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Die Schmerzen in mir

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Die Schmerzen in mir

Er ging weiter. Immer weiter hinauf. Irgendwann war er dann da. Ganz oben, auf dem Dach des Krankenhauses. Er hatte keinerlei Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Zwar gingen einige Leute an ihm vorbei und glotzten ihn schräg an, doch interessiert hatte sich keiner für das, was er da tat oder für das, was er machen wollte. Wie immer waren sie mit sich beschäftigt.

Er ging einige Schritte auf die Kante zu. Es waren nur wenige, doch es kam ihm vor, als ob er schon mehrere Kilometer hinter sich gelassen hätte. Sein Blick schwankte nach oben, in den sternenklaren Himmel. Der Wind spielte mit seinem Haar und brachte ein wenig Erfrischung. Leise, wirklich nur ganz leise, war ein Lachen von ihm zu hören. Freiheit. Das war das Wort, welches am Besten das Gefühl beschreiben konnte das er gerade empfand. Die Sterne über ihm schienen zu tanzen und er setzte sich um es sich dieses Schauspiel anzuschauen. Es war ein wunderschöner Anblick und er wollte ihn sich einprägen. Als Erinnerung. Die letzte Erinnerung die er haben wird. Er wollte nicht das Bild der Krankenhauswände im Kopf haben, wenn er es tat. Diese sterilen weißen Wände, die ihn schon so lange in seinem Leben verfolgten. Immer wieder diese Wände. Er hielt es nicht mehr aus. Daher saß er da und schaute zum Himmel. Während er den Lauf der Dinge beobachtete, dachte er nach. Dachte daran, wie es eigentlich dazu gekommen war, dass er nun hier saß. Er erinnerte sich nicht an viele Dinge, die in seinem Leben passiert waren. Und diese Gedanken waren für ihn meist irreal. Nur eine Sache, wirklich nur eine einzige Sache, war klar vor ihm.
 

Es war sein sechster Geburtstag gewesen. Seine Mutter stand in der Küche und bereitete alles für eine kleine Feier vor. Sie stellte liebevoll Pappteller und Becher mit Clownmotiv auf den Tisch. Dabei lächelte sie immer. Sie war eine schöne Frau gewesen. Mit langen blonden Haaren, die sie immer zu einem Zopf zusammenbund. Und ihr Geruch. Ja. Er erinnerte sich an ihren Geruch. Sie roch immer nach der Seife, die er so liebte.

Während seine Mutter Luftschlangen und Konfetti auf dem Tisch verteilte, hämmerte es gegen die Tür. Irgendetwas sagte sie zu ihm, doch er konnte sich nicht mehr daran erinnern, was es war. Nur, dass sie ihn danach hochnahm und ihn in den Kleiderschrank setzte. Mit einem Finger verdeutlichte sie ihm, dass er leise sein sollte. Er hielt alles für ein Spiel, welches sie spielten. Vorsichtig schaute er durch den kleinen Spalt, der die Grenze zu den beiden Schranktüren war. Er sah seine Mutter, wie sie sich mit einem Mann unterhielt. Sie schienen sich zu streiten, denn der Mann schrie und seine Mutter weinte. Plötzlich hob der Mann seine Hand und schlug seine Mutter nieder. Immer wieder schlug und trat er auf sie ein. Erst schrie sie noch. Irgendwann sagte sie gar nichts mehr. Sie lag still da und rührte sich keinen Zentimeter. Sie war tot.
 

