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Speechless

von

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Sie konnten sehen, wie die breiten Finger des Kapitäns unruhig auf die Tischoberfläche vor sich tippten. Kein gutes Zeichen.

Zwar hatte Tréville schon vor einigen Minuten bemerkt, dass seine vier besten Musketiere sein Arbeitszimmer betreten hatten, doch seitdem hatte sich an seiner nachdenklichen und denen der Musketiere strammen Haltung nichts geändert.

Die vier Soldaten ließen sich ihre Unsicherheit bezüglich des Verhaltens des Kapitäns nicht anmerken, lediglich eine Augenbraue D’Artagnans, die unaufhörlich in die Höhe zuckte, konnte Ausdruck immensen Unbehagens sein.

Aramis erkannte, dass Tréville seinen Blick ihnen schließlich zugewandt hatte und besonders die Haltung Aramis’ genau musterte.

Konnte es sein, dass der ärgerliche Blick des Kapitäns ausschließlich ihr galt? Was hatte sie nun wieder verbrochen, dass sein Zorn nur über sie einfallen würde? Andererseits befand sie sich nicht allein in seinem Arbeitszimmer, schließlich waren die anderen drei ebenso herbeigerufen wurden. Sie versuchte den Gedanken innerlich abzuschütteln.

„Als ihr vier vor einer Woche aussaht, als ob ihr von einer Viehherde überlaufen worden seid, hatte ich keine Fragen gestellt. Schließlich handelt es sich ja um eure Knochen, die man entweder wieder zusammensetzen kann oder nicht. Und ihr seid Musketiere, die sich ab und an die Hörner abstoßen müssen, auch das ist mir durchaus bewusst“, sprach Tréville schließlich in seiner betont tiefen autoritären Stimme und die vier Freunde erkannten, dass ihre letztige Schlägerei in der Taverne doch nicht folgenlos für sie enden würde, sonst hätte der Kapitän wohl kaum über eine Woche später dieses Thema nun doch zur Sprache gebracht „Heute habe ich aber vernommen, dass der Anlass des Streits nicht von Richelieus Männern ausging, sondern dass ihr euch bereits vorher untereinander geschlagen hattet und die rote Garde dies lediglich als Willkommenheit betrachtet hatte sich mit einzumischen“, er trat vor seine vier Untergegebenen und bediente sich eines Mittels, das hoffentlich Wirkung zeigte, er wurde lauter „Wie zum Teufel kommt ihr dazu euch gegenseitig zu schlagen?! Was macht es für einen Eindruck beim König, wenn die Musketiere untereinander uneinig sind? Nach außen müsst ihr geschlossen auftreten und dürft euch bei persönlichen Auseinandersetzungen nichts anmerken lassen! Zu allem Überfluss ist mir vollkommen schleierhaft, warum sich gerade meine vier besten Musketiere, die Tag ein und Tag aus nicht voneinander zu trennen sind, sich eine Rauferei bescheren?! Gibt es hierauf vielleicht eine Erklärung?!“

„Wir entschuldigen uns dafür, Kapitän!“, kam es gut einstudiert einstimmig von den vieren.

„Das ist keine Erklärung!“

Die Musketiere erkannten, dass sich der Kapitän dieses mal mit einer einfachen Entschuldigung nicht zufrieden geben würde. Aramis glaubte, dass es daran liegen mochte, dass das Ansehen der Musketiere durch ihr aller Verhalten geschädigt worden war, doch der erneute intensivärgerliche Blick Trévilles in ihre Richtung, gab ihr zu verstehen, dass Tréville scheinbar sie in erster Linie dafür verantwortlich glaubte. Und als ob ihre Vermutungen berechtigt waren, wandte sich Tréville geradewegs an sie „Nun, Aramis? Gab es einen bestimmten Vorfall von welchem ich wissen müsste?“

Was hatte er jetzt bitte von ihr hören wollen? Konnte die Intuition des Kapitäns derart genau sein, dass er ahnte, dass mittlerweile Athos, Porthos und D’Artagnan ihr Geheimnis kannten? Es war naheliegend, dass dies der einzige Grund gewesen sein könnte.

Entgegen ihrer sonstigen Offenheit, sagte sie mit fester Stimme „Bier, mon Capitaine!“

„Wie bitte?!“, ein verdutzter Gesichtsausdruck folgte.

„Sehr viel Bier, mon Capitaine!“

Tréville wurde durch diese Antwort um ein vielfaches unruhiger „Willst du mich zum Narren halten, Aramis?! Ich kann nur schwer glauben, dass bei euren aller sonstigen Maßen an Bier und Wein, dies ein Problem zwischen euch schüren könnte!“ Sein Augenmerk auf Aramis verschärfte sich um ein weiteres, was darauf hindeutete, dass sich die Geduld des Kapitäns dem Ende neigte „Könnte ich wohl nun endlich eine Antwort von dir erhalten, die mich nicht an dem Respekt, der mir von dir entgegengebracht werden sollte, zweifeln lässt?!“

Innerlich ärgerte sich Aramis darüber, dass sie scheinbar allein für die Misere verantwortlich gemacht wurde, andererseits musste sie zugeben, dass sie tatsächlich der Auslöser für die entflammende Wut Porthos‘ gewesen war. Nur wegen ihr war es zum Streit unter den Vieren gekommen. Sie konnte nicht leugnen, dass Tréville mit seiner Vermutung so nah an der Wahrheit lag, dass eine einfache Entschuldigung für ihre letzten Worte nicht ausreichen würde.

Gerade als Aramis zur Erklärung ansetzte, wurde sie von Athos unterbrochen „Es war meine Schuld gewesen, mon Capitaine! Ich war derjenige gewesen, der den Streit begonnen hatte. Porthos erteilte mir dafür die Lektion, die ich verdient hatte. Dies ändert jedoch nichts an unserer Freundschaft. In Zukunft wird ein derartiges öffentliches Auftreten meinerseits nicht wieder vorkommen. Wir haben das Problem geklärt und nun bin ich bereit für mein unentschuldbares Verhalten die Konsequenzen zu tragen!“

Überrascht hatte sich Tréville bei dieser huldvollen Rede seinem treuesten und intelligentesten Soldaten zugewandt. So ganz konnte er ihm seine Worte nicht glauben, überdies bemerkte er, dass Aramis erneut zu Erklärungsversuchen ansetzte und Athos dabei mit bösen Blicken bedachte.

Allein das Verhalten von Athos und Aramis genügte Tréville nun um zu erkennen, was tatsächlich vor sich ging. Innerlich seufzte er und erinnerte sich selbst, dass er diese Wendung zwischen beiden doch schon vor Jahren vorausgesehen hatte. Warum musste er auch immer recht behalten? Tréville kannte Athos zu lange und zu gut, um zu erkennen, dass er Aramis hilflos verfallen war.

