Good Enough
KAPITEL 8: GOOD ENOUGH
Nach so langer Zeit ist es endlich geschafft^^. Ein neues Kapitel ist da. Ein großes, liebes Danke an alle, die diese Geschichte gelesen und kommentiert haben! Ohne euch wäre es überhaupt nicht voran gekommen^^°.
Enjoy reading!
Dumpfe, pochende Schwärze umhüllte seinen schmerzenden Kopf. Nur allmählich wurde die Dunkelheit durch graue Schatten und tanzende Punkte abgelöst. Wie ein Schlagbohrer stürzten auf einmal undeutbare Geräusche auf ihn ein. Er stöhnte gequält auf und ihm schien die Welt wieder schwarz. Es dauerte eine Unendlichkeit, ehe er es vermochte eine Stimme aus dem Lärm, der ihn umgab, herauszufiltern.
„Mr. Hiwatari.“ Eine Frauenstimme. Kannte er sie?
„Na, kommen Sie schon! Schauen Sie her. Gut. Wer sagt’s denn!“ Zur gleichen Zeit, in der ihm bewusst wurde, dass er die Stimme nicht kannte, begannen sich die grauen Schatten und bunten Punkte zu einem Bild zu formen. Er erkannte einen runden weißen Umriss, der sich mit Mühe als dicke Frau deuten ließ.
„Wo bin ich?“ Es war nicht mehr als ein schwaches Gemurmel, doch die Frau hatte genug Erfahrung mit diversen Mundarten und Sprachstörungen in jeglicher Lautstärke:
„Sie sind im Krankenhaus, Mr. Hiwatari. Sie wurden operiert und waren drei Tage im Koma. Der Arzt meint, Sie werden schon wieder.“
Hätte er gekonnt, hätte er über die trockene Art der Krankenschwester geschmunzelt, doch die Wucht der Informationen ließ keinen Raum für andere Gedanken.
Er hatte im Koma gelegen? Er war im Krankenhaus? Panik und Verwirrung stiegen in ihm auf.
„Beruhigen Sie sich schon! Kein Grund zu Hyperventilieren. Ihre Freunde waren hier. Ich werde sie anrufen und ihnen sagen, dass Sie wach sind. Der andere Mann, der bei Ihnen war, ist schon seit gestern wach.“
Die Krankenschwester würde den Arzt rufen müssen, aber sie wollte erst sicher gehen, dass der Patient einigermaßen bei Sinnen war. Zudem hatte sie keine Lust den schnöseligen Assistenzarzt rufen zu lassen, sondern den alten Politnikow. Und der würde erst in knapp zehn Minuten aus der Mittagspause kommen.
Kai unterdessen versuchte sich zu beruhigen und zu verstehen, was die Dicke von sich gab. Er war im Krankenhaus. Freunde waren da gewesen. Und einer von ihnen war selber Patient. Sein schmerzender Kopf wollte sich einfach keinen Reim darauf machen. Er verstand nicht, was geschehen war.
Dieser Zustand sollte sich auch nicht bessern, bevor der zuständige Arzt aufgetaucht war. Dieser erklärte ihm, dass er innere Blutungen gehabt hatte, aber alles gut in den Griff zu kriegen gewesen war. Dazu hatten sich drei Rippenbrüche, ein angebrochener linker Arm, Hämatome und Schürfwunden gesellt. Aber alles halb so schlimm, er würde schon wieder werden. Des Weiteren berichtete der Mann, dass Kai von Freunden hergebracht worden war, nachdem er sich zusammen mit einem anderen Freund eine Straßenschlacht mit einer Jugendgang geliefert hatte. Der andere Mann, Mr. Iwanov, sei auch wieder auf dem Weg der Besserung.
Während der Erzählung des Arztes war Kais Erinnerung peu à peu zurückgekehrt. Die Jugendgang waren Mafiosi gewesen, die ein Problem mit Tala gehabt hatten, weil der eine Beziehung mit der Schwester des Handlangers des Moskauer Mafiabosses gehabt hatte und bei der ersten Konfrontation überlebt hatte. Sie hatten sie zusammengeschlagen und in ein Verlies in der Abtei gesperrt. Von dort waren sie geflohen. Und als sie kaum den Eindruck hatten, entkommen zu sein, war ein Auto aufgetaucht und hatte sie eingesackt. Das muss Bryan gewesen sein. Doch warum sprach der Arzt von Freunden? Wer waren die anderen?
Ehe Kai sich über den Sinn der Frage im Klaren war, sprach er auch schon: „Wie heißt dieses Krankenhaus?“
„Skandinavia-Klinik.“
„In St. Petersburg?“
Der Arzt begutachtete ihn skeptisch: „Ja. Haben Sie Gedächtnisprobleme?“
„Nein, ich frage nur, weil, nun, es ist sehr teuer.“ Es gelang Kai nicht seine Irritation zu verbergen, doch der Arzt nahm an, dass er sich tatsächlich darüber wunderte in so einem renommierten Krankenhaus behandelt zu werden. Da gab es so manchen Patienten. Nicht viele natürlich.
„So, Mr. Hiwatari. Ich verabreiche Ihnen noch ein Schmerzmittel. Es ist wichtig, dass Sie noch etwas ruhen.“
Wenig später war Kai wieder eingeschlafen und alle Gedanken über Tala und wie Bryan sie nach St. Petersburg gebracht hatte, verschwommen wieder in tauber Dunkelheit.
Under your spell again
I can’t say no to you
crave my heart and its bleeding in your hand
I can’t say no to you
Als Tala hörte, dass Kai aufgewacht war, wäre er am liebsten aufgestanden und zu ihm gegangen. Aber die korpulente Krankenschwester sah ihn bei dem bloßen Gedanken daran so böse an, dass er doch brav liegen blieb. Nachdem ihn die Frau noch einmal warnend angesehen hatte und aus dem Zweibettzimmer gewatschelt war, realisierte Tala erst, was er fast getan hätte. Furcht krampfte seinen Magen zusammen und eine leichte Übelkeit überfiel ihn, ließ ihn in Schweiß ausbrechen.
Wäre die Schwester nicht da gewesen, wäre er dem Impuls, Kai unbedingt sehen zu wollen, umgehend gefolgt. Er hätte sich womöglich in etwas gestürzt, dass ihn schlussendlich wieder zerstört hätte. Es war ziemlich naiv von ihm zu glauben, dass Kai nicht sofort Russland verlassen würde; dass sie nach dieser Erfahrung wieder Freunde wären.
//Freunde.//
Nichtsdestotrotz war dieses Wort wie ein Halm, an den er sich noch klammern konnte. Und diese Tatsache schnürte Tala geradezu die Luft ab.
Hoffnung.
Shouldn’t have let you torture me so sweetly
now I can’t let go of this dream
I can’t breathe but I feel
Er mochte wetten, dass seine Glieder mit Blei gefüllt worden waren, während sie ihn aufgeschnitten hatten, so schwer fühlte sich sein Körper an. Für seinen trägen Geist befand er die Schmerzmittel für schuldig und verfluchte dieses stetige Rauschen in seinen Ohren. Der Graublauhaarige hoffte nur, es würde nicht zum Tinitus ausarten. Nach einer Weile kristallisierte sich ein unregelmäßiges, aber monotones Geräusch heraus, das seine Neugierde in der dumpfen Realität seines Geistes fand. Mit einer zermürbenden Willensanstrengung gelang es ihm seine Augen zu öffnen. Akustisches und visuelles Aufnahmevermögen sandten nach einigen Sekunden verarbeitbares Informationsmaterial an sein Gehirn und er erkannte eine vertraute Person neben seinem Bett sitzen: Bryan.
„Na, endlich. Ich dachte, du wachst gar nicht mehr auf.“ Erleichtert fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht.
