„Was mache ich hier eigentlich?“ Yuriy zog seinen Wintermantel eng um seinen schlanken Körper und sah dann zu seiner Begleitung. „Ich hab dich was gefragt, Kai.“ Der junge Mann an seiner Seite hob nicht einmal den Blick.
„An meiner Antwort hat sich seit letzter Stunde aber nichts geändert, also hör auf rumzunörgeln.“
„Ich nörgle prinzipiell wann es mir passt.“ Yuriy klang entnervt. Natürlich klang er entnervt. Wie konnte er auch nicht? Es war dunkel, es war kalt, es war feucht – kein Schnee in Tokyo – und sie befanden sich in diesem Moment auf dem Weg zu einen von diesen tödlich langweiligen Abenden mit Kais Freundin und deren Freunden. Mao, das Mädel, das es weiß Gott wie geschafft hatte, eine emotionale Leiche wie Kai Hiwatari zu ihrem persönlichen Liebessklaven und festen Freund zu machen, war Yuriy eigentlich recht sympathisch. Eine vollbusige Schönheit mit großen Augen und Sinn für Humor. Sympathisch. Solange man ihren Freundeskreis nicht näher kennen lernte. Der gehörte zu einer Beziehung mit ihr aber offenbar dazu. Pech für Yuriy, dass er Kais bester Freund war. Aber war es nicht trotzdem grausam von besagtem bestem Freund, ihn so kurz vor Heilig Abend zu dieser Pseudoweihnachtsfeier zu nötigen? Doch Kai kannte keine Gnade. Und das schon seit dem Kindergarten. Wie hätte er aber auch ‚nein’ sagen können, als Kai mit seinem scheinheiligen Engelsgesicht zu ihm aufsah und mit großen, unschuldigen Augen meinte, dass er ihn – seinen herzallerliebsten besten Freund – gerne dabei haben würde? Dieser hinterhältige Wurm. Das war ja fast so niederträchtig wie die Bestechung mit dem Cola-Lutscher in der zweiten Klasse. Yuriy hatte ihm das nie verziehen, auch wenn er von dem Vorfall nur noch wusste, dass er hinterher sauer auf Kai gewesen war.
Von dem heutigen Abend jedenfalls hatte er nicht viel mehr zu erwarten als den – zugegebenermaßen recht amüsanten – Anblick, wie Kai sich von Mao begrapschen ließ. Sie konnte einfach die Finger nicht von ihm lassen. Eigentlich eine recht löbliche Einstellung bei einer Frau wie Yuriy fand, nur hatte er nichts davon, außer gelegentlich mal einen Ständer. Ja, es konnte durchaus erregend sein, Mao beim Fummeln zu beobachten.
„Wir sind da.“ Kai deutete auf einen hell beleuchteten Eingang, hinter dem ein schmaler Flur in einer Treppe mündete. Yuriy schmunzelte. Sein bester Freund sah bei weitem nicht mehr so entschlossen aus, wie noch vor einer Stunde. Kai mochte es genauso wenig wie er selbst in solch soziale Ereignisse hineingezogen zu werden. Er tat es für Mao und das zeigte dem Rothaarigen, dass er es das erste Mal in seinem Leben mit einem Mädchen wohl ernst meinte. Aufmunternd legte er eine Hand in das graublaue Haar und wurde von roten Augen durchdringend gemustert.
„Ich sag dir eins, Kai. Wenn ich die Schnauze voll habe, bin ich weg.“ Der Halbrusse seufzte und schob Yuriys Hand aus seinen Haaren.
„Eine Stunde wirst du ja wohl für mich opfern können.“
„Für dich? Da opfere ich sogar mein linkes Ei.“ Die todernste Miene zu diesen Worten entlockte Kai ein minimales Lächeln.
„Das will ich auch meinen, Ivanov. Wir kennen uns schließlich schon, seit wir zusammen in den Sandkasten gepinkelt haben.“
„Uuah, erinnere mich nicht daran.“ Eine Reihe von Bildern – in den Hauptrollen Klein-Kai, zwei grüne Sandkastenförmchen und er selbst – zogen vor Yuriys geistigem Auge munter vorbei und erinnerten den Russen, warum er den übellaunigen Idioten neben sich eigentlich doch ganz gerne hatte.
„Was denn? Kommst du endlich?“ Kai hatte den Flur bereits betreten und sah Yuriy auffordernd an. Sie hatten auf ihre Kameradschaft gepinkelt und so was schweißte zusammen. Er würde diesen tödlich langweiligen Abend für seinen Freund überstehen.
Der Gastraum der kleinen, japanischen Kneipe befand sich im zweiten Stock eines schmalen Gebäudes mitten im Tokyoter Stadtteil Hakusan. Stimmengewirr und das Klirren und Klackern von Gläsern und Schälchen drang zu ihnen herüber. Die Kneipe war mehr als gut besucht. Hysterisch lachende Office Ladies und anzüglich – oder doch eher dümmlich? – grinsende Salarymen, lallende Studenten mit ihren Professoren und gackernde Ehefrauen mit ihren Freundinnen.
