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Der Weg in die Freiheit

Beitrag zur 24 Stunden Schreibübung
von

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Die 24 Stunden Schreibaufgabe vom 12 bis 13 April 2008
 

Titel: Der Weg in die Freiheit
 

„Bist du sicher, dass du das wirklich tun willst, Saida?“ fragte mich meine Freundin Fatima besorgt. In ihrer Stimme klang soviel Angst, soviel Verzweiflung und dennoch ließ sie nichts unversucht um mich von meinem Entschluss abzubringen.
 

„Fatima, du weißt, dass ich mir diesen Schritt genau überlegt habe! Ich habe keine andere Wahl!“ erklärte ich meiner Freundin behutsam und wischte ihr mit dem Schal meines Saris eine Träne aus dem Gesicht.
 

„Und wenn du einfach fliehst? Ich gebe dir alles Geld mit welches ich gespart habe! Du gehst irgendwo hin und fängst noch mal von vorn an. Sie würden dich nicht finden, wenn du nach Amerika oder Europa gehst!“ Fatima ließ nichts unversucht und hoffe noch immer, ich würde mich dazu entschließen in einer Nacht und Nebel Aktion zu fliehen.
 

Doch mein trauriger und bestimmter Blick und mein Kopfschütteln zeigten ihr unmissverständlich, dass ich nicht fliehen würde.

Wo sollte ich auch hin?
 

Während meine Freundin immer wieder in Tränen ausbrach und wir uns immer wieder in die Arme schlossen, hörte ich plötzlich, eine Menschenmenge vor dem Fenster unseres Hauses.

Ich musste nicht einmal nachsehen was die Ursache dieser Menschenansammlung war. Ich wusste es schon. Trotzdem ging ich zum Fenster und konnte somit noch einem kurzem Blick auf die junge Frau im gelbgoldenen Sari werfen, die begleitet von dutzenden anderen Frauen auf den Weg zum Tempel war. Ihre Hände, mit denen sie den Schleier festhielt, welcher ihr Gesicht verbarg, waren mit Henna bemalt und ich konnte die vielen Armreifen und Ringe erkennen, welche sie an beiden Händen trug.

Die Frauen um sie herum waren am lachen und sahen glücklich aus, während sie die stille junge Frau auf ihren letzten Weg zum Tempel begleiteten. Es war der letzte Weg, der letzte Schritt, den sie als Unverheiratete Frau zurücklegen würde.

Im Tempel würde sie dem Mann begegnen, den man für sie als ihren Ehemann bestimmt hatte. Doch eigentlich war es genau anders herum. Nicht den Mann hatte man für sie bestimmt, nein sie selbst wurde von der Familie ihren zukünftigen Mannes, als Schwiegertochter der Familie auserwählt.

Selbst entscheiden, ob sie diesen Mann, welcher im Tempel sicher schon auf sie warten würde, auch wirklich heiraten wollte, ob sie ihn lieben würde, oder ob da übhaupt irgendwelche Gefühle füreinander sein würden, nein all dies konnte sie nicht selbst entscheiden.
 

Meine Augen richteten sich weiterhin auf die junge Braut im goldgelben Sari, die mit kleinen Schritten allmählich dem Tempel näher kam. Ihr Blick war noch unten gerichtet, und ich war mir fast sicher, dass sie die vielen Jubelrufe und die Gesänge der vielen Frauen, die sie zur Hochzeitszeremonie begleiteten, gar nicht wahrnahm. Für ihre Familie, ihre vielen Schwestern, ihre Mutter und Tanten, war es ein freudiges Ereignis. Die Vermählung mit einem gut situierten Mann, welcher sich für sie entschieden hatte.
 

Obgleich ich nicht ihr Gesicht sehen konnte, welches sie sorgfältig vor den Blicken der anderen versteckte und was auch ein Zeichen ihrer Erziehung war, ihren Anblick einzig ihren Ehemann nach vollendeter Trauung zu offenbaren, so war ich mir dennoch sicher, dass sie hübsch sein musste.
 

Mit einem stummen Blick auf meine Freundin, die wie ich die Hochzeitsprozession verfolgt hatte, gab ich ihr zu verstehen, dass ich jetzt allein sein wollte. Mit einen traurigen Nicken verabschiedete sie sich von mir und ich war nun allein mit meinen Gedanken.
 

