckte zitternd seine Hände nach mir aus. Ich nahm sie in meine und sendete ihm von der heilenden Energie, die in mir floss. Sein Körper war sehr geschwächt. In Gedanken formte ich ein Gebet für ihn.

Otea umkreiste argwöhnisch den Shievo-Bullen.

Auf den Ebenen hatten die schnellen Num einen Vorteil gegenüber den Shievo. Während die Num ihren Feinden davonlaufen konnten, schlossen sich die Shievo zu wehrhaften Herden zusammen. So verdrängten die Num die Shievo in die Berge Ostnameks.

Otea aus Variscs Stallungen war vorher niemals einem Shievo gegenüber gestanden. Das vierbeinige Tier aus den Bergen knurrte. Otea senkte seinen Schädel. Leittiere waren sie beide und nun mussten wir als die Oberhäupter unserer Art verhindern, dass eines der Tiere zu Schaden kam. Ilos bewegte sich trotz seines Alters behände an den um sich schlagenden Körpern vorbei und sprach im Dialekt der Bergvölker zu seinem Shievo, der nach Oteas linker Flanke schnappte. Ich riss Oteas Zügel an mich und sah meinem Tier grimmig in dessen Augen. Forte half Ilos und so trennten wir die beiden Kontrahenten. Wir sprachen leise zu unseren Tieren und einige Zeit später billigten sie die Anwesenheit des anderen.
 

Nox und Dur erreichten die Lichtung. „Vater, man erwartet Eure Rückkehr. Fürst Sorbus ersucht nach Euch“, sprach Nox zu mir. Als die beiden Brüder Forte sahen, brachen sie in Tränen aus. So erfuhr Forte von der Ankunft der Fürsten, der Lichtsäule, die ganz Namek erhellte und von Crescendos Tod. Dann traten wir die Passage nach Cheranko an. Wir hatten Ilos auf seinem Shievo in unsere Mitte genommen. Nun erfuhr ich auch wie er seinen Begleiter nannte. Er nannte sein Tier Soma. Ich zwang Otea die Führung auf, so dass er nicht wagte den Kopf nach Soma umzudrehen.

Wie eine Prozession folgten wir dem Weg, den Istur nach Cheranko gekommen war. Forte – obwohl erschöpft von der langen Reise – lächelte mich an. Sein Lächeln vertrieb die finstere Wolke, die sich auf meine Gedanken gelegt hatte. Ich fühlte Leidenschaft in mir auflodern und ich würde sie zulassen.

Der Shievo hielt in der Gruppe von berittenen Num erstaunlich gut mit. Umso mehr wunderte mich, dass die vierbeinigen Tiere in die Berge gedrängt worden waren. Nun, dort hatten sie den Num etwas voraus: Shievo konnten ausgezeichnet klettern. Dort waren sie vor den Lenteri, den großen Räubern der Ebenen, sicher und ihre Jungen mussten nur noch das Wetter und die Angriffe der Dornenfalken fürchten.

Abschnitt 11

Cherankos Mauern waren bereits in greifbarer Nähe, als vor unseren Füßen der Blitz einschlug. Es regnete abermals auf uns hernieder. „Lasst und bald in den Stadtmauern einkehren. Hier draußen ist jedes Leben in Gefahr erschlagen zu werden“, bat ich und erhöhte die Geschwindigkeit. Ich erzitterte unter jedem Donnergrollen. In gestrecktem Galopp kamen wir dem Stadttor immer näher, als ein Lenteri durch das Unterholz brach. Laut brüllend stürmte das gewaltige Raubtier auf uns zu. Für einen Augenblick bereute ich es, Cherankos Verteidigungsanlagen so überstürzt verlassen zu haben. Otea tat einen Satz zurück. Die Num konnten ihren natürlichen Feinden nur durch Flucht entkommen, doch ich hielt mein treues Tier davon ab. Dur blies in seine Muschel um die Wachen zu alarmieren. Der Lenteri drehte sich zu Dur um. Leuchtend grüne Augen wandten ihren Blick auf Fortes Sohn. Nox schwang sich aus dem Sattel seines Reittiers und zog sein Schwert.
 

„Bleib stehen, Untier! Nichts auf Namek wird den Fürsten ein Leid antun!“
 

Der Lenteri ließ sich nicht durch Worte beirren. Er schnappte nach Nox. Doch bevor sich die Kiefer schließen konnten, hatten Forte dem Reptil dessen Kopf abgetrennt. Soma scheute, als der blutüberströmte Körper auf dem durchweichten Boden aufschlug. „Das hat er nun davon. Seit Tagen schon ist er uns auf den Fersen“, sagte Forte erleichtert.

Meine Sorge Forte gegenüber war also berechtigt gewesen und nun war ich umso erleichterter, dass er wieder zurückgekehrt war. Die Jungen fühlten ähnlich aber ich würde Nox für seinen Leichtsinn tadeln müssen. Er hatte Fortes schneller Klinge seinen Kopf zu verdanken.

Wichtiger war jedoch war es, Fürst Ilos von Devar zum Versammlungsort zu eskortieren. Eilig trabten die Tiere über den schlammigen Untergrund hinein in die sichere Stadt. Forte hielt immer ein Auge auf Ilos’ Zustand. Lange – ich sah es sofort – würde er nicht mehr im Leben ausharren können. Nicht einmal die Macht der Gemaphim konnte den Verfall und damit dem unaufhaltsamen Tod aufhalten.

Ein zweites Mal besuchte ich Cherankos Quellen und war überrascht, dass die Stimme, die beim ersten Mal zu mir gesprochen hatte, nun schwieg. Als wir das Bad verließen, wartete Ameth bereits auf uns. „Gütiger Herr, nun sind alle Fürsten versammelt. Man wartet nur noch auf Euch“, sprach der Junge und ging voraus in die Stadthalle. Nox und Forte stützten Ilos und führten ihn die Stufen hinauf, den Gang entlang und hinein in die Hauptkammer.