Er spürte eine Träne auf seinem Gesicht. Das er überhaupt noch solche Gefühle empfinden konnte war ihm rätselhaft. Er hatte doch so viel Leid ertragen müssen nachdem seine Mutter gestorben war. Erst das Heim, in welches sie ihn steckten und in dem es nie Essen gab, wenn man nicht gearbeitet hatte. Dann die erste Pflegefamilie in die er kam, in der der Vater ihn sexuell missbraucht hatte. Dann war er wieder im Heim. Schon dort wusste er, dass er nicht für immer der Sklave anderer sein wollte. Er wusste, dass alles irgendwann mal ein Ende haben sollte. Er hatte sich damals schon überlegt, wie er es am besten machen konnte. Im Alter von zehn Jahren. Als sie eines Tages an einem Fluss waren, dachte er, wie schön es denn sein sollte, wenn er sich einfach hineinfallen lassen und sich nicht wehren würde. Nicht gegen die Strömung ankämpfen. Einfach mitziehen lassen. Damals tat er es nicht. Seine Angst war doch größer, als sein Wunsch nach Erlösung.

Eines Tages war er wieder in einer Pflegefamilie. Dort schien alles anders zu werden. Alle waren nett zu ihm und er wurde nicht nur einfach mal akzeptiert, nein, er war ein richtiges Bestandteil dieser Familie. Wie glücklich war er dort gewesen. Er ging in die Schule, fand Freunde und einfach alle um ihn herum betrachteten ihn als vollwertigen Menschen.

Leider hatte auch dieses gute Leben eine Schattenseite. Sein Ziehvater verlor vor knapp zwei Jahren seinen Job als Bauingenieur, mit 48 Jahren. Es war schwer für ihn neue Arbeit zu finden. Monatelang schrieb er Bewerbungen, die teils ungeöffnet zurückgeschickt worden sind. Das zog ihn in ein inneres Loch. Er begann zu trinken und zu spielen. Jeden Abend torkelte er nach Hause und schrie, wie beschissen sein Leben doch war. Es blieb meist nur beim Schreien. Bis vor ein paar Tagen, als er wieder mal betrunken nach Hause kam und vulgär seine Frau anfasste. Als diese ihn zurückwies verlor er die Selbstbeherrschung und schlug sie.

Erinnerungen kamen in ihm hoch, als er dieses Szenario sah. Sofort erinnerte er sich an seine Mutter und wie sie gestorben war. Seitdem weiß er nichts mehr.

Seine Erinnerungen setzen erst wieder ein, als er in einer Zelle saß. Seine Hände waren rot. Es war Blut. Er hatte einen Menschen ermordet. Einen Menschen, der genau so brutal war, wie der Mann, der seine Mutter auf dem Gewissen hatte. Schuldgefühle kamen nicht ihn ihm auf. Im Gegenteil. Er saß dort in seiner Zelle und lachte.
 

Er wurde angeklagt, wegen Totschlags. Sein Leben war nun endgültig vorüber, dass wusste er ganz genau. Während er dem Haftrichter vorgeführt werden sollte, riss er sich los und rannte auf das Dach des Gerichtsgebäudes. Er wollte sterben ehe er verurteilt wurde. Doch soweit kam es nicht, denn man hatte auf ihn eingeredet und ihn heruntergezerrt. Dann brachten sie ihn hier her. In dieses Krankenhaus.
 

Er saß noch immer da und betrachtete die Sterne. Die Träne, die er zu anfang gespürt hatte, versank nun in einem ganzen Fluss aus Tränen. Er stand auf, denn hinter sich hörte er sie schon kommen. Die Leute die ihn wieder zurück holen wollen. Die ihn erst an ein Krankenbett fesseln und dann in eine Zelle einsperren wollten für einen großen Teil seines restlichen Lebens. Vielleicht würde er auch dort sterben. Eingesperrt. Nein, das wollte er nicht. Er wollte selbst entscheiden, wann sein Leben ein Ende haben sollte. Er alleine war für sich verantwortlich und nicht die anderen Idioten, die sich was aus Statistiken und Büchern machten.