Mein Blick fiel auf den goldgelben Sari, der auf meinem Bett lag. Er sah dem Gewand sehr ähnlich, welches die junge Braut auf ihren Weg zur Trauung trug. Auch mein Sari hatte die selben goldenen Stickereien und in der Schatulle die auf dem Nachtisch lag, befand sich ebenfalls Unmengen von Armreifen, Ketten und Ringen.
 

Auch mir war es vorherbestimmt, jenen Weg zu gehen, welchen die junge Frau eben gegangen war. Obwohl ich sie nicht kannte, so wusste ich doch, dass wir das selbe Schicksal hatten. Die Heirat mit einem Mann, welchen wir noch nie zuvor gesehen hatten. Ob sie wohl ein glückliches Leben führen würde, als verheiratete Frau? Ob sie sich in ihren Mann, dem sie noch nie begegnet ist, verlieben würde? Weder sie noch ich hatten in diesem Moment Antworten auf diese Fragen.
 

Es war unser beider Schicksal, so wie es auch die Vorherbestimmung aller Frauen im heiratsfähigen Alter war, mit einen Mann verheiratet zu werden, welchen wir uns nicht aussuchen können. Nicht wir Frauen wurden gefragt, ob wir diesen Mann heiraten wollen, nein, dies war einzig und allein eine Entscheidung die unsere Väter für uns trafen. Und wenn die Väter den Mann als Ehemann gut befinden, so war die Vermählung eine beschlossene Sache.
 

Obgleich meine Eltern mir mit ihrer Zustimmung, dass ich eine Schule besuchen und meinen Schulabschluss machen konnte, mir schon viel mehr Freiheiten zusprachen, als sie viele anderen Frauen in meinen Alter hatten, so stand es doch von Anfang an fest, dass diese Freiheiten nur so lange gültig waren, bis der Tag meiner Hochzeit kommen würde.

Das Lernen für die Schule und die Aussicht auf einen guten Schulabschluss nahm ich immer sehr ernst und war so stolz, dass ich als eine der Besten abgeschnitten hatte.

Doch meine Pläne eine Ausbildung als Krankenschwester im hiesigen Krankenhaus zu machen, wurden an jenem Tage, vor 4 Wochen, zerstört, als mein Vater mir freudestrahlend mitteilte, dass er einen Ehemann für mich auserwählt hätte.
 

Morgen solle nun meine Hochzeit sein, und ich würde die Braut sein, die im goldenen Sari, mit Henna bemalt und mit Unmengen von Schmuck behangen, unter den Jubelgesängen und Freuderufen der Frauen jenen Weg gehen würde, den die junge Frau von eben mir vorangegangen war.
 

Doch ich hatte mich längst für einen anderen Weg entschieden. Zu sehr habe ich in den letzten Jahren mich um gute Noten und um einen guten Abschluss bemüht, als dass ich jetzt bereit sein sollte, all diese Bemühungen und meine Hoffnungen auf ein selbstbestimmtes Leben aufzugeben und mich in die Rolle einer Ehefrau zu fügen.
 

„Und wenn du einfach fliehst?“ war der Vorschlag von meiner besten Freundin, der mir jetzt wieder durch den Kopf ging. Sicher, es wäre eine Möglichkeit gewesen, vor dieser vorbestimmten Ehe zu fliehen, in der Hoffnung irgendwo noch mal von vorne anfangen zu können und vielleicht sogar ein Leben zu leben, so wie man es sich selbst vorgestellt hatte. Doch für mich stand es ohne Zweifel fest, dass eine Flucht für mich nicht in Frage kommen würde.
 

Junge Frauen, die vor ihrer arrangieren Heirat fliehen, dass hörte man hier immer wieder. Doch eines war ihnen nie bewusst, zumindest dachte wohl keiner darüber nach: Eine arrangierte Heirat, die bereits zwischen den Familien abgesprochen war und wo bereits über Mitgift und sonstige finanzielle Gaben verhandelt wurde und die Einzelheiten geklärt waren, wenn eine solche Verbindung durch eine Flucht der Braut gebrochen wurde, brachte es eine unsagbare Schande über ihre Familie.

Die Ehre und das gute Ansehen der Familie würden durch ein solches Handeln für immer zerstört werden.
 