Dort waren sie versammelt, doch unterhielten sie sich nur mit ihresgleichen. Sie waren da und ich erkannte sie gleich: die Fischer aus Ystak, die Händler aus Lauron, die Gaukler aus Sojis die Krieger aus Reven und die freien Bürger aus Varisc, meine Kinder und Brüder.
 

Cherankos Fürsten warteten am Fuß der Treppe auf mein Eintreffen. In jeder Gruppe fand sich ein Drachenkugel, die nun zum Ort ihrer Schöpfung zurückgekehrt waren.

Koll blickte argwöhnisch in die Menge. „Zu viele unaufrichtige Gestalten“, murmelte er. „Dies liegt im Auge des Betrachters und niemand von ihnen scheint mir falsch zu sein, entgegnete ich. Ich hoffte, dass mich mein Gespür nicht täuschte und Reparo die Bemühungen seines Vaters nicht zunichte machte. Obwohl die Städte für sich blieben wie ich befürchtet hatte, musste ich nun zu ihnen sprechen und ihnen von meiner Vorahnung berichten. Ob sie an meine Worte glaubten, würde ich ihnen überlassen müssen und so nähme das Schicksal seinen Lauf. Forte, Dur und Nox waren bei Ilos geblieben und ich sah Sorbus auf der Suche nach den passenden Worten an. „Sprecht zu ihnen. Euretwegen haben sie sich in der Stadt des Ursprungs versammelt“, drängte er.

Der junge Fürst aus Sojis spielte auf seiner Flöte eine Melodie, die mir wohlvertraut war. Nun lagen die Strophen in ihrer Urform vor mir. Die Seelen der Toten schienen vor meinen Augen einen beschwörenden Reigen zu tanzen, in dessen Mitte ich stand. Ich zog den „Willen des Drachen“ ohne Widerstand aus seiner Scheide. Viele der Seelen blieben ohne Gesicht, doch die, die ich glaubte wiederzuerkennen, näherten sich mir. Sie nickten mir stumm zu. Die Wirklichkeit war mit der Traumwelt verschmolzen. Blau glomm die Klinge in meiner Hand. In den Händen der Boten begannen die Drachenkugeln zu strahlen. „Seht genau hin! Der Schlüssel ist gefunden worden“ , sprach Forte und alle betrachteten mich. Als Sempas’ Spiel verstummte, verschwanden die tanzenden Seelen. Die Fürsten tuschelten mit ihren Gefolgsleuten.
 

„Dieser alte Mann soll der Schlüssel sein?! Namek droht im Sturm unterzugehen und Ihr habt für die Clans nur Hohn und Spott übrig!“, polterte Reparo und zog sein Schwert. Er stürmte auf mich zu. „Ihr seid zu ungestüm, junger Fürst von Lauron“, sprach Mentha, der von Reparo im Gegenzug nichts als böse Blicke erhielt. Unaufhaltsam strebte dieser auf mich zu. „Keinen Schritt weiter, Reparo! Genug Blut ist vergossen worden! Ich stelle mich Euch entgegen, um meinen Vater zu beschützen!“, knurrte Nox sein Katana in Händen haltend. „Du bist seines Blutes? Das erklärt deine schwächliche Statur!“, schnappte Reparo. Nox war alles andere als schwächlich. Seine Jugend verbarg seine wahre Kraft sehr klug. Ich stand nur da mit dem Schwert zur Hand und sah starr dorthin, wo ich die Seelen erblickt hatte. „Vater, bringt Euch in Sicherheit!“, rief Nox und stieß Reparo zurück. Das Handgemenge versetzte alle in der Halle in Aufruhr.
 

Alle außer mich.
 

„Aus meinem Weg, kümmerlicher Wurm!“, brüllte Reparo und trennte Nox’ Führungshand ab. Keuchend fiel mein Sohn vor seinem Peiniger auf die Knie. „Ihr…!“, knurrte Nox. „Ihr werde es noch bereuen, Euch mit Vaidurs Clan angelegt zu haben. Euer Vater hatte uns Treue geschworen, doch für Euch werde ich keine Gnade kennen.“ Nox bemühte sich, Energie zu sammeln um eine Neue Hand zu regenerieren. „Vaidurs Clan ist schwach wie dein Vater! Was kümmert mich dein Geschwätz?!“ Reparo holte aus um mich zweizuteilen. „Eure Kraft reicht nicht aus“, sagte ich ruhig und fing die Klinge mit meiner rechten Hand ab. Reparo konnte mich nicht töten. Verletzen, ja, doch nun rannen nicht mehr als ein paar Tropfen Blut. Ich zerbrach sein Schwert mit einer Hand, so dass es in Tausenden Bruchstücken zu Boden rieselte. Reparos Gefolgsleute brachen in schallendes Gelächter aus. Zweifellos war es respektlos und unverschämt.

„Unterschätzt die Alten nicht!“, prustete einer von ihnen. Ich war nicht alt. Nur hundertzwanzig Zyklen trennten mich von Laurons Fürsten.
 

„Ihr seid von Neid zerfressen“, brummte Forte und schlug Reparo ins Gesicht. „Euer Verhalten geziemt sich nicht für Euer Blut. Auf Ungehorsam stand zur Zeit meines Großvaters der Tod. Für Eure Tat wäret Ihr gefoltert und verbrannt worden. Auf den Angriff gegen einen Fürsten in Verhandlung steht diese Strafe heute noch.“ Forte drohte Reparo mit seinem Zweihänder. Dieser wich vor der mächtigen Klinge zurück. „Nein“, sprach ich ruhig. „Das alte Recht ist mit den alten Fürsten gefallen. Ich erlaube nicht einen Toten mehr in den Mauern der Stadt des Ursprungs.“

Abschnitt 12

Langsam ging ich auf Reparo zu und verzog keine Miene bis ich ihm direkt in die Augen blicken konnte. Aufgeregt atmend erwartete was ich nun unternehmen würde. Ich widerstand der Versuchung ihn schwer zu verletzen. Es entsprach nicht meiner Natur. Auch tief in mir verbarg sich Kälte und Grausamkeit, die man seinem ärgsten Feind offenbarte, wenn man ihm mit scharfer Klinge den Kopf von den Schultern schlug. Doch ich würde es niemals zu Tage treten lassen. Die Macht des Gemaphim war eine starke Barriere gegen den Zorn, den der neuerliche Mordversuch in mir auflodern ließ.
 