Kai verzog lediglich die Lippen zu etwas, das wohl ein Lächeln symbolisieren sollte. Er bemerkte jäh, wie abgekämpft und älter der Lilahaarige aussah. Er wollte ihn gerade fragen, was geschehen war, doch Bryan war schneller:
„Ian und Spencer sind gekommen und wir haben euch dann vor der Abtei aufgelesen und nach St. Petersburg gefahren, da Moskau nicht mehr sicher genug war.... Als ich nach Hause gekommen bin, habe ich schon geahnt, dass etwas passiert sein musste und als mich dann Svetlana angerufen hat... Ich dachte, ihr wärt tot.“
„Woher...?“
„Svetlana. Sie hat mich benachrichtigt und gesagt, wo sie euch womöglich hinbringen. Die Abtei scheint in den letzten Jahren zu ihrem Versteck geworden zu sein. Sie hat durch ihren Bruder anscheinend so einiges mitgekriegt.“
„Wo ist sie jetzt?“, krächzte Kai. Sein Hals schmerzte noch vom Tubus, war rau und wund.
Bryan zog besorgt die Augenbrauen zusammen: „Ich weiß es nicht. Aber sie ist ein kluges Mädchen. Sie wird schon zurechtkommen.“
Der Graublauhaarige nickte gedankenverloren. Sie hatte ihnen wohl das Leben gerettet, denn weit wären sie mit diesen Verletzungen nicht mehr gekommen und sicher waren die Moskauer Krankenhäuser wirklich nicht vor der Mafia, da hatte Bryan recht.
„Danke.“
„Dafür, dass ich dich in diesen Scheiß rein gezogen habe und du fast gestorben wärst?“
„Ich muss übersehen haben, dass du der Schicksalsgott bist.“
Ein gequältes Lächeln verzog Bryans Lippen, ob der ungewohnten Milde, und seine Augen verrieten eine gewisse Erleichterung:
„Spencer kennt ein paar Typen, die unsere Wohnung ausgeräumt haben und Ian hat eine Zweizimmerwohnung hier in Petersburg gemietet. Wenn du aus dem Krankenhaus raus bist, kannst du deine Sachen also holen und nach Hause fliegen.“
„Und deine Arbeit?“
„Mein Arbeitgeber hat hier auch eine Filiale. Das heißt ich kann mein duales Studium hier fortsetzen.“
Kai hätte den Falken gerne nach Tala gefragt, aber irgendwie brachte er es nicht über die Lippen. Der Lilahaarige vermied es bewusst dieses Thema anzuschneiden. Er konnte nicht abschätzen, wie der Halbrusse darauf reagieren würde und wollte es auch nicht wissen, zu deutlich hatte er bemerkt, wie sehr sich Kai die ganze letzte Zeit über weggewünscht hatte.
Bryan war kurze Zeit später gegangen und der Graublauhaarige war ihm dankbar dafür. Er war viel zu müde und erschlagen, als dass er sich noch länger hätte konzentrieren können. Die Aussicht nach Hause zu fliegen, sobald er hier raus war, war sehr verlockend.
Ein abrupter Gedanke schlich sich ein und ließ Kai nicht los; eine für ihn irrwitzige Idee. Je mehr er sich reinsteigerte, desto mehr sehnte er sich danach sie umzusetzen. Die Konsequenzen, die dabei einhergingen, waren ihm zwar durchaus bewusst, aber sie schreckten ihn seltsamerweise überhaupt nicht ab, eher im Gegenteil.
Good enough
I feel good enough for you
In einem Krankenhaus herrschte rund um die Uhr Betrieb. Doch Tala wäre nicht Tala gewesen, wenn es ihm nicht gelungen wäre mitten in der Nacht unbemerkt aus seinem Zimmer zu schleichen und genauso problemlos in Kais Krankenzimmer zu gelangen. Glücklicherweise war das zweite Bett leer. Wahrscheinlich aber nur bis zum Morgen. In solchen Krankenhäusern war immer alles voll.
Zaghaft näherte er sich Kais Bett und setzte sich, so leise er mit seiner schmerzenden Schulter konnte, auf den Stuhl daneben. Gut. Jetzt saß er in einem dunklen, tristen Raum auf einem harten, kalten Pseudolederstuhl und starrte den schlafenden Phönix unschlüssig an.
Er lag auf dem Rücken, das Gesicht einigermaßen entspannt und mit einem weißen Gips am linken Arm, sowie einer fast verheilten Schürfwunde über der rechten Augenbraue. Tala konnte nur erahnen, dass unter der Decke Verbände um seinen Bauch gewickelt sein mussten. Sie hatten ihn dort operiert und die Narbe würde wahrscheinlich immer ein wenig zu sehen sein. Kai wäre wegen ihm fast gestorben. Ja, es war zwar der Wahljapaner gewesen, der ihn nach draußen geholt hatte, aber für das Treffen mit Svetlana konnten sie beide nichts. Und es war ein dummer Zufall gewesen, dass sie nicht alleine gewesen war. Vielmehr hätte Tala Bryan niemals erzählen dürfen, was er für Kai empfand. Dann wäre der auch nicht auf die Idee gekommen ihn anzurufen. Er wusste ja, dass der Falke es nur gut gemeint und diese Aktion für ihn auch durchaus Sinn gemacht hatte. Deswegen war er ja auch nicht böse auf ihn. Dennoch... Kai wäre dann nicht hergekommen und verletzt worden.
Der Rothaarige wusste natürlich, dass Selbstvorwürfe zu diesem Zeitpunkt sinnlos waren, zumal sie noch verdammtes Glück im Unglück gehabt hatten.
Was geschehen war, konnte nicht rückgängig gemacht werden, egal wie sehr man sich das wünschte. Übrig blieb allein dieses Gefühl, als würden tausend Nadeln in einem Wasserfall durch den Körper fließen, dieser geschmacklose, trockene Mund, ein leichtes Zittern der Hände und wacklige Beine. Tala kam es vor, als würde ihn die Luft um ihn herum langsam erdrücken. Kraft, sich dagegen zu wehren, brachte er keine auf. Trotzdem war diese „Art des Leidens“ eine andere als zuvor. Es hatte weniger etwas mit Lebenswillen zu tun. Die Frage, ob er nun Leben wollte oder nicht, stellte sich in diesem Augenblick gar nicht. Trauer und ironische Hoffnung übertünchten die meisten seiner Gedanken, während die Kälte des Raumes in seine Glieder kroch.
Er bemerkte nicht, dass rote Augen auf ihm ruhten, zu sehr war er in sich selbst versunken. Kai erkannte, dass die angeschossene Schulter eingebunden war und die Saphire starr auf Talas Hände gerichtet waren. Was er wohl denken mochte? Der Halbrusse hatte allerdings keine Muße mehr sich darüber den Kopf zu zerbrechen, vor allem als er merkte, wie Tala anfing zu zittern. Kein Wunder, wenn er nur im Krankenhemd durch die Gegend lief.
„Machen wir jetzt einen Rollentausch?“
Der Rothaarige zuckte erschrocken zusammen, als er von der Stimme in die Realität zurückgerufen wurde und blickte den anderen ertappt an, ehe er sich fing: „Habe ich dich aufgeweckt?“
„Ich denke nicht. Wie geht es dir?“ Diese Situation war irgendwie peinlich, nahezu bizarr.
„Sie haben die Kugel aus der Schulter geholt. Diesmal ist kaum was kaputt gegangen.“ Er wurde zum Schluss hin immer leiser.
Kai sah ihn fragend an, aber Tala starrte wieder auf seine Finger; er schien nicht zu bemerken, dass er zitterte.
Drink up sweet decadence
I can’t say no to you
and I’ve completely lost myself
and I don’t mind
I can’t say no to you
Ein Rascheln ließ ihn wieder aufsehen: „Was machst du?“
„Platz.“ Kai war schwerfällig von ihm weg auf die andere Betthälfte gerutscht.