Nie wieder würden die jungen Frauen in ihre Familie zurückkehren können, wenn sie sich der von ihren Vater bestimmten Heirat widersetzen würde.

Neben der nicht gerade geringen Geldstrafe, welche die Familie der jungen Frau, an den sitzengelassenen Ehemann als Entschuldigung für den Bruch des Ehevertrages zahlen muss, waren es vor allen die demütigenden Blick der Anderen, unter denen die Familie der Vertragsbrüchigen zu leiden hatten.
 

Die Demütigung und die entwürdigenden Blicke der anderen, dies wollte ich meinen Eltern ersparen.

Doch gab es nur eine Alternative für mich, um einer Heirat mit einem Mann zu entgehen, den ich noch nie gesehen hatte.
 

Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass meine Tür abgeschlossen war, hob ich die Matratze meines Bettes hoch und griff nach der kleinen Flasche, in der eine grüne Flüssigkeit war. Es war nicht schwer für mich, daran zu kommen. Da ich im Krankenhaus öfters aushalf war es ein Leichtes, an den Medikamentenschrank zu gelangen und eine Flasche zu finden, mit der all meine Probleme ein Ende haben sollten.

Es würde sehr schnell gehen. Innerhalb von wenigen Minuten, nachdem ich die grüne Flüssigkeit getrunken habe, würde ich einschlafen. Die Dosierung war stark genug, so dass ich sicher sein konnte, dass ich es nicht überleben würde.
 

Ich war längst nicht die einzige, die sich entschlossen hatte, ihrem Leben ein Ende zu setzen, um ihrer eigenen arrangierten Ehe zu entgehen. Meldungen über jungen Frauen, die sich von Brücken oder von hohen Häusern stürzten, kurz bevor ihre Heirat stattfinden sollte, gab es immer wieder. Durch ein uraltes Gesetz, welches schon seit vielen Jahrhunderten bestand, wurde verhindert, dass die Familie des Mädchen, welches sich vor der Ehe das Leben nahm, eine Entschädigung an den für sie bestimmten Ehemann zahlen muss. Die Ehre und das Ansehen der Familie wurden mit dem Selbstmord des Mädchens nicht zerstört.
 

Mit einer Flucht, würde ich eine nicht mehr rückgängig zu machende Schande über meine Familie bringen. Doch ich würde es niemals ertragen, meine Familie in Schande und Ehrelos zurückzulassen.
 


 

Viele Stunden später….

Es war inzwischen dunkel geworden und die letzte Nacht als Unverheiratete Frau war für mich angebrochen. An nächsten Tag sollte es ein großes Fest geben und alle Verwandten und fast das ganze Dorf würden an meiner Vermählungszeromonie teilnehmen. Als ich sicher war, dass sich alle zu Bett begeben hatten und schliefen, stand ich leise aus meinem Bett auf und ging öffnete den Schrank in dem der goldgelbe Sari hing, der mein Hochzeitsgewand sein sollte.

Ich bemühte mich sehr, keine lauten Geräusche zu verursachen, als ich begann mein Nachtgewand auszuziehen und den Sari anzog.

Die vielen Stofflagen, aus denen der Sari bestand, machten es mir schwer ihn richtig anzuziehen, da man als Braut während der Ankleideprozedur normalerweise etliche Helferinnen hatte, die einen beim richtigen Anziehen behilflich waren.
 

Nach 20 Minuten hatte ich es endlich geschafft, den Sari anzuziehen und öffnete anschließend die große Schatulle mit dem vielen Schmuck. Ich mich bereits vor Tagen entschieden, welche Schmuckstücke ich tragen würde und schmückte mich nun mit den schon vorher ausgesuchten Ketten, Armreifen und Ringen.

Nachdem ich mein Haar sorgfältig gebürstet und frisiert hatte, bedeckte ich mein Kopf mit dem fast durchsichtigen orangenen Schal.
 

Zielstrebig ging ich zu dem großen Spiegel, welcher in meinem Zimmer stand und betrachtete mich sorgfältig darin. Ja, der Sari den meine Schwestern und meine Mutter in wochenlanger Arbeit für mich genäht hatten, war wirklich bezaubernd. Ich hätte mir keinen schöneren als für meine Hochzeit vorstellen können. Eine einzelne Träne lief mir über die Wange, als ich daran dachte, wie sehr meine Mutter sich gewünscht hatte, mich in diesem Sari vor dem Traualtar stehen zu sehen. Wie sehr schmerzte mich der Gedanke, ihr diesen sehnsüchtigen Wunsch nicht erfüllen zu können.