Mit einer kurzen Handbewegung wies er Aramis an, zu schweigen. Lautlos ging Tréville an seinen vier Untergebenen vorüber und setzte sich hinter seinen Schreibtisch.

Die Augen der vier Musketiere waren wachsam geradeaus gerichtet und erwarteten weitere Anweisungen. Während Tréville Unsicherheit bei Porthos und D‘Artagnan erkannte, waren in den Augen von Athos Mut und Aufopferung erkennbar. Aramis jedoch bildete das absolute Gegenteil. Tréville sah in ihren Augen den Ausdruck verletzten Stolzes, den Athos durch sein Verhalten eben hervorgerufen hatte.

Aber Tréville war es egal. Früher oder später würde sie ihm doch verzeihen, daher musste er nun keine weiteren Erklärungen von irgendjemanden hören.

„Es ist unerheblich, wer gegen wen den Streit hervorgerufen hat. Ihr alle wurdet dort gesehen und seid dadurch in jedermanns Munde. Deshalb werdet ihr alle für die nächsten zwei Wochen Nachtwache schieben und die Musketieranwärter einweisen. Ich dulde keinen Widerspruch und erwarte über jeden einzelnen Tag einen schriftlichen Bericht von euch…“

Bei der Strafverteilung hatte Tréville wahrlich nicht gespart. Es gab weitaus bessere Aufgaben unter den Musketieren als rotznasige Bengel in die Fechtkunst einzulernen. Augenblicklich sank die Stimmung der vier Musketiere ins bodenlose. Aber sie würden keine Widerrede erheben, andernfalls hätte sich die Strafe sogleich in weitere zwei Wochen verlängern können.

Mit einer flachen Handbewegung, verdeutlichte Tréville, dass die Vier sich nun endlich entfernen sollten.

Im leeren Gemeinschaftsraum unten angekommen, hatte D‘Artagnan sich ein lautes Seufzen nicht verkneifen können „Wie soll ich das nur Constance beibringen?“

„Es gibt weitaus schlimmeres im Leben, D‘Artagnan“, lachte Athos, was jedoch trotz allem kein Zweifel daran zurückließ, dass er die Worte so meinte, wie er sie sagte. Athos sprach nie über unerhebliche Dinge.

„Da kennst du Constance aber schlecht…“, murmelte der junge Gascogner verärgert, jedoch gerade so laut, dass es nur Porthos verstand, der neben ihm stand.

Unerwartet fuhr Aramis aufgebracht herum „Was sollte das gerade, Athos?“

„Ich habe D‘Artagnan eben zu verstehen gegeben, dass…“

„Nicht das!“, unterbrach ihn Aramis „Sondern die Tatsache, dass du den Kapitän eben angelogen hast…“

Athos bedachte sie bei diesen Worten mit einem kritischen Blick „Das ist aber nicht das, was dich verärgert, nicht wahr?“

„Nein, völlig richtig! Mich macht es wütend von dir ständig bevormundet zu werden!“

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst…“, beteuerte Athos und war sich ganz offensichtlich keiner Schuld bewusst.

„Du musst nicht den Sündenbock vor Tréville spielen, nur um dich damit als Held der Schwachen aufzuspielen!“, Aramis‘ Anschuldigungen trafen ihn hart und unvorbereitet, hatte er doch geglaubt, sie damit dem Fegefeuer Trévilles entziehen zu können. Jetzt zu vernehmen, dass sie diese Tat ganz und gar nicht guthieß, verwirrte ihn und machte ihn zugleich wütend „Willst du etwa sagen, dass du Tréville mal ganz nebenbei den wahren Grund für den Streit unterbreitet hättest, obwohl dies zur Folge gehabt hätte, dass du die längste Zeit Musketier gewesen wärst?!“

„Natürlich!“

„Natüüürlich…“, erwiderte Athos sarkastisch und war von jeher davon überzeugt, dass dies sicher niemals eingetreten wäre, da Aramis um jeden Preis die Offenbarung ihres Geheimnisses verhindert hätte. Erst recht hätte sie alles unternommen, damit Tréville niemals dahinter kommen würde.

Athos konnte nicht erahnen, wie sehr er sich diesbezüglich irrte.

„Du weißt nicht, wovon du sprichst, Athos! Es wäre möglich gewesen, Tréville alles zu erklären, was an dem Abend in der Taverne geschehen war, zumal er mit Sicherheit den wahren Grund bereits erahnen wird!“, rief Aramis unbeeindruckt und erntete hierauf nur verständnislose und fragende Blicke seitens Athos und Porthos. D‘Artagnan hingegen war schon vor Wochen informiert worden, wer alles die wahre Vergangenheit des blonden Musketiers kannte. Als ob es zur Alltäglichkeit für ihn wurde, sank sein Kopf tief in seine Schultern, in der Hoffnung mit einem mal unsichtbar für die anderen zu werden.

„Kann mir endlich mal jemand erklären, wovon Aramis eigentlich spricht?“, kam es von Porthos von der anderen Seite des Raumes und es schien, als wäre sich Aramis erst jetzt bewusst, dass sich der Koloss und Jüngling im gleichen Zimmer aufhielten.

Mit beherrschter Stimme meinte Aramis schließlich „Tréville weiß längst, wer ich wirklich bin. Schon von dem ersten Tag an, als ich mich hier vorgestellt habe. Er hatte mir auch oft genug zu verstehen gegeben, dass ich mich hier auf einer Gratwanderung befinde, was meine Freundschaft zu euch betrifft. Tréville weiß also meiner Meinung nach genau, weshalb wir uns in der Taverne gestritten hatten…“.

Bei diesem weiteren Geständnis wurden Athos‘ und Porthos‘ Augen größer und größer und Aramis mit jedem Augenblick klarer, wie tiefgründig ihre gesamte Vorspiegelung des Lebens eines Mannes doch eigentlich war. D‘Artagnan hingegen bereitete sich innerlich auf ein Sturmfeuer vor, welches hervorzubrechen drohte.

Sekunden verstrichen, doch Schweigen erfüllte den Raum.