„Betrunkene Japaner.“ Yuriy rümpfte abfällig die Nase. Wenn er etwas gelernt hatte seit er in Japan lebte, dann, dass der gemeine Ostasiate die Kombination mit Alkohol nicht vertrug. Betrunken und das nach einem Bier. Da machte Saufen eigentlich keinen Spaß mehr. Kaum merkte man das erste sanfte Schmeicheln des Alkohols, da lag der durchschnittliche Japaner längst kotzend in der Ecke oder war auf dem Klo eingeschlafen.
Die beiden Russen durchquerten zielsicher und unter vielen neugierigen Blicken den Gastraum, der in kleinere und größere Nischen eingeteilt war. Durch halbhohe Trennwände wirkten sie wie eingezäunt. Im hinteren Teil des Etablissements folgten weitere separate Räumlichkeiten.
„Red nicht wieder andauernd russisch mit mir“, mahnte Kai, während er gerade seine Schuhe in das dafür vorgesehene Regal stellte. Der Rothaarige grummelte wenig erfreut. Schließlich war das ihre Muttersprache.
„Es ist unhöflich, okay?“ Tze, seit wann kümmerte Kai sich um die Etikette?
„Mein Japanisch ist nicht besonders, das weißt du.“
„Wenn du nicht redest, wird es auch nicht besser.“ Und dann mit einem versöhnlichen Lächeln: „Außerdem hat Mao gesagt, dass sie deinen Akzent mag.“ Na, wenn das kein Grund war, Fremdsprachen zu lernen. Yuriy rollte mit den Augen. Doch es war bereits zu spät, sich noch nachträglich bei Kai zu beschweren, denn der schob bereits die Türe zu einem kleinen Privatraum zurück. Und was Yuriy da sehen musste, war alles andere als erfreulich. Auch Kai zog missmutig die Augenbrauen hoch. Ein Fernseher, dicke Kataloge, zwei Mikrophone und eine Karaokeanlage. Halleluja!
„Kai~, hatten wir was von Karaoke ausgemacht?“
„Ich hab es selbst nicht gewusst.“ Für ein längeres Kai-die-Schuld-zuschieben blieb allerdings ebenfalls keine Zeit. Eine junge Frau mit grausam rosa gefärbten Haaren, knappem Mini, schwarzen Overknees-Strümpfen und einem langärmeligen, verdammt engen Pullover war bereits aufgesprungen und Kai stürmisch um den Hals gefallen.
„Ich hab dich schon vermisst, Hase.“ Brüste, Körbchengröße C, drückten sich an Kais schwarzes Shirt, während schlanke Mädchenfinger liebevoll über seinen Po streichelten.
„Ihr habt euch doch erst gestern gesehen.“ Das war Yuriys Kommentar auf dieses Schauspiel der Zuneigung.
„Für mich ist das eine Ewigkeit. Ohne Kais Traumkörper fühle ich mich richtig schlecht.“ Verschmitzt grinste Mao ihn an und Yuriy grinste anzüglich zurück, beobachtete dabei mäßig fasziniert die goldenen Kreolen, die an ihren Ohren hin und her schwangen. Dann erst warf er einen Blick in die Runde und wurde von Takao Kinomiya freudig angestrahlt. Aus irgendeinem Grund schien der Japaner ihn zu mögen. Er nickte verhalten und ließ sich dann neben Kai auf einem Sitzkissen am Boden nieder, seine Beine in die Vertiefung unter dem niedrigen Tisch stellend. Dem modernen Japaner konnte man schließlich immer weniger zumuten, einen ganzen Abend am Boden zu knien und Yuriy war dankbar. Andernfalls hätte ihm wahrscheinlich schon nach einer Stunde das Sitzfleisch geblutet.
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Mariam eilte durch die kalten Straßen, vorbei an Convenience Stores, Sushibars und einem einzelnen Obdachlosen, der gerade dabei war seine Holz- und Papphütte mit blauer Plane zu überspannen. Doch dafür hatte die junge Frau keine Augen. Sie war zu spät. Ausgerechnet heute, zu Maos alljährlicher Weihnachtsfeier. Dabei hatte sie ihre Freundinnen, hatte sie Mao und Ming Ming schon seit über einem halben Jahr nicht mehr gesehen. Auch wenn sie in derselben Stadt wohnten, sich für ein Treffen zu verabreden scheiterte meist an Mariams Zeitplan. Sie arbeitete mehr denn je. Doch heute Abend wollte sie entspannen und sie musste lächeln, als sie dabei an ihre Freundinnen dachte. Beide hatten sie sich neue Liebhaber geangelt und vor allem Mao schien es diesmal ernst zu meinen. Zumindest hatte sie ihrer Freundin am Telefon von Dingen vorgeschwärmt, die Mariam eigentlich niemals erfahren wollte. Sie errötete bei dem Gedanken an ein Leberfleck, was bei so einem Telefonat für Mariams Geschmack eine Spur zu detailliert beschrieben wurde. Ja, das waren Dinge, die sie wirklich nicht zu wissen brauchte.
„Mariam! Da bist du ja endlich.“ Die junge Frau hatte die Kneipe mittlerweile betreten und sah auf die kleine Gruppe an größtenteils bekannten Gesichtern hinab. Hiromi, ebenfalls eine gute Freundin, kniete vor der Karaokeanlage und nickte ihr kurz zu, genau wie Takao, der in einem Katalog nach seinen Lieblingsliedern blätterte. Er war ein enger Freund von Ming Ming und Hiromis heimlicher Schwarm.