„Legt bis zum Ende der Verhandlungen Eure Waffen ab, Reparo“, sprach ich kalt und das Licht, das mich umgeben hatte, erlosch. Crescendos Siegel wirkte auf mich. Aber ich spürte nicht das Gefühl Gerechtigkeit finden zu müssen.
 

Es war Macht. Es war das Gefühl, stärker zu sein als alle anderen.
 

Aber es war falsch und im nächsten Augenblick fühlte ich Reue. Fortes Abwesenheit hatte mich gierig werden lassen und nun wo er zurückgekehrt war, ließ es nach, gab meinen Geist frei und ließ kaum mehr als meine verletzte und verwirrte Seele und einen bitteren Nachgeschmack zurück. Unbewusst hatte sich die Gier hartnäckig in meiner Seele eingenistet wie ein paar Dornenfalken.

Ameth, der bei mir blieb, war es nicht entgangen. Ich mochte ihm Geschichten aus meiner Jugend erzählen, doch täuschte meine Vergangenheit nicht über die dunkle Wolke in meinen Gedanken hinweg. Sie kreisten um diese unsägliche Bestimmung. Ich wünschte mir, in die Heimat nach Varisc zurückzukehren, aber zuviel hing von dieser Unterredung ab um sich davonzustehlen. Ich war niemand, der Ausflüchte suchte.

Forte näherte sich mir nur langsam. Er hatte die Wandlung meines Wesens erkannt und sie ängstigte ihn. Reparos gebrochene Klinge zeugte von einer ungeheuren Kraft.
 

„Liebster Freund, Ihr müsst Eure Bürde nicht allein tragen. Ich kann Euch Trost schenken, während Ihr Euch selbst sucht. Ihr habt ein Teil von Euch beim Erlangen der Mächte verloren. Lasst uns Euch helfen.“ Er deutete auf Nox und Dur, dann nahm er mich in seine Arme.
 

Solch eine Wut wie gegen Reparo hatte sich mir noch nie gezeigt.
 

„Gebt den Gesandten Quartiere. Sie mögen sich eine Weile ausruhen bis ich nach ihnen schicken lasse“, sagte ich leise zu Sorbus. Die Kälte war in Fortes Armen von mir gewichen und gab Raum frei für die Wärme, die an die Oberfläche drängte, die dunkle Wolke auflöste und Güte zutage förderte. „Ein paar Stunden gebt ihnen um sich vorzubereiten.“ –„Wie Ihr es wünscht, Fürst von Varisc. Doch es wird nichts an unserer Situation ändern.“

Dessen war ich mir wohl bewusst. Ich hatte einen Aufschub erwirkt, in dem ich zu meinem Frieden und zu einer Erklärung finden musste.
 

Murrend verteilten sich die Gefolgschaften und harrten der Dinge, die auf sie zukommen sollten.

Forte folgte mir in die Gemächer des alten Clanführers. „Ihr habt Euch verändert, liebster Freund. Eure Kraft ist wunderbar, doch heute hat sich ihre schreckliche Seite eröffnet. Ihr seht Entsetzen in den Gesichtern aller. Ihr habt es in meinen Augen gesehen. Lasst mich an Euren Ängsten und Sorgen teilhaben um Euch vor Eurer Macht zu beschützen“, sprach Forte leise. Ich wollte es zulassen und die Leidenschaft, die mich urplötzlich überkam, zeigte diese Absicht nur allzu deutlich. „Wenn die Macht mich ergreift, sprecht zu meinem Herzen“, flüsterte ich und nahm ihn bei den Händen. Ich hatte diesen Augenblick so herbeigesehnt und nun, wo wir uns in der Vereinigung wiederfanden, glaubte ich nach langer Zeit wieder an mich. Ich hatte Empfindungen verbergen müssen um meinen jetzigen Status zu erreichen. Sie kehrten nun zu mir zurück und als wir wieder zu Sinnen kamen, fühlten wir uns wieder wie die Männer, die damals in Revens Bad ihre Herzen aneinander verschenkt hatten, damals, vor der Schlacht zu Varisc und dem Tod vieler Unschuldiger.
 

Die Gedanken daran meine Familie zu verlieren, hatten die blauleuchtenden Flügel entstehen lassen, denn wir waren alle eins. Auch die Fürsten und ihre Gefolge, die gebundenen und die freien Bürger Nameks waren alle frei und eins und frei in Handeln und Denken von ihrem Schlupf an.
 

Ich sollte die Macht der Ahnen erhalten, aber war der Herr der Träume, an den wir alle glaubten, mehr als ein Mythos?
 

In diesen unberechenbaren Zeiten glaubte Nameks Volk umso mehr an eine Lichtgestalt, der es gelingen mochte Armut, Schmerz, Unterdrückung und zuweilen auch Trauer von ihm zu nehmen. Ich hatte nach den Drachenkugeln schicken lassen und nun bald würde sich meine Rolle in diesem Schicksalsspiel erfüllen.
 

Mir kam ein Vers des Liedes in den Sinn, als ich nach meinem leichten Dämmerschlaf in Fortes Armen wieder erwachte. Ob es ein Frevel war, sich an solch heiligem Ort der Leidenschaft hinzugeben?