Plötzlich zuckte Porthos mit den Schultern und ließ sich auf den Stuhl hinter sich fallen „Irgendwie überrascht mich bei Aramis allmählich gar nichts mehr. Es scheint, als verdienest du Anerkennung dafür, dass du uns alle hier zum Narren gehalten hast…“, doch seine Worte klangen härter, als er sie eigentlich meinte. Letztlich lächelte Porthos und bewegte seine Gedanken bereits wieder in Richtung Abendessen. Athos wandte sich dem Koloss verärgert zu „Ach, sollen wir uns jetzt noch bei Aramis dafür bedanken, dass nichts ist, wie es scheint?! Selbst Tréville war früher eingeweiht worden als wir“, er blickte Aramis wütend entgegen und sagte „Solange trage ich dein Geheimnis nun bei mir und du hast es niemals für nötig erachtet, mich wegen Tréville einzuweihen. Das habe ich nicht verdient, Aramis!“

„Was macht Tréville für einen Unterschied?“, entgegnete sie hartnäckig „Je weniger Menschen untereinander meinetwegen Bescheid wussten, desto besser. Damit ist aber immer noch nicht dein Verhalten von eben gerechtfertigt. Ich bin gut fähig mich allein vor Tréville zu verteidigen. Du hast dich darin nicht einzumischen, Athos!“

Selten hatte D‘Artagnan Aramis derart aufgebracht erlebt. Diese verhielt sich äußerst seltsam und machte einem engen Freund Vorwürfe, die so gar nicht zu ihm passten. Andererseits musste er zugeben, dass sich Athos in letzter Zeit äußerst besorgt um Aramis verhielt. Auch wenn es für andere nur schwer erkennbar war, so sah D‘Artagnan ab und an die angespannte Haltung Athos‘, sobald das Gespräch auf Aramis gelenkt wurde. Mit stetigen aufkommenden Gedanken, begann D‘Artagnan dämlich zu grinsen, als das Streitgespräch zwischen Aramis und Athos größere Wogen schlug.

Porthos derweil hielt Ausschau nach etwas Essbarem im Raum und bemühte sich die beiden zu überhören.

Irgendwann fielen nur noch Worte wie ‚Kindermädchen‘; ‚alt genug‘; ‚Held der Armen‘ und weitere Dinge, die D‘Artagnan noch näher zu seiner Vermutung und deren Überzeugungskraft trieb, dass die beiden mehr miteinander verband, als es zu ihm je der Fall sein würde.

Einige Augenblicke später warf ein wutentbrannter Athos die Türe von außen zu und es kehrte wohltuende Stille im Raum ein.

Heftig atmend und mit hochroten Gesicht wandte sich Aramis dem jungen Gascogner zu und entdeckte dessen dämlich grinsendes Gesicht „Darf man fragen, was du so lächerlich findest?!“

Das Grinsen nicht ablegend, entschied sich D‘Artagnan nach einiger Zeit doch zu antworten „Ihr beide habt euch gerade wie ein altes Ehepaar gestritten…“, und ohne die Reaktion von Aramis abzuwarten, brach D‘Artagnan in schallendes Gelächter aus, das Porthos regelrecht ansteckte.