Mariam streifte sich rasch die Jacke ab und wurde dann von Mao und Ming nacheinander heftig umarmt.
„Ich muss dir meinen neuen Freund vorstellen.“ Ming, das bildhübsche Mädchen mit den türkisfarbenen Haaren, zog Mariam nachdrücklich am Handgelenk und deutete dann auf einen jungen Mann mit Sommersprossen und einem Lächeln wie Extasy.
„Das ist Max. Wir sind seit drei Wochen zusammen.“ Der blonde Mann mit den dunklen, blauen Augen stellte sich als Halbamerikaner vor, der genau wie Mariam in einer Filiale von Big Camera arbeitete. Bevor sie allerdings fragen konnte in welcher, wurde ihre Aufmerksamkeit von Mao beansprucht.
„Und das ist Kai. Ich hab dir ja schon am Telefon vom ihm erzählt.“ Mao zwinkerte viel sagend und Mariam lief augenblicklich rot an. Sie ärgerte sich, dass sie wegen diesem Zwinkern Kai zuerst in den Schritt und dann erst ins Gesicht sah. Leider war dieser Blick auch von dem Graublauhaarigen nicht unbemerkt geblieben und misstrauisch schaute er sie an. Toller erster Eindruck. Doch dann musste sie lächeln, als der junge Mann mit den außergewöhnlich roten Augen Mao mürrisch angrummelte und als Belohnung von der Rosahaarigen durchs Haar geflauscht wurde. Ja, er war genau wie Mao ihn beschrieben hatte, ziemlich kühl, aber irgendwie süß.
„Und das hier“, Mao deutete auf eine weitere Person rechts neben Kai, „das ist Yuriy. Kais bester Freund.“ Der Rothaarige lächelte zurückhaltend und musterte sie dann aus ungewöhnlichen, eisblauen Augen. Um nicht zu sagen, er tastete sie ziemlich dreist mit seinen Blicken ab, grade so, als würde er ihren Wert als Frau schätzen. Das war doch wieder genau die Art Mann, die sie hasste. Ein Mann, der Frauen nach dem ersten oberflächlichen Eindruck als ‚fickbar’ oder eben nicht einstufte. Leider sahen solche Kerle auch meist noch unverschämt gut aus, genau wie der Rothaarige vor ihr. Missmutig ließ sie sich auf dem freien Platz neben ihm nieder und unterhielt sich die nächste Stunde angeregt mit Max und Takao, die ihr gegenüber saßen. Dabei ignorierte sie den Russen – wie sie nebenbei erfuhr – fast gänzlich. Nicht unbedingt vorsätzlich, eher unbewusst. Sie fühlte sich unsicher in Gegenwart solch wirklich attraktiver Männer und vielleicht wollte sie auch nur nicht wieder zu spüren bekommen, dass sie eben nicht die Art Frau war, die Männer wie er als ‚fickbar’ einstuften. Sie war keine Schönheit, zumindest nicht auf diese Männer lockende Art wie Mao und Ming und verschwand gewöhnlich in der grauen Masse der Durchschnittsfrauen. Seit zwei Jahren hatte sie keine Beziehung mehr gehabt, aber das war okay so. Irgendwie zumindest. Nein, eigentlich war es besser so, denn Männer waren ja Schweine. Das sie am Abend nicht einschlief, weil sie die Wärme eines vertrauten Körpers an ihrer Seite vermisste, weil sie sich nach diesen unglaublich trivialen Dingen, wie Liebe und Zärtlichkeit sehnte, das versteckte sie tagsüber gerne hinter Frauenstolz und männerfeindlichen Parolen. Dabei wusste sie irgendwo auch, dass ihre Einteilung von Männern in gut und böse genauso oberflächlich war, wie das Messen einer Frau nach ihrem Äußeren.
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Der Abend war bereits weit fortgeschritten. Takao sang zu Celine Dion, Maos Hand lag viel sagend im Schritt ihres Freundes, Kai selbst schlürfte einen Cocktail nach dem anderen und Mariam neben ihm hatte aufgehört ihn zu ignorieren. Yuriy hatte keine Ahnung was er der jungen Frau getan hatte, aber sie schien ihn nicht sonderlich zu mögen. Allerdings war sie weitaus verträglicher gewesen, als sie ihn noch mit Nichtachtung gestraft hatte. Jetzt jedenfalls textete sie ihn über die die Emanzipation der Frau zu und das Typen wie er – wie Yuriy – ja doch nur auf Frauen herabsahen und sie zu reinen Sexobjekten machten. Nun, er war sich keiner Schuld bewusst und Mariam hatte wohl einfach nur ein paar Bier zu viel getrunken. Offensichtlich war sie eines dieser Männer hassenden, grauen Mäuschen. Dabei könnte sie sicher einiges aus sich herausholen, wenn sie ihren Kleidungsstil und ihre Einstellung zu Männern änderte. Er seufzte. Nein, das war keine Frau nach seinem Geschmack, aber mit wem hätte er sich sonst unterhalten sollen? Mit Kai, der vergeblich versuchte nicht bei den Berührungen durch seine Freundin leise zu stöhnen? Oder mit Ming und Takao, die gerade im Duett Ghostbusters sangen, gelegentlich begleitet von Max? Oder gar mit Hiromi am anderen Ende des Tisches eifrig damit beschäftigt Takao anzuhimmeln? Sicher nicht! Stattdessen stürzte er sein Schälchen Sake in einem Zug hinunter und sah wieder zu der Blauhaarigen. Sie war Chinesin wie Ming und Mao, aber – wie er herausgehört hatte – mit einem indonesischen Einschlag, den man, wenn man sie genauer betrachtete, durchaus sah. Ihre karamellfarbene Haut war einen Ton dunkler als bei den anderen Mädels, die dunklen Augen verbargen einen tiefgrünen Schimmer. Eigentlich, so musste Yuriy nach einer weiteren Schale Sake zugeben, war sie doch recht hübsch. Aber ihr Charakter! Argh!