Ich schwieg über das Gewicht, das den Räumlichkeiten beigemessen wurde, doch war ich sicher, dass Forte bereits Bescheid wusste. „Eurer Leidenschaft war kaum standzuhalten, liebster Freund“, entgegnete Forte mit einem Lächeln. Mir schoss mein Blut zu Kopf. Nun bemerkte ich wie ich aus Erleichterung über ihn hergefallen war und er hatte es zugelassen. „Schämt Euch nicht vor mir. Mein Körper bebte und schrie seit zehn Tagen nach Euch. Seht mich an. Ich habe Euch ebenso begehrt wie Ihr mich, wenn nicht sogar mehr.“

Er schenkte mir abermals sein Lächeln, dass ich nun erwiderte und mir das Gefühl gab, mehr zu sein als eine Figur in dem großen Spiel, das uns zu seinen Zwecken zum Aufstieg verhalf oder uns in tiefste Abgründe stürzte.
 

Nun berichtete ich ihm von meiner Ahnung. Ich würde versuchen mit Hilfe der Drachenkugeln und des „Willen des Drachens“ den Herrn der Träume aus seinem Schlummer zu erwecken. Erst war es nicht mehr als eine Idee gewesen, doch als die Kugeln erstrahlten, schien mir der Sieg über den Sturm in greifbare Nähe gerückt zu sein. Ich würde Sempas bitten, mit seinen Männern aufzuspielen, denn in der Weise, die mir nun wieder in den Sinn Kam, verbarg sich die Beschwörungsformel.
 

Weshalb sonst war es diese Melodie, die von den vielen, die ich im Laufe meines Daseins vernommen hatte, bis zu diesem Tag in meinem Gedächtnis verankert geblieben?
 

Hatten Kumin und mein Vater gewusst zu was ich heranwachsen sollte?

Als man mich in die Diplomatie einführte und mich zum Hohepriester weihte, verstand ich noch nicht. Ich hatte gedacht, sie würden meine Fähigkeiten fürchten und mich mit diesen Pflichten beschwichtigen, mich an meinen Clan zu binden um mich unter Kontrolle zu halten. Doch dies war nicht nötig gewesen. Ich brachte die Kräfte in Einklang und erwarb so das Vertrauen meines Vaters. All das drang niemals aus der Stadthalle hinaus und nach Außen wuchs ich auf wie jedes andere Kind.
 

Mich traf es nun wie ein Schlag ins Gesicht.
 

War ich als ein Monster geboren worden?
 

War ich damals nicht mehr als eine Waffe?
 

Hatten sie mich darum nach Reven geschickt? Um den feindlichen Fürsten auszulöschen?
 

Sie hatten damals nichts geahnt und ebenso wenig, dass ich Forte mein Herz schenken und ein starkes Bündnis mit ihm eingehen würde. Vater hatte mir vor seinem Tod offenbart was das Schicksal für mich bereit hielt und ich würde diesem Pfad folgen so blutig er auch sein mochte.

Ich seufzte schwer, als ich vom Lager aufstand und mich ankleidete. „Habt Ihr meines Wesen entdeckt? Werdet Ihr mich nun verlassen?“, fragte ich leise ohne mich zu Forte umzudrehen. „Euer wahres Wesen schreckt mich nicht. Ich weiß alles über Eure Vergangenheit. Ich habe lange unbemerkt Nachforschungen über Euch angestellt. Nichts was Ihr tun könntet, beunruhigt mich. Eure Gefühle zeigen mir Euer Selbst. Keine Aufzeichnung und keines der Gerüchte gibt die vollkommene Wahrheit frei. Ich allein kenne die Wahrheit über Euren Charakter und Ihr seid frei von Zorn. Mein Herz wird für alle Zeit Euch gehören.“ Er kam mir nach und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, die mir unmerklich aufgestiegen waren. Die Tränen waren bitter.
 

Ich, der halbblinde Sonderling, verbarg in seinem Körper pure Energie.
 

„Ich bin ein Monster“, hauchte ich und blickte zu Boden. „Selbst, wenn Ihr alle Macht des Universum in Eurem Inneren tragen würdet, würde ich bei Euch bleiben“, sprach Forte und blickte mir in meine Augen. Sein Blick war fest und entschlossen. Ich wollte ihm Glauben schenken, doch hinderte mich meine Erkenntnis daran.
 

„Ihr seid ein freier Mann. Es ist Euch gelungen die Macht der Gemaphim hervortreten zu lassen und Ihr kontrolliert sie. Ich wage anzuzweifeln, dass Ihr eine Kuriosität seid. Ihr wurdet von Eurem Schlupf an beschützt und nicht weggesperrt. Man wusste nicht für welche Seite – für Licht oder Schatten – Ihr Euch entscheiden würdet und aus diesem Grund seid Ihr geweiht worden. Euer Vater war ein weiser Mann, dass er erkannte welche Macht in seinem Erstgeborenen steckte.“
 

Zuerst stand mir Verwirrung in mein Gesicht geschrieben darüber, dass Forte mir von meiner Vergangenheit berichtete und es ihm gelang Missverständnisse auszuräumen, die mich seit Vaters Tod verfolgten. Nun fühlte ich tiefe Reue ihm gegenüber. Ich hatte Dinge gesagt und getan, für die ich mich nicht hatte entschuldigen können.

Forte setzte seine Erklärungen fort und wieder rannen mir Tränen herab. „Seht von Eurer Vergangenheit ab. Lebt in der Gegenwart zusammen mit mir, liebster Freund. Wir werden Nameks Zukunft bestimmen und sobald der Sturm verstummt ist, werden wir Verhandlungen anstreben.“
 

Selbstverständlich hatte er Recht. Forte hatte sich sicher in Variscs Archiven Zutritt verschafft, um Dinge zutage zu fördern, die dort gehütet worden waren um niemals eröffnet zu werden. Ich wusste nicht annähernd so viel über ihn wie er über mich. Aber ich vertraute seiner Person bedingungslos.