„Wollt ihr beide heute noch aufrecht nach Hause laufen?“

Das Lachen erstarb augenblicklich.
 

~~~
 

Die Tage vergingen und mit ihnen die ersten Strafarbeiten im Hauptquartier der Musketiere. Aramis hatte sich bereit erklärt die ersten Tage das Fechttraining der Anwärter zu koordinieren und zu beaufsichtigen. Dabei musste sie derart streng gewesen sein, dass einige junge Soldaten das Anwesen kreidebleich oder stotternd verlassen hatten. Für D‘Artagnan und Porthos war es offensichtlich gewesen, dass sie ihre Wut und Frustration über Athos den Anfängern zukommen ließ; sie selbst meinte jedoch stets, dass es sich bei den jungen Musketieren um Taugenichtse handelte, die den Dienst im Namen des Königs unterschätzten. Tréville schien es nicht so gesehen zu haben und trug ihr auf neben der Nachtwache noch Dokumente zu bearbeiten, die er selbst hätte anfertigen müssen. Seitdem war kein Wort mehr über Aramis‘ Lippen in Gegenwart Trévilles oder ihrer Freunde gedrungen; ganz zu schweigen davon, dass sie seit Tagen nicht mehr mit Athos gesprochen hatte.

Als D‘Artagnan jenen Abend im Musketieranwesen eintraf, fand er Aramis und Porthos wie gewohnt im Gemeinschaftsraum vor.

Leise trat er an Porthos heran, der gelangweilt einige Karten über den Tisch warf. Als er den jüngsten erkannte, schien er sichtlich erleichtert, endlich weitere Gesellschaft neben Aramis zu erhalten.

Verstohlen blickte D‘Artagnan zu Aramis hinüber, die es sich am Kamin gemütlich gemacht hatte und ihn scheinbar nicht bemerkt hatte oder nicht bemerken wollte. Letzteres erschien ihm zutreffender.

„Was ist mit Aramis?“, fragte D‘Artagnan leise und beobachtete dabei wie Aramis auf der anderen Seite die Schreibfeder vor sich von einer Seite auf die andere durch ihren Atem bewegte.

Porthos empfand dieses Verhalten weniger aufregend, sodass es der vielen Erklärungen nicht bedurfte „Das macht sie schon seit Stunden… Beachte sie einfach nicht, schließlich macht sie das gleiche ja mit uns… Wollen wir Karten spielen?“, das plötzliche entzückte Gesicht Porthos‘, als dieser galant einige Karten zuspielte, verwirrte D‘Artagnan kurz, schließlich erhob er sich aber und eilte zu Aramis hinüber.

Aramis selbst derweil war tief in Gedanken versunken. Sie bemerkte die Annäherung ihres Freundes nicht, sondern fühlte sich in die Zeit vor einigen Jahren zurückversetzt.
 

~ „Wir Musketiere haben Feinde…“

„Haben wir?“

Athos konnte nicht recht zuordnen, ob der blonde Jüngling scherzte oder tatsächlich einfach nur unwissend war. Ein kritischer Blick folgte und bestätigte ersteres auf dem Gesicht des Neuankömmlings. Aramis grinste. Hatte er geglaubt, sie wäre derart einfältig? Nirgendwo gab es keine Feinde. Wenn ihr eines bewusst war, dann war es diese Tatsache; seit dem Tod ihres Verlobten.

Beide durchschritten die engen Gassen der Pariser Innenstadt. Seit ihrem Ausbildungsbeginn waren einige Monate ins Land gezogen und in Aramis selbst kamen heimische Gefühle auf. Erst vor kurzem hatte sie eine geräumige Wohnung in der Nähe des Hauptquartiers bezogen, die zwar noch recht spärlich eingerichtet war, doch wenn sie ehrlich mit sich selbst war, verbrachte sie dort derzeit sowieso nur die Nachtruhe. Ein Musketier war mit zuviel Arbeit beladen, gerade dann, wenn man einen Ausbilder wie Athos zur Seite hatte. Primäres Ziel des Stadtrundganges war es, sich die genauen Wege durch Paris einzuprägen, die im Falle von Verfolgungsjagden von Straftätern durchaus von Vorteil sein konnten.

„Richelieus Leibgarde ist dir bekannt, sodass dir bewusst ist, dass diese Männer äußerst gefährlich werden können, solltest du dich ihnen in den Weg stellen. Doch seitdem Lord Rochefort als Kapitän erwählt wurde, scheint mir die Leibgarde unberechenbarer als je zuvor…“, erklärte Athos, während seine Augen aufmerksam die Menge vor sich beobachtete. Aramis nickte zustimmend.

„Unter den Musketieren ist es ein offenes Geheimnis, dass Richelieu die Macht über das Land für sich beanspruchen möchte. Merkwürdigerweise ist er einer der wenigen Menschen Frankreichs, die den König besser kennen, als seine eigene Mutter. Gerade aus diesem Grund müssen wir zukünftig besonders bedacht gegenüber Richelieus Garde vorgehen. Sollte der Kardinal der Meinung sein, einen Feind bei den Musketieren ausgemacht zu haben, so würde er alles daran setzen, seine Position nicht zu gefährden, wodurch wir zu dem Schluss gelangen -“

„- dass Richelieus Nummer eins - Lord Rochefort - den Auftrag gewissenhaft ausführen würde“, endete Aramis an Athos‘ statt, worauf dieser Aramis mit einem wissenden Blick bedachte „Der Kardinal setzt großes Vertrauen in Rochefort und genießt dessen loyale Ergebenheit, deshalb sollten wir nur in Notsituationen der Leibgarde entgegentreten, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt…“

Plötzlich auftretender Lärm vor ihnen in der Nähe einer Metzgerei, ließ Athos seinen Satz vorzeitig beenden. Soweit beide Musketiere in der einherschreitenden Dämmerung erkennen konnten, waren zwei in schwarz gekleidete Männer bei dem Versuch den Metzger um die Einnahmen seines Tages zu berauben. Mit gezogenem Dolch, drohten sie dem älteren Mann um sein Leib und Leben. Potentielle Kunden hatten das Geschäft panisch verlassen und den Mann mit seiner Angst allein zurückgelassen. Soviel zur bürgerlichen Pariser Verbundenheit, dachte Aramis verärgert und erinnerte sich dabei unwillkürlich an ihr Leben auf dem Lande zurück, wo solche Überfälle durch nachbarschaftliche Hilfe vermieden worden waren.

„Es scheint, es hätten nicht nur wir Musketiere Feinde“, sagte Aramis leise und überlegte bereits, wie sie die prekäre Situation zu zweit am besten abwenden konnten.

Ihr mittlerweile geschulter Verstand, berechnete schnell mögliche Vor- und Nachteile eines Eingriffs in das Geschehen. Eindeutige Nachteile waren, dass es sich um zwei bewaffnete Männer handelte, deren Körperbau unter der Kleidung schlecht erkennbar war, sodass Aramis nicht einschätzen konnte, ob es sich um zierliche oder starke Gestalten handelte. Vorteil war natürlich die Überlegenheit Athos‘ in der Fechtkunst und dessen Erfahrungen der Beurteilung solcher Situationen.

Aramis genügte es bereits Vorteile für sich zu wissen, um dem Metzger zu Hilfe zu eilen, unter anderem auch verursacht durch ihren stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und ihrer gleichzeitigen risikobehafteten Übermütigkeit.

Sie wollte sich einfach auf die Räuber stürzen, in der Annahme, sie wäre der Situation nach ihrem langen Training gewachsen, doch Athos hielt sie am Arm zurück „Nein, Aramis! Benutze deinen Verstand! Was habe ich dich die letzten Monate gelehrt?“