„Und das ist der Grund, warum Frauen immer noch von Männern unterdrückt werden.“ Oh, und wie ihn das interessierte. Gedanklich verdrehte er die Augen. Die Frau war eine unglaubliche Spaßbremse.
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Scheiße, sah der gut aus. Aber nein! Das war eindeutig die Sorte Mann auf die sie einmal reingefallen war. Einmal und nie wieder, das hatte sie sich geschworen. Aber Scheiße, der sah wirklich gut aus. Mariams Augen klebten an den blassen Lippen, die nur selten auf ihre Ausführungen zum Thema ‚Frau im kulturellen Bild’ antworteten. Lange, schwarze Wimpern betonten die klaren, eisblauen Augen, die kühl und arrogant wirkten und so faszinierend schön waren, dass sie kaum atmen konnte, wenn sie hinein blickte. Wie um den Gesamteindruck abzurunden fielen zwei freche, rote Haarsträhnen in sein bildhübsches Gesicht und hoben sich kontrastreich von der blassen Haut ab. Mariam schloss kurz die Augen, versuchte ihre wirren Gedanken wieder zu ordnen und sich zur Vernunft zu rufen, aber Alkohol vernebelte längst ihre Sinne und wirkte gnadenlos auf ihre so lang vernachlässigte Libido ein.
Sie leckte sich hektisch über die trockenen Lippen, als sie wieder aufsah und dabei beobachtete, wie Yuriys schlanke Finger mit den Essstäbchen spielten. Sie hatte immer schon eine Vorliebe für schöne Männerhände gehabt. Aber das sollte jetzt nicht ihr Verhängnis werden. Sie versuchte ein weiteres Mal Yuriy zu ignorieren und wurde dabei auf das Pärchen neben diesem aufmerksam. Kai hatte es mittlerweile aufgegeben seine körperliche und geistige Erregung zu verbergen und vergrub stattdessen sein Gesicht leise stöhnend in Maos üppigem Dekolletee. Die Chinesin kraulte ihn sanft im Nacken, während sie mit der anderen Hand zärtlich die Beule in seiner Hose streichelte. Beide schienen unglaublich betrunken und so verwerflich dieser Anblick Mariam auch vorkam, so perfekt wirkte er auch. Genau das würde sie jetzt auch gerne tun. Mit Yuriy. Allein der Gedanke, dass er für sie hart würde, war unbeschreiblich erregend. Ah, sie schaffte es einfach nicht, ihn aus ihren Gedanken zu vertreiben.
Sie ließ sich über den Tisch ein weiteres Bier reichen – Hiromi hatte gerade über das Zimmertelefon neu bestellt – und lehnte sich dabei – natürlich völlig unabsichtlich – so weit über Yuriy, dass sie neben dem fruchtigen Geruch von gutem Sake, den Duft von Nadelholz und Meer atmete. Yuriys Aftershave? Oder rochen Russen einfach besser? Sie schmunzelte über den absurden Gedanken und ließ sich wieder auf ihr Sitzkissen plumpsen. Vielleicht war dieser erstaunlich anregende Duft der Grund, weshalb Mao und Ming schon immer weiße Ausländer bevorzugten. Sie wusste es nicht, aber sie hatte das dringende Bedürfnis den attraktiven Russen zu berühren.
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Seit dem letzten Bier schien sich etwas in Mariams Verhalten zu ändern. Noch immer erzählte sie Yuriy von Mädchenhandel und Gewalt in der Ehe, aber die Art wie sie ihm dabei mit lüsternem Blick die Klamotten vom Leib riss, grenzte schon an sexuelle Nötigung. Vielleicht sollte er mal vorsichtig darauf hinweisen, dass erstens auch Jungs zur Prostitution gezwungen wurden und zweitens auch Männer sexuell belästigt werden konnten. Andrerseits störte ihn ihre Art nicht wirklich. Im Gegenteil, es war doch äußerst amüsant, wie sie einerseits Männer als das Übel der Welt stilisierte und ihn gleichzeitig auf diese zutiefst unanständige Weise musterte. Dieser Abend würde vielleicht doch noch recht interessant werden.
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Mariam leerte den letzten Rest ihres fünften Biers – sie vertrug nicht wirklich viel – und sah verschwommen zu Yuriy auf.