Tala spürte einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Wollte Kai weg von ihm?
„Wofür?“
„Glaubst du, ich sehe mir noch länger mit an, wie du vor dich hin frierst?“
Der Ausdruck des Rothaarigen war ein herrliches Beispiel für eine absolut verwirrte Mimik. Das Fragezeichen mit dem „Häh?“ stand regelrecht auf seine Gesichtszüge geschrieben. Und zu Talas Fassungslosigkeit klopfte der Graublauhaarige auch noch schelmisch grinsend neben sich aufs Polster. Seine Intention war ihm vollkommen unverständlich, aber der ehemalige Teamkollege war zu überrumpelt, um diese in Frage zustellen. Stattdessen brachte er verwundert hervor:
„Wir sind doch keine Kinder mehr.“
„Ich beiße dich trotzdem nicht.“ Kai fand allmählich leisen Spaß daran mit Tala zu diskutieren.
„Aber...? Das geht doch nicht!“
„Warum?“
„Es ist nicht wie früher. Ich... Wir haben uns zu sehr verändert.“ Wie sollte er es Kai denn erklären? Er konnte ihm schlecht sagen, dass er sich tief in seinem Herzen vergraben mehr wünschte als Freundschaft und es anders empfinden würde mit ihm in einem Bett zu liegen. Dass er sich damit nur weiter quälen würde. Geschweige denn, dass er den Phönix dadurch womöglich gänzlich verschrecken könnte. Was die Frage aufwarf: Was waren sie eigentlich?
„Tala“, kam es mahnend von Kai, „ich würde dich ja zu mir zerren, aber ich kann nicht. Also komm her und sag mir nach den Stunden im Kerker nicht, dass wir dafür zu alt sind!“
Hitze schoss dem Blauäugigen in die Wangen, als er an ihre Konversation und Position da unten zurückdachte. Er wollte gar nicht erst wissen, ob beziehungsweise wie Kai seine Worte verstanden hatte. Andererseits hatte dieser zugegeben, ihn sehr vermisst zu haben und es war wahrscheinlich, dass er ihn aus Angst vor Enttäuschung so kühl behandelt hatte, als sie sich bei den Meisterschaften wieder begegnet waren. Die Versuchung war groß, doch:
„Was bezweckst du damit?“ Seine Stimme klang kühl und lauernd, wie er sie kannte.
„Das habe ich dir schon gesagt. Wenn du nicht willst, dann bitte. Aber du kannst mir nicht vorwerfen, ich hätte es dir nicht angeboten.“
Fast trotzig ließ Kai die Decke los, schloss, auf dem Rücken liegend, die Augen und bewegte sich keinen Millimeter mehr. Früher hatte diese Vorgehensweise gewirkt.
Kurze Zeit später hörte er ein leises Knarren und spürte sogleich eine Bewegung auf dem Polster, die den süßen Erfolg kund taten.
„Geht doch.“ Mit einem leichten Lächeln drehte Kai sich auf die rechte, nicht schmerzende Seite und empfing Tala mit offenen Armen.
Zögernd, fast scheu legte sich Tala in das warme Bett. Wie selbstverständlich breitete der Graublauhaarige die Decke über sie und schlang vorsichtig den rechten Arm um seine Taille und legte den eingegipsten auf seine Hüfte. Die roten Augen waren undeutbar, doch Tala vermied erneut den Blickkontakt, sich nicht darüber im Klaren, warum er das zuließ und warum Kai so handelte und das machte ihm Angst. Als noch eine Ellenbogenlänge zwischen ihnen Abstand war, nahm Tala den typischen Krankenhausgeruch nach frischen Verbänden, Desinfektionsmittel und Jod wahr. Und trotzdem stahl sich ein zwar schwacher, aber ungemein bekannter Duft in seine Nase. Wie ein Süchtiger sog er ihn in sich auf und ehe er sich versah, erwiderte er die Umarmung, wobei seine rechte Hand den Weg in Kais Nacken fand, seine Stirn an dessen Brust drückend. Als er realisierte, was er tat, war es ihm, als würde sich sein Herz überschlagen, so laut und heftig pochte es. Aufregung und Übelkeit überkamen den Wolf, dem es nichtsdestotrotz gelang, still und starr wie eine Salzsäule unbewegt liegen zu bleiben.
Kai war von dieser Reaktion zugegebenermaßen überrascht worden. Eng spürte er Tala an seinem Körper und fühlte, wie er zitterte, die Kälte seiner Finger.
Warum er sich so einer Situation aussetzte? Eine bereits ausgelutschte Frage.
Der Halbrusse erkannte jedoch jäh, dass er es genoss Tala in den Armen zu halten, zu spüren, wie das Zittern verebbte, diesen berauschenden Geruch nach Zedern und Winterwald in sich aufzunehmen. Panik schob sich seinen Bauch empor. Kais Arme wurden plötzlich ganz weich, seine Beine taub und kalte Hitze breitete sich in ihm aus, ließ ihn unangenehm schaudern.
Gerade als Tala sich mit der kompromittierenden Situation abgefunden hatte und die Wärme langsam wieder zurückkehrte, bemerkte er, wie ein Beben durch Kais Körper zog.
„Soll ich gehen?“, war sein erster Gedanke.
Doch statt einer zerschmetternden Antwort, festigte sich der Griff um seine Taille und drückte ihn noch enger, falls das überhaupt möglich war, an Kai, von dem er leicht spürte, dass er den Kopf schüttelte. Etwas hilflos versuchte Tala dem Graublauhaarigen nicht an den Rippen oder sonst wo weh zu tun und rührte sich einfach nicht. Er war viel zu durcheinander, um die Nähe genießen zu können.
Nach einiger Zeit der unangenehmen Stille, fand Kai endlich Kraft, Mut und Verstand, um Tala die Idee zu schildern, die ihm nach Bryans Abgang keine Ruhe mehr gelassen hatte:
„Was hast du wegen der Mafia nun vor?“
Der Rothaarige konnte den Knoten in seinem Magen anschwellen spüren: „Das spielt keine Rolle.“
Kais Stimme klang ruhig und beherrscht: „Sie werden dich in allen russischen Städten finden, wenn sie wollen.“
„Und?“
„Im Ausland wärst du sicher. Und Bryan könnte sein Studium ungestört beenden, was mit einem Verfolgten nicht ohne weiteres funktionieren könnte...“
Der Knoten wurde zu kalter Wut und Tala löste sich soweit von dem anderen, dass er sich abstützen und ihm in die Augen sehen konnte: „Das weiß ich selbst! Und was soll ich deiner Meinung nach machen?“
Verzweifelt fügte er hinzu: „Ich wünschte, du wärst nie gekommen, dann wäre ich jetzt tot und Bryan nicht in Gefahr!“
Die normalen Reaktionen darauf wären für Kai ein wütendes Aufschnauben und scharfe Worte gewesen, doch heute sah Kai keinen persönlichen Angriff auf sich zukommen, sondern einen Schritt in die richtige Richtung: „Wenn du mich hättest ausreden lassen, hätte ich dir einen Vorschlag gemacht, der deine Frage beantwortet.“
„Ach ja, und welchen?“, schnappte Tala etwas baff.
„Du...“, plötzlich floss Kai die Courage dahin und er wusste nicht mehr, wie er es ausdrücken sollte. Ein neues Gefühl spiegelte sich in seinen Augen wider: Furcht. Furcht vor Ablehnung.
Irritiert erkannte der Rothaarige diese plötzliche Angst und konnte sich nicht so recht einen Reim darauf machen, vor allem als Kai den Blickkontakt daraufhin unterbrach.