„Dass man hilflose Menschen nicht im Stich lassen soll?“, es war mehr ein Zischen ihrerseits als eine ernstzunehmende Antwort. Ihre Worte strafte Athos sogleich mit einem streng autoritären Blick ab „Der Feind ist dir überlegen, wenn du ihm unterlegen bist“, sprach er taktisch „also wollen wir doch das Gegenteil bewirken, nicht wahr?“

Kurz erklärte er ihr daraufhin ihre Aufgabe, während er sich danach den Räubern näherte und sich Aramis etwas starrsinnig aus dem Blickfeld der Räuber neben dem Eingang des Metzgerladens platzierte.

Aramis hörte Athos einige Worte zu den Räubern sprechen, um eine friedvolle Lösung ohne Waffen herbeizuführen. Er schlug ihnen sogar vor, das Geschäft noch ohne Festnahme verlassen zu können, würden sie die Beute zurücklassen wie auch ihre Dolche.

Schweigen folgte, wodurch sich Aramis unsicher wurde, wie sie sich zu verhalten hatte. Als sie jedoch das Ziehen des Degens aus der Scheide seitens Athos vernahm, war sie sich bewusst, dass die friedliche Debatte bereits geendet hatte und sie sich nun auf die Angreifer stürzen konnte.

Sie trat um die Ecke und erkannte, dass sich Athos bereits auf einen der Räuber gestürzt hatte und versuchte ihn zu entwaffnen. Dabei war es dem zweiten Mann möglich gewesen hinter den Musketier zu treten und damit eine eindeutig überlegene Position einzunehmen. Aramis wusste, dass dies der Zeitpunkt war in dem sie einschreiten musste. Gekonnt näherte sie sich dem zweiten maskierten Räuber und bekam seinen Arm zu fassen, den sie ihm auf den Rücken drehen konnte; jedoch in der irrtümlichen Annahme, dass er in dieser Hand den Dolch hielt.

Es war eine fatale Fehleinschätzung mit gefährlichen Konsequenzen.

Aramis konnte noch sehen, wie Athos einigen Attacken seines Angreifers ausweichen konnte, als ihr ‚Opfer‘ plötzlich die Oberhand gewann.

Mit einer schnellen unkontrollierten Bewegung konnte sich der Räuber ihrem Griff entziehen und sich ihr zuwenden. Vollkommen überwältigt und erschrocken war Aramis unfähig ihren Degen korrekt einzusetzen. Der Räuber hatte ihre Hand zur Seite geschlagen und ließ den Dolch auf sie niedergehen.

Sie spürte wie der Dolch ihr Gesicht knapp verfehlte, als sie dem Angriff auswich. Sie glaubte sich in Sicherheit zu wissen, als sie unerwartet brennenden Schmerz verspürte.

Der Räuber hatte sie getroffen, doch konnte sie nicht genau ausmachen, wo er sie verwundet hatte. Augenblicklich fühlte sie sich gelähmt und brach in sich zusammen. Noch nie hatte sie derart körperlich betäubendes Leid erfahren. Wohlbehütet war sie aufgewachsen und hatte sich nicht mit Gewalttaten auseinanderzusetzen. Bilder ihres früheren Heims verschleierten ihren Blick, als sie zu Boden fiel und hart mit dem Rücken aufkam. Dumpfe Geräusche waren im Hintergrund zu hören, doch Aramis sah nur die grünen Wiesen, über welche sie als Kind gelaufen war und roch den frischen Wind, der durch ihr Haar wehte. Und sie fragte sich, ob es richtig war nach Paris zu kommen. Ihr Leben wäre friedvoller verlaufen, hätte sie nicht eine Entscheidung getroffen, die ihr gesamtes Dasein von nun an verfälschte.

Scheppernd landeten einige Gegenstände des Ladens neben Aramis auf dem Boden, als Athos seine gesamte Kraft aufwenden musste, um den Mann vor sich davon abzuhalten ihn zur Wand zu treiben und damit die Falle zuschnappen zu lassen. Mit einer letzten gekonnten Degeneinsetzung war es Athos schließlich möglich den Fremden vor sich zu entwaffnen, der sich daraufhin sofort einige Schritte von ihm entfernte. Erst jetzt konnte Athos erkennen, dass der zweite Maskierte über Aramis gebeugt war und dabei war nochmalig zuzustechen, um Aramis endgültig zu beseitigen. Hastig griff Athos nach dem Dolch in seinem Gürtel und warf diesen gegen den Angreifer. Der Dolch verfehlte sein Ziel und schellte gegen die Wand hinter den Räubern. Dennoch kam es zu einer kurzen eigenartigen Stille zwischen den Kämpfenden, die sich plötzlich reglos einander gegenüber standen, um die Überraschung des geworfenen Dolches zu realisieren. Die wenigen getauschten Blicke zwischen Athos und den Maskierten entschieden darüber, wie das Duell weiter verlaufen würde. Zu Athos‘ Verwunderung ließ der Angreifer von Aramis ab und deutete seinem Gefährten, dass sie aus dem Laden fliehen würden.

Athos hatte sich das plötzliche und unerwartete Verhalten der beiden Räuber nicht erklären können, dabei hätte er die Lösung in der Fähigkeit seiner Degenführung erkennen müssen.

Aus seiner Trance erwachend, als die Banditen den Laden verließen, eilte Athos zu Aramis, die sich am Boden vor Schmerz krümmte. Als er einen Blick auf ihren Oberkörper warf, sah er lediglich Blut, das bereits ihre Uniform durchtränkt hatte. Solch ein kleiner Dolch, mit solch immenser Wirkung, wenn man ihn nur richtig zu führen wusste, schoss es ihm durch den Kopf.

Er nahm ihre Hand und presste sie gegen die Wunde unterhalb der Schulter, soweit er diese ausmachen konnte „Lass deine Hand dort und drücke mit aller Kraft dagegen“, murmelte er ihr zu, was sie willenlos geschehen ließ. Ihre Augen flatterten und ließen das Weiß darin hervortreten und er konnte nicht einschätzen, ob sie im nächsten Moment womöglich ihr Bewusstsein verlieren würde. Kurz blickte er sich im Laden umher, nahm die Verwüstung um sich herum jedoch kaum wahr, da er in Gedanken abwog, ob es Aramis zumutbar war, sie von dort fortzuschaffen, um den nächstmöglichen Mediziner aufzusuchen oder ob er selbst schnellstmöglich Hilfe gehen holen würde. Doch die Gefahr erschien ihm zu groß, Aramis allein zurück zu lassen, die Räuber hätten sich noch immer in der Nähe aufhalten können und auf den verängstigten Metzger am anderen Ende des Ladens konnte er sich wohl kaum verlassen.

Während er nach dem anderen Arm von Aramis packte und sie hochzuziehen versuchte, meinte er „Ich bringe dich jetzt auf schnellstem Wege zu einem Arzt, soviel Kraft musst du noch aufbringen…“

Bei diesen Worten schienen plötzlich alle Geister in Aramis wieder zu erwachen. Mit schockiertem Blick sah sie zu Athos auf und sagte atemlos „Nein! Kein Arzt!“

„Was redest du da? Natürlich! Deine Wunde muss versorgt werden oder ziehst du es vor zu verbluten?“

Er war bereits dabei, sie zum Ausgang des Ladens zu ziehen, als sie wieder angsterfüllt sprach „Bitte, kein Arzt! Athos… Wenn dir etwas daran liegt, dass ich bei den Musketieren bleiben soll, dann bring mich bitte nach Hause…“, ihre Worte waren so undeutlich, dass Athos alle Mühe hatte sie zu verstehen. In all der ganzen Zeit seit sie sich kannten, hatte sie ihn niemals um etwas gebeten, umso zwiegespaltener dachte er über ihre Worte nach, die fast schon verzweifelt klangen. Benommen fiel ihr Kopf träge nach vorn, während er sie weiter durch die enge Gasse zog, unentschlossen welchen Weg er überhaupt wählen sollte, doch nahm er weiter ihr stetiges Murmeln wahr, das darum bat, keinen Arzt aufzusuchen…
 