„Meister Crescendo vertraute Euch meine Vergangenheit und sagte mir nichts davon?! Es war Euer Recht, Liebster Freund, zu erfahren was Ihr suchtet. Doch, doch. Ich weiß, wie Ihr es tatet. Auch mein alter Lehrmeister war einer guten Pfeife nicht abgeneigt.“

Ich entdeckte, dass es zunehmend Freudentränen waren und meine Mundwinkel zuckten, sorgten dafür, dass ich meinem Gefährten entgegenlächelte. Ich fühlte mich nun bereit, mich der Herausforderung zu stellen, denn Forte würde bei mir sein um mich und meine Ehre zu verteidigen.

Abschnitt 13

Selbstverständlich hatte er Recht. Forte hatte sich sicher in Variscs Archiven Zutritt verschafft, um Dinge zutage zu fördern, die dort gehütet worden waren um niemals eröffnet zu werden. Ich wusste nicht annähernd so viel über ihn wie er über mich. Aber ich vertraute seiner Person bedingungslos.

„Meister Crescendo vertraute Euch meine Vergangenheit und sagte mir nichts davon?! Es war Euer Recht, Liebster Freund, zu erfahren was Ihr suchtet. Doch, doch. Ich weiß, wie Ihr es tatet. Auch mein alter Lehrmeister war einer guten Pfeife nicht abgeneigt.“

Ich entdeckte, dass es zunehmend Freudentränen waren und meine Mundwinkel zuckten, sorgten dafür, dass ich meinem Gefährten entgegenlächelte. Ich fühlte mich nun bereit, mich der Herausforderung zu stellen, denn Forte würde bei mir sein um mich und meine Ehre zu verteidigen.
 

In der Halle begegneten wir Mentha und Sempas, die von Reparos Ungeduld getrieben, mit ihren Gefolgschaften dort auf eine Entscheidung warteten. Ich spürte die Kälte, die zwischen den Clans herrschte, nur zu deutlich. „Bringt die Drachenkugeln hinaus auf den Platz! Alle mögen dem Schauspiel beiwohnen!“, rief ich ihnen zu und ging unbeeindruckt hinaus. „Was habt Ihr vor mit den Kugeln?“, fragte Sempas nicht ohne Respekt in seiner Stimme. „Richtet allen aus, dass noch heute der Herr der Träume unter uns wandeln wird“, sprach ich sicher. Doch nichts an diesem Plan war durchdacht. Dennoch würde ich es versuchen. Entweder es gelang oder wir würden in aller Scham dieser Welt ins Exil ziehen müssen.
 

„Ihr seid verrückt geworden, alter Mann!“, polterte Reparo mir hinterher. Ich würde ihn Lügen strafen, wenn ich nicht derselben Meinung gewesen wäre.

Über uns heulten die Banner Cherankos im Sturm und Regen peitschte um unsere Häupter. Dur und Nox brachten die Kugeln aus Varisc und Reven und ordneten sie gemäß des Ornamentes an, das den Boden des Platze verzierte. Mentha folgte ihrem Beispiel. Ystak war gerettet worden und doch würden sie alles verlieren, wenn der Sturm in seiner ganzen Gewalt losbrechen würde. „Fürst von Varisc, Nehmt auch Devars Kugel an Euch. Wir haben nichts zu verlieren mit Eurem Versuch und ich würde gerne Fürst Reparos Gesicht sehen, wenn Euch das Unmögliche gelingt“, sagte Ilos, der leise aus dem Inneren der Halle herangetreten war mit einem Lächeln. Ich meinte auch, ihn kichern zu hören und ich meinerseits hätte laut loslachen wollen doch im Angesicht der Lage wäre es vollkommen abwegig gewesen. Devars Fürst war zwar alt doch hatte er sich über alle Schicksalsschläge hinweg seinen Humor bewahrt. Dieser Wesenszug imponierte mir ebenso wie Fortes Mut und Sempas’ Sinn für die schönen Klänge. Dieser Stand im Gang und beobachtete mich wie ich jeden Muskel spannte um die höchstmögliche Konzentration zu erreichen. „Kommt näher ins Licht, Fürst Sempas“, sagte ich. Das Schlagen seiner Flöte gegen seine Brust wurde lauter und er fand festen Stand an meiner rechten Seite, während Ilos zu meiner linken seine Blicke durch die Stadt schweifen ließ. Der junge Mann warf mir besorgte Blicke zu. Ich werde meine Heimat niemals wiedersehen“, seufzte er. Er war weder Krieger, noch Händler, noch Bauer oder Steinmetz und doch führte er seinen Clan an. „Ihr werdet zurückkehren. Vorher aber benötige ich noch Eure Hilfe. Spielt die Weise auf Eurer Flöte. Ich bitte Euch für ganz Namek. Ihr werdet mit uns zusammenstehen.“ Ich versuchte mich in Ermutigung, die mir in diesem Moment selbst ebenso gedient hätten.

„Euer Vorhaben ist sehr kühn. Fürchtet Ihr nicht Fürst Reparos Zorn? Sein Zorn Euch gegenüber scheint hartnäckig zu sein und ich fühle noch, dass er Euch nach dem Leben trachtet.“ –„Ich fürchte den Sturm“, entgegnete ich und wischte einen weiteren Zweifel hinfort. Reparo konnte mir kein Leid zufügen. Forte konnte ihn in seine Schranken verweisen, denn im offenen Kampf hatte mein Gefährte die größere Kampferfahrung vorzuweisen.

Die Drachenkugeln aus Ystak, Cheranko, Sojis, Devar, Reven und Varisc bildeten nun einen beinahe geschlossenen Kreis auf dem Platz. „Nur noch Laurons Kugel fehlt, liebster Freund“, sprach Forte, der vom unteren Treppenabsatz zu uns herauf kam. „Folgt mir. Lasst uns die Drei-Sterne-Kugel an uns bringen“, entgegnete ich trocken, wohlwissend, dass Reparo sie nicht kampflos herausgeben würde.