„Verscheehst du?“, lallte sie unbestimmt, „Männer wie du… ihr benussst Frauen doch nua un dann werffft ihr se wech.“ Sie drückte ihren schlanken Körper eng an den des Russen und ließ genüsslich ihre Hand seinen Oberschenkel hinaufwandern. Gott, er fühlte sich so geil an! Sein Körper war so heiß unter ihren Fingern, unter dem Stoff seiner Hose.
„Ich mag Ones. Bin ich deshalb ein schlechter Mensch?“ Yuriy stupste einen Finger gegen ihre Nase und beugte sich dann dicht an ihr Ohr. „Und ich verstehe nicht, wieso Frauen wie du, so was nicht auch mal genießen können. Muss es denn immer gleich die große Liebe sein?“ Mariam schloss genießend die Augen. Yuriys heißer Atem leckte sanft über ihren Hals und rote Haarsträhnen kitzelten ihre Wange. Seine Stimme klang tief und erotisch, sein Akzent so sexy, nur den Sinn seiner Worte hatte sie nicht mehr erfasst. Stattdessen drehte sie leicht ihren Kopf, um einen winzigen Kuss auf seine samtweichen Lippen zu hauchen. Sein warmer, duftender Körper kochte in ihr die Hitze auf und sie nahm die Gelegenheit wahr und leckte ihm hingebungsvoll über das Kinn. Er schmeckte. Unglaublich lecker sogar. Er war der perfekte Mann.
„Komm mit su mia, Yuriy.“ Sein Name wirkte wie pures Aphrodisiaka auf ihrer Zunge und sie legte seufzend ihren Kopf auf seine Schulter. Er war so beruhigend warm, dieser fremde Körper. Sie schnaufte wohlig und begann still vor sich hin zu dämmern. Es kribbelte ein wenig, ein bisschen nur, immer wenn Yuriy sie dabei berührte. Mal strich er eine Haarsträhne hinter ihr Ohr, mal zeichnete er ein unbekanntes Muster auf ihre Hand, dann wieder streichelte er zärtlich über ihre Wange. Ein so gutes Gefühl, einen anderen Menschen zu spüren…
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… Hatte das Maunzen ihres Katers sie geweckt – Yo-kun, der nach seinem Leckerli verlangte – oder der Lärm von Kindern, die sich auf dem Spielplatz vor ihrem Haus offenbar über einen Ball stritten? Mariam hob leicht ihren Kopf, blinzelte zum Fenster und drückte sich gleich wieder tief ins Kissen. Sie hatte vergessen, die Gardine vorzuziehen. Es war viel zu hell. Und ihr Mund war staubtrocken. Richtig ausgedörrt. Scheiß Alkohol.
Sie war bereits wieder am Wegdösen, als ein äußerst ungewohntes Geräusch – ungewohnt für ihre Wohnverhältnisse – an ihr Ohr drang. Das Rascheln eines Kissens. Dabei saß Yo-kun noch immer vorwurfsvoll maunzend auf dem Läufer vor ihrem Bett. Wieder ein Rascheln, wo keines sein sollte und aufgeregt begann ihr Herz zu klopfen. Sie war nicht allein.
Vorsichtig drehte sie sich um, hielt die Luft an, vermied jedes unnötige Geräusch und… Oh Gott! Zerzaustes, rotes Haar hob sich da kontrastvoll von ihrer weißen Seidenbettwäsche ab. Ein nackter, muskulöser Rücken, ebenso nackte, wie muskulöse Arme und ein noch viel nackterer, knackig runder Hintern schienen förmlich die frohe Weihnachtsbotschaft in ihrem Schlafzimmer zu verbreiten. Liebe und Friede für die ganze Welt. Sie sog geräuschvoll die Luft ein und gleich wurde es noch einige Grad wärmer, als es ohnehin schon in ihrer gut beheizten Wohnung war.
Nur von dem Gesicht des vermeintlichen Weihnachtsengels war aus ihrer Position nicht viel zu sehen. Fast gänzlich war es in den dicken europäischen Kissen eingesunken. Trotzdem, sie wusste, wer da neben ihr lag und die Schamesröte stieg ihr nur so ins Gesicht, als sich grobe Erinnerungsfetzen des letzten Abends in ihr Gedächtnis drängten. Nicht nur, dass sie den Russen den ganzen Abend haltlos als Macho beschimpft hatte – wohlgemerkt, ohne ihn überhaupt zu kennen – sie hatte ihn auch angegraben, begrapscht, geküsst, betatscht, angefummelt, gestreichelt und oh Gott, sie hatte ihn sexuell belästigt. Ausgerechnet sie! Sie schlug sich lautlos die Hände vors Gesicht und zog sich dann beschämt die Decke über den nackten Busen. Was nun? Hatten sie miteinander geschlafen? Ihr Körper fühlte sich nicht danach an, aber sie würden wohl kaum zusammen in ihrem Bett liegen, wenn nicht irgendetwas zwischen ihnen geschehen wäre. Und Mariam ärgerte sich, maßlos sogar. Ausgerechnet sie hatte sich auf eine One Night Stand eingelassen. Sie warf einen kurzen – okay, zugegebenermaßen eher einen langen – Blick auf die nackte Schönheit neben sich. Ja, sie ärgerte sich, maßlos sogar. Da hatte sie einmal in ihrem Leben einen One und das mit einem Gott der männlichen Rasse und erinnerte sich nicht einmal daran.