Sie konnte nicht einordnen, wie spät es war, als sie in einem fremden Bett erwachte. Die Vorhänge des Fensters über ihr waren zugezogen, ließen aber ein wenig Sonnenlicht durchdringen. Ihre Gedanken waren verschleiert und gaben erst allmählich letzte Erinnerungen preis. Als sie schließlich an den Überfall zurückdachte, ging damit der Schmerz in ihrer Schulter einher. Sie legte ihre Hand auf den Verband an ihrer Schulter, als ob sie hoffte, ihr Leid dadurch mindern zu können.

Und plötzlich traf sie die bittere Erkenntnis, dass ihr Geheimnis nun kein Geheimnis mehr war, schließlich lag sie in einem unbekannten Bett, man hatte ihre Stichverletzung behandelt und ihr frische Kleidung angelegt, die nicht ihre eigene war, da das Leinenhemd auf ihrer Haut wesentlich weiter war als ihres.

Augenblicklich sah sie das Bild ihres Rachefeldzuges vor sich zerfallen. Durch Unvorsicht und Übermut hatte sie sich enttarnt und glaubte das Lauffeuer über diese Tatsache schon von der Straße her hören zu können.

Dabei hatte sie ihm gesagt, er solle sie nach Hause bringen, dachte sie verzweifelt bei sich und übersah dabei, dass er sie wohl dann dem sicheren Tod ausgeliefert hätte.

Die Tür am anderen Ende des Raumes öffnete sich „Dachte ich mir doch, dass ich etwas gehört hatte. Du bist also endlich wieder zu dir gekommen…“, sprach Athos während er auf ihr Bett zutrat, einen Stuhl dabei mit sich zog und ihn vor dem Bett abstellte.

„Wo bin ich?“, diese Frage seitens Aramis erschien schon fast überflüssig, wenn man Athos‘ legere Kleidung näher betrachtete, was auch Aramis nach einem Moment schamhaft feststellen musste.

Trotz allem bemerkte Athos ausdruckslos „Du bist in meinem Haus, in meinem Bett, in meiner Kleidung…“, dabei verschränkte er die Arme vor der Brust und übersah dabei höflich den leicht rosa Ausdruck auf ihrem Gesicht und die Tatsache, dass sie die Bettdecke noch ein wenig höher zum Kinn schob.

Als sie keine Regung zeigte, in irgendeiner Weise eine Erklärung hervorzubringen, fühlte sich Athos genötigt, sie durch Aufforderung dazu zu bewegen, ansonsten wäre er vermutlich äußerlich explodiert „Ich denke, du hast mir ein paar Dinge zu beichten, Aramis…“

„Du bist nicht mein Beichtvater“, kam es unverhohlen unter der Bettdecke hervor, was Athos Wut sicherlich nicht linderte, doch das war Aramis im Moment egal. Sie war vor seinen Augen entblößt wurden und konnte ihre Zukunft bei den Musketieren vergessen, warum also sollte sie nun noch vor Athos Angst haben oder ihm Rechenschaft abliefern?

Erstaunt über ihre trotzige Antwort war Athos einen Augenblick sprachlos und musste seine weitere Vorgehensweise überdenken „Ich gehe vermutlich richtig in der Annahme, dass Aramis nicht dein wahrer Name ist?“

„Und was ist mit dir, Athos? Und Porthos? Ich glaube, für uns alle gab es einen Grund, weshalb wir unsere wahren Namen abgelegt haben, nicht wahr?“, meinte sie missmutig und begann sich langsam aufzurichten und sich an die Wand hinter sich zu lehnen. An Athos abwehrender Haltung hatte sich nach wie vor nichts geändert.

Sie seufzte auf „Es tut mir leid, dass deine Zeit umsonst gewesen ist…“

„Was meinst du damit?“

„Nun, ich meine damit, dass ich nun wohl kaum weiterhin ein Musketier sein werde, wenn nicht sogar schon die Inquisition meinen Namen ganz oben auf ihrer Liste vermerkt hat. Also war die gesamte Ausbildungszeit umsonst gewesen…“, stellte Aramis betrübt fest und trauerte tief im Inneren der vergangenen Zeit bereits nach.

„Bis jetzt habe ich Tréville lediglich mitgeteilt, dass du bei dem letzten Rundgang verletzt wurdest und dich zu Haus auskurierst…“, meinte Athos lapidar und erkannte dabei den sofort aufkommenden hoffnungsvollen Blick in ihren Augen, sodass er etwas kälter beifügte „…was nicht bedeuten soll, dass ich meine Meinung nicht noch ändern würde. Ich muss mir vorerst selbst im Klaren werden, was ich von dir halten soll und ob ich dir jetzt überhaupt noch vertrauen kann…“

„Obwohl wir scheinbar beide unsere Geheimnisse haben, vertraue ich dir jedoch blind“, sagte Aramis und es war ihr unheimlich wie ungemein schnell und leicht diese Erkenntnis über ihre Lippen gekommen war. Ein Gedanke in ihrem Kopf sagte ihr, dass sie es konnte, denn sonst hätte er sie niemals zu sich nach Haus gebracht und ihre Wunde selbst versorgt, ohne jemand anderem davon zu erzählen. Sie musste sich eingestehen, dass sie tief in seiner Schuld stand, vorausgesetzt er würde auch weiterhin ihr Geheimnis wahren. Obwohl Tréville ihr Geheimnis bereits kannte, hätte es ihn als Kapitän der Musketieren bloßgestellt, wenn er nach einer möglichen Offenbarung seitens Athos, Aramis weiterhin als Musketier behalten hätte. Die Befugnisse von Tréville reichten weit, aber nicht so weit, dass er im Mitwissen anderer Aramis weiterhin würde schützen können.

Über dieses Geständnis seitens Aramis etwas fassungslos, erhob sich Athos von seinem Stuhl und bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. Er musste zugeben, dass sie eine ungeheure Kraft besaß, die er selten erlebt hatte. Nicht wenige waren an seinen Trainingsmethoden als Musketieranwärter gescheitert, nicht jedoch Aramis. Mit einer befremdlichen Verbissenheit hatte sie jede seiner Anweisungen in den letzten Monaten befolgt. Ausdauernd hatte sie die unendlichen Fechtstunden in sengender Hitze oder unmenschlicher Kälte ertragen und war mit jedem Tag besser geworden. Innerlich gab er sich die Schuld für ihre Stichverletzung, obwohl dies nicht stimmte, was Athos jedoch nicht erkennen wollte, da sein typischer Beschützerinstinkt über seinen Schützling erwacht war, ob nun deshalb weil er Aramis ausgebildet hatte oder weil sie schlicht und einfach eine Frau war, würde Athos erst lange Zeit später herausfinden.

„Ich konnte dir bereits Medizin besorgen, die neben dir auf dem Nachtschrank steht, falls deine Schmerzen schlimmer werden sollten. Deine Wunde sah letztlich verheerender aus als sie glücklicherweise war, aber den Verband solltest du trotzdem regelmäßig wechseln. Ich habe zwar versucht die Verletzung so gut wie möglich zu desinfizieren, aber man sollte dennoch sichergehen…“, Athos wandte sich ab und ging schließlich zur Tür, ohne zurück zu sehen vernahm er ein letztes Mal ihre Stimme, die leise ein ‚Danke‘ flüsterte, bevor er das Zimmer verließ. Es war ihre Art sich für die Rettung ihres Lebens bei ihm zu bedanken und er hatte es angenommen.~
 