„Fürst Koll!“, rief Forte. „Sammelt Eure Männer!“ –„Was verlangt Ihr, Fürst von Reven?“, antwortete Koll, als er und Sorbus auf uns zu kamen. In Fortes Stimme schwang eine nicht unerhebliche Ungeduld mit. „Setzt Reparo fest. Er stellt sich uns seit seiner Ankunft in den Weg, obwohl Lauron dem Bündnis in voriger Generation Treue geschworen hatte.“ –„Dies können wir nicht tun. Er ist frei in seinen Entscheidungen und den Wegen, die er einzuschlagen gedenkt. Ihr müsst Euch selbst mit ihm auseinandersetzen doch lasst ihn leben. Wir betrauern noch den Tod seines Vaters.“ Ich hatte auf eine befriedigendere Antwort gehofft. Sorbus mochte Rastors Sohn nicht sonderlich. Reparo hatte seine Sympathien mit dem Angriff auf mich verspielt. Sorbus begegnete meinen Blicken mit einem ätherischen Seufzen. Die Respektlosigkeiten gegenüber dem Alter und der Erfahrung besorgten mich.
 

Ob er um seinen Vater trauerte? Oder hatte er nur darauf gewartet, die Führung seines Clans an sich zu reißen?
 

Solche Niedertracht traute ich ihm nicht zu. Er war von seiner Vergangenheit getrennt worden und das so plötzlich, dass er all seine Sicherheit einbüßte und seine verletzte Seele sich hinter Härte versteckte.

Forte sah mich an. „Ihr sucht das Gute in jedem, der Euch begegnet, nicht wahr?!“, fragte er. Wenn meine Vermutung richtig war, würde ich mit Reparo verhandeln können. Ebenso gut konnte ich in dieser Unterredung auch den Kopf verlieren. Ich war für ihn ein alter Mann, der seinen Verstand verloren hatte. Er sah nicht den Verbündeten in mir aber ein Relikt, dass seinen Besitzansprüchen im Wege stand. „Ich werde alleine gehen, liebster Freund. Verwahrt mein Schwert bis ich wieder zurückkehre. Ich möchte unbewaffnet zu Reparo sprechen.“ –„Nein. Eure Person ist zu wichtig und solltet Ihr sterben, wird Nameks Volk vernichtet werden. Ich werde im Hintergrund auf Euch achten.“ Ich seufzte und ich wäre ein Narr gewesen mich darüber hinwegzusetzen. Sorbus selbst führte mich zu dem Raum, in dem sich Reparo und seine Gefolgsleute aufhielten.

„Was wollt Ihr, alter Mann?“, fragte er dem Fenster zugewandt. „Nein, wartet. Ihr wollt Laurons Drachenkugel aber ich werde sie Euch nicht geben damit Ihr Schabernack mit ihr treiben könnt. Ihr mögt die anderen Fürsten genarrt haben doch mich täuscht Ihr nicht. Ihr seid kein Gemaphim. Es ist nichts weiter als ein Mythos, eine Mär, die man den Schlüpflingen erzählt.“ Er verschränkte seine Arme vor seiner Brust und kam auf mich zu. „Euer Vater hat daran geglaubt“, entgegnete ich. „Mein Vater ist tot!“, knurrte er. „Es ist unverzeihlich was geschehen ist“, sprach ich und senkte mein Haupt. Ich wurde von Reparos Männern an meinen Armen gepackt. Ihre festen Griffe schmerzten.

„Mein Vater ist tot und das Euretwegen!“, brüllte Reparo und schlug mir mit Kraft in mein Gesicht. „Ich sollte Rache nehmen an Euch!“, fauchte er. Als ich ihm in seine Augen sah, sprach ich mit einer Stimme zu ihm, die nicht meine eigene war: „Reparo, gib deine Wut auf. Ich habe für den Frieden mein Leben hingegeben. Glaube an den Gemaphim, der mehr als eine Legende ist. Ich könnte nicht zu dir sprechen, wenn er meine Seele nicht zu sich gerufen hätte. Vertraue dem Fürsten von Varisc. Das ist der letzte Wunsch um den ich dich bitte, mein Sohn und Fürst von Lauron…“

Die Männer ließen von mir ab und ich fiel lauf meine Knie. Ich blinzelte und war wieder ich selbst. Reparo starrte mit geweiteten Augen ins Leere. Ich meinte, Tränen in seinen Augen zu sehen. „Wie kann mein Vater durch Euch zu mir sprechen? Ich habe geglaubt, seine Stimme nie wieder zu hören. Erzählt mir von seinen Taten, Fürst von Varisc. Lasst mich verstehen woran er glaubte und warum er starb. Danach wird sich Laurons Fürstenhaus dem Bündnis nicht mehr widersetzen“, sprach er leise und die Tränen, die ich eben noch vermutet hatte, rannen ihm nun unverhohlen über seine Wangen.

Rastors Seele war ruhelos gewesen bis zu diesem Moment, in dem er seinem Sohn – ebenso ruhelos und nach Antworten suchend – seinen letzten Wunsch mitteilte. Ich wusste nicht wie es geschehen war, dass die Seele mich als ihr Sprachrohr benutzte. Doch auch dies stand in der Macht der Gemaphim. So berichtete ich ihm von allem was geschehen und dass sein Vater als Held gestorben war. Rastors Brüder und Onkel, die mit dem jungen Mann gereist waren, teilten Reparos Gefühle zu den Geschehnissen. Ich beschrieb jede Kleinigkeit der Reise und wie ich dabei empfand. Nichts sollte verborgen bleiben und zwischen uns stehen.