Yo-kun riss sie letztlich aus ihren Gedanken. Mit einem Satz war er auf das Bett gesprungen und schmiegte sich schnurrend an Mariams Arm. Yuriy hin oder her, ihren Kater konnte sie jetzt auch nicht verhungern lassen. Beinah geräuschlos stieg sie aus dem Bett, klaubte einige Kleidungsstücke aus dem Schrank und eilte dicht gefolgt von Yo-kun aus ihrem Schlafzimmer. Nach einer raschen Dusche, Zähneputzen und Haare kämmen, machte sie Frühstück für sich und ihren Kater. Jetzt, da sie etwas am Leibe trug, konnte sie weitaus entspannter über ihr rothaariges Problem nachdenken. Noch schlief der Russe, aber was sollte sie tun, was sagen, wenn er erwachte? Würde er es bereuen, die Nacht mir ihr verbracht zu haben? Vielleicht war er genauso betrunken gewesen wie sie? Es erschien ihr schier unmöglich, dass er sie mögen könnte, nachdem sie ihn den ganzen Abend dermaßen zugetextet hatte.
Nachdenklich versenkte sie einen Löffel Honig in ihrer Tasse Tee, als sich jemand leise hinter ihr räusperte. Erschrocken fuhr sie herum und taumelte gleich wieder zurück. Oh Gott, da stand er, der Traum von einem Mann, völlig nackt in ihrem Türrahmen. Mit den roten, zerzausten Haaren sah er aus wie ein verschlafener Kater und wie um diesen Eindruck zu bestätigen blinzelte er sie gähnend an. Sie schluckte hart, als ihr Blick tiefer glitt und sie sich das Ausmaß seiner Schönheit im Ganzen besah.
„Kann ich bei dir duschen?“ Er schmunzelte und hatte ihren Blick wohl bemerkt.
„S-Sicher. Zweite Tür rechts.“ Sie war urplötzlich nervös wie ein Schulmädchen vor dem ersten Date. Ihre Wangen brannten unangenehm und doch ließ sie ihn keinen Augenblick aus den Augen. Er drehte sich um, stellte seinen zuckersüßen Po zur Schau und schlenderte davon, als wüsste er sehr genau, dass ihr das Wasser im Munde zusammenlief. Wie konnte ein einzelner Mann nur so heiß sein? Verdammt, verdammt, verdammt!
Zwanzig Minuten später saß sie mit Yuriy am Küchentisch und wusste weder ein noch aus. Der Russe hatte sich einen Cappuccino geben lassen und kaute gelassen an einem Brötchen. Er faszinierte sie, selbst wenn er nur dasaß und aß. Und doch fehlten ihr die Worte um ein Gespräch zu beginnen.
„Was… genau… ähm ist letzte Nacht geschehen?“ Mariam war ein unverbesserlicher Kontrollfreak und auch wenn ihr die Frage peinlich war, sie musste wissen, was letzte Nacht passiert war. Yuriy sah lächelnd von seiner Tasse auf.
„Blackout?“, fragte er amüsiert und seine klaren Augen funkelten sie überraschend freundlich an. Er machte sich nicht über sie lustig? Darüber, dass sie so schrecklich betrunken gewesen war? Sie nickte zur Antwort und merkte wie sein Blick eine Sekunde zu ihrem T-Shirt schweifte, unter dem sich schwach ihre Brüste abzeichneten. Es war nicht das erste Mal, dass sie wünschte einen größeren Busen zu haben.
„Wir haben miteinander geschlafen.“
„Das glaub ich nicht!“, platzte sie unfreundlich dazwischen. Sie hätte es gemerkt, wenn sie Sex gehabt hätte, vor allem, weil ihr letztes Mal schon ewig zurücklag. Trotzdem bereute sie gleich wieder, Yuriy so angefahren zu haben. Alles Sanfte war aus seinen Augen gewichen und er funkelte sie frostig an.
„Wenn Sex bei dir nur aus Penetration besteht, dann hast du Recht.“ Er klang beleidigt und Mariam zog sich gedanklich mit der neuen Edelstahlbratpfanne eins über den Schädel. Warum musste sie mit ihrer Art immer andere vor den Kopf stoßen? Warum wurde sie nur immer so barsch, wenn sie unsicher war? Und sie war unsicher, unglaublich unsicher angesichts dieses Mannes. Männer wie er verirrten sich normalerweise nicht in ihre Küche.
Jetzt hätte sie gerne etwas Versöhnliches gesagt, aber bevor ihr etwas Passendes einfiel – ob ihr etwas eingefallen wäre, war noch die zweite Frage – fuhr Yuriy schon fort.
„Du hast geschickte Hände, Mädel, und ich eine geschickte Zunge. Mehr gibt es über letzte Nacht nicht zu sagen.“ Erneut schoss ihr das Blut in die Wangen und sie beneidete ihr betrunkenes ‚Ich’, dass es Yuriy zum Höhepunkt streicheln durfte.