Er schaute nach hinten. Sie kamen immer näher. Ihre Worte verstand er schon nicht. Er blickte wieder zum Himmel. Dann nahm er Anlauf. Als er absprang meinte er, die Sterne gehört zu haben, die ihn in ihre Arme aufnahmen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Vanpaia_Yuri
2009-07-16T14:12:07+00:00 16.07.2009 16:12
Habs mir mal durchgelesen. Das Ende gefällt mir am Meisten^^
Von:  Panda
2008-10-03T16:17:10+00:00 03.10.2008 18:17
wow also dass is wirklich traurig, ...schön geschrieben aber *schnüff*
man fiebert wirklich bis zum ende mit, obwohl man garnichts von der person weiss! *1+favo*
wie gesagt, einfach klasse!
Von:  CassiopaiaRiddle
2008-06-28T15:05:40+00:00 28.06.2008 17:05
Sorry, dass es so lange gedauert hat mit der Bewertung des Wettbewerbs, zur weiterer Information, schau auch bitte auf die Wettbewerbsseite^^

So, als allererstes, mir gefällt deine Geschichte sehr gut. Die Idee ist nicht gerade die Kreativste von allen möglichen (wenn man jetzt vom reinen weiterführen ausgeht), aber ich finde die Idee prima umgesetzt. Man kann dir auch Dank deinem flüssigen und guten Schreibstil wunderbar folgen, man kann sich einfühlen in den Protagonisten und entwickelt eine wahnsinnige Sympathie ihm gegenüber. Die Wendung gegen Ende der Geschichte find ich sehr interessant und angenehm tragisch, dass man erfährt, dass er seinen Alkoholabhängigen Ziehvater umgebracht hatte. Damit hätte man an Anfang nicht wirklich gerechnet, jedoch kann man es sehr schön nachvollziehen und verstehen. Was mir auch sehr positiv gefällt in deiner Story ist der logische Aufbau wie er aus den nachfolgenden Umständen zu dem Menschen geworden ist der er letztendlich war.
Was ich allerdings etwas schade finde bei dem Ganzen, was dir jedoch zu Gute kommt ^^, ist, dass ich mir fast gewünscht hätte, dass es keine bloße Kurzgeschichte wäre sondern eine längere mit einem größeren Kapitel seiner Vergangenheit. Als Kurzgeschichte ist es aber super, wie gesagt man bekommt nur Lust auf mehr.
Deinen Schluss finde ich auch sehr gelungen und schön, du hast dieses dramatische Ende schön in ein quasi bittersüßes Happy End verwandelt.
Ein wenig Kritik hab ich trotz allem positiven in Hinblick auf die direkte Weiterführung der Geschichte zur Vorgabe hin. Du hast kurz aufgegriffen, dass jeder auf sich selbst achtete aber nicht auf den Protagonisten, jedoch aber wirklich nur ganz kurz. Fast schon zu kurz wenn man die Vorgabe betrachtet, auch wird in der Vorgabe erwähnt, dass er sich selbst nicht davon ausnimmt, davon wird gar nichts mehr erwähnt (wobei man dazu sagen muss, man kann auch nicht wirklich alles immer erwähnen, dass ist schon klar ^^‘).
Dann ist in meinen Augen ein kleiner Fehler in deiner Geschichte wenn man sie mit der Vorgabe zusammensetzten würde. In der Vorgabe ordnet er seine Gedanken beim Gang nach oben, bei dir letztendlich erst als er schon oben steht. Es wirkt so zusammen gesehen etwas doppelt gemoppelt oder bzw. es wirkt einfach etwas merkwürdig, wobei man nicht so sehr drauf achtet, da man zu sehr mit dem Protagonisten miterlebt.
Den Titel find ich super gewählt, er ist bedeutungsvoll und verständlich, hat was mit der Geschichte zu tun, verrät aber nichts.

Von: abgemeldet
2008-03-23T15:57:13+00:00 23.03.2008 16:57
Wow. Du hast die Vorlage des Wettbewerbs wirklich hervorragend umgesetzt! Sehr tiefgründig und gut nachvollziehbar. Dein Schreibstil gefällt mir!



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