„Ich beginne zu verstehen warum die Männer Euch nachfolgen. Euer Herz ist so voller Güte. Dort findet sich kein Funken Zorn. Ich habe begriffen, welche Weisheit Ihr mit Euch tragt und welches Licht in tiefster Dunkelheit zu verbreiten vermögt. Niemals hätte ich glauben dürfen, dass Ihr für den Tod meines Vaters verantwortlich wäret. Doch nun weiß ich wer gegen Euch intrigierte und ihn tötete. Ich werde an niemandem Rache üben, denn Fürst Koll übernahm dies für mich und tötete seinen Bruder. Cherankos Verlust wiegt ebenso schwer wie der meine. Ich werde trauern anstatt Euch zu verfluchen“, sprach er und verneigte sich tief vor mir.

Durch das Fenster sah ich wie Blitze über das Firmament zuckten. Cheranko lag im Zentrum des Sturms und würde zuerst ausgelöscht werden.

Abschnitt 14

„Folgt mir hinaus auf den Platz mit Eurer Drachenkugel. Die Zeit drängt.“
 

Ich verließ den Raum zu Fortes Überraschung mit Reparo an meiner Seite. Dies war ein Bild, mit dem er nicht gerechnet hatte. „Ihr seht, liebster Freund, dass ich gefunden habe wonach ich suchte“, lächelte ich und ging in die Halle, wo die anderen vor dem peitschenden Unwetter Schutz gesucht hatten. Ich entdeckte, dass sich die Clans inzwischen miteinander austauschten. Die Fischer sprachen mit den Musikanten, die Bergleute sprachen mit den Händlern und so sprach jeder mit jedem, so dass es eine wahre Freude war. „Euch ist gelungen zu einen was gespalten wurde“, sagte Sorbus anerkennend. „Dies mag mir wohl gelungen sein. Lasst sie sich alle auf dem Platz versammeln. Die Clans werden zusammenstehen wie zu Anbeginn der Zeit. Der Herr der Träume soll sich seinem Volk offenbaren, denn wir sind alle eins.“
 

Forte sorgte dafür, dass alle hinausgingen um auf dem Platz das Unglaubliche zu erwarten. Zuletzt ging ich hinaus und gedachte all der Toten und derer, die am Leben und mit mir dem langen Weg gegangen waren. Meine Gedanken konzentrierten sich auf das Siegel meines Alten Meisters.

Draußen standen sie nun im Regen und erwarteten mich. In der Mitte des Kreises blieb ich stehen und reckte den „Willen des Drachen“ dem wütenden Himmel entgegen. Die Musikanten stimmten die Weise auf ihren Instrumenten an und da jeder das alte Kinderlied kannte, sangen alle übrigen mit.
 

Mir offenbarte sich wieder der alte Text und so sang ich: „Imperea sotil portol Polunga regotokare no Nameksei…“
 

Ein Staunen ging durch die Reihen, als sich meine Blauen Flügel zu ihrer vollen Größe entfalteten. Die Drachenkugeln leuchteten und Rauch stieg von ihnen auf, der sich hoch über unseren Köpfen zu einer starken Präsenz verdichtete. Der Rauch bildete den Körper eines gewaltigen Drachen, der vermeintlich bedrohlich auf uns hernieder blickte. Die Männer verstummten und wichen ehrfurchtsvoll zurück. In der alten Sprache sprach ich zu ihm in sieben Stimmen, von denen eine meine eigene war und der Drache antwortete. Ich sagte in der Sprache der Alten etwa so viel wie: „Herr der Träume, der die Macht der alten Clangründer in sich vereint, ich, Chrys von Varisc, geboren im Glauben an Euch und mit dem Blut der Gemaphim, bitte Euch, das Volk Nameks von diesem vernichtenden Sturm zu befreien.“ Der Drache antwortete: „Ich war es, der Euch an diesen Ort gerufen hat. Ihr sollt Mittler zwischen den Zeiten sein, denn ich habe Eure Vision von der Zukunft gesehen. Die Kraft, die in Euch fließt, verleiht mir die Macht den Sturm zu bannen, der die Kinder und Kindeskinder meiner Schöpfer bedroht.“

Die Stimme des Drachen war tief und sanft. Er hatte mich tatsächlich geleitet damit ich erkennen möchte was in mir erwacht war.
 

„Gebunden seid Ihr nun nicht mehr an das Wort und das Blut Eurer Schöpfer. In einer fernen Zeit werdet Ihr Nameks Volk dienen. Gemeinsam sollen die Clans für Frieden Sorgen und keine dunklen Pläne sollen je Macht über Euch gewinnen.“ –„So sei es. Euer Wort erlöst Euer Volk von all dem Leid, das der Sturm über es brachte.“
 

Die Augen des Drachen glühten rot auf, als er zum dunklen Himmel aufblickte. Eine unheimliche Stille hatte von der Stadt Besitz ergriffen und auch das Klopfen des Regens verstummte.
 

„Euer Wunsch ist Euch erfüllt, Fürst Chrys, Gemaphim, der von Varisc über Namek wacht“, sprach der Drache und sein Körper verwandelte sich in den Rauch zurück, aus dem er erschienen war. Die Kugeln, deren Leuchten eben noch den Tag erhellte, verwandelten sich zu Stein. Die Männer schwiegen.
 

Hatte der Herr der Träume meinen Wunsch erfüllt?
 

Ich schob mein Schwert in seine Scheide zurück und meine Flügel verschwanden.
 

Waren mit den Drachenkugeln nun auch Nameks Hoffnungen zu Stein erstarrt?
 

„Seht nach Osten! Die Wolkendecke bricht auf!“, rief Ameth und alle wandten ihre Häupter gen Osten. Noch war es nur ein schmaler Riss, der sich aber schnell weitete und wieder den strahlenden Smaragdgrünen Himmel freigab. Sonnenstrahlen überfluteten den Platz und ich dankte dem Herrn der Träume für seine Macht und seine Existenz. Mentha, Reparo, Sempas, Forte, Ilos, Koll und Sorbus knieten vor mir nieder. „Regotokare“, sprachen sie wie aus einem Mund. „Varisc! Ho!“, jubelten die anderen Männer. „Regotokare, meine Freunde“, lächelte ich. Inzwischen klarte es auch von Westen her auf. Sempas stand auf und kam auf mich zu. „Ich möchte Euch meine Flöte zum Geschenk machen. In Varisc sei das Licht und das Lied.“ –„Ich kann Euer Geschenk nicht annehmen, Fürst von Sojis. Ich nehme nicht was rechtmäßig Euch zusteht. Doch seid Ihr und Eure Männer allzeit willkommen in Varisc, wo ich von Euch Nachricht erwarte.“ Ich lächelte und er entgegnete nichts. Ich wollte ein Bündnis und nicht mehr.