Tala war immer noch wütend auf Kais besserwisserische und großkotzige Art, als seine Mimik weicher wurde und er, die Augen schließend, meinte: „Du hast gesagt, dass wir nicht zu alt sind in einem Bett zu liegen, nachdem wir im Kerker gewesen sind. Dann sollten wir auch nicht zu alt sein, uns nach all den Jahren endlich wieder ehrlich zu unterhalten. Wenn nicht jetzt, dann nie mehr.“
Das ahnte Kai ebenfalls. Doch es war so schwer. Er lag schweigend da, die Hände noch um die Taille und auf der Hüfte Talas ruhend. Sein Körper strahlte nun eine angenehme Wärme unter seinen Fingern aus und sein Geruch vermischte sich mit dem des Lakens, auf dem sein Kopf lag. Der Halbrusse wusste, dass er über seinen Schatten springen musste. Er hatte es bereits so oft tun müssen.
Nachdem er nach Japan geschafft wurde und alleine mit seinem so gut wie fremden Großvater in dieser kalten, leeren Villa zu leben hatte, begann er zu begreifen, was es hieß, wirklich einsam zu sein. Der Tod seiner Eltern war schrecklich gewesen, doch aus irgendeinem Grund hielt er sich da noch an all das Gute, dass ihm seine Eltern versucht hatten in allen Dingen, Geschehnissen und Menschen aufzuzeigen. Er versuchte diese optimistische Lebenseinstellung als kleines, unwissendes Kind einfach fortzuführen. Das brachte ihm in der Abtei viel Prügel ein und er hätte sich beinahe der stumpfen Hörigkeit untergeordnet, doch dann traf er Tala. Sie kamen in dasselbe Zimmer und mit der Zeit gelang es ihm den Jungen mit den verschlossenen, blauen Augen aufzutauen, sein Vertrauen zu verdienen und so viel mehr zu gewinnen. Das wurde Kai zur quälenden Gewissheit, als er ohne seinen besten Freund zurecht kommen musste. Der Verlust und die strenge, lieblose Erziehung Voltaires ließen den optimistischen Jungen eingehen. Perfektionismus war das Einzige, an das er sich klammern konnte und mit den Jahren verbarrikadierte er sich hinter einer selbst erschaffenen Mauer, die ihn nicht nur vor körperlichen, sondern vor allem vor seelischen Einflüssen schützte. Es ging sogar so weit, dass er seine Vergangenheit in einem langwierigen Verdrängungsprozess vergas. Zumindest bis zum Beyblade-Finale in Russland.
Doch das Entscheidende war, dass es die Bladebreakers gewesen waren, die ihn zum ersten Mal nach dieser furchtbaren Zeit gezwungen hatten über seinen Schatten zu springen, sich einzugestehen nicht unbedingt perfekt sein zu müssen. Sie belohnten ihn mit ehrlicher Freundschaft. Und auch nach sonstigen Fauxpas hatten sie ihn nicht aufgegeben, wodurch er den Mut gefunden hatte sich weiterzuentwickeln. Alles nur, weil sie ihm die Angst vor erneutem Verlust nehmen konnten. Natürlich war er nicht der ideale Freund für sie, so sporadisch, wie er sich bei ihnen meldete und wie beherrscht er mit ihnen umging. Aber wenn sie sich trafen, fühlte es sich an, wie ein Stück wiedergewonnene Heimat. Und Schritt für Schritt lernte er es zu schätzen und zu brauchen.
Jetzt war wieder einer dieser Momente, wo er seine Furcht, seinen Stolz beiseite schieben musste, um etwas zu ändern, dass ihn langfristig wenigstens nicht schaden konnte. Hoffte er. Aber wie hieß es so schön: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
„Ich habe mir gedacht“, begann er leise, „da du hier nicht sicher bist, wäre es besser, wenn du mit mir nach Tokio kommst... zumindest wäre es eine Möglichkeit.“
Er spürte regelrecht, wie sich die eisblauen Augen durch ihn hindurchbohrten und als er dem Blick begegnete, las er in ihm Unglaube, Misstrauen und so etwas wie Empörung.
„Warum verarscht du mich?“, war denn sogleich Talas wütende Frage.
Kai sah ihn direkt an: „Ich weiß, ich bin kompliziert und unleidlich, aber meine Wohnung wäre groß genug für den Anfang. Du könntest arbeiten, studieren, dir ein Leben aufbauen und dich frei bewegen.“
„Kompliziert und unleidlich ist untertrieben. Du bist ein Arschloch.“
Um Beherrschung bemüht, schloss er seine Augen, als er sagte: „Und? Was sagst du?“
„Du meinst das jetzt echt ernst?“, fragte Tala nach einer kurzen Pause verwirrt, beinahe fassungslos.
Die Augen immer noch zu, nickte der Graublauhaarige schließlich und hörte, wie sich der andere anscheinend wieder hinlegte. Als er die Lider aufschlug, sah er in zwei traurige Eiskristalle, keine dreißig Zentimeter entfernt.
„Hm?“
„Ich... denke nicht, dass das so eine gute Idee ist.“ Und gerade, als Kai den Mund aufmachen wollte, erklärte er so gut er konnte: „Wie sollen wir es denn unter einem Dach aushalten?“
Tala wusste nicht, wie er es formulieren sollte. Er konnte schlecht sagen, dass es ihn quälen würde, ihm so nah zu sein, ohne je eine Chance zu haben ihm wirklich so viel zu bedeuten wie er ihm bedeutete. Es war ein außergewöhnlich großzügiges Angebot für Kais Verhältnisse, aber der Rothaarige konnte es einfach nicht annehmen. Er würde sich nicht zusammenreißen können. Das einzig Gute an der Sache war, dass Kai anscheinend nicht begriffen hatte, wie viel er für den Halbrussen empfand.
„Es wird sicher anstrengend, aber früher sind wir auch miteinander ausgekommen. Und so grundlegend haben wir uns nicht verändert, dass ein normales Zusammenleben jetzt unvorstellbar wäre.“
//Nur mit dem Unterschied, dass ich dich jetzt am Liebsten vernaschen würde//, dachte Tala sarkastisch und Sarkasmus war es, der sich in seinen Augen widerspiegelte.
Kai entging das freilich nicht: „Was?“
Da sprang er über seinen Schatten und bettelte den Rothaarigen beinahe an, doch ein Zimmer seiner Wohnung kostenlos in Beschlag zu nehmen und dann so was! Er war weder blöd noch naiv, aber ungeduldig:
„Ich habe keine Ahnung, ob ich so sein kann, wie du mich gerne hättest, aber herausfinden werden wir es nicht, wenn du hier bleibst und dich selbst bemitleidest bis du tot umfällst.“
Tala sah ihn vollkommen perplex an: „Wie will ich dich denn haben?“
Das war die Art von Gespräch, die Kai schier in den Wahnsinn trieb. Ein Katz’ und Maus Spiel um ein Thema herum, dass eigentlich glasklar, aber brisant war und man gezwungen wurde es auf den Punkt zu bringen, auszusprechen, ohne dass eine zwingende Notwendigkeit dafür bestand. Und Kai hatte keine Kraft und Lust mehr, um weiterhin um den heißen Brei herum zu reden. Stattdessen rückte er an Tala heran, umfasste seine Taille und kuschelte sich an seine Brust, dabei ignorierend wie stocksteif dieser wurde: „Kai?“
„Hm?“
„Warum tust du das?“
Der Kai von früher hatte eine sehr gefühlvolle, verschmuste Seite an sich und ironischer Weise war er es da immer gewesen, der Berührungsangst gehabt hatte bis der Kleine es irgendwann fertig gebracht hatte ihn aufzutauen, sein Vertrauen zu gewinnen. Aber der Junge von damals schien über die Jahre hinweg alle Charakterzüge, die sie einst verbunden hatten, abgelegt zu haben. Oder zumindest vergraben, denn nun sah es fast so aus, als wären sie doch noch in irgendeiner komischen Form vorhanden.
„Weil es sich gut anfühlt“, antwortete er müde.