„Wenn du willst, kann ich deine Erinnerungen ja ein wenig auffrischen.“ Ein verspieltes Lächeln zog die blassen Lippen auseinander und Mariam war Butter in seiner Sonne. Jetzt klang er wieder sanft und ihr lag ein „Ja, bitte sofort“ bereits auf der Zunge. Da hallte die Stimme von Mathilda, der Leiterin ihrer Frauengruppe Women Rights überlaut in ihren Ohren:
Männer nehmen bis es nichts mehr zu nehmen gibt und dann lassen sie dich ausgelaugt und leer zurück.
Genauso war es. Sie hatte es doch selbst erlebt. Sie war plötzlich so wütend…
„Glaubst du wirklich, ich würde nüchtern noch mal mit dir schlafen? Männer wie du sind das Letzte.“ Sie war aufgestanden bei diesen Worten, völlig überzeugt von dem was sie sagte, doch in dem Moment, in dem das letzte Wort in der kleinen Küche verklang, erkannte sie ihren Fehler… Schweigen. Einen Herzschlag lang war es vollkommen still. Yuriy erhob sich. Langsam. Mit einer Ruhe in jeder Bewegung, die Mariam das Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Frauen wie du“, meinte er höhnisch und so kalt, dass sie fröstelte, „werden immer einsam sein.“ Er verließ ihre Küche und lautstark fiel ihre Wohnungstür ins Schloss, als er ging. Sie zuckte zusammen. Er hatte Recht.
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Ein knielanges Kleid in zartem Rosa schmiegte sich eng an ihren schlanken Körper. Mariam hatte lange überlegt, was sie tragen sollte und hatte sich letztlich für eines ihrer wenigen Kleider entschieden. Wie lange hatte sie keines mehr getragen? Ihr nachtblaues Haar hatte sie hochgesteckt, nur einige Strähnen fielen gewollt in ihren Nacken. Goldene Kreolen baumelten an ihren Ohren – eine Leihgabe von Mao. Unter dem Kleid trug sie rosa Spitzenunterwäsche und halterlose, schwarze Strümpfe. Alles neu gekauft, extra für diesen Abend. Kajal und Lipgloss rundeten ihre Erscheinung ab und doch fühlte sie sich unwohl in der ungewohnten Aufmachung. Es war über zwei Wochen her seit der einen Nacht mit Yuriy, seit dem Morgen in ihrer Küche. Was sie zu ihm gesagt hatte… diese verletzenden Worte, sie waren nicht für ihn bestimmt gewesen. Sie hatte so lange geglaubt ihre gescheiterte Beziehung zu ihrem Ex-Freund, zu Ozuma, überwunden zu haben. Sie hatte geglaubt stark zu sein, dabei waren ihr übertriebener Frauenstolz und ihre Männerfeindlichkeit nichts weiter als Ausdruck ihrer Angst erneut verletzt zu werden. Ein Mann hatte sie enttäuscht und dafür hatte sie alle Männer gehasst. Dafür hatte sie einen unglaublichen Mann gehen lassen… mit Worten, die Ozuma gegolten hatten.
Aufgeregt zog sie sich ihre schwarzen Stiefel und einen dicken Mantel an. Der Jahreswechsel stand wenige Stunden bevor und Mariam betete um eine zweite Chance. Eine zweite Chance von Yuriy. Sie wollte ihm sagen, wie dumm sie gewesen war, sie wollte sich entschuldigen, auch auf die Gefahr hin sich lächerlich zu machen, auch wenn er sie längst vergessen hatte.
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Yuriy war spät und das mit voller Absicht. Er war nicht allzu erpicht auf diese Silvesterparty. Kurz vor 23 Uhr betrat er den noblen, kleinen Saal im 32. Stock des Keio Towers an der Tokyo Bay. Gelächter und seichte Musik drangen ihm entgegen und er suchte in der Menge nach Kai. Doch von dem war kein einziges graublaues Haar zu sehen und Yuriy malte sich aus, wie sein bester Freund sich gerade im Treppenhaus von Mao das Gehirn rausvögeln ließ. Die Chinesin hatte eine Vorliebe für öffentliche Orte. Na ja, vielleicht war er auch bloß pinkeln.
Der Rothaarige nahm sich ein Glas Weißwein und ein paar Häppchen von einem üppigen Büffet und schlenderte durch die Masse. Hie und da grüßte er bekannte Gesichter, unterhielt sich kurz und flirtete über den Saal hinweg mit Ming Ming, die bereits wieder solo war und von mehreren gut aussehenden Männern eifrig umworben wurde. Dann bemerkte er eine junge Frau in der Nähe der Panoramafenster. Sie hatte ihn beobachtet, doch als er in ihre Richtung sah, wandte sie sich ab. Ein schlicht geschnittenes Kleid betonte vorteilhaft den sportlich schlanken Körper. Keine großen Brüste, aber ein fester Po. Die dunklere Haut hob sich angenehm von dem zarten rosa ihres Kleides ab und blaue Haarsträhnen fielen ihr malerisch in den Nacken. Mariam? War sie das wirklich? Sie sah so anders aus, weiblicher und weniger… grau. Sie blickte wieder auf und erschrak sich offenbar, weil Yuriy sie noch ansah, dann lächelte sie. Zaghaft, unsicher und absolut ratlos. Yuriy spürte den Drang zu ihr zu gehen. Doch was sie gesagt hatte, hatte er nicht vergessen. Wollte sie wieder mit ihm spielen, um ihn dann zu beleidigen? Yuriy war sicher vieles, aber kein Aushilfsliebhaber für verbitterte Frauen. Demonstrativ wandte er sich ab und schlängelte sich durch die Menge an Gästen zu Ming Ming und ihrem Männer-Fanclub. Wenn er aufrichtigen Spaß wollte, einen unkomplizierten Flirt, dann war er hier an der besseren Adresse.