„Das Bündnis mit Euch suche ich, meine Freunde. Ihr seid frei zu gehen. Ihr seid mir nicht verpflichtet doch um Eure Freundschaft bitte ich.“ Nun verneigte ich mich tief vor den Fürsten. „Euer gutes Herz und Eure Weitsicht soll und führen. Ihr habt mein Herz, liebster Freund“, sprach Forte. Sie erhoben sich alle bis auf Reparo. „Verzeiht mir meine Worte und meine Taten. Ihr seid ein wahrer Gemaphim.“ –„Wie könnte ich Euch nicht verzeihen. Auch Ihr, Fürst von Lauron, müsst mir verzeihen, dass ich im Kampf gegen Panax gezögert habe.“ –„Ich danke Euch aus meiner tiefsten Seele dafür, Vaters Stimme gehört zu haben. Ich werde seine Politik fortsetzen und die Handelswege erweitern lassen. Namek wird wieder erblühen wie zu alter Zeit. Nun erhob sich auch Reparo.
 

Einige Tage verbrachten wir noch in Cheranko, sattelten und tränkten unsere Num. Die östlichen Fürsten brachen nach zwei Tagen auf aber nicht ohne Geschenke darzubringen. Zwei Shievo sollten nach Varisc gebracht werden, um dort bei den Feldarbeiten zu helfen. Sie würden ein gutes Zuchtpaar sein. Ich übergab Jamil, den Num seines Vaters, an Reparo. Er würde gut auf das Tier Acht geben. Sorbus übergab mir Kopien der Schriften über die alten Legenden. Im nächsten Zyklus würden wir Boten aussenden, die unsere Kugeln zurückholten. An den Überschwemmungswiesen folgte Laurons Gruppe den alten Straßen nach Süden. Wir würden wieder zusammentreffen. Guter Dinge kehrten wir heim und berichteten von unseren Taten, die bald ebenso Legende werden sollten. Die Kindern würden nun den Geschichten lauschen vom Gemaphim, der aus dem Norden kam und den Herrn der Träume beschwor um das Volk zu retten.



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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von:  Dark-Serenity-Sama
2008-04-09T17:05:00+00:00 09.04.2008 19:05
Hach, ihm ist doch nichts passiert, ich dachte zunächst wirklich, ihm wäre etwas geschehen. Jetzt ergeht es mir wie dir mit Tambourine gestern Abend.
Jetzt sind sie alle wieder zusammen, nun geht es hoffentlich wieder bergauf mit der Situation, auch wenn ich noch nicht so recht daran glauben kann.
Von:  Dark-Serenity-Sama
2008-04-09T16:52:50+00:00 09.04.2008 18:52
Typisch - Forte lässt wie immer auf sich warten^^
Schön, dass sich Chrys nun endlich wieder mit Nox ausgesöhnt hat, es zehrte sicherlich an beider Nerven und Gemüt.
Ich bin gespannt, was als nächstes geschieht und was Chrys allen zu verkünden hat.
Von:  Dark-Serenity-Sama
2008-04-09T16:37:21+00:00 09.04.2008 18:37
So Maus, endlich ein Kommentar.

Ich musste einige Kapitel nochmal lesen, da ich nicht mehr so recht einsteigen konnte, aber nun sitzt mir wieder vieles (nicht alles) frisch im Gedächtnis.
Ich leide mit Chrys, er muss derzeit so viel durchmachen, da fällt es schwer, noch an irgendetwas zu glauben, aber wie es scheint findet er immer wieder zu sich selbst zurück und verliert sich nicht in Fragen ohne Antworten.
Es ist traumhaft schön geschrieben, ich werde mich nun auf die weiteren Kapitel stürzen.
Von:  Dark-Serenity-Sama
2008-01-14T18:53:55+00:00 14.01.2008 19:53
Endlich ist Panax besiegt und Rastor hat seinen Schwur gehalten.
Sorbus und Koll sind zur Vernunft gekommen, jedoch noch hoffnungslos verblendet von der Kraft der Gemaphim.
Sie hängen ihr Schicksal an Chrys, der sich nun gezwungen sieht, das drohende Unheil abzuwenden. Ob es ihm gelingen wird? Ich hoffe, ich werde es bald erfahren.
Von:  Dark-Serenity-Sama
2008-01-13T16:14:19+00:00 13.01.2008 17:14
Sitar-sama, ich bin begeistert.
Die Sprachwahl ist herausragend und kaum mit anderen Fanfictions zu vergleichen. Ein großes Kompliment an dich.

Nun ist es raus, Nox und Dur sind Brüder und endlich wissen sie es auch. Sie wurden ja lange genug in Unklarheit gelassen.
Ob Chrys wohl das Siegel lösen wird? Forte ist davon ja nicht sehr angetan.

Ich erwarte voller Sehnsucht das nächste Kapitel.
Von:  Dark-Serenity-Sama
2008-01-13T00:15:06+00:00 13.01.2008 01:15
Ein sehr schönes Kapitel, endlich sind sie angekommen.
Rastor traue ich immer noch nicht über den Weg, die Tatsache allein, dass er Chrys ermorden wollte, reicht mir aus, um ihn nicht ausstehen zu können.
Forte tut mir irgendwie leid, er gibt alles für seinen Freund, sicherlich würde er auch sich selbst für ihn aufgeben.
Ich erwarte hingebungsvoll das nächste Kapitel.


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