Sein Herz schlug so verräterisch schnell, dass Tala befürchtete, Kai könnte es hören, als er über die Lippen brachte: „Weißt du, was ich dabei empfinde?“
„Ich denke schon, verstehen tu ich es aber nicht. Ich bin nicht sonderlich liebenswürdig.“
Tala spürte, wie sich alles in ihm zusammenzog. Kai wusste es!
„Und du willst trotzdem mit mir zusammenleben?“
„Die einzigen Beziehungen, derer ich fähig bin zu führen, sind freundschaftlicher Natur. Und es gibt tausende von Beispielen, die belegen, dass ich darin auch nicht gut bin. Wie soll ich dir dann versprechen, dass es mit dir ganz anders wird? Ich würde dir gerne mehr sagen, als dass ich dich gerne um mich hätte und dass es sich richtig anfühlt so mit dir hier zu liegen, aber ich kann es einfach nicht.“
Er versuchte sein rasendes Herz und die nervige Nervosität schlicht zu ignorieren, doch Kai wurde schnell von dem leichten Zittern Talas abgelenkt und er wagte es sich so weit zu lösen, dass er ihm in die Augen sehen konnte.
Im Blick des Rothaarigen fanden sich so viele Emotionen, dass es Kai nicht gelingen wollte mehr zu sehen, als die wenigen Tränen, die sich aus den blauen Meeren schlichen. Aus einem Impuls heraus, wischte er sie vorsichtig mit Daumen und Zeigefinger fort, als Tala seine Hand mit der eigenen an seiner Wange festpinnte: „Kannst du mir wenigstens versprechen, dass wir Freunde sein können?“
„Ja“, sagte Kai unüberlegt, aber ehrlich.
„Dann komme ich mit dir.“
Zufrieden lächelnd schmiegte sich der Graublauhaarige daraufhin wieder müde an Talas Brust und genoss einfach das Gefühl in den Armen gehalten zu werden, ehe er beruhigt einschlief.
Shouldn’t have let you
conquer me completely
now I can’t let go of this dream
can’t believe that I feel
Der nächste Morgen glich dagegen einem Alptraum. Nicht nur wurden sie von einer hysterischen Schwester geweckt, Tala wieder in sein Zimmer gescheucht und beide vom Arzt ermahnt und belehrt, nein, als Bryan später zu ihm kam und ihm ungläubig erzählte, dass Tala gesagt hätte, dass er mit ihm nach Japan fliegen würde und Kai es als wahr bestätigte, durfte er sich Tiraden von dem Falken anhören, die so ins Private gingen, dass es dem Halbrussen schwer gefallen war sich zu beherrschen. Er wusste ja, dass Bryan sich um Tala sorgte und er ihm nur Gutes wollte. Aber trotzdem mochte Kai es nicht sonderlich deswegen über seine Motive ausgefragt zu werden und zehnmal daran erinnert zu werden, wie viel Tala doch für ihn empfand und er doch aufpassen sollte, was er ihm erzählte.
Danke, das wusste Kai auch.
Er hatte es bereits tief im Inneren geahnt, als er das Bild von sich mit diesem Text in Talas Regal entdeckt hatte. Und als der Rothaarige in dem Verlies der Abtei erkennen ließ, dass er ihn brauche, um vernünftig weiterleben zu wollen, stellte sich für Kai nicht mehr die Frage des ob, sondern viel eher des warum.
Warum hatte sich Tala in ihn verliebt? Wann und wie kam es dazu? Schleichend? Und wieso machte den Wolf diese Erkenntnis so kaputt? Die Frage danach, wie es möglich war ihn zu lieben oder auch nur zu mögen, stand ebenfalls im Raum, denn Kai verstand auch allein das nicht. Er mochte sich ja selbst kaum, warum dann ein anderer? Und warum Liebe? Für was denn? Dafür, dass er so ein Ekel war und sich einen Scheiß um Tala geschert hatte, zumindest nach außen hin?
Kai konnte nicht begreifen, wie sich der Blauäugige so von seinen Gefühlen hat fertig machen lassen. Er wusste allerdings, dass es ihm generell schwer fiel die Emotionen anderer ihm gegenüber nachzuvollziehen, sofern diese in irgendeiner Form positiv waren. Auch noch nach all den Jahren mit den Bladebreakers nicht.
Doch im Moment war es wichtiger den Besuch von Bryan und später auch den von Ian und Spencer zu überleben, die im Gegensatz zum Lilahaarigen immerhin schweigsam waren und sich nur so haben blicken lassen, der Höflichkeit halber. Es ging ihnen gut – finanziell wie privat – und sie erwarteten keine Gegenleistung, ergo: alles prima.
Es dauerte eine Weile bis Kai die Ärzte davon überzeugen konnte, ihn gehen zu lassen. Tala hatten sie bereits drei Tage früher entlassen, bis er endlich gehen konnte. Seit dieser Nacht im Krankenhaus vor einer guten Woche hatten sie sich nicht mehr gesehen und obwohl es eine idiotische Situation war – schließlich würden sie bald zusammen wohnen – war Kai froh für diesen Abstand. Er fand dadurch die Ruhe über die Zukunft nachzudenken und sich emotional abzukühlen, zu fassen.
Der Tag, an dem Kai entlassen wurde und sie sich am Flughafen trafen, kam schnell genug und nach ein paar bösen Blicken seitens Bryan, saßen sie endlich in der Maschine Richtung Tokio. Kai war so unsagbar dankbar dafür diesem wunderschöne Land, welches er so hasste, entfliehen zu können.
Tala, der neben ihm saß, schien ihm die Erleichterung anzusehen: „Was denkst du?“
„Dass ich dieses Land nie mehr sehen werde.“ Der Graublauhaarige starrte auf die weißen Wolken.
„Die Landschaft ist schön und es gibt viele gute Menschen“, erinnerte Tala. Das Land konnte nichts für ihr Pech.
„Ja. Aber nicht für mich.“ Kai begegnete den eisblauen Augen des Rothaarigen, die ihn zu analysieren versuchten. Mit einem Lächeln darüber, das den anderen verwirrte, lehnte er sich in seinen Sitz und schloss die Augen.
„Du wohnst am Stadtrand? Ich bin enttäuscht. Ich habe ein schickes Loft in einem Hochhaus mitten drin erwartet.“ Tala betrachtete die vorbeiziehenden Häuser der Wohngegend durch die ihr Taxi fuhr.
„Keine Sorge. Ich wohne hier nicht“, entgegnete Kai schelmisch grinsend.
„Wer dann?“ Er hatte gedacht, sie fuhren vom Flughafen direkt „nach Hause“.
„Bleiben Sie einfach vor dem Tor stehen“, sagte der Halbrusse zu dem Fahrer gewandt, der unbeeindruckt tat, wie ihm geheißen. Tala wollte sich gerade abschnallen, als Kai ihm bedeutete einfach sitzen zu bleiben.
„Auf was warten wir?“ Irritiert beobachtete der Rothaarige, wie Kai die Türe öffnete und rief: „Ishizu! Ishizu komm!“
Kurz darauf sah Tala verständnislos, wie ein bunter Fellball auf das Auto zulief, in einer Affengeschwindigkeit durch die Tür auf den Rücksitz und in Kais Schoß sprang.
„Eine Katze?“ Mit großen Augen sah er auf das kleine Etwas, dass sich maunzend an Kais Bauch schmiegte.
„Kaaaaiiii!“, schrie es aus dem Haus, vor dessen Tor sie parkten. Die Stimme kam Tala seltsam bekannt vor.
„Hier, das ist Ishizu“, erklärte der Rotäugige schnell, ehe er die Katze auf Talas Beine hob, der befremdet in die verschiedenfarbigen Katzenaugen starrte, und die Tür schloss.