Auf die vergangenen Ereignisse zurückblickend und dabei die Feder vor sich auf dem Tisch stets im Auge behaltend, murmelte Aramis leise „Vermutlich habe ich ihm doch Unrecht getan…“ und sie erkannte ihren Fehler, dass sie zu aufbrausend gegenüber Athos reagiert hatte, obwohl er ihr Vertrauen in all den Jahren niemals missbraucht hatte. Sie war ihm mehr schuldig in ihrem Leben, als man es in Worte fassen konnte.

Sie bemerkte nicht, wie D‘Artagnan an sie heran getreten war und versuchte sie aus ihren Tagträumen zu reißen „Hast du es schon gehört, Aramis?“

Sie blickte überrascht über seine plötzliche Anwesenheit auf „Was gehört?“

„Ich habe eben gehört, dass Athos angegriffen wurde und zu Hause ist, er wird heute nicht mehr zum Dienst erscheinen…“, meinte D‘Artagnan bedrückt und musste im Inneren über sich selbst staunen, wie gut er die Tonlage seiner Stimme gewählt hatte.

Augenblicklich war Aramis aufgesprungen und hellwach „Wie? Er wurde angegriffen? Ist er verletzt?“

D‘Artagnan zuckte undeutlich mit den Schultern.

„Worauf warten wir dann noch? Wir müssen schnellstens zu ihm!“, und noch bevor jemand etwas anderes erwidern konnte, war sie bereits zur Tür hinaus verschwunden.

Porthos, der sich immer noch am anderen Ende des Raumes befand, sagte besorgt „Aramis hat vermutlich Recht, oder? Wir sollten wirklich nachschauen, ob es Athos gut geht…“.

D‘Artagnan hingegen durchschritt den Raum, nahm gegenüber von Porthos Platz und mischte die Karten neu, die die letzten Minuten unbeachtet verstreut auf der Tischoberfläche gelegen hatten „Lass mal… Aramis wird das schon übernehmen…“.

So ganz wollte Porthos in diesem Moment nicht verstehen, weshalb sie einen verletzten Freund nicht umgehend besuchen sollten. Das unbeteiligte Verhalten D‘Artagnans war sonst nicht seine Art gewesen. Auf einen verwirrten Blick seitens Porthos, begann der Gascogner lediglich zu grinsen - und ein Licht über Porthos Kopf entbrannte daraufhin.

„Die letzte Zeit mit uns, hat dir gut bekommen, D‘Artagnan. Du bist ein Schlitzohr geworden…“
 

Hastig hatte Aramis ihr Pferd gesattelt und sich auf den Weg zu Athos Haus gemacht. Nicht im geringsten hatte sie darüber nachgedacht auf D‘Artagnan und Porthos zu warten. Sie schienen es ihrer Meinung nach, auch nicht unbedingt für nötig erachtet zu haben, Athos schnellstmöglich zu besuchen. Waren sie denn nicht um ihn besorgt? Schließlich hatten sie nur Bruchstücke des Ganzen als Information erhalten und konnten daher seinen Zustand überhaupt nicht einschätzen.

Fassungslos erkannte Aramis, dass man Athos allein zu Hause zurück gelassen hatte. Was war, wenn er Hilfe benötigte? Wenn sein Zustand sich verschlimmerte?

Die grausigsten Szenen reimte sie sich in ihrem Kopf zusammen und bemerkte dabei nicht, wie einige Mägde erschrocken zur Seite sprangen, als sie ihr Pferd durch die viel zu engen Gassen manövrierte. Bösartige Schimpfworte wurden ihr nachgerufen, aber sie hörte sie nicht, da sie sich innerlich über den banalen Streit mit Athos und ihren eigenen Trotz in den letzten Wochen ärgerte.

An seinem Haus angekommen, kam ihr die Straße davor eigenartig ruhig vor. Die Gegend war noch nie sehr lebhaft gewesen, aber dass nicht einmal Kinder auf der Straße spielten, erschien ihr dann doch etwas befremdlich.

Sie jagte die Treppe zu seiner Wohnung hinauf, nahm dabei zwei Stufen auf einmal und fiel laut in seine Wohnung ein ohne vorher anzuklopfen. Sie hatte einen freien Blick auf die Galerie vor sich und zu ihrer linken, wo sich sein Schlafgemach befand, stand die Tür offen - doch Athos war nicht auszumachen.

Etwas außer Atem näherte sie sich dem Geländer der Galerie und trat seitlich zum Treppenabsatz, um das untere Stockwerk, wo sich Küche und Wohnraum befanden, in Augenschein nehmen zu können.

Sie rief nach ihm und wunderte sich, dass er nicht im Bett gelegen hatte, wenn er eine Verletzung davon getragen haben sollte. Als sie die ersten Stufen hinab ging, trat er endlich aus der Küche unterhalb der Galerie hervor und schenkte ihr einen verwirrten Blick über ihre Anwesenheit „Was machst du denn hier?“

Sie überhörte gekonnt die Frage und wollte besorgt wissen „Wie geht es dir? Bist du verletzt?“

„Was soll ich sein?“, der Gesichtsausdruck Athos‘ machte deutlich, dass er absolut keine Ahnung hatte wovon sie eigentlich sprach.

Erst jetzt wurde Aramis misstrauisch und verharrte mittig auf der Treppe und schaute zu ihm hinab. Er machte nicht wirklich den Eindruck, als ob er gekämpft hatte, obwohl er schon etwas blass um die Nase schien. Zudem überkam sie plötzlich ein bekannter Duft nach Kamille und Minze, der sich im gesamten Raum verteilt hatte.

„D‘Artagnan meinte, du seiest angegriffen worden und würdest heute nicht mehr zum Dienst kommen, da habe ich mir Sorgen gemacht…“

„Wie kommt er denn darauf?“, Athos verzog verwundert das Gesicht „Das einzige, was mich angegriffen hat, ist eine Erkältung, so wie die gesamte Nachbarschaft auch…“, meinte er schließlich lapidar und rieb sich dabei nicht gerade galant mit dem Finger unter der Nase, um das aufkommende Juckgefühl zu verscheuchen.

Allmählich dämmerte Aramis der Grund, weshalb D‘Artagnan ihr dieses Märchen vorgetragen hatte.

Mit ihrem Unmut darüber einhergehend, ging sie verärgert nun schneller die Treppe hinab „Dieser Unhold! Ich werde jeden seiner Barthaare einzeln herausreißen!“, doch bevor es dazu kommen sollte, hatte sich der Körper Aramis‘ lieber vorher dazu entschieden eine Stufe nicht ordentlich zu betreten, auszurutschen und dabei mit ihrem gesamten Körpergewicht nach vorn zu fallen - genau auf Athos, der den Sturz ebenfalls nicht mehr abfangen konnte und daher mit dem Rücken hart auf dem Boden aufkam zusammen mit Aramis auf ihn, die nicht gerade leicht in diesem Moment gewesen war.

Ein schmerzendes Ächzen ging von Athos aus, der sich den Ausklang des Tages wahrlich anders vorgestellt hatte, als mit einer beginnenden Grippe und einigen Rippenbrüchen.

Für einen Moment nahm sie den Duft von Athos wahr, der seiner Kleidung entströmte und teilweise von ihm selbst war und sie war für einen Augenblick außerstande einen klaren Gedanken zu fassen.

„Es tut mir leid!“, meinte sie schnell und versuchte von ihm hoch zu kommen. Als sie endlich wieder sicher auf beiden Füßen stand, griff sie nach seiner Hand und zog ihn ebenfalls nach oben „Ich glaube dafür, dass es dir jetzt vermutlich noch schlechter gehen mag, weil ich meine Beine nicht unter Kontrolle habe, bin ich dir einen Tee schuldig, oder?“, schlug Aramis vor und dirigierte ihn vor den Kamin auf die Chaiselonge, um sich auszuruhen. Athos selbst war derartig kraftlos nach diesem ‚Überfall‘, dass er nicht widersprach und ihre Anordnung umgehend befolgte.