Wie hätte sie auch ahnen können, dass dieses Gewand welches sie mit soviel Liebe und Hingabe fertig stellte, nicht mein Hochzeitsgewand sein würde, sondern jener Sari, in welchem ich sterben würde.
 

Mein Blick fiel auf die kleine Flasche mit der grünen Flüssigkeit, die ich eben auf die Kommode neben dem Spiegel gestellt hatte. Mit der Flasche in der Hand betrachtete ich mich nochmals im Spiegel und immer wieder kamen mir die Fragen in Gedächtnis, über die ich die gesamten letzten Wochen und Tage nachgedacht habe, und die ich auch jetzt noch nicht beantworten konnte.
 

Warum? Warum war der grüne Inhalt dieser kleinen Flasche der einzige Ausweg für mich. Warum konnte ich nicht einfach vor dieser Heirat fliehen, wie es soviel anderen junge Frauen immer wieder taten. Warum war mir kein eigen bestimmtes Leben bestimmt? Doch es gab keine wirklichen Antworten auf meine Fragen. Traditionen und jahrhunderte alte Bräuche, waren die Grundsteine dafür, dass es selbst jetzt noch arrangierte Ehen gab, vor denen man als Frau nur auf zwei Arten entfliehen konnte.

Doch nur ein Ausweg blieb übrig, wenn man seine Familie nicht entehren wollte.
 

Ob mir meine Familie mein Handeln jemals verzeihen würde? Ich wusste es nicht. Ich konnte noch nicht mal mit Sicherheit sagen, ob mein Tod sie unglücklich machen würde. Ob sie um mich trauern würden? Ich würde es niemals herausfinden.
 

Nach einen letzten Blick in den Spiegel setze ich mich auf mein Bett und öffnete den Verschluss der Flasche. Bis zum Morgengrauen war nicht mehr viel Zeit. Je länger ich jetzt warten würde, desto größer wäre die Gefahr, dass die Flüssigkeit ihren Zweck verfehlen würde und man mich vielleicht noch würde retten können.
 

Die Tränen die nun unaufhaltsam über meine Wangen liefen, konnte ich nicht mehr stoppen. Die Zeit war gekommen, den letzten Schritt zu gehen. Der letzte Schritt, der mir die Freiheit bringen würde, die mir im Leben versagt geblieben war.

Mit dem letzten Gedanken, die Hoffnung auf Vergebung, Vergebung für mein egoistisches Verhalten, trank ich schließlich die grüne Flüssigkeit. Angst spürte ich keine mehr, nur noch die Gewissheit, die für mich einzig richtige Entscheidung getroffen zu haben, blieb in meinem Herzen zurück.
 


 

Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2008-06-08T07:15:38+00:00 08.06.2008 09:15
Hallo,
Danke für die Teilnahme an meinem WB^^
zu deiner Story:
- der Inhalt gefällt mir sehr gut, auch wenn ich mir nicht sicher bin ob das, was du über Suizid schriebst wirklich korrekt ist. Es passt aber gut
- zum Aufbau: du hast dir glaube ich viel Mühe mit dieser Geschichte gemacht, jedenfalls ist sie sehr systematisch aufgebaut
- Manko: es sind (wie bei bis jetzt allen Storys, die ich gelesen habe für den WB) kleinere Fehler drin, hier und da fehlt ein Wort, welches man aber selber im Kopf ergänzen kann
Diese Fehler stören den Lesefluss allerdings nicht

LG
Takara-Chan
Von:  She-Ra
2008-05-02T01:30:09+00:00 02.05.2008 03:30
Wirklich eine sehr schöne FF. Man kann sich sehr gut in die Situation hinein versetzten. *alle Daumen hoch* Soetwas mag ich sehr an FF's.
Sie ist sehr gut durchdacht, gut aufgebaut und durchstrukturiert. Note 1 mit Sternchen ^^
Hoffe du schreibst noch mehr solche Sachen.

LG
She-Ra


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