„Fahren Sie jetzt bitte nach Roppongi.“ Der Taxifahrer fuhr gerade an, als der Russe eine Gestalt um die Ecke flitzen sah: „Kai! Wage es nicht dich aus dem Staub zu machen! Kai!!!“
Doch sie waren schneller. Neugierig sah Tala aus dem Rückfenster und wusste nun, warum ihm die Stimme so bekannt vorkam:
„Das ist Tyson“, sagte er verwundert, als dieser seinen Schuh hinter ihnen her warf und das Taxi sogar am Heck erwischte, was den Fahrer allerdings nicht zu interessieren schien.
Kai hingegen fuhr das Seitenfenster herunter und winkte dem wütend herumhüpfenden Japaner noch zu, ehe sie außer Sichtweite waren.
„Was war das?“, wollte Tala wissen und blickte zu dem breit grinsenden Phönix, die Katze, die noch immer auf seinem Schoß saß, ausblendend.
„Tyson. Ich habe meine Katze bei ihm abgeliefert, als ich nach Russland bin.“ Mit diesen Worten streckte er seine Hand nach Ishizu aus und streichelte sie, was mit einem zufriedenen Schnurren belohnt wurde. Es faszinierte Tala immer wieder, wie sich der Ausdruck in Kais Augen erwärmte, wenn er ein Tier sah.
„Ich habe noch nie so eine hässliche Katze gesehen“, spuckte er fast aus.
Am Kopf war das Tier beige, grau-getigert, um die rosa Nase herum schwarz und am linken Ohr weiß. Der restliche Körper war mit einem wilden Mischmasch von rot- und grau-getigert, schwarz, beige und weiß bedeckt. Sogar die Augen waren verschieden wie bei einem Husky: braun und grün.
„Das ist ein Glückskätzchen.“
„Sieht mir eher andersherum aus. Wie kommst du zu einem Haustier?“ Er sollte wohl aufhören die Katze zu beleidigen. Das war dann doch irgendwie erbärmlich.
„Ich fand sie mit drei weiteren Babys, ungefähr zwei Wochen alt. Die Mutter ist überfahren worden.“
„Und dann bist du zum Tierarzt gerannt, hast sie aufgepäppelt und das Hässlichste aus Mitleid behalten?“
„Ja, nur sind die anderen leider gestorben.“ Die Katze tapste zu Kai, rollte sich zufrieden auf dessen Beinen ein und schnurrte um die Meisterschaft.
Der Rothaarige hätte ein schlechtes Gewissen, ob seiner rüden Art gehabt, würde er Katzen mögen. Es gab eine Zeit, in der er sie geliebt hatte, aber nach unzähligen negativen Erfahrungen mit diesen launischen und kratzbürstigen Viechern hatte er seine Vorliebe für sie verloren. Natürlich hätte er an Kais Stelle auch die Kätzchen gerettet, doch ob er sie aufgepäppelt hätte, bezweifelte er. Das hätte er dem Tierarzt überlassen. Wahrscheinlich.
Jetzt lebte er anscheinend aber mit einer Katze zusammen. Als wäre Kai nicht schon schwierig genug...
„Ist sie wenigstens nett?“
Kais Lippen verzogen sich zu einem amüsierten Grinsen: „Wenn du lieb zu ihr bist.“
„Na toll!“
„Na, Ishizu? Der gemeine Feuerlöscher da ist Tala und wird jetzt bei uns wohnen“, flüsterte er der Katze durchaus wahrnehmbar ins zuckende Ohr, was den „Feuerlöscher“ die Augen verdrehen ließ.
Und das war der Moment, in dem Tala sich zum ersten Mal anders fühlte, als so lange Zeit davor. Gut. Er fühlte sich gut.
Good enough
I feel good enough
its been such a long time coming,
but I feel good
Der junge Russe hatte schon viel gesehen, aber das Luxus-Appartement von Kai war wirklich einmalig. Und dabei war es noch nicht einmal so groß wie die anderen in diesem Hochhaus. Wenn man hereinkam erwartete einen ein langer, heller Flur, der in dem geräumigen Wohnzimmer endete. Die ganze Frontwand bestand aus Fenstern mit Blick auf die Stadt. Die Einrichtung war modern und schlicht. Die Küche hatte kein Fenster, war groß und die Schränke weiß und glatt, ebenso das Bad.
„Das ist bisher mein Arbeitszimmer. Im Laufe nächster Woche können wir das dann zu deinem Zimmer machen.“
Neugierig sah Tala hinein und war sprachlos. Ein großes Fenster legte den Blick Richtung Hafen frei und ließ sehr viel Licht in den Raum. Gut zum Zeichnen.
„Hast du denn genug Platz zum Arbeiten in deinem Schlafzimmer?“
Die roten Augen betrachteten ihn vollkommen normal, nicht zurückhaltend, kühl, abweisend oder unbehaglich. Einfach normal ungezwungen, neutral offen.
„Es ist genauso groß wie dieses.“ Kai ging zurück in die Küche, wo die Katze schon aufgeregt miaute und um seine Beine strich. Sie wusste, dass sie Futter bekam.
„Bryan hat gesagt, dass er die Sachen am Montag losschickt.“ Der Rothaarige setzte sich auf den Barhocker an der freistehenden Küche.
„Gut. Kannst du bitte mal den Anrufbeantworter anschalten? Er steht dort drüben.“
Tala schaltete ihn an: „Warum hast du den in der Küche?“
Kai zuckte bloß mit den Schultern.
Sie haben 37 neue Nahrichten, durchschnitt die mechanische Stimme des Anrufbeantworters die Ruhe. Kurz darauf tönte Tysons Stimme durch den Raum:
„Hey Kai! Was glaubst du, was ich bin? Eine Tierpension, oder was? Was fällt dir ein, einfach deine Katze vor die Tür zu setzen mit so ’nem blöden Zettel: „Muss weg. Weiß nicht, wann ich wieder komme.“ HALLO?! Ich habe auch ein Privatleben! Mal daran gedacht, dass ich keine Zeit habe auf deine Katze aufzupassen? Such dir nächstes Mal gefälligst jemand anderen, oder ich gebe sie in Opas Obhut! Na, was sagst du dazu? Und sag mir bescheid, WANN du wieder kommst!!!“
Piep piep...
Als die nächste Nachricht ebenfalls eine Schimpftirade von Tyson zu enthalten schien, drückte Tala schnell einen Knopf, um das Ding zum Schweigen zu bringen.
„Jetzt hast du alles gelöscht“, meinte Kai mit hochgezogener Augenbraue. Das Grinsen, das sich über die Ansage hin auf seinen Zügen breit gemacht hatte, war immer noch nicht ganz aus seiner Mimik verschwunden.
„Wenn es was wichtiges war, wirst du bestimmt noch davon erfahren“, gab Tala mit einem Schulterzucken von sich.
„Seit wann ist Tyson so forsch dir gegenüber?“ Der Wolf war ehrlich verwundert über dessen Verhalten.
Kai grinste: „Schon immer, aber meistens verpasse ich ihm einen Dämpfer.“
„Aber das mit dem Privatleben verstehe ich. Tyson allein ist ja schon schwer zu ertragen und dann auch noch diese hässliche Katze dazu! Wie soll der Arme da je an eine Freundin kommen.“ Theatralisch schüttelte er den Kopf.
Der Graublauhaarige begann jedoch zu lachen. Ein seltener Klang, ungewohnt.
„Der kommt schon zurecht. Er ist mit Hilary zusammen und außerdem ist es kein Pferd, um das er sich kümmern musste. Wasser und Futter wird er gerade noch hinstellen können.“
„Wenn er nicht bei diesem Anblick erblindet.“
„Ich sollte dich wohl warnen, dass Ishizu sehr klug ist und viel Gesprochenes versteht.“ Mahnend sah er ihn an und ging mit der Katze auf dem Arm ins Wohnzimmer.