Als er sich hingelegt hatte und sie für einen Moment ungestört ihre Gedanken ordnen konnte, war sie etwas verwirrt über ihre kurzzeitige Sprachlosigkeit gewesen. Sie redete sich ein, dass es sich nur um ein peinliches Missgeschick gehandelt hatte, dass vor weiteren Scherztiraden seitens Porthos und D‘Artagnan nicht sicher war, sobald sie davon erfahren würden und dennoch war es ihr unverständlich, warum sie unentwegt darüber nachdenken musste.

Als sie mit zwei vollen Teetassen beladen zum Kamin neben der Chaiselonge zurückkehrte, bemerkte sie, dass Athos eingeschlafen war.
 

Als er seine Augen öffnete, erkannte er, dass es draußen bereits dunkel war. Eine dicke Wolldecke war über ihn gelegt worden zusammen mit einem nasskalten schweren Tuch, das auf seiner Stirn lag. Er glaubte, dass seine Wangen äußerlich glühten und das obwohl ihm ein unangenehmer Schauer über den Rücken ging.

Er musste innerlich seufzen, als er die Symptome eines Fiebers feststellte und er wusste schon jetzt, dass eine ständige Unzufriedenheit die nächsten Tage in ihm auftreten würde, da er ans Bett gefesselt wäre.

“Ich hasse es krank zu sein…”, seine Stimme war belegt.

Aramis, die auf dem Boden gesessen und mit dem Rücken an die Chaiselonge gelehnt war, wandte sich ihm zu “Du hasst alles, was du nicht kontrollieren kannst, Athos…”, meinte sie belustigt und legte das Buch, was sie bis eben gelesen hatte auf das Bärenfell unter sich, auf welchem sie saß.

‘Nein, dich hasse ich nicht, obwohl du das Unkontrollierbarste bist, was ich je erlebt habe…’, dachte Athos bei sich und musste über seinen eigenen Gedanken lächeln.

Es schien, als würden ihm seine Gedanken noch mehr entgleiten, wenn er infolge einer Grippe außer Gefecht gesetzt wurde.

“Ich weiß, du möchtest jetzt keine Moralpredigten hören, aber du solltest die nächsten Tage wirklich zu Hause bleiben und dich schonen. In den letzten Stunden hattest du plötzlich Fieber bekommen, das rasant anstieg”, sagte sie besorgt und behielt dabei für sich, dass er sogar im Schlaf undeutlich daher geredet hatte, doch entging ihr dabei nie, dass er oft ihren Namen gemurmelt hatte.

Irgendwie fühlte sie sich für ihn verantwortlich und hatte daher beschlossen in seinem Haus zu bleiben. Als das Fieber dann einsetzte, war sie über ihre Entscheidung froh gewesen und hatte begonnen kalte Umschläge auf seiner Stirn zu wechseln.

Einen Moment lang besah er sich Aramis eingehend, die ihren besorgten Gesichtsausdruck nur schlecht verbergen konnte. Der Streit der letzten Tage schien vergessen, was jedoch nicht heißen sollte, dass er sich nicht noch bei ihr dafür entschuldigen würde. Athos konnte nicht ahnen, dass Aramis ebenfalls um Verzeihung bitten wollte, aber es schien, als ob beide auch ohne Worte das Gefühl des anderen in diesem Moment empfinden konnten.

Ihnen war nicht bewusst, wie sehr ihre Freundschaft in den letzten Jahren gewachsen war und das noch viel mehr, als es je zu einer anderen Peson der Fall gewesen wäre.

Die Mauer zwischen ihnen, hatte schon seit dem Abend als Athos seine Gefühle offenbart hatte, Risse bekommen und dennoch war Aramis zu unbeholfen mit dieser neuen Art der Zuneigung umzugehen.

“De la Fére…”, sagte Athos schließlich unerwartet und durchbrach dabei die aufkommende Stille zwischen beiden. Auf den fragenden Blick von Aramis hin, erklärte er “… ich musste mich den einen Tag daran erinnern, dass ich dir niemals meinen wahren Namen genannt hatte… Das ist er also - Olivier de la Fére”

Im ersten Moment zu erstaunt über die Möglichkeit, dass beide die gleichen Gedanken in letzter Zeit miteinander verbunden hatten, musste sie plötzlich lachen. Das war ihr alles zu unheimlich, als ob das Schicksal beabsichtigte sie in seine Arme zu treiben. Wie sollte sie das verhindern, wenn er ein absolut liebenswerter und aufrichtiger Mensch war?

“Warum lachst du?”

“Weil dieser Name nicht so ganz zu deinem Wesen zu passen scheint”, stellte sie fest, was jedoch nicht exakt der Wahrheit entsprach, aber ihre Gedanken über ihn, wollte und konnte sie nicht aussprechen.

Sie verschränkte die Arme auf seiner Decke und legte ihren Kopf schräg, eine Geste, die sie unheimlich weiblich auf ihn wirken ließ “Lunette”, meinte sie einsilbig und Athos brauchte nicht weiter nachzufragen “Lass uns das aber lieber für uns behalten, sonst wird Porthos die nächsten Wochen mich vollkommen in der Hand haben und völlig humorlose Scherze parat haben…”

“Geht in Ordnung…”

Kurz warf sie einen Blick auf das Kaminfeuer, welches noch angenehm loderte und den Raum in wohlige Wärme hüllte. Momentan fühlte sie sich ausgelassen und wohl und das mochte größtenteils an der Versöhnung mit Athos liegen. Vielleicht auch an dem eklatanten Machtgefühl, Athos hilflos vor sich zu sehen mit der Möglichkeit ihn zu versorgen, ohne dass er sich dagegen sträubte.

Als ihr Blick auf ihn zurückfiel, bemerkte sie, dass er wieder eingeschlafen war, kurz war sie darüber betrübt, da sie gehofft hatte, länger mit ihm sprechen zu können, doch dann wurde ihr bewusst, wie albern dieser Gedanke war, da seine Gesundheit Vorrang hatte und sie später genug Zeit haben würden miteinander zu sprechen.

Eigentlich herrschten soviel unausgesprochene Dinge zwischen ihnen, die ihre Beziehung zueinander zwar zu etwas besonderem aber gleichzeitig kompliziertem werden ließen. Und so lange Aramis für sich nicht eine Entscheidung dazu treffen würde, bliebe es bei allem Ungesagtem und sie würden weiter nebeneinanderher leben und weiter Vorwände suchen, um nur einmal ungestört in der Nähe des anderen verweilen zu dürfen.

Ohne es zu planen, vollständig zu realisieren oder sich auch nur im geringsten dagegen zu wehren, legte sie sich zu ihm, einen Arm beschützerisch über seine Brust, das Gesicht an seine Schulter gelehnt.

Ein sanfter Blick hatte sich in ihre Augen geschlichen zusammen mit dem angenehmen Gefühl seiner Nähe und ihrem leichten Lächeln auf den Lippen.

Seinem gleichmäßigen Atem lauschend, wusste sie, dass er sie niemals allein lassen würde, so wie sie ihn auch nicht…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  blubbie
2009-03-17T12:45:38+00:00 17.03.2009 13:45
Hallo Milagro!
Ich habe mich riesig gefreut endlich aml wieder ein Kapitel von meinen Lieblingsmusketieren zu lesen und du schreibst nach wie vor wunderschön! Ich finde Aramis hat sich in diesem Kapitel reichlich unfair gegenüber Athos verhalten, aber ich aknn sie ein ganz kleines bisschen verstehen. D'Artagnan hat die Situation mal wieder wunderbar gemeistert und ich freue mich schon riesig auf das Erwachen von Aramis und athos im nächsten Kapitel...ich hoffe du brauchst nicht ganz so lange dafür.
Ich warte ja auch schon ewig auf ein neues Kapitel von fastcaranbethren....hast du was von ihr gehört?
LG, Romy


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