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Das Gefühl der Enttäuschung grub sich tief in ihre Brust. Es tat weh. Und jetzt in diesem Augenblick drückte er seinen weichen Lippen auf Mings Handrücken. Er gab ihr einen Handkuss und brachte das hübsche Mädchen damit zum Erröten. Und Mariam war eifersüchtig, aber was hatte sie auch erwartet? Das er zu ihr kommen würde, als sei nichts gewesen? Die Mariam in ihr, die sie immer gewesen war, wollte sich abwenden, wollte aufgeben, doch als sie hinaus sah in die Nacht, das schillernde Tokyo zu ihren Füßen, war es als legte sich ein Schalter in ihr um. Keine 15 Minuten mehr und dieses Jahr wäre zu Ende. Was hatte sie erreicht? Auf was konnte sie zurückblicken? Da war nichts. So absolut gar nichts. Sie musste sich entscheiden.
Ihr Herz hämmerte wild gegen ihre Brust. Eilig durchquerte sie den Saal und steuerte auf die kleine Gruppe um Ming zu. Erschrocken fuhr ihre langjährige Freundin herum, als sie sie mit einem genuschelten „’Tschuldigung“ zur Seite schob und Yuriy am Handgelenk packte. Sie war sich sehr wohl bewusst, dass sie ihn durch ihre eigene Körperkraft alleine nicht zwingen konnte und erleichtert atmete sie auf, als er dem drängenden Ziehen nachgab und ihr folgte.
Abseits des Pulks, der sich bereits mit Sektgläsern eindeckte, blieb sie stehen. Sie sah ihn an und er sah zurück. Fragend, aber nicht wütend. Seine eisblauen Augen funkelten geheimnisvoll und alles was sie sagen wollte, was sie ihm erklären wollte, was sie sich seit Tagen bis ins Detail hinein zurechtgelegt hatte, war vergessen. Er war so schön…
„Ich bin ein Dummkopf“, begann sie schließlich. Seine Augen weiteten sich überrascht und sie fuhr fort, bevor er etwas erwidern konnte. „Ich wollte mich entschuldigen für das was ich gesagt habe. Es… es war nicht für deine Ohren bestimmt und… Oh, Gott, es tut mir leid und… ich…ich…“ Sie biss sich verzweifelt auf die Unterlippe. Sie stammelte ja wie eine Idiotin. Wie sollte er da verstehen, was sie wollte. Was sie wollte…?
„Ich- Ich will dich!“, platzte es aus ihr heraus. Das war es, was sie wollte, was sie sich wünschte. Yuriy. Sie wollte ihn kennen lernen, sehen, was für ein Mensch er war und sie wollte eine Nacht mit ihm, die sie nicht einfach vergaß. Yuriys Mundwinkel zuckten leicht, bevor sie sich zu einem breiten Grinsen auseinander zogen.
„Und was genau willst du von mir?“ Er klang ein wenig spöttisch und ziemlich amüsiert. Aber er sollte nicht glauben, dass sie es nicht ernst meinte.
„Ein Kuss wäre für den Anfang nicht schlecht.“ Wenn er sie jetzt stehen ließ, würde sie schreien, soviel war klar. Der Countdown wurde bereits lautstark angezählt und Mariam hielt die Luft an.
„Frohes Neues Jahr!“, erklang es von überall her in dem kleinen Saal. Es hallte von den Wänden und mischte sich in den Freudentaumel, in das Klirren von Sektgläsern und das Knallen von Korken. Doch Mariam nahm nichts davon wahr. Yuriys heiße Zunge in ihrem Mund war zu ihrer Welt geworden. Das Gefühl dieses Kusses erfüllte sie ganz und gar. Vielleicht – so dachte sie in einem wahnwitzigen Moment, in dem sie ihre Arme um Yuriys Hals schlang – vielleicht würde es nie mehr als eine kleine Affäre werden, aber musste es denn immer gleich die große Liebe sein?
---The End---
Anmerkungen zur FF [lesen bevor Beschwerden genau dazu kommen]:
Über Mariams ethnische Herkunft ist ja nicht so viel bekannt, ich hab sie einfach passend zu Mao und Ming zu einer Chinesin gemacht, mit einem kleinen indonesischen Einschlag.
Die Story spielt in Japan, trotzdem hab ich an manchen Stellen ziemlich gemogelt. Mariams gut beheizte Wohnung, das europäische Frühstück und die Silvesterparty sind alles andere als japanisch. Aber na ja, ist ja nur eine FF, da hab ich mir diese Freiheit einfach mal genommen. Der Zweck heiligt die Mittel.