Die eingetretene Stille in der Küche stürzte auf Tala ein, sodass er Kai schnell folgte, um dem steigenden Unbehagen zu entkommen.
„Ich weiß noch gar nicht, was du überhaupt arbeitest“, stellte er verwundert fest, als er sich in den Sessel, dem Halbrussen gegenüber, setzte.
„Eine Ausbildung zum Fremdsprachenindustriekaufmann mit Schwerpunkt Sport, wobei es vor allem um die Vermarktung und dem Management der Sportler und des Sports an sich geht.“
„Hört sich doof an.“ Tala sah mit gerunzelter Stirn in die roten Augen, die ihn undeutbar musterten.
„Was möchtest du machen? Kunstgeschichte studieren?“ Der ironische Unterton war unüberhörbar, aber den Rothaarigen tangierte das nicht:
„Nein. Ich brauche das nicht zu studieren, dafür habe ich Bücher und Museen.“
„Was dann?“
Er seufzte: „Ich weiß nicht. Hast du dir diese Wohnung durch das Erbe deines Großvaters finanziert?“ Der Russe wollte nicht über die Zukunft reden. Der Gedanke daran eine zu haben, überforderte ihn schlichtweg.
„Ich habe seine Villa verkauft, um diese Wohnung zu kaufen. Die eine Hälfte seines Nachlasses habe ich für die Altersfürsorge angelegt, die andere für Naturschutzprojekte und eventuelle Reisen gespart, leben tu ich von dem Lehrgeld.“
Tala hob die Augenbraue: „Altersvorsorge? Wie vernünftig. Und was für Naturschutzprojekte sollen das sein?“
„Eine Initiative gegen den Wahlfang und das unnötige Abschlachten von Delfinen. Außerdem helfe ich ehrenamtlich in einem Tierheim hier in Tokio aus.“
„Hast du auch ein Sozialleben?“ Er konnte einfach nicht anders als zu provozieren.
„Fragst ausgerechnet du mich?“, schnappte Kai umgehend ein.
„Autsch. Na gut. Anderes Thema.“ Müde lehnte sich der Rothaarige zurück und schloss irgendwie niedergeschlagen die Augen.
Er bemerkte nicht, wie rote Augen auf ihm ruhten, das Lichtspiel auf den weinroten Haaren und der hellen Haut betrachteten. Kai konnte nicht umhin sich dabei zu ertappen nervös zu werden. Es war keine negative Nervosität, wie vor Prüfungen, oder eine, wie er sie vor Beybladematches empfand, sondern eine, die ein angenehmes Kribbeln seinen Körper durchfluten ließ und Wärme erzeugte. Er wusste nichts damit anzufangen, obwohl er durchaus begriff, dass es sich um eine Art Verliebtheit handeln musste. Der Graublauhaarige fürchtete sich davor, da er nicht nachvollziehen konnte, woher es so plötzlich kam, gleichzeitig wusste er, dass er es wohl hinnehmen musste. Vielleicht würde er später herausfinden, warum er so fühlte oder es konnte ihm jemand sagen...
Nach einer Weile durchbrach Kai die tosende Stille, die ihn umfangen hatte: „Die BBA bräuchte noch jemanden, der die ganzen Plakate entwirft und sich so Marketing-Kampagnen einfallen lässt. Ich dachte, das könnte dich interessieren bis du weißt, wie es weitergehen soll.“
Ungläubig schlug Tala die Augen wieder auf und starrte in die Rubine, die ihn ernst und beinahe unsicher ansahen: „Es war nur eine Idee“, verteidigte sich Kai sogleich.
Er konnte nicht verhindern, dass seine blauen Augen sanft funkelten, als der Rothaarige beschwichtigte: „Nein, das ist eine sehr gute Idee.“
And I’m still waiting for the rain to fall
pour real life down on me
cause I can’t hold on to anything this good
enough
am I good enough
for you to love me too?
Der Abend kam langsam und zäh. Sie verbrachten die restliche Zeit damit unangenehme Pausen und Situationen aufkommen zu lassen, was eine Kunst war in Anbetracht dessen, dass sie eigentlich nicht viel taten, außer später etwas zu Essen zu bestellen und fernzusehen. Sie wussten anscheinend beide nicht, wie sie miteinander umgehen sollten. Ganz anders als die Katze, die angefangen hatte jedes Mal zu fauchen, wenn Tala sich bewegte. Er hatte zuvor ausversehen, wirklich nur ausversehen, den schwarzen Schwanz in der Küchentür eingeklemmt. Seine Beschimpfungen daraufhin hatten auch nicht zur Beruhigung Ishizus beigetragen, was sie ihm nun auf diese Weise vergalt. Kai indessen störte sich nicht an dem „Streit“ und war insgeheim froh darüber, dass der Rothaarige sein altes Temperament zur Schau stellte und amüsierte sich über seine Aversion der Katze gegenüber.
Erst als die Zeit zum Schlafengehen gekommen war, dämmerte es Tala: „Wo ist denn das Bettzeug?“
„Wieso?“, fragte Kai irritiert.
„Na, zum auf der Couch schlafen.“
Der Graublauhaarige starrte ihn wie ein Weltwunder an: „Das habe ich ja vollkommen vergessen.“
Ungläubig schüttelte Tala den Kopf: „Du hast mich hier her eingeladen, wusstest aber nicht, dass ich hier auch schlafen würde?“
Fast verlegen sah Kai auf die Couch: „Na ja, dann musst du eben in meinem Bett schlafen. Ich habe nämlich keine Bettsachen zur Zeit. Die sind in der Wäscherei.“
Fast wäre dem Rothaarigen ein sarkastischer Spruch à la „warum legen wir uns nicht gleich völlig nackt in dein Bett“ aus dem Mund, doch noch ehe er ihn aufmachen konnte, ließ er sich von diesem entkräftenden, deprimierenden Gefühl überrollen, das ihn stocken ließ.
„Ich kann auch so auf der Couch schlafen“, meinte er stattdessen.
Kai schüttelte den Kopf: „Es ist groß genug und viel bequemer. Außerdem beiße ich nicht“, fügte er belustigt hinzu. Das klang nach Dejà vu.
„Aber ich vielleicht“, rutschte dem Rothaarigen dennoch heraus.
„Ich kann mich verteidigen.“ Grinsend verschwand Kai aus dem Wohnzimmer und ins Bad.
Nachdem auch er Bettfertig war, drückte Tala unschlüssig die Klinke zu Kais Schlafzimmer herunter. Es war bereits dunkel, doch durch das Fenster gegenüber gelangte genug Licht der Stadt hinein, um Schemen zu erkennen. Der Phönix lag bereits im Bett und schien auf ihn gewartet zu haben, denn er begrüßte ihn sogleich mit der Aufforderung sich rechts von ihm hinzulegen. Bedächtig folgte Tala und kam nicht umhin zu erkennen, dass außer dem Bett, einem Kleiderschrank und zwei Nachtkästchen nichts in diesem großen Raum stand. Er ließ sich in das weiche Bett gleiten und war nicht sonderlich erfreut von der Feststellung, dass sie zwar zwei Kopfkissen, aber nur eine Decke hatten.
Klar, schoss es ihm durch den Kopf, ansonsten hätte Kai ihm eine Decke abgeben, er auf der Couch schlafen können.
Etwa einen halben Meter trennte ihre Körper voneinander, doch je länger er still liegen blieb, desto stärker spürte Tala das Verlangen die letzte Distanz zu überbrücken und diese warme, weiche und so verdammt verführend duftende Haut unter seinen Fingern zu fühlen.
Langsam hielt Tala das alles für einen gemeinen Scherz. Warum musste er sich ständig solchen Situationen aussetzen? Er war wohl ein Masochist, ja. Eine andere Erklärung gab es nicht mehr.
Er konnte nicht ahnen, dass Kai ähnlich empfand. Der Rothaarige hatte einen Eigengeruch an sich, der auf ihn wirkte wie ein Aphrodisiakum. Es erzeugte eine ungewöhnliche Sehnsucht in ihm und Kai konnte sich nicht entscheiden, ob es gut oder falsch gewesen war Tala mitzunehmen. Er erzeugte Gefühle in ihm, deren Auswirkung er sich ungeschnörkelt vorstellen konnte. Der Halbrusse versuchte die Furcht in sich niederzukämpfen, sich ermahnend, dass es schon okay so war. Er musste lernen, nicht alles planen zu wollen. Er musste lernen, sich fallen zu lassen. Und bei wem könnte er das besser, als bei Tala? Mit ihm, erkannte Kai, würde es immer anders sein, als mit Ray oder auch Tyson. Sie würden immer mehr sein.
„Tala?“
„Hm?“
Kai drehte sich um, dabei aufpassend sich nicht an den Rippen weh zu tun, die noch wochenlang schmerzen würden: „Darf ich zu dir kommen?“
Der Wolf glaubte nicht recht gehört zu haben, drehte sich auf die linke Seite und sah in die dunklen Augen, die im Dämmerlicht , tatsächlich fragend, funkelten.
„Nein“, sagte er mit fester Stimme und wandte den Blick von diesen fesselnden Rubinen.
„Warum?“ Verständnislosigkeit lag in seiner Stimme. Zorn stieg Talas Bauch hinauf.
„Das weißt du genau!“, fuhr er ihn mit zusammengebissenen Zähnen an.
Ein Grinsen breitete sich auf Kais Zügen aus, dass er ihm am Liebsten aus der Visage gewischt hätte.
„Ich gehe.“ Als Tala in der Tat Anstalten machte aufstehen und gehen zu wollen, griff der Graublauhaarige schnell nach seinem Handgelenk und hielt ihn somit auf.
„Was soll das? Warum tust du das mit mir?“ Er konnte den verzweifelten Unterton in seiner Wut nicht verbergen.
Kai blickte in die aufgebrachten, blauen Augen und verstand sich selbst nicht mehr.
„Sag du es mir“, flüsterte er, Tala immer noch festhaltend.
Mit verwirrt zusammengezogenen Augenbrauen sah er zum Halbrussen, der wie er im Bett saß, jedoch nach unten schaute. Dieser Anblick erinnerte ihn so sehr an damals, als sie noch Kinder waren.
Seufzend ließ Tala sich zurück in die Kissen sinken. Nach ein paar Sekunden tat es ihm Kai gleich, dabei die Distanz zwischen ihnen deutlich auf keine Ellenbogenlänge verkürzend, ohne sein Handgelenk loszulassen. Der Rothaarige schloss resigniert die Augen, ehe er leise sagte:
„Ich weiß es nicht. Aber... ich kann dir sagen, warum ich das Bett jetzt gerne verlassen würde.“
Kai sah ihn undeutbar an und schien darüber nachzudenken, als er letztlich zum Schluss kam: „Ich will dir nichts tun.“
„Aber ich!“ Mit diesen zitternden Worten drehte sich Tala zu Kai, zog ihn, den Schmerz in der Schulter vergessend, in seine Arme und überbrückte die letzten Zentimeter zwischen ihnen. Kai war so überrumpelt, dass er keinen Widerstand leistete und erst verstand, als er Talas Atem auf seinen Lippen spürte, die eisblauen Augen ihn so voller Sehnsucht und Trauer ansahen. Und als Tala die letzten Millimeter überwand, wollte er sich auch nicht mehr wehren.
Leicht wie eine Feder berührte er seine Lippen, ganz so, als hätte er Angst der andere könnte daran zerbrechen. Es kam Tala vor, als kostete er eine verbotene Frucht, sowie er seine Lippen vorsichtig gegen Kais bewegte und als der erwiderte, war ihm, als explodierten hunderte Feuerwerkskörper in seinem Bauch. Zitternd vor Aufregung und Nervosität umfasste er das Gesicht des Graublauhaarigen und intensivierte langsam diesen süßen, zärtlichen Kuss, den er sich schon so lange gewünscht, ersehnt und ausgemalt hatte. Doch dieses Mal war die Realität so viel besser. Nie hätte er geglaubt, dass Kai den Kuss zulassen würde, ihn so unverschämt gut und gefühlvoll zurückküssen würde. Es dauerte nicht lange und er fand den Mut seine Zunge vorsichtig über Kais Lippen streichen zu lassen, sie zu schmecken. Er erschrak fast, als er die fremde Zunge spürte, die seiner herausfordernd begegnete und sich der letzte vernünftige Gedanke in Schall und Rauch auflöste.
Tala konnte ein wohliges Aufseufzen nicht unterdrücken, als sie in einem erregenden Zungenspiel versanken, welches er so intensiv und leidenschaftlich noch nie erlebt hatte. Heiß und verlangend rieben sie ihre Zungen gegeneinander, saugten aneinander, kosteten ihre Münder aus. Endorphine jagten durch Talas Körper und ließen ihn vor Glück und Liebe im Augenblick versinken.
Um Atem ringend lösten sie sich wieder voneinander, die Augen verschleiert und halbgeschlossen. Erst jetzt merkten sie, dass sie sich fest umschlungen hielten und ließen locker, ohne jedoch weiter auseinanderzurücken. Talas Körper wurde von einem Schauder nach dem anderen heimgesucht, während er weiterhin in die roten Meere sah, in denen er nicht zu lesen vermochte, und spürte, wie Kais Brustkorb sich schnell hob und senkte.
„War es sehr schlimm?“, unterbrach Tala die, von ihrem sich beruhigenden Atem durchsetzte Stille.
Eine Emotion, Erheiterung, kristallisierte sich aus den roten Augen heraus, als er ernst antwortete:
„Fürchterlich.“
„Ich meine es ernst.“
„Mhm.“ Statt zu antworten, zog Kai es vor sich an Tala zu schmiegen und die Nase in seiner Halsbeuge zu vergraben. Diese Aktion verminderte weder die Verwirrung, noch die heißen Schauder, die dem jungen Russen unablässig durch die Glieder fuhren.
„Kai, wie soll es denn weitergehen?“ Ihm wurde schwindlig von dem ganzen Gefühlswirrwarr.
Obwohl es so viele Baustellen gab, fühlte sich der Graublauhaarige so wohl und sicher wie lange nicht mehr. Der Flug nach Moskau war im Endeffekt doch richtig gewesen und er hatte es überlebt, in zweierlei Sinn. Im physischen, wie auch emotional. Nicht nur Tala hatte gefunden, was er brauchte, sondern auch er selbst. Es gab nach diesem Kuss für ihn keinen Zweifel mehr darüber.
„Wie wäre es, wenn du mir vorerst die Verlustangst nimmst und ich dir die Zukunftsangst. Danach sehen wir weiter“, hauchte Kai gegen Talas Hals und besiegelte seine Worte mit einem sanften Kuss auf der empfindlichen Haut.
Der Rothaarige verstärkte seufzend die Umarmung und vergrub emotional überladen seine Nase in Kais verwuschelten Haaren. Nur mit Mühe und Not konnte er verhindern, dem Brennen in seinen Augen nachzugeben.
„Gut. Dann machen wir es so... Ich werde dir einfach vertrauen.“
So take care what you ask of me
cause I can’t say no
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Dieses Lied könnte meiner Meinung nach aus der Perspektive beider Protagonisten gesehen werden. Das finde ich so schön daran^^.
Das war jetzt das letzte Kapitel von Good Enough.
Ich hoffe, es gefällt euch und ihr seit mit diesem Ende einverstanden.
Ich würde mich sehr über Kommentare freuen, vor allem auch von denjenigen, die ohne Feedback mitgelesen haben^^!
Noch einmal vielen Dank für die Lesetreue*jeden umflausch*
Bye
Minerva